Der Mann, der vom Himmel fiel - Walter Tevis - E-Book

Der Mann, der vom Himmel fiel E-Book

Walter Tevis

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Beschreibung

Thomas Jerome Newton ist ein geheimnisvoller Mann. Wie aus dem Nichts taucht der seltsame Fremde in Kentucky auf und scheint eine Mission zu haben. Mit neuartigen Technologien verdient er in kurzer Zeit Millionen und zieht dabei viel Misstrauen auf sich – aber auch das Interesse des Wissenschaftlers Nathan Bryce und der jungen Betty Jo. Während sie schnell Gefühle für Newton entwickelt, fragt sich Nathan, ob hinter dem Unbekannten mehr steckt, als auf Anhieb zu erkennen ist. In der Neuübersetzung von pociao und Roberto de Hollanda.

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Walter Tevis

Der Mann, der vom Himmel fiel

Roman

Aus dem Amerikanischen von pociao und Roberto de Hollanda

Diogenes

Für Jamie,

der Anthea besser kennt als ich

1985:Ikarus versinkend

1

Nach zwei Meilen zu Fuß erreichte er eine Stadt. An der Ortsgrenze stand ein Schild mit der Aufschrift: Haneyville, 1400 Einw. Das war gut, eine perfekte Größe. Es war noch früh am Morgen. Er hatte diese Zeit für den Zwei-Meilen-Marsch gewählt, weil es dann kühler war, und noch niemand auf der Straße. Im schwachen Morgenlicht ging er an mehreren Häuserblocks vorbei, verwirrt von der Fremdheit – nervös und auch ein wenig verängstigt. Er versuchte, nicht daran zu denken, was er tun würde. Darüber hatte er sich schon genug den Kopf zerbrochen.

In dem kleinen Geschäftsviertel fand er, was er suchte, einen winzigen Laden namens The Jewel Box. Nicht weit davon entfernt, an einer Straßenecke, stand eine grüne Holzbank, auf die er sich setzte. Sein Körper schmerzte von der Anstrengung des langen Gehens.

Ein paar Minuten später sah er ein menschliches Wesen.

Es war eine Frau, eine müde wirkende Frau in einem weiten blauen Kleid, die über die Straße auf ihn zuschlurf‌te. Verblüfft wandte er den Blick ab. Sie sah irgendwie falsch aus. Er hatte geglaubt, dass sie etwa seine Größe haben würden, doch die hier war mehr als einen Kopf kleiner als er. Ihre Haut war rötlicher als erwartet und dunkler. Und auch das Äußere, das Gefühl, war seltsam – obwohl ihm bewusst war, dass sie anders aussehen würden als im Fernsehen.

Schließlich tauchten weitere Menschen auf der Straße auf, und alle waren mehr oder weniger gleich. Er hörte einen Mann im Vorübergehen: »… wie gesagt, solche Wagen bauen sie nicht mehr.« Zwar war die Aussprache eigenartig, weniger klar, als er erwartet hatte, trotzdem hatte er keine Probleme, den Mann zu verstehen.

Mehrere Menschen starrten ihn an, manche misstrauisch, aber das beunruhigte ihn nicht. Er rechnete nicht damit, dass man ihn belästigen würde, und nachdem er die anderen gemustert hatte, war er überzeugt, dass seine Kleidung einer Überprüfung würde standhalten können.

Als der Juwelierladen öffnete, wartete er zehn Minuten und trat dann ein. Hinter dem Tresen war ein untersetzter, rundlicher Mann mit weißem Hemd und Krawatte dabei, die Regale abzustauben. Der Mann hielt inne, musterte ihn einen Augenblick, ein wenig eigentümlich, und sagte dann: »Ja, Sir?«

Er fühlte sich übergroß, unbehaglich. Und plötzlich voller Angst. Er öffnete den Mund, um zu antworten. Es kam nichts heraus. Er versuchte zu lächeln, doch sein Gesicht schien zu erstarren. Tief im Innern spürte er einen Anflug von Panik, und einen Moment lang glaubte er, das Bewusstsein zu verlieren.

Der Mann starrte ihn immer noch an, sein Blick war unverändert. »Ja, Sir?«, wiederholte er.

Mit großer Willensanstrengung gelang es ihm zu sprechen. »Ich … ich würde gern wissen, ob Sie an diesem … Ring interessiert wären?« Wie viele Male hatte er diese harmlose Frage geplant, sie sich ein ums andere Mal vorgesagt? Und trotzdem hallte sie nun seltsam in seinen Ohren wider wie eine lächerliche Aneinanderreihung sinnloser Silben.

Der andere Mann starrte ihn weiter an. »Welchen Ring?«, fragte er.

»Oh!« Irgendwie brachte er ein Lächeln zustande. Er zog den goldenen Ring vom Finger der linken Hand und legte ihn auf den Tresen, voller Angst, die Hand des Mannes zu berühren. »Ich … bin auf der Durchreise. Mein Wagen hat eine Panne, ein paar Meilen die Straße runter. Ich habe kein Geld bei mir und dachte, vielleicht kann ich den Ring verkaufen. Er ist ziemlich wertvoll.«

Der Mann drehte den Ring in seinen Händen hin und her und betrachtete ihn argwöhnisch. Schließlich fragte er: »Wo haben Sie den her?«

Die Art, wie der Mann es sagte, schnürte ihm die Kehle zu. Stimmte irgendwas nicht? Die Farbe des Goldes? Etwas an dem Diamanten? Erneut versuchte er zu lächeln. »Meine Frau hat ihn mir geschenkt. Ist schon ein paar Jahre her.«

Das Gesicht des Mannes war immer noch undurchschaubar. »Woher soll ich wissen, dass er nicht gestohlen ist?«

»Oh.« Die Erleichterung war überwältigend. »Mein Name steht drauf.« Er fummelte seine Brief‌tasche aus der Brusttasche. »Und ich habe einen Ausweis dabei.« Er nahm den Pass heraus und legte ihn auf den Tresen.

Der Mann betrachtete den Ring und las laut vor: »T.J. von Marie Newton, zum Hochzeitstag 1982« und dann »18 K«. Er legte den Ring zurück, griff nach dem Pass und blätterte darin. »England?«

»Ja. Ich bin Dolmetscher bei den Vereinten Nationen. Das ist meine erste Reise in diese Gegend. Ich versuche, mir das Land anzusehen.«

»Hmmm«, sagte der Mann und musterte erneut den Pass. »Dachte ich doch gleich, dass Sie einen Akzent haben.« Als er das Bild fand, las er den Namen vor. »Thomas Jerome Newton« und sah dann wieder auf. »Keine Frage. Das sind Sie, eindeutig.«

Wieder verzog er den Mund zu einem Lächeln, und dieses Mal war es entspannter und echter, obwohl ihm immer noch schwindlig war und er sich komisch fühlte – immer war da dieses entsetzliche Gewicht seines Körpers, Gewicht, das von der bleiernen Schwerkraft dieser Welt rührte. Trotzdem schaffte er es, freundlich zu fragen: »Nun, hätten Sie dann vielleicht Interesse an dem Ring?«

***

Er bekam sechzig Dollar und wusste, dass er übers Ohr gehauen worden war. Doch was er jetzt hatte, war ihm mehr wert als der Ring, und mehr als die Hunderte von identischen Ringen in seinem Gepäck. Es regten sich die ersten Anzeichen von Zuversicht, und er hatte Geld.

Mit einem Teil davon kauf‌te er ein halbes Pfund Schinkenspeck, sechs Eier, Brot, ein paar Kartoffeln, Reis, etwas Gemüse – alles zusammen etwa fünf Kilo; mehr konnte er nicht tragen. Sein Auf‌tauchen löste eine gewisse Neugier aus, doch niemand stellte Fragen, und von sich aus gab er keine Erklärungen ab. Es spielte keine Rolle; er würde in diese Stadt in Kentucky nie wieder zurückkehren.

Als er sie verließ, fühlte er sich einigermaßen gut, trotz des Gewichts und der Schmerzen in seinen Gelenken und im Rücken, denn er hatte den ersten Schritt geschafft, hatte einen Anfang gemacht und besaß jetzt sein erstes amerikanisches Geld. Doch als er eine Meile von der Stadt entfernt durch ein kahles Feld auf die niedrigen Hügel zulief, wo sein Lager war, überwältigte ihn plötzlich alles wie ein furchtbarer Schock – die Fremdartigkeit des Ganzen, die Gefahr, der körperliche Schmerz, die Unruhe. Er fiel zu Boden und blieb liegen, während Leib und Seele gegen die Gewalt rebellierten, die ihnen von dieser seltsamsten, fremdesten und abartigsten aller Welten angetan wurde.

Er war krank; krank von der langen, gefährlichen Reise, die er unternommen hatte, krank von all den Medikamenten – den Pillen, den Impfungen, den inhalierten Giften –, krank vor Sorge, der Vorahnung einer Katastrophe, und gebeutelt von der entsetzlichen Last seines eigenen Gewichts. Seit Jahren hatte er gewusst, dass er so etwas wie das hier spüren würde, wenn der Augenblick gekommen war, wenn er endlich gelandet wäre und anfinge, den komplexen, seit Langem vorbereiteten Plan umzusetzen. Diese Welt, wie intensiv er sie auch studiert, wie oft er seinen Part darin geprobt haben mochte, war so unglaublich exotisch, das Gefühl, jetzt, da er fühlen konnte, dieses Gefühl war einfach überwältigend. Er lag im Gras und übergab sich.

Er war kein Mensch, hatte aber große Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen. Er war knapp zwei Meter groß, und manche Menschen sind noch größer. Sein bis über die Ohren fallendes Haar war so weiß wie das eines Albinos, das Gesicht hingegen leicht gebräunt mit blassblauen Augen. Er machte einen extrem schlanken Eindruck, mit feinen Zügen, langen, schmalen Fingern und einer fast durchsichtigen Haut, unbehaart. Sein Gesicht hatte etwas Elfenhaftes, die großen, intelligenten Augen blitzten beinahe kindlich. Alles in allem machte er einen ziemlich jugendlichen Eindruck.

Es gab noch andere Unterschiede. Seine Fingernägel zum Beispiel waren künstlich, von Natur aus hatte er keine. Beide Füße hatten nur vier Zehen; Blinddarm und Weisheitszähne fehlten ganz. Er würde nie einen Schluckauf haben, denn sein Zwerchfell war wie der Rest seines hochentwickelten Atmungsapparats extrem robust. Die Brustausdehnung lag beim Atmen bei circa zwölf Zentimetern, und er war extrem leicht, wog nur um die vierzig Kilo.

Aber er hatte Wimpern, Augenbrauen, zwei entgegengesetzte Daumen, konnte mit beiden Augen sehen und hatte noch zahllose andere physiologische Merkmale eines normalen menschlichen Wesens. Er hätte keine Warzen entwickeln können, dafür jedoch Magengeschwüre, Masern oder Karies. Er war menschlich, aber nicht wirklich ein Mensch. Und wie ein Mensch war er anfällig für Liebe, Angst, heftigen körperlichen Schmerz und Selbstmitleid.

Nach einer halben Stunde ging es ihm besser. Sein Magen bebte noch immer, und er hatte das Gefühl, den Kopf nicht heben zu können, doch er spürte auch, dass die erste Krise überstanden war, und fing an, die Welt ringsum objektiver zu betrachten. Er setzte sich auf und blickte über das Feld, auf dem er sich befand. Es war eine schmutzige, flache Weide, mit kleinen Büscheln von verwelktem Horstgras, Unkraut und überall Flecken von glasigem, wieder gefrorenem Schnee. Die Luft war ziemlich klar und der Himmel bewölkt, sodass das diffuse, weiche Licht in seinen Augen nicht so schmerzte wie die grelle Sonne vor zwei Tagen. Am Ende einer Gruppe dunkler, kahler Bäume, die einen Teich säumten, stand ein kleines Haus mit Scheune. Das Wasser des Teichs schimmerte durch die Bäume, und bei diesem Anblick stockte ihm der Atem, so viel war es. Er hatte so etwas schon zuvor gesehen, in den beiden Tagen, die er auf dieser Erde war, sich aber noch immer nicht daran gewöhnt. Auch das war etwas, das er erwartet hatte, trotzdem war es jedes Mal ein Schock. Natürlich wusste er von den großen Ozeanen, den Seen und Flüssen, kannte sie, seit er ein kleiner Junge gewesen war, doch der tatsächliche Anblick von so viel Überfluss an Wasser in einem einzigen Teich war atemberaubend.

Auch in der Eigentümlichkeit des Feldes entdeckte er jetzt eine gewisse Schönheit. Es war ganz anders als das, was er erwartet hatte (so wie vieles auf dieser Welt, das er bereits entdeckt hatte), doch jetzt freute er sich an ihren fremdartigen Farben und Strukturen, den neuen Anblicken und Gerüchen. Oder den Geräuschen, denn er hatte ein scharfes Gehör und nahm viele seltsame und angenehme Laute im Gras wahr, das unterschiedliche Reiben und Zirpen der Insekten, die das kalte Wetter des frühen Novembers überlebt hatten, und wenn er wie jetzt den Kopf an die Erde presste, sogar das leise, feine Murmeln der Erde selbst.

Plötzlich erhob sich ein Flattern in der Luft, ein Aufruhr schwarzer Flügel, dann ein heiserer, klagender Ruf, und ein Dutzend Krähen flog über ihn hinweg und über das Feld davon. Der Antheaner sah ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren, und dann lächelte er. Letzten Endes wäre es doch eine schöne Welt.

***

Sein Lager stand in einer kahlen, sorgfältig ausgesuchten Gegend – einem verlassenen Kohlerevier im Osten von Kentucky. Im Umkreis von mehreren Meilen gab es nur nackte Erde, kleine Büschel von blassem Horstgras und ein paar rußgeschwärzte Felszungen. Unweit eines solchen Felsvorsprungs hatte er sein Zelt aufgeschlagen, kaum zu erkennen vor dem Hintergrund des Gesteins. Das Zelt war grau und bestand aus einem Gewebe, das aussah wie Baumwolldrillich.

Er war ziemlich erschöpft, als er es erreichte, und musste sich mehrere Minuten ausruhen, bevor er die Einkaufstüte öffnen und die Lebensmittel herausnehmen konnte. Vorsichtshalber streif‌te er sich dünne Handschuhe über, bevor er die Packungen berührte und sie auf einem kleinen Klapptisch ausbreitete. Unter dem Tisch zog er ein paar Instrumente hervor und legte sie neben die Dinge, die er in Haneyville eingekauft hatte. Einen Augenblick betrachtete er die Eier, Kartoffeln, Sellerie, Rettiche, den Reis, die Bohnen, den Speck und die Möhren und lächelte kurz in sich hinein. Die Nahrung schien harmlos zu sein.

Dann griff er nach einem der kleinen Instrumente aus Metall, steckte die Spitze in eine Kartoffel und begann mit der Analyse.

Drei Stunden später aß er die rohe Möhre und biss ein Stück vom Rettich ab, das ihm die Zunge verbrannte. Das Essen war gut – sehr fremd, aber gut. Dann machte er ein Feuer und kochte ein Ei und eine Kartoffel. Die Wurst verbuddelte er in der Erde, nachdem er einige Aminosäuren darin gefunden hatte, über die er sich nicht im Klaren war. Von den übrigen Lebensmitteln ging abgesehen von den allgegenwärtigen Bakterien keine Gefahr für ihn aus. Es war so, wie sie gehofft hatten. Die Kartoffel schmeckte köstlich, trotz der vielen Kohlehydrate.

Er war hundemüde. Doch ehe er sich auf seiner Pritsche ausstreckte, trat er noch einmal nach draußen, um sich die Stelle anzusehen, wo er vor zwei Tagen, seinem ersten auf der Erde, den Motor und die Instrumente seines Ein-Mann-Raumschiffs zerstört hatte.

2

Die Musik war Mozarts Klarinettenquintett in A-Dur. Kurz vor dem abschließenden allegretto justierte Farnsworth die Bässe an den beiden Vorverstärkern und drehte die Lautstärke auf. Dann ließ er sich schwerfällig in seinem ledernen Armsessel nieder. Er mochte das allegretto mit starker Bass-Betonung; er verlieh der Klarinette eine Resonanz, der eine besondere Bedeutung innezuwohnen schien. Er blickte auf das von Vorhängen gesäumte Fenster, das auf die Fif‌th Avenue hinausging, verschränkte die fleischigen Finger und lauschte dem Aufbau des Stücks.

Als es endete und das Tonbandgerät sich von selbst ausschaltete, bemerkte er, dass sein Hausmädchen an der Tür zum Vorzimmer seines Büros stand und geduldig wartete. Er warf einen Blick auf die Porzellanuhr auf dem Kaminsims und runzelte die Stirn. Dann kehrte sein Blick zu der Frau zurück. »Ja?«

»Ein gewisser Mr. Newton ist hier, Sir.«

»Newton?« Er kannte keinen Newton. »Was will er?«

»Das hat er nicht gesagt, Sir.« Sie runzelte leicht die Stirn. »Er ist ein bisschen seltsam, Sir. Und er wirkt sehr … imposant.«

Er dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Führen Sie ihn herein.«

Das Hausmädchen hatte recht gehabt; der Mann war sehr seltsam. Groß, schmal, mit weißem Haar und einem zarten, fast zerbrechlichen Knochenbau. Er hatte glatte Haut und ein jungenhaftes Gesicht – aber am auf‌fallendsten waren die Augen; sie wirkten schwach, extrem empfindlich, und trotzdem war ihr Blick alt, weise und müde. Der Mann trug einen teuren dunkelgrauen Anzug. Er trat zu einem Sessel und nahm vorsichtig Platz – so, als schleppte er eine schwere Last mit sich herum. Dann sah er Farnsworth an und lächelte. »Oliver Farnsworth?«

»Möchten Sie etwas trinken, Mr. Newton?«

»Ein Glas Wasser, bitte.«

Farnsworth zuckte innerlich mit den Schultern und gab dem Hausmädchen ein Zeichen. Als sie gegangen war, musterte er seinen Gast und beugte sich vor, mit jener universalen Geste, die so etwas wie »Was kann ich für Sie tun?« bedeutete.

Newton hingegen blieb aufrecht sitzen, die langen schmalen Hände auf dem Schoß gefaltet. »Soweit ich verstanden habe, kennen Sie sich mit Patenten aus?« Ein leichter Akzent war seiner Stimme anzumerken und seine Aussprache war eine Spur zu präzise oder formell. Farnsworth konnte den Akzent nicht identifizieren.

»Ja«, sagte er, und dann ein wenig schroff: »Ich habe Bürozeiten, Mr. Newton.«

Newton schien das nicht zu hören. Sein Ton war sanft, freundlich. »Sie sind sogar der Experte schlechthin, was Patente in Amerika betrifft, soweit ich verstanden habe. Und sehr teuer.«

»Ja. Ich bin gut.«

»Prima«, gab sein Gegenüber zurück und griff nach seiner Aktentasche, die er neben dem Sessel abgestellt hatte.

»Was wollen Sie denn?« Erneut warf Farnsworth einen Blick auf die Uhr.

»Ich würde gern ein paar Dinge mit Ihnen besprechen.« Der hochgewachsene Mann nahm einen Umschlag aus der Aktentasche.

»Ist es nicht ein bisschen spät dafür?«

Newton hatte den Umschlag geöffnet und zog jetzt ein kleines Bündel Geldscheine heraus, das von einem Gummiband zusammengehalten wurde. Er sah auf und lächelte freundlich. »Würden Sie bitte herkommen und es mir abnehmen? Das Gehen fällt mir sehr schwer. Meine Beine.«

Ärgerlich stemmte sich Farnsworth aus seinem Sessel, nahm dem Besucher das Geld ab und setzte sich wieder. Es waren Tausenddollarscheine.

»Es sind zehn«, bemerkte Newton.

»Sie machen es aber verdammt spannend, wie?« Farnsworth steckte das Bündel in die Tasche seines Hausmantels. »Wofür ist das gedacht?«

»Für heute Abend«, sagte Newton. »Für etwa drei Stunden Ihrer konzentrierten Aufmerksamkeit.«

»Aber weshalb um alles in der Welt am Abend?«

Der andere zuckte lässig mit den Achseln. »Ach, aus verschiedenen Gründen. Geheimhaltung zum Beispiel.«

»Sie hätten meine Aufmerksamkeit auch für weniger als zehntausend Dollar haben können.«

»Ja. Aber ich wollte Sie beeindrucken … mit der Bedeutung unseres Gesprächs.«

»Na schön. Reden wir.«

Der schmale Mann wirkte entspannt, blieb aber aufrecht sitzen. »Zunächst … wie viel Geld verdienen Sie im Jahr, Mr. Farnsworth?«

»Ich habe kein festes Einkommen.«

»Nun gut. Wie viel Geld haben Sie letztes Jahr verdient?«

»Okay. Sie haben dafür bezahlt. Circa hundertvierzigtausend.«

»Verstehe. Dann wären Sie, so wie die Dinge stehen, ein wohlhabender Mann?«

»Ja.«

»Aber Sie hätten nichts dagegen, mehr zu verdienen, oder?«

Langsam wurde es absurd. Farnsworth kam sich vor wie in einem billigen Fernsehprogramm. Doch der andere zahlte, daher war es wohl das Beste, einfach mitzuspielen. Er nahm eine Zigarette aus einem Lederetui. »Natürlich würde ich gern mehr verdienen.«

Diesmal beugte sich Newton unmerklich vor. »Viel mehr, Mr. Farnsworth?«, fragte er lächelnd. Allmählich machte ihm die Situation tatsächlich Spaß.

Auch das war natürlich Fernsehen, aber es kam an. »Ja«, sagte Farnsworth und dann: »Zigarette?« Damit streckte er seinem Gast das Etui entgegen.

Ohne es zu beachten, antwortete der Mann mit dem weißen Haar: »Ich könnte Sie sehr reich machen, Mr. Farnsworth, wenn Sie in den nächsten fünf Jahren ausschließlich für mich tätig wären.«

Farnsworths Gesicht blieb ausdruckslos, als er die Zigarette anzündete, doch sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, spulte das seltsame Gespräch noch einmal ab, rätselte über die Situation, und über die geringe Chance, dass das Angebot tatsächlich ernst gemeint war. Immerhin hatte der Mann Geld, egal, wie verrückt er sein mochte. Es wäre nicht unklug, eine Weile mitzuspielen. Dann kam das Hausmädchen mit Gläsern und Eis auf einem Silbertablett zurück.

Newton nahm behutsam sein Glas von dem Tablett, hielt es in einer Hand und kramte mit der anderen ein Döschen Aspirin aus der Jackentasche, das er mit dem Daumen öffnete und aus dem er eine der Tabletten ins Wasser fallen ließ. Sie löste sich weiß und milchig auf. Er hob das Glas in die Höhe und betrachtete es einen Moment, bevor er extrem langsam in kleinen Schlucken trank.

Farnsworth war Anwalt; er hatte einen Blick für Details. Sofort fiel ihm etwas an der Dose auf. Es war ein alltägliches Objekt, offensichtlich eine Dose Aspirin von Bayer, aber irgendwas stimmte nicht mit ihr. Und auch nicht mit der Art, wie Newton trank, langsam, vorsichtig, darauf bedacht, bloß keinen Tropfen zu verschütten – als wäre das Wasser kostbar. Und eine einzige Tablette hatte das Wasser getrübt; das kam ihm komisch vor. Er würde es selbst mit einem Aspirin probieren, später, wenn der Mann gegangen war, und sehen, was passierte.

Bevor das Hausmädchen das Zimmer wieder verließ, bat Newton sie, Farnsworth seine Aktentasche zu übergeben. Als sie gegangen war, nahm er einen letzten, genießerischen Schluck und stellte das immer noch fast volle Glas neben sich auf den Tisch. »Ich möchte Sie bitten, einige Papiere zu lesen, die sich in der Aktentasche befinden.«

Farnsworth öffnete die Tasche, fand einen dicken Stapel Papiere und zog ihn auf seinen Schoß. Sofort bemerkte er, dass sich das Papier ungewöhnlich anfühlte. Es war extrem dünn, fest und trotzdem biegsam. Das oberste Blatt bestand hauptsächlich aus chemischen Formeln, sauber mit bläulicher Tinte notiert. Er blätterte durch den Rest; Schaltpläne, Diagramme und technische Zeichnungen von etwas, das aussah wie eine Fabrikanlage. Werkzeuge, Matrizen. Auf den ersten Blick erschienen ihm einige Formeln vertraut. Er sah auf. »Elektronik?«

»Ja. Teilweise. Kennen Sie sich damit aus?«

Farnsworth gab keine Antwort. Falls der andere Mann überhaupt etwas über ihn wusste, dann musste ihm bekannt sein, dass er als Leiter einer Gruppe von fast vierzig Anwälten ein halbes Dutzend Schlachten für einen der größten auf Elektronikteile spezialisierten Konzerne der Welt ausgetragen hatte. Er fing an zu lesen.

***

Newton saß aufrecht in seinem Sessel und beobachtete ihn; das weiße Haar schimmerte im Licht des Kronleuchters. Er lächelte, obwohl sein ganzer Körper schmerzte. Nach einer Weile ergriff er das Glas und nippte an dem Wasser, das sein ganzes, langes Leben lang die kostbarste Sache überhaupt in seiner Heimat gewesen war. Langsam trank er, schlückchenweise, und sah Farnsworth beim Lesen zu, während die Anspannung, die ihn gepackt hatte, die sorgsam verborgene Nervosität, die dieses extrem seltsame Büro in dieser noch immer fremden Welt in ihm erzeugt hatte, die Angst, die ihm der dicke Mann mit seinen Pausbacken, dem kahlen Schädel und den Schweinsäuglein eingeflößt hatte, allmählich nachließen. Jetzt wusste er, dass er den Mann am Wickel hatte, dass er an den richtigen Ort gekommen war.

***

Mehr als zwei Stunden vergingen, ehe Farnsworth wieder von den Papieren aufsah. In dieser Zeit hatte er drei Gläser Whisky getrunken. Seine Augenwinkel waren gerötet. Er blinzelte, als er Newton ansah. Zuerst konnte er ihn kaum erkennen, dann fokussierte sich sein Blick und die kleinen Augen weiteten sich.

»Nun?«, meinte Newton lächelnd.

Der dicke Mann holte tief Luft und schüttelte den Kopf, als versuchte er, Klarheit zu schaffen. Als er sprach, war seine Stimme leise, zögernd, extrem vorsichtig. »Ich verstehe nicht alles«, sagte er. »Nur einiges. Weniges. Mit Optik oder Fotofilmen kenne ich mich nicht aus.« Er sah wieder auf die Papiere in seiner Hand, als wollte er sich vergewissern, dass sie noch da waren. »Ich bin Anwalt, Mr. Newton«, sagte er. »Anwalt.« Dann plötzlich wurde seine Stimme lebendig, bebend und stark, der massige Körper und die kleinen Augen waren hellwach. »Aber über Elektronik weiß ich Bescheid. Und über Farbstoffe auch. Ich glaube, ich verstehe Ihren … Verstärker, und ich glaube, ich verstehe auch Ihren Fernseher, und …« Er hielt einen Moment inne und blinzelte. »Mein Gott, ich glaube, sie ließen sich tatsächlich so herstellen, wie Sie es behaupten.« Langsam atmete er aus. »Es ist alles sehr überzeugend, Mr. Newton. Es könnte funktionieren.«

Newton lächelte immer noch. »Es wird funktionieren. Alles.«

Farnsworth nahm eine Zigarette aus dem Etui und zündete sie an, um sich zu beruhigen. »Ich muss alles durchgehen. Die Metalle, die Schaltkreise …« Dann unterbrach er sich plötzlich selbst, die Zigarette zwischen den dicken Fingern. »Herrgott, Mann, wissen Sie eigentlich, was das bedeutet? Ist Ihnen klar, dass Sie hier neun wegweisende – jawohl, wegweisende Patente haben?« Er griff mit der plumpen Hand nach einem der Blätter: »Allein die Videoübertragung und dieser kleine Gleichrichter? Und … sind Sie sich im Klaren, was das bedeutet?«

Newtons Ausdruck veränderte sich nicht. »Ja, bin ich«, sagte er.

Farnsworth zog langsam an seiner Zigarette … »Wenn Sie recht haben, Mr. Newton«, sagte er, und seine Stimme klang jetzt ruhiger, »wenn Sie recht haben, können RCA und Eastman Kodak einpacken. Lieber Himmel, sogar DuPont könnten Sie übernehmen. Wissen Sie, was Sie da haben?«

Newtons Blick war durchdringend. »Das weiß ich ganz genau«, antwortete er.

***

Die Fahrt zu Farnsworths Haus auf dem Land dauerte sechs Stunden. Teilweise versuchte Newton, ein Gespräch aufrechtzuerhalten, während er sich in eine Ecke des Rücksitzes der Limousine drückte, doch die plötzliche Beschleunigung des Wagens war einfach zu schmerzhaft für seinen Körper, der ohnehin unter der Schwerkraft litt. Es würde Jahre dauern, sich daran zu gewöhnen, wie ihm sehr wohl bewusst war. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Anwalt zu erklären, dass er sehr müde war und sich ausruhen musste. Dann schloss er die Augen, überließ dem gepolsterten Sitz so viel von seinem Gewicht wie möglich und ertrug den Schmerz, so gut er konnte. Außerdem erschien ihm die Luft im Wagen sehr warm – so warm war es zu Hause nur an den heißesten Tagen.

Als sie die Stadtgrenze passiert hatten, wurde der Fahrstil des Chauffeurs gleichmäßiger, und die schmerzhaften Erschütterungen beim Bremsen und Anfahren ließen allmählich nach. Ein paar Mal sah er hinüber zu Farnsworth. Der Anwalt döste nicht. Er saß mit den Ellbogen auf den Knien da und blätterte mit leuchtenden kleinen Augen noch immer in den Unterlagen, die Newton ihm übergeben hatte.

Das Haus war riesig und stand abgelegen in einer bewaldeten Gegend. Sowohl das Gebäude als auch die Bäume wirkten nass; sie glänzten im fahlen Morgenlicht, das viel Ähnlichkeit mit dem Mittagslicht auf Anthea hatte. Es tat seinen überempfindlichen Augen gut. Er mochte die Wälder, die sanften Spuren von Leben und die schimmernde Feuchtigkeit – diese Ausstrahlung von Wasser und Fruchtbarkeit, die die Erde im Überfluss besaß, bis hin zum unablässigen Sirren und Zirpen der Insekten. Es würde eine endlose Quelle der Freude sein, verglichen mit seiner eigenen Welt, der Trockenheit, der Leere, der Stille weiter, unbelebter Wüsten zwischen beinahe verlassenen Städten, wo nur das Heulen des ewigen, kalten Windes zu hören war, der dem Todeskampf seines sterbenden Volks eine Stimme gab.

Ein schläfriger Dienstbote im Morgenmantel erwartete sie an der Tür. Farnsworth schickte ihn los mit dem Auftrag, Kaffee zu kochen, und rief ihm dann noch hinterher, dass er ein Zimmer für seinen Gast vorbereiten solle und er selbst in den nächsten drei Tagen keine Anrufe entgegennehmen werde. Dann führte er Newton in die Bibliothek.

Der Raum war sehr groß und noch luxuriöser eingerichtet als das Arbeitszimmer in der New Yorker Wohnung. Offensichtlich las Farnsworth die angesehensten Herrenmagazine für wohlhabende Mitglieder der Gesellschaft. In der Mitte des Raums erhob sich die weiße Statue einer nackten Frau, die eine kunstvoll verzierte Leier hielt. Zwei Wände waren mit Bücherregalen bedeckt, und an der dritten hing das große Gemälde einer religiösen Gestalt, in der Newton einen ans Holzkreuz genagelten Jesus erkannte. Einen Augenblick lang verblüffte ihn das Bild – das ausgezehrte Gesicht und die großen, durchdringenden Augen hätten die eines Antheaners sein können.

Dann sah er Farnsworth an, der zwar müde wirkte, sich jetzt aber wieder im Griff hatte. Er hatte sich in seinem Sessel zurückgelehnt, die kleinen Hände über dem Bauch gefaltet, und betrachtete seinen Gast. Für einen peinlichen Moment kreuzten sich ihre Blicke, dann wandte sich der Anwalt ab.

Gleich darauf schaute er wieder auf und fragte gelassen: »Nun, Mr. Newton – was genau wollen Sie eigentlich?«

Newton lächelte. »Ganz einfach. Ich möchte so viel Geld wie möglich verdienen. Und das so schnell wie möglich.«

Das Gesicht des Anwalts blieb ausdruckslos, doch seine Stimme klang ironisch. »Ihre Bescheidenheit hat eine gewisse Eleganz, Mr. Newton«, erklärte er. »In welcher Höhe bewegen sich Ihre Vorstellungen?«

Newtons Blick ruhte abwesend auf den objets d’art im Raum. »Wie viel könnten wir in, sagen wir, fünf Jahren verdienen?«

Farnsworth musterte ihn einen Augenblick, dann stand er auf. Müde watschelte er zu einem der Bücherregale hinüber und drehte an ein paar kleinen Knöpfen, bis aus den irgendwo im Raum verborgenen Lautsprechern Geigenmusik ertönte. Newton erkannte die Melodie nicht, aber sie war leise und vielschichtig. Farnsworth justierte die Regler und sagte: »Das hängt von zwei Dingen ab.«

»Ja?«

»Zum einen – wie fair wollen Sie spielen, Mr. Newton?«

Newton konzentrierte sich wieder auf sein Gegenüber. »Absolut fair«, sagte er. »Und im gesetzlichen Rahmen.«

»Verstehe.« Offenbar gelang es Farnsworth nicht, die Höhen zu seiner Zufriedenheit einzustellen. »Zum anderen – wie hoch soll mein Anteil sein?«

»Zehn Prozent vom Nettogewinn. Plus fünf Prozent von allen Gesellschaftsanteilen.«

Abrupt wandte sich Farnsworth von den Reglern ab. Langsam kehrte er zu seinem Sessel zurück. Dann lächelte er schwach. »Na schön, Mr. Newton«, sagte er. »Ich glaube, ich kann Ihnen einen Nettogewinn von … dreihundert Millionen Dollar innerhalb von fünf Jahren zusagen.«

Newton dachte einen Augenblick darüber nach. Dann sagte er: »Das wird nicht reichen.«

Farnsworth starrte ihn mit gerunzelter Stirn an, ehe er antwortete: »Nicht reichen wofür, Mr. Newton?«

Newtons Blick verhärtete sich. »Für ein … Forschungsprojekt. Ein sehr kostspieliges.«

»Das kann man wohl sagen!«

»Nehmen wir an, ich könnte Ihnen ein Verfahren für die Erdölraffinerie anbieten, das fünfzehn Prozent effizienter ist als alles, was gegenwärtig auf dem Markt ist«, sagte er. »Würde das Ihre Kalkulation auf fünfhundert Millionen erhöhen können?«

»Wäre Ihr … Verfahren innerhalb eines Jahres einsatzbereit?«

Newton nickte. »Innerhalb eines Jahres könnte es die Standard Oil Company abhängen – der wir dann vermutlich eine Lizenz erteilen würden.«

Erneut starrte Farnsworth ihn an. Schließlich sagte er: »Morgen fangen wir an, die Verträge aufzusetzen.«

»Gut.« Newton erhob sich steif von seinem Sessel. »Dann können wir uns auch weiter über die Details unterhalten. Im Grunde gibt es nur zwei wichtige Überlegungen: dass Sie das Geld ehrlich erwirtschaften, und dass ich möglichst keinen Kontakt zu irgendjemand anderem als Ihnen haben muss.«

Sein Zimmer befand sich im oberen Stockwerk, und einen Moment lang fürchtete er, die Treppe nicht hinaufsteigen zu können. Doch er schaffte es, Stufe für Stufe, während Farnsworth schweigend neben ihm herging. Nachdem er ihn in sein Zimmer geführt hatte, musterte er ihn und sagte dann: »Sie sind ein ungewöhnlicher Mensch, Mr. Newton. Würden Sie mir verraten, wo Sie herkommen?«

Die Frage kam überraschend, aber es gelang ihm, sich zu beherrschen. »Gern. Aus Kentucky, Mr. Farnsworth.«

Die Brauen des Anwalts hoben sich ein wenig. »Verstehe«, sagte er. Dann wandte er sich um und ging schwerfällig den mit Marmor gefliesten Gang entlang, auf dem seine Schritte widerhallten.

Newtons Zimmer hatte eine hohe Decke und war großzügig ausgestattet. Er bemerkte einen Bildschirm, der so in die Wand eingelassen war, dass man vom Bett aus fernsehen konnte, und lächelte müde – irgendwann müsste er ihn ausprobieren, um zu sehen, wie der Empfang im Vergleich zu Anthea war. Und es wäre amüsant, einige der Programme wiederzusehen. Die Wildwestfilme hatten ihm immer am besten gefallen, obgleich sein Team zu Hause seine Informationen hauptsächlich aus Quiz-Shows und »pädagogischen« Sonntagsprogrammen bezog, die er sich alle gut eingeprägt hatte. Doch jetzt hatte er schon kein Fernsehprogramm mehr gesehen seit … wie lange hatte seine Reise gedauert? … vier Monaten. Und inzwischen war er bereits zwei Monate auf der Erde – hatte Geld besorgt, die Krankheitserreger untersucht, Lebensmittel und Wasser analysiert, seinen Akzent perfektioniert, die Zeitungen gelesen und sich auf das entscheidende Gespräch mit Farnsworth vorbereitet.

Er blickte aus dem Fenster ins hellere Morgenlicht und zum blassblauen Himmel hinauf. Irgendwo da oben, möglicherweise genau da, wo sich sein Blick verlor, war Anthea. Eine kalte, sterbende Welt, aber eine, nach der man Heimweh haben konnte, eine Welt, in der Wesen lebten, die er liebte, Wesen, die er lange Zeit nicht wiedersehen würde … aber eines Tages würde er sie wiedersehen.

Er schloss die Vorhänge vor dem Fenster und bugsierte seinen müden, schmerzenden Körper vorsichtig ins Bett. Irgendwie schien die ganze Aufregung nun von ihm abgefallen zu sein; er war gelassen und ruhig. Innerhalb von wenigen Minuten war er eingeschlafen.

Die Nachmittagssonne weckte ihn. Obwohl ihr strahlender Glanz seine Augen blendete –, denn die Vorhänge am Fenster waren lichtdurchlässig – fühlte er sich beim Aufwachen angenehm ausgeruht. Vielleicht lag es an dem weichen Bett, verglichen mit denen in den düsteren Hotels, in denen er gewohnt hatte, vielleicht aber auch an der Erleichterung nach dem Erfolg am gestrigen Abend. Er blieb noch ein paar Minuten liegen und dachte nach, dann stand er auf und ging ins Badezimmer. Dort hatte man einen elektrischen Rasierapparat, Seife, Waschlappen und ein Handtuch für ihn bereitgelegt. Er lächelte: Antheaner kannten keinen Bartwuchs. Er drehte den Wasserhahn auf und betrachtete ihn einen Augenblick, wie immer fasziniert vom Anblick solcher Fülle. Dann wusch er sich das Gesicht, ohne Seife, weil sie seine Haut reizte, und benutzte stattdessen eine Creme aus einem Tiegel in seiner Aktentasche. Anschließend nahm er seine üblichen Tabletten, zog sich um und ging nach unten, um mit dem Verdienen einer halben Milliarde Dollar zu beginnen.

***

Nach sechs Stunden Reden und Planen stand er am selben Abend lange auf dem Balkon vor seinem Zimmer, genoss die kühle Luft und schaute zum dunklen Himmel auf. Die Sterne und Planeten wirkten fremd, funkelnd in der schweren Atmosphäre, trotzdem freute er sich über den Anblick in ihren unvertrauten Positionen. Mit Astronomie kannte er sich nicht aus, und die Sternbilder verwirrten ihn – bis auf den Großen Wagen und einige kleinere Konstellationen. Schließlich kehrte er in sein Zimmer zurück. Es wäre schön gewesen, zu wissen, welcher Stern Anthea war, aber das hätte er nicht sagen können …

3

An einem für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Frühlingsnachmittag entdeckte Professor Nathan Bryce, als er die Treppe zu seiner Wohnung im vierten Stock hinaufstieg, eine Rolle mit Zündplättchen. Er erinnerte sich, dass er am Nachmittag zuvor das laute Knallen von Spielzeugpistolen im Treppenhaus gehört hatte. Jetzt hob er die Rolle auf, in der Absicht, sie in der Toilette hinunterzuspülen, wenn er in seiner Wohnung angekommen war. Es hatte einen Augenblick gedauert, bis er die kleine Rolle wiedererkannt hatte, denn sie war hellgelb. Als er klein war, waren die Streifen mit Knallplättchen immer rot gewesen, ein besonderes Rostrot, und das war ihm seitdem als korrekte Farbe für Zündplättchen, Knallkörper und Ähnliches erschienen. Heutzutage waren sie offenbar gelb, so wie man heute auch rosa Kühlschränke und gelbe Trinkgläser aus Aluminiumfaser und ähnlich absurdes Wunderzeug fabrizierte. Er ging weiter die Treppe hinauf und dachte über einige chemische Details nach, die für die Herstellung von gelben Aluminiumgläsern nötig waren. Vermutlich waren die Höhlenmenschen, die aus ihren schwieligen Händen getrunken hatten, bestens klargekommen, ohne all die komplexen Kenntnisse chemischer Prozeduren – dieses gottlose, ausgeklügelte Wissen über molekulare Reaktionen und kommerzielle Prozesse –, für deren Erforschung und Verständnis er, Nathan Bryce, bezahlt wurde.

Als er in seiner Wohnung ankam, hatte er die Zündplättchen schon wieder vergessen. Es gab zu viel anderes, woran er denken musste. Immer noch an derselben Stelle wie schon seit sechs Wochen, auf einer Seite seines großen, alten Schreibtischs aus Eiche, erhob sich ein unordentlicher Stapel von wissenschaftlichen Hausarbeiten seiner Studenten. Ein schrecklicher Anblick. Neben dem Schreibtisch stand ein uralter, grau lackierter Dampfheizkörper, ein Anachronismus in Zeiten elektrischer Heizungen, auf dessen ehrwürdigem Gitter aus Gusseisen ein ebenso unordentlicher, bedrohlicher Stapel von Laborberichten seiner Studenten balancierte. Dieser war so hoch, dass der kleine Lasansky-Druck, der in gehörigem Abstand zum Heizkörper an der Wand hing, fast völlig dahinter verschwand. Nur ein Augenpaar mit schweren Lidern war zu sehen – möglicherweise die Augen eines müden Gottes der Wissenschaft, der in stummer Qual über die Laborberichte hinwegspähte. Das jedenfalls schoss Professor Bryce, einem Mann, der zu seltsamen Flausen neigte, durch den Kopf. Auch die Tatsache, dass der kleine Druck – es handelte sich um das bärtige Gesicht eines Mannes –, eines der wenigen lohnenswerten Dinge, denen er in den drei Jahren in dieser Stadt im mittleren Westen begegnet war, inzwischen wegen der Arbeiten seiner Studenten nicht mehr zu sehen war, entging ihm nicht.

Auf der aufgeräumten Seite des Schreibtischs stand seine Schreibmaschine wie ein weiterer profaner Gott – ein ungehobelter, ordinärer, maßloser Gott –, in dem noch die