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Ein Juwelendiebstahl, ein glamouröser Maskenball und ein Mord …
Die Cosy Crime-Reihe um Amory Ames geht spannend weiter!
England, 1930: Zurück in ihrer Londoner Wohnung möchte Amory sich zusammen mit Ehemann Milo nach den mörderischen Vorfällen im Brightwell Hotel eine Auszeit gönnen und an ihrer Ehe arbeiten. Ihre Hoffnungen auf eine ruhige Zeit werden aber schon bald durch ein neues Ereignis durchkreuzt: Eine alte Freundin bittet Amory, den Diebstahl wertvoller Schmuckstücke aufzuklären. Bei einem Maskenball soll der Täter in eine Falle gelockt und enttarnt werden. Doch als einer der Gäste ermordet aufgefunden wird, kommt alles anders, als gedacht und Amory befindet sich erneut mitten in einer Mordermittlung …
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Amory Ames und die Maske des Todes.
Alle Bände der Ein Fall für Amory Ames-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
Erste Leser:innenstimmen
„Rätselhafter britischer Cosy Krimi, der in den 30ern angesiedelt ist – großer Lesespaß!“
„Die Charaktere sind liebevoll gestaltet und ich habe mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt.“
„Fans von Rhys Bowen und von Krimis mit weiblichen Ermittlerinnen werden diese Reihe lieben!“
„Die Schauplätze und die Stimmung der Zeit werden hier wunderbar in Szene gesetzt.“
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Seitenzahl: 460
Veröffentlichungsjahr: 2022
England, 1930: Zurück in ihrer Londoner Wohnung möchte Amory sich zusammen mit Ehemann Milo nach den mörderischen Vorfällen im Brightwell Hotel eine Auszeit gönnen und an ihrer Ehe arbeiten. Ihre Hoffnungen auf eine ruhige Zeit werden aber schon bald durch ein neues Ereignis durchkreuzt: Eine alte Freundin bittet Amory, den Diebstahl wertvoller Schmuckstücke aufzuklären. Bei einem Maskenball soll der Täter in eine Falle gelockt und enttarnt werden. Doch als einer der Gäste ermordet aufgefunden wird, kommt alles anders, als gedacht und Amory befindet sich erneut mitten in einer Mordermittlung …
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Amory Ames und die Maske des Todes.
Alle Bände der Ein Fall für Amory Ames-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
Erstausgabe August 2022
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98637-909-4
Copyright © 2015 by Ashley Weaver Titel des englischen Originals: Death Wears a Mask
Copyright © 2021, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2021 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Amory Ames und die Maske des Todes (ISBN: 978-3-96817-235-4).
Übersetzt von: Claudia Voit Covergestaltung: ARTC.ore Design unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © evannovostro, © harlequin9 shutterstock.com: © auralaura, © Chansom Pantip, © Artiste2d3d Korrektorat: Dorothee Scheuch
E-Book-Version 27.10.2022, 12:20:31.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
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Für Amelia Lea und Dan Weaver, die beste kleine Schwester und der beste kleine Bruder, die man sich wünschen kann.
Hab euch lieb, Mills und Danny!
London, August 1932
Wirklich erstaunlich, was ein Mord für meine Ehe getan hatte.
Natürlich wollte ich nicht leichtfertig über ein so tragisches Ereignis sprechen, aber ich konnte gar nicht anders, als darüber zu staunen, wie eine Begegnung mit dem Tod in unserer Beziehung Wunder gewirkt hatte.
Zwei Monate war der Strandurlaub im Brightwell Hotel her, bei dem zwei Menschen und beinahe auch ich getötet worden waren. Mord war das Letzte, woran ich dachte, als ich am Frisiertisch saß und mich mit einem kräftigen Tee für den bevorstehenden langen Abend stärkte. Milo und ich waren kaum eine Woche in der Stadt und ich musste mich nach einer längeren Ruhepause auf dem Land erst noch an den Zeitplan gewöhnen, den das Wiedereintauchen in die Gesellschaft diktierte.
Nach dem schrecklichen Urlaub hatte ich den Rückzug aufs Land nötig gehabt. Schon der Mord allein zehrte an den Nerven. Doch als wäre das nicht genug, war meine Ehe zur selben Zeit beinahe in die Brüche gegangen – ganz zu schweigen davon, dass der Vorfall in all seinen schmutzigen Einzelheiten landesweit in jedem Klatschblatt breitgetreten worden war. Ich muss wohl nicht eigens erwähnen, dass die Reise außerordentlich unangenehm gewesen war. Zudem war es nicht hilfreich gewesen, dass ich kurzzeitig fälschlicherweise meinen Ehemann für den Mörder gehalten hatte.
Jeder macht mal Fehler.
Als das Rätsel gelöst und die Missverständnisse aufgeklärt waren, zogen wir in unser Landhaus Thornecrest, wo wir unsere Differenzen größtenteils aus der Welt schaffen konnten. Doch diese Idylle war nicht von Dauer. Milos gelegentliche Ausflüge in die Stadt wurden häufiger und länger, und seine Rastlosigkeit wurde offensichtlich. Obwohl ich die Londoner Gesellschaft nicht gerade für einen geeigneten Ort hielt, um in stiller Anonymität Gras über die Sache wachsen zu lassen, zog ich es vor, ihn in unsere Londoner Wohnung zu begleiten, anstatt ihn sich selbst zu überlassen.
Vielleicht war noch nicht alles perfekt, aber ich war glücklich. So glücklich wie schon lange nicht mehr.
Ich betrachtete Milo im Spiegel, während ich mir die Nase puderte. Er saß – makellos in seiner Abendgarderobe – hinter mir auf einem mit Samt gepolsterten Stuhl aus Ebenholz und blätterte durch eine Zeitschrift, während er auf mich wartete.
„Hast du diese Mirror-Ausgabe gesehen?“, fragte er.
„Du weißt doch, dass ich diesen Schund nicht mag“, antwortete ich. „Warum? Schreiben sie über dich? Ich hätte nicht gedacht, dass du in der kurzen Zeit in der Stadt schon so viel Aufmerksamkeit auf dich ziehen konntest.“
„Da hast du dich wohl getäuscht. Aber diesmal geht es nicht nur um mich. Erlaube mir, dir diesen recht pikanten Tratsch vorzulesen.“ Er räusperte sich, um der Situation eine gewisse Dramatik zu verleihen. „Mr und Mrs Milo Ames wurden nach der Brightwell-Hotel-Affäre wieder gemeinsam in der Öffentlichkeit gesichtet, was, zumindest vorerst, die Spekulationen über eine bevorstehende Trennung verstummen lässt.“
„Steht das da wirklich?“, fragte ich entsetzt. Ich hatte gehofft, dass das Gerede mittlerweile abgeflaut war, aber offenbar brodelte die Gerüchteküche noch immer.
„Allerdings“, sagte er. „Abgerundet von einem Beweisfoto unserer seligen Wiedervereinigung. Die haben dich ziemlich gut getroffen, Amory.“ Er faltete die Zeitschrift und hielt sie hoch – die Fotografie zeigte uns, als wir zwei Abende zuvor aus einem Restaurant gekommen waren. Ich wandte mich vom Spiegel ab, um sie genauer zu betrachten. Ich stand jedenfalls nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Diese Ehre wurde wie üblich Milo zuteil. Ausgezeichnet sah er aus in seiner Abendkleidung, die glatten, attraktiven Gesichtszüge im Dreiviertelprofil, und das Blitzlicht spiegelte sich im schwarzen Haar. Es war geradezu lächerlich, wie fotogen er war.
„Der Premierminister ist vor uns rausgegangen“, sagte ich. „Ich dachte, die fotografieren ihn.“
„Unsinn.“ Milo winkte ab. „Was wollen die mit einem Bild von MacDonald, wenn sie dich fotografieren können?“
„Oder dich“, antwortete ich, denn aus langjähriger Erfahrung wusste ich, dass mein Mann ein Lieblingsthema der Boulevardpresse war. Diese zweifelhafte Stellung hatte er der Attraktivität eines Filmstars und seiner reizenden Neigung zu verdanken, sich in peinlichen Situationen wiederzufinden. Ich verkniff mir hinzuzufügen, was ich wirklich dachte: Es war schön, auf einem Foto zur Abwechslung mal selbst die Frau an seiner Seite zu sein. Offenbar ging es aufwärts.
Ich drehte mich wieder zum Spiegel, nahm die Saphirhalskette vom Frisiertisch und legte sie mir um. „Hilfst du mir bitte mit dem Verschluss? Er klemmt immer.“
„Natürlich.“ Er warf die Zeitschrift beiseite und stand auf.
Als er die Halskette zumachte, fühlten sich seine Finger warm an auf meiner Haut. Die Kette war eins meiner Lieblingsstücke. Die Saphire passten zu dem rückenfreien, blauen Kleid und betonten mein dunkles Haar und den hellen Teint.
Im Spiegel fingen Milos strahlend blaue Augen den Blick meiner grauen Augen auf. „Du bist bildschön, Amory.“
Dann beugte er sich herunter, die Hände auf meinen Armen, und küsste mich auf den Hals – ich bekam Gänsehaut. „Erklär mir noch mal, warum wir heute zu den Barringtons müssen“, flüsterte er mir ins Ohr.
Im Moment fiel es mir schwer, mich an den Grund zu erinnern.
„Mrs Barrington ist eine alte Freundin meiner Mutter.“
„Ein Grund mehr, einen Bogen um sie zu machen.“
Ich achtete nicht auf den Kommentar und fuhr fort, auch wenn Milo es mir sehr schwer machte, mich zu konzentrieren: „Als sie gehört hat, dass wir in der Stadt sind, wollte sie uns unbedingt zum Abendessen einladen, und ich finde das sehr nett von ihr.“
Eigentlich hatte sie sogar regelrecht darauf beharrt. Ich war ein bisschen verdutzt gewesen, mit welcher Dringlichkeit sie mich sehen wollte, wenn man bedachte, dass sich unsere Wege schon seit Jahren nicht mehr gekreuzt hatten. Aber ein Dinner mit ihr konnte sicher nicht schaden.
„Das wird ein netter Abend“, sagte ich wenig überzeugt.
„Der Abend würde viel netter werden, wenn wir zu Hause blieben“, erwiderte er.
Ich drehte mich um und bedachte ihn mit einem missbilligenden Blick; er nutzte die Gelegenheit und küsste mich, dabei zog er mich in seine Arme und der Hocker fiel um.
Gedämpft hörte ich das Telefon in der Diele klingeln und Winnelda, mein Dienstmädchen, ging ran. Einen Augenblick später klopfte sie zögerlich an die Tür.
„Sie verschwindet bestimmt gleich wieder“, flüsterte Milo.
„Du bist echt unverbesserlich.“ Ich lachte und löste mich aus der Umarmung.
Etwas widerwillig ließ er mich los. Ich drehte mich um, stellte den Hocker wieder auf, strich mir Kleid und Haare glatt und rief: „Ja, Winnelda? Kommen Sie rein.“
Sie öffnete die Tür einen winzigen Spaltbreit, als hätte sie Angst, hineinzusehen. „Ihr Auto steht bereit, Madam.“
„Danke. Wir sind gleich draußen.“
Sie schloss die Tür, und ich wandte mich an meinen Mann. „Wir sollten besser los.“
Milo seufzte schwer – ja, dem konnte ich nur zustimmen.
Eine halbe Stunde später hielten wir vor dem Haus der Barringtons in einem der schickeren Viertel Londons und wurden in eine Eingangshalle mit Marmorboden gebeten, wo mir ein schweigendes Dienstmädchen flink meinen Pelz abnahm, während der Butler uns zum Gesellschaftszimmer führte.
Noch bevor wir eintreten konnten, kam Mrs Barrington mit ausgebreiteten Armen aus dem Zimmer gerauscht, und im Licht des Kristallkronleuchters schimmerten die Ringe an ihren Fingern wie Flammen.
„Mr und Mrs Ames, ich bin hocherfreut, dass Sie da sind!“ Mrs Barrington war eine attraktive, dralle Frau, die für jemanden über sechzig einen außergewöhnlich vitalen Eindruck machte. Sie hatte starke, markante Gesichtszüge, die konventioneller Schönheit im Weg standen, aber sie war dennoch bemerkenswert. Ihr Vorname war Serena – die Gelassene –, aber statt ihrem Namen gerecht zu werden, strahlte sie Kraft und Widerstandsfähigkeit aus. Als sie auf mich zukam, dachte ich schon, sie würde mich fest in die Arme schließen.
Stattdessen drückte sie mir recht überschwänglich die Hand. „Amory, meine Liebe, ich freue mich so, dass Sie hier sind. Mir kommt es vor, als hätten wir uns schon ewig nicht mehr gesehen.“
„Es ist wirklich lange her, Mrs Barrington. Vor meiner Hochzeit, glaube ich.“
„Ja, ich denke, Sie haben recht. Apropos Hochzeit, dieser charmante Gentleman ist sicher Ihr Mann“, sagte sie und wandte sich an Milo.
„Ja. Mrs Barrington, mein Mann Milo Ames.“
Sie hielt ihm die Hand hin, und er schüttelte sie. „Guten Abend, Mrs Barrington.“
Sie betrachtete ihn prüfend und ihre Anerkennung war nicht zu übersehen.
„Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Mr Ames.“ Ihrem strahlenden Lächeln zufolge hatte sie beschlossen, ihn dennoch zu mögen. „Es freut mich, Sie endlich kennenzulernen.“
„Die Freude ist ganz meinerseits, Mrs Barrington, das kann ich Ihnen versichern. Sie haben ein wunderschönes Zuhause.“
„Bestimmt nichts im Vergleich zu Ihrem Haus am Berkeley Square. Wohnen Sie gerade dort?“
„Nein, das Haus bleibt fürs Erste leer. Wir sind in unserer Wohnung. Das ist wesentlich praktischer.“
„Ja, das kann ich mir vorstellen. Manchmal denke ich selbst über eine Wohnung nach. Da hat man viel weniger Zimmer, um die man sich kümmern muss. Also, wenn Sie mir folgen würden, ich stelle Ihnen die anderen vor.“
Das Gesellschaftszimmer war ein großer, schöner Raum mit dunkler Vertäfelung, hohen Stuckdecken und Parkett, auf dem prächtige Teppiche lagen. Mehrere hochwertige Möbelstücke standen darin, und viele der Sitzgelegenheiten waren von unseren heutigen Tischnachbarn besetzt.
„Es ist mir eine Freude, Sie wiederzusehen, Mrs Ames“, sagte Mr Lloyd Barrington und stand auf, um uns zu begrüßen. Er war ein untersetzter, schnauzbärtiger Gentleman mit grau meliertem Haar, warmen, braunen Augen und einem einnehmenden Lächeln. Er hatte etwas Ruhiges, Beständiges an sich, das einen Gegenpol zur Überschwänglichkeit seiner Frau darstellte.
Reihum stellte Mrs Barrington uns die anderen Gäste vor: Mr Douglas-Hughes und seine amerikanische Gattin, deren Namen mir aus den Schlagzeilen bekannt waren, für die ihre Ehe im Jahr zuvor gesorgt hatte, der Tennisstar Mr Nigel Foster, Mrs Barringtons Neffe James Harker, die hübschen blonden Schwestern Marjorie und Felicity Echols sowie Mrs Vivian Garmond, eine umwerfende Frau mit dunklen Augen, deren Namen ich schon einmal gehört hatte, aber mir fiel nicht mehr ein, in welchem Zusammenhang.
In Gedanken zählte ich nach und mir fiel auf, dass noch ein Gentleman fehlte. Ich war ein bisschen, aber nicht übermäßig neugierig, wer das sein mochte, und umso erstaunter war ich über die Auflösung.
„Mrs Barrington, ich bestehe darauf, dass Sie mir auf der Stelle diese bezaubernde Fremde in unserer Mitte vorstellen.“ Die Aufforderung ertönte in der tiefen, angenehmen Stimme eines Gentlemans, der soeben aus der Eingangshalle hereingekommen war.
„Ach, Lord Dunmore“, sagte Mrs Barrington, und etwas an ihrem Tonfall ließ erahnen, dass sein plötzliches Erscheinen keine besonders angenehme Überraschung war. „Ich wusste nicht, dass Sie schon da sind.“
Lord Dunmore. Der Name war allzu bekannt. Die zunehmend befremdlichen Eskapaden von Alexander Warrington, dem Viscount Dunmore, waren in London derzeit ein überaus beliebtes Gesprächsthema und erwiesen sich als willkommene Ablenkung von meinem eigenen kleinen Skandal. Vor Kurzem hatte eine Reihe ausschweifender Feste besonders schmutzige Gerüchte nach sich gezogen. Auf die Einzelheiten hatte ich nicht geachtet, und ich wusste nicht genau, welche gesellschaftlichen Fehltritte ihm alles vorgeworfen wurden. Doch ich wusste genug, dass mich seine Anwesenheit ein wenig verblüffte.
„Ich bin gerade erst gekommen, Mrs Barrington, aber wie ich sehe, genau zur richtigen Zeit.“ Er kam zu uns.
Sein Blick huschte über die Gäste, und ich nutzte die Gelegenheit, um ihn zu mustern. Er sah wirklich gut aus, aber das lag an keinem hervorstechenden Merkmal. Er war einfach insgesamt attraktiv – eine Kombination aus angenehmen Gesichtszügen, einer ansprechenden Figur und einer unverkennbar selbstbewussten Ausstrahlung. Das dunkelbraune Haar trug er sauber gescheitelt und modisch zurückgekämmt. Die blassblauen Augen hätten kühl wirken können, wurden aber von seiner freundlichen Miene gewärmt. Mir war sofort klar, weshalb er bei den Frauen so viel Erfolg hatte.
„Lord Dunmore, gestatten Sie mir, Ihnen Mr und Mrs Ames vorzustellen.“ „Mr Ames und ich kennen uns bereits. Wie geht es Ihnen, Ames?“ Lord Dunmore warf Milo zur Begrüßung einen Blick zu, bevor er sich wieder mir widmete. „Aber Mrs Ames und ich“ – er nahm meine Hand – „hatten noch nicht das Vergnügen.“
„Guten Abend, Lord Dunmore.“
Er hielt den Blickkontakt etwas länger als üblich, und als Mrs Barrington wieder zum Sprechen ansetzte, hatte er meine Hand noch nicht losgelassen.
„Setzen wir uns doch an den Tisch, jetzt, da wir vollzählig sind.“
„Sie haben die Üblichen eingeladen, wie ich sehe“, stellte Lord Dunmore fest und ließ meine Hand los, damit er sich noch einmal umsehen konnte. Er schien jemand Bestimmten zu betrachten, aber als ich mich umdrehte, um seinem Blick zu folgen, konnte ich nicht feststellen, wen.
„Ja, das habe ich wohl“, sagte Mrs Barrington geistesabwesend. „Wollen wir?“
Nach und nach standen alle auf und machten sich auf den Weg in den Speisesaal. Während des allgemeinen Tumults packte mich Mrs Barrington plötzlich am Arm, zog mich ein wenig beiseite und flüsterte mir ins Ohr: „Behalten Sie meine Gäste im Auge, Mrs Ames. Ich wüsste gern, was Sie denken.“ Ich sah sie an – sicher konnte man mir die Überraschung und Verwirrung vom Gesicht ablesen.
„Heikle Angelegenheit. Erkläre ich später“, raunte sie, als Lord Dunmore sich näherte, um sie in den Speisesaal zu begleiten.
Ich blickte zu Milo, um zu sehen, ob er von diesem recht merkwürdigen Gespräch Notiz genommen hatte, aber er unterhielt sich mit einer der Echols-Schwestern und hatte anscheinend nichts mitbekommen.
Zerstreut nahm ich den Arm, den Mr Barrington mir anbot. Verdutzt über den mysteriösen Auftrag meiner Gastgeberin warf ich einen Blick in die Runde und fühlte mich etwas unbehaglich, als wir alle zusammen zum Abendessen in den Speisesaal gingen.
Bei Tisch dachte ich über Mrs Barringtons seltsame Bitte nach und ertappte mich dabei, wie ich trotz meiner Vorbehalte bei den anderen Dinnergästen auf Anzeichen unerwünschten Verhaltens achtete. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, worauf ich ein Auge haben sollte, denn sie erwiesen sich als ausgezeichnete Gesellschaft.
Zu meiner Rechten saß Mr Nigel Foster. Wie es sich für einen Sportler seines Formats gehörte, war er fit und schlank. Dunkle Locken und strahlend blaue Augen bescherten ihm das jungenhafte, gute Aussehen, für das die Scharen seiner weiblichen Fans schwärmten, und die schnellen Bewegungen wirkten, als würde er nur so vor Energie strotzen.
„Ich finde es ziemlich aufregend, neben einem Star wie Ihnen zu sitzen“, gestand ich ihm. „Ich habe Sie schon oft spielen sehen und Ihr Talent immer bewundert.“ Das war eine Untertreibung. Sein Geschick auf dem Tennisplatz war beispiellos, und trotz einer bedauerlichen Niederlage in Wimbledon im letzten Jahr wurde sein Name für gewöhnlich in einem Atemzug mit den anderen Größen des Sports genannt.
Lächelnd winkte er ab. „Ich spiele, weil es mir Spaß macht. Das gibt mir die Möglichkeit, viel zu reisen – eine weitere Leidenschaft von mir. So gesehen habe ich Glück.“
„Sie waren auf einer Tour, wenn ich mich nicht irre?“
„Ja. Und danach hatte ich einen recht langen Urlaub in Griechenland und anschließend in Italien. Fast ein Jahr lang habe ich England nicht betreten, aber jetzt ist es schön, wieder zu Hause zu sein.“
„Ich war schon lange nicht mehr in Griechenland“, erzählte ich ihm.
„Da wollte ich schon immer mal hin“, verriet Felicity Echols leise.
„Ihnen würde es dort sicher gefallen“, sagte Mr Foster lächelnd.
„Felicity und ich würden beide so gern verreisen“, ergänzte ihre Schwester Marjorie. „Wir haben England noch nie verlassen, aber eines Tages werden wir die Welt sehen.“
Obwohl sie sich ähnelten, brauchte ich nicht lange, um die Echols-Schwestern auseinanderzuhalten. Felicity war eine liebe, eher unscheinbare junge Frau mit großen grünen Augen und glänzend goldenem Haar. Marjorie hatte etwas Forscheres, Scharfsinnigeres an sich. Sie hatte klare, blaue Augen und eine flinke, lebhafte Art, die bei der richtigen Gelegenheit bestimmt in Übermut umschlagen konnte. Ihre Worte artikulierte sie mit einer Entschlossenheit, die einen Kontrast zur weichen, gehauchten Stimme ihrer Schwester bildete.
„Im Moment würde ich mich von Griechenland fernhalten“, sagte Mr Barrington, „angesichts der politischen Lage dort.“
Mrs Barrington seufzte. „Ach, Lloyd. Sprechen wir doch lieber nicht über Politik.“
„Mr Douglas-Hughes wird mir doch sicher zustimmen.“
„In letzter Zeit war die Lage in der Tat etwas instabil“, antwortete dieser vorsichtig. „Was sich nach den Wahlen ändert, wird sich zeigen. Schwer zu sagen, welche Konsequenzen es hat, wenn Venizelos nicht wiedergewählt wird.“
Mr Sanderson Douglas-Hughes, der mit dem Außenministerium zu tun hatte, wusste über Politik sicher gut Bescheid. Doch seinen Namen kannte ich nicht nur in diesem Zusammenhang. Ich hatte ihn und seine Frau schon länger kennenlernen wollen, denn wir hatten eine bedauerliche Gemeinsamkeit: Unsere Ehen waren von der Presse öffentlich zerpflückt worden. Mr Douglas-Hughes stammte von einer sehr alten, wohlhabenden Familie ab, und ich erinnerte mich an die Empörung, als er die amerikanische Tänzerin Mamie Allen geheiratet hatte.
Man hatte ihre Vergangenheit als Tänzerin aufgebauscht und ihrem Beruf einen unanständigen Beiklang verliehen, als hätte sie nachts bei irgendeiner New Yorker Burlesque-Show den Hoochie Coochie getanzt, aber meines Wissens hatte sie in Wahrheit am Broadway Gesellschaftstänze aufgeführt. Sie war groß und außergewöhnlich dünn, und ihre ruhige Anmut musste sicher auch den glühendsten Verfechtern des Douglas-Hughes-Erbes gefallen. Sie war eine hübsche Frau, blass mit einem Heiligenschein aus Haar in einem bemerkenswerten Rot, das nur ihre Naturhaarfarbe sein konnte. Sie hatte eine äußerst warmherzige, offene Art, und sie war mir auf Anhieb sympathisch.
„Aus Angst vor plötzlichen Rebellionen oder Aufständen reist Sandy mit mir nur in wenige Länder“, neckte sie. „So langsam glaube ich, Unwissenheit ist ein Segen.“
Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie ihren Mann meinte. Wie lustig, dass der elegante Mr Sanderson Douglas-Hughes von seiner Frau den Kosenamen „Sandy“ erhalten hatte.
„Ein Segen ist es, mit dir verheiratet zu sein, meine Liebe“, entgegnete er lächelnd, „deshalb halte ich es für klug, vorsichtig zu sein.“
Genau wie seine Frau machte auch Mr Douglas-Hughes einen positiven Eindruck auf mich. Neben seiner offenkundigen Liebe zu ihr zeichnete er sich durch ungezwungene Freundlichkeit und Besonnenheit aus, die ihre ruhige Ausgeglichenheit ergänzten. Sicher waren Höflichkeit und ein kühler Kopf im Außenministerium Gold wert.
„Mr Ames, soweit ich weiß, kennen Sie Helene Renault. Ein Freund hat mir erzählt, er habe Sie letztes Wochenende zusammen gesehen. Sie ist bezaubernd. Ich habe noch nie einen Filmstar getroffen. Wie ist sie denn so?“
Dieser unvermittelte, recht überraschende Beitrag kam von Mr James Harker, Mrs Barringtons Neffe. Wie seine Tante war auch Mr Harker kräftig und lebhaft. Er hatte ein rundes, hübsches Gesicht, das sich erhellte, wenn er lachte, was er anscheinend häufig tat. Als er mir vorgestellt worden war, hatte er mich an ein fröhliches, liebenswürdiges Kind erinnert, und dieser Eindruck wurde nun bestärkt, als er arglos auf eine Antwort wartete.
Mir war, als käme das Gespräch bei Tisch ein wenig ins Stocken, da die Gäste unauffällig zuzuhören versuchten. Von Milos Bekanntschaft zu der französischen Schauspielerin wusste ich nichts, daher war ich ebenso wie die anderen neugierig auf seine Antwort.
Ich war es gewohnt, eine höflich desinteressierte Miene aufzusetzen, wenn ich mit Fremden über Milos Verhalten sprach. Daher gehe ich davon aus, dass meine Mimik neutral war, als ich meinen Blick langsam vom Teller hob und meinen Mann über den Tisch hinweg ansah. Er schaute mir in die Augen, und ich konnte kein Anzeichen von Unbehagen erkennen.
„So gut kenne ich sie nicht“, antwortete Milo beiläufig. „Wir sind uns ein- oder zweimal bei Veranstaltungen begegnet.“
„Ich bin mir sicher, dass mir jemand erzählt hat, Sie beide seien recht eng befreundet.“
Betretenes Schweigen senkte sich wie ein Schleier über den Tisch, und auf einmal war mir kalt. Ein flaues Gefühl, wie ich es seit einer Weile nicht mehr gespürt hatte, machte sich in meinem Bauch breit.
Anscheinend war Mr Harker der Einzige bei diesem Dinner, dem nicht bewusst war, dass diese Unterhaltung allen Anwesenden äußerst unangenehm war, außer vielleicht Milo, der sich von dem plumpen Verhör nicht beirren ließ.
„Ich fürchte, da sind Sie fehlinformiert“, antwortete er ruhig.
„Ja, aber …“
„Diese Crème Anglaise ist wirklich vorzüglich“ sagte Mrs Vivian Garmond plötzlich. Das war einer der ersten Sätze, die ich sie bei Tisch hatte sagen hören. Sie sprach so gelassen und natürlich, als wäre diese Ablenkung ein normaler Verlauf der Unterhaltung.
„Ja, sie ist wunderbar“, stimmte Mrs Douglas-Hughes zu. „Das ganze Essen ist ausgezeichnet.“
Das Gespräch kam wieder in Gang, alle lobten Mrs Barringtons Köchin, und ich atmete innerlich auf. Ich hatte keine Lust, meine Eheprobleme in einem Zimmer voller Fremder auszubreiten.
Alle taten, als wäre nichts gewesen, nur Lord Dunmore blickte mit einem Ausdruck vager Belustigung in meine Richtung.
Mrs Garmond saß mir direkt gegenüber, und als sie mich ansah, glaubte ich, so etwas wie Verständnis in ihrer Mimik wahrzunehmen.
Sie machte mich neugierig, denn offenbar stand sie mit keinem der anderen Gäste auf besonders freundschaftlichem Fuß, geschweige denn mit unserer Gastgeberin. Im Gegenteil, Mrs Barrington schien sie schon den ganzen Abend zu meiden. Aber mir war aufgefallen, dass ihre dunklen Augen Lord Dunmore im Blick behielten, wenn er nicht hinsah. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es zwischen den beiden irgendeine Verbindung gab, aber soweit ich wusste, hatte der Viscount sie während des gesamten Essens nicht mehr als ein- oder zweimal angesehen.
Was Milo von dem Zwischenfall mit Mr Harker hielt, konnte ich nicht einschätzen, denn ich mied bewusst seinen Blick. Im Grunde trug er keine Schuld an meiner gegenwärtigen Verlegenheit, aber sein Verhalten hatte mich nicht zum ersten Mal in eine schrecklich unangenehme Situation gebracht, und ich hatte nicht vor, großzügig über Mr Harkers Andeutung hinwegzusehen. Schließlich war die Geschichte nicht völlig abwegig.
Was die Frage nach der wahren Natur seiner Bekanntschaft mit Mademoiselle Renault betraf, so wollte ich darüber im Moment nicht nachdenken. In unseren eigenen vier Wänden hätten wir später noch genug Zeit, die Angelegenheit zu besprechen.
Ich verdrängte den Gedanken und widmete mich stattdessen entschlossen Mrs Barringtons mysteriöser Bitte, die Gäste zu beobachten. Während ich überlegte, was so rätselhaft und besonders an einem der Anwesenden am Esstisch sein sollte, konnte ich nicht wissen, dass Milo schon bald meine geringste Sorge sein würde.
Nach dem letzten Gang standen wir auf und gingen auf eine Tasse Kaffee zurück ins Gesellschaftszimmer. Als wir den Raum betraten, kam Mrs Barrington sichtlich besorgt zu mir und sagte mit gedämpfter Stimme: „Bitte verzeihen Sie James den Fauxpas, Mrs Ames. Er tritt immer ins Fettnäpfchen.“
„Schon in Ordnung, Mrs Barrington. Sie müssen sich nicht entschuldigen.“ Je weniger darüber gesprochen wurde, umso besser.
Sie schüttelte den Kopf. „Er denkt nicht nach, bevor er was sagt. Das war schon immer eine bedauerliche Angewohnheit von ihm. Er meint das nicht böse. Er ist ein lieber Junge, aber manchmal so unbeholfen. Er wollte sicher nicht andeuten, dass … Ihr Mann ist sicher nicht … Jedenfalls ist sich James meist gar nicht bewusst, dass er etwas Unverschämtes gesagt hat.“
„Milo kennt viele interessante Persönlichkeiten“, entgegnete ich vage. „Ich habe das nicht als unverschämt empfunden. Ehrlich.“
„Das freut mich zu hören, meine Liebe.“ Sie runzelte die Stirn und sah nicht mich an, sondern ihren Neffen, der sich angeregt mit seinem Onkel unterhielt. „Und trotzdem … Manchmal mache ich mir Sorgen, dass sein Mundwerk ihn noch in Schwierigkeiten bringt.“ Immer noch besorgt wandte sie sich ab, um sich um den Kaffee zu kümmern.
Während der Unterhaltung bildeten sich Grüppchen, und ich nahm mit Tasse und Untertasse in der Hand auf einem burgunderrot gepolsterten Diwan am Kamin Platz. Gleich würde ich der sozialen Pflicht nachkommen und mich unter die anderen Gäste mischen, aber erst einmal musste ich mich stärken. Der Vorfall beim Essen hatte mich etwas mehr aus der Fassung gebracht, als ich zugeben wollte. Ich war mir sicher gewesen, dass sich der Zustand meiner Ehe in den letzten beiden Monaten gebessert hatte, aber vielleicht hatte ich mich geirrt. Das wäre nicht das erste Mal gewesen.
Ich riskierte einen Blick in Milos Richtung. Er war in ein Gespräch mit Mrs Barrington vertieft, die gewiss ihre Entschuldigung wiederholte. Er lachte über etwas, das sie sagte, berührte sie aufmunternd am Arm, und sie lächelte sichtlich erleichtert. Nichts an seinem Verhalten deutete auf Unbehagen hin und ich fand seine Unerschütterlichkeit äußerst ärgerlich.
„Sind Sie von Natur aus eine einsame Seele, Mrs Ames?“ Ich blickte auf und stellte überrascht fest, dass Lord Dunmore mit einem Glas in der Hand vor mir stand. Ich hatte ihn nicht kommen sehen.
Leugnen war zwecklos – er hatte mich bei meiner Tagträumerei ertappt. „Ja, gelegentlich genieße ich die Einsamkeit, Mylord.“
„Das erklärt wohl, warum ich noch nie das Vergnügen hatte, Sie kennenzulernen. Es überrascht mich, dass wir uns nicht schon häufiger bei gesellschaftlichen Veranstaltungen begegnet sind. Aber vielleicht sind Sie oft mit Ihrem Mann im Ausland.“ Er deutete auf den Diwan. „Darf ich?“
„Natürlich.“
Er nahm neben mir Platz. Das Möbelstück war nicht besonders groß, und ich war mir sofort seiner Nähe bewusst. Er verhielt sich keineswegs unangebracht, aber von ihm ging eine gewisse Anziehung aus, ein Selbstvertrauen, das wahrscheinlich von seiner Beliebtheit bei den Frauen herrührte.
„Es war mir eine Freude, heute Abend Ihre Bekanntschaft zu machen, Mrs Ames. Hätte ich gewusst, dass Sie und Ihr Mann mit den Barringtons befreundet sind, dann hätte ich schon längst darauf bestanden, dass Sie eingeladen werden.“
„Ach, sind Sie ein alter Freund der Barringtons?“
„Ja. Mein Vater und Mr Barrington sind zusammen zur Schule gegangen. Sie waren zusammen trinken und bei Rennen, und manchmal hat mein Vater mich mitgenommen. Ab und zu lädt Mrs Barrington mich ein, wenn noch ein zusätzlicher Gentleman fehlt.“
„Ich würde sagen, Sie sind mehr als ‚ein zusätzlicher Gentleman‘, Lord Dunmore. Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Anwesenheit beim Dinner eine Art gesellschaftliches Ereignis ist.“
Er lächelte. „Sie schmeicheln mir, Mrs Ames. So interessant bin ich nun auch wieder nicht. Außerdem mag ich Mr und Mrs Barrington gern. Ein Abendessen mit Freunden ist in der Regel viel weniger anstrengend als mit einer Gruppe Fremder. Allerdings muss ich zugeben, dass bei den Dinnerpartys der Barringtons meist dieselben Leute sitzen, daher hat es mich gefreut, heute Abend neue Gesichter zu sehen … besonders Ihr Gesicht. Ich hatte mir schon gedacht, dass die Frau von Milo Ames eine Schönheit sein muss, aber Sie haben selbst meine hohen Erwartungen übertroffen.“
Offenbar war der Ruf des Viscounts, ein schamloser Charmeur zu sein, nicht übertrieben.
„Nun schmeicheln aber Sie mir, Lord Dunmore“, sagte ich.
„Nicht im Geringsten.“ Sein Blick huschte über mein Gesicht, und er lächelte. „Die Wahrheit zu sagen ist schließlich keine Schmeichelei.“
„Es war nett von Mrs Barrington, uns einzuladen.“ Ich versuchte die Unterhaltung wieder in eine angemessene Richtung zu lenken. „Sie und meine Mutter verbindet eine recht lange Freundschaft. Aber die anderen kenne ich nicht besonders gut. Sind Sie mit ihnen befreundet?“
„Ich kenne alle auf die eine oder andere Weise.“ Er ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, während er erklärte, woher er die anderen Gäste kannte. „Wie Ihr Mann ist auch Mr Douglas-Hughes in meinem Club. Wir laufen uns manchmal über den Weg. Er ist ein sehr anständiger Gentleman.“ Aus dem Mund des Viscounts war das wohl eine spöttische Bemerkung.
„James Harker und ich waren zusammen in der Schule“, fuhr er fort. „Er ist ein echter Tölpel, aber das haben Sie sicher schon selbst gemerkt. Schon in der Schule war er ein Schnüffler und eine Petze. Natürlich verehrt Mrs Barrington ihn, aber er bringt sich ständig in peinliche Situationen.“
Diese Bemerkung ließ ich unkommentiert.
„Und Mr Foster?“
Er zögerte kurz. „Mr Foster kenne ich nicht gut, aber ich bin schon lange ein Fan seiner Tenniskünste. Bei gesellschaftlichen Veranstaltungen sehen wir uns oft. Ich glaube, ihn und Mr Barrington verbindet die Liebe zum Sport.“
Mir fiel auf, dass der Viscount die anwesenden Damen nicht erwähnte. Angesichts seines Rufs fragte ich mich, ob er eine davon näher kannte, als er sich anmerken ließ. Ein unanständiger Gedanke, aber das ging mir eben durch den Kopf.
Ich sah zu Felicity und Marjorie Echols, die Mrs Garmond offenbar nach ihrer Schneiderin fragten. Sie betrachteten ihr Kleid, deuteten von Zeit zu Zeit darauf und waren in ein Gespräch vertieft. Mr Harker saß ein wenig abseits und verfolgte die Unterhaltung mit offenkundigem Interesse. Ich fragte mich, ob eine der Damen seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
Mr Foster schien das Geschehen amüsiert zu beobachten, dann ging er zu Mrs Garmond und fing ein Gespräch an.
„Hecken Sie etwas aus, so wie Sie die Köpfe zusammenstecken?“, fragte Mrs Barrington, während sie auf uns zukam.
„Ich auf jeden Fall“, sagte Lord Dunmore und erhob sich, bis Serena Barrington sich zu uns gesetzt hatte. „Ich wollte Mrs Ames gerade zu meinem Maskenball einladen und habe überlegt, wie ich ihr eine Zusage abringen kann.“
Mrs Barrington lächelte. „Oh, ja. Der Maskenball! Sie müssen unbedingt kommen, Mrs Ames. Das wird ein großes Ereignis. Wir sprechen dauernd davon.“
Mrs Barringtons Drängen überraschte mich. Wie ich gehört hatte, waren Lord Dunmores Feste nicht gerade die Art von Veranstaltung, bei der ich sie erwartet hätte, geschweige denn dass sie Spaß daran hätte. Andererseits wusste ich nur allzu gut, dass wilde Übertreibungen oft mit Tratsch einhergingen. Vielleicht waren seine Feste gar nicht so schlimm.
„Sehen Sie, Mrs Ames?“, sagte er, und seine Augen leuchteten amüsiert auf. „Mrs Barrington besteht darauf. Mögen Sie Maskenbälle?“
„Ich war schon seit Ewigkeiten auf keinem mehr“, antwortete ich, „aber in meiner Jugend mochte ich sie sehr gern.“
„Ach kommen Sie, Mrs Ames. Auf mich wirken Sie, als wären Sie noch in der vollen Blüte Ihrer Jugend“, antwortete er gerade leise genug, damit Mrs Barrington nicht genau mithören konnte. Unangebracht war weniger das Kompliment als vielmehr die Vertraulichkeit, mit der er es äußerte.
„Sie machen selbst einen recht jungen und sorglosen Eindruck“, erwiderte ich tonlos.
Er lächelte. „Vielleicht ein bisschen zu sehr. Sie haben sicher die Gerüchte über mich gehört.“
Hinter den Worten schien eine Art Herausforderung zu stecken, als wüsste er, dass ich über das nachdachte, was ich von seinen Partys gehört hatte. „Ich achte nicht auf Klatsch, Lord Dunmore. Meiner Meinung nach gibt es wesentlich sinnvollere Beschäftigungen.“
Er hob sein Glas. „Schön gesagt, Mrs Ames …“
Mrs Barrington hatte unsere Unterhaltung mit sichtlichem Interesse verfolgt und mit einer weiteren Emotion, die ich nicht deuten konnte.
„Wie ich sehe, verstehen wir uns bestens. Sie kommen doch zu meinem Ball?“
„Wann ist er?“, fragte ich, obwohl ich nicht genau wusste, ob ich ihn auch noch ermuntern sollte.
„Morgen Abend. Aber Sie müssen sich nicht verkleiden. Die meisten tragen einfach Abendgarderobe zu den Masken. Ich kann Ihnen meinen Kostümier im Friedrich’s empfehlen. Bertelli heißt er. Viele von uns gehen zu ihm. Er kann Ihnen im Handumdrehen eine Maske machen.“
„Ich werde mit meinem Mann darüber sprechen.“ „Er wird doch sicher zustimmen, wenn Sie kommen wollen.“
„Vielleicht.“ Ich war mir nur noch nicht sicher, ob ich das wirklich wollte.
„Das ist wohl recht kurzfristig. Falls Sie es nicht schaffen: In zwei Wochen ist eine weitere Party geplant. Aber wenn Sie sind wie ich, dann ist Ihnen kurzfristig viel lieber. Ich hasse es, zu warten.“ Lächelnd fing er meinen Blick auf. „Lange Vorfreude halte ich für völlig überbewertet.“
Bevor ich eine Antwort formulieren konnte, hatte er sich bereits erhoben. „Wenn die bezaubernden Damen mich nun entschuldigen würden, ich muss kurz mit Mr Barrington sprechen.“
Mrs Barrington schaute ihm hinterher, während sie sich zu mir beugte. „Hatten Sie vor heute Abend schon einmal etwas mit ihm zu schaffen?“ Mit ihm zu schaffen – was für eine seltsame Wortwahl, aber irgendwie treffend.
„Nein. Heute Abend bin ich ihm zum ersten Mal begegnet.“
„Er sieht gut aus, finden Sie nicht?“ Ich wusste nicht, worauf sie hinauswollte, wagte aber, zurückhaltend zuzustimmen. „Ja, ich denke schon.“
„Natürlich täten Sie gut daran, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen.“ Unter anderen Umständen hätte diese Aussage Anstoß erregen können, aber ich hatte das Gefühl, dass Mrs Barrington mich nur freundlich warnen wollte. Wahrscheinlich berechtigt, angesichts dessen, was ich so von Lord Dunmore mitbekommen hatte.
„Wir sind uns bisher nicht über den Weg gelaufen und ich denke auch nicht, dass wir uns in Zukunft häufig sehen werden“, antwortete ich.
Sie betrachtete mich. „Denken Sie nicht? Dann wissen Sie wohl nicht, wie hartnäckig er sein kann. Diesen Blick von ihm habe ich schon einmal gesehen“, sagte sie vage.
„Sie haben mich vorhin gebeten, ein Auge auf Ihre Gäste zu haben, Mrs Barrington. Worauf sollte ich achten?“ Der Übergang war etwas holprig, aber ich war sehr neugierig und der abgeschiedene Platz am Feuer schien die perfekte Gelegenheit zu sein, uns in Ruhe zu unterhalten.
Ich hatte ihre Aufmerksamkeit. Sie beugte sich näher zu mir. „Ich werde offen mit Ihnen sein, Mrs Ames: Jemand bestiehlt mich.“
Mir fehlten die Worte, und ich begriff nicht sofort, warum sie sich ausgerechnet mir anvertraute. Doch auf eine Erklärung musste ich nicht lange warten.
„Natürlich wusste ich gleich, dass Sie die Richtige sind, um mir zu helfen.“ Sie schaute mich erwartungsvoll an. „Ich will, dass Sie herausfinden, wer mich bestiehlt.“
Nur mit Mühe konnte ich meine große Überraschung verbergen.
„Mrs Barrington“, sagte ich vorsichtig. „Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen …“
„Sie haben in dem Mordfall an der Küste ermittelt – da sollten Sie einem Dieb doch problemlos das Handwerk legen können.“
Daher wehte also der Wind. Ich war erstaunt, dass sie die beiden Verbrechen über einen Kamm schor – falls es sich überhaupt um Diebstahl handelte.
„Das war etwas völlig anderes. Da hatte ich gar keine andere Wahl. Wenn Sie bestohlen wurden, sollten Sie sich an die Polizei wenden.“
„Ich will die Polizei nicht hier haben“, sagte sie schnell. „Ich … ich glaube, das sollte lieber vertraulich behandelt werden.“
„Ich glaube wirklich nicht …“, setzte ich noch einmal an.
„Lassen Sie mich erst einmal die Umstände erklären, bevor Sie ablehnen. Wenn Sie mir dann nicht helfen können oder wollen, dann werde ich das akzeptieren.“
„Einverstanden.“ Zugegeben, ein wenig neugierig war ich schon. Ihr zuzuhören konnte schließlich nicht schaden.
Sie sah sich um, als wollte sie sich vergewissern, dass niemand lauschte, und fing mit leiser, ruhiger Stimme zu sprechen an. „Mein Mann hat mir schon immer gern extravagante Geschenke gemacht, obwohl er genau weiß, dass das nicht nötig ist. Er verwöhnt mich so sehr, meine Liebe. Daher habe ich eine recht ansehnliche Schmucksammlung. Aber in den letzten Monaten ist mir aufgefallen, dass ein paar Stücke fehlen.“
„Fehlen?“
„Ja. Angefangen hat es mit einem Rubinohrring. Er ist aus meiner Schmuckschatulle verschwunden, und ich habe den ganzen Ankleideraum auf den Kopf gestellt. Eine Woche später habe ich ihn in der Schublade meines Sekretärs gefunden, obwohl ich genau weiß, dass ich dort schon gesucht hatte.“
„Vielleicht haben Sie ihn übersehen.“
„Das dachte ich erst auch. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Als Nächstes verschwand mein Smaragdring. Das war ungefähr einen Monat nach dem Vorfall mit dem Ohrring. Er war mir etwas zu groß, und ich habe ihn an einem Abend hier zu Hause zum Dinner getragen. Als mir auffiel, dass er weg war, dachte ich, er müsse mir vom Finger gerutscht sein und einer der Dienstboten würde ihn finden, aber er ist niemals aufgetaucht. Dann, keine zwei Wochen später, verschwand ein Diamantarmband, das ich getragen hatte.
„Haben Sie an dem Abend auch zu Hause gegessen?“, fragte ich.
„Ja. Ich dachte, ich hätte das Armband verlegt. Ich war mir sicher, dass es irgendwann wieder auftaucht.“
„Vielleicht wird es das noch“, sagte ich. Meine Hoffnung war, dass Mrs Barrington ihren Schmuck lediglich verlegt hatte. Das wäre die einfachste und zufriedenstellendste Erklärung.
„Das hatte ich gehofft, aber mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass das nicht passieren wird.“
„Da alles bei Ihnen zu Hause verloren gegangen ist, denken Sie womöglich, einer Ihrer Dienstboten …“ Ich formulierte meine Andeutung mit Bedacht. Ich wollte niemandem etwas unterstellen. Man musste vorsichtig sein, wenn man Dienstboten eines Vergehens bezichtigte. Schon der Hauch eines Verdachts konnte das Ende einer Karriere bedeuten. Von einem Fall von „Gelegenheit macht Diebe“ auszugehen, war unfair, aber man hatte schließlich schon von Vorfällen dieser Art gehört.
„Ja“, stimmte sie zu. „Anfangs hielt ich das für am wahrscheinlichsten. Ich wies meinen Butler Fenton an, die Augen aufzuhalten, in der festen Überzeugung, der Übeltäter würde früher oder später gefasst werden. Bis letzte Woche.“ Sie machte eine dramatische Pause und legte die Stirn in Falten, um der Aussage zusätzlich Gewicht zu verleihen.
„Was ist passiert?“, hakte ich nach, da sie das offenbar von mir erwartete.
„Ich hänge an allen Geschenken von Lloyd, aber das Herzstück meiner Sammlung ist eine Diamantbrosche, die er mir zur Verlobung geschenkt hat. Sie war eine Eiffelturm-Nachbildung aus Gold mit Diamanten und winzigen Perlen. Wir haben uns in Paris kennengelernt, wissen Sie, und die Brosche war eine Erinnerung daran, wie wir ein Paar geworden sind. Er hat sie extra für mich anfertigen lassen, und auf der Rückseite ist das Datum unserer Verlobung eingraviert. Sie ist ein Unikat.“
„Sie klingt bezaubernd.“ Auch ich hatte Diamanten, die ich mit Paris verband: eine Halskette, die mir Milo dort während unserer Flitterwochen gekauft hatte.
Unwillkürlich blickte ich in Milos Richtung. Er sprach mit Mr Douglas-Hughes, aber er sah zufällig beinahe im gleichen Moment zu mir. Unsere Blicke trafen sich und ich schaute weg.
„Vor vierzehn Tagen habe ich eine Dinnerparty gegeben“, sagte Mrs Barrington, „und anlässlich unseres Hochzeitstages habe ich die Brosche getragen. Aber der Verschluss war locker, also habe ich sie abgenommen und in die kleine Elfenbeinschatulle auf dem Kaminsims gelegt.“ Sie nickte Richtung Kamin. „Ich wollte sie später herausnehmen und reparieren lassen. Aber nachdem ich alle Gäste verabschiedet hatte, war die Brosche weg.“
So sehr ich das Gegenteil gehofft hatte, wirkten die Umstände in der Tat verdächtig. Allmählich wurde die Angelegenheit interessanter als gedacht.
„Selbstverständlich war ich außer mir“, fuhr sie fort. „Sie ist natürlich sehr wertvoll, aber an erster Stelle steht für mich der emotionale Wert. Ich habe das Zimmer durchsucht, dann das ganze Haus, in der Hoffnung, dass ich sie irgendwo verlegt hatte, aber ich wusste ganz genau, dass ich das nicht hatte. Ich habe sie in die Elfenbeinschatulle gelegt und am Ende des Abends war sie einfach nicht mehr da.“
„Aber die Dienstboten …“
„Den ganzen Abend waren in dem Zimmer keine Hausangestellten, bis auf Fenton, dem ich bedingungslos vertraue. Und selbst wenn er zu so etwas in der Lage wäre, bin ich mir ziemlich sicher, dass er den ganzen Abend nicht einmal in der Nähe des Kamins war.“
„Aber wer …?“
„Verstehen Sie nicht?“, fragte sie in einem verschwörerischen Flüsterton und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. „Es muss einer meiner Gäste gewesen sein, meine Liebe, wer sonst?“
Mein erster Impuls war, die ganze Geschichte als eine Art Missverständnis abzutun, aber mein Bauchgefühl sagte etwas anderes. Einen Moment lang dachte ich nach und ließ erst einmal alles sacken. Natürlich hatte sie recht – allem Anschein nach konnte es sich nur um Diebstahl handeln. Trotzdem schien es absurd, dass sich jemand, der wohlhabend genug war, um sich in den Kreisen der Barringtons zu bewegen, dazu herablassen sollte, die Gastgeberin zu bestehlen. Das traute ich jedenfalls keinem der Anwesenden zu. Soweit ich wusste, besaß Lord Dunmore zum Beispiel den Dunmore-Diamanten, einen Schatz von gewissem Ansehen. Ich hielt es für unwahrscheinlich, dass er Verwendung für Mrs Barringtons Eiffelturmbrosche hatte.
„Haben Sie Ihre Gäste dazu befragt?“
„Natürlich nicht“, antwortete sie geradezu entsetzt über den Vorschlag. „Ich wollte nicht viel Aufhebens machen. Sie wissen doch, wie unerfreulich die Leute reagieren, wenn sie das Gefühl haben, ihnen werde etwas vorgeworfen.“
Allerdings. Wenn sie schon jemanden des Diebstahls zu bezichtigen schlimm fand, dann hatte sie wohl noch nie einem Mörder entgegentreten müssen. Das hatte sich nämlich als äußerst unangenehme Erfahrung erwiesen.
„Wer war an dem Abend anwesend?“, fragte ich.
„Dieselben wie heute.“
Und da begriff ich. Die plötzliche Einladung, das Beharren auf meiner Zusage, das alles war Teil ihres Plans gewesen. In Wahrheit war ich also unter falschem Vorwand zum Dinner eingeladen worden. Ganz offensichtlich hatte Mrs Barrington mich unter dem Deckmantel einer schlichten Dinnerparty hergelockt, damit ich den Dieb in unserer Mitte entlarvte. Das fand ich nicht besonders nett, aber eine wesentliche Frage konnte ich mir nicht verkneifen: „War alle drei Male, als etwas verschwunden ist, dieselbe Gruppe hier?“
„Ja, ich glaube schon. Ich bin die Abende in Gedanken durchgegangen, und ich glaube, jedes Mal waren dieselben da. Also alle bis auf Mr Barrington. An dem Abend, an dem meine Brosche verschwand, musste er geschäftlich weg. Der Arme war so traurig, als ich ihm erzählt habe, dass mein schönes Verlobungsgeschenk nicht mehr da ist.“
„Schwer zu glauben, dass einer ihrer Gäste zu so einer Tat imstande sein soll“, sagte ich vorsichtig.
„Aber einer von ihnen muss es gewesen sein, oder?“, fragte sie nachdrücklich. „Ich will niemanden beschuldigen, aber die Fakten sind nicht von der Hand zu weisen.“
„Ja, vielleicht.“ Ich wusste nicht so recht, was ich glauben sollte. Das alles klang so weit hergeholt.
„Also?“ Sie sah mich erwartungsvoll an.
„Also was, Mrs Barrington?“
„Werden Sie mir helfen?“
„So faszinierend das auch alles klingt, ich weiß immer noch nicht, wofür Sie meine Hilfe brauchen.“
Sie sah enttäuscht aus, als hätte sie mit einer anderen Reaktion gerechnet. „Sie haben keine Idee, wie wir den Übeltäter fassen können?“
„Leider nicht.“ Ich zögerte, meine Zweifel an der Schuld eines der Anwesenden zu äußern. Für wesentlich wahrscheinlicher hielt ich, dass einer der Dienstboten einen unbeobachteten Moment genutzt hatte, obwohl Mrs Barrington zugegebenermaßen wohl nicht viel entging.
„Na ja, wir sollten darüber nachdenken“, sagte sie. „Ich lasse mir etwas einfallen. Aber ich kann doch auf Sie zählen? Ich erwarte ja nicht, dass Sie den Dieb auf frischer Tat ertappen und zu Boden ringen oder so etwas in der Art.“
Na, dem Himmel sei Dank.
„Eine weitere Dinnerparty würde wohl reichen, aber vermutlich dauert es eine Weile, bis wieder alle Zeit haben. Im Moment stehen so viele Feste und so weiter an, die … Oh, ich hab’s!“, rief sie so plötzlich, dass ich beinahe zusammenzuckte. „Lord Dunmores Maskenball morgen Abend! Sie sind eingeladen. Mr Barrington und ich ebenfalls. Alle, die heute hier sind, kommen morgen auch. Das ist die perfekte Gelegenheit, dem Dieb eine Falle zu stellen.“
„Mrs Barrington …“ Etwas sagte mir, dass ich ihr den Plan ausreden sollte, aber das war mittlerweile in etwa so aussichtslos, wie einen außer Kontrolle geratenen Zug zu stoppen.
„Ich werde bei dem Ball Juwelen tragen, sie an einem auffälligen Ort ablegen, und dann muss ich nur noch abwarten und sehen, ob sie jemand stiehlt.“
„Ich glaube nicht …“
„Der Plan ist perfekt“, unterbrach sie mich. „Und Sie helfen mir, indem Sie die Verdächtigen im Blick behalten und sie mit mir zusammen sozusagen in die richtige Richtung lenken. Und natürlich sind Sie meine Zeugin, wenn wir den Dieb schnappen.“
„Was genau wollen Sie tun, wenn Ihr Plan erfolgreich ist?“, fragte ich in der Hoffnung, sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Womöglich hatte sie den Plan nicht zu Ende gedacht, aber ich sollte eines Besseren belehrt werden.
„Ganz einfach“, sagte sie mit einer wegwerfenden Geste. „Sobald der Schuldige konfrontiert wird, schämt er sich natürlich über alle Maßen und weil er alles geheim halten will, gibt er mir meinen Schmuck zurück. Mehr will ich gar nicht – nur meine geliebte Brosche. Also, helfen Sie mir?“ Ich zögerte. Das war verrückt, und ich wusste, ich sollte mich von ihrem Plan und allem, was damit zu tun hatte, fernhalten. Andererseits … was sollte schon passieren? Wenn nichts dahintersteckte, wären wir hinterher auch nicht schlauer. Und falls sie recht hatte, könnte ich den Schaden eines möglichen Skandals vielleicht begrenzen.
Ich gab mich geschlagen. „Ja, ich denke schon, Mrs Barrington.“
„Ausgezeichnet! Ich wusste, ich kann auf Sie zählen! Überlegt habe ich mir Folgendes.“ Sie gab mir einen kurzen Überblick über ihren Plan: Sie wollte ein Armband in einem Zimmer platzieren und jeder der „Verdächtigen“ sollte davon wissen. Dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis der Schuldige zugriff. Meine Aufgabe war es, an dem Abend die Aufmerksamkeit auf das Armband zu lenken, damit der Dieb wusste, wo es war, und anschließend würde ich mich an den „Verhandlungen“ beteiligen, wie Mrs Barrington es nannte. Sollte heißen: den Missetäter davon überzeugen, das Diebesgut zurückzugeben.
Im Grunde war der Plan recht simpel, aber ich war so gar nicht davon überzeugt, dass er funktionieren würde. Zum einen bezweifelte ich immer noch, dass jemand der anwesenden Gäste etwas mit dem Verschwinden von Mrs Barringtons Schmuck zu tun hatte. Und zum anderen erinnerte mich die ganze Herangehensweise an ein schlecht geschriebenes Theaterstück, das ich mal im West End gesehen hatte.
„Ich bin ja so erleichtert, dass Sie zugestimmt haben, mir zu helfen, Mrs Ames“, sagte sie und nahm meine Hand liebevoll in ihre. „Ich bin mir sicher, dass wir die Sache im Nu aus der Welt schaffen können, und Sie werden froh sein, mir geholfen zu haben.“
Das bezweifelte ich sehr. Wider besseres Wissen hatte ich eingewilligt, Serena Barrington bei ihrer Jagd nach einem Dieb zu unterstützen, und ich konnte nur erahnen, welchen Ärger das mit sich bringen würde.
Schweigend hing ich meinen Gedanken nach, als wir aus dem Haus der Barringtons gingen. Milo hatte mir auf dem Weg zu unserem Wagen die Hand auf den Rücken gelegt, und ich fragte mich, ob er meine Anspannung spürte.
Während Markham, unser Chauffeur, losfuhr, lehnte Milo sich zurück und lockerte seine Krawatte. „Tja, also, das war genauso langweilig wie erwartet.“
„Findest du?“, sagte ich und sah hinaus auf die dunklen Straßen. „Ich fand den Abend ziemlich interessant.“ Jedenfalls war mehr geschehen als gedacht. Mir schwirrte noch immer der Kopf.
„Was hältst du vom Viscount?“, fragte er. „Hat er einen bleibenden Eindruck hinterlassen?“
„Er hat uns morgen Abend zu seinem Maskenball eingeladen.“
„Ah, also hast du einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Hätte ich mir denken können. Jedenfalls hat er deine Gesellschaft sichtlich genossen.“
Ich schwieg, und nach einer Weile fühlte sich die Stille schwer an.
Ich spürte seinen Blick im Dunkeln.
„Woran denkst du?“, fragte er schließlich.
„An nichts Bestimmtes.“
„Doch, tust du. Du denkst an das, was dieser Depp, James Harker, gesagt hat.“
Ich sah ihn an. „Das spielt keine Rolle.“ Mein Ton drückte etwas anderes aus, und das wusste Milo.
„Wie ich schon beim Essen gesagt habe: Ich kenne Helene Renault kaum.“
„Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen, Milo.“ Ich sah bewusst zu Markham, der jedes Wort mitbekam.
Milo verstand den Wink, aber anstatt wie erhofft die Sache auf sich beruhen zu lassen, rutschte er näher, legte einen Arm um mich und flüsterte mir ins Ohr: „Das ist nur ein neues hässliches Gerücht, nichts weiter.“
Ich verkniff mir eine Antwort.
„Schau mich an, Liebling.“ Ich sah ihn an und versuchte zu ignorieren, wie nah er mir war. Beinahe berührte mein Mund seinen, während ich ihm in die Augen sah, die selbst in der Dunkelheit des Wagens so unglaublich blau waren.
„Da ist nichts dran. Ehrlich.“
Ich wollte ihm unbedingt glauben. Vielleicht konnte ich das auch. Ich hatte schon einmal an ihm gezweifelt und das hätte beinahe ein böses Ende genommen.
Ich seufzte. „Also gut.“ Er lächelte und näherte sich meinen Lippen.
„Milo“, flüsterte ich und zog mich zurück. „Nicht jetzt.“
Milo warf unserem Fahrer einen ungeduldigen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich richtete. „Sicher ist Markham sich bewusst, dass ein Mann gelegentlich gern seine Frau küsst.“
Und falls nicht, war er sich dessen spätestens bewusst, als wir wieder zu Hause ankamen.
Bis zum Morgen hatte ich noch keine Zeit gefunden, Milo von meinem seltsamen Gespräch mit Mrs Barrington zu erzählen. Höchstwahrscheinlich hätte er das ohnehin als die blühende Fantasie einer gelangweilten älteren Dame abgetan. Und vielleicht befürchtete ich auch ein bisschen, er könne versuchen mir auszureden, mich in die Sache einzumischen, die mich zugegebenermaßen auch nichts anging. Doch das hielt mich nicht von dem Entschluss ab, zum Ball zu gehen. Milo hatte, wenn auch wenig begeistert, eingewilligt mich zu begleiten.
Während ich Vorbereitungen traf, verging der Tag wie im Flug. Obwohl ich als Erste zugeben würde, eine recht brauchbare Garderobe mein Eigen zu nennen, fand ich nichts, was zu einem Maskenball bei Viscount Dunmore passte. Meine Modistin hatte mir zwar versprochen, etwas Geeignetes zu suchen, aber als ich anfing, mich für den Ball zurechtzumachen, hatte ich noch nichts von ihr gehört, also beschloss ich, eins meiner eigenen Kleider zu wählen.
Winnelda, mein Dienstmädchen, stand hinter mir und beobachtete mich mit schräg gestelltem Kopf im Spiegel. Sie war eine zierliche, recht junge Frau, und ihr Spiegelbild erinnerte mich an eine Waldelfe, die mir über die Schulter guckte.
„Ihr Haar sieht schön aus.“ Sie beugte sich vor, damit sie es sich genauer ansehen konnte. „Wie von einem Filmstar.“
„Danke.“ Ich hatte mir erst am Vormittag frisch Locken machen lassen, aber ich bezweifelte, dass das Ergebnis so glamourös war, wie sie fand.
„Ich wollte immer so dunkle Haare haben wie Sie“, fuhr sie wehmütig fort. „Aber meine Eltern waren beide käseweiß, also sollte es wohl nicht sein. Und wahrscheinlich würde es einfach nicht richtig aussehen, wenn ich sie färbe … Also nicht, dass ich so etwas tun würde.“
„Ihre Haare sind hübsch, so wie sie sind, Winnelda.“ Das war die Wahrheit. Sie hatten einen verblüffenden platinblonden Ton, der selbst Jean Harlow vor Neid erblassen ließe.
„Danke, Madam.“
Ich griff nach meinem Parfumflakon, und sie beeilte sich, ihn mir zu reichen, wobei sie meine Hand geradezu wegschob. „Hier, bitte.“ „Danke.“
„Und für welches Kleid haben Sie sich entschieden? Ziehen Sie das blaue aus Seide an?“
„Das schwarze aus Satin, denke ich.“ Ich nickte in Richtung des Kleids, das auf meinem Bett ausgebreitet war. Es war zwar nicht extravagant, aber auffallend und bei Lord Dunmores Ball bestimmt nicht fehl am Platz.
Winnelda schien sich nicht viel aus Schwarz zu machen. Ich war mir sicher, im Spiegel gesehen zu haben, wie sie das Gesicht verzog, aber ich achtete nicht auf sie. Erfahrungsgemäß ging man auf ihre oft recht eigensinnigen Reaktionen besser gar nicht erst ein.
Sie war streng genommen keine Zofe. Eigentlich hatte Milo sie in meiner Abwesenheit angestellt, um nach der Wohnung zu sehen. Bevor sie da war, hatten wir in der Wohnung bewusst auf Hauspersonal verzichtet. Zum Kochen und Putzen war jemand gekommen, aber sonst hatten wir es genossen, nicht auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden.
Doch seit unserer Rückkehr nach London hatte Winnelda sich auf wirksame, wenn nicht gar allumfassende Weise in meinen Tagesablauf eingeschlichen. Meine taktvollen Versuche, sie zu bremsen, hatten ihrem Eifer keinen Abbruch getan, und mit unverhohlener Emsigkeit hatte sie die Aufgaben eines Hausmädchens, einer Köchin und einer Haushälterin übernommen. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, eine Stelle für eine andere Zofe auszuschreiben, und meine bisherige hatte ihren Dienst zwei Monate zuvor quittiert, um zu heiraten, und so war eben Winnelda hier und entwickelte sich auf jede erdenkliche Weise zu einem liebenswerten, wohlmeinenden Plagegeist.
Ich nahm das Kleid mit hinter den schwarzen Lackparavent. Milo war gerade hereingekommen und Winnelda huschte aus dem Zimmer. Sie war, wie sich herausgestellt hatte, ein wenig von Milo eingeschüchtert und versuchte ihm recht offensichtlich aus dem Weg zu gehen.
„Liebling?“ Sein Ton machte mich sofort misstrauisch. Er hatte im Korridor telefoniert, und ich wusste gleich, dass das nichts Gutes verhieß.
„Hinter dem Wandschirm“, antwortete ich.
Mein Verdacht bestätigte sich. „Mir ist leider etwas dazwischengekommen. Ich muss los. Du entschuldigst mich doch?“
„Etwas spät für einen Rückzieher, findest du nicht?“ Ich sprach in einem sanften Tonfall, denn ich wusste nur zu gut, dass man Milo ohnehin kaum dazu bewegen konnte, seine Meinung zu ändern. Verlass war auf ihn noch nie gewesen, außer, wenn es darum ging, zu tun und lassen, was er wollte.
„Ja, ich weiß. Aber es ist recht dringend. Angeblich steckt Frederick Garmond finanziell in der Klemme. Vielleicht ist er bereit, seinen Araber zu verkaufen. Seit einem Jahr versuche ich ihm das Tier abzuschwatzen, und gerade hat Kelvin angerufen und gesagt, Garmond sei eben in meinen Club gekommen. Ich muss mit ihm sprechen, bevor mir jemand zuvorkommt.“
„Kann das nicht warten?“ Als mein Kleid zu war, trat ich vor den Paravent.
„Leider nicht. Ich lasse mir das Pferd nicht von jemand anderem wegschnappen.“
Ich verkniff mir eine bissige Antwort, drehte mich stattdessen zum Spiegel und puderte mir die bereits gepuderte Nase, fest entschlossen, einen gleichgültigen Eindruck zu machen. „Na dann.“ „Wenn alles gut geht, schaue ich vielleicht später noch bei Dunmores Ball vorbei.“
„Mach dir meinetwegen keine Umstände“, entgegnete ich und schaffte es beinahe, den scharfen Unterton zu unterdrücken.
Während ich mir das Haar glatt strich, trat er hinter mich, aber ich wich seinem Blick im Spiegel bewusst aus.
„Sei mir nicht böse, Liebling“, sagte er.
„Ich bin nicht böse.“
„Doch, bist du. Du hast dein Kleid falsch geknöpft.“
Ich griff nach hinten, aber seine Hände waren bereits zur Stelle und er öffnete mein Kleid, um es richtig zu knöpfen. Mich ärgerte es, dass sich meine Enttäuschung in meiner Garderobe gezeigt hatte, aber seine Hände wegzuschieben wäre kindisch gewesen. Er bewegte die Finger zielstrebig und ohne viel Hast, und ich wünschte, das Kleid hätte nicht so viele Knöpfe.
„So“, sagte er nach einer Weile und ließ die Hände auf meine Taille sinken. „Jetzt siehst du doch ganz vorzeigbar aus.“
„Danke.“ Im Spiegel fing er meinen Blick auf und wartete wohl auf Widerstand, den ich nicht leisten wollte. Ich würde ihn ganz bestimmt nicht anflehen, mich zu begleiten. Wenn ihm das Pferd so wichtig war, dann sollte er es sich eben holen.
„Wahrscheinlich bin ich erst recht spät zurück“, sagte er. „Garmond muss bestimmt ein wenig betrunken gemacht werden, bevor er verkauft.“
„Ich bin vermutlich selbst erst spät zurück“, antwortete ich.
„Tatsächlich? Na, versuch dich aber bei Lord Dunmore zurückzuhalten“, sagte er trocken. Er küsste mich auf den Hals, dann drehte er sich um und ging.
Ich kämpfte gegen den Ärger und das plötzliche Verlangen an, zu Hause zu bleiben. Meine Stimmung war verdorben. Aber Mrs Barrington rechnete mit mir. Außerdem wollte ich mir den Abend von Milo nicht kaputtmachen lassen. Ich konnte auch ohne ihn Spaß haben.