Eine mörderische Party - Ashley Weaver - E-Book

Eine mörderische Party E-Book

Ashley Weaver

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Beschreibung

Ein skandalöses Geheimnis, das einem Gast das Leben kostet …
Die Cosy Crime-Reihe von Ashley Weaver geht spannend weiter!

Amory Ames und ihr Mann Milo wollen einen entspannten Winter in Italien verbringen. Doch statt in Italien befinden sie sich, auf den Wunsch von Amorys besorgter Cousine, unvermittelt auf dem Weg nach Lyonsgate. Dort soll die Zusammenkunft einer gehobenen Gesellschaft stattfinden, die sich vor einigen Jahren bereits auf demselben Landsitz getroffen hat. Damals wurde einer der Gäste ermordet und der Täter nie gefasst. Jetzt droht die berüchtigte und ebenfalls eingeladene Autorin Isobel Van Allen damit die Geheimnisse des vergangenen Mordfalls in einem skandalösen Buch preiszugeben. Doch die Geschichte von damals wiederholt sich und ein Partygast wird tot aufgefunden. Kann Amory den Fall dieses Mal lösen?

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Amory Ames und das mörderische Geheimnis.

Alle Bände der Ein Fall für Amory Ames-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Erste Leser:innenstimmen
„Für Fans von Rhys Bowen und weiblichen Ermittlerinnen einfach ein Muss!“
„Spannender Cosy Crime im historischen Setting der 30er Jahre.“
„Scharfsinnige Charaktere, cleverer Fall, kurzweiliger Schreibstil – ein rundum gelungener Krimi!“
„Super E-Book zum Miträtseln, Entspannen und Genießen.“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 435

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Über dieses E-Book

Amory Ames und ihr Mann Milo wollen einen entspannten Winter in Italien verbringen. Doch statt in Italien befinden sie sich, auf den Wunsch von Amorys besorgter Cousine, unvermittelt auf dem Weg nach Lyonsgate. Dort soll die Zusammenkunft einer gehobenen Gesellschaft stattfinden, die sich vor einigen Jahren bereits auf demselben Landsitz getroffen hat. Damals wurde einer der Gäste ermordet und der Täter nie gefasst. Jetzt droht die berüchtigte und ebenfalls eingeladene Autorin Isobel Van Allen damit die Geheimnisse des vergangenen Mordfalls in einem skandalösen Buch preiszugeben. Doch die Geschichte von damals wiederholt sich und ein Partygast wird tot aufgefunden. Kann Amory den Fall dieses Mal lösen?

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Amory Ames und das mörderische Geheimnis.

Alle Bände der Ein Fall für Amory Ames-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Erstausgabe 2016 Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2022

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-918-6

Copyright © 2016 by Ashley Weaver Titel des englischen Originals: A Most Novel Revenge

Copyright © 2021, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2021 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Amory Ames und das mörderische Geheimnis (ISBN: 978-3-96817-237-8).

Übersetzt von: Claudia Voit Covergestaltung: ARTC.ore Design unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Madlen, © Peter Gudella, © Jevgeni Ivanov, © Veranika848 Korrektorat: Dorothee Scheuch

E-Book-Version 11.01.2023, 13:22:54.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Eine mörderische Party

Für Allison Dodson,

meine Cousine, beste Freundin und Leserin von Anfang an.

1

England, Februar 1933

„Na, Liebling, was meinst du, wer diesmal stirbt?“

Diese unerwartete und völlig unangebrachte Frage kam von meinem Gatten, der den Blick nicht von der kurvenreichen, verschneiten Straße abwandte, die auf beiden Seiten von in der Sonne glitzernden Verwehungen gesäumt war.

„Milo! Was für ein grässlicher Kommentar.“

Er blieb, wie üblich, ungerührt. „Seien wir mal ehrlich, letztes Jahr sind in deiner Gegenwart auffällig viele Menschen gestorben.“

Er hatte nicht ganz unrecht, auch wenn ich das ungern zugab. In den letzten Monaten war ich an zwei Mordermittlungen beteiligt gewesen, und beide hatten damit geendet, dass die Mörder eine Waffe auf mich gerichtet hatten.

Zudem war ich mir nicht ganz sicher, ob unser aktueller Ausflug aufs Land ohne Zwischenfall ablaufen würde. So, wie die Reise begonnen hatte, befürchtete ich, dass uns tatsächlich noch mehr Ärger erwartete.

Alles hatte vor zwei Tagen angefangen, als die Morgenpost ankam. Den violetten Umschlag und die unleserliche Handschrift erkannte ich sofort. Ein Brief von meiner Cousine Laurel.

Ich öffnete das Kuvert und fand darin einen hastig geschriebenen Zettel mit bewusst rätselhaftem Inhalt.

Ich wollte kein Telegramm schicken, denn das hätte vielleicht unerwünschte Aufmerksamkeit erregt, aber verstehe diesen Brief als ebenso dringliche Aufforderung. Du musst sofort nach Lyonsgate kommen. Ich sage Dir nicht, warum. Vielleicht kannst Du dann nicht widerstehen.

Darunter hatte sie noch eiliger hingekritzelt:

Lass Dich von meiner Schnodderigkeit nicht täuschen – ich meine es durchaus ernst. Du musst unverzüglich kommen.

Laurel.

PS: Bring Milo mit, wenn es sein muss.

An und für sich war der Brief nicht besonders ungewöhnlich. Laurel hatte einen Hang zum Dramatischen, eine Eigenschaft, die sich oft in ihren Nachrichten widerspiegelte. Diesmal jedoch machte mich neugierig, was der Brief unerwähnt ließ. Mir fiel kein vernünftiger Grund ein, weshalb sie Lyonsgate erneut hätte betreten sollen. Nicht nach dem, was dort vorgefallen war.

Sieben Jahre zuvor, als Laurel dort zu Gast gewesen war, wurde das Herrenhaus Schauplatz eines tragischen Unfalls – das Ergebnis eines außer Kontrolle geratenen, ausschweifenden Wochenendes. Der anschließende Skandal hatte sich im ganzen Land herumgesprochen und meine Cousine sehr belastet.

Natürlich hatte der Brief seinen Zweck erfüllt. Und so kam es, dass wir mit waghalsiger Geschwindigkeit in Milos neuem Aston Martin Le Mans Richtung Shropshire rasten. Das schicke, schwarze Automobil war sein Weihnachtsgeschenk an sich selbst gewesen, und er hatte darauf bestanden, uns selbst hinaus aufs Land zu fahren. Unserem Chauffeur Markham hatte das, glaube ich, ein wenig missfallen, da er kaum erwarten konnte, selbst am Steuer zu sitzen. Doch Markham brauchte sich keine Sorgen zu machen, denn ziemlich sicher würde Milos Freude, neuerdings selbst zu fahren, schon bald nachlassen.

Zum Glück war Milo noch so vernarrt in seinen Wagen, dass er der Aussicht auf lange Strecken auf offener Straße nicht widerstehen konnte und der Reise zugestimmt hatte. Anfangs war er gar nicht erpicht darauf gewesen, nach Lyonsgate zu fahren. Er hatte sich einen Winter in Italien gewünscht, und ich war mir sicher, dass sich dieses Wochenende in vielerlei Hinsicht als schlechter Ersatz erweisen würde.

„Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung, warum ich zugestimmt habe, mitzukommen“, sagte Milo, als wäre er meinem Gedankengang gefolgt. „Ich habe keine Lust auf eine Woche mit einem Haufen Langweilern in einem zugigen Haus mitten in der Pampa.“

Für ruhige Wochenenden auf dem Land hatte mein Mann nichts übrig. Stattdessen war er für seine ausgedehnten Streifzüge durch die Gesellschaft bekannt, eine Eigenschaft, die erst im letzten Jahr beinahe unsere Ehe zerstört hätte. Doch wir hatten uns versöhnt, und ich hatte mit angehaltenem Atem abgewartet, ob die Besserung von Dauer war. Bislang war ich nicht enttäuscht worden.

„Wir sind bestimmt noch vor Ende der Woche zurück in London“, versicherte ich ihm. „Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass wirklich etwas nicht in Ordnung wäre. Du weißt doch, wie Laurel ist.“

„Ja“, sagte er ausdruckslos. „Was ich nicht weiß, ist, warum du ihrer Laune unbedingt nachgeben musst.“

Laurels Zurückhaltung bei der Einladung von Milo im Postskriptum war alles in allem bezeichnend für die Beziehung zwischen meiner Cousine und meinem Gatten. Milo und Laurel hatten sich noch nie besonders gemocht, aber für gewöhnlich gaben sie sich Mühe – mit wechselndem Erfolg.

„Aber mal ehrlich, das ist schon seltsam“, sagte ich. „Warum um Himmels willen ist sie denn wieder in Lyonsgate?“

„Das ist mittlerweile wie lange her, sechs Jahre? Der Schrecken hat sich doch inzwischen sicher gelegt.“

„Sieben Jahre. So, wie sie damals darüber gesprochen hat, war ich mir sicher, dass sie nie wieder einen Fuß nach Shropshire setzen würde.“

„Wenn sogar sie nicht dort sein will, weiß ich nicht, warum wir das sollten. Kennst du Reginald Lyons überhaupt?“

„Nein.“ Ich kannte unseren Gastgeber zwar nicht persönlich, aber ich hatte natürlich von ihm gehört. Der Name der Familie Lyons war praktisch im ganzen Land bekannt, vor allem wegen der Vorfälle auf ihrem Landsitz Lyonsgate an jenem schicksalhaften Wochenende im Jahr 1925.

Nur durch Zufall war Laurel dort gewesen. Sie ging sonst nicht zu ausschweifenden Partys, aber sie war schon in recht jungen Jahren mit Reggie Lyons und seiner Schwester Beatrice befreundet gewesen. Sein Vater und dessen junge Frau waren der Grippe erlegen, während Reggie Lyons noch in Frankreich gewesen war, und Reggie erbte nach seiner Rückkehr nicht nur das Anwesen, sondern auch die Vormundschaft für seine Schwestern. Die Einladung zu einem Wochenende auf Lyonsgate war für meine Cousine sicher ziemlich aufregend gewesen, da das Anwesen zum inoffiziellen Hauptquartier einer der in der Gesellschaft bekanntesten jungen Gruppen Englands geworden war, nachdem Reggie eine Frau namens Isobel Van Allen kennengelernt hatte.

Isobel, die unangefochtene Anführerin ihrer Clique, war damals so etwas wie eine Legende gewesen. Aus bescheidenen, rätselhaften Verhältnissen hatte sie sich dank einer gewinnenden Kombination aus verblüffender Schönheit, scharfem Verstand und eisernem Willen in die mondäne Gesellschaft katapultiert. Sie war ein paar Jahre älter als die anderen, und als sie in Reggie Lyons Leben trat, konnte niemand ihrer weltgewandten Anziehungskraft widerstehen.

Sie hatte einen ausgelassenen Bekanntenkreis, und als Reggie Lyons ihr Liebhaber wurde, stellte sie ihn ihren Freunden vor. Ab da wurden auf seinem Anwesen Lyonsgate die berauschendsten Feste gefeiert, deren Einzelheiten Einzug in die Klatschblätter erhielten. Es gab Fotografien von Feiern mit skurrilen Themen, und Gerüchte über Drogenkonsum und andere verbotene Aktivitäten tauchten auf. Natürlich war das nicht die einzige Gruppe wohlhabender, junger Menschen, die in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in eine Spirale aus hemmungslosem Hedonismus gerieten, aber das unglückselige Ereignis auf Lyonsgate machte sie zu einer der berüchtigteren.

Die Tage vor jenem Vorfall hatten gewiss darauf hingedeutet, dass es ein Wochenende wie jedes andere werden würde, doch am Ende war ein junger Mann tot und das Leben der anderen war nicht mehr dasselbe.

Die nächste Kurve nahm Milo viel zu schnell, was mich wieder zurück in die Gegenwart holte.

„Ich würde, wenn möglich, lieber nicht im Graben enden“, sagte ich lässig.

„Natürlich nicht. Ich möchte das Auto ja nicht gefährden.“

„Wie beruhigend.“

Milo lächelte mich an. „Und dich auch nicht, Liebling.“

„Es muss doch einen Grund geben, warum Laurel mich so eindringlich gebeten hat, zu kommen“, sagte ich immer noch nachdenklich. „Vielleicht hat das etwas mit Edwin Greens Tod zu tun.“

Über die tatsächlichen Geschehnisse in Lyonsgate in jener Nacht gab es verschiedene Berichte. Unumstritten war, dass an einem kalten, dunklen Morgen nach einer durchzechten Nacht Edwin Greens Leiche beinahe nackt auf dem gefrorenen Boden auf dem Weg zwischen Gartenhaus und Herrenhaus gefunden worden war.

Als Todesursache war Herzversagen aufgrund von Unterkühlung sowie einer Kombination aus extremer Trunkenheit und einem tödlichen Drogencocktail festgestellt worden, dessen Reste noch im Gartenhaus herumgelegen hatten.

Wäre Isobel Van Allen nicht gewesen, hätte man den Vorfall vielleicht immer nur für einen bedauerlichen Unfall gehalten – die tragischen Konsequenzen eines zügellosen Lebens. Während die anderen sich um Diskretion bemühten, sprach Isobel häufig mit der Presse und deutete an, dass hinter der Tragödie mehr steckte als auf den ersten Blick erkennbar.

Sie hatte immer eine Neigung zur Sensationshascherei und ein Talent für Worte gehabt, und sie wusste beides zu ihrem Vorteil einzusetzen. Sechs Monate nach Edwin Greens Tod veröffentlichte sie einen Roman mit dem Titel Der Tod im Winter. Er wurde als frei erfunden beworben, aber alle kannten die Wahrheit: Der Roman basierte auf den Ereignissen in Lyonsgate.

Alle Beteiligten wurden recht klar dargestellt, natürlich mit anderen Namen, doch in schillernder Prosa erwachten all ihre Laster und Geheimnisse zum Leben.

Für Aufsehen sorgte weniger der Stil, in dem sie das Buch geschrieben hatte. Der Auslöser des Skandals war vielmehr ihre Behauptung, Edwin Green sei nicht an einer versehentlichen Überdosis und Unterkühlung gestorben, wie der Leichenbeschauer festgestellt hatte. Sondern durch die Hand eines jungen Mannes namens Bradford Glenn, der mit Edwin Green um das Herz von Beatrice Lyons konkurriert hatte. Bradford habe, so das Buch, Edwin Greens Zustand ausgenutzt und ihn absichtlich zum Sterben hinaus in die Kälte gezerrt.

Natürlich wurden nie rechtliche Schritte eingeleitet. Beweise gab es keine. Doch Mr Glenn war dennoch ruiniert und tauchte unter.

Was Isobel Van Allen anging, so hatte ihr Buch den gegenteiligen Effekt gehabt als von ihr beabsichtigt. Sie hatte damit zwar ordentlich Geld verdient, doch wohin sie sich auch wandte, die Menschen, die das Buch insgeheim verschlungen hatten, echauffierten sich, stießen sie aus der Gesellschaft aus und vertraten in der Öffentlichkeit die Meinung, sie habe die Vorfälle geschmacklos ausgeschlachtet. Schließlich zog Isobel Van Allen nach Kenia. Seither hatte ich nichts mehr von ihr gehört.

Reggie Lyons hatte Lyonsgate geschlossen und war ins Ausland gegangen, kurz darauf heiratete Beatrice Lyons und die jüngste Schwester wurde ins Internat geschickt.

Laurel hatte das alles sehr belastet, aber der Vorfall geriet zunehmend in Vergessenheit. An so etwas erinnerte man sich nicht gern.

Also was hatte die Familie Lyons zurück nach Lyonsgate geführt? Und warum war Laurel hingefahren? Warum die dringliche Einladung? Ich wollte gern glauben, dass meine Cousine lediglich eine blühende Fantasie hatte, aber instinktiv ahnte ich, dass mehr dahintersteckte.

„Bestimmt ist es interessant, den Schauplatz eines solchen Skandals zu sehen“, merkte ich an.

„Ich dachte, wir mögen keine Skandale“, erwiderte Milo.

Milo und ich hatten schon genug Skandale hinter uns. In letzter Zeit benahm er sich zwar vorbildlich, aber seit unserer Hochzeit war sein Name mehr als einmal in Verbindung mit der ein oder anderen Affäre aufgetaucht.

„Wir mögen keine eigenen Skandale“, stellte ich klar. „Aber der Tod von Edwin Green hat ja nichts mit uns zu tun.“

„Noch nicht.“

Er sollte, wie sich herausstellte, recht behalten. Ich kann es nicht leiden, wenn er recht hat.

Wir erreichten Lyonsgate am frühen Nachmittag. Die Zufahrt zum Anwesen kam praktisch ohne Vorwarnung. Zwischen den Bäumen, die die Straße säumten, tauchte plötzlich ein Tor auf. Quietschend kam das Auto beinahe zum Stehen, dann bog Milo in die Zufahrt. Erleichtert, dass wir unser Ziel an einem Stück erreicht hatten, atmete ich auf. Für meinen Geschmack war das Auto viel zu schnell.

Das schmiedeeiserne Tor vor uns wurde von zwei riesigen Steinlöwen auf massiven Säulen bewacht, die Zähne sichtbar, die Mäuler aufgerissen, entweder zu einem halbherzigen Brüllen oder einem herzhaften Gähnen.

„Ein bisschen gewollt, aber irgendwie auch recht beeindruckend“, merkte Milo an.

Da konnte ich ihm nur zustimmen. Zumindest musste der Anblick früher einmal beeindruckend gewesen sein. Aber jetzt, mit den trockenen Ranken, die an den Stangen emporkletterten, als wollten sie die erschöpft aussehenden Bestien würgen, gab das Tor ein eher trauriges Bild ab. Ich wusste, dass die Familie Lyons jahrelang nicht vor Ort gewesen war, und offenbar wurde der Instandhaltung in ihrer Abwesenheit keine Priorität eingeräumt.

Die weit geöffneten Tore legten eine lange Zufahrt frei. Wir folgten ihr und sobald wir das kleine Wäldchen hinter uns gelassen hatten, sahen wir zum ersten Mal das Haus. Die Nachmittagssonne schien hell auf die blassen Steinwände. Das Gebäude war imposant, auf düstere Art schön, aber es hatte auch etwas Unheimliches. Vielleicht bildete ich mir das nur ein, weil ich die Vorgeschichte des Hauses kannte, aber ich fand, dass es irgendwie trostlos wirkte.

Im Osten, in dieser Richtung lag auch das Dorf, konnte ich einen See erkennen und ein abgelegenes Gebäude, sicher das Gartenhaus, in dem Edwin Green seine letzte Nacht verbracht hatte. Ruhig und friedlich sah es aus im Licht des hellen Winternachmittags.

Wir hielten auf der Schottereinfahrt vor dem Haus, und Milo ging um den Wagen, um mir die Tür zu öffnen. Ich stieg aus und betrachtete die imposante Steinfassade. Als einladend würde man das Gebäude wohl nicht bezeichnen. Es war im Tudor-Stil erbaut und, falls ich mich richtig an die Geschichte englischer Herrenhäuser erinnerte, reichte der Hauptteil des Hauses tatsächlich in diese Zeit zurück und in den folgenden Generationen waren weitere Flügel angebaut worden.

Das Haus war offensichtlich vernachlässigt worden, und trotz der Renovierungsarbeiten vor Kurzem machte es noch immer einen verlassenen Eindruck. Die Steine waren fleckig und bröckelten, zumindest jene, die man unter dem dichten, ausgetrockneten Efeugeflecht erkennen konnte. Die Erkerfenster in den unteren Stockwerken waren geputzt und strahlten im Sonnenlicht, aber die oberen Fenster hatten dunkle Schlieren.

In diesem Moment blies ein kalter Wind, und ich empfand etwas, das man als unheilvolle Vorahnung bezeichnen könnte.

Hinter uns hörte ich Schritte. Wir drehten uns um und sahen eine Frau, die ein Pferd führte. Ein hübsches Mädchen mit honigfarbenem Haar, das geblendet von der Sonne die Augen zusammenkniff. Sie war jung, vielleicht zwei- oder dreiundzwanzig, vermutlich die jüngere Lyons-Schwester.

Die Sonne blendete sie, aber als sie in den Schatten des Gebäudes trat, sah sie uns und kam näher.

„Ich dachte doch, ich hätte ein Auto gehört“, sagte sie. Als sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, entdeckte sie Milo und wurde rot. „Oh. Hallo.“

Völlig hin und weg sah sie zu ihm hoch. Um ehrlich zu sein, vergaß ich manchmal, wie überaus attraktiv Milo war, bis ich merkte, wie andere Frauen auf ihn reagierten. Dank der schwarzen Haare, strahlend blauen Augen und des bemerkenswert guten Aussehens gelang ihm stets ein exzellenter erster Eindruck. Abgerundet wurde all das von seiner gewinnenden Art und dem übermäßigen Charme, was meinen Mann alles in allem außerordentlich beliebt bei den Damen machte.

„Hallo“, antwortete Milo. Dankbar stellte ich fest, dass er mehr an dem Pferd interessiert war als an der hübschen jungen Frau, die es führte.

„Ich bin Lucinda Lyons“, sagte sie. „Meine Freunde nennen mich Lindy.“ Sie lächelte und, wenn ich mich nicht täuschte, klimperte sie sogar mit den Wimpern.

„Guten Tag, Miss Lyons. Ich bin Milo Ames, und das ist meine Gattin Amory.“

Sie sah mich an, praktisch zum ersten Mal, als wäre ihr gerade erst aufgefallen, dass auch ich anwesend war.

„Guten Tag“, sagte ich belustigt. Es war nicht das erste Mal, dass Milo die gesamte weibliche Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Sie sind Laurels Cousine, nicht wahr?“ Offenbar hatte sie sich schnell wieder gefangen. „Ich habe so viel von Ihnen gehört. Freut mich sehr, Sie endlich kennenzulernen.“

„Die Freude ist ganz meinerseits. Es war sehr nett von Ihrem Bruder, uns einzuladen. Sie haben ein schönes Haus“, sagte ich mit Blick über die Schulter.

„Ich mag es überhaupt nicht“, sagte sie relativ emotionslos.

Ungeduldig verlagerte ihr Pferd das Gewicht von einem Bein aufs andere, und sie sprach beruhigend auf das Tier ein. „Ganz ruhig, Romeo. Du wirst dich doch vor unseren Gästen benehmen.“

„Ein schönes Tier“, sagte Milo und trat näher, um das glänzende, kastanienbraune Fell zu berühren. Milo liebte Pferde. Abgesehen davon, mich mit Haarnadelkurven zu Tode zu erschrecken, hatte mich Milo vermutlich unter anderem deshalb begleitet, weil er dachte, Reginald Lyons habe nun, da er zurück war, angefangen die Stallungen auf Lyonsgate wieder aufzubauen. Milo vergewisserte sich gern, dass seine Pferde besser waren als die von allen anderen.

„Oh, da ist Henson“, sagte Miss Lyons, als die Tür aufging und der Butler in den Säulenvorbau trat. „Mr und Mrs Ames sind angekommen, Henson.“

„Sehr gut, Miss Lucinda.“

Sie drehte sich wieder zu uns. „Er wird Sie in Empfang nehmen. Ich bringe nur schnell Romeo zurück in den Stall. Es war schön, Sie beide kennenzulernen.“

Dabei sah sie immer noch Milo an. Sie schien den Blick regelrecht losreißen zu müssen, bevor sie ihr Pferd wegführte.

„Eine reizende junge Frau“, bemerkte Milo auf dem Weg zum Haus.

„Ich nehme an, du sagst das, weil sie geradezu hingerissen von dir war.“

„Sie ist fast noch ein Kind.“

„‚Fast noch ein Kind‘ und ‚ein Kind‘ sind zwei Paar Stiefel“, erwiderte ich trocken.

Henson führte uns ins Haus, und einen Moment später kam Reginald Lyons in die Eingangshalle und begrüßte uns. Er sah anders aus als erwartet, nicht so, wie ich ihn mir anhand von Laurels Beschreibungen vorgestellt hatte. Er hatte ein attraktives, rotwangiges Gesicht und war recht groß und ein wenig korpulent. In Tweed und Jagdstiefeln verkörperte er das Musterbild eines Gutsherrn.

Viel Ähnlichkeit zu seiner Schwester hatte er nicht, und ich schätzte ihn vielleicht zehn, zwölf Jahre älter als sie. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte Lucinda eine andere Mutter als Reggie und Beatrice. Reggie hatte das gleiche honigfarbene Haar wie seine Halbschwester, aber seine Augen waren nicht blau, sondern dunkelbraun, und so etwas wie Sorge spiegelte sich darin und Erschöpfung, die sein robustes Äußeres Lügen strafte.

„Mr und Mrs Ames. Willkommen in Lyonsgate“, sagte er herzlich.

„Danke für die Einladung, Mr Lyons. Das Haus ist wunderschön.“

„Danke, danke. Sie suchen vermutlich Laurel, aber sie ist gerade ausgeritten. Sie sollte bald zurück sein.“

„Ihre Schwester Lucinda ist gerade von einem Ausritt zurück“, erzählte ich ihm. „Sie ist eine bezaubernde junge Frau.“

„Ich habe ihr Pferd bewundert“, sagte Milo. „Ein ausgezeichnetes Tier.“

Eine Gefühlsregung huschte über Mr Lyons Gesicht, dann nickte er. „Danke. Ich mag Pferde sehr gern. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen nachher die Ställe.“

„Das würde mich in der Tat sehr freuen.“

„Ich nehme an, Sie möchten erst in Ihre Zimmer …“

Bevor er den Satz beenden konnte, bewegte sich etwas auf dem Treppenaufgang hinter ihm.

Eine große, dunkelhaarige, bildschöne Frau stieg zu uns in die Eingangshalle herab. Ich war ihr noch nie zuvor begegnet, und doch erkannte ich sie sofort.

Es war Isobel Van Allen.

2

Ich war sehr überrascht, sie dort stehen zu sehen, vor allem nach den Ereignissen, die Milo und ich erst heute Vormittag besprochen hatten. Ich konnte mir nicht vorstellen, was Isobel Van Allen hier tat statt im tiefsten Kenia.

Sie sah nicht älter aus, als ich sie von all den Fotografien in den Zeitungen in Erinnerung hatte, mal abgesehen von einer gewissen Härte um die Augen. Noch immer war sie eine umwerfend schöne Frau, beherrscht, beinahe königlich, und die makellose Haut war offenbar unberührt von den sengenden Strahlen der afrikanischen Sonne. In ihren Absatzschuhen war sie beinah so groß wie Milo, und ihre schlanke Figur schien wie gemacht für die französische Mode, die sie trug. Der Duft ihres teuren Parfums hing in der Luft, als sie zu uns trat.

„Mrs Ames, richtig? Wie schön, dass Sie gekommen sind.“

Was für ein seltsamer Kommentar, fand ich, von einer Frau, die nicht die Gastgeberin war, aber vielleicht agierte sie ja als solche. Schließlich waren Reggie Lyons und sie einmal ein Paar gewesen. Soweit ich wusste, hatte die Beziehung ein unschönes Ende genommen, aber es wäre nicht das erste Mal, dass jemand eine in die Brüche gegangene Beziehung wieder aufleben ließ. Doch ich konnte nicht lange darüber nachdenken, bevor sie sich vor meinen Mann stellte.

Anerkennend ließ sie den Blick über Milo schweifen. „Hallo, Milo“, sagte sie und lächelte langsam. „Ich würde ja sagen, du hast dich überhaupt nicht verändert, aber das wäre gelogen. Du bist noch attraktiver, als ich dich in Erinnerung habe. Dein Alter steht dir. Nur sehr wenige Männer sind mit dreißig schöner als mit zwanzig.“

Sie streckte die Hand aus und Milo nahm sie. Ihre Finger mit den blutroten Nägeln legten sich um seine Hand.

„Hallo, Isobel. Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen.“

Milo zeigte keine Spur von Unbehagen, aber das tat er nie. Mir war nicht bewusst gewesen, dass die beiden sich kannten. Mein Mann steckte immer voller netter Überraschungen.

Sie lächelte. „Ja. Mindestens neun oder zehn Jahre. Witzig, wie das Leben einen manchmal wieder zusammenführt. Ich freue mich darauf, unsere Bekanntschaft zu erneuern.“

Ich fragte mich, wie genau ihre Bekanntschaft damals ausgesehen hatte. Aber da beide ausgesprochen attraktiv waren, hatte ich so eine ungefähre Vorstellung. Milo musste damals Anfang zwanzig gewesen sein und Miss Van Allen vielleicht fünfunddreißig, aber Gerüchten zufolge hatte sie schon immer eine Vorliebe für jüngere Männer gehabt. Auch Reggie Lyons war mindestens zehn Jahre jünger als sie.

„Und ich bin entzückt, deine charmante Frau kennenzulernen.“ Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf mich und ließ den Blick ihrer dunklen Augen abschätzend, aber nicht unhöflich über mich gleiten.

„Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mrs Ames“, sagte sie.

„Die Freude ist meinerseits“, antwortete ich, ohne auch nur ein Wort davon ernst zu meinen.

„Du hast eine Schönheit geheiratet“, sagte sie zu Milo, den Blick immer noch auf mich gerichtet. „Aber das war ja zu erwarten.“

„Vielleicht möchten Mr und Mrs Ames nun ihre Zimmer sehen“, sagte Reginald Lyons steif.

Etwas an der Art, wie er mit Miss Van Allen sprach, war merkwürdig; eine seltsame Spannung lag zwischen ihnen. Nicht nur, dass ihm anscheinend ihre recht unbefangenen Bemerkungen unangenehm waren. Auch um Eifersucht ging es nicht. Im Gegenteil, für mich war in diesem Moment klar, dass sie ihre Romanze nicht wieder hatten aufleben lassen. Es war relativ offensichtlich, dass er sie zutiefst verabscheute, sich aber Mühe gab, das zu verbergen. Aber warum hatte er sie dann nach Lyonsgate eingeladen? Das war wirklich sehr seltsam.

Ein Dienstmädchen führte Milo und mich zu unseren benachbarten Zimmern, und wir hatten keine Gelegenheit, unter vier Augen über die Begegnung mit Isobel Van Allen zu sprechen.

Ich betrat mein Schlafzimmer, und mein Dienstmädchen Winnelda, das früh am Morgen mit dem Gepäck vorausgefahren war, wandte sich von dem Kleiderschrank, in den sie meine Kleider hängte, ab und drehte sich zu mir. Sie strahlte, als sie mich sah, und half mir aus dem Mantel.

„Ach, hallo, Madam. Ich freue mich ja so, dass Sie angekommen sind. Dieses Haus ist schon ein bisschen unheimlich, oder? Ich habe das Gefühl, als wäre ich in einem Märchenschloss gefangen mit Ungeheuern und so hinter jeder Ecke. Ich fand es gar nicht gut, allein hier zu sein, so ganz ohne ein bekanntes Gesicht.“

Ein Märchenschloss wäre passend für Winnelda. Sie hatte etwas von einer Fee, blass und zierlich, mit großen Augen und platinblondem Haar. Ehrlich gesagt erinnerte sie mich ein bisschen an eine Waldelfe mit ihrer Art, von hier nach dort zu flattern. Sie war sozusagen meine Zofe geworden, und ich hatte sie sehr lieb gewonnen trotz ihrer Sprunghaftigkeit.

„Das Haus ist bezaubernd, nicht?“, sagte ich.

„Es ist alt“, antwortete sie geringschätzig und rümpfte die Nase. Ja, so könnte man die prächtige Tudor-Architektur wohl auch beschreiben. Winnelda hatte sich an den modernen Komfort unserer Londoner Wohnung gewöhnt, und ich befürchtete sehr, dass sie allmählich ein Snob wurde.

Ich legte Hut und Handschuhe ab und sah mich um. Das Zimmer war groß und trotz des Feuers im Kamin sehr kalt. Ich glaubte sogar, den Wind durch die Flügelfenster pfeifen zu hören. Die Wandteppiche auf der Täfelung waren detailliert und hübsch, konnten aber nicht viel Wärme im Schlafzimmer halten. Andererseits war dies nicht das erste zugige Landhaus, in dem ich übernachtete, und vermutlich auch nicht das letzte.

Die antiken Möbel waren von guter Qualität, hatten allerdings schon bessere Tage hinter sich. Das Bett war gigantisch, mit raffiniert geschnitzten Pfosten so dick wie Baumstämme. Es sah aus, als könnte es ebenfalls in die Zeit der Tudors zurückreichen. Das Bettzeug hingegen war modern, ebenso wie der weiche Teppich auf dem Boden. Offenbar hatte sich die Familie Lyons bemüht, für ein wenig Wärme in den Zimmern zu sorgen.

Trotzdem blieb der Eindruck bestehen, als hätte man nur wenige Augenblicke vor unserer Ankunft die Tücher weggerissen, die die Möbel vor Staub geschützt hatten. Wieder fragte ich mich, was die Familie zurück nach Lyonsgate geführt hatte. Wenn Reginald und seine Schwestern erst vor Kurzem zurückgekehrt waren, fand ich es seltsam, dass sie Gäste eingeladen hatten, noch bevor das Haus entsprechend vorbereitet werden konnte. Eigentlich hatte ich sogar den Eindruck, dass Mr Lyons überhaupt keine Gesellschaft gewollt hatte. Seine Herzlichkeit war die eines Mannes, der es gewohnt war, sich angemessen zu verhalten, aber seine Begeisterung hatte aufgesetzt gewirkt. Dies war jedenfalls kein gewöhnliches Wochenende auf dem Land.

Aus welchen Gründen mich Laurel eingeladen hatte, würde sich noch zeigen, und Mr Lyons hatte ihrem Vorschlag sicher nur aus Höflichkeit zugestimmt. Wenn wir hier eigentlich gar nicht willkommen waren, wunderte ich mich erst recht, warum ausgerechnet Isobel Van Allen eingeladen worden war. Nach allem, was geschehen war, fand ich es merkwürdig, dass man sie mit offenen Armen an dem Ort der Tragödie empfing, die sie für ihre persönlichen Zwecke ausgenutzt hatte.

„… Geister, die in langen, am Boden schleifenden Gewändern durch die Korridore schweben. Aber ich weiß gar nicht, ob die damals Gewänder mit Schleppe getragen haben. Haben die das?“

Ich konzentrierte mich wieder auf die Gegenwart und stellte fest, dass Winnelda mich erwartungsvoll ansah.

„Was die Schleppen angeht, bin ich mir nicht sicher, Winnelda. Aber ich glaube nicht, dass Sie sich Sorgen wegen Geistern machen müssen.“

„Nein, die Menschen hier sind schon seltsam genug. Wäre ja schlimm, wenn es auch noch Geister gäbe.“

Ich wollte gerade auf diese sonderbare Bemerkung eingehen, da klopfte es formhalber an der Tür, und Milo trat aus dem Nebenzimmer ein. „Ziemlich zugiges, altes Gemäuer, was?“, sagte er und schaute sich in meinem Zimmer um. „Dein Zimmer oder meins, Liebling? Ich habe nicht vor, allein in einem kalten Bett zu schlafen. Ich brauche dich zum Wärmen.“

„Ich kümmere mich nur schnell um … irgendetwas, ja, Madam?“, sagte Winnelda und eilte aus dem Zimmer.

„Du sollst doch so etwas nicht vor Winnelda sagen.“ Ich lächelte. „Du weißt doch, wie leicht sie zu schockieren ist.“

„Ich verstehe gar nicht, warum.“ Er zog mich an sich. „Man könnte meinen, sie hätte sich mittlerweile an mein schamloses Verhalten gewöhnt.“

Ich sah zu ihm hoch und nutzte die Gelegenheit, um auszusprechen, was mich beschäftigte. „Wenn wir schon über schamloses Verhalten reden: Ich wusste nicht, dass du Isobel Van Allen kennst.“

„Ach, habe ich das nicht erwähnt?“ Sein Gesicht war der Inbegriff von Nonchalance, und der Griff um meine Taille lockerte sich nicht im Geringsten.

„Nein“, sagte ich. „Hast du nicht.“

„Na, jedenfalls habe ich sie nicht besonders gut gekannt.“

„Wie gut genau?“, fragte ich unverblümt und sah zu ihm hoch. Lieber wusste ich gleich, was Sache war.

Er sah mich unbefangen an. „Ich war nicht in ihrem erlesenen Kreis junger Liebhaber, falls du dich das fragst.“

Also, das war klar und deutlich. „Sie scheint dich in sehr angenehmer Erinnerung zu haben“, sagte ich.

„Vielleicht unterscheidet sich ihre Erinnerung von der Realität.“

Ich zweifelte nicht daran, dass er die Wahrheit sagte. Schließlich hatten wir uns damals noch nicht gekannt. Er hatte also keinen Grund, mir etwas zu verheimlichen. Mir war natürlich bewusst, dass es vor mir andere Frauen gegeben hatte.

„Sie ist sehr schön“, sagte ich.

„Mag sein, aber sie ist nicht mein Typ. Unter ihrer gespielten Eleganz ist sie ein bisschen linkisch, finde ich.“

„Du überraschst mich. Man kann ja über sie sagen, was man will, aber ich finde, sie ist eine sehr elegante Frau.“

Er zuckte die Achseln. „Zugegeben, sie hält die Fassade gekonnt aufrecht. Aber der Schein trügt. Jedenfalls musst du dir keine Sorgen machen. Ich bin zu alt für sie.“

Ich lachte. „Ich mache mir keine Sorgen.“

Er küsste mich auf die Lippen und ich löste mich aus der Umarmung.

„Aber es ist schon komisch, oder?“, sagte ich. „Dass sie hier ist, meine ich. Nach allem, was passiert ist, hätte ich sie für den letzten Gast gehalten, den Reginald Lyons nach Lyonsgate einladen würde.“

„Gern haben sie einander nicht“, sagte Milo. Also war ihm das auch aufgefallen.

„Nein“, sagte ich unbestimmt. „Ich frage mich, ob sonst noch jemand eingeladen wurde.“

Ein energisches Klopfen ertönte, und einen Moment später flog die Tür auf und meine Cousine Laurel trat ein.

Sie trug Reitkleidung. Das Gesicht war immer noch von der Kälte gerötet und das goldene Haar vom Wind zerzaust. „Amory, Liebes! Ich wusste, dass du kommst!“

Sie hauchte mir einen Kuss auf die Wange und warf meinem Mann einen kurzen Blick zu. „Hallo, Milo.“

„Laurel“, erwiderte er mit ebenso wenig Begeisterung.

„Wie war die Anreise?“, fragte sie mich. „Habt ihr den Zug genommen?“

„Nein, Milo hat uns in seinem neuen Auto gefahren.“

Mit einem spöttischen Funkeln in den braunen Augen zog sie die Brauen hoch. „Hat er das? Wie überaus bürgerlich von ihm.“

„Ich lasse euch beide mal allein. Dann könnt ihr euch in Ruhe unterhalten“, sagte Milo. „Lyons meinte, er würde mir die Stallungen zeigen.“

„Ja, natürlich.“ Ich wusste, dass Milo den Nachmittag viel lieber mit den Pferden verbringen würde als mit Laurel und mir.

Er ging und ich wandte mich an meine Cousine. Ich wollte sie so viel fragen, dass ich gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Mit einem etwas chaotischen Redeschwall nahm sie mir die Entscheidung ab.

„Die Zimmer sind schon ein bisschen zugig. Meins ist gleich den Flur runter. Ich glaube, alle Gästezimmer sind in diesem Flügel. Ach, Amory, ich bin ja so froh, dass du gekommen bist. Ich hätte es furchtbar gefunden, ohne dich hier zu sein.“

„Aber warum bist du überhaupt zurückgekommen, Laurel?“, fragte ich. „Du wolltest doch deine Eltern besuchen.“

„Oh, das habe ich auch. Lieben Gruß von meiner Mutter, du sollst sie bei Gelegenheit mal besuchen. Jedenfalls hat Reggie mir einen Brief geschickt. Es war ein ziemlicher Zufall, dass ich zu Hause war, als er eintraf. Reggie hatte meine Adresse nicht und den Brief deshalb nach Pearmont geschickt.“

Pearmont war das Zuhause von Laurels Eltern, wo ich als Kind viele glückliche Sommer verbracht hatte. Laurels Mutter war die Schwester meines Vaters. Laurel und ich waren quasi wie Schwestern aufgewachsen, keine von uns hatte Geschwister.

„Was stand in dem Brief?“, fragte ich.

„Das ist es ja. Es stand nicht viel darin. Reggie hat mich gebeten so schnell wie möglich nach Lyonsgate zu kommen. Seit Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehört, geschweige denn ihn gesehen, aber etwas an dem Brief gab mir zu denken.“ Sie zögerte und ihr sonst so fröhliches Gesicht wirkte besorgt. „Irgendetwas stimmt nicht, aber ich weiß nicht was.“

„Vielleicht fängst du einfach vorne an“, sagte ich geduldig. Meine Cousine war meine beste Freundin und Vertraute, aber sie machte gern aus einer Mücke einen Elefanten. Womöglich hätte ich das alles ihrer blühenden Fantasie zugeschrieben, hätte ich nicht selbst das Gefühl, dass in Lyonsgate etwas nicht stimmte. Es fühlte sich einfach zu viel falsch an.

Sie ließ sich aufs Bett fallen. „Das ist alles so komisch. Mir war sofort klar, dass du herkommen und alles entwirren musst.“

„Dein Vertrauen in mich schmeichelt mir“, bemerkte ich trocken. „Aber ich weiß wirklich nicht, was ich hier soll. Ich kenne Mr Lyons nicht einmal, und nach all den Jahren, die er nicht hier war, verstehe ich nicht, warum er will, dass Fremde Lyonsgate belagern. Ich nehme doch an, er hätte gern Zeit gehabt, erst das Haus in Ordnung zu bringen.“

„Ich bezweifle, dass er lange hierbleibt“, erwiderte sie. „Er ist besorgt und unruhig. Morgens macht er lange, einsame Spaziergänge, und wenn er zurückkommt, hat er immer so eine sorgenvolle Miene. Ich glaube nicht, dass es seine Idee war, nach Lyonsgate zurückzukehren.“

„Wie meinst du das?“

„Ich glaube, das alles hat etwas mit Isobel zu tun. Ich wollte Reggie nicht fragen, aber ich hatte irgendwie den Eindruck, dass sie ihn überredet hat zurückzukommen.“

Das erklärte, warum ich das Gefühl hatte, Isobel sei unsere Gastgeberin. Im Grunde war also sie diejenige, die das Wochenende organisiert hatte.

„Aber warum sollte er auf sie hören, nach allem, was passiert ist?“, überlegte ich laut.

„Das ist es ja“, sagte Laurel ernst. „Es ergibt keinen Sinn, und das macht mir Sorgen.“

„Romantische Schwingungen habe ich zwischen den beiden heute jedenfalls nicht wahrgenommen“, sagte ich.

Meine Cousine schüttelte den Kopf. „Nein, das ist schon seit Jahren vorbei. Natürlich, früher war er verrückt nach ihr. Wie offenbar alle. Wir haben immer gesagt, sie muss eine Hexe sein, so wie sie jeden Mann in ihren Bann zieht. So war das auch mit Reggie. Er war immer so ein lieber Kerl. Ich hätte nie geahnt … na ja, egal. Jedenfalls war er Hals über Kopf in sie verliebt. Ich glaube, er hätte alles für sie getan.“

Ich konnte nicht umhin mich zu fragen, was meine Cousine damals wirklich für Reginald Lyons empfunden hatte. Wir hatten uns immer alles anvertraut, und sie hatte behauptet, sie sehe Mr Lyons nur als Freund, aber immer, wenn sie über ihn sprach, schwang in ihrer Stimme mehr als Freundschaft mit.

„Aber zwischen ihnen ist etwas vorgefallen“, fuhr sie fort. „Noch vor dem Unglück. An dem Wochenende haben sie sich die kalte Schulter gezeigt, und wir haben uns alle gefragt, ob Schluss war. Ich dachte, Isobel hätte vielleicht jemand anderen. Sie war ziemlich flatterhaft. Und danach, als sie dieses grässliche Buch geschrieben hat, hätte er sie wohl am liebsten umgebracht, wäre er nicht so aufgelöst gewesen. Und nach dem, was dem armen Brad zugestoßen ist …“

„Bradford Glenn?“, hakte ich nach. Ich erinnerte mich an den jungen Mann, den Isobel Van Allen in ihrem Roman des Mordes bezichtigt hatte. „Was ist mit ihm passiert?“

Laurel wirkte überrascht. „Weißt du das nicht?“

„Nein.“

„Natürlich“, sagte sie. „Das habe ich ganz vergessen. Das war während eurer Flitterwochen. Kurz nachdem das Buch erschienen ist, in dem sie diese grässlichen Sachen über ihn angedeutet hatte, hat er sich das Leben genommen.“

„Wie schrecklich“, flüsterte ich ehrlich entsetzt. Nun war mir auch klar, weshalb Isobel Van Allen gezwungen gewesen war, infolge des Skandals das Land zu verlassen. In Lyonsgate hatte jemand sein Leben auf tragische Weise verloren, und da sie den Vorfall ausgeschlachtet hatte, waren noch mehr Leben zerstört worden.

„Es war furchtbar“, stimmte Laurel zu. „Ich hätte beinahe abgesagt, als ich Reggies Brief bekommen habe, aber ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihn im Stich zu lassen, wenn er mich braucht. Stell dir vor, wie entsetzt ich war, als ich hier angekommen bin und festgestellt habe, dass er auch sie eingeladen hat. Und das ist noch nicht alles. Er hat alle eingeladen.“

„Wen ‚alle‘?“

„Alle, die in dieser verflixten Nacht dabei waren.“

Mir lief ein Schauer über den Rücken. Dieselbe düstere Vorahnung hatte ich draußen gehabt, als ich auf die grauen Mauern von Lyonsgate geschaut hatte. Eigentlich war ich alles andere als abergläubisch, aber ich wünschte mir wirklich, dieses ungute Gefühl würde allmählich verschwinden.

„Warum um alles in der Welt sollte er das tun?“ Mein Kopf spielte bereits verschiedene Möglichkeiten durch, und keine davon war schön.

„Weiß ich nicht und deshalb wollte ich, dass du sofort kommst. Als ich herausgefunden habe, dass sie hier ist … dass alle hier sind … Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber ich hatte so ein Gefühl. Etwas Grässliches wird passieren, Amory.“

So sehr ich meiner Cousine auch widersprechen wollte, ich konnte nicht. Denn auch ich hatte dieses Gefühl.

3

Ich hatte mir Mühe gegeben, meine Cousine zu beruhigen, aber mein eigenes Unbehagen konnte ich nicht abschütteln. Ich versuchte die düsteren Gedanken zu verdrängen, als Laurel in ihr Zimmer ging, um ein Bad zu nehmen und sich für das Abendessen umzuziehen.

Ich musste mich frisch machen, aber zuerst ging ich zum Kleiderschrank und überlegte, was ich beim Dinner tragen wollte. Hoffentlich hatte Winnelda ein Abendkleid eingepackt, das in dem zweifellos zugigen Speisesaal wenigstens ein bisschen Wärme spenden würde. Ich war so in Gedanken, dass ich das Klopfen an der Tür kaum wahrnahm.

„Hallo“, sagte eine Stimme hinter mir.

Ich drehte mich um und sah einen Gentleman an der Tür. Ich erschrak ein wenig, da wir zuvor noch über Geister gesprochen hatten und mich nun dieses bleiche Gesicht aus dem halbdunklen Korridor betrachtete. Offenbar hatte Laurel die Tür nicht richtig geschlossen und sie war aufgegangen.

Doch wie ein Geist sah dieser Gentleman nicht aus. Vielmehr erinnerte er mich mit seinen klassischen Zügen und goldenen Locken an eine Apollon-Statue. Aus seltsam intensiven Augen, so blass, dass sie beinahe farblos wirkten, musterte er mich. Er tat das gründlich und doch hatte ich nicht das Gefühl, er sei unhöflich – obwohl es natürlich ungewöhnlich war, dass sich dieser seltsame Herr auf der Schwelle zu meinem Schlafzimmer vorstellte.

„Hallo“, antwortete ich, mehr um die Stille zu durchbrechen als aus dem Wunsch heraus, ein Gespräch zu beginnen. Der Mann kam mir vage bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen. Ich war mir recht sicher, dass wir uns noch nicht begegnet waren, aber mir war, als hätte ich sein Gesicht schon einmal irgendwo gesehen. An ein Gesicht wie seines erinnerte man sich.

„Ich bin Gareth Winters.“

Natürlich. Der Künstler. Seine Bilder hingen in den Häusern einiger meiner Freunde. Nun fiel mir auch wieder ein, dass er zu den Leuten gehörte, die in der Nacht von Edwin Greens Tod hier gewesen waren.

Vor dem Vorfall waren die Gemälde von Mr Winters eine Zeit lang sehr gefragt gewesen, und er galt als äußerst talentiert. Seine Porträts waren besonders heiß begehrt gewesen. Ich kannte einige Frauen, die für ihn Modell gesessen hatten, und alle hatten von seinem strahlend schönen Aussehen geschwärmt. Aber seit der Tragödie war es im Grunde aus mit seiner Kunst. Ab und zu wurde mal ein Werk versteigert, aber in Künstlerkreisen fiel sein Name heutzutage kaum noch. Eine Freundin hatte mal gesagt, seit dem Lyonsgate-Skandal hätten seine Gemälde viel von ihrem Feuer eingebüßt.

„Guten Tag, Mr Winters“, sagte ich. „Ich bin Amory Ames.“

„Amory Ames”, wiederholte er langsam und ruhig. Er sprach beinahe zu sich selbst, als würde er nachdenken. Versuchte er sich zu erinnern, ob wir uns schon einmal begegnet waren? „Sie sind ein Gast von Reggie, nehme ich an?“, sagte er.

Wir waren alle Gäste von Reggie, aber den Kommentar verkniff ich mir.

„Ja, mein Mann und ich sind seiner Einladung gefolgt.“

„Ich glaube, der Aufenthalt wird sehr unangenehm“, sagte er. Sein Tonfall ließ keine Rückschlüsse zu, was diese Bemerkung zu bedeuten hatte.

Ich wusste nicht so recht, was ich antworten sollte. Ich selbst ahnte das zwar auch, aber es war interessant, so etwas von einem Fremden zu hören. „Meinen Sie?“, fragte ich leichthin. „Lyonsgate hat doch eine sehr schöne Lage.“

„Natürlich will keiner hier sein. Und wer weiß, was diese Frau für uns bereithält.“

Mir war sofort klar, dass er Isobel Van Allen meinte. Gerade wollte ich nachhaken, da sagte er plötzlich: „Ich muss los. Ich hoffe, wir sehen uns beim Dinner, Mrs Ames.“

Er schlenderte davon. Einen Moment lang starrte ich durch die offene Tür und dachte über seine Worte nach. Niemand wollte nach Lyonsgate zurückkehren und doch waren alle hier. Aber warum?

Eins stand jedenfalls fest: Wenn alle Gäste von Reggie so interessant waren wie Gareth Winters, dann stand mir eine ereignisreiche Dinnerparty bevor.

Ich war froh, als es endlich Zeit war, hinunter zum Abendessen zu gehen. Der ganze Nachmittag schien auf einen Höhepunkt zuzulaufen, und ich wollte mir gern selbst ein Bild machen. Vielleicht geschah heute Abend überhaupt nichts, aber die anderen zu beobachten, könnte mir vielleicht einen Hinweis liefern, wie ich weiter vorgehen sollte.

Gerade als Winnelda mein Kleid fertig zugeknöpft hatte, kam Milo aus seinem Schlafzimmer. Ich drehte mich zu ihm und war wie immer verblüfft, wie umwerfend er in Abendgarderobe aussah.

„Wie fandest du die Lyonsgate-Stallungen?“, fragte ich.

„Sie haben hier nur wenige Pferde, aber es sind großartige Tiere. Natürlich nicht so großartig wie meine.“

Ich lächelte. „Natürlich nicht.“

Er begutachtete mich von Kopf bis Fuß. „Du siehst wie immer bezaubernd aus.“

„Danke.“ Das weinrote Samtkleid gehörte zu den Kleidern mit den schwersten Stoffen, die ich dabeihatte, aber vermutlich machte der tiefe Rückenausschnitt den Nutzen des dicken Stoffs und der langen Ärmel wieder zunichte.

„Bist du so weit?“, fragte er.

„Ja, gleich.“ Ich nahm mein Armband mit Rubinen, Diamanten und Onyxen und warf einen Blick über die Schulter, nur um festzustellen, dass Winnelda verschwunden war. Ich legte mir das Armband um und versuchte es mit der anderen Hand zu schließen.

„Soll ich?“, fragte Milo.

„Ja, danke.“ Ich streckte ihm die Hand hin und sah zu ihm hoch, während er sich vorbeugte und das Armband schloss. „Milo, Laurel hat gesagt, Mr Lyons habe alle Gäste eingeladen, die in der Nacht hier waren, in der Edwin Green gestorben ist.“

„Hat er das?“ Milo richtete sich auf.

„Ja, und wir glauben, das hat etwas mit Isobels Rückkehr aus Afrika zu tun.“

„Schon möglich“, stimmte er zu. „Nach einem besonders glücklichen Wiedersehen sieht das jedenfalls nicht aus.“

„Ich fürchte, dass beim Dinner etwas Schreckliches passieren wird.“

„Es gibt nur eine Art, das herauszufinden.“ Er lächelte und bot mir den Arm an. „Wollen wir?“

Ich hakte mich ein und wir gingen in den Korridor. Es gab zwar elektrisches Licht, aber offenbar funktionierten nicht alle Lampen, denn der Gang war recht dunkel, bis auf einzelne schwache, gelbe Lichtkegel der funktionstüchtigen Glühbirnen in den Wandleuchtern. Außerdem wehte von irgendwoher eine kühle Brise. Ich fröstelte und rückte näher an meinen Mann.

„Ziemliche Bruchbude, was?“, sagte er. „Man hätte meinen können, Lyons hätte in seiner Abwesenheit dafür gesorgt, dass sich jemand um das Haus kümmert.“

Eine derart kritische Bemerkung war untypisch für meinen Gatten, wenn auch nicht ganz überraschend. Milo achtete darauf, dass Thornecrest, unser Landhaus, in tadellosem Zustand gehalten wurde. Er hatte es von seinem Vater geerbt, und manchmal hatte ich den Eindruck, das Haus sei das Einzige im Leben, das er wirklich ernst nahm.

„Laurel zufolge wollte er eigentlich gar nicht zurückkommen. Sie denkt, seine Rückkehr habe mit Isobel zu tun.“

Arm in Arm stiegen wir die Treppe hinab. Es war vielleicht nicht zeitgemäß, dass sich eine Frau an den Arm ihres Mannes klammerte, aber es war so eisig kalt, dass ich ihm so nahe wie möglich sein wollte. Ich lockerte den Griff, als wir uns dem Salon näherten.

Lucinda Lyons stand augenblicklich auf und kam auf uns zu.

„Guten Abend, Mr und Mrs Ames“, sagte sie, schaute aber nur meinen Mann an. Offensichtlich hatte er eine Verehrerin.

„Guten Abend, Miss Lyons“, antwortete Milo. „Sie sehen sehr hübsch aus heute Abend.“

Sie errötete. „Danke.“

Reginald Lyons kam zu uns, noch immer unruhig und zerstreut. Er hatte wohl nicht gerade ein Talent dafür, seine Gefühle zu verbergen, auch wenn er redlich darum bemüht war.

„Guten Abend, Mr und Mrs Ames“, sagte er etwas zu überschwänglich. „Darf ich Ihnen meine Schwester Beatrice Kline vorstellen? Ihr Mann ist geschäftlich außer Landes, daher kann er nicht hier sein.“

Beatrice Lyons Kline war eine schöne Frau mit denselben glatten Gesichtszügen wie ihr Bruder. Anders als Reggie und Lucinda hatte sie dunkelbraunes Haar, das sie sehr kurz trug. Wie ihr Bruder machte sie einen etwas besorgten Eindruck, aber sie konnte das besser verstecken als er.

„Guten Abend“, sagte sie höflich, wenn auch wenig begeistert. Ihr Blick war kühl und wachsam. Sie machte einen völlig entspannten Eindruck, aber mir fiel auf, dass ihr Blick ständig zur Tür des Salons wanderte.

Bestimmt beschäftigte uns alle das Gleiche: Wir fragten uns, was genau Isobel Van Allen heute Abend für uns bereithielt.

Als Nächstes stellte uns Reggie Lyons Gareth Winters vor, der unerwähnt ließ, dass er sich am Nachmittag bereits selbst in meinem Schlafzimmer vorgestellt hatte. Auch er wirkte abwesend, aber nicht im Geringsten beunruhigt. Er schien gedanklich mit Wichtigerem beschäftigt zu sein als mit uns Normalsterblichen hier in diesem Zimmer.

Kurz darauf hob sich der Vorhang für die Abendvorstellung.

„Ich hoffe, ich komme nicht zu spät“, ertönte eine Stimme an der Tür. Es war Isobel Van Allen. Sie blieb einen Moment lang stehen, bis sie unsere ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Ihr Umriss zeichnete sich vor dem dunklen Gang hinter ihr ab. Dann trat sie ein, in einem Abendkleid aus schwarzem Satin mit gefährlich tiefem Ausschnitt.

„Überhaupt nicht“, sagte Reggie mit einem schmalen Lächeln. „Ich habe eben Mr und Mrs Ames allen vorgestellt.“

„Eine entzückende Gruppe, nicht wahr?“, sagte sie und kam langsam auf uns zu. Unwillkürlich dachte ich an eine Katze auf Beutezug. „Aber natürlich sind noch nicht alle da.“

„Oh, bekommen wir noch mehr Gesellschaft?“, fragte ich beiläufig.

„Ein weiteres Paar“, sagte Reginald Lyons. „Phillip und Freida Collins. Sie sollten heute ankommen, aber ihre Tochter wurde krank, und Mrs Collins wollte bei ihr bleiben. Sie treffen morgen ein.“

„Wunderbar. Dann ist unsere kleine Gruppe vollzählig“, sagte Isobel und lächelte langsam, den Blick auf Reggie gerichtet. Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen; sein Kiefer war angespannt.

An der Tür bewegte sich noch etwas, und wir drehten uns hin.

„Ach, da bist du ja, Desmond“, sagte Isobel. Sie streckte die Hand zu ihm aus, und er lief wie auf Kommando zu ihr.

Er war bei der Tragödie damals nicht dabei gewesen, da war ich mir recht sicher. Er war viel zu jung. Desmond war auffallend attraktiv, hatte schwarze Haare und Augen wie warmer Honig, und auch jetzt, mitten im Winter, war er tiefgebräunt. Ich fragte mich, ob er mit Miss Van Allen aus Kenia angereist war. Andererseits gelang es Milo auch, seinen strahlenden Teint das ganze Jahr über zu behalten, also war dieses Argument nicht unbedingt stichhaltig.

Doch wie sich herausstellte, lag ich richtig.

„Das ist Desmond Roberts. Mein Sekretär“, sagte sie mit einem Lächeln, das deutlich zum Ausdruck brachte, dass er wesentlich mehr war als das. Was auch immer man über Isobel Van Allen sagen mochte, diskret war sie nicht. „Er ist seit über einem Jahr bei mir.“

„Guten Abend“, sagte er, und sein Lächeln offenbarte äußerst weiße Zähne.

Aus der Nähe betrachtet sah er sogar noch jünger aus. Würde mich sehr überraschen, wenn er älter wäre als drei- oder vierundzwanzig – mindestens zwei Jahrzehnte jünger als Miss Van Allen. Offenbar blieb sie ihrer Vorliebe treu. Instinktiv fragte ich mich, ob er überhaupt irgendwelche Büroarbeiten für sie erledigte. Ich konnte ihn mir nur schwer an einer Schreibmaschine vorstellen, während sie diktierte.

„Ich schreibe Liebesromane unter einem Pseudonym, und Desmond hat sich für meine Arbeit als unschätzbar wertvoll erwiesen“, fuhr sie fort und strich ihm über den Arm. „Er hat unzählige Wege gefunden, mich zu inspirieren.“

Milo fing meinen Blick auf und zog kaum merklich die Augenbraue hoch.

In diesem Moment wurde das Dinner angekündigt, was uns weitere Peinlichkeiten ersparte.

Der Speisesaal sah aus, als hätte er sich in den letzten fünfhundert Jahren kaum verändert. Er war ein langer, dunkler Raum mit Holzbalkendecke und einem Holztisch, der sich beinahe über die gesamte Länge des Saals erstreckte. Ein gigantischer Steinkamin mit eingraviertem Familienwappen samt Hirschkopf und zwei Streitäxten darüber dominierte eine der Wände. Ich freute mich, dass darin ein Feuer prasselte, und noch mehr, dass ich mit dem Rücken vor dem Kamin saß. Denn wie sich herausstellte, war mein Abendkleid wirklich nicht mit dem Hauptziel entworfen worden, Wärme zu spenden.

Das Essen war köstlich und unsere Unterhaltung, wenn auch oberflächlich, recht angenehm. Trotz aller Höflichkeit spürte ich unter der Oberfläche etwas wesentlich weniger Gesittetes schlummern. Die Stimmung war angespannt, und alle schienen sich unbehaglich zu fühlen, alle bis auf Isobel Van Allen.

Im schwachen Licht sah sie blass und hübsch aus. Sie saß neben Reggie Lyons, aber ich hatte sie den ganzen Abend kein Wort wechseln sehen. Ich hatte den Eindruck, sie würde, obwohl sie hier zu Gast war, selbst Hof halten. Sie hatte so einen Blick in den Augen, den selbstgefälligen Ausdruck einer Frau, die von einem Geheimnis wusste, das sonst niemand kannte. Ich fragte mich, wann sie den Rest von uns einweihen wollte.

Wie sich herausstellte, wartete sie bis zum Nachtisch. Uns war gerade ein vorzügliches Trifle serviert worden, aber sie ließ uns keine Zeit, das Dessert zu genießen.

„Eigentlich wollte ich warten, bis wir vollzählig sind“, sagte sie auf einmal und nutzte die vorübergehende Gesprächspause, um sich Gehör zu verschaffen. „Aber da Freida und Phillip sich verspäten, werde ich es eben ohne sie erzählen. Ich habe Neuigkeiten.“

Ihre Worte hatten einen verblüffenden Effekt. Obwohl ihre Aussage an sich kein Grund zur Beunruhigung war, legte sich ein Schatten über Reggie Lyons Gesicht, und auf einen Schlag war es im Raum mucksmäuschenstill.

Sie schwieg einen Moment, vermutlich um die deutliche Bestürzung auszukosten, dann fuhr sie fort. „Wir müssen die Tatsache nicht totschweigen, dass es nach der Veröffentlichung meines Buchs Der Tod im Winter einige Unannehmlichkeiten gab.“

„Unannehmlichkeiten“, wiederholte Beatrice Kline in eisigem Ton. „So nennst du also unseren Ruin – und Bradfords Tod?“

„Ich habe die Wahrheit so wiedergegeben, wie ich sie wahrgenommen habe. Die Folgen sind nicht meine Schuld.“

„Nicht deine Schuld?“, fauchte Beatrice. Sie war bleich geworden und in ihren Augen glänzte eine Mischung aus Zorn und Trauer. Was sie auch für ihn empfunden haben mochte, leicht hatte sie Bradford Glenns Freitod offenbar nicht genommen. „Das war von Anfang an alles deine Schuld. Du hättest diejenige sein sollen, die stirbt.“

Isobel stieß ein leises Lachen aus, die dunklen Augen leuchteten. „Und schon sind die Krallen ausgefahren. Du warst schon immer die Ehrliche, Beatrice. Du machst einem nichts vor. So ist es doch viel besser, oder?“

Niemand sagte etwas. Bis auf Beatrice hatte es offenbar allen die Sprache verschlagen. Ich sah zu Reggie Lyons. Er biss die Zähne aufeinander, das Gesicht kreideweiß.

Ein Lächeln umspielte Isobels Lippen, während sie den Blick über den Tisch schweifen ließ. Sie genoss jeden einzelnen Moment.

„Ich denke, nun, da wir so ehrlich zueinander sind, ist der perfekte Augenblick gekommen, meine Ankündigung zu machen. In dem Buch wurden viele Geheimnisse gelüftet, aber selbst ich wusste damals nicht, dass hinter der Geschichte noch mehr steckt. Seither sind Informationen zutage getreten, die ich bis zum richtigen Zeitpunkt für mich behalten habe, und nun ist es so weit.“ Sie unterbrach sich, und ihre Worte hingen in der Luft, bis sie uns den Gnadenstoß versetzte: „Ich habe beschlossen, einen zweiten Band zu schreiben.“

4

Einen Moment lang herrschte absolute Stille – mir war, als hätten selbst die Holzscheite im Kamin aufgehört zu knistern –, bis Reggie Lyons laut fluchend aufsprang und sein Stuhl zu Boden polterte. „Das darfst du nicht, Isobel.“

„Aber das werde ich, Reggie.“

„Das lasse ich nicht zu“, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Isobel lachte leise und kehlig, aber auf einmal war ihr Blick hart. „Ich bezweifle, dass du in der Lage bist, das zu verhindern.“

Sein Gesicht wurde puterrot und einen Augenblick lang fürchtete ich, er würde einen Schlaganfall erleiden.