Ein böser Wunsch wird wahr - Viola Maybach - E-Book

Ein böser Wunsch wird wahr E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Diese Serie von der Erfolgsschriftstellerin Viola Maybach knüpft an die bereits erschienenen Dr. Laurin-Romane von Patricia Vandenberg an. Die Familiengeschichte des Klinikchefs Dr. Leon Laurin tritt in eine neue Phase, die in die heutige moderne Lebenswelt passt. Da die vier Kinder der Familie Laurin langsam heranwachsen, möchte Dr. Laurins Frau, Dr. Antonia Laurin, endlich wieder als Kinderärztin arbeiten. Somit wird Antonia in der Privatklinik ihres Mannes eine Praxis als Kinderärztin aufmachen. Damit ist der Boden bereitet für eine große, faszinierende Arztserie, die das Spektrum um den charismatischen Dr. Laurin entscheidend erweitert. »Frau Doktor«, sagte Carolin Suder, »da ist eine Frau mit ihrer Tochter, die sich offenbar am Fuß verletzt hat. Das Mädchen weint, und die Mutter zeigt immer auf den Fuß der Kleinen, sie spricht nur gebrochen Deutsch. Das Mädchen hat noch keinen Ton gesagt, nur geweint.« »Schicken Sie die beiden herein«, bat Antonia Laurin. Gleich darauf betrat eine dunkelhaarige Frau, die Antonia auf Ende dreißig schätzte, das Sprechzimmer. Sie stützte ein Mädchen von neun oder zehn Jahren. »Guten Tag«, sagte die Frau leise, mit deutlich hörbarem Akzent. Sie zeigte auf sich. »Mona Harari.« Dann auf das Mädchen. »Tochter. Samira.« Zuletzt auf Samiras Fuß. »Kaputt«, sagte sie. Antonia zeigte auf sich. »Doktor Laurin«

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Der neue Dr. Laurin – 23 –

Ein böser Wunsch wird wahr

Aber die kleine Kaja Laurin zeigt eine bewundernswerte Haltung

Viola Maybach

»Frau Doktor«, sagte Carolin Suder, »da ist eine Frau mit ihrer Tochter, die sich offenbar am Fuß verletzt hat. Das Mädchen weint, und die Mutter zeigt immer auf den Fuß der Kleinen, sie spricht nur gebrochen Deutsch. Das Mädchen hat noch keinen Ton gesagt, nur geweint.«

»Schicken Sie die beiden herein«, bat Antonia Laurin.

Gleich darauf betrat eine dunkelhaarige Frau, die Antonia auf Ende dreißig schätzte, das Sprechzimmer. Sie stützte ein Mädchen von neun oder zehn Jahren.

»Guten Tag«, sagte die Frau leise, mit deutlich hörbarem Akzent. Sie zeigte auf sich. »Mona Harari.« Dann auf das Mädchen. »Tochter. Samira.« Zuletzt auf Samiras Fuß. »Kaputt«, sagte sie.

Antonia zeigte auf sich. »Doktor Laurin«, erwiderte sie, wobei sie freundlich lächelte, bevor sie auf die Untersuchungsliege wies.

Mona Harari verstand sie sofort. Gemeinsam halfen sie dem noch immer weinenden Mädchen auf die Liege, wo die Mutter ihrer Tochter ganz selbstverständlich Schuh und Strumpf auszog, mit behutsamen Bewegungen. Dennoch verstärkte sich Samiras Weinen.

Der Fuß sah in der Tat böse aus: blaurot und dick geschwollen.

Als Antonia ihn auch nur vorsichtig berührte, schrie Samira vor Schmerzen auf.

Doch Antonia musste ihn abtasten, auch ein bisschen drehen, das konnte sie dem Mädchen nicht ersparen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass ein Röntgenbild zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll war. Die Schwellung war zu stark. Sollte der Fuß gebrochen sein, würde man es möglicherweise auf dem Röntgenbild nicht einmal erkennen können.

Sie zeigte auf den Fuß. »Wie ist das passiert?«, fragte sie.

»Spielen«, sagte die Mutter. »Springen.« Sie machte es vor. »Und dann so.« Sie tat, als knickte sie mit dem Fuß um.

Antonia nickte, so etwas hatte sie sich schon gedacht. Sie trug kühlende Salbe auf. Bei der ersten Berührung zuckte das Mädchen wieder zurück, aber als es die lindernde Wirkung der Salbe bemerkte, hielt es still. Antonia umwickelte Fuß und Gelenk mit einem recht festen Verband und wandte sich erneut an die Mutter, da sie annahm, dass das Kind noch weniger Deutsch sprach als diese. Sie holte einen Kalender und tippte auf das Datum, das sie meinte. »Wiederkommen«, sagte sie.

Mona Hararis Blick war fragend. Sie schüttelte den Kopf. »Was bedeutet?«

Zu Antonias Überraschung öffnete das Mädchen zum ersten Mal den Mund und sagte ein paar Worte auf Arabisch zu seiner Mutter. »Du verstehst, was ich sage?«, fragte Antonia.

»Ja«, antwortete Samira mit schüchternem Lächeln. »Ist der Fuß kaputt?«

»Du meinst, ob er gebrochen ist?«

Samira nickte. In ihren Wimpern hingen noch Tränen, aber sie weinte nicht mehr.

»Er ist zu stark geschwollen, deshalb habe ich kein Röntgenbild gemacht. Weißt du, was ein Röntgenbild ist?«

Samira schüttelte den Kopf.

Mona Harari stellte eine Frage, es gab einen schnellen Informationsaustausch zwischen Mutter und Tochter.

»Sag deiner Mama, dass ich den Fuß in zwei Tagen noch einmal ansehen möchte. Ich glaube nicht, dass er gebrochen ist, aber ich würde in zwei Tagen eine Röntgenaufnahme machen, um ganz sicherzugehen. Warte, ich zeige dir, was das ist.«

Antonia holte eine Aufnahme aus ihrem Aktenschrank. »So sieht das aus, ich kann in deinen Fuß hineinsehen, verstehst du?«

Wieder gab es ein schnelles Gespräch zwischen Samira und ihrer Mutter, die sich offenbar bemühte, alles zu verstehen, was Antonia sagte, aber ihre Deutschkenntnisse reichten noch nicht aus.

»Wie ist das jetzt mit den Schmerzen?«

Samira lächelte dankbar. »Fast weg«, sagte sie.

Sie war ein hübsches Mädchen mit ihren dunklen Augen und den schwarzen Haaren. Sie sah ihrer Mutter sehr ähnlich.

»Du solltest den Fuß ruhig halten in den nächsten beiden Tagen, Samira.«

»Ruhig halten?«

»Nicht laufen.«

»Aber ich muss zur Schule! Ich kann nicht fehlen, ich muss gute Noten haben, weil ich aufs Gymnasium will. Ich will Ärztin werden, wie Sie.«

»Wie alt bist du?«

»Neun, bald werde ich zehn.«

»Warte einen Moment, bitte.«

Antonia rief nach Carolin. »Haben wir ein paar Krücken, die wir Samira leihen könnten?«

Carolin nickte, verschwand und kehrte gleich darauf mit zwei Krücken zurück, die zwar farblich nicht zueinander passten, aber dafür die richtige Größe für das Mädchen hatten.

»Probier mal aus, ob du damit gehen kannst, Samira.«

Zuerst stellte die Kleine sich ungeschickt an, aber sie hatte den Bogen bald heraus und lief mit den Krücken durchs Sprechzimmer.

»Sei vorsichtig damit, lauf nicht zu schnell«, mahnte Antonia. »Am Sportunterricht kannst du natürlich nicht teilnehmen, ich schreibe dir ein Attest.«

»Attest?«, fragte Samira. »Was ist das?«

»Eine Art Entschuldigung, damit dein Sportlehrer weiß, dass du eine Verletzung hast und nicht etwa den Unterricht schwänzen willst. Du weißt doch, was ›schwänzen‹ bedeutet?«

Samira nickte. »Krank spielen«, sagte sie.

Zum Abschied ergriff Mona Harari Antonias Hand mit ihren beiden Händen. »Vielen Dankeschön!«, sagte sie. »Gute Arzt, Sie!«

»Bis übermorgen, Frau Harari«, erwiderte Antonia. »Nicht vergessen, Samira!«

»Bestimmt nicht«, versprach Samira und führte beim Verlassen der Praxis vor, wie gut sie bereits mit den Krücken umgehen konnte.

»Das Mädchen spricht schon gut Deutsch, und die Mutter lernt es bestimmt auch schnell«, sagte Antonia. »Sie versteht schon ziemlich viel, nur sprechen kann sie noch nicht gut. Ich habe vergessen zu fragen, aus welchem Land sie kommen.«

»Aus Syrien«, erwiderte Carolin. »Frau Harari hat mir ihre Papiere gezeigt. Sie haben hier in der Nähe eine Wohnung gefunden, deshalb sind sie wahrscheinlich auch bei uns in der Praxis gelandet.«

Antonia nickte, dann riss sie ihre Gedanken von den Samira und Mona Harari los und fragte: »Wer ist der Nächste?«

»Carlo Klötzer muss geimpft werden«, antwortete Carolin.

»Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir das große Geschrei dieses Mal verhindern können.«

»Ich bin da nicht sehr hoffnungsvoll, muss ich gestehen«, sagte Carolin und eilte zum Wartezimmer, um den dreijährigen Carlo und seinen Papa, der ihn dieses Mal begleitete, ins Sprechzimmer zu rufen. Carlo brüllte schon, wenn er eine Spritze nur von Ferne sah – so war es bislang jedes Mal gewesen, und kein Trick hatte daran etwas ändern können.

Das Gebrüll setzte zwei Minuten, nachdem die Sprechzimmertür sich hinter Carlo und seinem Vater geschlossen hatte, ein.

»Na, also«, murmelte Carolin, »wusste ich’s doch.«

*

»So, Frau Diersch«, sagte Nicole Pfister. »Nun sehen Sie sich mal an.«

Die junge Frau öffnete erwartungsvoll die Augen und sagte dann erst einmal nichts.

Sie sagte so lange nichts, dass Nicole nervös wurde. »Sind Sie nicht zufrieden?«, fragte sie schließlich. Das konnte sie sich eigentlich nicht vorstellen, denn von der grauen Maus, als die Gesa Diersch ihren Kosmetiksalon betreten hatte, war nichts mehr übrig.

»Sind Sie verrückt, Frau Pfister? Ich bin einfach … überwältigt. Wie haben Sie das gemacht? Ich wusste überhaupt nicht, dass ein bisschen Farbe so viel verändern kann.«

Nicole musste lachen. Ihre Erleichterung war groß. Es kam durchaus vor, dass Kundinnen nicht zufrieden waren, vor allem wenn sie sehr genaue Vorstellungen davon gehabt hatten, wie sie aussehen wollten. Ein bisschen zaubern konnte Nicole natürlich immer, aber sie konnte aus einer langen Nase kein Stupsnäschen machen und aus unreiner Haut keinen Seidenteint.

»Es ist nicht nur ein bisschen Farbe«, sagte sie. »Es kommt auch darauf an, wo man die Farbe aufträgt – und welche Farben man wählt. Ein Make-up soll immer natürlich und … mühelos wirken. Selbstverständlich.«

»Ich weiß nicht, wie Sie das ­gemacht haben«, staunte Gesa Diersch, »aber eins steht fest: So kriege ich das nie hin. Ich kann doch aber ab jetzt nicht jeden Tag zu Ihnen zum Schminken kommen.«

»Das wird auch nicht nötig sein, ich zeige Ihnen, was Sie machen müssen, und dann üben Sie eine Weile, bis Sie es auch können. Man kann das lernen.«

Als Gesa Diersch den Kosmetiksalon schließlich verließ, hatte sie auch noch einiges gekauft, und Nicole konnte auf einen sehr zufriedenstellenden Tag zurückblicken. Das war auch nötig, in letzter Zeit waren ihre Einnahmen etwas zurückgegangen. Noch kein Grund zur Panik, aber sie hatte jetzt schon in zwei aufeinanderfolgenden Monaten ihre Ersparnisse angreifen müssen, das machte sie nervös. Sie würde demnächst wieder einmal eine Werbeaktion starten, um mehr Kundinnen in ihren Kosmetiksalon zu locken. Aber auch eine Werbeaktion kostete erst einmal Geld, leider. Zum Glück war die Miete für den Salon hier im Münchener Südwesten noch erschwinglich. In Schwabing hätte sie ihn erst gar nicht eröffnen können.

Gesa Diersch war ihre letzte Kundin an diesem Tag gewesen. Also rechnete sie ab, räumte noch auf und verließ den Salon. Aber statt nach Hause oder in den nächsten Supermarkt zu gehen, wo sie noch einkaufen musste, da sie nichts mehr zu essen im Haus hatte, lenkte sie ihre Schritte Richtung Park. Sie ging schnell, das Laufen tat ihr gut nach einem Tag, den sie weitgehend im Stehen, dazu noch in gebeugter Haltung verbracht hatte. Ihre Laune war nach der Behandlung von Frau Giersch ohnehin schon gut gewesen, jetzt hob sie sich weiter. Ein freier Abend lag vor ihr! Sie würde sich etwas Leckeres zum Abendessen machen und danach die Füße hochlegen und vielleicht einen Film ansehen. Oder mit ihrer Freundin Eva telefonieren. Oder mal wieder ein Buch lesen.

Nachdem sie eine halbe Stunde gelaufen war, fühlte sich ihr Körper wieder locker und geschmeidig an. Sie erledigte ihre Einkäufe – es würde Hähnchenbrust und Salat geben – und machte sich an den Aufstieg zu ihrer Altbauwohnung unterm Dach, selbstverständlich ohne Aufzug.

Sie behauptete nicht nur, dass das viele Treppensteigen sie fit hielt, sie war auch davon überzeugt. Das Haus gehörte drei Geschwistern, die es geerbt und offenbar beschlossen hatten, das Geld, das ihnen die Mieten einbrachten, zu nehmen, aber möglichst wenig davon wieder in das Haus zu stecken. Wenn etwas renoviert werden musste, wurden grundsätzlich die billigsten Handwerker und Materialien genommen, und so sah es mittlerweile auch aus. Das Treppenhaus war ein Trauerspiel: Die alten Holzstufen waren abgetreten und ausgelaugt, die Farbe an den Wänden blätterte ab, auch die Fensterrahmen hätten dringend einen neuen Anstrich gebraucht. Jedes Jahr im Winter gab es Probleme mit der Zentralheizung im Keller, aber eine neue war noch immer nicht angeschafft worden. An einer Stelle war das Dach undicht geworden, geflickt hatte man es mit etwas, das aussah wie Dachpappe. Es war einst ein schönes, stolzes Haus gewesen, doch auch die Fassade war grau geworden, an einigen Stellen bröckelte der Putz.

Nicole hatte sich schon oft gefragt, wie die Hausbesitzer so blind sein konnten: Mit jedem Jahr, das verstrich, ohne dass am Haus etwas gemacht wurde, wurden die Schäden größer, der Reparaturbedarf wuchs. Irgendwann würden die Kosten für das, was man machen musste, um die Bausubstanz zu erhalten, gigantisch sein. Aber das kümmerte offenbar niemanden. Die Geschwister hatten schlicht kein Interesse an ihrem Haus und seinem Schicksal. Sie selbst, hätte sie ein Haus gehabt, hätte es jedenfalls ganz anders gemacht. Aber natürlich würde sie niemals ein Haus haben. Sie konnte froh sein, wenn sie ohne Schulden über die Runden kam.

Einen Vorteil hatte das fehlende Interesse der Eigentümer natürlich für die Mieter: Da alle Wohnungen, wenn überhaupt, von den Mietern selbst renoviert wurden, gab es auch keinen Grund für Mieterhöhungen. Man wohnte in diesem Haus erstaunlich preiswert, allerdings auch ohne Komfort.

Im Dachgeschoss befanden sich zwei Wohnungen, neben Nicole war vor einiger Zeit eine syrische Familie mit zwei Kindern eingezogen, einem Mädchen und einem Jungen. Die Eltern waren freundlich, aber zurückhaltend, die beiden Kinder jedoch hatten sich gleich mit Nicole angefreundet. Fadil war sechzehn Jahre alt, Samira war fast zehn. Die beiden sprachen schon gut Deutsch, ihr Vater ebenfalls, die Mutter kämpfte noch mit der Sprache, machte aber erkennbar Fortschritte.

Sie wollte gerade ihre Wohnung betreten, als nebenan die Tür aufgerissen wurde und Samira erschien. Ihr Fuß war verbunden, sie ging an Krücken.

»Was ist dir denn passiert?«, fragte Nicole erschrocken.

»Beim Spielen«, sagte Samira. »Geknickt.«

»Umgeknickt?«

Samira nickte.

»Ist er gebrochen?«

»Vielleicht nicht. Die Ärztin hat gesagt, sie will warten, bis sie reinguckt, weil er noch so geschwollen ist.«

»Bis sie reinguckt? Du meinst, bis sie eine Röntgenaufnahme macht?«

Wieder nickte Samira. »Wir gehen wieder zu ihr, übermorgen.«

Ihre Mutter erschien, grüßte freundlich.

»Tag, Frau Harari«, sagte Nicole. »Samira hat mir gerade erzählt, dass sie sich am Fuß verletzt hat.«

»Vielleicht nicht so schlimm«, erwiderte Mona Harari, dann sagte sie etwas auf Arabisch zu ihrer Tochter, und nickte Nicole noch einmal freundlich zu.

»Wir essen jetzt«, sagte Samira. »Bis morgen, Nicole.«

»Einen schönen Abend noch, und gute Besserung, Samira.«

Nicole briet die Hähnchenbrust und machte sich einen bunten Salat. Nachdem sie gegessen hatte, telefonierte sie eine halbe Stunde mit ihrer Freundin Eva und entschied sie sich danach für einen faulen Abend auf ihrem Sofa, mit einem ihrer Lieblingsfilme.

*

Beim Abendessen erzählte Antonia ihrem Mann und den Kindern von dem syrischen Mädchen und seiner Mutter. Leon war ausnahmsweise schon vor ihr zu Hause gewesen, er habe, berichtete er, einen ruhigen Tag in der Klinik gehabt und sich deshalb entschieden, die Gelegenheit zu nutzen und früh nach Hause zu gehen. Seit er die Kayser-Klinik leitete, die seinerzeit von ­Antonias Vater, Professor Joachim Kayser, eröffnet worden war, musste er sich dreiteilen, wie er manchmal scherzhaft anmerkte: in den Klinikchef, den Gynäkologen und den Chirurgen. Aber ihm gefiel es so, und er hätte auf keinen Bereich seiner Arbeit verzichten wollen.

Als Antonia gekommen war, stand das Essen schon auf dem Herd, es duftete köstlich – aber das war nichts Besonderes, so war es eigentlich jeden Tag, seit Simon Daume im Hause Laurin den Haushalt führte. Er war erst zweiundzwanzig Jahre alt, aber sie hatten seine Einstellung noch keinen Tag bereut. Sie hatten eigentlich eine Haushälterin gesucht, als Antonia beschlossen hatte, wieder zu arbeiten, aber die Wahl war schließlich auf Simon gefallen. Immer wieder überraschte er sie mit seinen ­außergewöhnlichen Kochkünsten, obwohl er bislang noch keine Ausbildung gemacht hatte. Er würde ein Sternekoch werden, später einmal, daran zweifelte bei den Laurins niemand.