Die Königin der Nacht - Viola Maybach - E-Book

Die Königin der Nacht E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Diese Serie von der Erfolgsschriftstellerin Viola Maybach knüpft an die bereits erschienenen Dr. Laurin-Romane von Patricia Vandenberg an. Die Familiengeschichte des Klinikchefs Dr. Leon Laurin tritt in eine neue Phase, die in die heutige moderne Lebenswelt passt. Da die vier Kinder der Familie Laurin langsam heranwachsen, möchte Dr. Laurins Frau, Dr. Antonia Laurin, endlich wieder als Kinderärztin arbeiten. Somit wird Antonia in der Privatklinik ihres Mannes eine Praxis als Kinderärztin aufmachen. Damit ist der Boden bereitet für eine große, faszinierende Arztserie, die das Spektrum um den charismatischen Dr. Laurin entscheidend erweitert. »Der Laden ist wunderschön geworden, Teresa«, sagte Antonia Laurin. »Ich finde, er wertet die ganze Straße auf.« »Komisch, so ähnlich hat sich mein Vermieter gestern auch geäußert. Er hatte beinahe Tränen in den Augen, als ich ihn herumgeführt habe. Ich glaube, er hat sich nicht vorstellen können, dass aus seinen etwas heruntergekommenen Räumen etwas Vorzeigbares werden könnte«, erwiderte Teresa Kayser mit einem Lächeln. Sie war die zweite Frau von Antonias Vater, Professor Joachim Kayser. Er hatte die Professor-Kayser-Klinik im Münchener Südwesten gegründet, die seit einiger Zeit etwas schlichter ›Kayser-Klinik‹ hieß. Es war Antonias Mann Leon Laurin, der sie seit dem Rückzug seines Schwiegervaters leitete. »Bist du aufgeregt wegen der Eröffnung morgen?«, fragte Antonia. »Natürlich, mehr als aufgeregt. Ich glaube, ich habe seit einer Woche nicht mehr richtig geschlafen.« Teresa war Anfang sechzig, eine schöne, schlanke silberhaarige Frau mit unfehlbarem Stilempfinden. Meistens war sie elegant gekleidet, aber sie fühlte sich auch in sportlicher Kleidung wohl, wenn diese dem Anlass entsprach. Teresa hatte ihr gutgehendes Modegeschäft nach ihrer Heirat mit Joachim Kayser aufgegeben und sich erst in letzter Zeit eingestanden, wie schwer ihr das seinerzeit gefallen war. Den Anstoß zu einem Neustart hatte Antonias Entschluss gegeben, in ihren Beruf als Kinderärztin zurückzukehren. Joachim Kayser, der zu seiner Zeit noch ein sogenannter ›Halbgott in Weiß‹ gewesen war, hatte sein Entsetzen deutlich geäußert: sowohl über die Pläne seiner Tochter, die er wegen ihrer vier Kinder verantwortungslos fand, als auch über den Entschluss seiner Frau, denn der hatte natürlich empfindliche Auswirkungen auf seinen und ihren Alltag. Er war es gewöhnt, dass Teresa immer in seiner Nähe war, hatte sich aber nie gefragt, ob ihr vielleicht etwas fehlte.

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Der neue Dr. Laurin – 27 –

Die Königin der Nacht

Viola Maybach

»Der Laden ist wunderschön geworden, Teresa«, sagte Antonia Laurin. »Ich finde, er wertet die ganze Straße auf.«

»Komisch, so ähnlich hat sich mein Vermieter gestern auch geäußert. Er hatte beinahe Tränen in den Augen, als ich ihn herumgeführt habe. Ich glaube, er hat sich nicht vorstellen können, dass aus seinen etwas heruntergekommenen Räumen etwas Vorzeigbares werden könnte«, erwiderte Teresa Kayser mit einem Lächeln.

Sie war die zweite Frau von Antonias Vater, Professor Joachim Kayser. Er hatte die Professor-Kayser-Klinik im Münchener Südwesten gegründet, die seit einiger Zeit etwas schlichter ›Kayser-Klinik‹ hieß. Es war Antonias Mann Leon Laurin, der sie seit dem Rückzug seines Schwiegervaters leitete.

»Bist du aufgeregt wegen der Eröffnung morgen?«, fragte Antonia.

»Natürlich, mehr als aufgeregt. Ich glaube, ich habe seit einer Woche nicht mehr richtig geschlafen.«

Teresa war Anfang sechzig, eine schöne, schlanke silberhaarige Frau mit unfehlbarem Stilempfinden. Meistens war sie elegant gekleidet, aber sie fühlte sich auch in sportlicher Kleidung wohl, wenn diese dem Anlass entsprach. Teresa hatte ihr gutgehendes Modegeschäft nach ihrer Heirat mit Joachim Kayser aufgegeben und sich erst in letzter Zeit eingestanden, wie schwer ihr das seinerzeit gefallen war. Den Anstoß zu einem Neustart hatte Antonias Entschluss gegeben, in ihren Beruf als Kinderärztin zurückzukehren.

Joachim Kayser, der zu seiner Zeit noch ein sogenannter ›Halbgott in Weiß‹ gewesen war, hatte sein Entsetzen deutlich geäußert: sowohl über die Pläne seiner Tochter, die er wegen ihrer vier Kinder verantwortungslos fand, als auch über den Entschluss seiner Frau, denn der hatte natürlich empfindliche Auswirkungen auf seinen und ihren Alltag. Er war es gewöhnt, dass Teresa immer in seiner Nähe war, hatte sich aber nie gefragt, ob ihr vielleicht etwas fehlte. Nun wusste er, dass sie nicht wunschlos glücklich gewesen war, obwohl an ihrer Liebe zu ihm keinerlei Zweifel bestehen konnte.

Es hatte jedenfalls heftige Streitigkeiten gegeben, vor allem zwischen Joachim und seiner Tochter, die er vor allem mit dem Wort ›verantwortungslos‹ tief verletzt hatte. Doch diese Geschichten gehörten der Vergangenheit an. Joachim Kayser war in sich gegangen, hatte einige erstaunliche Erkenntnisse gewonnen und war heute stolz auf seine selbstbewusste Frau, die sich nicht damit zufriedengeben wollte, nur die ›Frau von Professor Kayser‹ zu sein – und auf seine Tochter, die zusammen mit ihrer Partnerin Maxi Böhler eine außerordentlich erfolgreiche Praxis betrieb, die an die Klinik angeschlossen war.

Teresa lachte leise. »Das Schönste ist, dass dein Vater mindestens so aufgeregt ist wie ich. Wenn ich bedenke, wie befremdet er war, als ich ihm gesagt habe, ich würde gern noch einmal einen Laden aufmachen … Er ist ja aus allen Wolken gefallen. Für ihn war das damals so, als hätte ich ihm gesagt, ich liebte ihn nicht mehr und würde ihn zugunsten eines anderen Mannes verlassen. Er hat mir später gestanden, dass es sich für ihn tatsächlich so angefühlt hat, stell dir das mal vor.«

»Leon war auch nicht begeistert von meinen Plänen, aber er hat sich meinen Argumenten nicht lange verschließen können. Ich war immerhin mehr als fünfzehn Jahre nur Hausfrau und Mutter. Er war gar nicht auf die Idee gekommen, dass das für mich auch den Verzicht auf meinen Beruf bedeutet hat und dass mir dieser Verzicht etwas ausmachen könnte.«

»Früher war die Welt für Männer und Frauen natürlich übersichtlicher und deshalb einfacher«, stellte Teresa nüchtern fest. »Die Männer gingen zur Arbeit und verdienten das Geld, die Frauen blieben zu Hause und zogen die Kinder groß. Klare Verhältnisse. Heute ist das alles etwas komplizierter geworden, nicht nur für die Männer, auch für die Frauen.«

»Du hast Leon und seine Schwester großgezogen und warst trotzdem berufstätig.«

»Weil ich musste. Damals habe ich mir oft gewünscht, ich hätte mehr Zeit für die beiden gehabt. Aber geschadet hat es ihnen nicht, dass sie eine berufstätige Pflegemutter hatten, glaube ich.«

Das Schicksal hatte es so gewollt, dass Teresa heute nicht nur Leons Pflege-, sondern auch seine Schwiegermutter war. Über diesen seltsamen Zufall sprach Antonia öfter mit ihrem Mann.

Sie blieb vor einem Ständer mit langen eleganten Kleidern stehen und zog eins davon heraus, ein nachtblaues Kleid aus dunkelblauer Seide mit einer tief ausgeschnittenen Corsage aus Spitze in einem etwas helleren Blau. »Wunderschön!«, murmelte sie. »Ein richtiges Traumkleid. Aber zu welchem Anlass trägt man so etwas?«

»Auf einem Ball, auf dem roten Teppich, bei der Oscar-Verleihung in Hollywood«, erwiderte Teresa, halb ernsthaft, halb im Scherz. »Du hast zufällig eins von meinen Kleidern erwischt.«

Antonia sah sie fragend an. »Was meinst du damit? Eins von deinen Kleidern, was soll das heißen?«

»Ich habe es entworfen«, antwortete Teresa schlicht. »Ich habe eigentlich nie aufgehört, immer mal wieder einzelne Modelle zu entwerfen. Wenn du wüsstest, wie viele Zeichnungen ich zu Hause habe … Das ist nun einmal mein Hobby. Ich wäre ja liebend gern Designerin geworden, aber das ließ sich mit meinen sonstigen Verpflichtungen nicht vereinbaren, deshalb ist es dann ein Modegeschäft geworden. Aber auch dort habe ich gelegentlich einzelne Modelle von mir verkauft, die ich von einer Schneiderin hatte anfertigen lassen. Natürlich war das immer ein Verlustgeschäft, aber ich hatte und habe großen Spaß daran, Kleidung zu entwerfen.«

Antonia hörte ihrer Stiefmutter – Teresa hasste dieses Wort! – mit wachsender Faszination zu.

»Dieser Entwurf war schon älter, ich habe ihn etwas abgeändert, der heutigen Mode entsprechend, aber ich wollte schon seit längerem einmal Seide und Spitze und ein dunkles Blau mit einem helleren kombinieren. Ich habe ziemlich lange daran gearbeitet. Zum Glück habe ich den guten Kontakt zu meiner Lieblingsschneiderin, die meine Vorstellungen immer perfekt umsetzen konnte, über die Jahre gepflegt. Ich trage ja ab und zu auch meine eigenen Modelle. So hatte ich gelegentlich einen Auftrag zu vergeben, und der Kontakt ist nicht eingeschlafen. Das hat sich jetzt als Glück erwiesen.« Sie lachte leise.

»Du bist eine Künstlerin!«, sagte Antonia ehrfürchtig.

»Ach was, ich habe manchmal gute Ideen, aber für eine Künstlerin sind es viel zu wenige«, widersprach Teresa heiter. »Und es würde nie im Leben für eine Kollektion reichen, dessen bin ich mir bewusst. Aber ich habe Spaß daran, und bisher hat sich auch alles verkauft, was ich selbst entworfen habe.«

»Darf ich das Kleid fotografieren? Es ist so schön, ich muss es Leon und den Kindern zeigen, vor allem den Mädchen.«

»Fotografier, so viel du willst, aber ich habe natürlich auch Fotos davon gemacht, die ich dir schicken kann.«

»Wer weiß, ob du daran denkst«, sagte Antonia. Sie machte mehrere Bilder, aus verschiedenen Blickwinkeln. »Ich wette mit dir, dass du es sofort verkaufst«, sagte sie. »Wenn ich wüsste, zu welcher Gelegenheit ich es anziehen könnte, käme ich selbst in Versuchung. Es ist wirklich hinreißend, Teresa.«

Teresa umarmte sie und gab ihr einen Kuss. »Ich danke dir«, sagte sie. »Aber in diesem Fall muss ich sagen, dass ich selbst zufrieden mit meiner Arbeit war. Das ist, wie du dir sicher denken kannst, nicht immer der Fall. Wir Frauen sind ja oft viel zu selbstkritisch.«

Sie hängten das Kleid zurück zu den anderen, und Antonia verstaute ihr Handy wieder.

»Ihr kommt also morgen zur Eröffnung?«

»Kaja, Kyra und ich. Meine Männer haben gesagt, sie schauen mal vorbei, aber sie wollen warten, bis der größte Ansturm vorüber ist. Außerdem gibt es für sie ja nichts zu kaufen hier, und Kleider ansehen ist nicht direkt eins ihrer Hobbys.«

Teresa lachte. »Sie müssen überhaupt nicht kommen, sag ihnen das. Ich freue mich, wenn sie gelegentlich mal im Geschäft vorbeischauen, aber eine solche Eröffnung ist natürlich vor allem etwas für uns Frauen.«

»Aber mein Vater wird doch hier sein?«

»Ja, ich glaube aber nicht, dass er lange bleibt. Ihm geht es ja ähnlich wie Leon und den Jungs.«

»Na ja, aber er hat es schon gern, wenn du gut angezogen bist.«

»Ja, aber Kleidern auf einer Stange kann er weniger abgewinnen.«

»Wie läuft das denn morgen ab?«

»Oh, wir machen eine kleine Modenschau, ich habe ein paar hübsche Frauen mit normalen Figuren engagiert, zwischen Mitte dreißig und sechzig, die etliche Modelle vorführen. Ich wende mich ja nicht an das ganz junge Publikum, das können andere besser. Außerdem sind die Sachen, die wir hier anbieten, für Mädchen und sehr junge Frauen in der Regel zu teuer. Insofern fürchte ich, dass es auch für Kaja und Kyra etwas langweilig werden wird.«

»Bestimmt nicht«, widersprach Antonia. »Kaja interessiert sich sehr für Mode, für stilvoll angezogene Frauen, und Kyra freut sich einfach, dich zu sehen und etwas gemeinsam mit ihrer Mama und ihrer großen Schwester zu unternehmen.«

»Für dich habe ich etwas im Auge«, sagte Teresa. »Ein sehr schönes Kleid, mit dem du Leon überraschen könntest, wenn er dich an eurem Hochzeitstag zum Essen ausführt.«

»An unserem …« Antonia stockte. »Verflixt, Teresa, der ist ja bald. Wenn du ihn jetzt nicht erwähnt hättest, ich glaube, ich hätte ihn vergessen.«

»Hier, sieh mal«, sagte Teresa und nahm das Kleid, das sie im Auge hatte, von der Stange. Es war korallenrot, schmal geschnitten, mit einem locker fallenden Rock und ziemlich tiefem Ausschnitt. Es sah weich und fließend aus, das perfekte elegante Sommerkleid.

Sie sah sofort, dass sie Antonias Geschmack getroffen hatte.

»Es ist wunderschön, Teresa, aber ich glaube nicht …«

»Probier es doch schnell einmal an, ich will nur wissen, ob es so an dir aussieht, wie ich es mir vorstelle …«

Antonia konnte nicht widerstehen. Sie schlüpfte in das Kleid und bekam große Augen, als sie sich selbst im Spiegel sah. »Ich sehe zehn Jahre jünger aus!«, sagte sie, als sie die Umkleidekabine verließ.

»Und sehr, sehr attraktiv«, stellte Teresa zufrieden fest. »Ich mache dir natürlich einen Sonderpreis.«

»Aber …«

»Oder noch besser: Ich schenke es dir.«

»Das kommt überhaupt nicht infrage«, erklärte Antonia energisch. »Und ich will auch keinen Sonderpreis, Teresa, es ist ja nicht so, dass ich es mir nicht leisten könnte, mal etwas mehr für ein Kleid zu bezahlen. Ich denke nur, dass ich eigentlich genug Kleider im Schrank hängen habe und dass …«

»Ja, ich weiß, wir alle sollten weniger einkaufen, aber dies Kleid ziehst du auch in zehn Jahren noch an, wetten? Trotz seiner Farbe ist es nämlich sehr leicht zu verändern. Man kann sogar einen Pulli darüber anziehen, weil das Oberteil so eng ist. Dann hat man in der Übergangszeit einen attraktiven Rock. Man kann eine streng geschnittene Jacke dazu anziehen, dann wirkt es wie ein Kostüm. Hier, ich zeige dir mal, was ich meine …«

Es dauerte keine Viertelstunde, bis Antonia nicht nur das Kleid, sondern auch einen dazu passenden Pulli und die von Teresa erwähnte streng geschnittene Jacke gekauft hatte. »Du bist wirklich die geborene Geschäftsfrau, Teresa«, sagte sie, als sie das Geschäft verließ. »Ich wollte überhaupt nichts kaufen, und jetzt …«

»Viel Spaß mit den Sachen«, sagte Teresa lachend und küsste sie zum Abschied auf beide Wangen. »Und erzähl mir bei Gelegenheit, wie Leon auf das Kleid reagiert hat!«

*

Corinna Erichsen betrachtete sich im unbarmherzigen Licht ihres Badezimmerspiegels.

Nächstes Jahr würde sie fünfzig werden, für eine Schauspielerin kein ganz einfaches Alter. Sie war schön, nach wie vor, aber sie sah die Zeichen des Alters überall, obwohl sie einiges dafür tat, um in Form zu bleiben. Ihre Figur war tadellos, gegen noch so kleine Pölsterchen auf den Hüften ging sie energisch vor, mit Erfolg.

Im Gesicht allerdings hatte sie schon ein paar kleinere Korrekturen vornehmen lassen müssen, die zum Glück unbemerkt geblieben waren. Größere Veränderungen wie etwa eine Nasenkorrektur oder eine Betonung ihrer Wangenknochen zog sie nicht in Betracht – sie wollte ihr Gesicht nicht verlieren. Und nie würde sie ihre Lippen aufspritzen lassen – zu auffällig, zu gewöhnlich – aber die Straffung ihrer Lider hatte sich bezahlt gemacht. Sie würde sie allerdings bei Gelegenheit wiederholen müssen.

Nun bemerkte sie eine leichte Schlaffheit ihrer Kinnpartie, die ihr Sorgen machte. Sie würde mit dem plastischen Chirurgen, auf dessen Diskretion sie sich hundertprozentig verlassen konnte, darüber reden müssen. Und so, dachte sie mit einem Anflug von Müdigkeit, geht das ab jetzt immer weiter. Jedes Jahr ein neuer Makel, bis man irgendwann aufgibt und einfach alt wird.

Sie schaltete das Licht aus und verließ das Badezimmer. Natürlich färbte sie sich längst die Haare, und sie hatte sich ebenmäßige Zähne machen lassen, aber das taten schließlich auch Jüngere schon. Alles in allem konnte sie zufrieden sein. Sie war gesund, ging nicht auseinander wie so manche gleichaltrige Kolleginnen, sie neigte nicht übermäßig zu Falten, bekam nur wenige Altersflecken, und sie war nach wie vor sehr gut im Geschäft. Aber damit das so blieb, war sie entschlossen, auch weiterhin alles Notwendige zu tun.

Sie hatte bei der Auswahl ihrer Rollen ein gutes Händchen bewiesen: Sie spielte sowohl in kommerziell erfolgreichen Kinokomödien mit als auch in ernsten, anspruchsvollen Produktionen, nahm Fernsehrollen an, die sie populär gemacht hatten, und gelegentlich spielte sie auch eine große Rolle an einem der berühmten Theater des Landes.

Sie war eine ausgezeichnete Schauspielerin, und sie galt als diszipliniert, was sie tatsächlich war, sowie als unkompliziert, was sie ganz gewiss nicht war. Aber das wusste sie zu verbergen, schließlich verstand sie ihr Handwerk. Niemand wusste, dass ihre Angst vor jüngeren Konkurrentinnen sie oft nachts nicht schlafen ließ, doch sie sorgte dafür, jederzeit selbstsicher und souverän zu wirken. Wurde sie auf ihr Alter angesprochen, lachte sie und behauptete mit ihrer silberhellen Stimme: »Darüber mache ich mir nun wirklich keine Gedanken, ich kann ja doch nichts daran ändern.«

Das war gelogen. Sie hatte die feste Absicht, dem Alter die Stirn zu bieten.