Der neue Dr. Laurin Doppelband - Viola Maybach - E-Book

Der neue Dr. Laurin Doppelband E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Diese Serie von der Erfolgsschriftstellerin Viola Maybach knüpft an die bereits erschienenen Dr. Laurin-Romane von Patricia Vandenberg an. Die Familiengeschichte des Klinikchefs Dr. Leon Laurin tritt in eine neue Phase, die in die heutige moderne Lebenswelt passt. Da die vier Kinder der Familie Laurin langsam heranwachsen, möchte Dr. Laurins Frau, Dr. Antonia Laurin, endlich wieder als Kinderärztin arbeiten. Somit wird Antonia in der Privatklinik ihres Mannes eine Praxis als Kinderärztin aufmachen. Damit ist der Boden bereitet für eine große, faszinierende Arztserie, die das Spektrum um den charismatischen Dr. Laurin entscheidend erweitert. E-Book 1: Das Geheimnis der schönen Antonia E-Book 2: Ich will ein Baby! E-Book 1: Das Geheimnis der schönen Antonia E-Book 2: Ich will ein Baby!

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Inhalt

Leseprobe

Das Geheimnis der schönen Antonia

Ich will ein Baby!

Leseprobe: Familie Dr. Norden

Unveröffentlichte Romane

E-Book 1: Immer wieder Dr. Lammers!

E-Book 2: Da stimmt doch etwas nicht?

E-Book 3: In einer anderen Welt

E-Book 4: Deutliche Zeichen

E-Book 5: Leben heißt Veränderung

Der neue Dr. Laurin – 1 –

Der neue Dr. Laurin Doppelband

Viola Maybach

Das Geheimnis der schönen Antonia

Eifersucht hatte Leon niemals gekannt

Roman von Maybach, Viola

Dr. Leon Laurin stand wie festgewachsen auf einer belebten Straße in der Münchener Innenstadt, während er seine Frau Antonia, die vor einem Café auf der anderen Straßenseite saß, nicht aus den Augen ließ. Seit mehr als siebzehn Jahren waren sie miteinander verheiratet, hatten vier Kinder, führten, jedenfalls seiner Ansicht nach, eine glückliche Ehe. Und nun sah er sie zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit mit ihrem Jugendfreund Ingo Ewert in sehr vertrautem und angeregtem Gespräch – und auch dieses Mal, daran zweifelte er nicht, würde sie die Begegnung zu Hause ihm gegenüber nicht erwähnen.

Er war der Ansicht gewesen, die Eifersucht seiner frühen Jahre längst überwunden zu haben, nun musste er feststellen, dass er einem Irrtum erlegen war. Am liebsten hätte er Ingo Ewert – Dr. Ingo Ewert, Leiter der Kinderklinik Dr. Ewert – direkt zur Rede gestellt. Oder noch besser: ihn am Kragen gepackt und geschüttelt und Auskunft darüber verlangt, wie er dazu kam, am helllichten Tag mit seiner, Leons, Ehefrau in einem Café zu sitzen und sich allem Anschein nach gut zu unterhalten. Jetzt griff er sogar nach ihrer Hand und drückte sie! Leon hatte Mühe, an sich zu halten.

Als er die beiden vor zwei Wochen das erste Mal zusammen gesehen hatte, war er noch überzeugt gewesen, Antonia werde ihn mit den Worten empfangen: »Rate mal, wen ich heute getroffen habe!«

Aber nichts Dergleichen war geschehen, kein Wort hatte sie gesagt, sie hatte Ingo Ewert nicht einmal erwähnt. Dabei wusste er ja nur zu gut, dass Ingo früher einmal bis über beide Ohren in Antonia verliebt gewesen war. Allem Anschein nach war er es immer noch.

Er musste sie zur Rede stellen, er brauchte Gewissheit. Aber vielleicht war alles ganz harmlos, und er sah Gespenster. Dann würde sie ihn auslachen, und er stünde da wie der letzte Depp. War es also doch besser, ruhig abzuwarten, bis Antonia von sich aus auf ihn zukam, um mit ihm über Ingo zu sprechen? Aber was würde sie ihm dann sagen? ›Ich verlasse dich, Leon, es tut mir leid, aber ich habe erkannt, dass Ingo meine einzige wahre Liebe ist‹?

Seine Augen brannten. Er war ein sehr erfolgreicher Arzt und der geschätzte und geachtete Chef der Kayser-Klinik vor den Toren Münchens, die er einige Zeit nach der Hochzeit mit Antonia von seinem Schwiegervater Professor Joachim Kayser übernommen hatte. Seine Arbeit war ihm wichtig, aber alles, was er in seinem Leben erreicht hatte, zählte nichts angesichts der Aussicht, Antonia zu verlieren, seine Liebe, seinen Halt.

»Führst du Selbstgespräche?«

Er fuhr herum. »Schon fertig?«, fragte er.

»Klar, ich habe doch nur ein Pfund Kaffee gebraucht.«

Er war mit Sandra Brink, seiner Schwester, in die Innenstadt gefahren, weil er ihr helfen sollte, ein Geburtstagsgeschenk für Kyra, seine jüngste Tochter zu kaufen. Sie wurde elf. Sie hatten eine sehr schöne Smartphone-Hülle gefunden und noch ein niedliches T-Shirt mit Aufdruck, Kyra liebte solche T-Shirts. Sie war sein heimlicher Liebling, weil sie Antonia so ähnlich sah, deshalb wusste er über ihre Wünsche ziemlich gut Bescheid.

»Also, wieso führst du Selbstgespräche?«

»Das tue ich überhaupt nicht, du siehst Gespenster!«

Sandra betrachtete ihn prüfend. Da er verhindern wollte, dass sie Antonia und ihren Jugendfreund auf der anderen Straßenseite entdeckte, setzte er sich langsam in Bewegung und lotste sie aus der Gefahrenzone.

»Ich fand dich letzte Woche schon verändert, du wirkst so nervös. Habt ihr Ärger zu Hause?«

Einen kurzen Moment lang war er versucht, ihr zu erzählen, was ihm zu schaffen machte, aber dann entschied er sich doch dagegen. Sandra würde ihm raten, mit Antonia zu reden, was zweifellos vernünftig gewesen wäre, aber er wusste, er würde es nicht tun. Er würde nicht zugeben, dass er schon mehrmals nachts aufgewacht war, weil er geträumt hatte, dass Antonia ihn und die Kinder verließ …

»Ich sag’s doch: Du siehst Gespenster.« Er schaffte es, seine Stimme fest klingen zu lassen. Den skeptischen Blick seiner Schwester übersah er geflissentlich.

Sie näherten sich bereits seinem Wagen, als Sandra plötzlich stehen blieb. »Was ist denn mit der Frau los?«

Leon folgte ihrem Blick. Die junge Frau, die sich ihnen mit langsamen Schritten näherte, war unsicher auf den Beinen, sie torkelte, musste sich mehrfach an einer Hauswand abstützen. Sie war schlank, hatte feine helle Haare, die ihr bis zum Kinn reichten. Auch ihre Haut war hell. Sie trug einen kurzen Rock mit einem T-Shirt, dazu Turnschuhe.

»Denkst du, sie ist betrunken?«, fragte Sandra weiter.

»Möglich, aber ich glaube es eigentlich nicht. Warte bitte einen Moment, Sandra.« Leon eilte auf die junge Frau zu, doch bevor er sie erreichte, sackte sie in sich zusammen und schlug auf dem Gehweg auf. Er kniete neben ihr nieder, schlug ihr sanft auf die Wangen. »Hallo«, sagte er, »ich bin Arzt, bitte sagen Sie mir, ob Sie mich hören können.«

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ihre Lider zu flattern begannen und sie die Augen aufschlug. Ihr Blick war leer, sie schien nicht zu wissen, wo sie sich befand.

»Ich bin Dr. Laurin«, sagte Leon. »Bitte, sagen Sie mir, wie Sie heißen.«

Sie schien nachdenken zu müssen, aber dann kam ihre Antwort doch ganz klar und verständlich. »Eva Maischinger«, sagte sie. »Mir … mir ist plötzlich so übel geworden.«

»Sie müssen gründlich untersucht werden. Ist Ihnen das schon einmal passiert?«

»Ja, schon, aber da war es nicht so schlimm wie heute.«

Mittlerweile hatten sich die üblichen Neugierigen eingefunden, aber die ersten gingen bereits weiter, als klar wurde, dass es nichts Aufregendes zu sehen geben würde.

Leon sah, dass Sandra ihr Telefon in der Hand hatte und ihn fragend ansah. Er nickte und hörte, wie sie einen Krankenwagen rief. Die Kayser-Klinik war in der Nähe, er würde Eva Maischinger also dort wiedersehen, nahm er an.

»Ich glaube, ich kann jetzt aufstehen und nach Hause gehen«, sagte die junge Frau.

»Sie bleiben schön liegen. Der Krankenwagen kommt gleich und bringt Sie in meine Klinik, dort untersuchen wir Sie und finden heraus, warum Sie ohnmächtig geworden sind.«

»Nein, ich … bitte, ich möchte nicht in eine Klinik, es ist ja schon alles wieder in Ordnung!«

»Danach sieht es aber nicht aus. Sie sind bleich, Sie zittern, und eben war Ihnen noch übel.«

Sie wollte erneut widersprechen, doch das sich rasch nähernde Martinshorn des Rettungswagens ließ sie verstummen. Leon erklärte den Sanitätern die Lage und bat sie, Eva Maischinger in die Kayser-Klinik zu bringen.

Als der Rettungswagen sich entfernte, wieder mit eingeschaltetem Martinshorn, rief Leon seinen Kollegen Eckart Sternberg an, von dem er wusste, dass er Nachtdienst in der Notaufnahme hatte. »Bist du schon in der Klinik, Eckart?«

»Gerade eingetroffen, was auch gut ist, denn wir haben sehr viel zu tun.«

Leon berichtete ihm von Eva Maischinger. »Ich komme noch mal vorbei. Wenn ihr so überlastet seid, kümmere ich mich selbst um die Patientin.«

»Das wäre eine große Hilfe. Bis gleich.«

»Fahr ohne mich los, Leon«, sagte Sandra, »ich bleibe noch ein bisschen in der Stadt. Irgendwie komme ich schon nach Hause.«

Sie umarmten sich zum Abschied, zehn Minuten später parkte Leon auf dem Klinikparkplatz.

Eckart Sternberg hatte nicht übertrieben: In der Notaufnahme war viel zu tun. Eva Maischinger lag bereits in einem der Behandlungsräume. Marie Laube, die dienstälteste Schwester der Klinik und so etwas wie ihre gute Seele, hatte sich um die junge Frau gekümmert, die einen erschöpften und auch verstörten Eindruck machte.

»Sie will unbedingt nach Hause, das hat sie jetzt schon mehrfach gesagt«, raunte Marie dem Klinikchef zu. »Es kommt mir so vor, als hätte sie Angst, dass wir etwas herausfinden.«

Leon sah sie nachdenklich an. Diesen Eindruck hatte er zuvor auch schon gehabt.

»Ich untersuche sie gründlich, dann wissen wir mehr«, sagte er.

Marie nickte. »Brauchen Sie mich dabei, Chef?«

»Danke, Marie, unterstützen Sie die Kollegen, ich sehe ja, was hier los ist.«

Marie ging, und Leon wandte sich seiner Patientin zu.

»Ich will nicht untersucht werden, mir fehlt nichts«, sagte sie. »Mir war nur ein bisschen übel.«

»Nein, so einfach ist es nicht, Frau Maischinger. Sie haben gewirkt wie eine Betrunkene, sie konnten nicht einmal richtig geradeaus gehen. Das passiert nicht, wenn einem nur ein bisschen übel ist.«

Behutsam begann er mit seiner Untersuchung, wobei er bemerkte, wie angespannt sie war. Als er vorsichtig ihren Bauch abtastete, stutzte er. Ihm entging nicht, dass sie unwillkürlich den Atem anhielt.

»Ich denke, ich sollte Sie auch gynäkologisch untersuchen«, sagte er betont beiläufig. »Ich bin Gynäkologe.«

»Nein!«, sagte sie. »Das will ich nicht, und Sie können mich nicht zwingen.«

Das stimmte allerdings, dennoch war er überzeugt davon, dass er bereits wusste, was mit ihr los war.

»Dann lassen Sie mich wenigstens einen Ultraschall machen«, schlug er listig vor. »Damit wir sicher sein können, dass wir keine gefährliche Krankheit bei Ihnen übersehen.«

Sie zögerte, stimmte dann aber zu. Offenbar war ihr nicht klar, was ein Ultraschallbild zeigen würde.

»Wie alt sind Sie, Frau Maischinger?«

»Zwanzig«, sagte sie. »Gerade geworden.«

Er strich Gel auf ihren Bauch, bevor er mit der Untersuchung begann. Der Bauch war ziemlich flach, so dass er sich fragte, ob er sich nicht vielleicht doch geirrt hatte. Aber was er gleich darauf auf dem Monitor sah, war eindeutig.

»Sie sind schwanger, Frau Maischinger«, sagte er ruhig. »Und sie sind schon ziemlich weit. Beginn sechster Monat, würde ich sagen.«

»Nein«, rief sie, während sich ihr blasses Gesicht mit hektischen roten Flecken überzog, »ich bin nicht schwanger, auf keinen Fall! Sehen Sie doch meinen Bauch! Sieht so der Bauch einer Schwangeren aus?«

»Normalerweise nicht«, gab er zu. »Aber ich kann Ihr Kind sehen, hier auf dem Monitor. Und wenn Sie den Kopf wenden würden, könnten Sie es auch sehen.«

Aber sie wandte den Kopf nicht. Immer wieder stieß sie hervor, sie sei nicht schwanger, er müsse sich irren, auf gar keinen Fall erwarte sie ein Kind.

Er wischte das Gel von ihrem Bauch. »Sie sind schwanger«, wiederholte er ruhig, »ich irre mich ganz sicher nicht. Und es ist nötig, dass Sie von jetzt an regelmäßig untersucht werden, damit wir uns davon überzeugen können, dass mit dem Baby alles in Ordnung ist. Sie werden eine kleine Tochter bekommen.«

Dieses Mal blieb sie stumm. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Als er sie erneut fragte, ob er sie untersuchen dürfe, erhob sie keine Einwände mehr.

*

»Verstehen kann ich dich nicht, Antonia, wenn ich ehrlich sein soll«, sagte Ingo Ewert. »Was kann denn passieren, wenn du offen mit Leon redest? Eines Tages muss er es ja doch erfahren.«

Antonia seufzte. »Ich weiß«, erwiderte sie. »Und ich weiß noch mehr: Es wird ihm nicht gefallen. Er wird tausend Einwände erheben, und am Ende wird er es vielleicht sogar schaffen, mir die Sache wieder auszureden. Also warte ich noch, bis ich ganz sicher bin, dass ich meinen Plan nicht aufgeben werde und vor allem, dass ich dem, was ich mir vorgenommen habe, auch gewachsen bin.«

Ingo betrachtete sie kopfschüttelnd. »Was für ein Unsinn!«, sagte er. »Ich habe selten eine Ärztin getroffen, die so gut mit Kindern umgehen konnte wie du – und die so genau weiß, worauf sie achten muss. Gut, dir fehlt die Berufspraxis, aber es ist ja nicht so, dass du in den letzten achtzehn Jahren auf dem Mond gelebt hättest, wo du von den neuesten medizinischen Entwicklungen nichts mitbekommen hast. Du hast dich immer weitergebildet, und nicht zuletzt hast du vier Kinder auf die Welt gebracht und durch alle Kinderkrankheiten begleitet.«

»Das weiß ich ja alles, Ingo. Trotzdem ist es so, dass mir die Praxis fehlt, wie du ganz richtig gesagt hast. In ein paar Jahren lache ich vielleicht über meine jetzigen Bedenken, aber im Augenblick habe ich ganz einfach Angst vor meiner eigenen Courage.«

»Aber die Erfahrungen bei uns in der Klinik müssten dich doch in deinem Vorhaben bestärken! Eigentlich war es so gedacht, dass du bei uns ein Praktikum machst, aber tatsächlich arbeitest du als volle Kraft, wenn du bei uns bist.«

»Es ist sehr freundlich von dir, das zu sagen, aber ich weiß selbst, dass ich mir vieles wieder aneignen muss, was ich einfach vergessen habe. Und ich lerne nicht mehr so schnell wie früher, leider.«

»Mit welchen Einwänden von Leon rechnest du eigentlich?«

»Er ist es gewöhnt, dass ich da bin, wenn er nach Hause kommt. Wir sprechen über seine Fälle in der Klinik, er fragt mich oft um Rat, den ich ihm natürlich gern gebe. Wir sprechen auch über die Angestellten, da gibt es ja auch immer mal Probleme. Dafür werde ich weniger Zeit haben, wenn ich selbst wieder praktiziere. Auch für die Kinder werde ich weniger Zeit haben, das wird ihm überhaupt nicht gefallen. Er meint ja, dass Kyra noch sehr viel Betreuung braucht. Er wird also sagen, dass unser Familienleben leidet, weil ich plötzlich auf die Idee gekommen bin, mit Mitte vierzig noch einmal ein neues Leben anzufangen – und ob ich mich vielleicht nicht ausgelastet fühle? Er wird außerdem sagen, was ja auch stimmt, dass mir die Berufspraxis fehlt und dass er keinen Sinn darin sieht, dass ich mich jetzt, nach beinahe zwanzig Jahren erfüllten Familienlebens, an meine Anfänge erinnere und versuche, nachzuholen, was natürlich nicht nachzuholen ist.«

Ingo sagte eine Weile lang gar nichts. Er schwieg so lange, bis Antonia schließlich nervös fragte: »Was ist? Klingt das alles so wenig verständlich in deinen Ohren?«

»Überhaupt nicht, ich kann das gut nachvollziehen. Ich wundere mich nur, wie genau du zu wissen meinst, was dein Mann sagen wird.«

»Ich kenne Leon ziemlich gut, und ich liebe ihn sehr. Außerdem ist er ein großartiger Arzt, dafür bewundere ich ihn. Aber ich finde, nun bin ich an der Reihe, meinen beruflichen Träumen zu folgen, und das wird bei ihm erst einmal auf Unverständnis stoßen, weil eine Veränderung unserer Lebensumstände nämlich mit Unbequemlichkeiten für ihn verbunden sein wird. Damals, als wir geheiratet haben, gab es gar keine Diskussion, dass ich meinen Beruf würde aufgeben müssen, damit ich mich um die Kinder kümmern kann. Mittlerweile hat sich aber die Welt ein bisschen weiter gedreht.«

»Die Kinder können jedenfalls kein Argument mehr sein«, stellte Ingo fest.

»Ach, Ingo«, seufzte Antonia, »alles wird ein Argument sein. Ich weiß schon, warum ich so lange zögere, mit ihm zu reden. Solange ich selbst nicht zu hundert Prozent davon überzeugt bin, dass ich wieder als Kinderärztin arbeiten kann – und zwar so, dass ich meinen eigenen Ansprüchen genüge – sage ich kein Wort, sonst knicke ich bei der ersten Diskussion ein. Ich kenne mich schließlich.«

»Die selbstbewusste Antonia, wer hätte das gedacht?« Ingo lächelte voller Sympathie. »Früher dachte ich immer, du weißt, was du willst, und du lässt dich von niemandem aufhalten. Allein, wie du gegen den Willen deines Vaters deine eigene Praxis aufgemacht hast, als ganz junge Frau … Ich habe dich so dafür bewundert!«

»Ohne die finanzielle Unterstützung meines Onkels wäre das nichts geworden«, erwiderte sie nachdenklich. »Aber du hast Recht: Früher habe ich mich eher nicht beirren lassen. Jetzt denke ich länger über die Konsequenzen meines Handelns nach. Denn ich will natürlich nicht, dass meine Familie darunter leidet, dass ich mich selbst verwirklichen kann, wie man das heute nennt.«

»Denkst du denn, die Kinder würden leiden?«

»Die Zwillinge bestimmt nicht, die würden sich über etwas mehr Freiheit eher freuen. Kevin auch nicht, solange sichergestellt ist, dass ich nicht irgendwie verschwinde. Kyra … ja, die würde es wahrscheinlich vermissen, dass ich nicht jederzeit verfügbar bin, aber sie würde sich schnell daran gewöhnen. Sie ist zwar unsere Kleine, und ein bisschen verwöhnt ist sie deshalb auch, aber sie streckt die Fühler bereits aus und beginnt, sich die Welt zu erobern. Insofern: Nein, sie würden nicht leiden, denke ich. Ein bisschen maulen würden sie, weil sie hier und da selbst mit anpacken müssten, weil Mama nicht mehr so viel Zeit hat, aber leiden würden sie nicht.«

»Und meinst du nicht, Leon wäre nach dem ersten Schock stolz auf dich?«

»Vielleicht, ja.« Plötzlich lachte Antonia und sah in diesem Moment beinahe wieder so aus wie die junge Frau, in die Ingo seinerzeit verliebt gewesen war. »Ich bin einfach ein Feigling, Ingo, so ist das.«

»Du und feige? Nie im Leben!« Ingo bat die Kellnerin um die Rechnung.

»Aber bezahlen tue ich dieses Mal«, erklärte Antonia. »Und dann sollte ich mich schleunigst auf den Heimweg machen.«

»Damit der gestrenge Gatte nicht etwa fragt, wo du so lange gewesen bist?«

Sie errötete verlegen. »Na ja, ich lüge einfach nicht gern, und ich kann es auch nicht besonders gut. Dabei habe ich in letzter Zeit schon mehrmals schwindeln müssen. Das ist übrigens der Hauptgrund, weshalb ich bald mit Leon reden werde. Ich hasse Heimlichkeiten!«

Sie verließen das Café, zum Abschied umarmten sie sich freundschaftlich.

*

»Im sechsten Monat?«, fragte Eckart Sternberg verblüfft. »Ich habe sie doch gesehen, als sie eingeliefert wurde – von einer Schwangerschaft ist mir nichts aufgefallen.«

»Mir auch nicht. Sie wollte sich zuerst ja auch nicht untersuchen lassen, aber das Ultraschallbild war eindeutig, danach hat sie dann einer gynäkologischen Untersuchung zugestimmt.«

Leon Laurin hatte seinen ersten Facharzt als Gynäkologe gemacht und sich später auch noch zum Chirurgen ausbilden lassen – es waren die beiden Fachrichtungen, die ihn von Anfang an am meisten fasziniert hatten. Heute war er froh darüber, sich diesen Anstrengungen unterzogen zu haben, denn nach wie vor war er auf beiden Gebieten tätig, und nach wie vor interessierten sie ihn beide.

»Sie hat zuerst hartnäckig behauptet, auf keinen Fall schwanger zu sein. Aber ich hatte sofort den Eindruck, dass sie eigentlich von ihrer Schwangerschaft wusste, sie allerdings nicht wahrhaben wollte.«

»Und jetzt? Was sagt sie jetzt?«

»Nichts mehr. Sie leugnet die Schwangerschaft nicht mehr, aber sie steht auch nicht dazu.«

»Können wir sie wieder entlassen?«

»Nein, ich will zuerst wissen, warum sie zusammengebrochen ist. Mir kommt das Baby etwas klein vor, was damit zusammenhängen kann, dass Frau Maischinger die ganze Zeit so getan hat, als wäre sie nicht schwanger.«

»Hat sie geraucht, Alkohol getrunken?«

»Auf diese Fragen hat sie mir bislang leider nicht geantwortet. Wenn du mich fragst: wahrscheinlich beides.«

»Das verheißt nichts Gutes für das Kind«, seufzte Eckart. »Gut, dann weiß ich Bescheid. Behalten wir sie zuerst in der Notaufnahme?«

»In der Gynäkologie haben wir kein freies Bett, ich habe schon nachgefragt. Also behalten wir sie hier, und morgen sehen wir weiter.«

Eckart Sternberg nickte. »Ich sehe ab und zu nach ihr, wenn wir heute Nacht nicht mit Patienten überschwemmt werden.«

»Und ich fahre nach Hause.«

»Grüß Antonia und die Kinder von mir.«

»Wird gemacht«, erwiderte Leon.

Antonia … Eva Maischinger hatte ihn von seinen Grübeleien abgelenkt, jetzt kehrten die unerwünschten Gedanken an die Heimlichkeiten seiner Frau zurück.

*

»Mama, sag ihr, sie soll gefälligst von meinem Kleiderschrank wegbleiben!«, fauchte Kaja. »Sie bringt immer alles durcheinander, und hinterher gibt sie mir meine Sachen nicht zurück.«

»Tue ich wohl!«, rief Kyra aufgebracht. »Ich gebe immer alles zurück! Es ist ungerecht, dass du immer neue Sachen kriegst, und ich muss deine alten auftragen. Ich hasse es, die Jüngste zu sein!«

Mit funkelnden Augen stand sie da, aber Antonia erkannte die Zeichen: Wenn sie nicht eingriff, würde die Szene in Tränen enden. Schon schwankte Kyras Stimme bedenklich, schon zitterte ihre Unterlippe. Ihre Jüngste hatte es oft schwer, sich gegen die drei älteren Geschwister durchzusetzen, bei ihr flossen schnell Tränen, so sehr sie sich auch bemühte, sie zu unterdrücken.

»Du hast bald Geburtstag, Mäuschen«, sagte sie, »es könnte schon sein, dass du da ein paar neue Sachen ganz für dich allein bekommst, meinst du nicht? Und es stimmt sowieso nicht, dass du nur alte Sachen deiner Schwester auftragen musst. Erst vor zwei Wochen haben wir dir einen schönen neuen Rock gekauft, und …«

Es half nichts, Kyra weinte bereits. »Aber er ist nicht so schön wie der, den Kaja bekommen hat, und wir haben ihn im Ausverkauf gekauft, weil ihn vorher keiner haben wollte!«

»Jetzt heult sie schon wieder, damit sie ihren Willen kriegt!« Kaja, mit ihren sechzehn Jahren, fühlte sich ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester meilenweit überlegen und ließ sie das auch gerne spüren.

Antonia unterdrückte einen Seufzer. Die beiden Mädchen hatten sich früher so gut verstanden, aber seit einem halben Jahr stritten sie dauernd, was das Familienleben nicht eben wenig belastete. Ein weiteres Argument dagegen, dass ich eine Praxis aufmache, dachte sie niedergeschlagen. Leon wird sagen, dass das noch schlimmer wird, wenn die Kinder mehr sich selbst überlassen sind, ohne Mutter, die schlichtend eingreifen kann. Und ganz Unrecht hätte er damit ja auch nicht.

»Ich heule überhaupt nicht!«, schrie Kyra aufgebracht. »Immer sagst du das, dabei hast du doch früher dauernd geheult, daran kann ich mich noch gut erinnern!«

Oh ja, sie war noch nicht ganz elf, aber sie lernte allmählich, die Krallen auszufahren.

Sie hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und atmete erleichtert auf. Leon kam ihr wie gerufen. Allein die Unterbrechung würde dem Streit der Mädchen schon einiges von seinem Schwung nehmen.

Genau so war es. Kyra beschwerte sich auch bei ihrem Vater noch einmal bitterlich über die ungerechte Behandlung, die ihr in ihren Augen zuteil wurde, und Kaja stand ihr in nichts nach, aber danach verpuffte der Streit einfach, weil Leon erstaunt fragte: »Und deshalb veranstaltet ihr so ein Geschrei? Wegen ein paar Kleidungsstücken? Kommt schon, das kann doch nicht euer Ernst sein!«

Kaja begehrte noch einmal auf, sie habe ein Recht auf ihre eigenen Sachen, sie ginge schließlich auch nicht an den Kleiderschrank ihrer Mutter, um sich dort zu bedienen, aber das war’s dann auch schon mehr oder weniger. Sie verschwand zwar türenknallend in ihrem Zimmer, aber mehr passierte nicht.

Leon begrüßte seine Frau mit einem Kuss, den sie als ziemlich flüchtig empfand. Er sah müde aus, und sofort ergriff sie wieder das schlechte Gewissen, weil das, was sie plante, schließlich bedeutete, dass sie in Zukunft weniger für ihn da sein würde. Aber sie schob diesen Gedanken energisch beiseite. Ich bin jetzt auch mal an der Reihe, dachte sie.

Beim Abendessen waren die beiden Mädchen wieder halbwegs friedlich. Kyra erzählte, wen sie zu ihrem Geburtstag eingeladen hatte – es schienen jeden Tag mehr Kinder zu werden. Antonia graute jetzt schon davor. Kindergeburtstage waren von Jahr zu Jahr anstrengender geworden, weil die Kinder immer höhere Ansprüche zu entwickeln schienen. Mit einem bisschen Kuchenbacken und ein paar einfachen Spielen war es längst nicht mehr getan.

Leon, der ihr bis eben ziemlich angespannt vorgekommen war, grinste plötzlich über das ganze Gesicht. »Ihr wolltet doch in dieses Musical gehen, oder?«, fragte er. »Ich habe ja frei an deinem Geburtstag, ich könnte euch begleiten.«

Kyra blieb der Mund offen stehen. »Aber dafür kriegen wir keine Karten«, sagte sie. »Das ist doch längst ausverkauft, Papa!«

»Na ja, als ich hörte, dass das dein Wunsch ist, habe ich mich natürlich gleich auf den Weg gemacht und Karten gekauft. Aber du musst allmählich aufhören, immer noch mehr Kinder einzuladen, sonst reichen die Karten nicht, Mäuschen.« Mit einer lässigen Gebärde warf er ein kleines Bündel Karten auf den Tisch.

Kyra sprang mit einem spitzen Schrei auf und stürzte sich auf ihren Vater. Er wurde mit Küssen überschüttet, danach tanzte die Kleine ausgelassen um den Tisch herum.

Kaja beobachtete sie mit leicht säuerlicher Miene. »Als ich mir mal Zirkuskarten gewünscht habe …«, begann sie, verstummte aber, als sie dem bittenden Blick ihrer Mutter begegnete.

Kajas Zwillingsbruder Konstantin hingegen freute sich uneingeschränkt für seine jüngste Schwester, und auch Kevin ließ nicht erkennen, dass er ihr den Musicalbesuch neidete.

Antonia schenkte ihrem Mann ein dankbares Lächeln. Mit keinem Wort hatte er die Karten erwähnt, dabei hatte sie ihm erst vor zwei Tagen von dem bevorstehenden Stress mit Kyra und ihren Gästen vorgejammert.

Er erwiderte ihr Lächeln, aber sie merkte dennoch, dass er nicht so heiter war, wie er gern gewirkt hätte. Etwas schien ihm zu schaffen zu machen. Sie würde ihn später, im Bett, danach fragen.

Aber dazu kam es nicht mehr, denn er legte sich vor ihr hin, weil er so müde war – und als sie dann endlich auch das Schlafzimmer betrat, war er bereits eingeschlafen. Sie legte sich neben ihn, strich ihm zart mit einer Hand über die Wange. »Ach, Leon«, sagte sie leise und wünschte wieder einmal, sie hätte das entscheidende Gespräch mit ihm bereits hinter sich.

Er öffnete die Augen, sah sie an und murmelte etwas Unverständliches. Im nächsten Moment drehte er sich um, gab einen leisen Schnaufer von sich und schlief weiter.

*

Marco Friedrich bestellte noch ein Bier. Er wusste, dass er zu viel trank, seit Eva sich von ihm getrennt hatte, aber er konnte nicht anders. Ohne Alkohol hielt er es überhaupt nicht mehr aus. Wenn er nüchtern war, überfiel ihn ein solcher Schmerz, dass er am liebsten wie ein Wolf den Mond angeheult hätte. Sie waren glücklich gewesen, Eva und er, und dann, von einem Tag auf den anderen, hatte sie Schluss mit ihm gemacht. »Ich liebe dich nicht mehr«, hatte sie gesagt, und das war das Ende gewesen. Zack, Schluss.

Eva machte eine Ausbildung zur Erzieherin, er selbst wollte Schreiner werden, demnächst würde er seine Gesellenprüfung ablegen. Er hatte nach der mittleren Reife eine gute Lehrstelle gefunden, aber sie würden ihn bald hinauswerfen, wenn er so weitermachte, das wusste er. Der Meister hatte ihn schon mal beiseite genommen und gefragt, was eigentlich mit ihm los sei, er sei ja ganz verändert. Natürlich hatte er nichts gesagt. Mit seinem Ausbilder konnte man nicht über Liebeskummer reden, das war unmöglich.

Überall sah er Eva. Wenn er auf der Straße eine schlanke blonde junge Frau von hinten sah, der die Haare bis zum Kinn reichten, war er überzeugt, das müsse Eva sein. Hörte er ein helles Frauenlachen, erinnerte ihn das an Evas Lachen. Sah er lange schlanke Beine unter einem kurzen Rock, mit Füßen, die in Turnschuhen steckten, konnte das nur Eva sein. Er träumte von ihr, und nicht selten schreckte er mitten in der Nacht auf, weil er überzeugt war, dass sie neben ihm lag und seinen Namen gesagt hatte.

Nein, nüchtern war das alles nicht zu ertragen. Eva war die Richtige für ihn, das war ihm vom ersten Augenblick an klar gewesen. Seine Freunde hatten sich darüber lustig gemacht. »Wieso willst du dich jetzt schon festlegen? Du hast doch überhaupt noch keine Erfahrungen mit Frauen!«

Sein Vater sagte das im Übrigen auch. Nur seine Mutter, die hatte Eva gleich gemocht und ihm das auch gesagt. Aber nun war Eva weg. Einmal hatte er sie noch abholen wollen aus der Kita, damit sie ihm erklärte, warum sie so plötzlich Schluss gemacht hatte, aber sie war angeblich krank gewesen. Später hatte er sie dann gesehen, wie sie die Kita durch einen Nebenausgang verlassen hatte.

So weit war es mit ihnen gekommen: Sie ließ sich verleugnen, damit sie ihm nicht begegnen musste! Wenn er daran dachte, wie sie sich ängstlich umgesehen und dann ganz eilig aus dem Gebäude gelaufen war, wurde der Schmerz unerträglich. Dabei hatten sie sich ewige Liebe geschworen, und er war so dumm gewesen, daran auch noch zu glauben.

Jemand schob sich auf den Barhocker neben ihm. Wie üblich hatte er sich an den Tresen gesetzt, bloß keinen Umstand beim Trinken machen! Je schneller sich sein Hirn vernebelte, desto besser.

»Mir auch ein Bier«, hörte Marco. Ohne den Kopf zu wenden, wusste er, wer sich neben ihn gesetzt hatte: Tom Fröbel. Der hatte ihm gerade noch gefehlt! Tom war auch mal in Eva verliebt gewesen, aber Eva hatte ihn abblitzen lassen, sie mochte Tom nicht. Marco mochte ihn auch nicht. Tom war ein Aufschneider, außerdem war er gewalttätig. Mit solchen Leuten hatte er nicht gern zu tun.

»Also hat sie dich jetzt auch sitzen lassen«, sagte Tom.

Marco biss die Zähne zusammen. Bloß nicht provozieren lassen, dachte er. Er hielt es für das Beste, überhaupt nicht zu antworten.

»Bist du taub?«, fragte Tom.

»Keine Lust auf Unterhaltung«, erwiderte Marco.