Der papierene Aloys - Joseph von Lauff - E-Book

Der papierene Aloys E-Book

Joseph von Lauff

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Beschreibung

Ein Roman vom Niederrhein. Lauffs umfangreiches literarisches Werk besteht vorwiegend aus Romanen, Erzählungen und Theaterstücken. In seinen Prosawerken behandelt er meist Themen aus seiner niederrheinischen Heimat.

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Der papierene Aloys

Joseph von Lauff

Inhalt:

Joseph von Lauff – Biografie und Bibliografie

Der papierne Aloys

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Schluß

Der papierene Aloys, J. von Lauff

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849638696

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Joseph von Lauff – Biografie und Bibliografie

Dichter, geb. 16. Nov. 1855 in Köln als Sohn eines Juristen, besuchte die Schule in Kalkar und Münster, wo er das Abiturientenexamen bestand, trat 1877 als Artillerist in die Armee ein, wurde 1878 zum Leutnant, 1890 zum Hauptmann befördert und wirkte, einer persönlichen Aufforderung des Kaisers folgend, 1898–1903 als Dramaturg am königlichen Theater in Wiesbaden, wo er noch jetzt lebt; gleichzeitig wurde ihm der Charakter eines Majors verliehen. L. begann seine schriftstellerische Tätigkeit mit den epischen Dichtungen: »Jan van Calker, ein Malerlied vom Niederrhein« (Köln 1887, 3. Aufl. 1892) und »Der Helfensteiner, ein Sang aus dem Bauernkriege« (das. 1889, 3. Aufl. 1896), denen später folgten: »Die Overstolzin« (das. 1891, 5. Aufl. 1900); »Klaus Störtebecker«, ein Norderlied (das. 1893, 3. Aufl. 1895), »Herodias« (illustriert von O. Eckmann, das. 1897, 2. Aufl. 1898), »Advent«, drei Weihnachtsgeschichten (das. 1898, 4. Aufl. 1901), »Die Geißlerin«, epische Dichtung (das. 1900, 4. Aufl. 1902); er schrieb fernerhin die Romane: »Die Hexe«, eine Regensburger Geschichte (das. 1892, 6. Aufl. 1900), »Regina coeli. Eine Geschichte aus dem Abfall der Niederlande« (das. 1894, 2 Bde.; 7. Aufl. 1904), »Die Hauptmannsfrau«, ein Totentanz (das. 1895, 8. Aufl. 1903), »Der Mönch von Sankt Sebald«, eine Nürnberger Geschichte aus der Reformationszeit (das. 1896, 5. Aufl. 1899), »Im Rosenhag«, eine Stadtgeschichte aus dem alten Köln (das. 1898, 4. Aufl. 1899), »Kärrekiek« (das. 1902, 8. Aufl. 1903), »Marie Verwahnen« (das., 1.–6. Aufl. 1903), »Pittje Pittjewitt« (Berl. 1903) sowie die Lieder »Lauf ins Land« (Köln 1897, 4. Aufl. 1902). Als Dramatiker trat er zuerst hervor mit dem Trauerspiel »Inez de Castro« (Köln 1894, 3. Aufl. 1895). Von einer Hohenzollern-Tetralogie sind bisher erschienen und wiederholt ausgeführt »Der Burggraf« (Köln 1897, 6. Aufl. 1900) und »Der Eisenzahn« (das. 1899); ihnen sollen »Der Große Kurfürst« und »Friedrich der Große« folgen. Lauffs neueste Dramen sind das Nachtstück »Rüschhaus«, das vaterländische Spiel »Vorwärts« (beide das. 1900) und das nach dem Roman »Kärrekiek« verfaßte Trauerspiel »Der Heerohme« (das. 1902, 2. Aufl. 1903). Während L. in seinen Romanen echtes Volksleben des Niederrheins poetisch festhält und in seinen epischen und lyrischen Dichtungen trotz wortreicher Diktion ein starkes Talent verrät, greift er in seinen Dramen, namentlich in den höfisch beeinflußten Hohenzollern-Stücken, oft zu unkünstlerischen Mitteln und erweckte entschiedenen Widerspruch. Vgl. A. Schroeter, Joseph L., ein literarisches Zeitbild (Wiesbad. 1899); B. Sturm, Joseph L. (Wien 1903).

Der papierne Aloys

Erstes Kapitel

»Ich bin immer der Meinung gewesen ...« mit diesen Worten beginnt der etwas leichtfertige, aber höchst ehrenwerte Oliver Goldsmith seine preziöse Erzählung des Landpredigers von Wakefield, um den ersten Satz mit den Worten zu schließen: »Ja, ich bin immer der Meinung gewesen, daß der rechtschaffene Mann, der ein Weib genommen und viele Kinder aufgezogen, mehr Gutes gestiftet hat, als der Hagestolz, der von Bevölkerung nur redet.«

Sehr richtig, Herr Oliver Goldsmith, und gar nicht zu leugnen! Indessen, da gibt es noch andere Meinungen, die für sich das Recht beanspruchen können, auch ihrerseits in die Erscheinung zu treten und mit den Skrupelgewichten eines Doktors subtilis bewertet zu werden. Cum grano salis natürlich; denn ich bin meinerseits der Ansicht, daß man auch Gutes und Anregendes zu stiften vermag, falls man sich in die Tage seiner Jugend versetzt, sie wie ein Miezekätzchen in die Hände nimmt, über das knisternde Fellchen gleitet, immer fein sachte von den Lauschern bis zum äußersten Ende des biegsamen Schwänzleins, und sich dabei von dem angenehmen Miauen und Näseln des possierlichen Tierchens umschmeicheln läßt.

Ach, so ein Miezekätzchen, so ein gutes und liebes! und im Hinblick auf dieses Streicheln, Miauen und Spinnen – ich erinnere mich. Ich erinnere mich als Dreikäsehoher noch aller Einzelheiten, die mir begegneten, als ich mein Schnüffelnäschen gegen eine Abteilscheibe der Rheinischen Eisenbahn plattdrückte, um mit Vater und Mutter und der Traben-Trabacher Marie aus der Stadt der heiligen drei Könige wie auf Gummischuhen in eine unermeßliche und fruchtbare Niederung zu gleiten, die immer unermeßlicher und fruchtbarer wurde.

Als wohlbestallter Notarius publicus strebte mein gütiger Vater seinem neuen Wirkungskreis zu, einer kleinen niederrheinischen Stadt, unmittelbar an der holländischen Grenze gelegen, der nämlichen Stadt, wo heutigen Tages der Reitergeneral Friedrich Wilhelm von Seydlitz den Marktplatz beherrscht, gestiefelt und gespornt und mit gezogener Plempe, und vor Zeiten die Heertrompeter Johanns des Dritten, des Edlen von Kleve, vermählt mit der blassen Maria, der schönen und reichen Erbtochter des verewigten Herzogs Wilhelm von Jülich und Berg, ihr ›Harbolorifa‹ zur Huldigung bliesen ... der nämlichen Stadt, wo unter der gesprenkelten Linde der jugendliche Hofkapellanus sich erkühnte, sacht über die feingeäderte Hand seiner Herrin zu fingern und diese ihm ängstlich zuflüstern mußte: »Heribert, laßt das; es könnte Euch sonsten böslich ergehen.« Aber so heimlich und lind auch gesprochen – der Herzog rasselte mit seinen schwarzen Eisenkacheln und wandte sich jählings. »Pfäfflein, Pfäfflein,« meinte er heiser, »das ahnte ich lange. Haltet Euch bereit und sprecht Euer Sprüchlein; denn morgen mit dem Frühesten: Ihr werdet gehenkert.« Und als es geschah, stieß die schöne Maria einen herzzerreißenden Schrei aus, um gleich darauf in eine lange und wohltätige Ohnmacht überzugehen. An der großen Linde aber baumelte Heribert, das lüsterne Hofkaplänchen Johanns des Dritten, wahrend die Heertrompeter zur Huldigung aufbliesen und die Kartaunen von den Wällen herunterbummerten.

So ungefähr erzählte mein Vater, während die Telegraphendrahte vor meinen aufgerissenen Blicken auf und nieder tänzelten, Flecken und Weiler vorüberhasteten und die warmen Sonnenlichter so lieblich mit den eiligen Roggen- und Weizenparzellen spielten, als züngelten Myriaden von Kerzenflämmchen von goldenen Ähren- und Grannenspitzen herunter.

Dann kam Krefeld.

»Alles aussteigen!« denn hier hatte die Rheinische Eisenbahngesellschaft ihren Atem verloren, und wer weiter ins Land wollte, hatte sich des gelben Wagens zu bedienen, der unter dem Schutz des preußischen Kuckucks und der wohltuenden Devise › Summ cuique‹ gemächlich über die schnurgerade Landstraße trappelte.

So auch wir.

Von dem holperigen Krefelder Pflaster ging es in die offene Landschaft hinein, durch Wiesen und Wälder, an kleinen Gehöften vorüber, die aussahen, als hätte sie ein putziger Mynheer aus der Nymwegener Mark in die hiesige Gegend verpflanzt, frisch wie gestrullte Milch in einem blankgescheuerten Melkeimer, und dabei hörte ich zum erstenmal die wunderseltsamen Klänge eines königlich preußischen Posthorns, dessen silberne Bänder mit ihrem geheimnisvollen Tönen die ganze Gegend erfüllten.

Ich war rein aus dem Häuschen, wie verlähmt, wie von den Schwingungen eines unermeßlichen Geistes umnebelt, zumal ich am Landstraßengraben einen Pfahl bemerkte, den mein Vater als › Lepus timidus‹ ansprach, und der, wahrscheinlich durch das feierliche Trompeten veranlaßt, sich jählings inkarnierte, seine Blume zeigte, abhoppelte, nochmals einen grandiosen Kegel setzte, um dann mit der Fixigkeit eines ausgetragenen Prestidigitateurs in einer nahegelegenen Haferparzelle unterzutauchen.

In Aldekerk und Geldern dasselbe Trompeten, auch in Kevelaer, wo ich wähnte, im himmlischen Jerusalem zu sein, umdüftelt von Kyrie eleison- Semmeln und Halleluja-Saucischen. In Uedem, dem Paradeis der Knollen und Dickwurze, begannen just in dem Augenblick, wo wir einfuhren und das Stangenpferd sich veranlaßt sah, seine goldenen Roßäpfel über das Straßenpflaster zu streuen, die Glocken den ›Engel des Herrn‹ zu läuten.

» Angelus Dei, nuntiavit Mariae ...«

Die Fernen schleierten ein, und Dämmerungen zogen über die Erde, aber es war noch immer sichtig genug, alle Gegenstande bis aufs Tiftelchen anzusprechen und erkennen zu können. So sah ich denn auch, daß in der Ferne etwas auftauchte, das mit einem massigen Turmkoloß eine große Ähnlichkeit hatte, welche Augenblicksspanne mein Vater dazu benutzte, seine Uhr zu ziehen, sie repetieren zu lassen und zu meiner Mutter zu sagen: »In einem kleinen halben Stündchen können wir da sein.«

Statt meiner Mutter antwortete ein drolliges Männlein, das mir gerade gegenüber saß und seit dem Passieren von Geldern zu den Reisenden des Wagens gehörte.

»I der Tausend noch mal! Dann belieben der Herr wohl nach Kalkar zu fahren?«

»Allerdings,« sagte mein Vater, ohne weitere Auskunft zu geben, ließ nochmals seine Uhr repetieren, um sie dann umständlich und mit einer gesuchten Akkuratesse in seine linke Westentasche zu senkeln.

»Sehr interessant,« gab der Fragesteller zurück, sichtlich bemüht, weitere Anknüpfungspunkte zu finden, denn er begann damit, sein vorgestoßenes Kinn zu schaben, kaum merkliche Staubpartikeln von seiner gemusterten Buckskinhose zu knipsen und stieren Blickes seine neben ihm stehende Reisetasche zu mustern, als läge in dem aufgestickten › Bon voyage‹ das Mittel geborgen, vogelsprachekundig wie Salomo zu werden.

Der Mann im gemusterten Buckskin gefiel mir, und wenn ich mich heutzutage seiner erinnere, mir ihn vergegenwärtige, so kann ich nur sagen: er war von mittlerer Größe, den Dreißigern nahe, nicht uneben gewachsen und mit einem Gesichtlein behaftet, das dem eines Kaplänchens in der äußersten Schneeeifel ähnelte, so glatt rasiert trat es in die Erscheinung, so ohne Falten und Fältchen wie das Ei einer gutmütigen Dorkinghenne, wenn auch still und verhärmt und hier und da mit den bräunlichen Tupfen eines ungesäuerten Osterbrotes gesprenkelt.

Ja, ich erinnere mich, denn in diesem Schneeeifelgesichtlein standen zwei Augen, wie ich und der gesamte Orbus pictus sie wohl niemals gesehen: blau wie das leuchtende Blau von Frauengewändern auf den Tafeln niederländischer Meister, groß wie die Lichter eines Koboldmaki, mit den wundersamen Spiegelungen von Florentiner Steinen umrandet. Und das Troddelmützchen erst, das neckische Troddelmützchen, mit silbernen Fäden durchsetzt und mit einer fidelen Bammelquaste versehen, die sich dem Schaukeln des gelben Postwagens anpaßte, als wäre ihm geboten worden, eine Polka Mazurka oder einen munteren Ländler zu tanzen! kurz, ein Troddelmützchen, wert und würdig, von einem Scheich am Libanon von Dan bis Berseba getragen zu werden.

Selbstverständlich – Dan und Berseba waren mir damals böhmische Dörfer. Erst später, viel später traten sie in meinen Gesichtskreis, genau so wie der Orbus pictus, die Florentiner Steine und der Koboldmaki von den malaiischen Inseln, aber das Troddelmützchen und die gespenstischen Augen sind mir noch heute so frisch und präsent, als wären die inzwischen durchlebten siebenundsechzig Jahre, teils in Freuden, teils in Bitternissen hingenommen, nur ein Nichts vor dem Hauche des Herrn gewesen; denn mit offenem Munde, den schon etwas ermüdeten Kopf an die imposanten Hemisphären der Traben-Trabacher Marie gelehnt, erschauerte ich vor den Besitztiteln des Mitreisenden in gemustertem Buckskin, der noch immer Anstalten machte, eine abermalige Unterredung in die Wege zu leiten.

Und wirklich, seine Bemühungen verdichteten sich.

Ich entsinne mich jeder Einzelheit, wie er es anstellte, ihnen die völlige Reife zu geben. Wiederum ein Schaben des vorgestoßenen Kinnes, ein Schlenkern der Mützentroddel, ein Quirlen des rotbaumwollenen Regenschirmes mit blankgeputzter Messingkrücke, eines Parapluies aus Großvaterzeiten, das ihm zwischen den Knien herauswuchs – ein verhaltenes Räuspern, ein gütiges Lächeln und dann ein Säuseln und Seufzen: »Also der Herr belieben nach Kalkar zu fahren?! Sehr interessant, und da dürften wir uns wohl die Frage erlauben: Gewißlich ein Besuch bei lieben Verwandten?«

»Das weniger,« sagte mein Vater.

»Dann wohl in Geschäften?«

»Schon eher.«

»Also Geschäfte?! Wir nehmen geziemend Notiz davon, und da wir uns rühmen dürfen, Land und Leute hiesiger Gegend bis in die Fingerspitzen zu kennen, so sind wir gerne erbötig, Reisenden über die hiesigen Verhältnisse nähere Auskunft zu geben.«

Das ›wir‹ betonte er mit sichtlicher Genugtuung, denn wie sich im Laufe der Jahre herausstellte, hielt der offenherzige Mitpassagier den › Pluralis majestaticus‹ für das Alpha und Omega aller Dinge und für das Höchste auf Erden, eine Eigenmächtigkeit, die er dem Polizeidiener Iwan Kasimir Brill bei seinen amtlichen Funktionen abgeluchst hatte, ohne sich dabei der Ichform ganz zu entschlagen.

»Ja, mein Herr, wir bitten darum, über uns verfügen zu wollen; denn alles was Recht ist: die hiesigen Verhältnisse wollen studiert sein. Die Menschen dahier sind von 'ner ganz besonderen Sorte. Schnirkelköpfig und mit 'nem kleinen Vokativus im Nacken. Wir finden uns aus.« Dabei schob er sein Troddelmützchen von der einen auf die andere Seite.

Mein Vater sah zum Wagenfenster hinaus, über die weite Niederung fort, die allmählich einschleierte, woselbst die Pappelreihen wie preußische Grenadiere aufragten, die gemessen die breite Heerstraße entlangmarschierten.

Meine Mutter jedoch, mitteilsameren Sinnes und leichter sich anschmiegend, raffte ihre weitbauschige Krinoline enger zusammen, streichelte sacht über die Falbeln ihres Kleides und sagte: »Nicht nur vorübergehende geschäftliche Angelegenheiten führen uns in die hiesige Gegend, sondern auch langfristige Dinge, die uns nötigen, uns auf mehrere Jahre hinaus in besagter Ortschaft niederzulassen.«

»I der Tausend noch mal!« ereiferte sich der possierliche Mitreisende, »das ist ja sehr interessant. Wir erstaunen uns höchstlich. Also langfristige Dinge?! Civis calcariensis und so. Wir können nur sagen: ein Städtchen, wie aus 'ner Kartoffelschale gepellt. Und was für Kartoffeln?! Nur Industrie- und die mittleren blauen Nierenkartoffeln kommen hierbei in Frage. Die katholische Kirche – über alles Erwarten. Das Rathaus – ein Wunder aus gemauerten Ziegeln. Die große Linde allda – schon Jan van Kalkar hat sie auf seinen Tafeln verewigt. Außerdem christkatholische Menschen, äußerst katholisch, lauter ausbündige, christkatholische Menschen. Wir gratulieren, Madam, und wenn eine Frage erlaubt ist: Zu welchem Behufe wollen sich die Herrschaften als Bürger einschreiben lassen? Vielleicht kann ich mit meinen Ratschlägen dienen.«

»Mein Mann ist Notar.«

Die breitbauchige Krinoline mit ihrem Falbelbesatz begann selbstgefällig zu plaudern.

»Potztausend noch mal!« und der feingesichtige Sonderling lüftete so ehrerbietig sein Troddelmützchen, als würde eine umfangreiche Gebetkasserolle der Tibetaner oder ein auf irgendeiner Dichtertagung prämiiertes Machwerk vorübergetragen. »Also Notar!« sagte er mit dem feierlichen Gehabe eines Gesalbten in partibus infidelium. »Wir können auch hier gratulieren. Denn die Notariatsstelle im hiesigen Friedensgerichtsbezirk ist gut, ja, über alles Erwarten. Schon der selige Notarius Lenz hat Speziestaler über Speziestaler gesammelt – nein, nicht gesammelt, sondern im wahrsten Sinne des Wortes gescheffelt, und war keiner von den strammen Juristen ... und da sollte ich meinen ... Wissen Sie, Herr Notar« – und er wandte sich jetzt mit aufgerissenen Lichtern an meinen Vater, der noch immer ein großes Interesse für die vorüberziehenden Grenadiere auf der breiten Heerstraße bekundete – »wissen Sie, Herr Notar, in der hiesigen Gegend sind für einen Rechtsbeflissenen gediegene Geschäfte zu machen: Obligationen, Testamente, Hypothekenverschreibungen und so, denn was in den Kreisen Geldern und Kleve unter Siegel und Petschaft gelangt, hat Mist unter den Füßen.«

»So, so!« sagte mein Vater, noch immer kurz angebunden.

Die breitbauchige Krinoline meiner Mutter jedoch raschelte stärker. In den Reifen und den Kräuselungen des resedafarbigen Kleides war ein Kichern und Knistern, ein Zirpen wie das Zirpen und Lautenieren eines pläsierlichen Heimchens in einer wohlgeordneten Bäckerstube.

»Also Sie meinen ...?«

»Aber natürlich, Madam. Ich stelle Ihrem Herrn Gemahl eine bedeutsame Praxis in Aussicht. Überall ein gutarrondierter Besitz. Die Niederungsbauern dahier wissen zu leben ... sterben ab ... vermachen ihre Besitztitel an Kinder und Kindeskinder, falls sie es nicht vorziehen, für die Tote Hand zu testieren. Also immer Bewegung. Und der hiesige Boden erst! Kleiig und fettkrumig bis in die tiefste Tiefe hinein. Mannshohes Korn drauf. Ein Doppelgespann geht unter im Wieswuchs, und wenn so die von der Sonne gerösteten Weibsbilder die Rübenkampagne bestellen, kleistert ihnen der liebe Herrgott den massigen Lehmboden bis über die Schenkel hinauf.«

»Aber, aber!« rief meine Mutter.

Mit beiden Händen preßte sie ihre Krinoline zusammen.

»Nichts für ungut, Madam. Ich wollte nur dartun, in welch opulenter Verfassung sich hier Land und Leute befinden. Alles und jedes von der obersten Sorte. Primissima Klasse ... und aus dieser opulenten Verfassung heraus lassen sich die amtlichen Spesen leichthin berechnen, und drum, Herr Notar ...« und der treuherzige Mann in gemustertem Buckskin, dessen glattrasiertes Gesichtlein, wie schon oben bemerkt, dem eines Kaplänchens in der äußersten Schneeeifel ähnelte, begann unter weitschweifigen Auseinandersetzungen auf meinen Vater einzureden, ihm die Vorteile seiner nunmehrigen Bestallung auseinanderzusetzen, um dann unter einem verschämten Räuspern und Schmunzeln ihm sein eigenes Anliegen an die rotgepunkte Samtweste zu legen.

»Herr Notar, wenn es zu sprechen erlaubt ist?«

»Ich bitte darum, zumal ich sehe, daß Sie für meine Person ein gewisses Interesse bekunden.«

»Sehr obligiert, Herr Notar, und da möchten wir bitten, meinem papierenen Ansinnen Ihr geneigtes Ohr nicht verschließen zu wollen.«

»Papierenes Ansinnen ...?«

Um die Mundecken meines Vaters drehte es sich mit den fidelen Windungen eines Eidechsenschwänzleins.

»Papierenes Ansinnen ...?« fragte er nochmals, aber schon ernster und nachdenklicher, denn der Mitpassagier gefiel sich darin, eine äußerst feierliche Miene aufzusetzen und mit der rechten Hand eine bedeutungsvolle Bewegung zu machen.

»Gewißlich, denn meine Branche ergeht sich auf papierenen Wegen, und da Papier und Notar sich wechselseitig ergänzen, das eine ohne den andern Not leiden müßte, so möchten wir ergebenst anheimstellen ...«

Er schnappte plötzlich ab und sah erwartungsvoll in das Gesicht meines Vaters.

»Mann,« fiel meine Mutter dazwischen, indem sie Gelegenheit nahm, ihre zusammengeraffte Krinoline wieder auseinanderknistern zu lassen, »da könntest du ein übriges tun, um mit dem Herrn in geschäftliche Verbindung zu treten.«

Mein Gegenüber lüftete beseligt sein Troddelmützchen.

»Sehr obligiert,« sagte er glücklich. »Schon der Herr Notarius Lenz zählte zu meinen gediegensten Kunden. Wir halten nur das Beste vom Besten auf Lager: Schreib-, Dokument- und Wertzeichenpapiere, Aktendeckel in allen Farben und Preislagen ... und was das Format anbetrifft« – und er zählte an den Fingern herunter: »Propatria, Royal, Median und feinstes Register, alles in Buch, Ries oder Ballen zu haben. Preise äußerst solide bemessen ... und weiter ...«

»Genügt mir,« sagte mein Vater. »Ich werde nicht verfehlen, gegebenen Falles ...«

»Ah, diese Ehre! aber nicht nur Papiere allein – sondern auch ...« und Kopf und Troddelmützchen legten sich still auf die Seite: »Nein, Herr Notar, Royal-, Propatria- und Registerpapiere tun es allein nicht. Sie würden keine gesicherte Lebensführung verbürgen, keine solide merkantile Lage gewährleisten, und so führen wir denn neben Papier und Kuverts noch Bleistifte, Faber und so, Siegellackstangen und Gummi, Gebetbücher, wie der ›Himmelstau‹ und ›Blüten und Perlen für christkatholische Menschen‹ ... und schließlich – man muß eben alles haben, um ehrlich und gottgefällig durchs Leben zu kommen: Papierservietten und Heiligenbildchen, und last not least ...« und seine Stimme schrumpfelte ein zu einem armseligen Stimmchen, wurde zu einem Säuseln, das über trockene Kirchhofsgräser dahinwehte, wobei sein Gesichtlein sich wie das eines Leichenbitters verfärbte: »Für gegebene Fälle auch Schirtingröschen und Sterbehemden, sakrale Dinge ...«

Meine Mutter schreckte unwillkürlich zusammen.

»Mein Gott, auch dieses?«

»Ohne dieses, Madam, wäre die Kasse man spärlich.«

»Schön!« bemerkte mein Vater. »Geschäft bleibt Geschäft. Darüber hat jeder selbst zu befinden. Aber was uns anbetrifft – die sakralen Dinge wollen wir vorläufig lieber in Ihrem Laden belassen.«

»Aber gewiß, Herr Notar. Das wäre sonst äußerst und nicht auszudenken die Sache. Wir wollten auch nur unsere Offizin im großen und ganzen umreißen. Bleiben wir also lediglich bei Gänsekielen und Siegellackstangen, bei Propatria-, Kanzleipapier und feinstem Register. Aber hören Sie bloß ...« und das Männlein mit dem putzigen und doch ernsthaften Gebaren stand plötzlich pielgeradeaufrecht im Postwagen, mit gezücktem Parapluie, die Reisetasche mit dem aufgestickten ›Bon voyage‹ in der Rechten, und sagte: »Meine Herrschaften, wir befinden uns nunmehr am Ziele. Willkommen dahier!«

Das gezückte Parapluie hob sich und senkte sich wieder.

Und ich ...?!

Von den bequemen Halbkugeln der Traben-Trabacher Marie sackte ich plötzlich herunter.

Also in Kalkar!

Mein Herz pupperte auf.

Lautes Pferdegetrappel hastete über das holperige Pflaster. Das Lied vom ›Guten Kameraden‹ revierte durch die verlorene Stille des niederrheinischen Städtchens. Aus den Kramladen eilten bereits vereinzelte erleuchtete Fenster vorüber.

Eine Klingel schlug an, eine zweite, eine dritte. Meine Nase gegen eine angelaufene Wagenscheibe gedrückt, sah ich, wie verschiedene Dinge auftauchten: eine mächtige Linde, seltsame Giebel, ein weitläuftiges Gebäude mit Buckeln und Zinnen, das ich später als Rathaus erkannte.

Über dem Dachreiter stand der Abendstern in unendlicher Klarheit.

Das Lied vom ›Guten Kameraden‹ verdämmerte in den todstillen Straßen, die aussahen, als wären sie von Lemurenhänden umschattet.

Dann eine Laterne.

In ihrem dunstigen Lichtkreis, der nach Docht und Rübsenöl schmeckte, hielt der Postwagen an.

Wir waren zur Stelle.

Mein Vater erhob sich.

Der sonderbare Herr in gemustertem Buckskin klemmte sein Parapluie ein und hielt ihm die Hand hin.

»Also, Herr Notar, wenn Sie meiner benötigen, wir sind immer zu finden. Marktplatz Numero sieben, unmittelbar neben der Wirtschaft ›Zum Waldkarnickel‹.«

»Schön, und Ihr Name? Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, und möchte doch gerne ... denn einem guten Manne soll man begegnen, wie das Herz es gebietet.«

Zweites Kapitel

Ein köstlicher Herbst ging über die niederrheinische Landschaft.

Das Haus ›Zu den sieben Linden‹, das mein Vater erstanden hatte, sonnte sich in seiner ganzen Breite und leuchtenden Weiße auf der Grabenstraße, die das kleine Städtchen von Norden nach Süden durchquerte. Die lichtgrünen Jalousien gaben ihm ein freundliches Aussehen.

Jenseits des weitläufigen Gartens, der an ein stilles Wasser grenzte, wuchs eine gigantische Windmühle aus der Niederung auf, deren Flügel mir vorkamen, als trügen sie bei ihrer geruhsamen Arbeit rätselhafte Dinge und Geschehnisse von der Erde in den Himmel hinein, als brächten sie Wundersames aus dem Paradiese zu den Menschen hernieder. Darüber hinaus erstreckten sich unabsehbare Wiesen und Weiden, von Binnendeichen durchzogen, die in der Osternacht aufleuchteten, als wanderten die hehren Gestalten der Cherubim und Seraphim stumm ihres Weges.

Die sieben Linden vor dem neuen Anwesen meines Vaters standen in Gold.

Wie lichte Dublonen schaukelten sich die überständigen Blätter von den Zweigen herunter, wiegten sich gleich Zitronenfaltern die Straßenzeile entlang, um ihren Ringelreihenrosenkranz durch die warmen Lüfte weiter zu tragen.

Trotz der bereits vorgeschrittenen Jahreszeit rokuzeten noch die Ringeltauben so munter in den safrangelben Laubmassen, als gölte es, einen zweiten Liebesfrühling zu begehen, noch einmal die preziösen Tage der Minne zu kosten.

Hinter mir lagen die endlosen Stunden im Postwagen, die schnurgeraden Reihen der kanadischen Pappeln, die wie preußische Grenadiere an meinen Sinnen vorbeidefilierten, das Trappeln der Pferde und das sanfte Ruhen auf den Halbkugeln der Traben- Trabacher Marie, der würdigen Marie, die jetzt im Hause ›Zu den sieben Linden‹ schaltete und waltete und meine jungen Jahre behütete.

Ich selber aber ... als fideler Knirps ließ ich mich von den fallenden Blättern überschaukeln, trudelte mit meinen kurzen Beinchen durch ein melodisches Rascheln, durch ein Gespinst von glitzernden Marienfäden und sah, ohne mir Rechenschaft darüber geben zu können, was eigentlich vorging, in eine Welt von Gold, gleichsam durch das Guckloch eines Zauber- und Wunderkastens. Alles so seltsam und abenteuerlich, so mit Engelshaar umgeistert, und dazu das Geklapper der Holzschuhe, das die totenstillen Straßen durchirrte, hin und wieder ein mageres Glockenspiel von Sankt Nikolai herunter, ein Klingeln an den Türen der Verkaufsläden, irgendwo das Geigen eines Heimchens aus irgendeiner Bäckerstube heraus, von wannen ein Düften apothekerte, als wären hierzulande die Spekulationsmänner und Rymwegener Moppen so wohlfeil wie Brombeeren gewesen.

Aus dieser freundlichen Gegenwart erwuchsen mir Träume und Vorstellungen, Gestalten und Menschen, Spiegelungen und Spiegelbilder, und aus diesen Spiegelbildern ...

Da war einer ... einer von den Großen unter den Großen, einer, der, so klein er auch war, so unscheinbar er auch mit seiner Otterfellmütze umherstolzieren mochte, meine ganze Estimierung besaß und bis zur heutigen Stunde kein Tiftelchen davon eingebüßt hatte, einer mit pfiffigen Äugelchen und einem Gesicht, als wäre es aus einem Kasperletheater genommen – er selber: Heinrich Hübbers, der köstliche Heinrich Hübbers mit seinem fünfundzwanzigpfündigen Leibrock, der Unvergeßliche, dem, außer seiner Flickschusterei, noch das gewichtige Amt oblag, seine Vaterstadt allnächtlich in sanfte Träume zu tuten und meinem Vater bei seinen Amtshandlungen als Zeuge zu dienen. Dabei hatte er noch Muße genug, alljährlich auf Lichtmeß in seinem bescheidenen Häuschen Taufe zu feiern.

Erst in späteren Jahren erfuhr ich die ganze Bedeutung dieses einzigen Mannes, dieses Sinnierers und Eigenbrötlers, dieses Philosophen und Weltweisen hinter der gläsernen Kugel ... und wenn ich seiner gedenke, beginnen übermütige Schellen zu klingeln, heben die Merlen an, in den laulichen Abend zu singen, ist es mir, als schritte ich wieder durch das Land meiner Jugend. Neben dem papierenen Aloys – Heinrich Hübbers war alles und jedes für mich und spielte eine ausschlaggebende Rolle auf meinem engumschriebenen Welttheater. Er war mein Freund und Vertrauter, mein Führer auf den vielverschlungenen Wegen und Stegen meiner seligen Kinderzeit. Wenn auch rege und arbeitsam – über größere Besitztitel verfügte er nicht, obgleich er, wie schon eben dargetan, einen prächtigen kornblumenblauen Leibrock besaß, der schon seit Jahren den Neid seiner Mitbürger erregte. Und das von Rechts wegen; denn dieser ›Blaue‹ war eine wundersame Schneideridee aus englischem Düffel. Dazu besaß er einen fettigen Kragen, wog unter Brüdern wenigstens fünfundzwanzig Pfund und stand, wenn man ihn frei auf den Boden plazierte, wie ein Geharnischter in blauem Eisen, ohne auch nur die geringste Miene zu machen, aus dem Senkel zu trudeln. Die Erinnerungen dieses Düffelgewaltigen gingen in alte Zeiten zurück. Er hatte manches erlebt und traurige und lächelnde Tage gesehen. Wie krampften sich seine Nähte zusammen, wenn er der bösen Jahre gedachte, als der kleine Korporal, diese infame Geißel des Herrn und der nichtsnutzige Prediger des vielbewunderten ›La recherche de la paternité est interdite‹, die niederrheinischen Lande drangsalierte und die preußischen Spießer bei seinem Empfang an den Straßenecken katzbuckelten, vor Ergebung wie Lilienstengel absterben wollten, um dann wieder ... ja, um dann wieder ... Ein neuer Geist strömte über sie fort. Ein Johann Gottlieb Fichte donnerte seine ›Reden an die deutsche Nation‹ durch die Welt, ein Gneisenau hob aus Nacht und Nebel die Morgenröte der Befreiung empor und ein Gebhard Lebrecht von Blücher stürmte in sie hinein auf feurigem Schimmel und mit blitzendem Saraß ... und das waren die glücklichen Zeiten des ›Blauen‹ gewesen. Und so vergingen die Wochen, die Monde, die Jahre, und so vererbte er sich vom Vater auf den Sohn, und wenn Heinrich Hübbers, der fidele, putzige, fünfkäsehohe Heinrich Hübbers mit dem ›Blitzblauen‹ anrückte, dann rückte eine echte, lautere, altpreußische Gesinnung mit vor, und man mußte die Augen einkneifen, um trotz des ramponierten Kragens von all der Würde, dem Glanz und dem Altgroßväterlichen nicht geblendet zu werden.

Der goldene Tanz der Blätter ging weiter.

Ganz umhüllt von ihrem Schimmern und Scheinen, hörte ich das Rucksen der Ringeltauben, vernahm ich das Geckern der Elstervögel, die ab- und zuflogen und zeitweilig ein ohrbetäubendes Lärmen vollführten, als sich mir eine schwere Hand auf die Schulter legte und eine liebe Stimme mir zurief: »Jupp, ich mache nach dem papierenen Aloys hin. Willst du mit? Ich hab' 'ne Portion Aktendeckel für deinen Pappa zu holen.«

Natürlich wollte ich mit, denn zum ersten Male im Leben sollte ich das Geschäftslokal dieses seltsamen Mannes betreten.

Gemeinsam pilgerten wir durch das Rathausgäßlein dem Großen Markt zu, dann an der stattlichen Linde vorüber, an deren Hauptast Heribert, der Kapellanus, seinen letzten Seufzer verhauchte, um von hier schnurgeradeaus auf den Laden des Papierenen loszumarschieren.

Gleich darauf riß mich Hübbers zusammen.

»Jupp, Achtung ergriffen! Benimm dir. Mach' deinen Baselemanes; denn nu wirst du vor die Alte in Beobachtung kommen. Da steht sie ... neben der Haustür ... unmittelbar bei's Wirtslakal ›Zum Waldkarnickel‹!« und richtig, da stand sie: die Mutter des Papierenen, Frau Johanna Kordula Teerling, geborene Wintjes, seit vierzehn Jahren verwitwet, übergroß und rank gewachsen, anzusehen wie eine Schicksalschwester, der es oblag, nur wenige heitere, aber viele graue Fäden zu spinnen. Wegen ihrer hageren und vornehmen Gestalt und ob ihres adretten Aussehens wurde sie in der Bevölkerung vielfach die ›Staatse‹ oder auch ›Oma‹ geheißen.

Fast gespenstisch ragte sie neben dem Türpfosten auf, schwarz gekleidet, ein festanliegendes geklöppeltes Häubchen auf den eisgrauen Haaren, ein goldenes Kreuz auf der Brust, einen Krückstock in der verknöcherten Rechten, während die Linke sich damit beschäftigte, die Pockholzkügelchen eines Rosenkranzes durch die harten Finger gleiten zu lassen. Unbeweglich saß der kleine Kopf auf dem welken und gefältelten Hals, der mit dem eines Geiers eine gewisse Ähnlichkeit hatte. Mit wächsernem Gesicht und stahlgrauen Augen sah sie uns kommen.

Sie rührte sich nicht.

Nur ihre schmalen Lippen öffneten sich, um dabei gesunde Zähne wie die eines Tieres zu zeigen.

»Tag, Hübbers,« sagte sie mit ihrer scharfen, wenn auch brüchigen Stimme.

»Tag, Oma!« und der Mann im blitzblauen Überrock pflanzte sich vor der Alten auf, als sei ihm geboten worden, eine große Mission zu erfüllen.

»Merci! und was verschafft mir die Ehre?«

»Order an Aloys. Ich habe zweihundertundfünfzig Aktendeckel in Bestellung zu geben.«

»Soll uns angenehm sein. Auf Ziel oder sonstwie?«

»Per sofort,« sagte Hübbers.

»Schön! da muß ich Euch schon selber bedienen.«

»Ist denn Aloys nicht da?«

»Hat nach Kleve gemacht, um neue Aufträge einzuholen.«

»Und die junge Madam?«

»Die?!« fragte die Alte, und ihr Krückstock stieß auf das Pflaster, daß es Funken setzte.

Ihr Hals wurde länger, nahm einen ockerfarbigen Ton an.

»Wie immer – die liegt auf dem Sofa. Die ist zu gut für den Laden. Romane natürlich – die liest sie, und wenn sie dieses nicht tut, besieht sie ihre weißen Zuckerballen im Spiegel, toujours des Glaubens, solch extraordinäres Spielzeug wäre nicht mehr zwischen Kleve und Geldern zu finden ... und ich als Schwiegermutter habe die Arbeit.«

»Es wird wohl so schlimm und gefährlich nicht sein,« meinte Hübbers.

»Noch schlimmer,« hieb die Staatse blitzsauber nach, »denn ich kenne das besser. In der Jugend schindet man sich das Fett aus dem Leibe, strapaziert man sich die Gicht in die Knochen, und wenn man endlich dran denkt, die müden Hände in den Schoß zu legen, bequem hinterm Ofen zu sitzen, macht so'n eingeheiratetes Weibsbild einem die nobelsten und gediegensten Ausklamüsierungen völlig zuschanden.«

»Oma, das wird sich noch geben.«

Wiederum begann der Krückstock zu lärmen.

»Was – geben?!« und die Alte schien noch um eine starre Handbreit zu wachsen. »Wer sich in 'ner regelrechten Ordnung befindet, hat es kommod, 'nem andern 'ne Portion Trost und Hoffnung um die Löffel zu schmieren. Ja, Ihr auch! Mit Eurer Frau habt Ihr die große Nummer gezogen. Die ist früh aus den Federn, rahmig wie Milch und bei aller Arbeit noch immer munter dabei, Euch abends ein heimliches Pläsierchen zu machen.«

»Hm, hm!« meinte Hübbers.

»So ist das, denn wer Augen hat, zu sehen, der sehe, und wer Ohren hat, zu hören, der höre. Ich habe Augen und Ohren und weiß drum: bei Euch befindet sich jegliches im Lot – fleißige Hände und alljährlich noch ein Kind in der Wiege. Das ist christkatholisch gelebt und vor dem Herrn ein gottwohlgefälliger Zustand. Hier aber ist von 'nem gottwohlgefälligen Zustand gar nichts zu spüren, bloß Ziererei und Getue, und dazu hat die junge Madam bei ihrem Geltesein noch extraordinären Kleister am Hintern.«

»Aber Oma!« rief mein Freund und Beschützer.

»Hübbers, es bleibt so. Das hat seinen richtigen Gang nicht; denn was vom Emmericher Eiland herstammt, das gibt sich wie Katzennaturen, und täte man so 'ne adrette Mieze in ein schmuckes Frauenzimmer verzaubern, bei erster Gelegenheit würde sich das Weibsbild doch wieder an Mäusen und Ratzen vergreifen.«

»Oma,« sagte mein Gönner, »das kann ich nicht für voll estimieren.«

»Aber ich!« hielt ihm die Alte entgegen, um wiederum etliche Funken aus dem Straßenpflaster zu holen. »Überhaupt solche neumodischen Frauenzimmer! Die sind wie Zuckerrüben an 'ner schattigen Gartenmauer. Die geilen auf, ohne reguläre Früchte aufzubringen. Nichts für den Ertrag. Die sind wurmstichig, genau so wie die heutigen Zeiten ... und wie ich höre, wird das noch schlimmer werden, denn wenn man von den Weibern genug hat, sollen sich hier in der Gegend noch ganz andere Dinge begeben.«

Hübbers trat vor.

»Woso das?« fragte er mit kreisrunden Augen.

»Na, das zwischen Himmel und Erde! Das kommt immer näher und näher, und es kann jeden Momentus passiren ... Gottes Tore öffnen sich und Gottes Feuer kommt aus der Ewigkeit herunter. Aber was reden wir hier! Eure Zeit ist bemessen und die meinige dito. Schwätzer und Müßiggänger sind ein Greuel vor dem Herrn. Drum kommt man. Also zweihundertundfünfzig Aktendeckel sind in Bestellung gegeben?«

»Zweihundertundfünfzig,« nickte mein Freund und Genosse.

Frau Johanna Kordula Teerling, geborene Wintjes, reckte sich hoch.

»Dann darf ich wohl bitten.«

In diesem Augenblick berührte sie mich mit ihren stahlgrauen Augen. Gleich Eisnadeln drang es mir bis in die innerste Seele.

»Hübbers, wohl der Kleine von drüben?« fragte sie hastig.

»Oma, zu dienen. Jupp, mach' deinen Baselemanes und benimm dir manierlich.«

Na, das tat ich denn auch, und da schob sie ihren Rosenkranz in die Rocktasche hinein, nahm den Stock in die Linke und legte mir ihre rechte Hand auf den Scheitel.

»Ein nettes Jüngsken!« sagte sie freundlich, und siehe: in ihren harten Blicken begann es warm und wohlig aufzuleuchten. Sie räusperte sich, um mit einer großen und feierlichen Stimme weiter zu sprechen: »Wer mit tapferem Willen ins Leben hinein geht, dem reift die Ernte freudig entgegen. Sind Disteln und Dornen dazwischen, so kann er sie leichthin entfernen. Werde wie mein Aloys, und es wird dir an Arbeit nicht mangeln, wähle wie Hübbers, und du wirst selig am Weibe, denn Gott ist gerecht und seine Werke sind ewig. Das wollte ich sagen. So – und nu kommt man.«

Ihr Stock hämmerte auf.

Mit harten Sohlen schritt sie voran, mußte aber in der Tür den Nacken beugen, um nicht mit ihrem Kopf an den oberen Rahmen zu stoßen.

Im Laden angekommen, trat sie hinter die engbrüstige Theke und machte sich an einem der vielen Regale zu schaffen.

Ich stand wie verzaubert.

Ein fader Geruch nach Kleister und Bindfaden umwölkte mich. Ich sah Papiermassen in allen Sorten und Arten, Gebetbücher mit vergoldeten Rücken, Tintenfässer und aufgeschichtete Federhalter. Neu-Ruppiner Bilderbogen hingen von den Wänden, dazwischen Devotionalien von Kevelaer und Marienbaum, grellilluminierte Drucke aus der Offizin von Benziger- Einsiedeln. Auf der Anrichte reihten sich Bleistifte und Siegellackstangen dicht nebeneinander. Haussprüche für alle Gelegenheiten und Festlichkeiten des Jahres grüßten von niedrigen Konsolen herunter. In einem Glasschränkchen sah ich weiße Papierröschen und Blättchen von Goldschaum. Es war ein ernstes und trauriges Glänzen. Dann hörte ich: aus einem Nebenzimmer hob ein Kanarienvogel an, eine silberdrähtige Wasserrolle zu pfeifen, fein und wunderseltsam, als würde irgendwo in einem verwunschenen Walde eine Geige gestrichen.

Ich dachte dabei unwillkürlich an den papierenen Aloys, denn es kam mir so vor, als bestände zwischen ihm und der Geige irgendeine Verbindung, eine Seelengemeinschaft, ein ungewisses Sehnen und Suchen, das sich allmählich mit Trauerfloren umschleierte, um schließlich in eine ungewisse und verlorene Ferne zu gleiten.

»So!« sagte die Alte.

Sie hatte inzwischen die Aktendeckel gezählt, sie säuberlichst umschnürt und zusammengebündelt.

Beide Hände stemmte sie auf.

»Wird das nu gleich verrechnet oder aufs Konto geschrieben?«

Sie sah fragend auf Hübbers.

»Wie immer aufs Konto. Dann kommt mehr auf 'nen Hümpel zusammen.«

»Soll mir angenehm sein, Kredit wird gegeben ...« und sie war gerade dabei, ihre Notizen zu machen, als sich die Tür, hinter der noch immer der Harzer Roller sein Silberfädchen drehte, ganz unauffällig in ihren Angeln bewegte.

Und dann eine Stimme: »Kann ich was helfen?«

Die Staatse fuhr auf.

Eine junge Frau, schmucken Gesichtes, straff gescheitelten Haares, wenn auch mit allzu üppigen Formen unter der buntgewürfelten Bluse, war unvermittelt in den Laden getreten.

»Wie ist es nu damit? Ja oder nein?« fragte sie nochmals, aber herausfordernd, mit vorgestoßenen Brüsten und blankgeschliffenen Augen.

»Du ...?!« rief die Alte.

Herrisch griff sie in ihre Tasche, aber nicht um den Rosenkranz, sondern um eine hürnerne Schnupftabaksdose aus der Tiefe zu heben. Ebenso herrisch klappte sie den Deckel auf und warf sich mit ihren knochentrockenen Fingern eine Prise Spaniol in die Nase.

»Wärest du früher gekommen – jawoll. Ich hätte mich in 'ner gewissen Verpflichtung befunden. Aber so! Jetzt hab' ich mir schon selber geholfen. Genau so wie immer. Das erscheint allzeit 'nen Posttag zu spät, um dann verstörte Nasenlöcher zu machen. Ich bin das gewohnt. Die vom Emmericher Eiland haben das an sich, ohne sich darüber mit vielen Molesten zu quälen. Bei der Ziehharmonika immer heidi, im Haushalt hingegen lurksig und toujours auf dem Sofa.«

»Aber Mutter!«

»So ist das. Ich kann mich heute nicht so und morgen anders befassen. Das liegt mir nicht. Ich kenne dich aus. Schon seit drei Jahren zieht das an dem nämlichen Strähmel: immer die noble Madam, ohne an die Kasserollen und den Laden zu denken, und wenn ich dich so richtig betrachte,« und mit heiserem Lachen fingerte sie ihre Schnupftabaksdose wieder an Ort, »du kommst mir vor wie das rosinfarbige Weib in der Bibel.«

»Ich?!«

»Wer denn anders? Ja – du und noch dabei mit 'nem goldenen Ring in der Nase.«

»Na, so was!«

Die junge Frau begehrte auf. Ihr Gesicht schien blutleer geworden. Die Brust hob und senkte sich stürmisch.

»Soll ich das für volle Wahrheit verschleißen?«

»Ich bitte, sich bedienen zu wollen.«

»Merci!«

Hinter der Erregten klinkte die Tür ein.

Die Alte sah ihr nach und zuckte die Schultern: »So ist sie nu mal, und so was will die Frau von meinem Aloys bedeuten! Ich lache darüber, wie die Peijatze lachen. Lieber 'n fleißiges Maultier im Hause als 'ne hübsche Kamelin. Da hat man doch sein Gusto in den Kammern und sein geordnetes Auskommen. Aber bei diesem Gehabe ...«

»Oma, Ihr seid etwas happig gewesen.«

»Ich nicht, aber sie. Ich weiß das: dem neumodischen Weibsvolk hat man die Kandare anzulegen, sonst zieht das die kurzen Röcke bis über das Knie, um wie 'ne Wachtelhenne zu kakeln. Der Rest ist bloß Malör zwischen den Pfählen. Prosit die Mahlzeit! ich danke für solche Begebenheiten und Fisimatenten. So! und hier sind die Altendeckel ... zweihundertundfünfzig ... und hier was für das niedliche Jüngsken ...« und sie steckte mir ein Kevelaerer Pilgerfähnchen in die gierigen Finger, bedruckt mit den buntfarbigen Seligkeiten des Paradieses und den furchtbaren Unseligkeiten der ewigen Höllenstrafen.

In heller Freude wollte ich schon auf die Straße hinaus, als Hübbers noch ein Anliegen vorbrachte.

»Oma,« meinte er mit gerunzelten Mundecken, »Ihr sagtet soeben ... da draußen ... vor 'ner kleinen Viertelstunde vielleicht ... Gottverdorie nochmal! wie war doch die Sache? Ja so ... Ihr spracht da was von Himmel und Erde ... von 'nem gewissen Momentus ... Man hat doch auch sein Interesse daran ... Ich meine: wie war das doch mit den offenen Toren und dem gewaltigen Feuer aus der Ewigkeit herunter?«

»Das wißt Ihr nicht, Hübbers?«

»Keine Idee.«

»Und habt nachts herum noch gar nichts bemorken?«

»Oma, kein Spierchen.«

»Mann Gottes ...« und sie musterte meinen Freund vom Kopf bis zu den Schuhspitzen, »das ist doch, um mit den Hühnern zu krähen! Kommt mit mir.«

»Schön!« sagte Hübbers, »also avanti!«

Er, das Aktenbündel unterm Arm, und ich, mit dem Kevelaerer Papierfähnchen bewaffnet, folgten der Alten.

Selbstbewußt verließ sie den Laden, stapfte gemessen durch den Hausflur, um von hier aus das Freie zu gewinnen. Nach wenigen Schritten pflanzte sie sich neben der Türschwelle auf.

In ihren stahlgrauen Augen begann es zu lichtern.

»Hübbers, dort oben!«

Mit ihrem Krückstock stieß sie ein scharfes Loch in das Himmelreich, just neben dem vergoldeten Hahn auf Sankt Nikolai.

Ihre Stimme nahm einen prophetischen Ton an.

»Dort wird ein Zeichen stehen wie eine haarscharfe Sichel,« also begann sie, »pures Gold, und wird alles bedecken mit seinem feurigen Regen. Was es bedeutet, ist uns Menschen verborgen, aber das wissen wir schon, es übermittelt nichts Gutes: Krieg oder so was, Pestilenz und betrübte, armselige Zeiten.«

Sie suchte nach Atem.

Hübbers folgte dem Bakel, als wenn sich jetzt schon irgendetwas Verdächtiges in der Nähe des Turmes erhöbe.

»Wann soll es denn kommen?« fragte er schüchtern.

Die Alte sah ihn an, als müßte sie ein großes Geheimnis in den blauen Düffelrock versenken. Dabei ließ sie ihren Stock wieder herunter.

»Die Schriftgelehrten behaupten: so Ende des Monats, genau auf Tag und Stunde, wenn die Nächte einen immer längeren Atem empfangen. Mit Hirtzensprüngen geht's dann durch die ewigen Welten. Sterne ziehen herauf, und Sterne pilgern wieder der Niederung zu. Aber einer ist drunter, der hat weder Anfang noch Ende, der dreht sich, wie mir Aloys noch gestern abend erzählt hat, aus 'ner Gegend heraus, dicht beim überirdischen Jerusalem ... noch weit hinterm Mond fort ... in der Nähe der ewigen Anbetung ...«

»Oma, was Ihr nicht aufbringt!« fiel Hübbers dazwischen. »Das läuft einem ja ordentlich kalt und warm den Buckel herunter.«

»Warum auch nicht?! denn alles, was aus dem Unbewußten herauswill, kommt einem so vor, als wenn auf dem Allerseelentag die Toten den Mund auftun, um sich von ihren Sünden und unnützen Begebenheiten freizusprechen ... und ich sage Euch, Hübbers – schon Anno dazumal, um die Zeit herum, als die Franzosen die rheinischen Schinken aus den Räucherkammern angelten und ihre Kanonen die ganze Welt beunruhigten, hat schon so was Ähnliches zwischen Himmel und Erde gestanden. Da ist ein großes Sterben über die Menschheit hergefallen, besonders über die Kriegsvölker, in Rußland und Leipzig dahinten; hingegen das jetzige Zeichen ...«

»Aber wo steht's denn?«

»Hübbers, noch ist es im Unbewußten geblieben. Indessen jedoch, wenn die Nächte recht hell sind, können solche, die ein Perspektivum besitzen, was Lichtes neben dem Kirchturm herausspekulieren. Und Aloys, der so'n bißchen vom Gelehrten besitzt, weil er bis Quarta auf der Rektoratschule arbeitete, will es als Wahrheit ansprechen, daß solche Menschen, die ein vives Auge besitzen und nächtlicherweise herumpatrouillieren, schon so'n helles Schimmern empfangen, und da sollte ich annehmen: Ihr als eingeborener Nachtwächter, dem nichts verborgen bleibt von abends zehne bis morgens um dreie, wo die Hähne laut werden, hätte schon so 'n Fünkchen von Gottes Allmacht und Allgegenwärtigkeit betrachtet.«

»Nee,« sagte Hübbers, »mir ist noch gar kein besonderes Zeichen erschienen, höchstens, daß sich der Schuster Kogeleboom manchmal aus dem Bette erhebt, um sich bei brennender Laterne von wegen seines barbarischen Durstes eins auf die Lampe zu gießen. Aber das kann ich nicht als besonders auffällig taxieren, denn solches ist bei seinem allgemeinen Lebenswandel für erklärlich zu nehmen und weiter nicht ängstlich.«

»Hübbers,« unterbrach ihn die Alte, »ich rede von dem himmlischen Zeichen,« und ihr Krückstock deutete wieder hart auf den Turmhahn, »von dem gewaltigen Zeichen, das aus der fernen Ewigkeit näherrückt, immer näher und näher, feurig und glühend, mit tausend und abertausend höllischen Flammen behaftet – von Gott gewollt, von Gott eingesetzt und beglaubigt als Darbringung seines gerechten Zornes auf die sündige Menschheit. Aber dann Gnade uns allen!«

»Oma, nu laßt man. Solche Geschichten hör' ich nicht gerne.«

Die Sprecherin ließ sich nicht irremachen.

»Hübbers, dann Gnade uns allen!« prophezeite sie weiter, »denn so'n brennender Besenstern geht nicht umsonst aus der Hand des himmlischen Vaters und Erlösers. Der peitscht scheußliche Striemen über Gerechte und Ungerechte, über Wasser und Felder, der kommt mit Sturmschritt daher, obgleich mein Aloys so recht noch nicht klar darüber ist, wo das alles hinausführt – ob das Kriegszeiten werden oder sonstige Ängste, wie Pestilenz, Hungersnot und ein allgegenwärtiges Sterben auf Erden, so daß die Tischlermeister sich selber nicht mehr Rat wissen, wo sie nur all die Bretter für die Särge hernehmen sollen. Aber das weiß ich ...«

Mein Freund gestikulierte mit Armen und Beinen.

Ihm saß etwas Kaltes im Nacken.

»Oma, hört auf!«

»Nein, ich höre nicht auf!« rief die Alte, jetzt völlig aus ihrer sonst so ebenmäßigen Ruhe getrieben.

Ihr derber Krückstock stand drohend über ihrem geklöppelten Häubchen.

»Das wäre noch schöner. Das wäre ja gegen die heilige Offenbarung gesündigt, denn was da kommen soll, ist eine Offenbarung aus dem Himmelreich. Die predigt man so, die ist größer als Bibel und Babel. Die fährt den lässigen und üppigen Weibsbildern unter die Röcke, daß ihnen die Brunst genommen wird, wie sie den Kamelinnen genommen wird in der heidnischen Wüste.«

Dabei kamen abermals ihre gesunden Zähne zum Vorschein wie die eines Tieres.

»Feuersterne, Schwanzsterne, Babel und Bibel! Sauve, qui peut! Sauve, qui peut!«

Ihre Worte erstarben.

Sie sah uns nicht mehr.

Ihre gespenstischen Blicke waren wieder gen Himmel gerichtet.

Unauffällig entfernten wir uns.

Mein Freund und Gönner machte immer längere Beine.

»Was sie nur haben mochte?« sagte er ängstlich.

Ich wußte es nicht und knatterte mit meinem papierenen Fähnchen.

Bei der großen Linde schauten wir rückwärts.

Noch immer stand sie neben der Türschwelle.

Feierlich leuchtete der Turmhahn von Sankt Nikolai über die Stadt hin.

Drittes Kapitel

»Was sie nur haben mochte!«

Genau wie Heinrich Hübbers, so dachte ich auch.

Ja, was sie nur haben mochte, diese Staatse, diese eigenartige Frau mit der kurfürstlichen Nase in dem zermergelten Antlitz, dem düsteren Klöppelhäubchen auf den eisgrauen Haaren und dem geschälten Dorn in der knochigen Rechten, den sie so herausfordernd in das Himmelreich stieß, um von dort aus seltsame Dinge, wunderliche Begebenheiten und Besensterne auf die sündige Erde zu prophezeien?!

Mir grauste noch immer und das Blut brauste mir lauter in den Ohren, wenn ich der absonderlichen Szene gedachte, worin Frau Johanna Kordula Teerling, geborene Wintjes, soeben eine hervorragende Rolle gespielt hatte – ernst und feierlich, liebevoll und gütig, um gleich darauf wie ein Missionsprediger von der Kanzel zu lärmen, von einer Kanzel in der Karwoche, schwarzbekleidet und mit Trauerfloren umhangen.

So klein ich auch war, manches fiel jetzt schon als Dämmerung in meine Sinne hinein, was sich nach Jahren erst zu einem restlosen Verstehen aufhellen sollte.

Eine gewisse Beklemmung war in mir, die selbst durch das fröhliche Knattern der buntfarbigen Seligkeiten des Paradieses und der der furchtbaren Unseligkeiten der ewigen Höllenstrafen nicht nachlassen wollte, vielmehr sich verstärkte, je weiter wir uns aus dem Bereiche der Staatsen entfernten.

Das mußte letzten Endes denn auch auffallen.

»Hm, hm!« sagte Hübbers.

Im Rathausgäßchen hielt er den Fuß an.

»Jupp, was befällt dir?«

»Ich hab' so 'ne Bange.«

»Kann es begreifen,« versetzte er tapfer, nachdem er seine eigenen Angstzustände aus dem Hosenboden geschüttelt hatte. »Das darfst du nicht so ganz für voll estimieren. Denn passe mal auf, was ich sage, damit du dich an Oma gewöhnst und ihre Natureigentümlichkeiten sich bei dir anpassen können.«

Er reckte sich hoch.

Das schwere Aktendeckelbündel schob er von der rechten unter die linke Achselhöhle, um besser und gediegener sprechen zu können.

»Die Sache verhält sich folgendermaßen. Man muß sie nur in die richtige Beurteilung nehmen. Oma ist nicht allzeit in derselben Verfassung. Sie hat ihre Tage. Es gibt solche und solche. Da sind welche, die zu den genüglichen und pläsierlichen rechnen, dann welche, die ich die prophetischen nenne, und propter und prätorius welche, die ich als die kommandierenden oder die kratzigen taxiere. Heute sind die beiden letzteren auf ein und denselbigen Hümpel gefallen. So ist Oma nu mal; aber für gewöhnlich kann sie vor uns Menschen und dem lieben Herrgott in allen Ohren und aller Freundschaft bestehen. Harte Zähne, die hat sie, auch 'nen dicken Kopp wie 'ne bockige Ziegenmadam, die immer anders will wie die übrigen Ziegen. Aber das tut nichts, und wenn sie auch öfters mit der jungen Frau nicht dakkohr ist, ihr Knüppel zwischen die Beine verfertigt, so wird das seine Bewandtnis wohl haben, denn allzuviel Rassigkeit zehrt an 'nem gemütlichen Hausstand, zumal Aloys, bei all seiner Vornehmheit und Akkuratesse, etwas drömelig ist und so recht nicht die Munterkeit besitzt, solche Rassigkeit und Weibsschlaue in kommodere Schleusen zu drainieren. Da hilft ihm die Oma. So ist sie zu estimieren, und da sie dir doch 'ne Kevelaerer Bundesfahne geschenkt hat, mußt du sie auch als liebevolle Darbringerin im Andenken bewahren. Das wäre zu sagen. Nu kennst du ihr in ihrer stilvollen Größe, in ihrer totalen Aufmachung ... und da du es weißt, wollen wir uns zu Pappa und Mamma begeben, denn ich habe jetzt noch 'nem notariellen Aktus beizuwohnen, wobei ich 'ne Amtsperson bin und aufpassen muß wie'n eingeschworener Zeuge und Beisitzer. Jupp, das war'n Tag voll höchster Bekömmnis! Ich glaube, wir werden noch vieles erleben.«

Damit trudelten wir dem weißen Hause ›Zu den sieben Linden‹ entgegen.

Im Hausflur trennten wir uns.

Hübbers begab sich mit seinen blauen Aktendeckeln in das Büro meines Vaters, würdig und steif, mit der ganzen Aufmachung und Gemessenheit eines notariellen Zeugen und Beisitzers, während ich ...

Langsam krabbelte ich die altfränkische Treppe hinauf, um im sogenannten Kinderzimmer der Traben- Trabacher Marie, die just dabei war, Wäsche zu plätten und sie in feinsäuberliche Falten zu legen, Gesellschaft zu leisten und ihr meine neueste Errungenschaft, das Kevelaerer Fähnchen, zu zeigen.

Der Neu-Ruppiner Farbenrausch brachte denn auch die behäbige Moselmamsell in eine Art von Verzückung, wobei sie die höllischen Qualen der Verdammten völlig auskostete, aber auch die Freuden mit den Seligen teilte, die berufen waren, von den ewigen Tischen zu essen, und immer neue Worte fand, die himmelanstürmenden Begebenheiten des Fähnleins, sowie die Großzügigkeit der Alten über den grünen Klee und die steilsten Moselberge zu preisen.

»Gottespanier, Gottespanier!« rief sie dazwischen und schlug begeistert ihre Hände zusammen.

Ich aber konnte des mir gewordenen Angebindes nicht froh werden. Selbst die beschwichtigenden Darlegungen meines biederen Freundes verfingen nicht mehr. Mir wurde es blau und grün vor den Augen. Ich stand in einem kreisenden und fauchenden Tobel. Alles und jedes drehte sich um mich wie in einem Karussell mit glitzernden Glassplitterchen: das Bügelbrett, Dielen und Decke, die Schildereien an den Wänden, selbst die Traben-Trabacher Marie mit ihren wohlhabenden Formen, die mir in ihrer Üppigkeit und Fülle fast übermenschlich erschienen. Sie tänzelte auf dem Kopf herum, lobete Gott und die gesinnungstüchtigen Wallfahrer, die im Schweiße ihres Angesichts und in derben Transtiefeln nach Kevelaer pilgerten. Dazwischen klapperte das Platteisen, pritzelte ein seiner Wasserkunst mit spitzem Sirren durch das behagliche Zimmer, lärmte die Staatse mit ihrem Bakel über die Pflastersteine, um ihn dann mit heiserer Stimme in das Firmament zu bohren, aus lautem Halse zu predigen: »Ja, das zwischen Himmel und Erde! das kommt immer näher und näher, und es kann jeden Momentus passieren: Gottes Tore öffnen sich und Gottes ewiges Feuer ...« Herr Jeses nochmal! und dort oben der vergoldete Hahn?! Er schlug mit den Flügeln und krähte aus Leibeskräften von Sankt Nikolai herunter, als wäre der glühende Vesenstern schon dabei, ihn mit Kamm und Kragen zu schlucken. In blinder Not ließ er etwas Ängstliches fallen. Aus steiler Höhe kleckerte es mir gerade auf den Kopf, kleckerte es auf den von Hübbers, auf den von Johanna Kordula Teerling, geborenen Wintjes. Ich sah einen feurigen Regen ... Krieg und Pestilenz ... betrübte und armselige Zeiten ... Dazu jubelte die Traben- Trabacher Marie: »Gottespanier, Gottespanier!« und war alles öde um mich, wie in einem Durstland, voller Qualen und Anfechtungen.

Erst gegen Abend beruhigte ich mich.

Ich saß bei meinen Eltern.

Das seine Rascheln hinter den Tapeten und die warmen Strahlen der Rübsenöllampe, die das sorglich gespreitete Tafeltuch wohlig umspielten, taten mir wohl.

Mit seiner stillen und ruhigen Stimme las mein Vater das erste Kapitel aus dem Landprediger von Wakefield.

Seine Worte reihten sich nebeneinander, als wären es sprechende Anemonen und Himmelschlüsselchen auf einer jungen Frühlingswiese gewesen.

Meine Mutter hörte darauf wie auf ein fernes Klingen jenseits eines verwunschenen Waldes. Dabei stichelte sie bunte Fäden durch ein engmaschiges Straminnetz.

Den Sinn des Vorgelesenen verstand ich nicht, auch das nicht, was der ernste und geruhsame Mann bald darauf mit meiner Mutter verhandelte. Erst nach vielen Jahren wurden mir die Einzelheiten dieser Stunde so klar, als kämen sie von einem einsamen Berge herunter, freundlich und anheimelnd, mit der Aureole eines gütigen Behagens umkleidet. Und doch welche Andacht unter der wundersamen Rübsenöllampe, die manches Mal aufknisterte, als wären heimliche Geisterlein in ihrer Nähe lebendig geworden.

Er hielt plötzlich mit Lesen inne und sagte: »Ich denke eben daran. Die freundlichen Spiele mit dem goldigen Blätterfall werden sich wohl bald ihrem Ende nähern.«

»Wie meinst du das?« fragte die Mutter, indem sie den Straminrahmen beiseite tat und erwartungsvoll ihre weißen Hände zusammenlegte.

»Nun, an Stelle der freundlichen Stunden werden mürrische treten. Nebel und Regen. Von Harparanda wird dieses gemeldet. Die kommenden Nächte, ohne Aufheitern und sonder Sternenfeuer, dürften uns kaum Gelegenheit bieten, das größte Phänomen dieses Jahrhunderts geziemend bewundern zu können.«

»Schade, sehr schade!« warf meine Mutter bedauernd dazwischen, um gleich weiter zu fragen: »Und wann wäre die Erscheinung zu erwarten gewesen, ich meine, den menschlichen Sinnen erreichbar?«

»Binnen kurzem. Mit bewaffnetem Auge ist ihre rätselhafte Bahn jetzt schon nachzuweisen. Alle Kometensucher verfolgen das eigenwillige Ziehen und Wandern des ewigen Juden im unermeßlichen Weltenraum mit gesteigertem Interesse. Den Berechnungen nach tauchte er zuerst im Großen Bären auf, um von hier aus das leuchtende Haar der Berenike, das Sternbild der Hunde und das des Bootes zu durchgeistern. Von hier aus geht sein Weg mit feierlichem Glänze durch Jungfrau und Schlange. Hier angekommen, neigt er sich immer weiter der Ekliptik zu, immer schwächer und ärmlicher werdend, bis er schließlich im Skorpion völlig dem menschlichen Auge, den Gläsern und den Kometensuchern entschwindet.«

Meine Mutter begann wieder zu sticken.

»Und dieses Wunder der Neuzeit könnte uns möglicherweise entgehen?« fragte sie nach einiger Weile.

»Es kann immer passieren, falls die regnerischen Tage sich langer hinziehen sollten. Verschleierte Nächte sind keine Freunde des Lichtes.«

»Wie schade, wie schade!«

»Leider, nichts dran zu ändern,« bemerkte mein Vater und hub aufs neue an, den biederen Landprediger von Wakefield sprechen zu lassen, seine teils heiteren, teils freudelosen Darbietungen durch das Schweigen der traulichen Stube zu spinnen.

Aus einer umdüsterten Ecke des Zimmers tinkte eine Alabasterpendule von ihrer Konsole herunter.

»Acht Uhr,« sagte die Mutter.

Ihre braunen Augen streiften mich mit freundlicher Güte.

»Es wird Zeit,« meinte sie heimelig.

In diesem Augenblick erschien die Traben-Trabacher Marie, um mich unauffällig in die Arme des Schlafes zu betten.

»Gute Nacht!« und hinter mir versanken Vater und Mutter, die Rübsenöllampe mit ihrem sanften Scheinen und Zirpen, der Prediger Primrose mit seinem Sohn Moses, seiner vorbildlichen Hausehre, die den besten Stachelbeerwein kelterte, und alle die Dinge, die mich im Laufe des Tages beschäftigt hatten: die Staatse mit ihrer prächtigen Nase, der vergoldete Turmhahn, selbst Hübbers mit seinen Redensarten von tiefgründiger Weisheit ... und es war mir: auf kurzen Beinchen trudelte ich in eine buntfarbige Traumwelt hinein, in ein Land voller Widersprüche und Absonderlichkeiten, als hätte ein drolliger Kauz Zeit und Muße gefunden, seine Marionetten in einem Hohlspiegel tanzen zu lassen, kielkröpfig, spinnengelenkig, dann wieder solche mit Engelsgesichtern, überirdische Wesen auf blumenbesäten Gefilden, wo Lilien standen, die mit ihren silbernen Kelchen die ewige Kuppel des Himmels berührten. Nur leise dazwischen ein melancholisches Tuten und Blasen, ein Anrufen der nächtlichen Stunden, ein Tropfen und Träufeln, ein Summen und Brausen, das sich anhörte, als würden die Laubmassen von Bäumen auseinandergefältelt, die sich nur widerwillig aus ihrer eingenommenen Ruhe und Beschaulichkeit aufstöbern ließen.

Gleich darauf hörte ich nichts mehr, bis die Traben- Trabacher Marie an mein Bett trat und sagte: »Jüngsten, Jüngsten, was hast du lange geschlafen!«

Also schon Morgen?! aber die Welt in Gold war dahin. Grau und vergrämelt fingerte es durch die bleichen Gardinen. Die Ringeltauben rokuzeten nicht mehr, die Elstervögel, sonst so lärmend und zutunlich, hingen jetzt stumm zwischen den höchsten Zweigen, hin und her geschaukelt von einer steifen Brise, die dumpf und feucht aus der Niederung heraufschwaderte. Heftige Regentropfen klatschten gegen die Scheiben, rieselten in langen Tränen an den Fenstern herunter. Immer dunstiger zog es über die kleine niederrheinische Stadt hin. Die Fernen verloren sich. Kaum noch waren die gegenüberliegenden Hauserzeilen zu sehen. Die sieben Linden wurden zu ernsten Lemuren. Sie erinnerten an die grauen Schwestern im benachbarten Kloster, an die reuigen Büßerinnen zur ewigen Anbetung, nur ins Gigantische hineingehend, übermenschlicher, mit den Schauern des Gespenstischen umkleidet. Ihre düsteren Hollen wehten im Wind, der immer nachhaltiger die mürrischen Gestalten durchwühlte. Dazu das verdrießliche Zwirnen der Regenfäden, das stetige Fallen der schmutzigen Blätter, das Schlürfen und Schlucken in den verlorenen Kändeln und Rinnsalen.

So ging das Tage um Tage und Nachte um Nächte. Kein freundliches Glitzern und Blenkern, kein Aufgehen und Niedergehen der ewigen Sterne. Die erste Woche verging; die zweite hatte bereits ihren Atem verloren, ohne daß der liebe Herrgott Anstalten machte, tagsüber mit freundlichen Farben und nächtlicherweise mit seinem lichten Feuerwerk zu spielen.

Es blieb alles beim alten.

Die armen Seelen zogen auf ausgetretenen Wollsocken durch ein gleichgültiges Einerlei, durch ein Land ohne Lachen.

Mürrische Schleier und trostlose Herzen!

Jedereins wähnte, es würde stetig so bleiben.

Doch da eines Tages ...

Langst war ich schlafen gegangen. Aber die Müdigkeit wollte nicht kommen. Von meinem kleinen Alkoven aus, unmittelbar neben dem Gemach meiner Eltern, bemerkte ich, daß das Nachtlicht mit seinem schwimmenden Docht zitterige Kreise und Kringel gegen die weißgekälkte Decke malte, sie tänzeln ließ, sie immer lebhafter auf und nieder bewegte. Ungewiß schimmerten die silberigen Ringelspiele herüber, leichtfüßig wie die von einer Wasserspinne hingezirkelten Schleifen und Kegelschnittlinien auf dem Spiegel eines schweigsamen Teiches.

Ich hörte auf das seine Tupfen gegen die Scheiben, das Gurgeln und Träufeln, das gleichmäßige Sumsen der Linden, deren düstere Schatten sich unwillig im Rahmen des weiten Fensters schaukelten; doch schien es mir, als wenn die Regenschauer an Heftigkeit verlören, das Rieseln nachließe und sich immer weiter entfernte.