Die Brinkschulte - Joseph von Lauff - E-Book

Die Brinkschulte E-Book

Joseph von Lauff

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Beschreibung

"Die Brinkschulte" ist ein Heimatroman aus der Soester Boerde in Westfalen. Protagonistin ist Johanna Brinkschulte, eine erfolgreiche Frau mit dem vermeintlich reichsten Hof zwischen Ruhr und Lippe ...

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Die Brinkschulte

Joseph von Lauff

Inhalt:

Joseph von Lauff – Biografie und Bibliografie

Die Brinkschulte

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Schluß

Die Brinkschulte, J. von Lauff

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849638719

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Joseph von Lauff – Biografie und Bibliografie

Dichter, geb. 16. Nov. 1855 in Köln als Sohn eines Juristen, besuchte die Schule in Kalkar und Münster, wo er das Abiturientenexamen bestand, trat 1877 als Artillerist in die Armee ein, wurde 1878 zum Leutnant, 1890 zum Hauptmann befördert und wirkte, einer persönlichen Aufforderung des Kaisers folgend, 1898–1903 als Dramaturg am königlichen Theater in Wiesbaden, wo er noch jetzt lebt; gleichzeitig wurde ihm der Charakter eines Majors verliehen. L. begann seine schriftstellerische Tätigkeit mit den epischen Dichtungen: »Jan van Calker, ein Malerlied vom Niederrhein« (Köln 1887, 3. Aufl. 1892) und »Der Helfensteiner, ein Sang aus dem Bauernkriege« (das. 1889, 3. Aufl. 1896), denen später folgten: »Die Overstolzin« (das. 1891, 5. Aufl. 1900); »Klaus Störtebecker«, ein Norderlied (das. 1893, 3. Aufl. 1895), »Herodias« (illustriert von O. Eckmann, das. 1897, 2. Aufl. 1898), »Advent«, drei Weihnachtsgeschichten (das. 1898, 4. Aufl. 1901), »Die Geißlerin«, epische Dichtung (das. 1900, 4. Aufl. 1902); er schrieb fernerhin die Romane: »Die Hexe«, eine Regensburger Geschichte (das. 1892, 6. Aufl. 1900), »Regina coeli. Eine Geschichte aus dem Abfall der Niederlande« (das. 1894, 2 Bde.; 7. Aufl. 1904), »Die Hauptmannsfrau«, ein Totentanz (das. 1895, 8. Aufl. 1903), »Der Mönch von Sankt Sebald«, eine Nürnberger Geschichte aus der Reformationszeit (das. 1896, 5. Aufl. 1899), »Im Rosenhag«, eine Stadtgeschichte aus dem alten Köln (das. 1898, 4. Aufl. 1899), »Kärrekiek« (das. 1902, 8. Aufl. 1903), »Marie Verwahnen« (das., 1.–6. Aufl. 1903), »Pittje Pittjewitt« (Berl. 1903) sowie die Lieder »Lauf ins Land« (Köln 1897, 4. Aufl. 1902). Als Dramatiker trat er zuerst hervor mit dem Trauerspiel »Inez de Castro« (Köln 1894, 3. Aufl. 1895). Von einer Hohenzollern-Tetralogie sind bisher erschienen und wiederholt ausgeführt »Der Burggraf« (Köln 1897, 6. Aufl. 1900) und »Der Eisenzahn« (das. 1899); ihnen sollen »Der Große Kurfürst« und »Friedrich der Große« folgen. Lauffs neueste Dramen sind das Nachtstück »Rüschhaus«, das vaterländische Spiel »Vorwärts« (beide das. 1900) und das nach dem Roman »Kärrekiek« verfaßte Trauerspiel »Der Heerohme« (das. 1902, 2. Aufl. 1903). Während L. in seinen Romanen echtes Volksleben des Niederrheins poetisch festhält und in seinen epischen und lyrischen Dichtungen trotz wortreicher Diktion ein starkes Talent verrät, greift er in seinen Dramen, namentlich in den höfisch beeinflußten Hohenzollern-Stücken, oft zu unkünstlerischen Mitteln und erweckte entschiedenen Widerspruch. Vgl. A. Schroeter, Joseph L., ein literarisches Zeitbild (Wiesbad. 1899); B. Sturm, Joseph L. (Wien 1903).

Die Brinkschulte

Erstes Kapitel

»Ick gröte Ju, leiwe Mann!«

Etwas Großes, Feierliches, Leuchtendes lag unter dem ehernen Himmel. Der Weizen rauchte, und von den nahen Hügellehnen kam der warme Blust der Roggenschläge herüber. Fern im Nordosten verschwamm im blauen Duft die lange Osningkette. Dunkles Grün zog sich näher heran, während in der Niederung selber, die sich zwischen Ruhr und Lippe erstreckte, der Brinkschultenhof lag, selbstgefällig und trotzig, insichgekehrt und von schwerfälliger Eigenart wie die Herren dieses Anwesens, die schon Jahrhunderte hindurch auf diesem Grund und Boden den Pflug geführt und die Scholle gebrochen hatten.

Etwas Grobknochiges ging von diesem Gehöft aus. Mit Ausnahme des Herrenhauses krochen die Nebengebäude wie breit hingelagerte Tiere fast am Boden hin, überragt von knorrigen Eichen, die in regelmäßiger Anordnung und wie stiernackige Bauernknechte so kraus und sparrig eingepfählt waren, als sollte das für die Ewigkeit so weiter gehen. Von hier aus lief freies Land gen Norden zu, eine einzige blanke Fläche, im Volksmund die ›Soester Börde‹ genannt, die nur gen Westen und in der Nähe des Brinkschultenhofes von dem ›Düstermoor‹ durchsetzt war, wo die Kiebitze flogen und die Regenpfeifer ihre melancholischen Stimmen vernehmen ließen. Durch dieses Moor mit seinen Erlenstrünken und Torfstichen streckte sich der Hellweg, eine verwahrloste Straße, die zur Linken nach Unna und Dortmund, zur Rechten über verschiedene Bauern- und Liegenschaften bis ins Lippische führte. Moor und Hellweg waren verwunschen. Jetzt lag alles vergoldet; aber wenn die Dämmerung heraufstieg, wenn die Abendstimmen lebendig wurden, hoben sich dort weiße Fäden auf, häkelten sich um Busch- und Strauchwerk und krochen als quirlige Tücher über den Hellweg, und dann sagten die auf dem Brinkschultenhof: »Der Heidemann steigt; wollen man die Läden zumachen,« und dann machten sie die Läden zu und ließen sie verschlossen, bis die Sterne wieder verblaßten.

»Ick gröte Ju, leiwe Mann!«

Hatte da jemand gesprochen? Niemand, keine menschliche Seele; nur ein feines Säuseln lief mit den endlosen Feldern, auf denen das Korn sich kaum wahrnehmbar gegen den tiefblauen Horizont anwellte. Es war wie Katzenfell, so graugrün gab es sich unter dem fächelnden Hauch des leise dahinziehenden Windes. Ähre bei Ähre! Halme und Spelze verflochten sich, umarmten sich wechselseitig und ließen ihre fadigen Grannen gegeneinander spielen. Ein verlorenes Wiegen und Biegen! – und darüber hin wogte eine Wolke fruchtbaren Staubes, der an den Duft frischgebackenen Brotes erinnerte. Es war der Auftakt seligen Vergessens und Liebens. Nicht lange mehr, und die junge Frucht mußte in den Zustand der ersten Milchreife treten, um bald darauf der Ernte entgegenzuschauern.

Das Wiegen und Biegen verlor sich. Eine tiefe Stille setzte plötzlich ein, die weder Anfang noch Ende hatte. Eine Glocke, die von der benachbarten Bauernschaft anschlug, machte das Schweigen noch fühlbarer. Sie sagte die Mittagszeit an. Da ging es wie ein Aufatmen durch die immer drückender werdende Schwüle. Die da drüben auf der Wiesenkoppel, Knechte und Mägde, wischten sich den Schweiß von der Stirne, schulterten die Sensen und schlenderten dem Brinkschultenhof zu. Vereinzelte Blinkfeuer liefen eigenartig durch die lebendigen Hecken oder züngelten wie Schlangen über das flimmernde Getreide. Dann regierte wieder die Sonne mit ihrem gleichmäßigen Licht und legte glühende Filigrannetze über die immensen Roggen- und Weizenschläge.

»Ick gröte Ju, leiwe Mann!«

In den Korngassen, die eine schmale Hügellehne durchquerte und etwa auf fünfhundert Schritt am Eingang des mächtigen Hofes vorbeiführte, wurde eine Stimme lebendig. Es war eine schleppende, lurgsende Stimme, die aber zu einem widrigen Gelächter wurde, als sich eine verschrumpfelte Hand emporstreckte, sich ballte und mit nervösem Rütteln und Schütteln den Brinkschultenhof bedrohte.

Wohl an fünfzehn Herzschläge hindurch stand sie ehern in der zittrigen Luft, weiß und starr wie eine Totenhand, um dann mit einem kurzen Schrei zurückgezogen zu werden und schlapp niederzusinken.

Gleichzeitig ließ sich die Gestalt eines verwachsenen Mannes in die Korngasse fallen, griff mit beiden Fäusten in die Erdkrume hinein und zermürbte die trockenen Klumpen zwischen den hageren Fingern.

Langsam, fast widerwillig fielen die knochentrockenen Partikelchen wieder in den Schoß der Mutter Erde zurück.

Der Mensch mit dem hafergelben Gesicht und den hohen Schultern, zwischen denen der Kopf bis zu den Ohrläppchen steckte, sah sie rinnen und rieseln. Die lange Nase schien noch länger zu werden. In den blutunterlaufenen Rattenäugelchen stand ein gieriges Leuchten, ein halsstarriges Festhalten am Besitz, der ihm von Rechts wegen nicht zustand.

Das Spiel mit den Erdkrumen wiederholte sich ständig. Nach dem dreizehnten Mal bohrte er seine Hände tief in die Schollen hinein, ließ sie dort wühlen und knirschte zwischen den Zähnen, die noch fähig waren, Kieselsteine zu schroten: »Brinkschultenland, neunhundert Morgen, das verdammte Düstermoor gar nicht gerechnet ... Land, mein Land! – Kreuzhimmel, verdammich ...!«

Mit einem Ruck stand der Alte wieder auf den Füßen, und seine Blicke gingen aufs neue über die endlose Flut der kaum merklich auf und nieder wogenden Halme. Raubvogelartig glitten sie von einem Acker zum andern, von einem Weizenschlag zum andern, als müßten sie jede einzelne Ähre zählen und sie auf ihre Ertragsfähigkeit ansprechen, um abermals den Eingang des weitläufigen Gebäudes unter scharfer Beobachtung zu halten. Dann revierten sie wieder. Langsam drehte sich dabei der fleischlose Schädel auf dem kurzen Halse, der sich nur schwer und wie in verrosteten Angeln bewegte. Eine seidene Schirmmütze deckte den Hinterkopf. Vereinzelte Haarsträhnen schoben sich aus dem unteren Rand vor. Es waren Strähnen wie aus einem alten Ziegenfell gezwirbelt. Etwas Marabuartiges haftete dem einsamen Späher an, der unentwegt auf Posten stand und mit gierigen Augen die weite Gegend absuchte.

Die Weizen- und Roggenfelder allein waren es nicht, die ihn interessierten; straffer denn vorhin spähte er jetzt den Pfad entlang, der am Rand der nächsten Parzelle vorbeilief, nach links abbog und schließlich in den Hof des stattlichen Anwesens mündete.

Aber nichts regte sich auf ihm und im Schatten der krausen Eichen, die den Eingang flankierten und violblaue Tücher über die Ziegel- und Strohdächer des Gehöftes warfen.

»Kreuzhimmel, verdammich ...!«

Der Alte schob die klebrige Seidenmütze noch mehr in den Nacken und versuchte, die aufgelösten Sardellenhaare mit spitzen Fingern zu ordnen.

»Schon drei Tage steh ich hier,« sagte er durch das Kämmen hindurch. »Morgen ist der letzte Tag; aber wenn sie morgen nicht kommt ...«

Er verschluckte die letzten Worte. Erneut kam die alte Wut über ihn. Das hafergelbe Gesicht machte Anstalten, sich aus den hohen Schultern zu recken. Es gelang nicht. Da streckte der Alte wieder die Faust aus. Drohend war sie auf den Brinkschultenhof gerichtet, als müsse er ihm die gekrümmten, leichenhaften Finger ins Gesicht hineinstoßen.

»Denn also bis morgen!«

Hierauf drehte er bei, schnitt sich aus der eingesprengten Hecke einen handlichen Weißdorn und begann, ihn mit scharfem Messer zu schälen, wobei er immer die zudringlichen Stechfliegen, die sich auf Nacken und Hände niederließen, verscheuchen mußte. So ging das eine Viertelstunde hindurch, und er bemerkte es nicht, daß einer den Brinkschultenhof verließ, sich der sanftabgedachten Hügellehne zuwandte, um von hier aus den Hellweg zu gewinnen. Es war der jüdische Beschneider Simmchen Löwenthal aus dem nahen Werl, ein noch immer viver Mann in den sechziger Jahren, der im Nebenamt einen kleinen Woll- und Viehhandel betrieb, um, wie er sagte, seinem schmalen Gehalt etwas unter die Arme zu greifen. Dabei ließ er die Würde seines Standes keineswegs außer acht, trug stets einen abgelebten Zylinder, selbst auf seinen merkantilen Gängen, weil er die Ansicht vertrat: Wer nobel erscheint, wird nobel bedient, und so kam es denn, daß er von Werl bis weit ins Lippische hinein ein gern gesehener Mann war. Simmchen Löwenthal hatte ein Nazarenergesicht, über und über mit linsengroßen Sommersprossen verziert und gesprenkelt. Ein fuchsiges, nur mit etlichen grauen Fäden durchsetztes Bärtchen rahmte es ein. In den verschleierten Augen lag ein sanftes Licht, sanft wie das Girren der Turteltauben und milde wie Rahmkäse. Dazu waren seine Worte süße wie König, und wenn er so mit zur Seite geneigtem Kopf die Vorzüge oder Nachteile einer melkenden Kuh begutachtete, mit schönen Augen und gelenkigen Fingern das Euter befühlte, noch eine gehörige Portion Worte hinzutat, dann war das Geschäft so gut wie gesichert; denn Simmchen Löwenthal bezahlte nicht nur mit blanken Speziestalern, sondern auch mit lieblichen Augen und feinen Redensarten, die er mit der gönnerhaften Ruhe eines wirklich edlen Menschen anpräsentierte. Letzteres allerdings mehr zu seinem eigenen Profit als zu dem der stumpfsinnigen Bauern, weshalb denn auch seine Glaubensgenossen einen großen Respekt vor ihm hatten, öfters die Köpfe zusammensteckten und sich zumauschelten: »Gott, was e Mann! Simmchen Löwenthal is reicher als reicher.« – Simmchen schnürte sich immer näher und näher. Nach Art seines Stammes kam er auf weichen Füßen gegangen, blinzelte wie ein bekümmertes Hühnchen über die weiten Getreidefelder und überdachte das mise Geschäft des heutigen Tages, als er sich plötzlich dem Alten gegenüber sah, der eben mit dem Abschälen des geschnittenen Weißdorns fertig geworden war.

Mit einer kurzen Bewegung prallte er zurück.

»Straf' mich Gott ...!« lallte er wie vom Monde gefallen.

»Ja, Simmchen, ich bin es,« versetzte der Alte. Seine Stimme flackerte. Die Begegnung schien ihm nicht recht zu gefallen. »Aber was stieren Sie denn? Zehn Jahre sind doch keine Ewigkeit, Simmchen!«

»Wahrhaftiger Gott!« erstaunte sich Löwenthal. »Schon ßurück von die Vereinigten Staaten? Er is es wahrhaftig! Darf ich fragen, Herr Jaspers, wie's Ihnen bekommen is bei die Leute dahinten?«

»Wie's mir bekommen ist?«

»Ja – ich meine, Herr Jaspers.«

»Schmul, Sie sind wohl verrückt!«

Über die Züge Löwenthals glitt ein ergebenes Lächeln. Mit einer weichen Bewegung legte er den Christuskopf auf die linke Seite des etwas angefetteten Rockkragens.

»Schmul?« fragte er mit sanfter Betonung. »Was heißt Schmul? Ich werde mir doch wohl mit Ihrem gütigen Einverständnis die Frage erlauben dürfen: Herr Jaspers, haben Sie 'ne schöne Bekömmnis gehabt über das große Wasser dahinten?«

»Nee, Simmchen, das dürfen Sie nicht.«

»Nich?!« meinte dieser, »wo Sie doch unsichtbar gewesen sind lange ßehn Jahre hindurch vor meinen sichtbaren Augen, Herr Jaspers!«

Der Alte klopfte ihm mit häßlichem Grinsen auf die Schulter: »Tun Sie doch nicht wie 'n neugeborenes Kalb. Sie wissen doch, Simmchen ...«

»Ich weuß,« sagte der Jude, »man kann in fitale Begebnisse kommen.«

»Und da wissen Sie auch ...«

»Gott, ich weuß! Das mit die preußischen Gerichte! Es war 'ne fitale Sache.«

»Fatal nur?« fragte der Alte.

»Nu, sagen wir, es war 'ne große Maramme. Es war ein Schlamassel.«

»Und alles um das da!« grinste der alte Brinkschulte, genannt Jaspers, und seine Augen überflogen wieder das Areal des stolzen Gehöftes, das sich selbstbewußt unter dem ehernen Himmel sonnte und streckte. »Nur um dem verfluchtigen Anerbenrecht um die Ohren zu knallen und meinem verstorbenen Bruder eins auszuwischen – nur um dessentwegen ist alles gekommen.«

Er schnappte nach Atem.

»Ich weuß, Sie haben ihm ein Feuerchen unter die Nase gehalten.«

»Den roten Hahn habe ich ihm aufs Dach gesetzt,« konstatierte der Verwachsene mit hämischer Genugtuung und ließ dabei den geschälten Dorn durch die Luft spielen, »ihm und seiner hochfahrigen Tochter, und wenn er auch nur auf der Weizenscheuer gekräht hat, eins hat mich fuchsteuflisch gefreut: ihn, was mein Bruder ist, hat der Schreck in die Stoppeln geworfen.«

»Schweigen Sie still,« meinte Simmchen. »Ich bin ein alter Mann un kann mich nich einlassen in solche Geschichten. Sie riechen wie aus dem Abtritt geßogen. Sprechen Sie leise, Herr Jaspers, oder gehen Sie wieder ßu die Vereinigten Staaten. Die preußischen Gerichte kommen Ihnen über dem Halse, un diesmal sind sie fixer als mit ihre damaligen Beine.«

»Hat nichts mehr zu sagen.«

»Weil Sie glauben, Herr Jaspers, die Sache ist von die Rolle des hohen Gerichtes gestrichen?«

Der Alte nickte und machte dazu die Hantierung des Strickdrehens.

»Tot und verjährt,« sagte er tonlos.

Simmchen Löwenthal trat näher. In seinen sanften Augen stand ein versöhnliches Leuchten. »Herr Jaspers,« sagte er nach einigem Überlegen, »hören Sie, bitte, auf meine schönen Gefühle. Lassen Sie den Spektakel von wegen die Anerbenrechte. Es is 'ne alte Gewohnheit von die westfälischen Leute. Sie können doch nich dagegen anoperieren. Werden Sie wieder ein Mann mit 'nem noblen Gewissen, machen Sie Ihren Frieden mit der leiblichen Tochter Ihres verstorbenen Bruders, der Madam Brinkschulte, gehn Sie wieder nach Dortmund, wo Sie geschrieben haben auf die Advokaturkanzlei für dreißig Pfennig den Bogen, benehmigen Sie sich als ein Engel aus dem Paradies dem Brinkschultenhof gegenüber, un die Leute werden sagen: Der Herr Jaspers is wiedergekommen von die Vereinigten Staaten, hat sich 'nen neuen Menschen zugelegt un den alten Adam bei die Indianers gelassen.«

»Daß ich ein Idiot wäre!« trumpfte der Alte auf.

»Wie heißt ›Idiot‹?« meinte Simmchen. »Warum sind Sie denn gekommen nach hier, warum stehn Sie denn mang die Roggenfelder un kucken sehnsüchtig nach die Geburtsstätte ihrer Väter herüber? Gott, du Gerechter! – Sie wollen doch nicht bringen ein neues Malör über die Pfannen Ihres eingeborenen Hauses?«

»Ich stehe hier, um mit der Tochter meines Bruders zu sprechen,« kam es gepreßt aus dem Munde des Heimgekehrten. »Seit drei Tagen warte ich hier. Hier will ich sie abfassen, um ihr den Skandal unter dem eigenen Dach zu ersparen. Aber wenn sie morgen nicht kommt, dann sollen auch ihre Türpfosten hören, was ich mit ihr zu besprechen habe.«

»Dann müssen Sie sich anderweitig benehmen, Herr Jaspers.«

»Wieso?« fragte dieser.

»Nu,« meinte Simmchen, »bin ich doch soeben gewesen im Hof, um ßu kaufen die Blesse. Gott, was 'ne Kuh! Die beste zwischen Unna un Dortmund. Gut, sage ich, werde ich beßahlen hundertfünfßig Speziestalers. Aber wem soll ich beßahlen? Natürlich werde ich beßahlen an die Madam von dem Hause. Aber wo is sie? Ich frage die Viehmagd. Nich ßu Hause, Herr Löwenthal. Sie hat ins Lippische gemacht. Auf wie lange? frage ich wieder. Auf vierßehn Tage, Herr Löwenthal. Schön, sage ich, dann komme ich wieder ßu diesem Termin, um ßu beßahlen die Blesse. – Sehn Sie, Herr Jaspers, wie ich mit die hundertfünfßig Talers warten muß, werden auch Sie warten müssen, um ßu skandalieren auf dem Brinkschultenhofe.«

»Himmel, Gewitter ...!«

»Ich bitte Ihnen, bleiben Sie bei 'ner Besinnung, Herr Jaspers.«

»Wo mir das alles passiert ist?!« zeterte der Alte. »Glauben Sie denn, Simmchen, mir stände der Gusto danach, mich mit meinem krummen Kadaver wieder über den Kontorstuhl zu flegeln, den verdammten Aktenstaub herunterzuschlucken, in dreckigen Prozessen herumzuschnüffeln und mit den Ratzen wie früher an ein und derselben Brotkruste zu schroten, wo die da drüben bis über die Ohren im fetten Schmand sitzt und sich die Finger abschleckert?! Simmchen, Sie sind wohl meschugge! Dafür habe ich nicht wieder retour gemacht. Das wäre noch schöner! – Nee, Simmchen, jetzt wird mit allen Klarinetten aufgespielt. Mein Recht will ich haben: Vieh und Mist und den Hahn drauf und alles übrige, was mir von Rechts wegen zusteht.«

»Ich bitte Ihnen nochmals, Herr Jaspers, es wird doch nicht so eilig pressieren.« »Ja, es pressiert!« schrie der Alte, und wieder streckte er die leichenfarbige Faust über die Korngasse. »Entweder – oder; sie bezahlt, oder sie soll verrecken, das Fraumensch!«

Simmchen Löwenthal verfärbte sich. Entsetzt sah er auf die eingekrampften Finger, die drohend in der zittrigen Luft standen.

»Schweigen Sie still!« wimmerte er. »Ich bin ein alter Mann un ein ehrlicher Mann; es sind faule Geschichten. Ich schmeiße sie fort wie ein Stück trefer Fleisch über die Schulter. Waih geschrien! Was sollen die gefährlichen Betreibungen?! Tun Sie nich so entsetzlich mit die Hand; es is ein Greuel vor dem Herrn. Fluchen Sie nich so gefährlich auf die Madam Brinkschulte; es is auch ein Greuel vor dem Herrn; denn Sie un was die Madam Brinkschulte is, sie stammen doch her von die Erbsälzer in Werl un haben dieselben Erbväter gehabt, oder wie sie heißen mögen, die Leute.«

»Nur mit dem Unterschied, Simmchen,« versetzte Jaspers, indem er die gestreckte Faust zurückzog, »daß sie, das Fraumensch, bis ans Maulwerk in andermanns Talg sitzt, in meinem Talg, der mir vor Gott und den Menschen ...«

Er unterbrach sich. Mit dem Hagedorn zeichnete er krause Figuren auf den hartgebackenen Boden.

Simmchen legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Sie wird Ihnen nich verlassen,« sagte er ruhig. »Die?!« lachte der Alte grimmig auf, »die rückt mit keinem scheelen Kastemännchen heraus. Dem Vieh wirft sie's scheffelweise ins Maul; ihr eigen Fleisch und Blut aber kann im Chausseegraben Staub fressen.«

»Ich bitte Ihnen, bleiben Sie in einer richtigen Verfassung, Herr Jaspers, denn was die Madam Brinkschulte is: sie is 'ne ehrliche Frau, sie is 'ne vorsichtige Frau, obgleich sie noch immer keine richtige Frau is. Aber sie wird Sie an ihren jungfräulichen Busen ßiehen, un sagen wird sie: Der verlorene Sohn is ßurückgekommen von die Indianers und Szulukaffers, wo er hat gegessen die Treber mit die amerikanischen Schweine. Wollen ihm schlachten lassen ein Kalb ßu seiner Bekömmnis. – Aber, was ich sagen wollte, Herr Jaspers. Ich meine, haben Sie für die nächsten vierßehn Tage noch eine ausgiebige Notdurft? Haben Sie 'ne Bettstelle un etwas für mittags un abends? Haben Sie Rippchentoback, um sich ßu stopfen 'ne Pfeife mit so was?«

»Nee!« lachte der Alte und beutelte seine leere Tasche nach auswärts. »Nichts, keinen roten Heller, Simmchen.«

Simmchen Löwenthal legte den Kopf noch mehr auf die Seite. Dann sagte er mit wehleidiger Stimme: »Sie rühren mir in Ihrer grausamen Menschlichkeit. Wissen Sie was, Herr Jaspers! Kommen Sie mit ßu meinem Blümchen nach Werl. Sie wird Ihnen geben 'ne Bettstelle un etwas für mittags un abends. Sie wird Ihnen geben Rippchentoback un ein Schälchen mit Kaffee, damit Sie wieder ßusammen bringen Ihren inneren und auswendigen Menschen, bis die vierßehn hungrigen Tage herum sind.«

»Ich danke Ihnen, Simmchen. Ich habe Freunde in Dortmund.«

»Was sind das für Leute?«

»Sozis und solche, die es werden wollen.«

»Die gefallen mir nich,« sagte Löwenthal. »Ich werfe sie auch wie trefer Fleisch über den Rücken.«

»Es sind Menschenbeglücker, die die Hungrigen nicht verkommen lassen und den Fetten an die dicken Bäuche greifen.«

»Püh!« machte Simmchen, »dann spaßieren Sie man nach die Menschenbeglücker in Dortmund; ich gehe ßu mein Blümchen nach Werl. Leben Sie wohl, Herr Jaspers; ich habe die Ehre.« Damit ging Simmchen Löwenthal seines Weges, während der Alte noch einen langen, häßlichen Blick auf das stille Gehöft warf, einen saftigen Fluch hervorholte und mit diesem auf den Lippen durch das säuselnde Getreide schritt. Fingerfertig suchte er in den Westentaschen herum und fand, was er suchte.

»Das langt noch bis Dortmund,« sagte er ruhig.

Alsbald hatte er den mulmigen Heerweg unter den Füßen, um auf ihm die nächste Station zu gewinnen. Stunde um Stunde verging. Die drückende Schwüle verlor sich. Die immense Ebene schmückte sich mit weicheren Farben. Nachdem das Flimmern nachgelassen hatte, traten auch die einzelnen Liegenschaften und Bauerngehöfte mehr in die Erscheinung. Nach Osten zu streckte sich ein scharfumrissener Streifen, der wie Neutraltinte aussah. Dort lag Soest. Deutlich hoben sich die zierlichen Türme der Kirche ›Maria zur Wiesen‹ in die spiegelreine Luft. Die vom Brinkschultenhof waren wieder mit Mähen beschäftigt. Ein durchdringender, würziger Geruch stieg herauf – der warme Duft nach geschnittenem Gras und welkenden Blumen. Im schaukelnden Marsch wiegten die Knechte ihre Sensen. Leise sirrten diese durch die bunten Halme. Es klang wie das Gezirp von geigenden Heupferdchen. Sonst herrschte die große Stille von eben, die nicht aufhören wollte.

Plötzlich zerriß sie.

Ein Schuß fiel auf dem Hof. Knechte und Mägde, die beim Heuen waren, horchten auf und sahen nach der Richtung des gefallenen Schusses.

Ein blaues Wölkchen kräuselte aufwärts. Es stand dicht neben der großen Scheune, die dem Herrenhaus zunächst lag.

»Der Spökenkieker,« sagte der Großknecht dumpf vor sich hin und senste weiter. Eine Magd grinste lustig auf; auch die übrigen lachten und gingen wieder an ihre Arbeit.

Zweites Kapitel

»Ticktack, ticktack!« machte der große Perpendikel auf der Diele im Brinkschultenhof, »ticktack, ticktack!«

So war er schon an zweihundert Jahre hindurch gegangen – derselbe Perpendikel, in demselben verräucherten Uhrgehäuse, auf der nämlichen Diele und unter demselben Strohdach, das wie ein schweres Augenlid über die weißgekälkten Mauern vorragte. Der Perpendikel hatte sich ehrlich geplagt. Feierabende kannte er nicht. Immer dasselbe: »Ticktack, ticktack!« – und hier, wo er auf- und niederging, hatten seit Menschengedenken immer freie und selbstherrliche Leute gesessen. Früher war es anders auf der Soester Börde. Da profitierten nicht viele von dieser Selbstherrlichkeit. Ungezählte Jahrzehnte hindurch waren die Bauern durchweg in einen Zustand der Halbfreien und der Überbürdung mit Steuern und Hofeslasten versunken gewesen. Bei der Schwäche der Territorialherren ihren eingesessenen Ritterschaften und Prälaten gegenüber lagen die rechtlichen Verhältnisse sehr im argen. Die Bauern verkümmerten an Leib und Seele. Mehr oder weniger zählten sie zu den eigenbehörigen, den meierstättischen oder den zinspflichtigen Leuten. Niedergedrückt und mit Schulden belastet, schienen sie nur dazu verdammt, andermanns Scholle zu brechen und mit gekrümmtem Rücken andermanns Scheuern zu bestellen, um schließlich als unfreie Männer in die schwarzen Bretter zu kommen. Nirgends ein erlösender Auftakt! Zwischen Michaelis- und Martinitag war das Zinskorn in marktgängiger Ware, frei von Kaff, Drespe und Rade, auf den Gutshof zu bringen. Die Schweine wurden gezeichnet und wanderten in den Stall des adeligen Bedrückers. Um Martini waren zwei Gänse und auf Fastnacht fünf Rauchhühner in die Küche des Herrn zu liefern. Dazu lastete auf dem Hof ein wöchentlicher Spanndienst. Weib und Kinder hatten nach der Pfeife des Patrons zu tanzen und fanden erst Ruhe, wenn die Leichenfrau vorsprach, um ihnen das letzte Hemd über die Ohren zu ziehen. Das war noch das beste an dem ganzen Luderleben gewesen, denn auf diese Weise hatten sie sich wenigstens den Himmel oder das Fegefeuer erhungert. Mit dem Jahre 1825 ging's besser. Aber auch da und bis in die neuere Zeit hinein gab es an manchen Feuerstellen noch viel zu bemängeln und viel zu beklagen. Alte brutale Herrenhand greift bis ins dritte und vierte Glied hinein, selbst dann noch, wenn sie lange schon tot ist. Die auf dem Brinkschultenhof hatten jedoch von solchen Herrenfäusten nie etwas zu erdulden gehabt, und als es einmal geschah, als im Jahre 1748 der Edle von Plettenberg den damaligen Schulten um Martinsgänse und Zinshafer anging, fand er sich eine halbe Stunde später in der Mergelgrube wieder, und das von Rechts wegen; denn schon bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein zählten die Brinkschultenleute zu den Vollfreien im Lande, waren in ihren Dispositionen über ihr volles Eigentum weder unter Lebenden noch von Todes wegen beschränkt, hatten sich nicht an Zins und Gedinge zu kehren und fühlten sich, als wenn sie es mit den Vornehmen und Edelleuten in der Nachbarschaft aufnehmen konnten. Das war altes Recht und verbriefte Sitte und galt bis zum heutigen Tage. Auf dem Hofe ruhte das Anerbenrecht. Vor zielloser Zersplitterung waren seine Wiesen und Weiden geschützt. Seine Äcker und Liegenschaften verfielen nicht der Meßrute des Geometers. ›Frei Gut kommt nicht an die dritte Brut,‹ dieser Wahlspruch wurde nirgends strenger gehandhabt, und der verbriefte Grundsatz, immer nur einen, und zwar den ältesten, zum Stättenerwerb zuzulassen, die übrigen Miterben aber durch Aussteuern oder Brautschätze abzufinden, wurzelte in dem jeweiligen Besitzer so grundtief und unverrückbar, wie die ehrwürdigen Eichen, die man kaum noch auf ihr Alter ansprechen konnte. Nach Gesetz und Pflicht wurde auch demnach verfahren, und so war es gehalten worden von Anbeginn an, wo ein Vollfreier diesen Grund und Boden betreten und seine Sparren errichtet hatte. Auch hatte keiner von ihnen im Glauben gewankt. Die Mehrzahl der Hellwegleute waren zum Bekenntnis Luthers übergetreten. Fast alle benachbarten Ortschaften bekannten sich dazu. Nur vereinzelte Katholiken waren eingesprengt. Zu ihnen gehörten die vom Brinkschultenhofe. Mit zäher Eigenart hielten sie auch hieran fest.

Des zum Zeichen stand auf der breitangelegten Eingangspforte geschrieben:

»Wenn Geld und Gut und Haus vergehn, Was christkatholisch, bleibt bestehn, In Christi Namen! – Amen.«

Durch sie trat man in die mächtige Diele ein, flankiert von Kuh- und Pferdeställen, und sah von hier aus durch die schummerige Dämmerhelle das Herdfeuer aufleuchten, woselbst sich das Haus nach beiden Seiten hin zu einem Querschiff erweiterte. Von hier leitete die Brinkschulte ihre weitverzweigte Wirtschaft, kontrollierte die Aus- und Eingehenden und beobachtete die Mägde, wenn sie müde und abgearbeitet ihre Kammern im Obergeschoß aufsuchten. Um diesen weißgekälkten Raum, von dem die Balkendecke düster und schwerfällig herabhing, gruppierten sich die anderen Gemächer des Hauses: die Schlafkammer der Herrin, die Spinn- und Wohnstube und das geräumige Zimmer, das nur geöffnet wurde, wenn vornehmer Besuch kam oder sich die höchsten Feiertage des Jahres einstellten. Neben dem Feuer streckte sich der blanke, weißgescheuerte Tisch, an welchem Knechte und Mägde ihre gemeinsamen Mahlzeiten einnahmen und Wort an Wort reihten, langsam und bedächtig, wie der Eimer, der aus dem tiefen Brunnen stieg und das Wasser herausholte. Diese Halle hatte etwas Kirchliches an sich. In ihr ruhte der Herd wie ein niedriger Altar, auf dem die Opferflamme nicht zum Verlöschen kam. In der vorgelagerten Diele gähnte die Bodenluke herab. Unter ihr war geheiligte Erde. Hier wurden nach altem Brauch die Toten aufgebahrt, die Verlobungsringe gewechselt, Knechte und Mägde verpflichtet und die Eide abgenommen. Genau unter dieser gähnenden Luke war auch der alte Brinkschulte zusammengebrochen, als er hörte: Dein Bruder hat den roten Hahn auf die volle Weizenscheuer gesetzt! – sein Bruder, der bucklige Mensch, der Advokatenschreiber, sein eigen Fleisch und Blut, der hundsmiserable Kerl, der ihm schon so oft seine besten Trümpfe konterkariert und ihm durch seine verfluchte Mitwissenschaft die Seele zusammengeknebelt hatte. – Noch sah er seine Scheune sich totenstill gegen den Abendhimmel abheben, als auch schon ein gieriger Feuerstrom über sie fortglitt und die Ausbeute von zweihundertfünfzig Morgen Ackerland zu verschlingen drohte. Da drehte sich der erbfreie und bodenständige Mann um sich selbst. Mit einem dumpfen Schrei, der schwer wie ein Stein von seinen Lippen fiel, knickte er in sich zusammen, röchelnd, ein gefällter Stier, als hätte ihm eine Sense die harten Fesseln durchschnitten. Drei Tage später streckte er sich mit spitzer Nase und glattrasiertem Gesicht auf geweihter Erde unter der Bodenluke, genau auf der Stelle, wo das Malör ihn niederwarf und ein Abschein des unheiligen Feuers in die schon halbgebrochenen Augen hineinspielte. Auf zwei Flachsbrechen ruhte der pompöse Sarg. Juffer Eli, die Ankleidefrau, hatte alles aufs beste hergerichtet. Auf dem Deckel brannten drei Kerzen. Die über dem Herde niederhängende Lampe leuchtete herüber. Das Leichenhemd war mit Fäden ohne Knoten zusammengeschneidert. Buchsbaumpartikel und Rosenblätter lagen auf dem Boden. Den Bienen war der Tod angesagt worden. Dreimal hatte Juffer Eli mit hartem Knöchel gegen die Strohkörbe geklopft: »Wacht auf, euer Herr ist gestorben!« –und da waren sie aufgestöbert, als sollte die Schwarmzeit schon losgehn, so ein Toben und Lärmen war zwischen den Stöcken und Gemüserabatten. Nein, Juffer Eli hatte gar nichts vergessen. Sie wußte genau, was dem vollfreien Manne gebührte, der nun von seinem Erbe mußte, um seinem Erlöser und Herrgott näher zu kommen. Steif wie ein Uhrkasten, im schwarzen Wollkleid und mit straffgescheiteltem Haar, das sich wie strähniges Werg ausnahm, stand sie unentwegt neben dem Toten und wartete auf das Sterbeläuten von dem benachbarten Sönnern. Jeden Augenblick mußte es herübertönen. Mit gefalteten Händen und runden Augen, deren Blicke an das sanfte Gleiten von Fledermäusen erinnerten, sah sie über die schwarzen Bretter fort, als die Brinkschulte erschien, die einzige Tochter, wie überhaupt das einzige Kind des Verstorbenen, und dicht an ihre Seite trat. Kein schmerzentstelltes Gesicht! – alles abgeklärte Ruhe und selbstverständliche Hinnahme. Sie begegnete dem Tod, wie sie ihrem großen Erbe begegnete. Josepha Brinkschulte kannte keine schwächlichen Anwandlungen. Tod und Leben waren ihr gleichwertige Dinge. Blond wie Weizenähren, in der Vollkraft ihres Daseins, das bereits die Mitte der Zwanziger hinter sich hatte, pflanzte sie sich neben den Flachsbrechen auf, um dem Begräbnis beizuwohnen. Eigentlich schön war diese Josepha Brinkschulte nicht, dazu waren ihre Züge zu bedeutsam, zu scharf in der Linienführung und wie aus Bronze herausgearbeitet. Obgleich unverheiratet, haftete ihr etwas Frauenhaftes an. Als hätte stets eine heiße Sommersonne auf ihrem Scheitel gelegen, so bräunlich lief es ihr über Nacken und Arme. Eine verhaltene Glut lebte in diesem heißen, verlangenden Körper, der etwas an sich hatte, was die Künstler nötig haben, um ein heroisches Weib aus dem Stein hervorzuholen. Die Anerbin des Brinkschultenhofes war zum Herrschen geboren. Das hatte sie von ihrer verstorbenen Mutter aus Engern, einer hagenfreien Sattelmeierin, die ihr Geschlecht bis in die Zeiten des großen Wittekind zurückführte und mit Rücksicht darauf auch unter ganz besonderen Feierlichkeiten bestattet wurde. Schon Monate vorher hatte sich diese eigenartige Frau auf ihr Sterben gefreut, als ginge es zum Taufschmaus oder zu einer Hochzeiterei, denn als Sattelmeierin begraben zu werden, galt ihr mehr, als sich noch im Besitz aller irdischen Güter zu wissen. Der Tod kam ihr als Befreier und Erlöser. Sie folgte ihm, als ginge es über blumige Wiesen. Ein Abglanz von ihr war auch auf die einzige Tochter übergegangen.

Josepha Brinkschulte atmete tief auf. Mit kräftigen Armen rückte sie ihr schweres Haar zurecht. Seltsam leuchtete es durch die weite Dämmerhelle.

Die Luft war dick und warm und von den Ausdünstungen des Viehs durchsetzt.

Von Sönnern her tönte das erste Sterbeläuten. Dann verstummte es wieder.

Die Brinkschulte stand unbeweglich.

Als die Nachbarsleute kamen, wurde der Deckel noch einmal vom Gesicht des Toten gezogen. Alle traten näher und besahen sich die energischen Züge des Entschlafenen. Trotz der starren Glieder und der wächsernen Hände, trotz der Unbeweglichkeit des Kopfes und der bleiernen Augen, die toten Lippen schienen zu sprechen: »Brand und die jämmerliche Not wegen meines Bruders warfen mich in die Stoppeln; aber macht euch keine Sorge, ihr Bauern. Ich weiß mein Erbe gesichert, und zwar besser gesichert, als wenn zehn Mannskerle den Pflug regierten und die Scholle brächen.«

Des freuten sich die harten Bauerngesichter und ließen von dem Toten ab, um den Schreiner zu seinem Recht kommen zu lassen. Mit Hilfe des Leichenbitters brachte er den Deckel wieder an Ort. Dann fielen dumpfe Hammerschläge. Keine Schrauben wurden verwendet. Die Brinkschultenleute wollten von Neuerungen nichts wissen. Fünfzöllige Nägel taten es auch – dreißig fünfzöllige Nägel auf Reihe. Beim letzten bekreuzte sich der Dorfschreiner und sagte: »Amen.«

Niemand weinte, niemand klagte dabei. Stumm wie die Fische standen die von der Soester Börde nebeneinander. Das war auch der früheren Lebensweise und dem Sinne des Verstorbenen gemäß.

Zum andern setzte die Glocke ein. Mit ihrem Geläute kam der junge Kaplan von Sönnern, ein Schwärmerkopf mit versonnenen Augen, eine Lilie in einen Bauerngarten verpflanzt. Küster und Meßjungen folgten.

Der junge Kaplan sprach das ›De profundis‹. Es verklang, ohne gehört zu werden. Nichts regte und rührte sich auf der schummerigen Diele. Nur die alte Kastenuhr tickte und tackte. Als aber der Sarg von den Knechten hinausgetragen und auf den vierspännigen Leiterwagen geschoben wurde, drängten die Kühe näher zusammen, und die Pferde zerrten ängstlich an ihren Halfterketten. Der Deckstier aber trat mit angeschwollenem Halse zurück, witterte mit vorgestreckten Nüstern und stieß ein Gebrüll aus, vor dem der Erdboden erzitterte und die Stallpfosten ins Wanken gerieten. Unter dem Geklirr der Halfterketten und dem Gebrüll des Stieres mußte Heinrich Christian Brinkschulte von dem Erbe seiner Väter herunter.

Mit ihm wurde ein Mann zu Grabe getragen, von dem man sagen konnte: Er lebte, um zu schaffen, er schaffte, um zu sterben, aber sein Leben und Schaffen war wie eine dreizinkige Forke, zugreifend, arbeitsam und unerbittlich wie eine dreizinkige Forke. Er sah weder rechts noch links. Sein Weg ging geradeaus und wenn es nötig war, über seine eigene Sippe. Er hatte keine Liebe gesät, aber auch keine Liebe geerntet. Kein unrechtes Gut klebte an seinen Fingern, aber auch kein freudiges Gut. Nicht die Wohltat des Genießens war bei ihm. Die rauhe Feldluft hatte ihm Herz und Nieren getrocknet. Sein Sinnen und Denken war eisgrau geblieben, eisgrau wie die strähnigen Haare, die seinen vierkantigen Schädel bedeckten. Aber in diesem Schädel hatte ein energischer Geist gelebt, energisch bis zur Brutalität, bis zur Anmaßung, und diese Anmaßung war ihm zugute gekommen und hatte sein Ansehn gestärkt, nicht nur bei den erbfreien Bauern, sondern auch bei den Erbsälzern, die sich glücklich schätzten, einen solch stiernackigen Mann in ihrer Gesellschaft zu wissen. Sein Tod ging keinem ans Herz. Eher hätte man über einen Ziegel getrauert, der in einen Brunnen gefallen; aber sie hatten Achtung vor ihm, sie bewunderten ihn, und mit dieser Bewunderung unter den steifen Sonntagsröcken folgten sie dem verhangenen Sarg, der langsam und von monotonen Sterbegebeten begleitet durch die abgeernteten Felder gespensterte.

Alle begleiteten ihn. Der Brinkschultenhof lag wie ausgestorben. Nur Juffer Eli und eine Stallmagd blieben zurück. Juffer Eli hatte noch manches zu ordnen. Dem Mädchen gab sie Befehl, die Flachsbrechen an Ort und Stelle zu bringen, die Raufen zu füllen und die Diele von den verstreuten Buchsbaumpartikelchen und den welken Rosenblättern zu säubern. Sie selber löschte die Kerzen und machte sich im Schlafzimmer der Herrin zu schaffen.

Viertelstunde um Viertelstunde verging. Die Sonne war merklich tiefer gesunken. Als das Leichengefolge den Hof verließ, hatte die Kastenuhr die vierte Nachmittagsstunde verkündet. Jetzt schlug sie fünf Uhr. Und wieder brüllte der junge Stier auf und blähte die Nüstern. Seine Haut fältelte sich. Das Auge rollte, und mit hartem Stöhnen stampfte er die warme Streu hinter sich auf.

Da erschien Juffer Eli.

»Um Gott nicht!« sagte sie hastig, »das hätte ich bald vergessen,« und klingelte mit einem Schlüsselbund das aufgeregte Tier an. Dann summelte sie vor sich hin:

»Heraus, herein und ein und aus! – Der Tod ist jetzt aus diesem Haus; Für Vieh und Mensch, für groß und klein Josepha wird die Herrin sein.«

Da duckte sich der Stier, drehte sich der Raufe zu und begann ruhig zu fressen. Ebenso machte sie es mit dem Lieblingspferd des Verstorbenen. Hierauf begab sich Juffer Eli ins Freie. Man hörte nicht ihr Gehen. Seit der Stunde, wo sie eine verwitwete Braut war und ihr Geliebter Blasius Küttelwesch, der als Küster im nahen Werl amtiert hatte, mit Tod abgegangen war, liebte sie es, die Angewohnheiten ihres seligen Blasius weiter leben zu lassen. Blasius war während seiner Amtstätigkeit ein geräuschloser Mann gewesen, und so ging denn auch Juffer Eli wie auf Gummischuhen. Im Schatten der hundertjährigen Eichen gewann sie alsbald den Haus- und Gemüsegarten, der mit seinen letzten Rabatten an die vorgelagerten Kleeäcker anstieß. Hier standen dreißig Bienenstöcke auf Reihe, sauber und blank gehalten und von fetten Sonnenblumen umgeben, die ihre strotzenden Blütenköpfe dem werdenden Abend zukehrten. Die Völker befanden sich noch immer in wilder Erregung. Sie flogen ab und zu, kreisten um Körbe und Fluglöcher oder häkelten sich in starren Klumpen um die Stämme der Obstbäume.

Juffer Eli trat auf lautlosen Schuhen näher, klingelte die Bienenkörbe an und sprach dann wie eben:

»Heraus, herein und ein und aus! – Der Tod ist jetzt aus diesem Haus; Für Vieh und Mensch, für groß und klein Josepha wird die Herrin sein.«

And wie vorauszusehen, ließ die Ruhe nicht mehr lange auf sich warten. Das wütige Schwirren und Surren verlor sich. Die angehefteten Klumpen lösten sich auf. Die Trachtbienen gingen ihrer alten Beschäftigung nach, während die andern aufs neue ihre gewohnten Stöcke bezogen. Die Völker hatten ihren Frieden wieder gefunden.

Juffer Eli trat ihren weiteren Rundgang an, um auch den übrigen Tieren des Hofes die neue Herrin anzusagen. Als sie bald darauf an der niedergebrannten Weizenscheuer vorbeikam und in die Höhe der Schweineställe gelangte, die sich an einen seichten Tümpel lehnten, hielt sie unwillkürlich den Fuß an.

Die Schatten machten schon lange Beine und lange Gesichter und fielen über einen hageren Menschen her, der auf einem Sägeklotz hockte und mit aufgerissenen Augen von einer seltsamen Durchsichtigkeit und Tiefe etwas zu überwachen schien. Stier waren sie auf eine handbreite Öffnung in der Stallmauer gerichtet. Neben ihm lag eine Portion glatter Kieselsteine, in zierlichen Häufchen gestapelt. Einen davon hielt er mit der Rechten umklammert.

Juffer Eli drückte plötzlich ihren Atem zurück.

Sie hörte den einsamen Menschen leise vor sich hin sprechen. Er redete mit weicher, zärtlicher Stimme: »Komm mal her. Komm nur, mein Hühnchen, mein Täubchen! – Hierher. So ist's schön! Immer man näher, immer man näher!«

Dabei schlug er sich mit der Linken sacht auf den Schenkel, wie man es tut, um ein störrisches Hündchen heran zu locken: »Hierher. Immer man näher, immer man näher!« Dann schnellte er auf: »Verfluchte Biester!« Der Stein pfiff durch die Luft, begleitet von einem lauten Gelächter, dem ein helles Quieksen auf dem Fuße folgte. Der lange Mensch hinter ihm her, ergriff die zappelnde Ratte beim Schwanz, turtelte sie um sich selbst und ließ sie fahren. Mit mattem Klatschen fiel sie in den Tümpel hinein, versuchte noch etliche Ruderbewegungen, um dann lautlos unterzusinken. Etliche Blasen stiegen auf, die kaum wahrnehmbar an der schmutzigen Oberfläche zerplatzten.

»Mein ist die Rache, spricht der Herr, ich will vergelten! – 'rin mit die Ratzen!«

Mit einer pompösen Bewegung, die etwas Tragisches an sich hatte, streckte der Sprecher seine Hände über das noch immer Blasen ziehende Wasser.

Juffer Eli trat auf ihn zu: »Was treibt Ihr hier, unwiese Kardel?«

Der lange, versonnene Mensch stierte sie mit gläsernen Augen an.

»Du siehst doch,« sagte er ruhig, »Ratzen, hungrige Ratzen! Die fünfte liegt schon im Wasser. Mausekaputt!«

In dem feierlichen Gesicht leuchtete es eigentümlich auf, als er das sagte.

»Du könntest auch was Besseres schaffen,« meinte die Juffer.

Der Angeredete senkte den Kopf. Er dachte und grübelte nach. Es war ein Knäuel von grauen und wirren Gedanken. Sie waren wie Fäden, die weder Anfang noch Ende hatten. Sie tauchten auf, um wieder ins Wesenlose zu gehen. Sie waren wie Schneeflocken, die durch die Luft wirbelten, traumhaft auf und nieder gaukelten, um ebenso traumhaft wieder zu zerfließen. Sie waren schwankend in der Form und unsicher in der Bewegung. Er konnte sich mancher Dinge nicht entsinnen, obgleich sie einschneidend sein Leben durchfurcht hatten; andere standen scharfumrissen vor seinen klaren, hellen, durchsichtigen Augen, um jählings in das leere Nichts zu verschwinden. Andere wieder waren ihm wie zerstreute Bruchstücke aus der Vergangenheit, die er linkisch zusammenfügte, ohne das Ganze regelrecht rekonstruieren zu können. Nur zeitweilig lief ein klares Licht über seine verkrüppelte Seele. Und dieses Licht war ein solches, was andere Menschen nicht kannten und nicht kennen wollten. Sie bangten davor. Sie hatten mit ihm nicht gerne zu tun, denn es war wie das seherische Licht der Propheten, das den Tagen vorauseilte und das geheimnisvolle Dunkel des Zukünftigen aufhellte. Karl Mersmann, der jetzt schon an die dreizehn Jahre auf dem Brinkschultenhof lebte, hatte etwas davon abgekriegt. Als blutjunger Mensch schaffte er für vier, ging wie ein König mit seinem Sämannstuch über die Schollen und verstand es, die unbändigsten Pferde willig und gefügig zu machen. Kaum achtzehnjährig liefen ihm alle Weiber nach, und alle liebten es, sich von seinen Armen, die wie Kurbelstangen waren, umfassen zu lassen. Er glich einem braunen, tiefgepflügten Ackerland, das eben aufkeimen wollte. Und Frühlingsstürme liefen darüber hin, und sieghaftes Sonnenfeuer und heiße Liebe, die wie leuchtender Mohn aufflammte. Er war ein Starker, Gewaltiger unter den westfälischen Leuten, um dann plötzlich zusammenzubrechen, krank an Seele und Leib, und als Simpel auf dem Brinkschultenhof weiter zu leben. Von seinem früheren Ich waren nur die schönen, blaugrauen, abgrundtiefen Augen übriggeblieben. Und wie so alles gekommen? Still, still! Ich will nichts gesagt haben. Jetzt noch nicht, zurzeit noch nicht. Aber ihr sollt alles erfahren:

»Wie es sich hub, und wie es kam, Und wie es ein stilles Ende nahm.«

Ich fasse mich in Geduld und reihe Begebenheit an Begebenheit. Unmerklich lasse ich das Schiffchen des Webstuhles hin und wieder spielen, schürze Faden an Faden und Masche an Masche. Ihr sollt alles erfahren, folgerichtig und wie es geschehn ist und ohne Übereilung der Dinge. Eine Blüte kann sich nur ruhig entfalten. Sie folgt einem ungeschriebenen Gesetz. Und dieses Gesetz legt ihr mit zarten, schöpferischen Fingern den Kelch auseinander. So auch hier. Ich will die Geschichte nach meiner stillen Weise erzählen.

Also Karl Mersmann senkte den Kopf und grübelte nach. Er konnte den Faden nicht erhaschen, die Antwort nicht bringen. Er jagte einem Gedanken nach und verfolgte ihn mit offenen Augen, ohne zu wissen, daß seine Augen offen waren. Es war ein schweres Stück Arbeit. So ein Gedanke schien ein flüchtiges Wild zu sein. Aber wenn er es zur Strecke gebracht hatte, dann erging er sich in biblischen Ausdrücken oder in Redensarten, die sich des Plattdeutschen bedienten, um dann wieder in seine gewöhnliche Sprechweise zu fallen. Plötzlich kehrte die Einsicht zurück. Es hellte bei ihm auf.

»Du,« sagte er mit leisem Wiehern, »du heft guet küren, sag de Henne taum Hahn, du brukst käine Eier te leggen.«

»Was heißt das?« fragte die Lichtjungfer.

»Wo die hier alles rungenieren! – Das heißt das. Ratzen, immer nur Ratzen! Tripptrapp, tripptrapp! – Im Stall, an die Ferkel ...! Aber hier ist Gottes Finger« – und der Simpel streckte die Faust aus – »und Gottes Finger hat sie von der Tenne gekitzelt. Quieks! machten die Ratzen. Haben Gesichter wie der bucklige Brinkschultenbruder – die Biester.«

»Kardel, hör' auf!«

»Nee, ich höre nicht auf. Dat Krut kenn ick, sag de Düwel, do harr he sik in de Briennieteln sat. So'n Aasknochen! – hat den roten Hahn auf die Roggenmiete und dann auf die Weizenscheuer geschmissen. Feurio – Feuer ...!«

Seine Stimme nahm einen widrigen Klang an. Mit schartigem Messer durchschnitt sie die Luft und lief über die Brandstätte, wo noch einige Balken schwelten und bläuliche Rauchwölkchen nach oben schickten.

»Feurio – Feuer ...! – und was der richtige Brinkschulte ist, der muß nu Totenerde schlucken.«

»Hättest nach Sönnern mitmachen sollen, um ihm die letzte Ehre zu geben. Alles, was recht ist.«

»Ich? – nee,« sagte Karl Mersmann, und seine aufgerissenen Augen schillerten wie Mondsteine.

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht darf.«

»Warum darfst du nicht?«

»Weil ich nicht will.«

»Warum willst du denn nicht?«

»Hö!« brüllte der simple Mensch auf, und seine Gedanken verzwirnten sich wieder zu einem Knäuel, das sich nicht mehr entwirren ließ, »ich bin ja aus der Bodenluke gefallen, koppheister aus der Bodenluke gefallen – un da wull ick jau leiwer ... Eli,« flüsterte er der Nähterin mit häßlichem Grinsen zu, »et is'n dull Volk, sag de Düwel, do harr he 'ne Schufkar vull Ratzen te fahren. Die sind ja noch leiger als Jan van Leyden und Knipperdölling. Adjüs, Eli.«

Damit steckte er die Hände in die Hosentaschen und stakelte langsamen Schrittes über den Hof fort.

Kopfschüttelnd ging Juffer Eli ihrer heimlichen, unheimlichen Pflicht nach, denn sie mußte noch vor Abend nach Hause, nach Sönnern, wo sie die junge Frau des Lehrers einzukleiden hatte, die im Kindbettfieber geblieben war. –

Weit über Werl fort standen feurige Bänder. Unter ihrem Licht lohten die alten Eichen des Brinkschultenhofes wie brennende Strohschober.

Auf der tellerflachen Ebene, über die Kleefelder hin, zogen dunkle Punkte, die sich scharf gegen den warmen Abendhimmel absetzten. Es war das Leichengefolge, das von der Beerdigung zurückkehrte: Knechte und Mägde und die Nachbarn des verstorbenen Mannes.

Ein einzelner Punkt löste sich ab und bewegte sich hundert Schritte und mehr hinter den andern. Und aus dem Punkt wurde ein Weib mit herbem Gesicht und ruhiger Sicherheit. Nur die Flügel der stolzen Nase zitterten unmerklich, wie unter der Gewalt mühsam verhaltener Leidenschaft. Sie kam allein ihres Weges; niemand war bei ihr. Sie wollte keinen um sich wissen. Jede Bequemlichkeit hatte sie von sich gewiesen, Wagen und Pferde, und so ging sie denn herrisch über ihren Grund und Boden, den die scheidende Sonne mit goldenen Teppichen belegte. Die Stoppelfelder schwanden unter diesen prächtigen Tüchern. Alles gleißte und leuchtete um sie, und sie, dieses königliche Weib, war würdig, über solchen Teppich zu schreiten. Die alte, glanzhelle Zeit verkörperte sich in ihr: Brinkschulten- und Sattelmeiergeschlecht. Gewöhnliche Menschen sahen das nicht, nicht das Hoheitsvolle in ihr, das unnahbare und das Sichabwenden von alltäglicher Gemeinschaft. Die heimatlichen Stillsitzer hatten keine Ahnung davon. Sie sahen in ihr nur die verschlossene, wortkarge Frau und die Anerbin des Brinkschultenhofes. Aber schon die Ursulinerinnen in Torsten, bei denen sie drei Jahre hindurch Körper und Geist gepflegt hatte, waren anderer Ansicht, erkannten ihre Eigenart, ihre Herbheit, die gleichsam aus betäubenden Nelken- und Rosendüften herauswuchs, und hatten sie nur die steinerne Madonna von der Soester Börde geheißen.

Die steinerne Madonna ...

Unbeweglich blieb sie jetzt stehen. Auf den Feldern lag die Abendstille. Kein Geräusch lief über die Äcker, die teilweise schon unter dem Pflug ruhten. Die dampfenden Schollen, die mit offenem Schoß sich dehnten und streckten, um die Wintersaat zu empfangen, strömten einen würzigen Geruch aus. Mit geblähten Nüstern sog sie ihn ein. Ihre Brust hob und senkte sich. Der Tod lag hinter ihr. Sie hatte sich mit ihm abgefunden, so gut es ging. Pflichten traten an sie heran. Ein neues Leben, ein selbständiges Wirken und Schaffen dämmerte vor ihr auf. Mit zuckenden Lippen und fliegendem Atem sah sie es steigen und immer größer werden. Etwas Zurückgedämmtes beherrschte sie. Durch ihre verhaltenen Sinne zitterte ein heißes Verlangen. Sie überflog die Gegend von Soest bis nach Unna. »Ich brauche noch etwas,« sagte sie vor sich hin, »um meine durstige Seele zu tränken.«

Dann hafteten ihre Blicke an der Erde und umgriffen die Ackerkrumen, den fruchtbaren Boden.

»Liegt es hier, und wenn es hier liegt, wird es meine schwülen Nächte kühlen und das, was das Weib in mir ersehnt, in Erfüllung bringen?«

Sie verschluckte die letzten Worte.

Der Brinkschultenhof, jetzt ihr Hof und ihr Besitz, das Erbe in seiner massigen Schwere und mit den Eichenkronen, die wie Riesenbälle erschienen, stand in brennender Abendlohe. Da gab es Arbeit für sie.

Dort hinein mußte sie, und Josepha Brinkschulte schritt erhobenen Hauptes in die feurige Lohe.

Seit diesem Tage waren zehn Jahre vergangen – zehn lange Jahre. –

Drittes Kapitel

Karl Mersmann, der unwiese Kardel, den sie auch den Spökenkieker nannten, war der alte geblieben. Nichts hatte sich an ihm und in ihm verändert. Nur seine Augen waren noch gespensterhafter geworden, weitsichtiger, klarer. Mit diesen Augen von graublauer Farbe, die nach der ungewöhnlich kleinen und zusammengezogenen Pupille zu immer lichter wurden, ging er allabendlich auf den Hellweg und in das Düstermoor hinaus und sah in die Gegend. Oft kam er zitternd zurück, mit kaltem Schweiß übergossen, und hielt große Reden. Vornehmlich dann, wenn der Vollmond im Scheitel stand und die Nebel nicht aus dem Röhricht heraus konnten, vielmehr gezwungen waren, niedrig zu schwimmen und sich um die alten Erlenstrünke zu häkeln. Dann mußte ihm etwas passiert sein, denn an solchen Abenden gab er sich menschenscheuer, insichgekehrter, und seine Gedanken nahmen an Verworrenheit zu, obgleich sie manchmal aufblitzen konnten wie scharfgeschliffenes Glas. Was ihn bewegte, hielt er meistens geheim, verschloß es ängstlich vor der Außenwelt, um nicht Gegenstand des Grausens zu werden. Einige hielten dieses fahrige Wesen für ein Erbübel, wie Fallsucht und Bluterkrankung, andere wieder für ein überkommenes Sehertum, während die Dritten es bei ihm als die Folgen eines vorhergegangenen Unglücks ansprachen. Knechte und Mägde, auch die Nachbarn, spotteten vielfach über ihn, obgleich ihnen dieses Spotten nicht so recht von Herzen kam; aber es war so. Tiefer Denkende vergaßen zu spotten, so die Brinkschulte selber und der junge Kaplan, der inzwischen in die verwaiste Pfarrstelle zu Sönnern eingerückt war. Zu diesem hatte damals der unwiese Kardel gesagt: »Morgen brennt's, Herr Kaplan, und einer muß mit,« und dann war das Malör mit der Scheune und der jähe Tod unter der Bodenluke gekommen. Drei Tage später stellte der Kaplan die Sterbeurkunde aus und schrieb daneben: »Viel Unglaubliches kannst du finden, wie auch vieles, was nicht wahrscheinlich ist; und dennoch ist es wahr. So der heilige Hieronymus,« und trotzdem wußte er nicht, was er mit diesem Gottestropf, mit seinem vergangenen und seinem gegenwärtigen Leben anfangen sollte. Um Karl Mersmann lag es wie ein engmaschiges Netz von Straminfäden, das sich eigenwillig gegen die Außenwelt absperrte.

Auch Juffer Eli war in all dieser Zeit dieselbe geblieben. Nur wenn einer genauer zusah, dann merkte er: ihr Gesicht war länger geworden und ihre Nase feiner und durchsichtiger. Auch hatte ihr der liebe Gott etwas Graumeliertes durch die straffgescheitelten Haare gesponnen. Im übrigen war sie die alte von früher. Noch immer sprach sie einmal in der Woche auf dem Brinkschultenhof vor, um Wäsche und Leinenzeug in Ordnung zu halten, schneiderte auf den Bauernschaften herum und legte die Toten zurecht, wenn ihre armen Seelen in den Himmel wollten. Innerhalb dieser Jahre hatte sie sich drei neue Merinokleider angeschafft, drei neue, weiche, schwarze Merinokleider. Das erste, als die braven Westfälinger aus Schleswig-Holstein zurückkehrten und ihr Bruder das Wiederkommen vergessen hatte. Er hatte es vergessen, als die Dänen hinter der Schlei und dem Danewerk in befestigter Stellung lagen und die Preußen gegen sie vorstürmten. Ohne einen Laut von sich zu geben, war er kopfüber gestürzt und hatte die Spitze seiner Pickelhaube in den hartgefrorenen Boden gestoßen. Auf dem Feld von Missunde träumt er jetzt von seiner westfälischen Heimat. Das zweite Merinokleid legte sie sich gleich nach sechsundsechzig um ihren tieftraurigen Menschen. Kurz zuvor war Juffer Eli zum zweiten Male in Liebe gefallen. Ihren verstorbenen Bräutigam, den Küster Blasius Küttelwäsch, hatte sie längst vergessen und abgetrauert. Bei einem Besuche in Münster lernte sie dann den schmucken Oberlazarettgehilfen Theophil Schentuleit kennen, der bei den Dreizehnern stand und auf den Zivilversorgungsschein lossteuerte. Er war aus ›Königsbarg‹ und hielt viel auf gutes ›Assen‹ und Trinken. Keine vierzehn Tage vergingen, und Juffer Eli ließ die Verlobungsanzeigen auf ihre Kosten drucken, gab einen monatlichen Zuschuß von fünf harten Talern und wartete geduldig auf den Augenblick, wo sie das goldne Ringlein vom linken auf den rechten Finger streifen konnte. In dieser hoffnungsvollen Zeit blühte sie sichtlich auf. Ihre Formen rundeten sich, auf ihren Wangen schimmerte es wie von Heckenröschen; sie war fidel wie ein Zwitschermäuschen geworden, das an einer fetten Käsekruste herumschnabulierte. Dann aber kam Weh und Leid über sie. Preußen und Österreicher machten mobil, und fett wie ein Kantinenwirt mußte Theophil Schentuleit sich aus den Armen der Geliebten reißen und zur Elbarmee stoßen. Mit kummerrotem Gesicht, vollgepfropftem Brotbeutel und den bräutlichen Ersparnissen im Sack ging es nach Böhmen. Tage der Bängnis begannen für Juffer Eli, bis die ersten Briefe einliefen. Da schwellte sich ihre Brust, denn nach diesen Briefen zu urteilen, mußte ihr Theophil Wunderdinge hinter der Front verrichten, und als dann eines Tages die große Siegespost kam, in welcher Theophil wieder gar viel von seinen Heldentaten erzählte, hielt sie ihren Oberlazarettgehilfen für den Zertrümmerer der österreichischen Macht, obgleich eine dumpfe Fama umging, weder Theophil Schentuleit noch die preußischen Heerführer, sondern der preußische Schulmeister habe die Schlacht von Königgrätz gewonnen. Juffer Eli jedoch hielt an ihrer Meinung fest und blieb dabei, bis die braven Truppen wieder

»Mit Sing und Sang, Mit Paukenschlag und Kling und Klang«

in ihre Garnisonen einrückten. Aber von Theophil war nichts mehr zu hören. Da ging Juffer Eli hin und forschte nach ihm, genau so wie es die arme Leonore getan hatte, als sie nach der Prager Schlacht und ums Morgenrot aus feuchten Kissen emporschreckte und sich aufmachte, ihren ungetreuen oder toten Wilhelm zu suchen – und es kam Licht in die Sache. Laut Ausweis der Regimentspapiere war Theophil gleich nach Schluß des Feldzuges zur Reserve entlassen. Weitere Forschung ergab: Theophil Schentuleit, Oberlazarettgehilfe a. D., nunmehr domiziliert als Garnisoninspektoranwärter in Stallupönen, gedenkt sich demnächst zu verheiraten mit Sophia Franziska Sömmerau aus Pillkallen; nichts Nachteiliges über ihn bekannt ... da weinte Juffer Eli unter dem blühenden Apfelbaum ihres kleinen Gärtchens still vor sich hin, legte ihr schwarzes Merinokleid auf den Altar christlicher Nächstenliebe und Barmherzigkeit und verfiel kurz nach dem glorreichen Kriege von siebzig und einundsiebzig wieder in Liebe. Dieses Mal war es eine bodenständige Neigung, und der Beglückte schrieb sich Jans Sandhage aus Sönnern, ein Mann mit vierzig Morgen Ackerland und fünf melkenden Kühen. Aber das nicht allein. Jans Sandhage liebte Rucksack und Pulverflasche und machte gern Dampf auf, um Meister Löffelmann niederzuschroten. Am vierzehnten Dezember fand die Verlobung statt. An diesem Tage trug Juffer Eli ihr neues Merinokleid, reich festoniert und mit zierlichen Rüschchen besetzt. Als sie sich dann verschämt an die neue Männerbrust herandrückte und einen kräftigen, heimatlichen Geruch unter die Nase bekam, war sie froh ihres Glückes und gönnte der Sophia Franziska Sömmerau aus Pillkallen ihren Ostelbier von ganzem Herzen. Aber das mit der Jagd, das war doch bei Licht besehn ein gottsträfliches Beginnen, und so zupfte sie denn ihren Jans beim Ohrläppchen und flüsterte ihm zu: »Aber keine Häschens mehr schießen.«

»Morgen nur noch,« sagte dieser, »denn nie mehr,« und er streckte des zum Zeichen feierlichst die rechte Hand hoch. Das konnte ihm sein Bräutchen nicht abschlagen. – Anderen Tages wurde im Uhlenbrinker Feld und in der anliegenden Gemarkung getrieben. Die Kegelgesellschaft ›Gut Holz‹, zu der auch Jans Sandhage gehörte, hatte die Einladungen ergehen lassen. Fast alle sagten zu, so unter anderen der Apotheker Schölwink und der dicke Kreisrichter Zumloh aus Soest, zwei weidgerechte Männer, die sich aber,

damit die Augen klar und rein und die Hasen größer sein,

stets des schärfsten Visierwassers bedienten, vornehmlich jetzt, wo der Schnee unter den Füßen piepste und knirschte und die Spatzen vor Kälte von den Dachrinnen purzelten. Ein knappiger, knusperiger Wintermorgen brach an. Ein zarter Schimmer, wie von der rosenfingrigen Eos getempert, legte sich über das Uhlenbrinker Feld. Die grimmige Kälte biß in die Ohren und Nasenspitzen hinein, und die fernen Buschpartien standen in einem feinmaschigen Duft. Erfahrene Rammler hoppelten schon hin und her, machten die Löffel hoch und trommelten verwarnend mit dem rechten Hinterlauf. »Tatteratta!« Der erste Kessel war geschlossen. Das Knallen und Treibergeschrei ging los. Zuerst an der Sandkuhle. Resultat: fünfzehn Krumme; dreizehn gesunde und acht angekratzte retteten sich in den folgenden Kessel. So ging das weiter bis zum Schüsseltreiben, wo das Blaue vom Himmel schwadroniert wurde und ungezählte Würste daran glauben mußten. Jans Sandhage war bis jetzt Jagdkönig geblieben. Vierzehn Löffelmänner hatte er in den Hasenhimmel verwiesen. Eine animierte Stimmung senkte sich über Bohnensuppe und angewärmten Klaren. Nur der dicke Kreisrichter konnte seines Lebens nicht froh werden. Er hatte einen hundsmiserablen Anlauf gehabt; außerdem machten ihm die dunstigen Brillengläser zu schaffen. Das mußte am Visierwasser liegen. Erneut nahm er es zu sich. Kaum war er damit fertig geworden, als auch schon wieder das ›Tatteratta‹ die Hasenherzen banger klopfen ließ. Also los denn dafür! – Stunde um Stunde verrann. Das Taglicht zwinkerte schon. Dicht bei Sönnern wurde zum letzten Male gekesselt. Es war das Haupttreiben. Ungezählte Hasen fegten aus ihrem Pott. Ein infernalisches Geknalle setzte ein. Jans Sandhage bewegte sich zwischen dem Apotheker und dem dicken Kreisrichter. Beide hatten kein Glück, und daher: neues Visierwasser. Es blitzte und paffte von allen Ecken und Enden. Graue Gestalten flitzten über die schneeblaue Fläche. Die meisten von ihnen schlugen ein Rad und blieben im Dampf, aber nicht von den Schroten der beiden. Die Schatten wurden länger und dichter. Neues Visierwasser war nötig. »Da löpt noch een!« schrie Jans den beiden zu.

»Wo?«

»Dichte bi! – Druff, druff!«

»Himmel, Gewitter!« – Zwei Schießprügel bammelten wie die Ochsenschwänze durcheinander. Dann wurden sie an die Backen gerissen.

»Nicht durchziehn!« schrie es von weither. Aber es war schon zu spät. Apotheker und Kreisrichter ließen gleichzeitig fahren. Dampf und Knall und dann ein verfluchtiges Spritzen.