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Der Fernsehmoderator Armin Kraal gerät durch ein Missgeschick nachts in den Englischen Garten. Dort wird er von einer Gruppe hochkrimineller Männer, die der High Society Münchens angehören, vergewaltigt und nachdem man ihn erkannte, gezwungen einen Mord zu begehen. Seine Peiniger nützen ihr Wissen darüber, um seine nächste Fernsehshow inhaltlich und personell in ihrem Sinne zu manipulieren. Doch dem Fernsehmoderator, Hauptkommissar Wurz und Igor Smola, einem enttäuschten Erfüllungsgehilfen der Bande, gelingt es, nach spannenden Ermittlungen und gefährlichen Aktionen, dem ein Ende zu setzen.
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Seitenzahl: 345
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Nach der Show ist vor der Show
Die Kalthoff-Story
Bobos Zukunftsplanung
Der Provokateur lädt ein
Die Fernsehshow
Bobos Falle
Der Jagdclub denkt nach
Showdown
Der Fernsehmoderator Armin Kraal, ein erfolgsverwöhnter, eleganter Typ, war stinksauer.
Warum machte Jenny immer diese Zicken. Sicher musste man ihr einiges durchgehen lassen. Schließlich war sie mit ihren kurzen schwarzen Haaren und ihrer Stupsnase nicht nur hübsch, sondern auch noch äußerst intelligent und zwölf Jahre jünger. Eine manchmal nicht ganz einfache Konstellation für einen 38-jährigen Mann der ebenfalls, mit seinen gutproportionierten eins neunzig, blonden Haaren und blauen Augen, wusste was er wert war.
Mit seiner ersten Frau, Alma, war das Zusammenleben einfacher, aber bei weitem nicht so aufregend gewesen. Deshalb trennten sie sich wohl auch schon vor zwölf Jahren. Ihre Zwillinge, zwei vierzehnjährige hübsche Buben, Felix und Max, sah er selten. Sie wohnten bei ihrer, wieder verheirateten Mutter, in Hamburg. Manchmal vermisste er sie. Doch sein Job und Jenny ließen ihm kaum Zeit um darüber länger nachzudenken.
Jedenfalls hatte er sich den Abschluss des Abends, nach dem Ende seiner äußerst erfolgreichen und beliebten Fernsehshow der „Provokateur“, zu der er immer kurzfristig Überraschungsgäste einlud, anders vorgestellt. Er liebte es nach der Sendung mit dieser Anspannung und einem gewissen Prickeln in sich, in eine Liebesnacht zu gehen.
Jenny hatte wie üblich nach der Show auf ihn in seiner Garderobe gewartet. Sie sah ihm beim Abschminken zu, während beide reichlich vom bereitstehenden Champagner tranken. Am liebsten hätte er sie gleich auf der Stelle vernascht. Er war heute wie aufgezogen, stand förmlich unter Strom. Der Schampus? Die warme, schwüle Sommernacht? Sein Erfolg bei den Zuschauern? Wahrscheinlich von allem etwas.
Die Taxifahrt vom Fernsehstudio in Unterföhring durch das nächtliche München bis nach Bogenhausen in den Salmweg 12, dauerte ihm viel zu lange. Er bedrängte Jenny schon auf dem Heimweg in der Mietdroschke. Aber weiter als bis zu ihrem Höschen war er mit seiner liebkosenden Hand nicht vorgedrungen. Seine Lebenspartnerin wehrte ihn energisch und zutiefst beleidigt ab. Dann sein blöder Spruch im Lift, auf dem Weg nach oben in den dritten Stock zu ihrer gemeinsamen Wohnung.
„Früher hättest du mich immer und überall rangelassen“, machte sein Negativkonto an diesem Abend endgültig voll.
Ihre wütende Reaktion folgte prompt.
„Inzwischen mache ich es mir lieber selbst! Ich bin doch keine Nutte, dass du vor dem Taxifahrer an mir rumfummeln kannst“! Armin knallte daraufhin verärgert, beim Betreten der Wohnung, lautstark die Tür hinter sich zu.
Jenny zog sich ihre Sachen auf dem Fußboden verstreuend aus. Nur noch in Unterwäsche, schenkte sie sich einen dreifachen Whisky ein, trank diesen auf Ex und zeigte Armin zum Abschluss des Tages noch den Vogel und den ausgestreckten Mittelfinger. Danach verzog sie sich mit den Worten,
„wehe du lässt mich heute Nacht nicht in Ruhe!“, ins Schlafzimmer.
Habe ich wieder mal sauber hingekriegt, sagte sich der Provokateur und schmiss wutentbrannt sein dunkles Sakko, das er gerade noch stolz in seiner Show getragen hatte, ebenfalls auf den Fußboden. Danach ließ er sich stöhnend, frustriert und vor allem unbefriedigt, mit der Whiskyflasche in der Hand auf die Wohnzimmercouch fallen. Der Alkohol schaffte es ihn so zu beruhigen, dass er sich gemächlich, immer wieder einen Schluck trinkend, bis die Flasche leer war, splitternackt auszog. Er tat dies automatisch. In den Sommermonaten schlief er meistens wie ihn Gott geschaffen hatte.
Irgendwann bewegte er sich mühsam Richtung Toilette. Ein lautes Schnarchen drang aus dem gemeinsamen Schlafzimmer. Kraal schüttelte gedankenverloren und immer noch etwas enttäuscht seinen Kopf, während er die vermeintliche Toilettentür aufmachte und hinter sich geräuschvoll zuzog.
Wo war der verdammte Lichtschalter? Mit seiner rechten Hand tastete er die Wand ab. Das Licht ging an. Armin stand auf dem Hausflur, im dritten Stock, vor ihrer Wohnungstür. Er hatte Toiletten- und Eingangstür verwechselt.
Der Drang seine Notdurft zu verrichten ließ ihn automatisch an sich nach unten schauen. Verdammt! Da stand er nun im Adamskostüm vor seiner verschlossenen Wohnung. Verzweifelt blickte er um sich. Bis jetzt hatte anscheinend noch kein Mitbewohner dieser Etage etwas bemerkt. Deshalb fing er an Sturm zu klingeln und dann immer lauter mit den Fäusten gegen diese blöde Tür zu schlagen, welche ihn von der dringend benötigten Toilette trennte. Doch Jenny machte nicht auf. Der Druck auf seiner Blase wurde schier unerträglich. In seiner Verzweiflung rannte Kraal stöhnend die Treppe hinunter, bis er im Keller angekommen war. Dort erleichterte er sich spontan in der ersten dunklen Ecke. Diese Last war er los. Aber was nun? Nackt zur Wohnung zurück? Nochmal klingeln und gegen die Tür hämmern? Wenn ihn dann doch jemand sah?
Im hölzernen Kellerverschlag vor dem er gerade stand, entdeckte er einen grauen Arbeitsmantel. Dahinter in einem Regal ein paar Gummistiefel. Das war der Arbeitsraum ihres Hausmeisters, glaubte Armin zu wissen. Ist der auch Mal zu was gut, ging es ihm durch seinen leicht benebelten Kopf, während er sich eine Harke aus dem Verschlag, die er gerade so mit den Fingerspitzen erreichte, aus einer Ecke angelte, um diese dann vorsichtig zwischen den Holzlatten immer höher zu hieven, bis er sie zwischen Kellerdecke und Lattenrostende auf seine Seite ziehen konnte. Mit deren Eisenzinken war es dann ein Leichtes das Vorhängeschloss zu knacken. Mantel und Gummistiefel passten. Seine Stimmung wurde noch etwas besser, als er in den Manteltaschen eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug fand.
Armin verließ, „frisch eingekleidet“, das Untergeschoss. An der Hauseingangstür klingelte er noch eine Zeitlang Sturm in seiner Wohnung. Doch dort blieb es dunkel. Auch die Gegensprechanlage gab keinen Pieps von sich.
„Egal,“ sagte er, an seinen gelungenen Fernsehauftritt denkend, vor sich hin,
„nach der Show ist vor der Show“.
Wie recht er mit diesem Spruch hatte, sollte sich kurze Zeit später auf grausame Weise herausstellen.
Schließlich klopfte er mit der Hand auf die Tasche mit den Zigaretten, so als ob er sich selbst Mut machen wollte und zuckte dabei fast lässig mit den Schultern. Eigentlich war er gar nicht so schlecht ausgerüstet. Was brauchte man mehr in dieser Sommernacht?
Q
Gegen zwei Uhr überquerte er die vor seinem Haus liegende Straße und betrat den dahinter liegenden Park. Zwar etwas gruselig, doch aufgrund der von Mücken und allerlei anderen Insekten umschwärmten Straßenlaternen, deren Licht gedämpft durch die vordersten Baumreihen drang, nicht ganz so schlimm. Armin ließ sich auf der ersten Parkbank nieder die auf seinem Weg lag. Es war sicher noch mindestens 24 Grad warm. Man sollte im Sommer öfter mal nachts hier draußen verweilen dachte sich Kraal, während er sich eine Zigarette anzündete.
„Immer das Beste aus jeder Situation machen“, sagte er lächelnd, laut vor sich hin, in die stille Nacht.
„Der Meinung sind wir auch“, erwiderte eine Stimme wie aus dem Nichts.
Kraal bekam eine Gänsehaut. Langsam wendete er sich um. Was er sah beruhigte ihn nicht. Ein mit einer schwarzen Maske verdecktes Gesicht, sah ihm keine 30 Zentimeter entfernt, aus dunklen Augen an. Der Atem dieses Menschen war deutlich zu spüren. Er wirkte heiß, irgendwie erregt und bedrohlich. Ein zweiter Maskierter hatte sich nun vor ihm aufgebaut.
„Was bist denn du für ein Vögelchen mitten in dieser Sommernacht? Vielleicht so eines, das gerne vor fremden Leuten den Mantel aufmacht und drunter nichts anhat“?
„Dazu noch so ein hübsches mit Gummistiefeln und Arbeitsmantel. Richtig sexy. Findest du nicht auch?“, meinte dessen Partner.
„Den müssen wir unbedingt unseren Freunden vorstellen“, und zu Armin gewandt,
„ich glaube du wirst heute Nacht noch viel Spaß haben! Aber sag doch, was machst du hier so alleine“?
Soviel er erkennen konnte waren die zwei gut gekleidet. Aber diese Masken. Wer maskierte sich schon so? Tausend Gedanken schossen dem Fernsehmoderator durch den Kopf. An Fantasie fehlte es ihm nicht. Deshalb schwante ihm nichts Gutes. Kraal brachte lediglich als Antwort ein wenig überzeugendes,
„habe mich ausgesperrt“, zustande.
„Ach so, mitten in der Nacht mit Arbeitsmantel und Gummistiefeln! Na bravo“!
„Wirklich! Die Sachen sind aus dem Hausmeisterverschlag im Keller“.
„Klar, die hängen immer da für Leute die sich nachts aussperren. Aber egal, du wirst jetzt gleich deine Ausreden vergessen haben. Das verspreche ich dir. Steh‘ auf und komm mit, sonst müssen wir dir richtig wehtun“!
„Warum sagen sie sowas und warum glauben sie mir nicht“?
Die Gefragten winkten unbeeindruckt ab.
„Sei nicht so neugierig“!
Kraal tat widerwillig wie ihm befohlen. Die zwei Maskierten nahmen ihn in ihre Mitte und hakten sich bei ihm unter.
„Der hat wirklich nichts unter dem Mantel an“, stellte anscheinend freudig erregt einer seiner Begleiter fest.
Der zweite Maskierte begrabschte ihn daraufhin ziemlich hart.
„Hast wohl recht, den können wir gut gebrauchen. So was findet man nicht jeden Tag. Praktisch zum Vernaschen bereit. Ich krieg jetzt schon einen Steifen“.
Der Moderator geriet in Panik und wollte sich losreißen. Doch damit hatten seine neuen „Freunde“ gerechnet. Sie lachten nur.
„Sträub dich nur, das mögen wir gern“.
Sie erreichten nun so etwas wie eine kleine Freifläche um die mehrere Bänke standen. Taschenlampenlicht blitzte im Dunkel vor ihnen auf. Hin und wieder war ein Stöhnen und Wimmern, begleitet von leisem Murmeln, zu vernehmen. Allmählich offenbarte sich das Unglaubliche. Vier ebenfalls maskierte Männer vergewaltigten eine junge schwarzhaarige Frau. Zwei weitere standen daneben und betrachteten die Szene eher gelangweilt, fast so, als ob sie Schiedsrichter oder Ähnliches wären. Einer von ihnen trat Kraals Entführern und ihm entgegen.
„Wen bringt ihr denn da? Ihr solltet euch doch darum kümmern, dass wir nicht gestört werden“!
„Aber in diesem Fall!? Haben wir auf unserer Kontrollrunde aufgegabelt. Schau doch selbst und knöpf ihm den Mantel auf“!
„Nehmt ihn erst mal in den Schwitzkasten und haltet ihm die Nase zu, Theater können wir hier nicht gebrauchen“!
Kraal spürte wie ihm der Hals zugedrückt und die Nase zugehalten wurde. Verzweifelt japste er nach Luft. Darauf hatten seine Peiniger nur gewartet. Man steckte ihm einen ballförmigen Knebel in den Mund, den man über eine Schlaufe an seinem Kopf befestigte.
„So, nun sei uns in unserem Kreise herzlich willkommen, wir wollen doch nicht, dass du hier zu schreien beginnst! Fixiert seine Arme mit Handschellen auf dem Rücken, dann kann der Braten ins Rohr. Ihr hattet recht, solch eine Gelegenheit darf man nicht ungenutzt verstreichen lassen“!
Der „Provokateur“ hatte seine Augen weit aufgerissen und schlug mit Händen und Beinen um sich. Nicht nur weil er Todesangst verspürte, sondern weil sich seine Peiniger mit ihm bis auf ein paar Schritte dem unglücklichen Mädchen näherten. Außer dem Stöhnen ihres Vergewaltigers war nur ihr leises Wimmern zu hören, denn sie trug wie Kraal einen Knebel im Mund.
„Du darfst auch gleich mal“, sagte einer der Clique zu seinem Nachbarn,
„lasst uns unseren Ehrengast mal so richtig verwöhnen“.
Ein Schaudern lief Kraal über den Rücken. Er hatte schon viel erlebt und besonders sich vorgestellt, aber dass er einmal Hauptakteur einer Vergewaltigung sein würde – einfach unglaublich! Passierte das alles vielleicht gar nicht? Lag er in seinem Bett und träumte? War das der viele Alkohol? Sicher würde ihn Jenny gleich wecken und der Spuk wäre vorbei. Doch seine sich im Kopf überschlagenden Gedanken wurden schnell in die Realität zurückgeführt.
„Jetzt schauen wir uns diesen süßen Bengel hier mal genauer an. Über die Bank mit ihm und festhalten“.
Alles Wehren half Kraal nichts. Schweiß rann ihm über das Gesicht. Seine Augen weiteten sich, während seine Augäpfel förmlich aus diesen heraustreten wollten. Sein Kopf schien vor Anstrengung zu zerbersten. Kräftige Arme hielten seine Beine und seinen Kopf fest. Ein großer Siegelring fuhr ihm dabei schmerzhaft durch das Gesicht.
„Hier hast du die Gleitcreme“, sagte eine andere Stimme.
Eine grobe Hand machte sich ungeduldig an seinem Anus zu schaffen. Je mehr er sich dagegen sträubte umso schlimmer wurden die Schmerzen. Allmählich erschlaffte sein Widerstand.
„So ist’s brav“, hörte er erzitternd, eine Stimme hinter sich sagen.
Kraal hätte am liebsten vor Schmerz und Scham laut geschrien. Aber dies verhinderte der Knebel. Von Vergewaltiger zu Vergewaltiger wurden die Schmerzen schlimmer und schlimmer. Einer von ihnen stieß ihn immer wieder mit etwas wie einem Holzknauf in die rechte Lende. Er hatte sich total verkrampft und war einer Ohnmacht nahe. Seine verzweifelten Gebärden schienen die Peiniger in ihrem Tun nur noch mehr anzustacheln. Kraal war sich sicher gleich sterben zu müssen. Aber diese schnelle Erlösung war ihm nicht gegönnt. Sein Martyrium zog sich noch eine ganze Weile hin.
Plötzlich herrschte Stille. Man entließ ihn aus der Umklammerung. Entkräftet und wimmernd rutschte er kopfüber nach vorne über die Bank und landete schließlich auf dem Boden.
Zwei starke Arme, die zupacken konnten, hoben ihn hoch und setzten ihn auf die Bank.
Dem Provokateur wurde eine Augenbinde angelegt.
„Wir werden dich jetzt belohnen, weil du uns viel Freude bereitet hast“.
Das Mädchen wurde vor die Bank gezerrt und musste sich vor Kraal hinknien.
„Zum Abschluss des heutigen Abends schlage ich ein kleines Spiel vor. Die Frage, die dadurch beantwortet werden soll ist, können sich zwei zutiefst missbrauchte Wesen unserer Rasse im Angesicht und zum Vergnügen ihrer Peiniger befriedigen? Um dies zu klären wird unsere Prinzessin unseren Überraschungsgast oral bedienen. Und zwar solange, bis dieser einen Orgasmus hat. Soweit verstanden? Um der ganzen Sache noch die richtige Würze zu geben, halte ich der Lady dieses Messer an den Hals. Sollte sie sich weigern oder es nicht schaffen unseren neuen Freund zum Höhepunkt zu bringen, schneide ich ihr die Kehle durch. Verstanden? Ihr müsst euch also beide anstrengen. Nehmt nun der Dame ihren Knebel ab“!
Armin spürte wie sich die junge Frau mit den Händen ihm näherte. Es dauerte nicht lange. Er erschauderte. Etwas wie Scham bemächtigte sich seiner. Was war er bloß für ein Mensch? War vielleicht alles doch nur ein Traum? Doch da hörte er im Hintergrund jemand so etwas sagen wie,
„kommt der dir nicht auch bekannt vor“?
Dann noch,
„der meinst du? Dann sollten wir vielleicht“?
Danach entstand so etwas wie eine Pause, während der nur leise Stimmen, die er nicht verstand, an sein Ohr drangen, bis jemand wieder lauter sagte.
„Mädchen das hast du wirklich gut gemacht. Dafür werden wir dich jetzt gebührend belohnen. Du wirst von uns sofort von deinen Qualen und Sorgen erlöst“.
Kraal wurde von seinen Handschellen befreit. Man drückte ihm etwas Rundes, Stumpfes in seine rechte Hand. Welche wiederum gleichzeitig von zwei starken Händen fest umschlossen und geführt wurde. Dann machten diese Hände mit seiner Hand eine starke, heftige Bewegung. Es folgten ein spitzer Schrei und ein gurgelndes Geräusch. Er spürte etwas Warmes, Flüssiges erst auf seinen Händen, dann auf seinen Beinen. Schließlich merkte er, wie der Kopf des Mädchens in seinen Schoß rutschte.
„Du bleibst jetzt mindestens zehn Minuten mit verbundenen Augen so sitzen. Wir beobachten dich. Falls du dich vorher bewegst, legen wir dich um. Verstanden“?
Der Fernsehmann nickte apathisch. Er konnte sich keinen richtigen Reim auf das gerade Erlebte machen. Dazu befand er sich zu sehr in einer Art Schockstarre. Etwas Warmes rann ihm immer noch über Hände und Beine und lief weiter nach unten in seine Stiefel. Dieser Gegenstand, den er in der Hand hielt. Was war das? Er bewegte ihn langsam. Seine linke Hand kam ihm tastend zu Hilfe. Plötzlich dieses Etwas erahnend und nachdem er sich die Augenbinde vom Kopf gerissen hatte erkennend, erstarrte er in seiner Haltung. Bewegungsunfähig.
Das schwache, blasse Mondlicht verstärkte die gespenstische Szene zusätzlich. In seinem nackten Schoß ruhte der Oberkörper des Mädchens, das ihn gerade befriedigt hatte. In ihrem Hals stak ein großes scharfes Messer, welches er immer noch in der Hand hielt. Der Kopf der jungen Frau war verdreht und seinem Gesicht zugewandt. Ihre Augen standen offen und schauten ihn fragend an. Seine Hände, Beine, der Bauch sowie Arbeitsmantel und Stiefel waren blutverschmiert. Am Boden hatte sich eine große Lache ihres roten Lebenssaftes gebildet.
Es dauerte lange bis sich Kraal aus seiner Bewegungslosigkeit löste und das Messer welches er immer noch in der Hand hielt wegwarf. Langsam ließ er den Leichnam zwischen seinen Beinen auf den Boden gleiten.
Und nun? Wenn ihn jetzt jemand hier fände? Am liebsten hätte er losgeheult. Erst selbst fürchterlich missbraucht und dann auch noch zum Mörder gemacht. Sein gehetzter Blick bestätigte ihm, um ihn herum war alles ruhig. Es widerstrebte Kraal fürchterlich, aber er musste handeln. Dem Erbrechen nahe, mit einem ekligen Würgen im Hals, zog er die tote Frau um die Bank herum und legte sie hinter einem nahe gelegenen Gebüsch ab.
„Nichts wie weg“, sagte er flüsternd vor sich hin. Aber wohin? Zur Polizei? So wie er momentan daher kam? Er führte sich die Konsequenzen eines solchen Schritts vor Augen und schüttelte dann entschlossen den Kopf. Sollte er sich für das was er heute Nacht alles erleben und erleiden musste auch noch selbst bestrafen und sich zum Hanswurst der Gesellschaft machen. Er sah die möglichen Zeitungsüberschriften förmlich vor seinen Augen.
„Ganz kaputt habt ihr mich noch nicht gemacht! Etwas Leben steckt immer noch in mir“, gab er trotzig schluchzend von sich, während er sich unter Schmerzen krümmend, langsam vorwärts bewegte.
Das Messer! Das hatte er ganz vergessen. Widerstrebend quälte sich Kraal nochmal zum Tatort zurück. Dort lag es auf dem Boden. Er steckte es in eine Tasche des Arbeitsmantels. Seine Fingerabdrücke und DNA waren darauf. An diesem Ort sollte man es nicht finden. Er musste es irgendwo anders loswerden.
Instinktiv bewegte er sich von seiner Wohnung weg, immer tiefer in den Park hinein. Seine Stiefel erzeugten bei jedem Schritt den er tat ein hohles, glucksendes Geräusch. Außerdem fühlten sie sich innen irgendwie glitschig an. Das Blut fiel ihm wieder ein. Ihn schauderte zum wiederholten Mal.
„Zusammenreißen, Armin!“, sagte er sich selbst Mut machend, immer wieder laut vor sich hin, während er durch die Dunkelheit die ihn umgab, leise stöhnend schlich.
Weiter und weiter in den Englischen Garten hinein, bloß weg von dieser Parkbank! War da nicht ein Geräusch? Da war doch was! Kraal blieb stehen und lauschte. Doch das laute Herzpochen in seinen Ohren ließ keinen Platz für leise Geräusche, sondern überdeckte diese wie Paukenschläge. Immer wieder blieb Kraal stehen und schaute verunsichert in Richtung irgendwelcher Laute die die Nacht mit sich brachte. Doch die Dunkelheit die ihn umfing gab ihre Geheimnisse nicht preis. Ein Eulenschrei, ein brechender Ast, raschelnde Blätter. War da nicht doch jemand? Verfolgte man ihn vielleicht? Dann dieses Plätschern. Ein Bach kreuzte seinen Weg. Kraal schaute sich gehetzt nach allen Seiten um. Totenstille umgab ihn im Moment. Nur das Glucksen des kleinen Flüsschens war zu hören. Natürlich! Er musste sich reinigen. Langsam tauchte er in das träge fließende, flache Wasser ein. Das kühle Nass tat ihm gut. Seine Sinne begannen wieder einigermaßen rational zu arbeiten. Er versuchte den Arbeitsmantel so gut er konnte im Bach zu reinigen. Das Messer war ihm bei dieser Gelegenheit wieder in die Hände gefallen. Angewidert ließ er es ins dunkle Wasser gleiten. Danach tauchte er selbst mehrmals unter die Wasseroberfläche und wusch sich gründlich. Die Stiefel ließ er ein paarmal mit Wasser volllaufen. Danach legte er sich erschöpft und schrecklich frierend, neben seine durchnässten Kleidungsstücke hinter einem Busch, ins Gras.
Vögel begannen zu zwitschern. Es war sicher schon nach vier Uhr. Nicht mehr lange und es würde hell. Wieder diese durch Kälte und Nervenbelastung erzeugte Gänsehaut. Den Versuch, sich mit Kniebeugen und anderen Körperbewegungen aufzuwärmen, ließ er schnell wieder bleiben. Sein in Mitleidenschaft gezogener Körper tat dabei einfach zu weh. Automatisch begann Kraal wieder vor sich hinzutrotten.
Was nun, fragte sich der Fernsehmann, der sonst auf alle Fragen eine Antwort wusste? Im nassen Mantel und den quietschenden Gummistiefeln konnte er schlecht zu seiner Wohnung zurückkehren. Wenn ihn in dieser Aufmachung jemand erkennen würde! Sicher dauerte es auch nicht mehr lange und die Leiche des Mädchens würde entdeckt – ganz in der Nähe seines Domizils. Wenn ihn da jemand sähe, würde er bestimmt erkannt. Das durfte in seiner Situation nicht passieren. Aber wo sonst hin? Es musste doch irgendeine Lösung geben. Wenn er doch nur Jenny erreichte. Aber wie? Er hatte kein Handy. Nicht einmal Kleingeld um von einer Telefonzelle aus jemanden anzurufen. Darum Betteln? Viel zu auffällig. Dann könnte er sich gleich der Polizei stellen. Einen Moment erwog Kraal leicht resignierend diese Möglichkeit, doch die Konsequenzen daraus ließen ihn diesen Gedanken rasch wieder verwerfen.
Allmählich öffnete sich das Gelände vor ihm. Der Baumbewuchs wurde weniger. Neben einem Bach erkannte er die FKK-Wiese auf welcher sich immer, wie die Münchner zu sagen pflegten, die „Nackerten“ tummelten. Nacktbaden? War das die Lösung? Wo war die Alternative? Er war nun mal nackt. Es würde vielleicht noch drei Stunden dauern, dann tauchten die ersten Jogger und Sonnenanbeter auf. Dann könnte er behaupten, man hätte ihm seine Sachen gestohlen, während er sich im Wasser befand. Sicher würde ihm ein Handy geliehen, damit er Jenny wegen Bekleidung anrufen konnte. Er musste nur noch Stiefel und Mantel loswerden. Das erste Mal in dieser Nacht huschte so etwas wie ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht. Klar, er war ein Frühsportler, der kurz ins Wasser sprang und danach nackt dastand. Kraal ging noch einmal ein Stück flussabwärts. Dort wickelte er die Stiefel in den Mantel ein und versenkte alles, mit ein paar Steinen beschwert, an einer vom Uferbewuchs geschützten Stelle im Bach. Der Morgen graute. Ihn fror fürchterlich. Außerdem glaubte er sich wieder beobachtet. Er wurde dieses Gefühl einfach nicht los. Aber das lag sicher auch an seinen blank liegenden Nerven.
Die Stadt erwachte. Der gedämpfte Verkehrslärm von den Straßen ringsum drang wie leichtes Meeresrauschen zu ihm. Von einem kleinen Gebüsch geschützt, setzte er sich ins Gras und harrte der Dinge die da kommen würden. Es vergingen mindestens zwei Stunden bis die ersten Radfahrer und Fußgänger in seine Nähe kamen. Doch sie waren alle außer Rufweite. Eine weitere Stunde später, die ersten Sonnenstrahlen erwärmten bereits seinen malträtierten Körper, radelte eine junge Frau direkt auf ihn zu. Sie hielt keine zwanzig Meter von ihm entfernt an, breitete eine Decke aus und begann es sich gemütlich zu machen. Armin nahm all seinen Mut zusammen, als er sich rufen hörte.
„Hallo, junge Frau entschuldigen Sie bitte wenn ich sie so einfach anspreche, aber ich brauche ihre Hilfe“.
Ein erstauntes Gesicht blickte zu ihm herüber.
„Meinen sie vielleicht mich“?
„Ja, ich weiß das ist eine komische Situation, aber lassen sie sich bitte erklären. Ich bin heute früh hier gejoggt und dann kurz ins Wasser gesprungen um mich zu erfrischen. Als ich wieder auf die Wiese zurückkam, waren meine Sachen verschwunden. Sicherlich gestohlen. Natürlich ist auch mein Handy weg. Ich kann ja nun schlecht nackt durch die Stadt zu meiner Wohnung laufen. Sie verstehen“?
Die junge Frau schaute schon freundlicher und hatte sogar ein Lächeln auf ihren Lippen.
„Wie kann ich ihnen denn helfen“?
„Wenn sie so freundlich wären und mir ihr Handy liehen, könnte ich meine Verlobte anrufen. Die wird mir dann sicher etwas zum Anziehen vorbeibringen“.
„Das lässt sich machen“.
Die junge Frau warf Kraal aus sicherer Entfernung ihr Mobiltelefon zu.
„Danke, sie bekommen es gleich wieder“.
Fieberhaft wählte er die Festnetznummer seiner Wohnung. Es hob niemand ab. Das Handy! Ebenfalls Fehlanzeige. Lediglich die Mailbox! Er bat Jenny um Rückruf. Was nun? Er musste aufs Tempo drücken. Es würde sicher nicht mehr lange dauern und die Gegend würde nur so von Polizisten wimmeln. Der
„Tatort“ war bestimmt nicht weiter als zwei Kilometer entfernt.Eine baldige Kontrolle seiner Person also mehr als wahrscheinlich. Und dann?
„Heute ist nicht mein Glückstag“, hörte er sich mit etwas Selbstmitleid in der Stimme sagen,
„ich erreiche meine Freundin nicht. Trotzdem vielen Dank“.
Er warf das Telefon wieder der netten Dame zu.
„Was wollen sie nun machen? Sie können doch nicht den ganzen Tag hier im Adamskostüm verbringen und darauf hoffen, doch noch ihre Verlobte zu erreichen“.
„Sie haben sicher Recht, aber haben sie eine bessere Idee“?
Die Gefragte setzte eine nachdenkliche Miene auf. In diesem Moment klingelte ihr Handy. Sie nahm das Gespräch an. Armin sah sie auf ihrer Decke sitzen und immer wieder den Kopf schütteln. Kurz darauf war das Telefonat beendet.
„Das war ihre Verlobte. Aber wie! Ich möchte gar nicht wiederholen, was sie mir alles an den Kopf geworfen hat. Aber in Kurzform. Erst treiben sie sich die ganze Nacht herum, dann soll sie zurückrufen und schließlich meldet sich bei ihrem Rückruf irgendeine Schlampe. Damit war wohl ich gemeint. Ach noch was. Sie sollen sich gefälligst zum Teufel scheren“.
„Lassen sie mich bitte noch einmal anrufen, das ist doch alles ein Missverständnis“.
Das Mobiltelefon flog ihm wieder entgegen. Aber Jenny meldete sich nicht. Er hatte heute wirklich im wahrsten Sinne des Wortes die Arschkarte gezogen.
„Vielleicht beruhigt sie sich ja wieder und ruft gleich zurück“, versuchte seine neue Bekannte ihn zu trösten.
„Sie kennen Jenny nicht! Da kann ich lange warten“.
„Also Plan B“.
„Wie meinen sie das“?
„Wissen sie, ich bin Krankenschwester, deshalb habe ich wahrscheinlich ein ausgeprägtes Helfersyndrom. Spaß beiseite! Ich kann sie doch nicht einfach hier nackt und hilflos sitzen lassen. Das wäre doch so was wie unterlassene Hilfeleistung, oder? Sie sagen mir ihre Konfektionsgrößen, ich schwinge mich aufs Rad und kaufe ihnen das Nötigste. Einverstanden? Übrigens ich heiße Irma Baumer“.
„Armin Kraal. Entschuldigen sie, aber ich wäre mir komisch vorgekommen, wenn ich mich zu Beginn unserer Bekanntschaft, in dieser Aufmachung, namentlich vorgestellt hätte“, erwiderte der Moderator lächelnd und gleichzeitig zutiefst beeindruckt von der Hilfsbereitschaft seiner neuen Bekannten.
„Ihr Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Aber egal“.
Seine Bekleidungswünsche und Daten hatte der Mann im Adamskostüm rasch mitgeteilt.
„Ich werde mich beeilen. Legen sie sich inzwischen ruhig auf meine Decke. Erstens ist es dort wärmer und zweitens schaut es nicht ganz so komisch aus“.
Armin tat wie ihm geheißen. Er fühlte sich auch gleich wohler.
Q
Zur gleichen Zeit führte eine ältere Dame ihren Labrador im Park spazieren. Der Hund zog plötzlich heftig an der Leine und steuerte zielstrebig auf eine Parkbank zu. An einem großen dunklen Fleck darunter begann er intensiv zu schnüffeln.
„Ja was ist denn Boogie“?
Boogie, mit seinem Frauchen im Schlepptau, setzte seinen Weg fort. Hinter dem ersten Gebüsch, das sie erreichten, erfolgte die Aufklärung. Der Hund fing laut zu bellen an. Die Dame trat näher. Ihr entfuhr ein lauter, durch Mark und Bein gehender Schrei, der selbst in etwas weiterer Entfernung befindliche Spaziergänger auf sie aufmerksam machte. Schnell hatte sich um die Stätte des Grauens eine kleine, neugierige und sehr aufgeregte Menschentraube gebildet.
Keine Viertelstunde später erreichten die ersten Polizisten den Tatort. Kurz darauf die Mordkommission. An ihrer Spitze, leicht nach Atem ringend, der wohlbeleibte Oberstaatsanwalt Ben Helmboldt und der zuständige Hauptkommissar der Mordkommission, aufgrund seiner großen Stirnglatze immer schon von weitem erkennbar, Ernest Wurz. Befehle und Anordnungen wurden laut und hektisch erteilt. Das Gelände weiträumig mit weiß-roten Plastikbändern abgesperrt. Vor diesen drängten sich bald immer mehr Neugierige.
Q
Nach einer geschätzten dreiviertel Stunde war Kraals Retterin mit den benötigten Kleidungsstücken schon wieder zurück.
Armin bestand darauf sofort seine Schulden zu begleichen.
Irma packte ihre Siebensachen zusammen und folgte ihm zu seiner nicht weit entfernten Bank. Mit der Dame an seiner Seite, fiel er im Park nicht so auf, ging es ihm auf dem Weg dorthin durch den Kopf.
Nachdem er Geld abgehoben hatte, beglich er bei Irma seine Schulden. Eine Entschädigung für ihre Unannehmlichkeiten lehnte sie entschieden ab. Stattdessen gab sie ihm mit einem Lächeln ihre Handynummer,
„für alle Fälle“.
Mit einem Winken verabschiedeten sie sich.
Der nachlassende Stress ließ ihn wieder starke Schmerzen am ganzen Körper empfinden. Außerdem verspürte er großen Durst und Hunger. Deshalb betrat Kraal eine ihm bekannte Gaststätte in einer Seitenstraße der Leopoldstraße. In dieser, das wusste er, gab es einen öffentlichen Münzfernsprecher. Er bestellte sich ein Bier und eine Suppe. Die warme Mahlzeit tat ihm gut. Kraal bezahlte und ging zum Telefon. Diesmal hatte er Glück. Jenny war dran. Ein langes Donnerwetter ihrerseits hörte er sich geduldig an. Nachdem sich seine Lebensgefährtin beruhigt hatte, verdeutlichte er ihr ansatzweise seine Probleme. Zu Hause würde er alles erklären. Sie müsste ihm aber versprechen, nicht die Wohnung zu verlassen, da er ja keinen Schlüssel hätte. Jenny versprach es schließlich. Armin machte sich auf den Weg nach Hause. Er nahm nicht die direkte Route durch den Englischen Garten, sondern schlug bewusst einen großen Bogen, um sich ihrem Haus von hinten zu nähern.
Kraal hatte alles richtig gemacht. Das realisierte er sofort als er vor der Haustür stand. Im gegenüberliegenden Park wimmelte es nur so von Polizisten. Jenny hatte direkt nach seinem Klingeln den Türöffner betätigt, so als ob sie schon auf ihn wartete. Im Aufzug versuchte er sich noch krampfhaft passende Worte für seine Abwesenheit zurechtzulegen, doch ihm fiel nichts Vernünftiges ein. Was sollte, ja was durfte er preisgeben? Den Mord den er eigentlich gar nicht begangen hatte? Auf keinen Fall! Seine Vergewaltigung behielt er wohl auch besser für sich.
Q
Igor Smola, ein untersetzter, leicht übergewichtiger Serbe, der schon seit mehr als 30 Jahren in München lebte und sich mit seinen Unternehmungen auf dem Höhepunkt einer beachtlichen kriminellen Karriere befand, strich sich nervös durch seine schwarzen, gewellten Haare, während er den Hörer des klingelnden Telefons in seinem Büro abnahm und sich mit einem lauten Gähnen meldete. Er war müde. Kein Wunder nach diesem Sonderauftrag mitten in der Nacht. Igor mochte Stress dieser Art nicht mehr so wie in früheren Jahren. Er meinte sein Leben müsste allmählich in ruhigen Bahnen verlaufen. In denen eines erfolgreichen Mannes, der sich mit einem Drink zurücklehnte und nur noch delegierte. Doch da hatten anscheinend die, welchen er seinen Wohlstand verdankte, etwas dagegen. Sie zogen ihn immer wieder in gefährliche Geschichten mit hinein.
„Und“?
Er hörte sich an was es am anderen Ende der Leitung zu sagen gab, machte sich Notizen und legte schließlich auf.
Irgendwann würden ihm seine Geschäfte über den Kopf wachsen. Besonders dieser Sicherheitsdienst! Man hatte ihm diesen förmlich aufgedrängt. Zwar konnte er sich seitdem alles leisten. Seine Villa in Grünwald, eine verwöhnte Ehefrau, Marseta und was sonst zu einem luxuriösen Lebensstil dazugehörte. Doch seine Abhängigkeit von seinen Auftraggebern war manchmal erdrückend und auch entwürdigend. Das Spinnennetz in welchem er sich verstrickt hatte, war so engmaschig, dass er daraus wahrscheinlich nie mehr entfliehen konnte.
Igors nochmaliger Griff zum Hörer und der Bericht den er gleich darauf ablieferte, gehörte zu dieser Art von Aufträgen, die man ihm einfach gab und denen er sich nicht verweigern konnte. Smola machte es kurz wie immer. Sein Gesprächspartner, der Polizeipräsident, unterhielt sich nicht gerne längere Zeit mit Leuten wie ihm. Das wusste er und daran hielt er sich geflissentlich. Schließlich war er nicht lebensmüde.
Marseta, Bobos hübsche Ehefrau betrat sein mit edlen Hölzern getäfeltes Arbeitszimmer. Ihre kleine, aber drahtige Erscheinung, das etwas runde, jedoch feingeschnittene Gesicht, eingerahmt vom prachtvollen, braunen Haar, dazu die Stupsnase und ihre hellblauen, wachen Augen, denen nichts entging, machten Igor immer wieder stolz. Sie so betrachtend, dachte er sich mit einem Lächeln, wenn nur nicht ab und zu ihr freches Mundwerk wäre.
„Soll ich dir einen Drink bringen mein Liebster? Du siehst aus als ob du einen gebrauchen könntest. Hast wohl wieder mit diesem Perversen gesprochen“?
Igor hob abwehrend die rechte Hand.
„Sag nicht immer so was. Irgendwann verplapperst du dich noch vor Dritten! Das mit dem Drink wäre schwer in Ordnung“. Marseta winkte ab und begab sich ins Nebenzimmer um ihrem Mann einen Gin Tonic zuzubereiten. Sein Lieblingsgetränk. Sie lächelte als sie mit seinem Glas zurückkam.
„Sollten wir uns nicht allmählich zur Ruhe setzen? Ich bin jetzt auch schon fast 60 Jahre alt. Wir könnten die ganzen Geschäfte, egal zu welchem Preis verkaufen und irgendwohin ziehen wo wir unseren Frieden haben“?
„Wenn das so einfach wäre mein Schatz. Lieber heute als morgen“.
„Alsdann“!
„Ich bin jetzt wirklich müde, gib mir noch einen Kuss und lass mich ein wenig ausruhen“.
„Gut, aber glaube mir, ich fange immer wieder mit diesem Thema an. Ich sehe doch wie du dich quälst“.
Marseta verließ kopfschüttelnd das Büro. Igor lehnte sich in seinem Sessel zurück und griff nach seinem Drink.
Q
Hauptkommissar Ernest Wurz wanderte unruhig in seinem Amtszimmer im Münchner Polizeipräsidium auf und ab und strich sich dabei immer wieder nervös mit dem rechten Handrücken über seinen Oberlippenbart. Es war gegen 12.45 Uhr. Um 13.00 Uhr sollte er eine Pressekonferenz leiten, zu der ihn der Polizeipräsident Axel Kalthoff begleiten würde.
Des Präsidenten Worte klangen ihm wieder im Ohr.
„Ich komme zu ihrer Unterstützung mit“, hatte dieser mehr zynisch als gönnerhaft am Telefon gemeint.
Wurz mochte seinen aalglatten, höchsten Chef nicht. Der aufgrund seiner Größe meist mitleidig, mit stechendem Blick, auf ihn herabzuschaute. Seine Antipathie ihm gegenüber wurde sicher bemerkt, doch das war ihm egal. Sein Beruf füllte ihn so sehr aus, dass er sich nicht auch noch mit irgendwelchen persönlichen Ressentiments auseinandersetzen konnte und wollte. Außerdem hatte er mit seinen 50 Jahren schon genug graue Haare und eine leichte Stirnglatze. Nach zwei gescheiterten Ehen, ließ ferner seine ungesunde Junggesellenernährung, die mit der Zeit zu einem leichten Schmerbauch geführt hatte, keine weiteren Belastungen zu. Eine gute Currywurst und ein paar Bierchen behielten noch immer die Oberhand gegenüber irgendwelchen schrägen Stimmungen.
Diese Frauenleiche heute Vormittag im Englischen Garten war auf die unterschiedlichste Art und Weise missbraucht worden. Anscheinend von mehreren Personen. Ein Mensch alleine konnte das was er gesehen hatte nicht bewerkstelligen. Er hatte in seiner Laufbahn als Kriminaler schon viel erlebt und ansehen müssen, aber dieser Mord und die Umstände die ihn begleiteten, waren schon grenzwertig. Da mussten richtige Tiere am Werk gewesen sein. Obwohl diese grausame Tat ziemlich einmalig schien, wurde er das Gefühl nicht los, dass es irgendeine Verbindung zu früheren Morden gab. Aber solche Vermutungen brachten ihn im Moment nicht weiter. Schon gar nicht im Zusammenhang mit der anstehenden Pressekonferenz. Er durfte nicht einmal ansatzweise die Gedanken der Anwesenden auf einen Serientäter lenken. Damit würde er niemandem und am wenigsten sich selbst einen Gefallen tun.
Die Bürotür schwang auf.
„Sind sie soweit“?
Kalthoff stand ungeduldig, wie immer tadellos gekleidet und frisiert im Türrahmen.
Q
Das Jagdschloss lag vor den Toren Münchens im Ebersberger Forst. Tatsächlich wurden von diesem in früheren Zeiten und auch heute noch, Jagdpartien veranstaltet. Das über 150 Jahre alte Haus war über dem Erdboden erhalten geblieben wie es immer war. Denkmalschützer ließen stärkere Eingriffe in die Bausubstanz nicht zu. Der derzeitige Eigentümer, Felix Dorn, Vorstand eines großen Pharmakonzerns, erweiterte das Gebäude allerdings 2008 erheblich, indem er unter diesem ein riesiges Areal ausbaute. Dies wurde die Heimat des Jagdclubs.
Man fuhr mit dem Wagen über einen privaten Forstweg, welcher von der Hauptstraße kommend, keine Seitenstraßen hatte und von zwei als Waldarbeiter verkleideten Sicherheitskräften,die ihren Dienst von einer Holzfällerhütte aus versahen, bewacht wurde, praktisch unbemerkt in die Tiefgarage auf Ebene minus 4. Über dieser befanden sich die exklusiven, pompös eingerichteten Räume, die Felix Dorn und seine Freunde für ihre geheimen und äußerst delikaten Treffen nutzten.
Das übererdige Jagdschloss beherbergte eine kleine, öffentliche Bar, in der jedermann nach einem Waldspaziergang gern auf einen Umtrunk einkehrte.
In Etage minus 1 gab es verschiedene Gesellschaftsräume. Ferner die Küche, eine Vorratskammer und im hinteren Teil die Haustechnik.
Auf der Ebene minus 2 befand sich der Nassbereich. Dieser bestand aus einem exklusiven Hallenbad und einer anschließenden Saunalandschaft, mehreren Massage- und Ruheräumen, die für keinen Geschmack Wünsche offen ließen. Auf dieser Ebene gab es ferner am hinteren Ende den Ausgang zu einem Fluchtweg. Er bestand aus einem zweihundert Meter langen unterirdischen Tunnel, welcher in den Keller einer kleinen Waldarbeiterhütte mündete. Dieser schlossen sich zwei Garagen an. In ihnen standen ständig zwei geländegängige Fahrzeuge.
In minus 3, direkt über der Garage, lag ein großer Sitzungsraum und mehrere Umkleideräume. Außerdem überwachten von dort die Security-Leute an einer Vielzahl von Bildschirmen das gesamte Gelände und diverse Räume im Haus. In ihrem Trakt befand sich auch die gut bestückte Waffenkammer.
Der unterirdische Komplex bildete eine in sich geschlossene Einheit. Einen Zugang gab es ausschließlich über die Tiefgarage. Diese war nur nach Passieren von zwei immer bewachten Toren zu betreten oder zu befahren.
Alarm wurde automatisch ausgelöst, falls die ersten beiden Kontrollposten nicht ordentlich passiert wurden. Oder die Security in der Sicherheitszentrale des Jagdschlosses irgendwelche Unregelmäßigkeiten entdeckte. Links ging es in einen großen Raum, der Warenannahme genannt wurde. Über den rechten Weg, nach dem Durchfahren eines weiteren Tores, erreichte man kurz darauf das eigentliche Parkhaus. Die Ebenen Minus 3 bis minus 1 waren von dort über Treppen und zwei Aufzüge zu erreichen.
Das alte „Schloss“, sozusagen oben auf dem Dach, führte sein eigenes Dasein. Hatte einen eigenen oberirdischen Parkplatz und keinen Zugang zum darunterliegenden Komplex.
Dahinter, von einer hohen, dichten Hecke und einer alten Scheune geschützt, versteckte sich die Einfahrt zur unterirdischen Garage. Lüftungsschächte, die starker Bewuchs verdeckte, sicherten die Frischluftzufuhr.
Realisiert wurde dieses fantastische Bauwerk von Stone, oder Ernst Marx, wie er wirklich hieß, dem größten Bauunternehmer Süddeutschlands. Diesem Mitglied des Jagdclubs war es gelungen das Meisterwerk erschaffen zu lassen. Unter dem Titel „Sanierung des Jagdschlossfundaments“ waren die behördlichen Genehmigungen, aufgrund der Beziehungen der Runde, kein Problem gewesen. Die Rohbauten führten ausschließlich ausländische Subunternehmen durch, die nach getaner Arbeit in ihr Heimatland zurückgingen. Für die Innenausbauten verpflichtete man einheimische Firmen, die sich als zuverlässig und verschwiegen erwiesen. Man hatte ihnen gegenüber zum Ausdruck gebracht, es handelte sich um ein von der Regierung beauftragtes Bauwerk, das der höchsten Geheimhaltungsstufe unterlag.
Q
Es war Abend geworden. Ein paar beleuchtete Fenster des Schlosses funkelten im finsteren, ruhigen Wald wie die lockenden und gleichzeitig warnenden Leuchtfeuer eines Leuchtturmes. Und da kamen sie tatsächlich. Ein Wagen nach dem anderen tauchte aus dem dunklen Waldweg, der geheimen Zufahrt auf und wurde gleich darauf hinter der Scheune buchstäblichvom Erdboden verschluckt. Dieses Licht- Schattenspiel dauerte fast eine Stunde, dann herrschte wieder Ruhe im Forst.
Bis auf ein Fahrzeug wurden alle zügig durch die Kontrollen ins Parkhaus gelassen. Diesem Gefährt entstiegen in der Warenannahme, zwei Jungen und zwei Mädchen, mit verbundenen Augen. Zwei Securitymänner brachten sie anschließend mit dem Personalaufzug auf Ebene minus 3 in einen Aufenthaltsraum. Dort nahm man den etwa 14 jährigen Kindern ihre Augenmasken ab und bewirtete sie mit diversen Snacks und Getränken.
„Ihr wartet hier, bis ihr gerufen werdet!“, hatte man ihnen befohlen.
Dann wurde die Tür, durch die sie gerade eingetreten waren, von außen verriegelt.
Q
Ice, oder auch Axel Kalthoff, hatte am großen Besprechungstisch im prächtigen, holzgetäfelten Sitzungssaal, Platz genommen. Zufrieden schaute er in die Runde.
„Wie ich sehe, sind wir heute an diesem wunderbaren Samstagabend vollzählig. Das freut mich ganz besonders deshalb, weil wir ja letzte Nacht noch gemeinsam fleißig und ich möchte sagen äußerst erfolgreich, zu einer außerordentlichen Außensitzung unterwegs waren. Dies trifft auch auf das neue Mitglied unserer Jagclubs zu, das gestern Nacht, wie sie selbst erlebt haben, mit Bravour seine Aufnahmeprüfung bestand. Die Vergewaltigung und der Mord waren Voraussetzung um unser vollstes Vertrauen zu gewinnen. So sind unsere Regeln. Das gemeinsam Erlebte schweißt uns auf alle Zeiten untrennbar zusammen. Es war ein sauberer Schnitt, von zwei sicheren Händen ausgeführt und einem starken Geist geleitet. Eine Tat, von einem Menschen begangen, der unserer würdig ist. Wenn sie meine Herren dies auch so sehen, dann heben sie bitte die rechte Hand und stimmen damit zu, dass Herr Alois Stammböck ab sofort ordentliches Mitglied des Jagdclubs ist“.
Erwartungsgemäß ergab sich kein Widerspruch.
„Danke meine Herren. Nun darf ich sie das erste und auch das letzte Mal, mit ihren richtigen Namen vorstellen. Neben mir, Felix Dorn, mein Stellvertreter, Vorstand eines großen Pharmakonzerns und Eigentümer dieses wunderbaren Bauwerks, in welchem wir unsere Heimat gefunden haben. Wir nennen ihn Doc. Zu seiner Rechten, unser neues Mitglied, Alois Stammböck, ihm gehört die größte Fleischgroßhandlung Süddeutschlands, seit heute, Meat. Neben ihm, Edmund Draxler. Alle kennen die weltweit operierende Spedition Draxler, logischerweise von uns Move genannt. Dann Dr. Markus Gerber, unser hochgeschätzter Wirtschaftsminister, oder auch Eco. Daneben Herbert Knoll, Eigentümer der gleichnamigen Fahrzeugvermietung, mit Verleihstationen auf der ganzen Welt. Wir nennen ihn Speed. Stone, Bauunternehmer, der die Idee zum Umbau unseres Jagdschlosses hatte und diese verantwortlich in die Tat umsetzte, Gunther Stelzer. Schließlich Engelbert Schnaak, Vorstand einer Großbank, kurz Cash genannt. Last but not least, meine Wenigkeit. Axel Kalthoff, man nennt mich Ice, Polizeipräsident unserer schönen Stadt München“.
Die Genannten hatten sich jeweils freundlich grüßend nach vorne gebeugt. Sie waren durchwegs um die 50 bis 60 Jahre alt und wirkten in ihren dunklen Anzügen recht kultiviert. Besondere Auffälligkeiten waren an ihnen nicht zu erkennen. Ausgenommen Cash, der trug eine Prothese am rechten Arm und natürlich ragte der spindeldürre Kalthoff mit seiner Größe heraus. „Wie schon gesagt, sprechen wir uns nicht mit unseren Namen an. Nirgends! Außer die Form verlangt es einem Dritten gegenüber. Am Telefon niemals. Auch nicht beim Gebrauch anderer Kommunikationsmittel und bei Nachrichten, die nur uns persönlich betreffen. Langer Rede kurzer Sinn, lieber Alois ab heute wirst du, wie schon gesagt, von uns Meat genannt. Weshalb, kannst du dir als Fleischgroßhändler sicher vorstellen“.
Meat erhob sich lächelnd.