Der Raub des Wikingers - Sandra Hill - E-Book

Der Raub des Wikingers E-Book

Sandra Hill

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Beschreibung

Eine stolze Kriegerin. Ein verliebter Wikinger. Und eine gemeinsame Nacht.

Tyra Sigrundottir kämpft und kleidet sich wie ein Mann. Doch sie ist eine Frau. Das Wikingerblut in ihren Adern macht sie zu einer leidenschaftlichen Kriegerin. In der Liebe aber ist sie unerfahren und zurückhaltend. Auf der Suche nach einem Heiler für ihren kranken Vater trifft sie auf den attraktiven Adam. Als er sich weigert, ihr zu helfen, entführt Tyra ihn auf ihr Schiff. Adam, der seit Jahren keine Frau mehr angesehen hat, kann den Blick nicht von der schönen, stolzen Wikingerin lassen. Also schlägt er Tyra einen Pakt vor: Er wird ihren Vater behandeln, wenn sie eine Nacht mit ihm verbringt ...

Band 6 der Wikinger-Saga von Sandra Hill. Nächster Titel der Reihe: "Die Geliebte des Wikingers".

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.


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Seitenzahl: 430

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Alles ist erlaubt ...

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Die Wikinger-Saga

In den Armen des Wikingers

Die Zähmung des Wikingers

Das Herz des Wikingers

Der Kuss des Wikingers

Die Verführung des Wikingers

Die Geliebte des Wikingers

Ein Wikinger-Liebesroman

Die Sehnsucht des Wikingers

Im Bann des Wikingers

Über dieses Buch

Eine stolze Kriegerin. Ein verliebter Wikinger. Und eine gemeinsame Nacht.

Tyra Sigrundottir kämpft und kleidet sich wie ein Mann. Doch sie ist eine Frau. Das Wikingerblut in ihren Adern macht sie zu einer leidenschaftlichen Kriegerin. In der Liebe aber ist sie unerfahren und zurückhaltend. Auf der Suche nach einem Heiler für ihren kranken Vater trifft sie auf den attraktiven Adam. Als er sich weigert, ihr zu helfen, entführt Tyra ihn auf ihr Schiff. Adam, der seit Jahren keine Frau mehr angesehen hat, kann den Blick nicht von der schönen, stolzen Wikingerin lassen. Also schlägt er Tyra einen Pakt vor: Er wird ihren Vater behandeln, wenn sie eine Nacht mit ihm verbringt ...

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Sandra Hill hat schon in jungen Jahren mit dem Schreiben begonnen und ist selbst eine begeisterte Leserin historischer Liebesromane. Die ehemalige Journalistin sammelt außerdem Antiquitäten und besucht gern Auktionen. Sie ist verheiratet und hat vier Söhne. Website der Autorin: https://www.sandrahill.net/.

Sandra Hill

Der Raub des Wikingers

Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Albrod

Vollständige E-Book-Ausgabe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2002 by Sandra Hill

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »My Fair Viking«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2004/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

unter Verwendung von Motiven © vlastas/gettyimages; PeriodImages

E-Book-Produktion: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-8363-8

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Alles ist erlaubt ...

»Spiel nicht mit mir, Angelsachse.«

»Es macht mir aber Spaß, mit dir zu spielen, Wikingerin.«

»Hör sofort auf, sonst –«

»Sonst was?«

Sie hatte keine Ahnung, was sonst ... weil dieser unmögliche, arrogante, selbstherrliche Kerl jetzt seinen Mund auf ihren senkte. Und sie saß wie erstarrt da. Vielleicht lag es daran, dass sie in einer Hand eine Taube und in der anderen ein Stück Brot hielt, aber noch eher war der Grund, dass ihre Lippen sich wie von selbst geöffnet hatten. Sie wollte, dass er sie küsste. Sie wollte es sogar sehr.

»Tyra«, flüsterte er an ihrem Mund, ehe seine Lippen die ihren berührten. Der Mann erwies sich als Meister vieler Dinge. Medizin war ein Beispiel. Und jetzt auch das Küssen. Sie wagte gar nicht erst, darüber nachzudenken, auf welchen Gebieten er sich sonst noch hervortun würde.

Dieses Buch widme ich mit großer Zuneigung und Respekt Alicia Condon von Dorchester Publishing. Sie ist seit dreizehn Romanen und einer Anthologie meine Lektorin.

Alicia ist nicht nur eine herausragende Lektorin, sondern teilt auch meinen Sinn für Humor. Sie hat nur einmal eine Idee von mir verworfen, und das war, als ich einen der Drei Weisen zu einem Romanhelden machen wollte. Ich habe noch nicht aufgegeben, sie von dieser Idee zu überzeugen. (Grins)

Alicia verbessert meine Bücher. Was kann sich ein Autor mehr wünschen?

Danke, Alicia.

Seefahrer, mögen die süßen

Gesänge der Götter

Eure Seelen erfüllen und mögen

Die Lippen der Männer

Vor der Kunst zur Ruhe kommen.

Denn in den weiten Feldern

Norwegens werden die Samen,

Die mein Lied sät, reifen,

sodass die Männer seine Früchte kosten können.

Egils Sagaum das 10. Jahrhundert

Leser, mögen die süßen Worte meiner MuseEuch erfüllen, sodass Ihr bewundernd vor meinenBüchern steht. Denn in den weiten Feldern meinerVorstellungskraft reifen die Samen für immer neueGeschichten, sodass ihralle von den Früchten kosten könnt.

Sandra Hill, 2002in schamloser Nachdichtungvon Egils Worten

Prolog

Jorvik, A.D. 937

In der Marktstadt ging schon die Sonne auf, und Hunderte von Menschen, ein Großteil von ihnen Kinder, sammelten sich auf den Stufen des Münsters, wo sie schrien, drängelten und schubsten, um etwas von dem dunklen Brot zu ergattern, das die Geistlichen dort austeilten.

Unter den Armen, die sich für ihre wöchentliche Essensration anstellten, befanden sich der siebenjährige Adam und seine vierjährige Schwester Adela.

»Hab keine Angst, Adela«, beruhigte Adam sie. »Niemand wird dir etwas tun ... zumindest solange nicht, wie ich hier bin, um dich zu beschützen.«

Adela sah bewundernd zu ihm auf, den Daumen wie immer fest im Mund. Obwohl sie von den verlausten Haaren bis zu den bloßen Füßen schmutzig war – so wie er selbst, dachte Adam –, war sie so schön wie eine Haremsprinzessin. Nicht dass er je eine Haremsprinzessin gesehen hätte, aber er hatte gehört, wie die Seeleute von ihnen gesprochen hatten, als er durch die Stadt gestreift war. Adela war seine Familie, seit ihre Mutter vor einem Jahr gestorben war und die beiden zurückgelassen hatte, und nun durchstreiften sie auf eigene Faust das Gelände am Hafen. Adela bedeutete ihm mehr als alles andere. In dem Moment schwor er sich, dass er ihre zerlumpten Kleider eines Tages durch juwelenbesetzte Seide ersetzen würde. Und irgendwann würde sie ein Bad nehmen. Vor allem aber würde er immer, immer da sein, um sie zu beschützen.

»So, du bleibst jetzt hier stehen, Adela, während ich versuche, uns ein Stück Brot zu holen. Versprichst du mir, dass du dich nicht vom Fleck rührst?«

»Ja, Adam.« Ihre Augen waren groß vor Furcht, als sie ihm nachsah, wie er sich einen Weg durch die Menge bahnte, hier zwickte, da schubste und sich unter Armen wegduckte, bis er einem Priester ein Stück Brot aus der Hand riss, das dieser gerade einer alten Frau in Lumpen zukommen lassen wollte.

»Komm zurück, du widerliche Kröte«, schrie die Frau, was ihn aber nicht weiter kümmerte. Viele in der Menge wandten sich um, um ihm nachzusehen, und manche versuchten, ihm seine Beute wegzuschnappen, aber ohne Erfolg. Keinesfalls wollte er das gerade erkämpfte Essen wieder hergeben. Er stopfte es in den Ausschnitt seiner schmutzigen Tunika und rannte um sein Leben zu seiner Schwester zurück.

Bei Adela angekommen, brach er das Brot in zwei Stücke, und beide schlangen das zähe Brot gierig hinunter. Es war die erste Nahrung seit vierundzwanzig Stunden, und im Magen war das Brot sicherer als in ihrer Hand, weil die, die größer und stärker waren als sie, nicht davor zurückschrecken würden, sie wegen ein paar Krumen zu töten.

Während Adam in Gedanken versunken dastand, hatte sich vor Adela eine Dame hingehockt. Sie war sehr groß, aber nicht so groß wie der Mann, der hinter ihr stand ... Er war so groß wie ein Pferd und seinem Gesichtsausdruck nach ein gewalttätiger Mann. Beide hatten hellblondes Haar und waren vielleicht Wikinger, was nichts Besonderes war, denn Jorvik war die nördlichste Hauptstadt Britanniens. Hier wimmelte es nur so von diesen verdammten Piraten.

»Wie heißt du denn, kleines Mädchen?« Die Frau streckte ihre Hand aus und strich Adela ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Die Frau sah zwar harmlos aus, aber es gab genug Gesindel in der Stadt, und Adela wich zurück. »Adam«, flüsterte sie, griff nach seiner Hand und steckte den Daumen der anderen in den Mund.

»Warum wollt Ihr das wissen?«, fragte Adam, kniff die Augen zusammen und schob kämpferisch die Hüften vor.

»Ihr zwei solltet nicht so alleine hier herumlaufen. Wo sind eure Eltern?«

»Haben keine.«

»Sind sie ... gestorben?«

»Ja, unsere Mutter ist gestorben. Was kümmert das Euch?«

Die Frau atmete hörbar ein. »Wann war das?«

»Letzten Winter.«

»Vor einem Jahr! Bei wem wohnt ihr jetzt, bei eurem Vater?«

»Hä?«

»Rain, wir haben schon viel zu viel Zeit verplempert«, unterbrach sie da der blonde Mann und griff nach ihrem Arm.

Rain hatte er sie genannt, was für ein seltsamer Name.

»Einen Moment noch, Selik«, beharrte die Frau.

»Denk an die Frau in den Wehen«, ermahnte sie Selik.

»Oh, das habe ich ganz vergessen.« Sie warf einem anderen Mann, der neben dem Nordmann stand, einen entschuldigenden Blick zu. Es war Uhtred, ein Bürger Jorviks, den Adam gelegentlich schon gesehen hatte. Seine Frau war dick – sehr dick – von dem Kind, das sie erwartete. Hier war sie nirgends zu sehen. Sicherlich lag sie irgendwo im Stroh und presste ihr Kind heraus.

Wieder wandte die Dame namens Rain sich an Adam. »Wer, sagtest du, kümmert sich um euch?«

Trotzig hob er den Kopf. »Ich kümmere mich um meine Schwester und mich«, verkündete er.

»Ich will doch nur helfen –«

»Hah! Genau wie Aslam –«

»Der Sklavenhändler?«, fragte Selik überrascht.

»Ja, der Sklavenhändler. Er versucht immer wieder, uns einzufangen. Aber ich bin zu schnell für den alten Fettsack. Er behauptet, er kenne einen Sultan in einem fernen Land, der uns für seine eigenen Kinder als Spielkameraden haben wolle und uns Essen und ein Zuhause geben würde, aber ich weiß, was er wirklich will. Ja, das weiß ich.«

»Was?«, rief Rain aus, und Selik fluchte hinter ihr.

»Er will uns beide von hinten nehmen«, erklärte er mit einer Gossenweisheit, von der er hoffte, dass sie die Frau in ihrer Eindeutigkeit so abstoßen würde, dass sie wegging. Er spuckte ihr vor die Füße, ergriff Adelas Hand und verschwand mit ihr in der Menge.

»Ich will euch doch nur helfen«, rief die Frau ihnen nach.

Die Worte hallten Adam in den Ohren, und obwohl sie sicher gelogen waren, ging er langsamer. Aus einem unerklärlichen Grund folgte er den riesenhaften Männern in Uhtreds Gefolge, dessen Frau es offenbar nicht schaffte, ihr jüngstes Kind so leicht zur Welt zu bringen wie die vorangegangenen.

Als er sich in der überfüllten Ecke von Coppergate, wo es vor Händlern wimmelte, näher an die Männer hielt, hörte er Rain klagen: »Wir hätten dableiben und ihnen helfen sollen.«

»Du bist verrückt. Ich will keine eigenen Kinder, und ganz sicher will ich mich nicht um die lästigen Gören anderer kümmern müssen. Kriegst du das nicht in deinen Dickschädel hinein?«

»Aber Selik, hast du nicht die Augen des kleinen Mädchens gesehen, als sie uns über die Schulter angesehen hat? Ihr Blick war ein einziger Hilfeschrei.«

»Du siehst und hörst nur, was du willst, Mädchen. Hast du nicht gehört, was für ein übles Mundwerk die kleine Kröte hatte? Der will keine Hilfe, und ich wage zu behaupten, dass das zähe Biest sogar auf einem Schlachtfeld überleben würde, ganz zu schweigen von den Straßen einer Marktstadt.«

Adam brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass Selik ihn mit der »kleinen Kröte mit dem üblen Mundwerk« meinte. Er knurrte und wäre vorwärtsgeschossen, um dem Mann ins Bein zu beißen, aber Adela hielt ihn zurück. In ihren blauen Augen stand tatsächlich ein bittender Ausdruck.

»Bitte, bitte«, drängte Uhtred und zog an Rains Ärmel. »Meine Frau stirbt, und ihr steht hier und zankt euch um zwei unwichtige Straßengören.«

Wütend drehte Rain sich zu Uhtred um. »Und was bringt Euch auf die Idee, dass Euer ungeborenes Kind wertvoller wäre als diese beiden kostbaren Kinder?«

Kostbar? Wer? In dem Moment hatte Adam das Gefühl, als würde sein Herz wachsen. Er könnte diese Frau lieben, beschloss er ... wie eine Mutter. Dann schüttelte er heftig den Kopf, um den unsinnigen Gedanken wieder loszuwerden.

Stunden später lugte Adam durch einen Riss in der Wand von Uhtreds kümmerlicher Hütte. Adela lag auf Seliks Schoß, der mit verschränkten Beinen unter einem Baum saß, und schlief. Adam wusste nicht genau, wie es dazu gekommen war, aber er wusste, dass er auf keinen Fall von der Hütte weg wollte, trotz Seliks strenger Ermahnung, dass eine Geburt kein Anblick für einen kleinen Jungen sei. Wenn Selik ihn noch einmal einen »kleinen Jungen« nannte, schwor sich Adam, würde er das mit einer berüchtigten angelsächsischen Geste beantworten. Doch dann war es besser, Adela an der Hand zu halten und schnell mit ihr weglaufen zu können.

Das, was Adam so faszinierte, waren die Dinge, die Rain in Uhtreds Hütte tat. Offenbar war sie eine Heilerin. Nicht nur eine Amme, wie es so viele zahnlose Alte waren, sondern eine richtig ausgebildete Ärztin. Fasziniert sah er zu, wie sie ihre Hände in den Bauch der Frau steckte und das Baby im Leib drehte, dann einen kleinen Schnitt in die Weichteile machte und dabei half, das Baby herauszuholen.

Adam war erst sieben. Er hatte nie viel mit Religion am Hut gehabt und hatte den Gott, zu dem seine Mutter gebetet hatte, schon aufgegeben ... Oder hatte der Gott ihn und Adela aufgegeben? Aber irgendwie verfügte der Junge über eine Weitsicht, die weit über der eines Siebenjährigen lag. Natürlich war es seine Aufgabe, Adela zu beschützen, aber er hatte noch eine andere Bestimmung. Er würde Arzt werden. Ja, das würde er.

Mit so viel Selbstbewusstsein wie möglich marschierte er zu Selik und erklärte: »Ich schätze, Adela und ich werden heute Abend mit Euch nach Hause gehen.« Es war nicht so, dass jemand ihnen das angeboten hätte, aber Adam hatte die Erfahrung gemacht, dass es manchmal besser war, selber den ersten Schritt zu tun.

Selik machte ein Gesicht, als hätte er einen Frosch geschluckt. Sein höhnisches Gesicht verfärbte sich ins Grünliche.

Aber er sagte nicht Nein, was Adam als gutes Zeichen ansah.

Es sah ganz so aus, als sollten Adela und er eine Art Zuhause bekommen ... für eine Weile.

Northumbria, A.D. 960 (dreiundzwanzig Jahre später)

Adela war tot.

Adam der Heiler sank auf die Knie und schlug sich gegen die Brust. Dann beschimpfte er sich selber, ohne darauf zu achten, ob ihn jemand in dem überfüllten Hospiz von Rainstead hören konnte. »Zwei Ziele habe ich im Leben gehabt – nur zwei: Adela zu beschützen und ein Heiler zu werden. Beide habe ich nicht erreicht.«

Zum ersten Mal in seinen dreißig Lebensjahren weinte Adam. Er heulte seinen Kummer laut heraus und riss sich an den Haaren. »Ich sollte meiner geliebten Schwester in den Tod folgen, ich kann den Schmerz nicht ertragen.«

»Nicht, Master, nicht solchen Frevel. Nur Allah oder Euer christlicher Gott darf Schicksalsentscheidungen treffen«, ermahnte sein Assistent Rashid ihn sanft und legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter.

Doch für Adam gab es keinen Trost.

Er beugte sich über die Pritsche und drückte seiner Schwester einen Kuss auf die schon kalte Wange. Der Tod verlor keine Zeit, wenn der letzte Atemzug erst einmal getan war. Schon bald würde der Leichnam steif werden und die Haut die Farbe ändern. Er war Arzt und wusste das nur zu gut. »Leb wohl, süße Adela«, flüsterte er. »Vergib mir, dass ich zu spät gekommen bin.«

Auf der anderen Seite kniete ein Mönch aus dem Münster von Jorvik und begann, Adela die letzte Ölung zu geben. Es war eine Routinehandlung, die der Mönch wieder und wieder vollzogen haben musste. Ließ sein Glaube denn nie nach? Fragte er sich nie, warum sein Gott so viele Unschuldige zu sich holte?

Seufzend erhob sich Adam und folgte Rashid durch die Reihen von Pritschen, auf denen Dutzende von Menschen an der Seuche starben, die Jorvik seit ein paar Monaten heimsuchte. Die Zahl der Toten hatte bereits eine furchtbare Höhe erreicht.

»Hilf mir, Heiler«, stöhnte ein Sterbender, als Adam vorbeikam.

»Master Adam, Master Adam ...«, schloss sich ein anderer an.

»Ich habe Schmerzen«, jammerte eine Kinderstimme.

Wieder und wieder riefen die Leidenden nach Adam und seiner Heilkunst, aber er hatte keine Kraft mehr, um ihnen zu helfen. Wenn er nicht einmal seine Schwester hatte retten können, wie sollte er sie dann heilen?

Adam folgte Rashid nach draußen, wo die frische Luft seinen rauen Lungen guttat. Doch die Erholung war von kurzer Dauer, denn als sein Blick das erste Mal nach fünf Jahren über Rainstead glitt, sah er nicht das Herrenhaus, das Waisenheim, die Weberstände, Ställe und das Hospiz ... alles Dinge, die Rain und Selik mit den Jahren für die Armen in Jorvik gebaut hatten. Was er sah, waren die Grabhügel, die für seine Stiefeltern aufgeworfen worden waren, die all ihren Besitz ihren angenommenen Kindern hinterlassen hatten; sie waren erst vor ein paar Tagen gestorben.

Er trauerte tief um Selik, der Adela und ihn vor so vielen Jahren adoptiert hatte, und um seine Frau Rain, die viel mehr als eine Adoptivmutter für ihn gewesen war. Rain, die für ihre Heilkunst weithin berühmt war, hatte ihm alles beigebracht, was sie über Medizin wusste, und ihn ermutigt, zum Studium in den fernen Osten zu gehen, wo die arabischen Ärzte führend auf ihrem Gebiet waren. Rain und Selik hatten viele Jahre miteinander verbracht und waren beide über fünfzig gewesen. Adela war noch relativ jung gewesen – erst siebenundzwanzig.

Wenn er doch nur nicht so lange weggeblieben wäre!

Er hatte Rains Nachricht vor einem Monat erhalten, sie hatte ihn über die Seuche informiert und erzählt, wie viele Einwohner Jorviks und Kinder im Waisenhaus davon betroffen waren. »Komm nach Hause, Adam, du wirst hier gebraucht.«

Da hatten sich Rain, Adela und Selik noch nicht angesteckt, aber er war dennoch so schnell wie möglich zurückgereist. Gleich nach Erhalt des Briefes hatte er den Kalifenpalast in Bagdad verlassen, wo er auf einer Konferenz von Ärzten aus dem Mittleren Osten war, und sich auf die Reise vorbereitet, aber ungünstiger Wind und Unwetter hatten seine Abreise um über zwei Wochen verzögert. Vor zwei Tagen war er angekommen, nur um zu erfahren, dass Selik und Rain gestorben waren und Adela dem Tode nahe war.

»Du bist gekommen«, hatte Adela geflüstert, als sie ihn sah, und ihm schwach über die Wange gestrichen. Er hatte das Rasseln des Todes bereits in ihrer Stimme gehört.

Dann sagte sie: »Danke, mein Bruder, dass du dich all die Jahre um mich gekümmert hast.« Und schließlich: »Ich liebe dich, Adam. Werde glücklich.«

Er hatte alles versucht, um sie zu retten ... alles. Rain hatte ihm viel beigebracht, er hatte bei den besten Ärzten der Welt studiert, aber nichts hatte genutzt. Vor einer Stunde war sie in seinen Armen gestorben.

»Was wollen wir ... was wollt Ihr jetzt tun?«, fragte Rashid.

Adam schüttelte unentschlossen den Kopf. »Ich muss bis zur Beerdigung hierbleiben. Wikinger-Begräbnisse sind ausgedehnte Ereignisse. Danach weiß ich nicht. Vielleicht gehe ich nach Hawkshire ... der kleine Besitz in Northumbria, den Selik und Rain mir hinterlassen haben. Vielleicht kehre ich aber auch mit dir in den Osten zurück.«

Eine Weile gingen sie ziellos umher, ohne etwas zu sagen.

Dann sagte Adam: »Eines ist sicher, ich werde nicht mehr Heiler sein. Ich schwöre der Medizin für immer ab.«

Kapitel 1

Hawkshire, Northumbria, A.D. 962 (zwei Jahre später)

»Bei allem Respekt, Meister Adam, aber Ihr braucht einen Harem.«

»Keine Harems, Rashid.«

»Nur einen.«

»Nicht einmal einen.«

»Tänzerinnen?«

»Nein!«

»Eine nubische Konkubine?«

»Nein!«

»Ein Dreier aus Cordoba, der einem Mann die dreifache Befriedigung verschafft?«

»Nein, nein, nein!«

»Mmh. Ein Mann sollte anders leben. Ich kann nicht begreifen, wie Ihr es schafft, das Leben eines Einsiedlers zu führen. Das ist unnatürlich.«

»Keinen Harem«, wiederholte Adam.

Rashid murmelte eines seiner üblichen Sprichwörter vor sich hin, in diesem Fall: »Nicht einmal das Paradies macht Spaß, wenn keine Leute drin sind.« Dann grunzte er verächtlich, gab erst einmal auf und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

Adam dagegen sah ins Leere und wurde sich verblüfft bewusst, dass er tatsächlich ein zufriedener Mann war, wie sein treuer Assistent es eben gesagt hatte. Die Erkenntnis kam so plötzlich, dass Adam seine Feder absetzte und vor sich hin lächelte. Trotz all seines Kummers und Schmerzes – ja, auch trotz seines Selbstmitleids – hatte er irgendwie Frieden gefunden. Vielleicht heilten seine inneren Wunden ja doch endlich.

Aber war das nicht Ironie des Schicksals, dass ein Mann, der für seinen Abenteuergeist, seinen Sinn für Humor und seine verwegene Art bekannt war, jetzt seinen Trost ausgerechnet aus einem ruhigen Leben zog? Als Nächstes würde er nach einer Wärmflasche und Hausschuhen verlangen.

Ehe er sich beherrschen konnte, seufzte Adam laut auf.

»Es gibt Harems und es gibt Harems«, bot Rashid an, der den Seufzer seines Meisters missverstanden hatte. »Ich persönlich schätze Frauen, die den Schleiertanz beherrschen, oder auch die, die obenrum viel zu bieten haben. Oder solche mit einem ausladenden Hinterteil. Oder mit Brüsten wie Granatäpfel. Oder die –«

»Pffff«, war Adams einziger Kommentar.

Am häufigsten beklagte Rashid sich im Land der Angelsachsen über den Mangel an Frauen, vor allem talentierten Frauen. Er war der festen Ansicht, dass die Lösung für jedes männliche Problem zwischen den Schenkeln einer willigen Frau gefunden werden konnte, talentiert oder nicht, und er teilte seine Überzeugung gerne und oft mit. Am besten, man ignorierte ihn dann.

Adam nahm seine Feder wieder auf, tauchte sie in die Tinte und fuhr fort, auf den Pergamentseiten seines Kräuterjournals zu schreiben. In gewisser Weise hatte die medizinische Abstinenz von zwei Jahren ihm geholfen, ein besserer Arzt zu werden. Er sammelte alle Gedanken und alles Gelernte der letzten zehn Jahre und hielt es auf Pergament fest.

Es gab Ärzte, die den menschlichen Körper von Kopf bis Fuß studierten. Andere glaubten an die Theorie der Säfte, die besagte, dass alles, was dem Körper zustieß, durch Blut, Galle, Schleim oder Wasser verursacht war. Adam war zu dem Schluss gekommen, dass es viel mehr über den menschlichen Körper gab, was er nicht wusste, als Dinge, die er wusste, deshalb hatte er seine Studien auf Kräuter und ihre heilende Wirkung begrenzt. Aber auch dieses Gebiet war immer noch kompliziert genug. Dieselben Pflanzen wirkten ganz unterschiedlich, je nachdem, wo auf der Erde sie angebaut worden waren. Auch die Jahreszeit, in der ein Kraut gepflückt wurde, spielte eine Rolle. Dann waren da noch die Wurzeln, Blätter, Samen, Sporen, Pollen und Blumen, die alle unterschiedlich wirkten, ganz zu schweigen, was geschah, wenn man sie einlegte oder trocknete.

Rashid fuhr fort, kleine Porzellantöpfe mit propolis zu füllen, dem rötlichen Saft der Honigbiene. Adams angeheiratete Stieftante Eadyth, eine der bekanntesten Imkerinnen Englands, hatte ihm vor vierzehn Tagen einen großen Vorrat davon geschickt. Er benutzte die Substanz als Grundlage für eine Salbe, mit der er Wunden behandelte. Einen weiteren Teil davon mischte er mit Lavendel, Rosen und Sandelholz, um daraus Geschenke für seine Freundinnen zu machen. Es wirkte hervorragend, um die Hände und andere Körperregionen weich zu machen. Nicht dass er in letzter Zeit viele Freundinnen gehabt hätte. Adam benutzte den Honig außerdem für Wundverbände oder mit Salz gemischt als Desinfektionsmittel.

Rashid und er arbeiteten in kameradschaftlichem Schweigen in einem runden Raum des Turms, der auf den Hof hinaus ging. Die achtzehn Schießscharten spendeten ihnen mehr Licht zum Arbeiten als jeder andere Raum des Hauses. Die meisten Männer maßen ihren Besitz in Gold und Land, Adam dagegen in wertvollen Büchern, die ein Regal an der Stirnseite des Zimmers füllten. Ganze sechs Stück, mehr, als so mancher König besaß. Sie waren ein Vermögen wert. Balds Leechbook, Natural History von Plinius dem Älteren, Hippokrates’ Medizinische Betrachtungen, die Werke Galens, der Arzt der römischen Gladiatoren gewesen war, die Notizbücher des verehrten arabischen Arztes Rhazes und natürlich das Tagebuch seiner Stiefmutter Rain.

Die Bücher waren aus der Originalsprache ins Englische übersetzt worden, hauptsächlich von Mönchen, aber einige auch von Adam selbst, der fünf Sprachen fließend beherrschte. Rains Tagebücher hatte er natürlich nicht übersetzt – sie zog er am häufigsten zurate –, denn sie hatte in Englisch geschrieben.

All diese Bücher verschafften ihm wertvolle Informationen, aber einige der Ratschläge hatten sich auch überlebt, beispielsweise Plinius’ Rat, eine Maus am Tag zu verzehren, um den Verfall der Zähne zu verhindern.

»Wenn Euer niedriger Diener so kühn sein darf«, begann Rashid, »wäre ein Harem genau das Richtige, um einen Funken in Euer langweiliges Leben zu bringen.«

Beim Henker; war Rashid immer noch mit dem Thema zugange! »Ein Harem? Ein Harem bei den Angelsachsen? Den möchte ich sehen. Und erst meine sauertöpfischen Nachbarn! Die müssten das einmal sehen.«

»Ihr könntet eine neue Mode einführen. Zu Eurem Glück weiß ich genau, wo Ihr einen Harem herbekommen könntet.«

»Darauf wette ich, du schlitzohriger Schuft!«

»In Bagdad.«

»Aaaah! Daher weht also der Wind ... Das führt zu demselben Thema wie immer. Heim in die Wüste.«

»Wirklich, es wird Zeit, dass wir wieder in die wärmeren Gefilde zurückkehren, oh Weiser.«

Rashid schob immer ein »oh Weiser« ein, wenn er etwas wollte. Seine Absichten waren so durchschaubar wie Tante Eadyths Imkerschleier.

»Es ist so feucht und kalt in diesem Land, dass ich heute Morgen ganz sicher Schimmel zwischen den Zehen hatte. An meiner Nase war Eis, ganz bestimmt, dabei haben wir erst September. Vielleicht könntet Ihr das Angebot des Sultans, einen kleinen Palast in Kairo zu beziehen, annehmen, wenn Ihr dafür der Leibarzt des Herrschers würdet. Natürlich gäbe es da auch einen Harem.« Rashid strahlte, als hätte er gerade etwas besonders Kluges gesagt.

Adam sah von seiner Arbeit auf, um zu sehen, ob Rashid es ernst meinte.

Das tat er.

»Ich brauche keine Frau. Und ich brauche ganz sicher keinen verdammten Harem. Außerdem: Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich nicht dein Meister bin, Rashid?«

»Wie Ihr sagt, Meister.«

»Wir werden in nächster Zeit nicht zurück in den Orient gehen.«

Rashid verzog wegen der Abfuhr mürrisch seine Miene und versuchte es dann mit einer anderen Taktik noch einmal. »Ich bitte tausend Mal um Verzeihung, Meister. Vielleicht wäret Ihr nicht so übel gelaunt, wenn Eure Körpersäfte ausgeglichen fließen würden. Jedermann weiß, dass ein Mann sein heiliges Schiff gelegentlich entleeren muss, wenn nicht üble Säfte in seinem Körper aufsteigen sollen.«

Adam schüttelte den Kopf über Rashids Beharrlichkeit. Er konnte sich gut vorstellen, welches »heilige Schiff« Rashid meinte, aber als Arzt musste er fragen. »Welche Säfte sollten das sein?«

Rashids Miene heiterte sich auf, da er meinte, Fortschritte zu machen, was allerdings keineswegs der Fall war. »Der Saft, der üble Stimmungen verursacht.«

Adam seufzte erschöpft. »Rashid, ich habe keine schlechte Laune, schon gar keine, die durch sexuelle Abstinenz verursacht wäre.«

»Hah! Ihr seid immer übler Stimmung. Die Falte zwischen Euren Brauen ist zu einer festen Einrichtung geworden. Ihr achtet nicht mehr auf Euer Äußeres. Das Geld, das Ihr auf unterschiedlichen Schlachtfeldern verdient habt, habt Ihr beiseitegeschafft, ebenso die Schätze, die man Euch aufgrund Eurer Heilkunst hat zukommen lassen. Und dieses Haus, das Ihr von Eurem Stiefvater Selik geerbt habt, ist immer nur dunkel und trübe.« Er deutete mit einer Handbewegung auf ihre Umgebung. »Es fehlt die Fröhlichkeit in Eurem Leben. Was Ihr braucht, ist Frohsinn.«

Adam musste sich das Lachen verkneifen. »Und dieser Frohsinn käme durch ... lass mich raten ... einen Harem?«

»Ich wusste doch, dass Ihr mir zustimmen würdet.« Zufrieden plusterte Rashid sich auf.

»Ich stimme nicht mit dir überein. Hör auf, so unvernünftig zu sein.«

Rashid sank wieder in sich zusammen. »Ihr könntet erst mal klein anfangen, nur eine oder zwei Frauen. Das wäre doch vernünftig. Ihr braucht ja nicht gleich den ganzen Harem. Ihr kennt doch das berühmte Sprichwort über den Harem?«

»Das eine, das sagt: Wenn es keine verfügbare Frau gibt, tut es auch ein Kamel?«

»Schämt Euch!«, entrüstete sich Rashid, musste aber ein Grinsen unterdrücken. »Nein, ich meine das: Die Ausrüstung eines Mannes muss immer poliert werden.«

Adam schüttelte den Kopf.

Rashids dunkles Gesicht wurde ernst, und er legte Adam eine Hand auf die Schulter. »Im Ernst, Mylord, ich mache mir Sorgen um Euch. Ihr habt Euch zu einem Eremiten in Eurem eigenen Land gemacht. Ihr geht nicht unter Leute. Ihr bemüht Euch nicht, das Haus so zu möblieren, dass Ihr hier Gäste empfangen könnt. Am schlimmsten aber ist, dass Ihr Euch weigert, die Kranken und Sterbenden zu behandeln, die zu Euch kommen und um Hilfe bitten.«

Adam hätte wütend sein müssen. Rashid ging für einen Diener zu weit. Andererseits war er kein richtiger Diener, eher schon ein richtiger Freund. Adam hatte ihm Grund genug gegeben, sich Sorgen zu machen.

Adam drückte Rashid kurz die Hand und bedeutete ihm dann, auf die andere Seite des Tisches zu gehen, wo Arbeit auf ihn wartete. »Es geht mir wieder besser, Rashid, wirklich, es wird besser. Ich weiß, dass ich mich schon viel zu lange meiner morbiden Stimmung hingegeben habe …«

Rashid schnaubte.

»… aber ich habe mir überlegt, ein kleines Hospital in dem Weberschuppen neben dem Feld einzurichten. Was hältst du davon?«

Rashid warf ihm einen Blick zu, der verriet, dass es ihn viel mehr beeindruckt hätte, wenn Adam sich entschlossen hätte, einen Harem dort einzurichten ... selbst wenn es nur der alte Weberschuppen war.

»Ich wusste, dass Ihr der Medizin nicht auf ewig den Rücken kehren könnt«, jubelte Rashid. »Warum sonst solltet Ihr Eure Studien weiterführen? Warum sonst solltet Ihr weiter Kräuter sammeln? Warum sonst solltet Ihr mit Ärzten im ganzen Land im Briefwechsel stehen? Nennt Euch nur Ritter oder Grundbesitzer, Reisender oder Einsiedler, aber im Herzen werdet Ihr immer ein Arzt bleiben. Bis zu dem Tag, an dem Ihr sterbt. Bei Allah, es ist Zeit, dass Ihr endlich aufhört, gegen Eure Bestimmung anzukämpfen.«

Rashids weise Worte bedurften keiner Erwiderung, aber Adam dachte gründlich über all das nach, was er gesagt hatte. Beide schwiegen lange.

Adam schrieb konzentriert an seinem Heft. Rashid, der im Moment alle Gedanken an den Harem aufgegeben hatte, war mit der Bienenwachssalbe fertig und sah sich nach einer neuen Arbeit um. Nach all den Jahren mit Straßenlärm, Kampfgetümmel und persönlicher Tragik waren das Geräusch der Feder auf Pergament und der Klang des Stößels, mit dem Rashid Kräuter in einem Mörser zerrieb, seltsam tröstlich.

Doch plötzlich wurde ihre Ruhe gestört.

Klang! Klang! Klang!, hörten sie, begleitet von Schnaufern und vor sich hin gemurmelten Worten. Pferde wieherten, und Hufgeklapper drang aus dem Hof hinauf, als jemand über die Zugbrücke geritten kam.

Im gleichen Augenblick wandten sich beide überrascht dem Fenster zu, dann der Tür, die zur Halle hinaus ging. Jemand oder eher mehrere verursachten das Geräusch, als sie über den Hof und hoch zu seinem Zimmer kamen.

»Hast du vergessen, die Zugbrücke hochzuziehen?«, fragte Adam sarkastisch.

»Ha, ha, ha. Möge Allah über Euren köstlichen Humor staunen«, erwiderte Rashid. Er, Adam, eine Magd und die Köchin waren die einzigen Bewohner des engen Schlosses. Hier gab es nichts zu stehlen, und die Zugbrücke war heruntergelassen und in dieser Stellung festgerostet, wie sie beide sehr gut wussten. »An diesen öden Ort verirrt sich nie jemand. Ihr lebt wie ein Einsiedler.«

»Das hast du schon mal gesagt.«

»Einige Dinge sind es wert, wiederholt zu werden.«

»Das gehört nicht dazu.«

»Vielleicht ist es Euer Stiefonkel Eirik, der Euch wieder einmal eine Einladung bringt, den kommenden Herbst auf Ravenshire zu verbringen.«

Adam warf einen Blick aus einer der Schießscharten. »Nein, das scheinen Wikinger zu sein, hesire, nach ihrem Waffenkleid und Auftreten zu schließen.« Eirik war zwar ein halber Wikinger, hatte aber schon vor langer Zeit die sächsischen Gepflogenheiten angenommen, seine Kleidung eingeschlossen.

»Dann Euer anderer Stiefonkel, Tykir? Der ist doch ein vollblütiger Wikinger, nicht wahr?«

Adam schüttelte den Kopf. »Tykir ist bis ins Mark ein Nordmann, aber er würde nie über die norwegische Grenze in Dragonstead hinausgehen ... nicht zu dieser Jahreszeit ... und nicht mit seiner Frau Alinor, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters von fünfunddreißig wieder schwanger ist.«

Unsicher zuckte Adam die Achseln. Sie hatten nichts zu befürchten, denn hier gab es nichts zu holen. Dennoch griffen beide nach ihren Kurzschwertern und stellten sich neben die Tür.

Klnag! Klang! Die Geräusche der Ankommenden wurden immer lauter, als sie die Treppe hochstiegen. Adam hörte einen weiblichen Klagelaut – wahrscheinlich von Emma, der Köchin. Nein, es waren zwei Frauenstimmen. Es mussten Emma und Bridget, das Kammermädchen, sein. Ihrem Schreien nach zu urteilen, konnte man meinen, ein Drache hätte das Haus gestürmt.

Das Schnaufen, Klingen und Gemurmel verstand er. Schließlich waren es siebenunddreißig Stufen, die vom Hof zur Doppeltür der großen Halle hochführten. Das wusste er, weil er sie bei zahllosen Gelegenheiten gezählt und dabei in allen Sprachen geflucht hatte, wenn er einen Kater hatte.

Adam und Rashid stiegen die Treppe zur Halle hinunter, als Adam plötzlich stehen blieb und ungläubig starrte. Rashid stolperte ihm in den Rücken.

»Oh ... mein ... Gott!«, flüsterte Adam.

»Bei ... Allah!«, stieß Rashid hervor.

Sie standen nebeneinander und sahen zu der kleinen Gruppe Wikinger hinüber, die mit gezogenen Schwertern und erhobenen Streitäxten bereit standen. Es war eine eindrucksvolle Gruppe Krieger, große und breitschultrige Männer, in Felle und Rüstung gekleidet und mit Waffen in der Hand, die einen erwachsenen Mann mit einem Schlag von Kopf bis Fuß hätten spalten können. Sie waren ohne Zweifel der Grund, warum Emma und Bridget so geschrien hatten. Jetzt lehnten die Frauen an der Wand und fächelten sich mit ihren Schürzen Luft zu.

»Möge Gott uns helfen!«, rief Adam aus.

»Hah! Ich setzte lieber auf das Sprichwort: Ruf zu deinem Gott, aber gehe Männern mit Schwertern aus dem Weg.«

In Wirklichkeit hatte Adam keine Angst vor den hesiren, seine Worte drückten eher Überraschung als Furcht aus. Obwohl er von Haus aus Angelsachse war, waren Adela und er in einem Wikinger-Haushalt aufgewachsen. So war es nicht der Anblick der Krieger, der Adam und Rashid den Mund vor Verblüffung öffnen ließ. Es war der Anblick des Anführers der Gruppe. Nachdem er seinen Mantel aus mitternachtsblauem Tuch, mit grauem Fell gesäumt, beiseitegeschlagen hatte, sah er sie stolz und arrogant an.

Es war eine Frau.

Ein weiblicher Krieger.

Adam schoss plötzlich ein Gedanke durch den Kopf, und er drehte sich zu seinem Assistenten um. »Rashid! Das hast du nicht gewagt! Das ist doch sicher nur einer deiner dummen Scherze?«

»Ich? Was habe ich damit zu tun?« Rashid schlug sich dramatisch die Hand aufs Herz, als wäre er schwer beleidigt worden.

»Der Unsinn mit dem Harem«, erinnerte Adam ihn. »Gerade eben noch hast du mich gedrängt, einen Harem einzurichten, und jetzt kommt das da.« Er deutete auf die Amazone, die jetzt kühn auf ihn zukam, ein Dutzend Krieger dicht auf den Fersen. Die Frau ging wie ein Mann, wobei sie sich betont aufrecht hielt.

»Seid Ihr verrückt? Dieses ... dieses Mannweib würde ich doch nie für einen Harem in Betracht ziehen.« Rashid stotterte fast vor Empörung.

»Was dann? Eine Walküre?« Adam hatte die Legenden von norwegischen Göttinnen gehört, die die Krieger in die Nachwelt führten.

»Das ist keine Walküre«, stellte Rashid fest. »Dieses Mannweib lebt und atmet und ist ein Mensch ... Das schwöre ich bei Mohammeds Grab.«

Als die Gruppe näher kam, konnte Adam die Frau in dem spärlichen Licht, das durch Tür und Fenster fiel, erstmals richtig sehen. Er musste Rashid Recht geben. Das war keine Göttin aus einer anderen Welt. Sie war aus Fleisch und Blut und eindeutig eine Frau.

Da geschah etwas Seltsames. Plötzlich stellten sich ihm am ganzen Körper die Haare auf, sein Herz setzte einen Schlag lang aus und begann dann wild loszurasen. Das Blut strömte ihm in die Lenden und ließ ihn hart und pochend zurück. Er hatte gedacht, seine Männlichkeit wäre genauso eingerostet wie die Zugbrücke. Er hatte sich geirrt.

Für eine Frau war sie sehr groß, aber Adam war selber groß und überragte sie noch um einen halben Kopf. Sie war schlank, aber muskulös wie ein Krieger. Die kurze Tunika war in der Taille gegürtet und ließ ihre Arme bloß, sodass er schön gehämmerte Silberreifen sehen konnte. Ihre Unterarme zeigten die kräftigen Muskelstränge des Schwertkämpfers. Lange, schlanke Beine steckten in engen Hosen, die ebenfalls ihre Muskeln hervorhoben ... Ohne Zweifel hatte sie Stunden auf dem Rücken eines Kampfpferdes verbracht.

Die Vorstellung, wie ihre langen Beine den Leib eines Pferdes in stetem Auf und Ab umklammerten, ließ den Druck in seinen Lenden weiter anschwellen. Teufel! Es fühlt sich an, als würde mein Herz da unten schlagen!

Sie musste ein Kettenhemd tragen, denn es zeichnete sich unter dem Wollstoff ab und schob ihre Brüste hoch in den Ausschnitt des Gewandes. Aus der Ferne mochte sie wie ein Mannweib gewirkt haben, aber aus der Nähe, dachte Adam, war sie ganz Frau.

Zu seiner Verblüffung tat die Frau etwas Seltsames: Sie kratzte sich im Schritt, wie Männer es gewöhnlich taten. Er hätte schwören können, dass sie das absichtlich tat, um den Eindruck zu erwecken, dass sie eine männliche Frau war, oder vielleicht auch nur, um ihn abzustoßen. Er war abgestoßen, aber seine Männlichkeit wusste es besser ... Sie stand noch immer bereit.

Zwei Jahre ohne Frau, und die erste, die mich erregt, trägt ein Kettenhemd und kratzt sich im Schritt. Irgendein himmlisches Wesen muss einen seltsamen Sinn für Humor haben.

Wer ist das?

Die kostbaren Kleider mit Juwelenbesatz und die silberverzierten Waffen bewiesen, dass sie von hohem Rang sein musste. Er hatte gedacht, dass er alle adeligen Wikingerfamilien kennen würde, aber an diese Frau erinnerte er sich nicht.

Während er sie noch unhöflich anstarrte, setzte die Frau den ledernen Helm ab, sodass ihr die dicken blonden Zöpfe über die Schultern fielen, ehe sie sich in goldenen Wellen aus dem Band lösten, das sie gehalten hatte.

Er starrte sie an.

Und war noch stärker erregt. Nur gut, dass er das lose arabische Gewand trug, das er zu Hause bevorzugte, sonst stünde er jetzt beschämt vor ihr.

Leise murmelte Rashid ihm auf Arabisch zu: »Andererseits aber ...«

Adam hob fragend eine Braue.

»Andererseits könnte dieses Mannweib vielleicht doch eine vorzügliche Haremshure abgeben. Meint Ihr, sie wäre dazu bereit, Glöckchen in ihren Brustwarzen zu tragen?«

»Pssst«, brachte ihn Adam zum Schweigen und fuhr dann auf Arabisch fort: »Es scheint mir wahrscheinlicher, dass sie deine Eier mit Glöckchen behängen würde, mein Freund. Das ist keine zahme Wüstenmamsell, die darauf aus ist, ihrem Herrn zu gefallen.«

Dunkelblaue Augen sahen sie stechend an, fast als hätte sie jedes Wort verstanden. Ihre Männer kicherten.

»Wer von Euch ist der Heiler?«, fragte sie.

Ihre Stimme klang tief und heiser, aber ganz und gar nicht wie die eines Mannes. Adam konnte sich gut vorstellen, wie diese Stimme einem Mann verruchte Dinge ins Ohr flüsterte, während sie sich beide der Leidenschaft hingaben. Er konnte sich vorstellen, wie sie Dinge vorschlug, um die brennende Lust zu stillen, die in seinen Lenden brannte. Er konnte sich vorstellen –

»Nun?«, unterbrach sie seine Gedanken. »Ich habe schon genug Zeit damit vergeudet, durch dieses verwünschte Land zu wandern. Wer von Euch ist der Heiler, nach dem ich suche?«

Rashid und Adam wechselten einen langen Blick, wobei keiner sich sicher war, ob er der Gesuchte sein wollte. Schließlich gab Adam zu: »Ich war ... ähm ... Adam, der Heiler.«

»Und ich bin Ibn Rashid al Mustafa, Euer ergebener Diener.« Rashid vollführte eine komplizierte Verbeugung, die in seinem Land üblich war, wozu die rasche Berührung von Stirn, Nase, Mund und Herz gehörte.

»Ich bin ausgebildeter Arzt«, fuhr Adam fort, »aber ich behandele keine Patienten mehr. Vielleicht kann ich Euch einen anderen Arzt empfehlen – in St. Peters in Jorvik gibt es einige heilende Mönche. Was genau ist das Leiden?«

»Es ist nicht mein Leiden, was mich hierherführt«, erklärte sie und gab Emma und Bridget ein Zeichen, dass sie ihren Männern, die sich an den Tischen niedergelassen hatten, etwas zu trinken bringen sollten. Adam hätte beschämt sein sollen, weil er nicht selber Gastfreundschaft gezeigt hatte, aber diese Frau verwirrte ihn zu sehr. »Mein Vater, König Thorvald von Stoneheim, braucht Eure Hilfe. Er ist an einer unbekannten Krankheit schwer erkrankt. Kennt Ihr ihn?«

Adam schüttelte langsam den Kopf.

»Man nennt ihn Thorvald der Wolf.«

»Aaaah. Jetzt erinnere ich mich. Sein Königreich liegt hoch oben in Norwegen, in Halogaland.« Adams Stiefonkel Tykir wohnte in Dragonstead, nahe bei der Grenze zum Norden. Ein Mann konnte Körperteile verlieren, wenn er dumm genug war, sich im Winter zu lange in die Kälte zu wagen. Stoneheim lag sogar noch weiter im Norden in einer unwirtlichen Berggegend, die fast unbewohnbar war.

Sie nickte. »Wie lange braucht Ihr, um Eure Sachen zu packen?«

»Wie bitte, Mylady? Ich meine ...« Er hielt inne, weil er ihren Namen nicht kannte. Wenn diese Frau, so schön sie auch ist, meint, dass ich mich auch nur auf Meilen dieser eiskalten Gegend nähere, muss sie umdenken.

»Tyra. Tyra Sigrundottir. Tyra, eine vom Wolf. Tyra die Blonde, Tyra die Erstgeborene. Tyra die Mutige.« Sie zuckte die Achseln, als wenn er sich einen Namen aussuchen könnte.

»Oder Tyra die Kriegsprinzessin«, schlug Adam vor.

Zu seiner Überraschung stimmte sie zu. »Das auch.« Dabei lächelte sie nicht einmal. Die Frau war eindeutig zu selbstbewusst und hatte keinerlei Sinn für Humor.

Doch ihr Charakter war egal. Er und ein Teil seines Körpers hielten sie für umwerfend. Vor allem, weil sie sich nicht wieder gekratzt hatte. Falls sie jetzt rülpste oder etwas anderes widerlich Männliches täte, würde er vor Enttäuschung schreien.

»Wie auch immer, Tyra, tut es mir leid, Euch mitteilen zu müssen, dass ich Eurem Vater nicht helfen kann. Ich praktiziere schon einige Zeit nicht mehr. Falls ich je wieder damit anfangen sollte, dann hier in Britannien. Die Zeit des Reisens ist für mich vorüber.«

Sie schnaubte verächtlich. »Ich kann mich nicht erinnern, Euch darum gebeten zu haben. Ihr kommt auf jeden Fall, das steht außer Frage.«

Adam richtete sich zu voller Höhe auf, die beträchtlich war, und funkelte sie an. »Das werde ich nicht.«

Tyra verdrehte die Augen, als wollte sie sagen: Nicht schon wieder.

Einige ihrer Männer lachten leise und begannen, sich zu unterhalten. Er verstand perfekt Norwegisch. Die Männer schlossen Wetten ab, wer diesen Kampf gewinnen würde ... gegen ihn!

»Uh-oh!«, sagte Rashid und trat rasch beiseite.

Adams Blick schwankte. Dann sah er, dass diese Verrückte ihr Breitschwert gezogen hatte und es gegen ihn schwang. Er hatte keine Zeit, auszuweichen. Das flache Schwert traf ihn am Kopf, sodass er Sterne sah und seine Knie nachgaben.

Die Kriegsprinzessin beugte sich über ihn und schimpfte: »Jetzt seht Ihr, wozu Ihr mich getrieben habt, Ihr Dummkopf!«

Er war ein Dummkopf, denn alles, was er denken konnte, war, wie schön ihre Brüste waren.

Ehe die Dunkelheit ihn einhüllte, geschah das Allerüberraschendste. Sie hob ihn hoch – sie hob ihn tatsächlich hoch – und warf ihn sich über die Schulter.

Es sah ganz so aus, als würde er doch nach Norwegen gehen.

Kapitel 2

Der Mann war bildschön.

Normalerweise fielen Tyra solche Dinge nicht auf, da sie Tag und Nacht von Männern umgeben war. Großteils kannte sie Männer als übel riechende, flohbedeckte Wesen mit einer aufgeblasenen Meinung von sich selbst und dem lächerlichen Hang, mit ihren männlichen Teilen zu denken. Tatsächlich neigten sie dazu, sich an den intimsten Stellen zu kratzen; eine Gewohnheit, die sie widerwillig übernahm, um sich weniger von ihnen zu unterscheiden. Auf Kommando zu rülpsen war schwerer, ein zweifelhaftes Talent, das sie noch nicht beherrschte. In Wirklichkeit waren Männer nur zu einem gut, zum Kämpfen. Aber dieser Mann ... bei Freya ... dieser Mann war ein Gott in Menschengestalt.

Sie hatte ihn auf einen der Tische gelegt, solange er noch von dem Stups mit ihrem Schwert in Schlaf versetzt war. Sein Assistent, die arabische Plaudertasche Rashid, war fortgegangen, um Taschen und Truhen mit medizinischen Dingen und Kleidung zu packen, sorgsam beaufsichtigt von Rafn dem Rücksichtslosen, der ihre Truppe leitete. Der Rest ihrer Männer hatte sich in der Halle verteilt, die unbewohnt wirkte, und aß eine Mahlzeit aus kaltem Fleisch, Brot, Obst und Käse.

Die Bewusstlosigkeit des Arztes gab ihr Gelegenheit, Adam genauer zu betrachten. Er war groß, noch größer als sie, und perfekt gebaut. Auch wenn er nicht die Muskeln eines Kriegers hatte, war er bestens durchtrainiert. Seine Schultern waren breit, die Taille schmal, wenn das eng gegürtete Hemd sie nicht trog. Kurz fragte sie sich, was er wohl unter seiner Kleidung trug – falls überhaupt etwas. Ihre Wangen röteten sich bei der Vorstellung.

Am meisten zog sein Gesicht sie an. Dicke, schwarze Wimpern säumten seine Augenlider, und das seidige schwarze Haar fiel ihm in sanftem Schwung bis auf die Schultern. Sie erinnerte sich daran, dass seine Augen von einem klaren Blau waren, wie das Wasser der Nordsee an einem Sommertag ... genau wie ihre. Seine Nase war gerade, die Lippen voll, die Wangenknochen hoch und akzentuiert.

Tyra hatte schon viele gut aussehende Männer gesehen. Wikinger-Männer genossen den Ruf, attraktiver zu sein als die Männer anderer Länder. Aber etwas an diesem Mann berührte sie auf eine Weise, wie sie es noch nie erlebt hatte – und auch nicht erleben wollte. Sie war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt und hatte in ihrem Leben keinen Platz für einen Mann. Nicht mehr. Es war ja auch nicht so, dass er gewollt hätte, er sah Frauen wie sie ja nicht einmal an.

Andererseits hatte er sie angesehen. Tyra hatte es gemerkt. Als sie die Erregung in seinen blauen Augen gesehen hatte, hatte sie eine Spannung verspürt. Jedem anderen, der es gewagt hätte, sie so zu mustern, hätte sie einen Schlag in den Magen verpasst. Sein anerkennender Blick war von der Art, der sonst ihren vier Schwestern zugeworfen wurde, nie ihr. Sie war zu groß, zu ungelenk, zu unweiblich, zu ...

Genug! Dieser Mann ist mir egal, und andere Männer auch. Zumindest in dieser Hinsicht.

Adam würde bald aus seiner Bewusstlosigkeit erwachen. Und dann war er sicher verteufelt wütend darüber, dass ihn ausgerechnet eine Frau außer Gefecht gesetzt hatte. Besser, sie fesselte ihn jetzt, wo sie noch die Gelegenheit dazu hatte.

Gerade hatte sie ihm Handgelenke und Fesseln zusammengebunden, als er die bemerkenswerten Augen aufschlug. Er befreite sich nicht sofort aus seiner unglücklichen Lage auf dem Tisch, aber sie sah an seinen Augen, dass er auf der Hut war.

»Lady-Krieger, Ihr habt ein großes Problem«, verkündete er dann mit seiner tiefen Stimme.

Kaum hatte er zu Ende gesprochen, vollführte der Mann – ein Mann, den sie eindeutig unterschätzt hatte – eine Bewegung, die einem hesir alle Ehre gemacht hätte. Er schlang die gefesselten Arme über ihren Kopf und zog sie auf sich. Gleichzeitig drehte er sie herum, sodass sie jetzt diejenige war, die flach auf dem Rücken lag, den Mann Leib an Leib und Schenkel an Schenkel auf sich.

Ihre Leute rasten mit gezogenen Schwertern herbei, um ihr zu helfen, aber sie gab mit scharfer Stimme den Befehl: »Stehen bleiben!« Ein guter Soldat wusste, wann seine Zeit zum Kämpfen gekommen war, wann er nachgeben sollte und wann sich ergeben. Sie hatte sich für Letzteres entschieden, denn die gefesselten Hände des Arztes lagen so an ihrem Hals, dass seine Daumen an ihre Luftröhre pressten. Ehe noch eine Klinge ihn durchbohrte, konnte er sie erwürgen oder ihr das Genick brechen. Außerdem brauchte sie ihn lebend, wenn ihr Vater gesund werden sollte.

Wie erniedrigend, dass er sie so erwischt hatte. Dabei war er noch nicht einmal ein Krieger, wie sie es war.

Er beugte sich so nahe über sie, dass seine Lippen fast die ihren berührten. »Sagt Euren Männern, dass sie in den Hof gehen und dort auf Euch warten sollen. Befehlt ihnen, dass sie ihre Waffen einstecken ... Wir werden uns nur ein bisschen unterhalten.«

»Hör auf, mich zu würgen, du sächsische Made«, keuchte sie. Zumindest glaubte sie, dass sie das sagte. Ach, wie süß und einladend sein Atem war. Ich wünschte ... ich wünschte ... nein, das wünsche ich nicht ... ich wünsche es nicht ...

»Ich würge dich nicht, Mädchen. Wenn ich es täte, wüsstest du es.«

»Ich bin kein Mädchen.«

»Und ich keine Made.«

»Hah! Das sagst du!«

»Mach, was ich sage«, verlangte er und drückte fester zu.

Am Abend würde man die Male auf der weichen Haut sehen können, und der Schuft wusste das. Es machte ihm Spaß, ihr seinen Stempel aufzudrücken.

»Alle Mann raus auf den Hof! Steckt die Waffen weg!«, rief sie den hesiren mit einer Stimme zu, die keinen Widerspruch duldete. »Ich bin sicher. Das sächsische Schwein will nur ... mit mir reden.«

»Ein Schwein, ja? Willst du damit sagen, dass ich schlecht rieche? Oder dich mit meinen Bartstoppeln kratze? Wie auch immer, deine Zunge ist schneller als dein Verstand, Mädchen.« Er bewegte sich auf ihr, sodass sie spürte, dass die Beule zwischen seinen Schenkeln für sie da war. Dass es, wenn es nach ihm ginge, mehr gäbe als nur ein Gespräch.

Trotz seines Klammergriffs um ihre Kehle versuchte sie, nach oben wegzurutschen, um seiner Männlichkeit zu entkommen.

Er folgte ihr einfach – ein sinnliches Reiben ihrer Körper aneinander – und grinste wölfisch. Statt Flucht hatte sie nur erreicht, dass sich der Saum ihrer Tunika nach oben geschoben hatte. Jetzt trennte sie nur noch der Stoff ihrer Wäsche und seines Gewandes, und sie spürte Hitze in sich aufsteigen ... quälende, süße Hitze.

»Ist einer der hesire dein Mann?«, wollte er wissen.

Die Frage überraschte sie, und sie schüttelte vorsichtig den Kopf.

»Gut.« Sein Grinsen wurde noch breiter.

Gut? Was sollte das heißen? Hölle und Walhalla, dieser Mann kann besser mit Worten umgehen als ich. »Was kümmert es dich?«

»Keine Ahnung«, gab er zu, »aber das tut es.«

Oooh! Das waren verlockende Worte für eine Frau, die immer nur wegen ihres Geschicks im Umgang mit Lanze und Schwert gerühmt wurde.

»Tyra!«, rief Rafn, ihr Leibwächter.

»Meister!«, rief im selben Moment der arabische Diener.

Beide mussten gerade zurück in die Halle gekommen sein.

Tyra erschrak. Sie wollte nicht, dass Rafn überreagierte und ihr Leben in Gefahr brachte. »Ich bin sicher, Rafn. Komm nicht näher. Pack einfach weiter. Ich ... uh, unterhalte mich ... nur gerade mit dem sächsischen Arzt.«

»Unterhalten!«, schnaubte Rafn. »Sieht mir eher so aus, als wolltet Ihr Euch gerade paaren.«

»Paaren? Paaren?«, erkundigte sich der Araber interessiert. »Mein Meister ist seit zwei Jahren abstinent. Wenn Ihr mich fragt, ist es höchste Zeit für ein bisschen Paarung. Apropos, Meister Rafn, habt ihr im Nordland Harems?«

Ein Dutzend Stimmen erklangen vom Eingang her: »Zwei Jahre!« Aller Augen wandten sich dem Heiler zu, der oben lag.

Adam stöhnte auf und presste seine Stirn an die des Mädchens.

Verdammt, verdammt, verdammt! Rashid der Geschwätzige muss wieder alle meine Geheimnisse ausplaudern. Sobald ich von dieser Frau runter bin, werde ich ihm die Zunge aus dem Hals schneiden. Er hob den Kopf und sah die Frau an, die seinen Blick offen erwiderte, das Kinn stolz erhoben und ohne einen Funken von Furcht. Das Letzte, was er wollte, war, sich von dieser Frau erheben zu müssen.

»Zwei Jahre?«, erkundigte sie sich. »Bist du ein heilkundiger Mönch?« Die Frage war einfach, aber der Ton, in dem sie sie stellte, neckend.

»Ja, zwei Jahre, und nein, ich bin kein Mönch«, knurrte er. »Wie lange ist es bei dir her?«

Trotz aller gespielten Männlichkeit senkte sie den Kopf, aber er sah sie dennoch feminin erröten. »Eine Jungfrau!«, vermutete er. »Eine dreißigjährige Jungfrau!«

»Ich bin nicht dreißig, ich bin erst fünfundzwanzig«, widersprach sie schnell, ehe ihr bewusst wurde, was sie damit verraten hatte. Sie hatte nicht die Jungfernschaft geleugnet, sondern das Alter.

Er lächelte. Sie sah ihn wütend an.

»Was sind die Flecken auf deiner Tunika?«, fragte er dann, als er die’ Spritzer auf der feinen Wolle sah.

»Blut.«

»Ihh.« Er wollte sich von ihr erheben, entschloss sich dann aber, trotz des Blutes lieber weiter ihre Brüste spüren zu wollen. Dennoch fragte er: »Wessen?«

»Das eines verdammten Angelsachsen, der die Frechheit hatte, mir in die Quere zu kommen, als ich in Jorvik das Schiff verlassen habe.«

Diese Frau war eindeutig anders als alle anderen, die er je kennengelernt hatte. »Du hast einen Mann getötet, weil er dir im Weg stand?«

»Und weil er mich ausgelacht hat.«

»Erinnere mich daran, dass ich dich nie auslache«, erwiderte er und tat es dann. Er lachte sie aus.

Sie versteifte sich, was sie noch enger an ihn drückte. Er spürte ihren Körper von den Brustspitzen bis zum Schoß. »Ich kann es kaum erwarten, mit dir zu schlafen«, flüsterte er ihr ins Ohr.

»Du gehst zu weit, Angelsachse«, zischte sie zurück. Sie konnte nicht wissen, wie erotisch ihr Atem in seinem Ohr wirkte. Er wünschte, sie würde auch die Zungenspitze dort eintauchen.

Sie schnaubte, als wenn sie seine Gedanken gelesen hätte.

Auch das fühlte sich gut an.

»Genug von dem Unsinn!«, erklärte er schließlich.

»Ich stimme zu. Lass mich los.«