Das Herz des Wikingers - Sandra Hill - E-Book

Das Herz des Wikingers E-Book

Sandra Hill

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Beschreibung

Liebe wider Willen

Northumbria im Jahr 946. Lady Eadyth, Mutter eines unehelichen Kindes, sucht verzweifelt einen Ehemann. Der Vater ihres Sohnes will seine Vaterschaft öffentlich und damit seinen Anspruch auf ihre Ländereien geltend machen. Um das zu verhindern, bittet sie ausgerechnet den berüchtigten Eirik of Ravenshire, sie zu heiraten - und er willigt ein. Denn auch Eirik hat noch eine Rechnung mit dem wahren Kindsvater zu begleichen. Doch was als reine Vernunftehe beginnt, entpuppt sich schon bald als ungezügelte Leidenschaft ...

Band 3 der Wikinger-Saga von Sandra Hill. Weiterer Titel der Reihe: "Der Raub des Wikingers".

Dieser historische Liebesroman ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Süßes, wildes Herz" erschienen.

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Seitenzahl: 665

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Über das Buch

Liebe wider Willen

Northumbria im Jahr 946. Lady Eadyth, Mutter eines unehelichen Kindes, sucht verzweifelt einen Ehemann. Der Vater ihres Sohnes will seine Vaterschaft öffentlich und damit seinen Anspruch auf ihre Ländereien geltend machen. Um das zu verhindern, bittet sie ausgerechnet den berüchtigten Eirik of Ravenshire, sie zu heiraten – und er willigt ein. Denn auch Eirik hat noch eine Rechnung mit dem wahren Kindsvater zu begleichen. Doch was als reine Vernunftehe beginnt, entpuppt sich schon bald als ungezügelte Leidenschaft …

Über die Autorin

Sandra Hill hat schon in jungen Jahren mit dem Schreiben begonnen und ist selbst eine begeisterte Leserin historischer Liebesromane. Die ehemalige Journalistin sammelt außerdem Antiquitäten und besucht gern Auktionen. Sie ist verheiratet und hat vier Söhne.

Website der Autorin: www.sandrahill.net

Sandra Hill

DAS HERZDES WIKINGERS

Aus dem amerikanischen Englischvon Ulrike Moreno

beHEARTBEAT

Überarbeitete Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:© 1995 by Sandra HillPublished by arrangement with Dorchester Publishing Co., Inc.Dieses Werk wurde vermittelt durch Interpill Media GmbH, HamburgTitel der amerikanischen Originalausgabe: »The Tarnished Lady«Originalverlag: Dorchester Publishing

Für die deutschsprachige Ausgabe:© 2008/2017 by Bastei Lübbe AG, KölnUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © thinkstock: istockupasit | © iStock: MartinM303; © hotdamnstock

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5281-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Nellie Housel, deren bedingungslose Liebe alle inspiriert,die das Vergnügen haben, sie zu kennen.Mit neunundachtzig liest Tante Nellie noch immerLiebesgeschichten und genießt die Freuden des Lebensund der Liebe.

1. Kapitel

Ravenshire Castle, Northumbria,946 A.D.

Himmeldonnerwetter! Was macht die denn hier?« Eirik stürzte das restliche Bier aus seinem hölzernen Kelch hinunter und knallte ihn dann auf den erhöhten Tisch. Verärgert beobachtete er, wie die große, magere Gestalt anmutig den Saum ihres weiten Gewands anhob und mit übertrieben vorsichtigen Schritten über die schmutzige Binsenstreu zu ihm hinüberkam.

»Das muss Lady Eadyth von Hawk’s Lair sein«, bemerkte Wilfrid, sein Seneschall und langjähriger Freund.

»Ich dachte, ich hätte den Wachen gesagt, sie sollten sie schon am Tor abweisen, falls sie unerwartet hier auftauchen sollte.«

»Es sieht so aus, als hätte die junge Frau dich nun schließlich doch erwischt«, erklärte Wilfrid leise lachend. »Zumindest muss man ihr zugutehalten, dass sie offenbar ganz schön beharrlich ist.«

»Ha! Während der letzten zwei Jahre bin ich mehr als genug beharrlichen Damen und übereifrigen Müttern begegnet. Dafür musste ich nicht nach Ravenshire zurückkommen. Das Einzige, was ich will, ist ein bisschen Frieden, um …«

Das schrille Gejaule eines Hunds ließ ihre Unterhaltung jäh verstummen. Eirik riss überrascht die Augen auf, als er sah, wie Eadyth dem Tier mit der Spitze ihres weichen Lederschuhs einen kleinen Schubs versetzte, als der Hund sich auf die Hinterbeine niederließ und sich neben ihren Füßen in der Binsenstreu ausstreckte. Selbst im verrauchten Halbdunkel des großen Saals konnte Eirik sehen, wie Eadyth angewidert ihre Lippen schürzte, als sie das unschöne ›Geschenk‹ sah, das der große Hund zurückgelassen hatte. Die Hände in die Hüften gestemmt funkelte die unverfrorene Person den winselnden Hund an, bis er schließlich schuldbewusst aus ihrer Sicht verschwand.

Eirik und Wilfrid brachen in schallendes Gelächter aus, genau wie die ungepflegten Ritter, die unterhalb der Empore an den langen Tischen im großen Saal herumlungerten. Mit Ausnahme der Dienstmägde hielten sich dort keine Frauen auf. Dem Himmel sei Dank! Eirik hoffte, dass es auch so bleiben würde.

»So ein dreistes Frauenzimmer!«, murmelte er, während er sich mit dem Ärmel seiner abgetragenen Tunika die Lachtränen aus den Augen wischte. »Erst platzt sie uneingeladen in meine Burg. Dann misshandelt sie meinen Hund. Sollte ich ihr vielleicht einen Tritt in ihren knochigen Hintern verpassen und sie gleich wieder nach Hause schicken?«

»Ach, lass sie doch reden. Vielleicht liefert sie mit dieser ›dringenden Angelegenheit‹, die sie mit dir besprechen will, ja einen Spaß, der uns die Langeweile ein bisschen vertreibt.«

Eirik zuckte mit den Schultern. »Möglich. Außerdem wollte ich mir das silberne Kleinod von Northumbria ohnehin schon immer mal genauer ansehen.«

»Nee, Eirik. Hast du es noch nicht gehört? Das Juwel hat seinen Glanz inzwischen längst verloren. Wusstest du denn nicht, dass die Klatschmäuler bei Hof sie heute das befleckte Kleinod nennen?« Er flüsterte Eirik ein paar rasche Worte der Erklärung zu.

Interessiert, aber auch ein bisschen skeptisch zog Eirik die Augenbrauen hoch. Aus eigener bitterer Erfahrung kannte er die Boshaftigkeit der Adligen an König Edmunds Hof nur zu gut. Trotzdem fragte er sich, ob Wilfrids Worte wahr sein konnten.

Inzwischen setzte die Frau hartnäckig ihren Weg zu dem erhöhten Podium fort, auf dem sie saßen. Eine rundliche Matrone und etliche Gefolgsleute watschelten ihr wie Entenküken einer dürren Gans hinterher.

Zwischendurch blieb sie einmal stehen, schnupperte und rümpfte hochmütig die Nase. Dann richtete sie einen vernichtenden Blick auf Ignold, einen von Eiriks treusten Gefolgsmännern, und warf ihm ein paar scharfe Worte zu. Der furchtlose Hüne von einem Krieger, der dafür bekannt war, dass er noch nie vor einem Kampf zurückgeschreckt war, starrte sie nur mit offenem Mund an.

Eirik konnte sich ungefähr vorstellen, was die Frau zu ihm gesagt hatte.

Nachdem Eirik vor einigen Monaten die nordische Hauptstadt Jorvik zurückgewonnen und später dann auch ganz Strathclyde erobert hatte, wurde er von König Edmund unter der Standarte des Goldenen Drachens als sein Abgesandter zum Herzog der Normandie geschickt, um die Freilassung des Neffen König Edmunds, Louis d’Outremer, auszuhandeln. Louis war im Sommer zuvor von den Wikingern von Rouen gefangengenommen worden, dann aber vom Herzog der Franken wieder befreit worden, der jedoch darauf bestanden hatte, den Neffen des Königs all diese Monate als Geisel festzuhalten. Später, nach monatelanger Feilscherei und vielen Rückschlägen, wurde Louis dann schließlich seinem fränkischen Königreich zurückgegeben.

Eirik war froh gewesen, als er mit einer kleineren Gruppe seiner Gefolgsleute vor zwei Wochen in die Heimat zurückgekehrt war. Viele von Eiriks Männern, die zu seinem festen Truppenkontingent gehörten, waren nach ihrer langen Rückreise aus dem Frankenland aber erst an ebendiesem Abend eingetroffen. Nach Wochen auf See und später dann zu Pferd, ohne eine Möglichkeit zu baden, stanken sie zum Himmel. Selbst er hatte vorhin auf dem Weg zum Abtritt den durchdringenden, beißenden Geruch von ungewaschenen Männerkörpern wahrgenommen. Vermutlich war es das, worüber die Beißzange von Hawk’s Lair sich so missbilligend geäußert hatte.

Die Frau kam weiter in seine Richtung, ohne die anzüglichen Kommentare seiner Männer zu beachten, die in kleinen Grüppchen an den langen Tafeln zusammensaßen und Met tranken. Offensichtlich hatten sie sich alle schon viel zu lange nicht mehr in gepflegter Gesellschaft aufgehalten.

Ein leichtes Schuldbewusstsein beschlich Eirik. Vielleicht war es unhöflich von ihm gewesen, die Briefe zu ignorieren, in denen die Frau ihn in einer nicht näher benannten, aber ›dringenden Angelegenheit‹ um Hilfe ersucht hatte. Aber Eirik war völlig erschöpft. Immerhin hatte er zwei Jahre lang gekämpft und war als Botschafter des Königs hin- und hergereist, von den Gefahren politischer Intrigen, denen er ständig hatte aus dem Weg gehen müssen, erst ganz zu schweigen. Er wollte im Moment einfach nichts mehr mit der Aristokratie zu tun haben – ob es sich nun um Männer oder Frauen handelte. Er brauchte dringend eine kleine Atempause und ein bisschen Frieden.

Eirik lehnte sich in seinem Sessel zurück, verschränkte lässig die Arme vor der Brust und schlug seine langen Beine übereinander. Aus schmalen Augen betrachtete er Lady Eadyth nun genauer, obwohl weder ihr Gesicht noch ihr Körper unter dem weiten Umhang mit der großen Kapuze besonders gut zu erkennen waren. Erschwerend hinzu kam noch, dass seine Augen von dem ganzen Rauch zu tränen begonnen hatten, sodass er praktisch überhaupt nichts sah.

Die Frau schien graues, straff zurückgekämmtes Haar zu haben. Nicht eine einzige lose Strähne war zu sehen, die ihre griesgrämigen Gesichtszüge ein bisschen weicher hätte machen können.

Gedankenversunken strich Eirik mit dem Zeigefinger über seinen Schnurrbart, wie er es immer tat, wenn er ratlos war oder sich auf irgendetwas konzentrierte. »Für so alt hatte ich sie nicht gehalten.«

»Ich auch nicht«, pflichtete ihm Wilfrid bei.

Beide Männer richteten den Blick wieder auf die Frau. Sie war groß und schlank, dafür sprach die Zierlichkeit ihrer Knöchel, die zu sehen waren, als sie den Saum ihres Gewands anhob, um ihn nicht zu beschmutzen. Ihre altjüngferlichen Brüste waren so gut wie nicht zu erkennen, sie hatte eine Brust, die genauso flach wie sein Wappenschild war. Aber ihr unschönstes Attribut war die steile Falte zwischen ihren Brauen. Grundgütiger! Sie kam, um ihn um eine Gunst zu bitten, und bemühte sich trotzdem nicht einmal, eine etwas freundlichere Miene aufzusetzen.

Eirik lächelte. Es würde unterhaltsam sein, mit dieser unansehnlichen grauen Maus mit ihrem hoffärtigen Gebaren Katz und Maus zu spielen.

In diesem Moment räusperte sie sich und rief kühn vom Fuß der Treppe des erhöhten Podiums: »Mit Eurer gütigen Erlaubnis, Lord Ravenshire, würde ich Euch gern in einer dringenden Angelegenheit sprechen.«

Dringende Angelegenheit! Dringende Angelegenheit! Das sagten sie alle, wenn sie kamen, um ihn um eine Gefälligkeit zu bitten. Eirik nickte widerstrebend, bevor er mit einer Handbewegung einem in der Nähe stehenden Bediensteten zu verstehen gab, er solle sich um Eadyths Begleiter kümmern und ihnen etwas zu essen und zu trinken bringen lassen.

»Offenbar habt Ihr die Botschaft, die ich Euch überbringen ließ, nicht erhalten«, begann sie mit gestelzter Stimme und zusammengekniffenen Lippen, die ganz blutleer vor Anspannung waren. Zwei kleine Furchen zwischen ihren Brauen schienen auf eine permanent finstere Miene hinzudeuten. Eirik brach fast in Gelächter aus, als ihm bewusst wurde, wie schwer es der Frau fiel, sich so devot vor ihm zu geben, obwohl sie ihm wahrscheinlich viel lieber einen scharfen Rüffel für seine Ungefälligkeit erteilt hätte.

»Ich habe Euren Brief erhalten.«

Offenbar erstaunt darüber, dass er auf jede weitere Stellungnahme verzichtete, starrte Eadyth ihn mit offenem Munde an und offenbarte dabei für eine Frau in ihrem Alter erstaunlich weiße und gesunde Zähne. Wieder strich Eirik sich versonnen über seinen Schnurrbart und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Trotz der Fältchen um ihre Augen und ihren Mund war sie vielleicht doch nicht ganz so alt, wie er angenommen hatte. Tatsächlich war die Haut ihres feingeschnittenen Gesichts so makellos wie frische Sahne. Er wünschte, er könnte sie besser sehen; es wurmte ihn, dass er seiner schlechten Sehkraft wegen die Dinge aus der Nähe nicht mehr so genau erkannte.

»Ah! Ein aufrichtiger Mann. Wie erfrischend!«

»Hattet Ihr etwas anderes erwartet? Aufrichtigkeit ist eine Tugend, die ich mehr als jede andere schätze«, gab Eirik scharf zurück. Irgendwie kränkte ihn ihre spöttische Reaktion auf sein Geständnis, dass er ihren Brief zwar erhalten hatte, aber nicht einmal höflich genug war, ihn zu beantworten.

Seine Antwort schien ihr zu gefallen. »Ja, meistens rechne ich durchaus mit Unaufrichtigkeit. Leider gibt es meiner Erfahrung nach nicht viele vertrauenswürdige Männer.«

»Oder Frauen?«

»Oder Frauen«, stimmte sie mit einem leichten Nicken zu und begann ihn dann ganz unverblümt zu mustern.

Eadyths feingeschnittene Lippen mit der geradezu vollkommenen Einkerbung in ihrer Mitte verzogen sich zu einem Lächeln. Im Grunde war die Frau gar nicht so hässlich, wie er ursprünglich gedacht hatte. Zugegeben, für seinen Geschmack hielt sie ihre gerade kleine Nase etwas zu hochnäsig für seinen Geschmack in die Luft gestreckt, von ihrem eigensinnig vorgeschobenen Kinn erst ganz zu schweigen, aber ohne ihr graues Haar und ihren mageren Körper hätte sie womöglich sogar ganz passabel aussehen können. Bei näherem Hinschauen konnte Eirik nun erkennen, dass sie in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen sein musste – das silberne Kleinod von Northumbria.

Eiriks Hand glitt wieder unwillkürlich zu seinem Schnurrbart. Irgendetwas am Aussehen dieser Frau erschien ihm äußerst merkwürdig. Doch dann erinnerte er sich wieder an Wilfrids Worte über den Klatsch, der über sie verbreitet wurde. Sie war ein Rätsel, das er noch nicht entschlüsseln konnte. Im Stillen lächelte er aber schon über die Aussicht, ihr Geheimnis zu ergründen.

»Darf ich mich zu Euch setzen?«

»Selbstverständlich«, antwortete er und fühlte sich durch ihre sanften Worte, die ihn wieder an seine mangelnde Gastfreundschaft erinnerten, wie ein kleiner Junge zurechtgewiesen. Deshalb erhob er sich auch schnell und half ihr die Stufen zu dem erhöht stehenden Tisch hinauf, wobei ihm die Schlankheit ihres Arms unter dem dicken Stoff des Gewands auffiel. Wo hatte sie nur diesen grässlichen rotbraunen Stoff gefunden? Sie war größer als der Durchschnitt, reichte ihm aber dennoch kaum bis an die Schulter, registrierte er, als er sie Wilfrid vorstellte.

Bevor sie sich setzte, warf sie einen prüfenden Blick auf die Sitzfläche des Stuhls, vermutlich, um nach Staub Ausschau zu halten. Verdammt noch mal! Er war erst ein paar Wochen zu Hause und hatte wahrlich Wichtigeres zu tun, als sich mit trägen Bediensteten herumzuschlagen. Es war eine Sache, wenn Wilfrid ihm zusetzte, endlich seine Geldtruhen zu öffnen, um Ravenshire wiederaufzubauen, aber eine völlig andere, wenn diese unerwünschte Besucherin ihre Nase über ihn und seine Burg rümpfte.

Er griff nach einem leeren Becher und warf ihr einen spitzen Blick zu, als er mit dem Ärmel seines Untergewands den Rand abwischte. Damit sollte ihrer Vorstellung von Sauberkeit doch wohl Genüge getan sein, dachte er grimmig. Dann schenkte er ihr ein und reichte ihr den Becher mit aller Höflichkeit, um so zu beweisen, dass es ihm durchaus nicht an Manieren mangelte. Eirik bemerkte, wie sehr sie darauf bedacht war, jegliche Berührung ihrer Finger zu vermeiden – und als sie das Bier trank, sah er, wie sie schon wieder missbilligend die Nase rümpfte.

»Wie ich sehe, mögt Ihr nicht nur keine Hunde, sondern auch kein Bier«, bemerkte er gereizt.

»Nein, das ist nicht wahr. Ich mag Hunde, aber dort, wo sie hingehören, und das ist weder hier in der Halle noch in der Küche. Und was Euer Bier angeht, so ist es durchaus annehmbar«, erwiderte sie arrogant. »Ich muss allerdings gestehen, dass ich verwöhnt bin. Ich mache den besten Met in ganz Northumbria aus meinem eigenen Honig.«

»Ach wirklich? Wie bemerkenswert! Damit meine ich allerdings nicht, dass Ihr Euren Honigwein selbst herstellt, sondern dass Ihr Euch selber derart schamlos lobt.«

Eadyth schaute auf, um seinen Blick zu suchen, und Eirik sah, wie sie bis zu den Haarwurzeln errötete.

Gut so!, dachte er.

»Ich muss mich Eurer klugen Einschätzung meiner Fehler beugen, Mylord. Es ist richtig, dass ich nicht sehr bescheiden bin. Die weiblichen Tugenden sind mir über all die Jahre, in denen ich fern der Gesellschaft gelebt habe, leider abhanden gekommen«, entschuldigte sie sich ganz ohne Verlegenheit. »Manchmal vergesse ich, dass Damen von Stand immerzu sanftmütig und schwach zu sein haben. Ich wurde anders erzogen, mein Vater ließ mir meine Unabhängigkeit.«

Auch wenn Eirik ihr stolzes Kinn, das sich immer wieder trotzig vorschob, noch nicht bemerkt hätte, so konnte er doch jetzt instinktiv spüren, dass sie sich nicht häufig so demütig gab. Eine fast unmerkliche Verwundbarkeit klang in ihrer Stimme mit, die Eirik etwas nachgiebiger stimmte.

»Er war ein guter Mann, Euer Vater. Ich habe Arnulf vor Jahren kennengelernt, als er einmal meinen Großvater Dar besuchte. Es tut mir leid, von seinem Tod zu hören.«

Eadyth nahm seine mitfühlenden Worte mit einem knappen Kopfnicken zur Kenntnis.

»Ihr habt keine Brüder, soviel ich weiß«, fuhr Eirik fort. »Wer führt dann jetzt Hawk’s Lair?«

»Ich.«

Eirik war so verblüfft, dass er sich an seinem Bier verschluckte und Wilfrid ihm kräftig auf den Rücken klopfen musste.

Eadyths Lippen verzogen sich zu einem herablassenden Lächeln, was Eiriks Blick auf das irritierende kleine Muttermal an ihrem rechten Mundwinkel lenkte. Er hatte von Frauen gehört, die sich solche Schönheitsflecken auf die Haut malten. War das auch bei ihr der Fall? Bestimmt nicht. Eine Frau, die ihr Haar so straff zurückkämmte wie eine Nonne und derart triste Kleider trug, würde solch eitlen Zierrat nur verächtlich ablehnen.

»Warum reagieren Männer immer so? Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Männer immer glauben, Frauen seien nicht in der Lage, mehr zu tun als zu schwatzen und zu sticken.«

Eirik beugte sich ein wenig vor und musterte Eadyth mit neu erwachtem Interesse. »Meiner Erfahrung nach sind die meisten Frauen hohlköpfige, hinterhältige Geschöpfe und recht zufrieden damit, sich mit nicht viel mehr als den von Ihnen gerade angesprochenen Beschäftigungen zu widmen. Auf jeden Fall war es bei meiner Frau so, bevor sie starb. Ich garantiere Euch, wenn Männer keine Erben bräuchten, würden die meisten bestimmt gerne auf das Ehebett verzichten und sich ihr Vergnügen anderswo beschaffen.«

Die Unverblümtheit seiner Worte schien Eadyths weibliches Feingefühl nicht zu verletzen. Vielmehr war Eiriks Aufrichtigkeit sogar offenbar ganz nach ihrem Geschmack.

Ihre Finger zeichneten ein unsichtbares Muster auf die Tischplatte, während sie ihn prüfend ansah. Warum?, fragte er sich. Eadyth befeuchtete nervös ihre Lippen, was Eiriks Blick erneut auf das entwaffnende kleine Muttermal lenkte. Fasziniert verfolgte er, wie ihre rosa Zungenspitze von einem ihrer Mundwinkel zu der kleinen Einkerbung in ihrer Oberlippe glitt, dann zum anderen Mundwinkel weiterwanderte und schließlich über ihre volle Unterlippe strich. Eirik versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, das Gleiche mit seiner eigenen Zunge zu tun, und spürte fast augenblicklich ein scharfes Ziehen in seinen Lenden.

Bei Gott und allen Heiligen! Jetzt musste er sich doch tatsächlich selbst zur Ordnung rufen. Er benahm sich ja wie ein Junge, der noch grün hinter den Ohren war. Wahrscheinlich hatte er schon viel zu lange keine Frau mehr an seiner Seite gehabt, wenn sogar eine schon nicht mehr ganz junge ihn so schnell erregen konnte.

Und dieses respektlose Frauenzimmer musterte ihn auch noch auf eine seltsam eindringliche Weise. Sie war wirklich ziemlich ungewöhnlich, diese Frau.

»Sind Eure Augen blau … hellblau wie ein Sommerhimmel, wie man mir erzählte?«, fragte Eadyth unvermittelt und riss Eirik aus seinen erotischen Träumereien.

Etwas irritiert über ihre merkwürdige Frage lehnte er sich wieder zurück. »Ja … sie sind ein Erbe meiner wikingischen Vorfahren.«

Eadyth nickte anerkennend.

Himmelherrgottsakra! Warum sollte es diese alte Jungfer kümmern, ob seine Augen blau oder schmutzig braun waren?

»Ihr seht gar nicht wie ein Wikinger aus. Euer Haar ist schwarz, nicht wahr?«, bemerkte sie wie nebenbei, aber ihr unüberhörbar gepresster Atem, verriet Eirik, dass seine Antwort von Bedeutung für sie war.

Was führte diese Frau im Schilde? Was sollten diese dummen Fragen nach der Farbe seiner Augen und seiner Haare? Wieder lehnte er sich zurück und betrachtete sie misstrauisch. »Ich bin nur zur Hälfte Wikinger. Meine Mutter war Angelsächsin.« Vor Ärger, dass er ihr Spiel nicht zu durchschauen vermochte, biss er sich auf die Unterlippe, um dann aber sogleich verschmitzt hinzufügen: »Möchtet Ihr meine Wikingerhälfte sehen?«

Wilfrid lachte vergnügt auf, während Eadyth errötete und seine Frage einfach überhörte.

»Ich meinte natürlich meine kampferprobten Muskeln«, setzte Eirik spöttisch hinzu und hob einen seiner kräftigen Arme, damit sie ihn bewundern konnte. »Und mein Talent, mit heiler Haut aus den angelsächsischen politischen Schlangengruben herauszukommen.« Er klopfte sich an den Kopf, als wollte er ihr damit demonstrieren, dass er nicht ganz hohl war.

Eadyth, der es nicht nur an Schönheit, sondern offenbar auch an Humor zu fehlen schien, verzog keine Miene über seinen Scherz. Stattdessen presste sie nachdenklich die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, während sie Eirik wieder einer unverhohlenen Musterung unterzog. Schließlich fragte sie: »Könnten wir unter vier Augen miteinander reden, Mylord?«

Eirik setzte eine ausdruckslose Miene auf, die nichts von seiner Überraschung offenbarte, bevor er Wilfrid mit einer Handbewegung aufforderte, sie einen Moment allein zu lassen.

Eadyth trommelte nervös mit ihren schlanken Fingern auf den Tisch, als beschäftigte sie ein ernsthaftes Problem, bevor sie sich dann offenbar zu einem Entschluss durchrang. Sie wartete, bis Wilfrid weg war, und schaute Eirik dann ganz offen in die Augen.

»Ich muss umgehend heiraten«, erklärte Eadyth ohne jede Einleitung. »Wärt Ihr unter Umständen interessiert?«

Eadyth sah, wie sehr der dunkelhaarige Ritter sich anstrengen musste, um sie nicht mit offenem Mund anzustarren. Nach dem er sich vom ersten Schock über ihren unerwarteten Vorschlag erholt hatte, gefror sein Gesicht jedoch zu einer ausdruckslosen Maske. Trotzdem sah man ihm an, dass er ihr bizarres Verhalten nicht ein bisschen verstehen konnte.

Ha! Männer waren so durchschaubar. Sie hielten Frauen für unfähig, logisch zu denken, und genau darin lag ihre Schwäche. Eadyth hatte in den vergangenen acht Jahren eine Lektion nach der anderen erhalten, welche Macht Männer über Frauen ausübten. Allerdings wusste sie inzwischen auch, dass es sich nicht um uneingeschränkte Macht handelte, und Eadyth war eine Expertin darin geworden, sie zu überlisten. Hatte sie nicht immer wieder ihre Fähigkeit bewiesen, Hawk’s Lair zu verwalten und ihre eigenen Erzeugnisse auf dem Markt von Jorvik unters Volk zu bringen – den besten Honig und Met und die feinsten Bienenwachskerzen von ganz Northumbria?

Es wurmte Eadyth, sich vor dem gut aussehenden und wortgewandten Herrn von Ravenshire erniedrigen zu müssen. Als kümmerte es sie, dass seine feingeschnittenen Gesichtszüge die Herzen aller Frauen von Yorkshire bis nach Strathclyde schier zerfließen lassen konnten! Oder dass seine glattzüngigen Worte selbst die frommste aller Nonnen ihre Hemmungen verlieren lassen könnte. Sie wollte keinen Mann zum Ehemann, und schon erst recht nicht diesen schlecht gekleideten Flegel in seiner zerfallenden Burg, der in nur mühsam unterdrückter Verachtung mit arroganter Miene auf sie, Eadyth, herabsah.

Gott Allmächtiger! Der bloße Gedanke, die heiligen Bande der Ehe einzugehen, verursachte ihr Übelkeit. Bande! Das war das entscheidende Wort. Denn in all diesen Jahren hatte sie sich stets hartnäckig geweigert, sich von irgendeinem Mann binden zu lassen.

Nun aber blieb ihr keine andere Wahl mehr. Die Zeit lief ihr davon. Das Beste, was sie tun konnte, war, eine möglichst günstige Verlobungsvereinbarung auszuhandeln, die für ihren zukünftigen Gatten von Vorteil sein, ihr selbst aber erlauben würde, ihre Freiheit zu behalten. Doch würde der Herr von Ravenstein auf diesen Vorschlag eingehen?

»Möglicherweise spielen meine Ohren mir ja einen Streich, Mylady. Aber habt Ihr mich gerade um meine Hand gebeten?« Als Eadyth mit trotzig vorgeschobenem Kinn nickte, schnaubte er entrüstet. »Es ziemt sich nicht, dass Ihr eine solche Sache in Eure eigenen Hände nehmt.«

»Wer sollte denn sonst für mich verhandeln? Mein Vater ist tot. Ich habe keine Familie mehr.« Sie zuckte mit den Schultern. »Seid Ihr so puritanisch und so sehr um Eure Männlichkeit besorgt, dass Ihr nicht direkt mit einer Frau verhandeln könnt?«

Bei diesen herausfordernden Worten setzte Eirik sich aufrechter hin, und an seinem markanten Kinn begann ein Muskel zu zucken. »Ihr begebt Euch auf gefährliches Terrain, Mylady. Glaubt mir, ich fürchte weder Euch noch irgendjemand sonst auf dieser Welt. Ihr wollt direkt mit mir verhandeln? Na schön, das könnt Ihr haben. Ich sage Euch ganz direkt, dass meine Antwort Nein ist. Ich bin an Eurem Vorschlag nicht interessiert.«

Zu ihrer großen Verärgerung spürte Eadyth, wie eine heiße Röte in ihre Wangen stieg. Warum konnte sie ihre freche Zunge auch nicht in Zaum halten? Aber da sie an Verhandlungen mit raffinierten Handelsherren und denkfaulen Dummerjanen gewöhnt war, vergaß sie oft jegliche Diplomatie. Nur mühsam unterdrückte sie jetzt die in ihr aufsteigende Wut und zwang sich, mit größter Vorsicht vorzugehen, als sie weitersprach.

»Ich bitte um Entschuldigung, Mylord, für meine übereilten Worte. Die Dringlichkeit meiner Situation hat mir die Zunge gelockert, aber … bitte lehnt mein Angebot nicht ab, bevor Ihr alle Einzelheiten gehört habt.«

Eirik schenkte sich Bier nach und nippte gedankenvoll daran, während er Eadyth aus schmalen Augen musterte und offenbar zum Schluss kam, dass ihr die bei einer Ehefrau gern gesehenen Attribute fehlten. Das überraschte Eadyth nicht. Nachdem sie vor acht Jahren ein einziges Mal einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte, gab sie sich die größte Mühe, niemals und unter gar keinen Umständen das sinnliche Interesse eines Mannes zu wecken.

»Bei allem gebotenen Respekt, Mylady, ich habe kein Interesse an einer weiteren Ehe – mit keiner Frau. Einmal war genug.«

»Für immer?«, fragte Eadyth überrascht. »Ich dachte, alle Männer hätten das Bedürfnis, Erben hervorzubringen. Eure Gemahlin hat Euch aber doch keine Söhne geboren, oder?«

Er schüttelte den Kopf. »Mein Bruder Tykir ist mein Erbe. Ich bin nämlich nicht sonderlich interessiert daran, mein eigenes Ich zu vermehren.« Dann legte er fragend seinen Kopf ein wenig schief, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. »Und abgesehen davon seid Ihr ja wohl kaum noch in einem gebärfähigen Alter, würde ich meinen.«

»Was?« Seine Feststellung ließ Eadyth jäh verstummen. Es war richtig, dass viele Mädchen schon mit vierzehn Jahren heirateten, aber sie war mal gerade fünfundzwanzig und wohl durchaus noch im richtigen Alter, um Kinder zu bekommen. Nicht, dass sie das gewollt hätte. Und schon gar nicht mit einem solchen Grobian wie ihm. Aber für wie alt hielt er sie?

Ah!, dachte sie plötzlich, während sie mit einer Hand nach ihrem Stirnband griff – offensichtlich vermittelte ihr silbriges Haar ihm eine falsche Vorstellung von ihrem Alter. Das und ihr absichtlich viel zu weit geschnittenes Gewand, unter dem sie ihre weiblichen Rundungen verbarg. Gut, dass er sie nicht am Morgen gesehen hatte, als sie beim Versuch ihre glänzenden, bis zur Taille reichenden Haare unter einem Schleier zu verbergen, schließlich auf Schweineschmalz hatte zurückgreifen müssen, um ihre üppige Lockenpracht zu bändigen. Anscheinend war es ihr mit dem Fett gelungen, auch die goldblonden Strähnchen in ihren silberblonden Haaren zu verbergen.

Doch dann kam ihr plötzlich ein Gedanke. Womöglich würde seine falsche Vorstellung von ihrem Alter ihr ja sogar zugute kommen. Nach diesem einen unangenehmen – nein, verheerenden Erlebnis mit den sinnlichen Neigungen eines Mannes hatte sie nicht das geringste Bedürfnis nach einem zweiten. Eadyth lächelte, die Rolle als alte Jungfer begann ihr zu gefallen. Um Eiriks Frage auszuweichen, erklärte sie in altjüngferlich schnippischem Tonfall: »He, he, he! Man sollte meinen, mein Alter sei nicht so wichtig, wenn Ihr keine Erben mehr zeugen wollt. Im Grunde könnte es sich sogar zu unser beider Vorteil auswirken.«

Mit dieser Erklärung weckte sie Eiriks Interesse, und er fuhr sich mit den Fingern durch sein schulterlanges, rabenschwarzes Haar. Dann strich er sich geistesabwesend über den Schnurrbart – eine Angewohnheit, die Eadyth nicht zum ersten Mal bei ihm bemerkte –, als er sie wie ein misstrauischer Vogel beäugte … oder wie der Rabe, der er seinem Wappen nach ja auch war. Und er kniff auch fortwährend die Augen zusammen. Schließlich zog er fragend die dichten schwarzen Brauen über seinen blauen Augen hoch.

Heilige Jungfrau Maria! Man konnte in den Tiefen dieser faszinierenden Augen ertrinken, musste Eadyth sich eingestehen, bevor sie sich rasch wieder zur Ordnung rief. In Wirklichkeit war Eirik gar nicht mal so gut aussehend wie Steven, die Ursache ihrer Probleme. Stevens distinguierte Erscheinung und seine feingeschnittenen Gesichtszüge waren nahezu vollkommen, während Eirik für Eadyths Geschmack zwar gut, aber zu kraftstrotzend aussah und sein eckiges Gesicht zu maskulin war. Auf merkwürdige Weise wirkte er irgendwie sogar ein bisschen einschüchternd auf sie.

Sie zwang sich, zu ihrem Gesprächsthema zurückzukehren, und sagte: »Lasst mich ganz offen sein …«

»Warum sollten wir jetzt damit aufhören?«

Eadyth warf Eirik einen vernichtenden Blick zu. Sie würde seine Spöttelei einstweilen noch ignorieren, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Hände sich verkrampften, sich zu Fäusten ballten und sich wieder öffneten, bevor sie weitersprach. Verflixt noch mal, aber Demut und Ergebenheit zur Schau zu tragen, fiel ihr wirklich sehr, sehr schwer.

»Ich muss so bald wie möglich heiraten. Mein Gemahl muss, sollte es zu einem Kampf kommen, Männer anführen können. Noch viel wichtiger ist aber, dass er ein Talent für Politik und diplomatisches Geschick hat, damit es möglichst erst gar nicht zu einer Konfrontation kommt. Versteht Ihr, was ich meine?«

»Warum gerade ich?«, versetzte Eirik knapp. »Ihr fühlt Euch doch ganz offensichtlich nicht von meinen unzählbaren Reizen angezogen.«

Aufmerksam verfolgte er die verräterisch nervösen Bewegungen ihrer Hände, und Eadyth zwang sich, sich zusammenzunehmen. Er sah zu viel. Und trotzdem sah er ihr wahres Aussehen nicht. Wie eigenartig, dachte sie.

Außerdem fand sie es unmöglich, dass er es für nötig gehalten hatte, eine derart frivole Bemerkung hinsichtlich seiner ›Reize‹ zu machen. Spielte er nur mit ihr und betrachtete ihren nur widerstrebend vorgebrachten Vorschlag als Vorwand, sich über sie lustig zu machen? Natürlich tat er das. Er hielt sie ja offenbar für viel zu alt, um sich noch für die körperlichen Vorzüge eines Mannes zu interessieren.

Genug! Sie vergeudete kostbare Zeit damit, um den heißen Brei herumzureden. Er hatte gesagt, er wisse Offenheit zu schätzen. Nun, dann würde sie ihm jetzt eine ordentliche Portion davon geben und ihm auch verdeutlichen, wie sie über seine ›Reize‹ dachte.

»Es stimmt, dass sich mein sinnliches Verlangen nach Eurem unvergleichlich schönen Körper in Grenzen hält«, bemerkte sie sarkastisch. »Und auch Eure männliche Präsenz lässt mir nicht die Knie weich werden. Ich möchte wetten, dass ich es sogar ertragen würde, Eure Gesellschaft zu genießen, ohne vor Bewunderung gleich ohnmächtig zu werden. Ehrlich gesagt würde ich sogar lieber Euren grässlichen Hund heiraten als Euch, wenn es meine Probleme lösen würde.« Eadyth sah den angespannten Zug, der um sein Kinn erschien. Gut! Jetzt hatte sie seine volle Aufmerksamkeit – er grinste nicht mehr und verkniff sich auch weitere indirekte Anspielungen. »Aber wisst Ihr, Euer Hund würde mir bedauerlicherweise überhaupt nichts nützen, weil er weder Eure blauen Augen noch Euer schwarzes Haar hat. Ich dachte, ich hätte schon erwähnt, dass das unentbehrliche Attribute für meinen zukünftigen Ehemann sind.«

»Blaue Augen und schwarzes Haar!«, entfuhr es Eirik. »Vorsicht, Mylady, Ihr geht zu weit. Und verschwendet bitte nicht meine Zeit mit unsinnigem Gerede über körperliche Merkmale. Ich will nicht heiraten, und und schon gar keine Keifzange. Und das ist mein letztes Wort zu diesem Thema.« Er stand auf, als sei ihre Unterredung für ihn damit beendet.

Seine brüsken Worte ließen Eadyths Hoffnung sinken, und sie musste einen Anfall von Panik unterdrücken. Wieder einmal hatte sie ihre Vernunft von ihrer Abneigung gegen eine erzwungene Heirat überschatten lassen.

»Hier«, sagte sie und drückte Eirik rasch ein Dokument in die Hände. »Vielleicht solltet Ihr Euch gut überlegen, was Ihr da so unbekümmert ablehnt.«

Eirik starrte sie mit ausdrucksloser Miene schweigend an, aber dann senkte er den Blick doch auf das Dokument und hielt es auf Armeslänge von sich ab. Nachdem er die Worte und die Zahlen überflogen hatte, ließ er sich auf seinen Stuhl zurückfallen und stieß einen gereizten Seufzer aus.

»Was in Herrgotts Namen soll das sein?«

Eadyth dachte, dass das Dokument im Grunde für sich selber sprach, da über dem Text klar und deutlich ›Verlobungsvereinbarung‹ in ihrer eigenen sauberen Handschrift stand. Vielleicht konnte der Herr von Ravenshire nicht lesen? »Das ist die Mitgift, die Ihr von mir erhalten werdet, wenn Ihr der Heirat zustimmt«, erklärte sie mit stolz vorgerecktem Kinn.

Eirik starrte sie einen langen Augenblick ungläubig und erstaunt an, bevor er sich wieder dem Dokument zuwandte und laut seinen Inhalt vorlas: »Fünfhundert Goldstücke; zweitausend Morgen an Ravenshire angrenzendes Land; zwanzig Ellen feinster Rohseide aus Bagdad; drei Kühe; zwölf Ochsen; fünfzehn Leibeigene, einschließlich eines Steinmetzes wie eines Schmieds, und fünfzig Bienenköniginnen mit etwa hunderttausend Arbeiterinnen und zehntausend Drohnen.« Spöttisch lächelnd richtete Eirik sich an Eadyth: »Bienen? Was soll ich denn mit Bienen?«

»Mit ihnen habe ich mein Geld verdient, Mylord. Macht Euch nicht über Dinge lustig, von denen Ihr keine Ahnung habt.«

Er legte das Dokument auf den Tisch, lehnte sich wieder zurück und legte die Fingerspitzen aneinander, um Eadyth nachdenklich zu mustern. Als er endlich wieder sprach, schien er seine Worte mit Bedacht zu wählen. »Sie ist wirklich eindrucksvoll – die Mitgift, die Ihr mir anbietet. Und erstaunlich. Ich hätte Hawk’s Lair nicht für einen so gewinnbringenden Besitz gehalten.«

Und dann lächelte er. Es war ein nettes Lächeln, wie Eadyth innerlich zugeben musste. Und sie registrierte auch das vergnügte Funkeln in seinen ausdrucksvollen Augen. Oh ja, sie konnte verstehen, warum die Frauen ihm zu Füßen sanken, wenn er sie mit seinem fatalen Charme bedachte.

»Weiß der König von Eurem Reichtum? Seine Ratsversammlung wäre bestimmt an einer höheren Besteuerung Eurer Reichtümer interessiert.«

Eadyth reagierte etwas ungehalten auf sein verstecktes Kompliment. »Hawk’s Lair ist eine kleine Burg, von der ich einfach jeden Teil sehr gut nutze. Trotzdem bin ich einzig und allein durch meine Bienenzucht zu einem gewissen Reichtum gekommen. Die letzten paar Jahre waren ganz besonders einträglich. Es hat sich herumgesprochen, dass ich erstklassigen Met, Honig und Bienenwachskerzen erzeuge. Meine zeitmessenden Kerzen werfen ganz besonders große Gewinne ab.«

»Ihr vertreibt Eure Produkte selbst?«

»Ja. Ich habe einen Vertreter in Jorvik, aber ich halte es für klüger, die Menschen, die für mich arbeiten, zu überprüfen und im Auge zu behalten.«

Eirik lachte ungläubig und schüttelte den Kopf.

»Ihr findet eine vernünftige Geschäftsführung wohl lustig?«, sagte Eadyth ärgerlich.

»Nein, Mylady, ich finde Euch und Eure vielen Widersprüche lustig.«

»Wie meint Ihr das?«

»Ihr kommt uneingeladen in meine Burg hereingeplatzt, beleidigt meinen Hund, mein Bier und nicht zuletzt auch mich.Ihr hegt ganz offenkundig Zweifel an meiner Integrität und haltet trotzdem um meine Hand an. Ihr seid eine Dame von Stand und seid Euch trotzdem nicht zu schade, Euch mit Eurem Handel die Hände schmutzig zu machen. Und …« Er zögerte, und man merkte ihm an, dass er das untrügliche Gefühl hatte, zu weit gegangen zu sein.

»Und was? Sprecht weiter. Lasst uns ganz ehrlich zueinander sein.«

»Nun, ich habe schon häufiger gehört, dass man Euch Eurer großen Schönheit wegen ›das silberne Kleinod von Northumbria‹ nannte … aber ich kann diese Schönheit beim besten Willen nicht sehen.«

Seine harte, aber ehrliche Beurteilung traf Eadyth. Dabei hatte sie sich doch die größte Mühe gegeben, um das, was von ihrer großen Schönheit noch übrig war, zu verbergen. Also hätte es ihr eigentlich ziemlich egal sein müssen, dass er sie nicht hübsch fand, aber irgendwie kränkte es sie doch. Wahrscheinlich meldeten sich da gerade nur die letzten Reste ihrer früheren weiblichen Eitelkeit. Sie straffte ihre Schultern. »Habt Ihr mir noch mehr zu sagen?«

»Ja, da ist noch mehr.« Eirik zögerte, bevor er fortfuhr: »Ihr benehmt Euch wie eine verklemmte Nonne, die noch nie mit einem Mann zusammen war. Das verwundert mich ein wenig, da mir auch zu Ohren gekommen ist, dass Ihr in Eurer Jugend recht leichtfertig gelebt habt. Ich kann mir eine Frau wie Euch einfach nicht unter einem Mann liegend vorstellen – und schon gar nicht als Mutter eines unehelichen Kinds.«

Eadyth schloss für einen Moment die Augen, da sie nicht damit gerechnet hatte, dass das Gespräch so schnell auf ihren Sohn John kommen würde. Sie hatte gewusst, dass sie über ihn würde sprechen müssen, falls Eirik sich bereit erklärte, sie zu heiraten. Immerhin war John der Grund, dass sie sich zu einer solchen Verbindung gezwungen sah, gegen die sich eigentlich alles in ihr sträubte. Sie hatte jedoch gehofft, das Thema erst zu einem späteren Zeitpunkt anschneiden zu müssen.

»Ja, ich habe einen Sohn«, gab sie schließlich zu und erwiderte Eiriks Blick ganz offen. »Stellt John ein Hindernis für diese Ehe dar?«

Eirik strich mit seinem langen, wohlgeformten Zeigefinger über den Rand des Bechers, während er Eadyth weiter prüfend musterte. Sie bemerkte, dass ihm der kleine Finger fehlte, und fragte sich, ob er ihn im Kampf oder bei einem Unfall verloren hatte. Ihre Überlegungen wurden jedoch unterbrochen, als er langsam und mit anscheinend sehr vorsichtig gewählten Worten weitersprach.

»Wenn ich eine Frau heiraten wollen würde, wäre ein Kind für mich kein Grund, um nicht mit ihr vor den Altar zu treten. Natürlich würde ich eine Jungfrau als Gemahlin vorziehen, alles andere zu behaupten, wäre unehrlich. Aber wer bin ich schon, um mich zum Richter aufzuspielen? Auch ich trage den Makel unehelicher Herkunft, und darüber hinaus habe ich selbst zwei uneheliche Töchter.« Er grinste sie etwas betreten an. »Da scheinen wir ja wohl doch eine Gemeinsamkeit zu haben.«

Eadyth biss die Zähne zusammen und ballte die Hände so fest, dass sich die Fingernägel in ihre Handflächen bohrten. Sie hätte ihm nur zu gern gesagt, was sie davon hielt, dass er zwei illegitime Töchter in die Welt gesetzt hatte. Es war nicht ihre Schuld, dass ihr Sohn unehelich geboren worden war. Aber er, ein unverheirateter Mann, hätte seine Töchter vor diesem Schicksal bewahren können. Oh, wie gern hätte sie ihm gesagt, dass er wohl vor allem eine Gemeinsamkeit mit diesen vielen skrupellosen Männern hatte, die ihre Geschlechtsteile für Geschenke Gottes hielten, mit denen sie wahllos jede Frau beglücken konnten, die es wagte, ihren Weg zu kreuzen. Er widerte sie an. Gerade sie wusste selbst am besten, wie Frauen unter außerehelichen Liebschaften zu leiden hatten, selbst wenn sie mit einem Haufen romantischer Versprechungen verbunden waren.

Sie durfte ihre Gedanken aber nicht in Worte fassen. Nicht jetzt. Sie musste ihn zuerst dazu bringen, einer Ehe mit ihr zuzustimmen. Wenn sie erst einmal verheiratet waren – vorausgesetzt natürlich, es kam dazu –, würde er über seine unbedachte Zeugung zweier Bastarde von ihr schon einiges zu hören bekommen.

Ihre Stimme triefte förmlich vor erzwungener Höflichkeit, als sie fragte: »Oh? Und wo sind diese Kinder?«

»Larise lebt nicht weit entfernt bei Onkel Erm und seiner Familie. Sie ist acht.«

»Wird sie jetzt, wo Ihr wieder in Northumbria seid, bei Euch leben?«

Eirik zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es noch nicht. Es kommt darauf an, ob ich beschließe, hier auf Ravenshire zu bleiben.«

Wie herzlos!, dachte Eadyth. Wie konnte er seine kleine Tochter der Obhut anderer überlassen? Das arme Kind! Und wie meinte er das, dass er vielleicht nicht hierbleiben würde? Aber dann wurde ihr plötzlich bewusst, dass, sollten sie tatsächlich heiraten, seine Abwesenheit für sie sogar von Vorteil sein könnte. Schließlich wollte sie nicht von einem lästigen Ehemann ihrer Freiheit beraubt werden.

»Und das andere Kind?«

Für einen kurzen Moment blitzte Traurigkeit in seinen blauen Augen auf. »Emma ist erst sechs. Sie lebt in einem Waisenhaus in Jorvik, seit sie drei ist. Mein Pflegeonkel Selik und seine Gemahlin Rain, meine Halbschwester, sorgen dort für sie«, schloss er mit bewegter Stimme.

Seine Antwort stellte Eadyth vor ein Rätsel. »Aber warum steckt man ein so kleines Kind, das zudem noch nicht mal eine richtige Waise ist, in ein Waisenhaus?«

Eiriks Gesicht verdüsterte sich, als er unverblümt erwiderte: »Ich war lange nicht in Ravenshire und konnte ihr kein Zuhause bieten. Außerdem kann Emma nicht sprechen und wird deshalb von Rain behandelt, die eine erfahrene Heilerin ist.« Dann versteifte er sich und sagte entschieden: »Ich will nicht über Emma sprechen.«

»Und ihre Mutter? Kann die sich nicht um die beiden Mädchen kümmern?«

»Beide Mütter sind tot.«

Beide? Eirik hatte nicht nur über eine, sondern gleich über zwei Frauen die Schande gebracht, die ihr selbst so gut bekannt war. Was für ein hemmungsloser Schuft!

Trotzdem biss sie sich auf die Zunge, weil sie wusste, dass sie schlecht beraten wäre, ihm jetzt schon ihre Meinung zu sagen. Sie musste sehr behutsam vorgehen.

»Vielleicht könnte ich die Antwort auf Eure Gebete sein.«

Eirik lächelte breit über ihre schlechte Wortwahl, und wider ihren eigenen Willen war Eadyth fasziniert von seinem Charisma.

»Auf meine Gebete? Das glaube ich nicht, Mylady.«

»Was ich meinte«, beharrte Eadyth, »war, dass ich mich um Eure Kinder kümmern könnte, wenn Ihr dieser Heirat zustimmt.«

»Bei allem gebotenen Respekt, Mylady, aber mich dünkt, dass eine Hochzeit einen zu hohen Preis für die bloße Pflege zweier Kinder darstellt.«

Bloße Pflege! Eadyth unterdrückte ihre Abneigung und betrachtete seine samtene, früher einmal saphirblaue, jetzt aber vom Alter und vom vielen Tragen verblichene Tunika, und die Goldbrokatstickereien seines Wamses, die zu einem schon kaum noch zu erkennenden Muster abgescheuert war. Eine hübsche Brosche in Form eines Drachen aus gehämmertem Gold mit Bernsteinaugen hielt seinen Umhang an der Schulter zusammen. Insgesamt jedoch sah seine Kleidung eher ärmlich aus. Auch die zerfallenden Mauern seiner Burg und der deutliche Mangel an Bediensteten, die sich um diese schmutzige Festung kümmerten, ließen auf Armut schließen. Überdies waren Eadyth auf dem Weg hierher viele leere Bauernkaten und schon seit Jahren nicht mehr bestellte Felder aufgefallen.

Sie beschloss, das Thema anders anzugehen.

»Darf ich Euch respektvoll darauf hinweisen, Lord Ravenshire, dass die Euch angebotene Mitgift zur Wiederherstellung Eurer Burg verwendet werden könnte?«, schlug sie vor und ignorierte den Ausdruck der Überraschung, der auf Eiriks Gesicht erschien. »Ich verstehe nämlich einiges von diesen Dingen, wisst Ihr. Falls Ihr kein Interesse haben solltet, Eure Burg zu führen und lieber an den Königshof oder … oder wohin auch immer zurückkehren würdet, wäre ich nur zu gern bereit, Eure Angelegenheiten in Eurem Sinne zu betreuen. Ihr hättet dann genügend Geld, um neue Stoffe für feine Kleidungsstücke zu erwerben, Eure Vorratsräume wiederaufzufüllen und …« Sie verstummte, als sie Eiriks fassungslose Miene bemerkte.

»Und womit würde ich mich beschäftigen, während Ihr all das … betreut? Soll ich hier herumsitzen und Däumchen drehen?«

Eadyth starrte ihn nur an. Auf eine solch scharfe Antwort auf ihr gut gemeintes Angebot war sie nun wirklich nicht gefasst gewesen.

»Ihr überschreitet Eure Grenzen, Gnädigste. Habt Ihr so wenig Achtung vor mir, dass Ihr glaubt, ich könnte meine eigenen Angelegenheiten nicht selbst regeln? Wie sollte ich Eurer Meinung nach denn meine freie Zeit verbringen? Bier trinkend? Oder mit jeder greifbaren Frau ins Bett hüpfend?«

Ihr Gesichtsausdruck musste ihm verraten haben, dass das in der Tat genau das war, was Eadyth von ihm erwartet hatte, denn Eirik stieß plötzlich ein lautes Brüllen aus, das die Aufmerksamkeit der unter ihnen in der Halle sitzenden Ritter erregte. Er fauchte sie verächtlich an: »Würdet Ihr denn ein Mittel finden, auch Eure eigene körperliche Leere in der Hochzeitsnacht zu füllen? Denn einen Mann braucht Ihr doch sicher nicht.«

Niedergeschlagen senkte Eadyth ihren Blick und seufzte resigniert. Nun würde er sie wohl doch nicht heiraten.

»Ich wollte nicht respektlos sein, Mylord. Ihr irrt Euch allerdings, wenn Ihr glaubt, ich bräuchte keinen Mann. Ich brauche sogar ganz dringend einen Ehemann. Aber auf einen Mann in meinem Bett kann ich tatsächlich gut verzichten. Was mich angeht, so könntet Ihr sogar Eure Mätressen behalten, wenn es zu dieser Heirat käme.«

»Und was glaubt Ihr, wie viele Mätressen ich wohl habe?«, fragte Eirik belustigt und endlich wieder ohne jeden Ärger.

Eadyth machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, als würde die Anzahl keine Rolle spielen. »Ihr seid bekannt dafür, dass Ihr viele Frauen habt, und …«

»Dass ich viele Frauen habe?«, unterbrach Eirik sie erstickt. »Alle auf einmal, meint Ihr?«

»Seid nicht albern«, tadelte Eadyth ihn, obwohl die Vorstellung sie heiß erröten ließ. Ohne lange nachzudenken, bemerkte sie: »Ich wusste nicht einmal, dass … es mit mehr als einer Frau auf einmal möglich ist.«

Eirik brach in schallendes Gelächter aus.

Sein Spott ließ Eadyth nahezu den Mut verlieren, aber sie zwang sich fortzufahren: »Ich weiß, dass Ihr eine Mätresse in Jorvik habt, und falls es noch andere geben sollte, macht mir das nichts aus.«

Überrascht zog Eirik eine seiner dunklen Brauen hoch. »Ihr wisst von Asa? Eure Spione haben ihre Sache gut gemacht, Mylady.«

Eadyth zuckte brüsk die Achseln. »Das ist unwichtig. Ich habe begriffen, dass Ihr mich nicht heiraten werdet. Es sieht so aus, als müsste ich mich von Neuem auf die Suche nach einem Edelmann mit schwarzem Haar und blauen Augen machen.«

»Ihr macht mich wirklich neugierig, Mylady. Seid doch bitte so gut und erklärt mir, wieso blaue Augen und schwarzes Haar so wichtig sind?«

Eadyth widerstrebte es eigentlich, mit diesem Mann über ihren Sohn zu sprechen. Da aber ihr Plan, seine Frau zu werden, ohnehin aussichtslos war, wollte sie zumindest die Gelegenheit nutzen, seinen womöglich hilfreichen Rat einzuholen.

»Nachdem der Erzeuger meines Sohnes die Vaterschaft in all diesen Jahren abgestritten hatte, scheint er es sich nun anders überlegt zu haben. Er hat eine Eingabe an den Witan, die Königliche Ratsversammlung, gerichtet, um die Vormundschaft für John einzuklagen. Ich weiß nicht, welche Absichten er damit verfolgt, bin mir aber sicher, dass sie nur böse sein können. Ich brauche einen Ehemann, der mir bei diesem Streit zur Seite steht. Und …« Sie zögerte, da sie nicht sicher war, wie viel sie Eirik anvertrauen durfte. »Es könnte meiner Sache nicht schaden, sondern ihr sogar sehr dienlich sein, wenn dieser Mann unter Eid aussagen würde, dass er der Vater meines Sohnes ist. Vor allem, wenn er schwarzes Haar und helle blaue Augen hat wie John. Und wie sein wahrer Vater.«

Eirik warf den Kopf zurück und lachte schallend. Als er sich wieder beruhigt hatte, schüttelte er den Kopf, verblüfft über ihre hinterhältigen Methoden. »Ihr scheint ja wirklich an alles gedacht zu haben. Aber wieso glaubt Ihr, der Witan würde einem solch verspäteten Ersuchen des Vaters um die Vormundschaft auch nur Beachtung schenken?«

Eadyth beugte sich ein wenig vor, um es ihm zu erklären. »König Edmund hat mich in all diesen Jahren im Witan gegen … gegen diesen niederträchtigen Mann unterstützt, in erster Linie wohl aus Rücksicht meinem Vater gegenüber, der ihm ebenso treu wie vorher schon seinem Bruder König Athelstan gedient hatte. Als mein Vater in Edmunds Diensten in der Schlacht von Leicester kämpfte, wurde er so schwer verletzt, dass er kurz darauf starb. Seit seinem Tod ist meine Position schwächer geworden.«

»Edmund ist ein anständiger Mann. Er pflegt seine Versprechen einzuhalten.«

Eadyth hob eine Hand, um zu signalisieren, dass sie noch mehr zu sagen hatte. »Wie Ihr wisst, sind schon etliche Anschläge auf das Leben des Königs verübt worden, und Steven, dieser Teufel, umschmeichelt den jungen Edred, der sicherlich das Erbe des Königs antreten wird, da Edmunds Kinder dafür ja noch zu jung sind. Und sobald Edred den Thron übernimmt, wird Steven die Vormundschaft gewinnen. Dessen bin ich mir sicher.«

Sie seufzte, lehnte sich zurück und schloss für einen Moment erschöpft die Augen. Sie war sterbensmüde von all dem Durcheinander, und nun würde sie ihre Suche noch einmal von vorne beginnen müssen. Nach einer Weile wurde ihr Eiriks merkwürdiges Schweigen bewusst. Als sie die Augen öffnete, erschrak sie über den unbändigen Zorn, der seine Züge verzerrte und sich ganz und gar auf sie zu richten schien.

»Was … was ist?«, stammelte sie, als Eirik aufsprang, sie ohne jede Vorwarnung an ihren Oberarmen packte, vom Stuhl hochzog, sie dann ein Stück vom Boden hob, sodass sie auf Augenhöhe mit ihm in der Luft hing.

»Der Vater Eures Kindes – meint Ihr damit etwa dieses Stück Nichts Steven von Gravely?«, fragte er in eisigem Ton.

Eadyth nickte und erkannte jetzt, dass sie, ohne es zu wollen, Stevens Namen ausgesprochen haben musste. Und sie konnte auch nicht bestreiten, dass Steven es verdiente, mit diesem schlimmsten aller Schimpfnamen – Stück Nichts – tituliert zu werden, denn für sie war er der gemeinste, nichtswürdigste aller Männer.

»Ihr habt für diese ekelhafte Schlange die Beine breitgemacht und untersteht Euch, meinen Charakter anzuzweifeln?«

Er schüttelte sie so hart, dass Eadyths Zähne klapperten und sie sicher war, am nächsten Tag blaue Flecken an den Armen zählen zu können. Sie lehnte sich ein bisschen zurück, um ihn anzusehen, und blickte in seine kalten Augen. Es beängstigte sie, wie aufgebracht er war, aber trotzdem dachte sie nicht einmal daran, sich vor diesem groben Flegel zu verteidigen. Denn was sie mit Steven getan hatte und warum sein Verrat sie derart hart getroffen hatte, das konnte nur eine Frau verstehen.

Schließlich ließ Eirik sie wieder auf die Füße hinunter. Dann schwenkte er drohend einen Finger vor ihrem Gesicht und befahl ihr mit einer Stimme, die keinen Widerspruch erlaubte: »Ihr bleibt heute Nacht auf meiner Burg. Wir reden morgen früh weiter, wenn ich Zeit hatte, mir alles, was Ihr mir erzählt habt, noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Himmelherrgottsakra! Steven von Gravely! Was für ein unglaublicher Zufall!«

»Ich verstehe nicht …« Eadyth war sprachlos vor Verwirrung.

»Das braucht Ihr auch nicht«, stellte er verächtlich fest. »Aber eins kann ich Euch sagen: Es ist durchaus möglich, dass es doch noch zu Eurem Heiratspakt kommt. Und mögen Gott und seine Heiligen sich Eurer dann erbarmen. Denn ich werde es bestimmt nicht tun.«

2. Kapitel

Eadyth wachte am nächsten Morgen schon kurz vor Morgengrauen auf. Oder nein – eigentlich war sie dank ihres von Flöhen besiedelten Bettzeugs eigentlich sogar schon lange vor dem ersten grauen Licht hellwach gewesen.

Ihre Leibmagd schlief auf einem Strohsack in der schmutzigen Binsenstreu neben der Tür. Die arme Girta! Ihr molliger Körper war für das Ungeziefer bestimmt ein Festessen gewesen. Bei näherem Hinsehen jedoch bemerkte Eadyth, dass ihre treue Magd leise schnarchend schlief und von den Plagegeistern verschont geblieben zu sein schien.

Vielleicht ist Girtas Haut nur dicker oder meine eigene ganz einfach süßer, dachte Eadyth leise lachend. Ha! Sie wäre jede Wette eingegangen, dass der unausstehliche Herr dieser zerfallenden Burgmauern diesbezüglich anderer Meinung sein würde.

Eadyth stieg vorsichtig über ihre schlafende Magd hinweg, aus deren Mund jetzt einer wahrer Chor von Lauten kam – als Hintergrundmusik ein leises Schnarchen, das hier und da von einem zufriedenen Grunzen oder Schnaufen unterbrochen wurde. Eadyth blickte liebevoll auf die stämmige Frau hinunter, die ihr während so vieler Jahren treu gedient hatte, zuerst als ihre Kinderfrau, nachdem ihre Mutter gestorben war, und nun als ihre Leibmagd und Begleiterin.

Da sie sich ein bisschen frisch machen wollte, bevor sie Eirik erneut gegenübertrat, sah Eadyth sich nach einer Schüssel Wasser um. Es war aber nirgendwo eine zu sehen. Missmutig stellte sie fest, dass nicht nur das Feuer im Kamin erloschen war, sondern darüber hinaus in der Burg auch noch vollkommene Stille herrschte. Von den Gängen draußen drang nicht ein einziges Geräusch in ihr Zimmer. Dabei müssten die Bediensteten von Ravenshire doch eigentlich schon auf den Beinen sein und sich für einen neuen Tag bereit machen.

Versonnen legte Eadyth ihre tristen Gewänder an und verbarg ihr Haar unter dem eng anliegenden Schleier. Sicherheitshalber nahm sie noch eine Hand voll Asche aus dem Kamin und verrieb sie vorsichtig auf ihrem Gesicht, um ihrer Haut einen Grauschimmer zu verleihen.

Sie lächelte bei der Erinnerung an Girtas Empörung am vergangenen Morgen, als sie ganz bewusst das langweiligste und weiteste Gewand herausgesucht hatte, das sie besaß.

»In dieser Aufmachung wirst du aber keine große Versuchung für einen Mann darstellen«, hatte Girta spitz bemerkt.

»So ist es, liebe Girta. Genau das beabsichtige ich auch damit zu verhindern. Ich will einen Ehemann allein mit meiner Mitgift und meinen Fähigkeiten, eine Burg zu führen, anlocken und nicht mit meinem Körper.« Bei den letzten Worten schauderte es sie vor Ekel, und sie fügte rasch hinzu: »Was das betrifft, habe ich meine Lektion gelernt.«

»Ach, Kind, das war nur eine schlechte Erfahrung. Nicht alle Männer sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.«

Eadyth war auf diesen Einwand hin noch deutlicher geworden. »Du bist eine brave Frau, Girta, aber die harte Wirklichkeit hat mir bewiesen, dass die meisten Männer in Bezug auf Frauen die gleichen üblen Absichten haben wie Steven. Sie betrachten uns als bloßes Eigentum, das sie benutzen und wieder vergessen können, wenn sie ihr Vergnügen hatten. Ich will mehr als das, Girta.«

Die ältere Frau hatte besorgt den Kopf geschüttelt. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich je den Beschränkungen des Ehelebens fügen wirst.«

»Das werde ich auch nicht. Mein zukünftiger Ehemann wird vorher meinen Bedingungen zustimmen müssen«, hatte sie ihrer treuen Gefährtin daraufhin sehr viel zuversichtlicher erklärt, als sie sich fühlte.

»Ach, Eadyth, liebes Kind, ich fürchte, dass man dich verletzen wird«, hatte Girta darauf kummervoll erwidert.

Verletzen?, dachte Eadyth nun, als sie die Tür ihres Schlafzimmers öffnete, um auf den zugigen Gang hinauszutreten. Oh nein, ihr einstmals so verwundbares Herz war längst hart geworden. Nur John … bei ihm war es etwas völlig anderes. Sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihren Sohn vor jeglichem Kummer zu bewahren – selbst wenn das bedeutete, diesen abscheulichen Flegel von Ravenshire oder irgendeinen anderen, nicht minder verabscheuungswürdigen Mann zu heiraten.

Eadyth ging den Gang entlang und die Treppe der zweistöckigen, aus Stein und Holz erbauten Burg hinunter. Diese im Vergleich zu Hawk’s Lair riesige Burg war früher einmal sehr beeindruckend gewesen, oder zumindest hatte ihr Vater das immer gesagt, aber zerbröckelnde Mauern und verfaultes Holz zeugten von jahrelanger Vernachlässigung. Eadyth hasste es, etwas Schönes, ob Menschen oder Gebäude, dermaßen vernachlässigt zu sehen. Der Zustand der Burg sagte ihrer Meinung nach jedenfalls einiges über ihren derzeitigen Besitzer aus. Eirik wird mir vieles, was die Vernachlässigung seines Erbes angeht, zu erklären haben, dachte Eadyth kopfschüttelnd.

Sie hielt nach einem Bediensteten Ausschau, um sich den Weg zum Abtritt zeigen zu lassen und gesagt zu bekommen, wo sie frisches Wasser zum Trinken und zum Baden finden würde. Aber offensichtlich war tatsächlich noch niemand auf den Beinen. Einige betrunkene Ritter, die sie am vorangegangenen Abend schon gesehen hatte, schliefen auf breiten Bänken und in den Bettnischen, die die Wände der großen Halle säumten, und auch etliche Bedienstete hatten sich hier und dort zum Schlafen hingelegt.

Ein paar der Frauen lagen nackt mit den adeligen Herren unter Fellen, die ihnen als Decken dienten. Durch die halb offenstehende Tür eines Alkovens entdeckte sie ein rothaariges Mädchen neben Wilfrid, dem Seneschall, den sie am Abend zuvor kennengelernt hatte. Die junge Frau lag in Wilfrids Armen, ihre vollen Brüste herausfordernd an seine mit dunklem Haar bedeckte Brust gepresst, und eines ihrer langen Beine über seinen muskulösen Oberschenkeln ruhend. Aber noch unerhörter war, dass ihre von der Arbeit schwieligen Finger auf seinem schlaffen männlichen Geschlechtsteil lagen!

Eadyths Augen weiteten sich beim Anblick dieser erotischen Szene, aber dann schürzte sie angewidert ihre Oberlippe. So wie sie die männliche Natur kannte, war es durchaus möglich, dass Wilfrid verheiratet war und seine arme Frau irgendwo dort oben schlief, während er es hier unten wie ein Karnickel mit der Dienstmagd trieb.

Was Eadyth im Grunde aber gar nicht so sehr überraschte, da sie wusste, dass es in vielen großen Häusern üblich war, das Bett miteinander zu teilen, besonders in einer von Männern dominierten Burg wie Ravenshire. Sie selbst erlaubte ein so liederliches Verhalten auf Hawk’s Lair nicht. Vielmehr ermutigte sie ihr Gesinde zu heiraten und sorgte dafür, dass keine Magd gegen ihren Willen von Adligen, die zu Besuch auf der Burg weilten, belästigt wurde.

Sie überlegte, ob sie die beiden wachrütteln sollte, um ihrer Missbilligung Ausdruck zu verleihen. Doch dann rief sie sich schnell zur Vernunft, hatte sie sich doch vorgenommen, an diesem Tag etwas zurückhaltender aufzutreten. Schließlich war es nicht ihre Burg – und würde es auch wahrscheinlich niemals sein. Deshalb wandte sie den Blick von dem Liebespaar ab und ging entschlossen auf den etwas abgelegenen Küchentrakt zu, der durch einen geschlossenen Durchgang mit der Burg verbunden war. Auch wenn diese Burg keine Hausherrin besaß, müsste sich doch irgendjemand – die Köchin vielleicht? – um die Haushaltsführung kümmern …

Eadyth stieß die schwere Tür auf und schnappte entsetzt nach Luft, als sie den Albtraum aus fettigen Töpfen, herumhuschenden Mäusen, verdorbenem Essen, ungewaschenem Geschirr und Trinkgefäßen sah. Sogar zwei Hühner pickten zufrieden in den Essensresten auf dem schmutzverkrusteten Boden. Eadyth griff schnell nach einem neben der Tür stehenden Besen und verscheuchte eine fette Maus vom Tisch, die sich an einem Stück Lammfleisch gütlich tat, bevor sie zu einem Strohsack neben dem erloschenen Feuer ging, wo eine Magd, die Köchin höchstwahrscheinlich, laut schnaufend durch die verfaulten Zähne ihres offenen Mundes schnarchte. Grunzend drehte sie sich auf den Bauch und ließ lautstark einen Wind fahren. Eadyth versetzte ihr mit dem Besen einen Stoß gegen ihr breites Hinterteil, und die Frau fuhr auf und rieb sich ihren Po.

»Wa-as …?«, kreischte sie, bevor sie von ihrem Strohsack aufsprang. Obwohl sie Eadyth höchstens bis zur Schulter reichte, war sie dafür mindestens doppelt so breit wie sie. »Hast du den Verstand verloren, dass du eine brave Magd wie mich so piesackst?« Mit schmalen Augen, die wie kleine schwarze Punkte in ihrem aufgedunsenen Gesicht aussahen, fragte die Köchin scharf: »Was glaubst du, wer du bist – eine gottverdammte Königin?«

»Ich bin Lady Eadyth von Hawk’s Lair, du faules Luder. Bist du für den Dreck in dieser Küche verantwortlich?«

Offensichtlich sehr erschrocken darüber, dass sie eine Adelige beschimpft hatte, nickte die Köchin widerstrebend und rieb sich den Schlaf aus ihren kleinen Augen. Als sie dann ganz ungeniert gähnte, wurde Eadyth von dem schlechten Atem, der ihr entgegenschlug – einer Mischung aus faulen Zähnen und schalem Met – beinahe übel. Die Ausdünstungen ihres Körpers und ihrer Kleidungsstücke, die vermutlich schon seit Monaten nicht mehr gewaschen worden waren, taten ihr Übriges, um Eadyth einige Schritte zurückstolpern zu lassen. Nur gut, dass sie noch nichts gegessen hatte, was durch die schmierigen Hände dieses alten Weibs gegangen war.

»Wie heißt du?«, fragte Eadyth streng.

»Bertha.«

»Nun, Bertha, was sagst du zu diesem Schweinestall von einer Küche?«

»Hä?«

Eadyth schnaubte vor Empörung. »Wie viele Bedienstete gibt es hier auf dieser Burg?«

Bertha kratzte sich träge unter ihren Armen und begann dann an den Fingern abzuzählen. »Etwa zwölf hier drinnen, draußen vielleicht noch mal zwölf. Viele Knechte, Mägde und Häusler sind in den letzten beiden Jahren, als der Herr nicht da war, weggegangen.«

»Und wer hat sich in seiner Abwesenheit um die Burg gekümmert?«

Die Köchin zog ihre massigen Schultern hoch. »Herr Wilfrid, aber der war auch die meiste Zeit nicht hier, da seine Frau vergangenes Jahr gestorben ist. Gott segne ihre brave Seele!« Bertha gab sich Mühe, eine kummervolle Miene aufzusetzen. Ha! Wilfrid hat nicht unbedingt den Eindruck erweckt, besonders traurig zu sein, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, dachte Eadyth bissig und sah ihn in Gedanken mit der nackten Dienstmagd vor sich.

»Ich will, dass du sämtliche Bedienstete – ob Hörige oder Freie – auf der Stelle hier versammelst. Hast du mich verstanden?«

Die Köchin nickte zögernd.

Als kurze Zeit darauf eine liederliche Gruppe von Faulpelzen in die Küche schlurfte, hatte Eadyth bereits einen Kessel Wasser zum Erhitzen über die Feuerstelle gehängt und Töpfe, Geschirr und Trinkgefäße eingeweicht. Sie hielt den Dienstboten eine Standpredigt, die sie so schnell nicht vergessen würden, und wies dann allen Aufgaben zu, die sie binnen einer Stunde erledigt haben sollten.

»Bertha, ich will, dass hier in der Küche der Boden gefegt und so lange geschrubbt wird, bis er blitzeblank ist. Alle Schneidebretter müssen gründlich abgescheuert werden, und bringt auch frisches Mehl zum Backen her. Aus der Speisekammer muss alles Verdorbene aussortiert werden. Ich werde die Vorräte auch auf Würmer untersuchen, die sich dort bestimmt in rauen Mengen tummeln.

Lambert, hol dir noch einen Mann, der dir beim Hacken von Holz für die Küchenfeuer helfen kann. Stapelt so viel, dass der Vorrat für fünf Tage reicht. Agnes und Sybil werden die Eier einsammeln und die Kühe melken.« Sie zögerte und sah dann Bertha an. »Es gibt doch Kühe hier?«

Bertha nickte. »Es ist noch eine Kuh da und vielleicht zwei Dutzend Hennen.«

»Gut, dann werden wir Butter machen, sobald die Milch gebracht wird.«

Sie erteilte eine Anweisung nach der nächsten. Erst als einige der Dienstboten gar nicht mehr aufhörten, ihre verschlafenen Augen zu verdrehen, unterbrach sich Eadyth. Aber nur um in den großen Rittersaal zu gehen und dort einigen der Männer zu befehlen, die verschmutzte Binsenstreu hinauszufegen und sie mit frischer, nach wohlriechenden Kräutern duftender zu ersetzen. Andere beauftragte sie damit, die langen Tische abzuscheuern und die Spinnweben von den Wänden zu fegen. Wieder andere sollten die verstaubten Tapisserien von den Mauern nehmen und sie in den Burghof bringen, um sie kräftig auszuklopfen.

Am wichtigsten war Eadyths Meinung nach jedoch, vorübergehend alle Hunde aus dem Burgsaal zu verbannen. Obwohl sie das nicht nur laut verkündete, sondern selbst begann, die ersten Tiere hinauszujagen, ließ sich der dumme Hund aus der Nacht zuvor nicht daran hindern, ihr wie ein verliebter Freier nachzulaufen. Nachdem Eadyth sich rasch umgeblickt hatte, ob niemand zusah, kapitulierte sie kurzfristig, bückte sich und kraulte ihn hinter den Ohren. Als das Tier darüber derart in Verzückung geriet, dass es seine Zunge weit heraushängen ließ, schüttelte Eadyth in gespieltem Widerwillen den Kopf.

»Das war sehr dumm von dir, was du da gestern getan hast, Hund, und dazu auch noch vor einer Dame, aber ich wollte dir bestimmt nicht wehtun, auch wenn ich dir mit der Schuhspitze einen kleinen Schubs gegeben habe.« Sie hockte sich vor den Hund und betrachtete ihn prüfend. »Ah, du bist ja sogar ein reinrassiges Tier, wie ich jetzt sehe. Dann hast du gewiss auch einen tadellosen Stammbaum. Hast du einen Namen? Nein? Nun ja, dann nenne ich dich … was meinst du? Prinz?«