Die Geliebte des Wikingers - Sandra Hill - E-Book

Die Geliebte des Wikingers E-Book

Sandra Hill

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Beschreibung

Zwei furchtlose Wikinger treffen auf zwei betörend schöne Frauen ...

Die Wikinger Toste und Vagn sind eineiige Zwillinge. Seit ihrer Geburt waren sie keinen Tag getrennt. Bis das Schicksal zuschlägt und sie auf einem Kriegszug in einen Hinterhalt geraten. Auf sich allein gestellt, sehen sie dem Tod ins Auge. Und zwei wunderschönen Frauen, die sie retten ...

Band 7 der romantischen Wikinger-Saga von Sandra Hill. Nächster Titel der Reihe: "Der Kuss des Wikingers".

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.


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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Die Wikinger-Saga

In den Armen des Wikingers

Die Zähmung des Wikingers

Das Herz des Wikingers

Der Kuss des Wikingers

Die Verführung des Wikingers

Der Raub des Wikingers

Ein Wikinger-Liebesroman

Die Sehnsucht des Wikingers

Im Bann des Wikingers

Über dieses Buch

Zwei furchtlose Wikinger treffen auf zwei betörend schöne Frauen …

Die Wikinger Toste und Vagn sind eineiige Zwillinge. Seit ihrer Geburt waren sie keinen Tag getrennt. Bis das Schicksal zuschlägt und sie auf einem Kriegszug in einen Hinterhalt geraten. Auf sich allein gestellt, sehen sie dem Tod ins Auge. Und zwei wunderschönen Frauen, die sie retten …

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Sandra Hill hat schon in jungen Jahren mit dem Schreiben begonnen und ist selbst eine begeisterte Leserin historischer Liebesromane. Die ehemalige Journalistin sammelt außerdem Antiquitäten und besucht gern Auktionen. Sie ist verheiratet und hat vier Söhne. Website der Autorin: https://www.sandrahill.net/.

Sandra Hill

Die Geliebte des Wikingers

Aus dem amerikanischen Englisch von Nicole Friedrich

Vollständige E-Book-Ausgabe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2004 by Sandra Hill

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »A Tale of Two Vikings«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2007/2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

unter Verwendung von Motiven © Simon11uk/gettyimages; PeriodImages

E-Book-Produktion: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-8364-5

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Enge Freundschaft verband mich mit dem Herrn

der Lanzen;

hab mein Vertrauen ihm geschenkt, stets Wort gehalten.

Jetzt aber hat der allmächtige Vater, der Gott des Krieges,

sich von mir abgewandt.

Egils Saga, Sonatorrek

Prolog

Ärger im Doppelpack ...

Toste und Vagn Ivarsson unternahmen alles gemeinsam.

Sie stürmten mit lautem Gebrüll aus demselben Schoß auf die Welt, nur wenige Minuten nacheinander.

Sie säugten gemeinsam an den Brüsten derselben Amme, nachdem ihre Mutter im Kindbett verschieden war.

Sie wurden zur selben Zeit entwöhnt und trocken.

Sie entwickelten ihre eigene Sprache – Worte und Gesten, die nur sie verstanden.

Sie bestiegen mit sieben das erste Mal ein Pferd und mit dreizehn, es war am Friggstag, ihre ersten Jungfern. Mit vierzehn stachen sie an Bord von Langschiffen als jungfräuliche Krieger in See.

Die beiden waren unzertrennlich. Bis zu ihrem neunten Lebensjahr, als ihr Vater, Graf Ivar Thorsson, in dessen Augen Zwillinge eine üble Laune der Natur waren, der Vorstellung erlag, die beiden würden getrennt voneinander schneller heranreifen. Unter Zeter und Mordio schickte er die Brüder fort in entgegengesetzte Ecken Nordlands. Das Ganze ging drei Monate gut, bis sie von ihren aufgebrachten Ziehvätern wieder nach Hause geschickt wurden.

Weil sie völlig gleich aussahen – sah man einmal von dem kleeblattförmigen Muttermal an der Innenseite von Tostes Oberschenkel ab –, machten sich die beiden einen Heidenspaß daraus, ab und an die Rollen zu tauschen – sehr zum Verdruss ihrer Kameraden und vieler Mädchen.

Eines Tages jedoch jagte ihr Vater sie wegen eines nichtigen Vorfalls von seinem Land – zumindest fanden die Brüder ihn nichtig. In betrunkenem Kopf hatte Vagn seinen älteren Bruder Arne ein Kuckuckskind geschimpft, und Toste hatte noch einen obendrauf gesetzt, indem er behauptet hatte, Arne habe eine gewisse Ähnlichkeit mit dem fliegenden Händler Leif Läusebart, der regelmäßig durch die Lande zog.

Weder Vagn noch Toste waren bisher verheiratet. Manche munkelten, sie seien noch immer Junggesellen, weil sie nicht ohne den anderen sein wollten. Bolthor, der Barde, hatte sie einst wie folgt beschrieben: »Attraktiv in Antlitz und Gestalt, wild im Bett, noch wilder auf dem Schlachtfeld und schlimmer als Pech und Schwefel.«

Mit anderen Worten: Toste und Vagn bildeten eine Einheit.

Doch, oh Schande, Toste und Vagn, die gerade mal einunddreißig Lenze zählten, würden nun auch gemeinsam in den Tod gehen.

Kapitel 1

Im Reich der Sachsen, 964 a. D.

Ja, wo laufen sie denn?

Toste Ivarsson geriet ins Schlingern und wäre wegen der nassen Erde um ein Haar auf seinem Allerwertesten gelandet – sehr zur Belustigung seiner Kriegskameraden, mit denen er durch die sächsische Hölle watete.

»Erklär mir ein letztes Mal, warum wir in diesen furchtbar kratzigen Kettenhemden stecken, die auf die gepolsterten Ledertuniken mit pitschnassem Fellkragen drücken, warum wir, mit Schutzschilden, Schwertern und Äxten beladen, wie Freiwild durch Feindesland watscheln. Und das ausgerechnet während eines Hagelschauers!«

Gefrorene Regentropfen prasselten unablässig auf die Metallrüstungen und Waffen der Soldaten nieder. Das nervtötende Geräusch trieb Toste an den Rand des Wahnsinns. Insgeheim hoffte er, dass sein eisiges Murmeln einen ähnlichen Effekt auf seinen Bruder hatte. »Und dann dieser Gestank! Zweihundert Männer, die zwei Wochen lang nicht mehr gebadet haben – igitt! Es heißt, Frauen auf der ganzen Welt begehren uns Wikingermänner, weil wir attraktiv sind. Vor allem aber schätzen sie an uns, dass wir häufiger baden als die meisten Kerle. Wenn die Damenwelt in Riechweite dieses stinkenden Haufens käme, würde sie auf der Stelle ihre Meinung revidieren. Ich denke ernsthaft darüber nach, mir eine Nasenklemme für meinen Helm zu bauen.«

Es fuchste ihn, dass Vagn ihm nicht antwortete, sondern anfing, munter vor sich hin zu pfeifen. Bei aller Liebe! Was sollte das? Mitten in diesem ... diesem ... Sauwetter ... Dieser Holzkopf!, grollte er im Stillen. Kein noch so aussichtsreicher Raubzug rechtfertigt die Mühe und den Zeitaufwand. Meine Zehen fühlen sich an wie Eiszapfen. Bei den Göttern, was würde ich jetzt darum geben, vor einem prasselnden Kaminfeuer zu sitzen, die Füße hochzulegen und ein mit Würzwein gefülltes Trinkhorn zu leeren!

»Mir war langweilig«, antwortete Vagn vergnügt. Genau wie Toste trug er verschiedene Waffen bei sich und führte ein klappriges Streitross namens Clod mit sich. Er hatte das Pferd in der Nacht zuvor beim Würfelspiel gewonnen. Der Hagelschauer setzte Clod, der übrigens zu den wenigen Pferden zählte, die das Tal durchquerten, sichtlich zu. Die meisten Soldaten zogen es vor, die kurze Strecke bis zum Kloster zu laufen ... wenngleich sich langsam herausstellte, dass der Weg alles andere als kurz war.

Es herrschten ungewöhnlich friedliche Zeiten in Britannien. König Edgar, gerade mal einundzwanzig Jahre alt und die meiste Zeit damit beschäftigt, jedem Rock nachzustellen, der seinen Weg kreuzte, stand vehement unter dem Einfluss von Dunstan, seines Zeichens Erzbischof von Canterbury, den der junge König aus dem Exil zurückgeholt hatte. Während Edgar sündigte, was das Zeug hielt, ließ Dunstan als Zeichen der königlichen Buße fleißig Klöster bauen. In Tostes Augen war das ein recht gewiefter Handel.

Als Reaktion auf Vagns Bemerkung erwiderte Toste schließlich: »Langweilig! Warum haben wir uns nicht einfach die Köpfe eingeschlagen wie beim letzten Mal, als dir langweilig war? Warum sind wir nicht auf Bernsteinsuche oder Walfang gegangen? Warum sind wir nicht in das Land der Sarazenen gereist, um Pferde einzukaufen? Warum haben wir uns nicht ein Fass voller Met geschnappt und uns bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen, um danach Winterschlaf zu halten? Warum haben wir nicht noch ein wenig länger die Wärme mit dieser außerordentlich talentierten Dirne geteilt?«

»Zusammen?«, fragte Vagn.

Typisch mein Bruder, sich auf ein unwichtiges Detail zu stürzen, statt auf den Kern der Aussage einzugehen! Toste grunzte abfällig. »Wir haben es mehr als ein Mal zusammen versucht, das weißt du ganz genau. Ich bevorzuge es mittlerweile, mein Langboot allein zu versenken, vielen Dank.« Noch im selben Moment bereute er seine Worte.

»Vielleicht wirst du einfach nur alt«, sagte Vagn und tat, als wäre nicht auch er schon reife einunddreißig. »Bist schon fast ein Graubart. Ich könnte schwören, ich habe ein silbriges Haar gesehen, das dir aus dem Ohr wächst. Gestern, als du weit über die Reling gebeugt hingst und in die aufgewühlte See gebrochen hast. Rauf und runter, rauf und runter, rauf und runter ist unser Boot den tosenden Wellen gefolgt. Ich habe noch nie einen Menschen so viel erbrechen sehen.«

»Und ausgerechnet während des Sturms willst du gesehen haben, dass mir graue Haare aus den Ohren sprießen?« Toste hob ungläubig die frostigen Augenbrauen. Gleichzeitig fuhr er sich mit dem Unterarm über das Gesicht, um die durch die schmelzenden Hagelkörner entstandene Feuchtigkeit wegzuwischen.

»Ja, das habe ich ... je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass dir auch eins aus der Nase gewachsen ist. Wie du weißt, finden Frauen so etwas nicht besonders anziehend. Soll ich es dir ausreißen?«

Toste machte eine unflätige Bemerkung darüber, dass er seinem Bruder etwas ganz anderes ausreißen wollte, und stieß ihm zur Strafe mit dem Ellbogen – er hatte wegen der Waffen, die er trug, keine freie Hand – kraftvoll in den Oberarm.

Feixend tänzelte sein Bruder von dannen.

Allmählich ließ der Hagelschauer nach und wich einsetzendem Eisregen, der den Untergrund weich und matschig werden ließ. Was für ein hundsmiserabler Tag! Wenn sie nicht bald dieses vermaledeite Kloster erreichten, würde er kehrtmachen und zum Schiff zurückkehren. Sollten sie doch allein weiterplündern!

Ohne auf Vagns Worte einzugehen, nahm Toste wieder seine Schmährede auf: »Das ist alles einzig dein Fehler. Du warst es, der mich dazu überredet hat, den Jomswikingern beizutreten. Sieh nur, was uns das eingebracht hat.« Sie waren Teil einer Truppe von kriegerischen Wikingern, die darauf brannten, ein friedliches Kloster zu plündern. Die vier Langboote hatten sie gut vertäut an der Küste zurückgelassen. »Ein so blutrünstiger Trupp von Söldnern ist mir noch nie untergekommen, den Anführer eingeschlossen. Ich versichere dir, Sigvaldi würde seiner Mutter den Kopf von den Schultern hauen, wenn sie zu laut niest. Ach ja, außerdem war dir wohl entfallen, mich davon in Kenntnis zu setzen, dass Weibsvolk auf der Festung der Jomswikinger auf Trelleborg nicht erlaubt ist. Ein Jahr ist es jetzt her, dass wir diesem Sauhaufen beigetreten sind. In der Gemeinschaft zu leben ist eine Sache, aber ein Leben der Enthaltsamkeit etwas gänzlich anderes. So habe ich mir das alles nicht vorgestellt.« Es war nicht das erste Mal, dass Toste sich bitterlich bei seinem Bruder beschwerte.

»Mir scheint, dir ist die Abenteuerlust abhanden gekommen, Bruderherz. Plündern gehört zum Leben eines Wikingers. Was soll er denn sonst zwischen der Ernte und dem Wintereinbruch tun, wenn unsere Langboote zugefroren sind?« Vagn zuckte die Schultern, als wäre die Sache damit erledigt. »Einmal Nordmann, immer Nordmann«, so lautete seine Devise. Toste glaubte, Vagn wäre mit seinen dämlichen Ausführungen fertig, doch dann ließ er ihn abermals an seiner Un-Weisheit teilhaben: »Ein Quäntchen Enthaltsamkeit regt den Appetit eines Mannes an und fördert zudem die Selbstdisziplin.«

»Ha! Das Gegenteil ist der Fall. Das Zölibat schürt den Appetit eines Mannes. Er wird zu einer unkontrollierten Bestie, sobald er das erste Mal wieder zwischen weichen Schenkeln liegt. Das Leben eines Mönches ist nichts für mich.«

»Für mich auch nicht«, gestand Vagn. »Wollen wir wieder nach Hause?« Ein Dutzend Hagelkörner hatten sich in Vagns Haar – er trug keinen Helm – eingenistet. Unreines Schmelzwasser lief über sein Gesicht. Er sah entsetzlich lächerlich und liebenswürdig zugleich aus. Toste liebte seinen Bruder mehr als alles andere auf der Welt.

Er schluckte tapfer gegen den Kloß in seinem Hals an und fragte: »Nach Hause? Wo soll das sein? Du willst doch nicht allen Ernstes vorschlagen, dass wir den Schwanz einkneifen und zu Vater zurückkehren, oder? Er hat uns verstoßen – sein eigen Fleisch und Blut.«

»Er würde uns bestimmt wieder bei sich aufnehmen«, entgegnete Vagn sanft.

»Mag sein. Aber nur, wenn wir uns seinen abstrusen Bedingungen beugen. Dass wir endlich erwachsen werden sollen, dass wir uns seiner Armee anschließen – er liegt ja ständig mit irgendwem im Clinch, egal ob Wikinger oder Sachse, König oder Graf – und dass wir uns unseren beiden älteren Brüdern unterwerfen, die einmal alles erben werden ... nicht, dass ich sie darum beneide. Wir müssten Frauen heiraten, die Vater für uns ausgesucht hat, und uns in aller Öffentlichkeit für vergangene Missetaten entschuldigen. Ich muss dich ja wohl nicht an die Geschichte mit Helga, der Hässlichen, oder Ingrid mit dem haarigen Kinn erinnern, oder?«

»Wir müssten ihm kräftig Honig um den Bart schmieren, da hast du wohl recht. Und ihm in den Allerwertesten kriechen«, sagte Vagn und zuckte zusammen. Sie waren beide keine begnadeten Heuchler. »Aber wir sind älter geworden, Toste. Das Leben als obdachloser Ritter hat seinen Reiz verloren. Vielleicht wäre es nicht die schlechteste Idee, sich ein Weib zu suchen, sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen. Unserem Freund Rurik scheint das Leben als Familienoberhaupt gut zu bekommen. Ich bin es satt, habgierige Geistliche zu überfallen und sie ihrer Goldkreuze und rubinbesetzten Abendmahlkelche zu berauben. Wir haben genug Geld beiseitegeschafft.«

Vagns Worte überraschten Toste nur mäßig, hatte er doch in letzter Zeit ähnliche Gedanken gehabt. So war das schon ihr ganzes Leben. Sie dachten oft dasselbe, teilten Vorlieben und Abneigungen und zuweilen auch die Freuden und das Leid des anderen.

Toste wechselte die Hellebarde – eine lange Lanze – in die rechte Hand, legte seinen freien Arm um die Schultern seines Bruders und drückte ihn kräftig. Voller Emotionen in der Stimme sagte er: »Dann ist es also beschlossene Sache. Dies wird unser vorerst letzter Kampf. Wir kehren nach Hause zurück, söhnen uns mit Vater aus, werden sesshaft und gründen eine Familie.«

»Was hältst du davon, wenn unsere Ländereien aneinandergrenzen?«

»Etwas anderes käme ohnehin nicht infrage.«

Sie lächelten einander herzlich zu, erfreut darüber, eine längst überfällige Entscheidung getroffen zu haben.

»Das erinnert mich an eine Ode, die ich verfasst habe«, meldete sich Bolthor, der Barde – auch bekannt als Bolthor, der weltschlechteste Barde –, zu Wort, als er schwer atmend in ihrem Rücken auftauchte. Bolthor war ein Hüne von Mann. Selbst mit über vierzig Jahren hatte er Muskeln aus Stahl. Bei der Schlacht von Brunanburh vor zwanzig Jahren hatte er jedoch ein Auge verloren. Für einen Soldaten alles andere als vorteilhaft. Nichtsdestotrotz hatte er darauf bestanden, den Jomswikingern beizutreten. Wenn man es genau nahm, hatten seine früheren Feldwebel Tykir, der Nordländer, und Rurik, der Schotte, Bolthor Vagn und Toste aufs Auge gedrückt. Sie waren seiner verschrobenen Oden überdrüssig gewesen, die vor allem von ihrem Intimleben und ihren Schwächen gehandelt hatten. So war es gekommen, dass Vagn und Toste diesen gutherzigen Koloss von Barden am Hals hatten. »Die Ode könnte Vom Weg abgekommene Wikinger heißen.«

»Nicht jetzt, einverstanden?«, meinte Toste schnell, dem nicht entgangen war, dass sich ein verträumter Schatten auf Bolthors Gesicht gelegt hatte. Für gewöhnlich bedeutete dies, dass er kurz davor war, seine hundsmiserable Dichtkunst zum Besten zu geben.

»Wir haben uns nicht verirrt«, erklärte Vagn ihm. Welch ein Narr! Wusste er denn nicht, wie unklug es war, den Barden zu ermutigen? Mit einer Handbewegung umfasste Vagn die Soldaten um sie herum. »Es kann unmöglich sein, dass wir uns alle verirrt haben.«

»Die Rede war ja auch nicht von den anderen. Sondern nur von euch.«

»Ach so«, murmelte Vagn, noch immer sichtlich verwirrt.

Doch dann beging Toste einen fast noch schlimmeren Fehler. Er sagte: »Ich dachte immer, deine Oden trügen stets das Attribut gut im Titel. Wie Dies ist die Ode von Tykir, dem Guten. Oder Dies ist die Ode von Rurik, dem Besten der Besten.«

»Mmh. Da haste recht, Toste«, antwortete Bolthor nachdenklich und biss sich auf die Unterlippe.

Das war ihre Chance, sich aus dem Staub zu machen!

Toste und Vagn beschleunigten ihre Schritte, doch Bolthor rief ihnen nach: »Wartet, ich habe die Lösung.«

Aus purer Höflichkeit blieben Toste und Vagn seufzend stehen und lauschten artig.

»Dies ist die Ode von Toste und Vagn, die besten Zwillingskrieger des hohen Nordens.«

»Nicht sonderlich schmeichelnd, wenn du mich fragst. Wie viele Zwillinge mag es unter den Wikingern wohl geben?«

»Ich flehe dich an, Bragi, Gott der Redekunst, segne mich«, fuhr Bolthor fort und blickte mit seinem gesunden Auge gen Himmel. An Toste und Vagn gewandt, fragte er: »Wie wärs mit Zwillingswikinger, die vom Weg abgekommen sind?«

»Hä?«, sagten Toste und Vagn im Chor.

»Droben im hohen Norden geschah es:

Ein Zwillingspaar erblickte das Licht der Welt.

Sie hielten sich für die Besten.

Laufen, rennen, kämpfen ...

Flirten, vögeln, flirten, vögeln ...

Sie lachten oft und viel, trieben mit allen ihr Spiel.

Tauschten ständig die Rollen.

Doch auch sie wurden älter,

wuchsen zu stattlichen Männern heran.

Sie fragten nach dem Sinn des Lebens.

Welchen Weg es einzuschlagen galt.

Ob sie sich fortpflanzen sollten.

So viel ist sicher: Sie stehen am Scheidepunkt ...

Bleibt zu fragen, welchen Weg sie wählen.

Den sichersten aller Wege ...?

Oder den, der sie geradewegs in die Ehe führt?

Noch wichtiger aber ist:

Wie konnte es überhaupt so weit kommen?«

Toste und Vagn tauschten hastig Blicke aus. Es hatte ihnen die Sprache verschlagen. Wie kam Bolthor auf so etwas? Wie gelang es ihm, so nah an die Wahrheit heranzukommen? Und vor allem: Wo gab es einen Wikinger, der dringend einen persönlichen Barden brauchte?

»Ausgezeichnet, Bolthor«, meinte Vagn schließlich, bemüht darum, seinen Freund nicht zu verletzen.

»Ja, sehr gut«, stimmte Toste ihm zu. Jetzt geh und nerv andere mit deinem Schmu.

»Jetzt geh und nerv andere mit deinem Schmu«, sagte Vagn, der nicht annähernd so einfühlsam war wie Toste. Er schien keine Gewissensbisse zu haben, weil er womöglich Bolthors Gefühle verletzte. Aber es gab keinen Grund zur Sorge; die beleidigenden Worte prallten an Bolthors Gemüt wie Hagelkörner an Wappenschilden ab.

Stattdessen erwiderte der Barde: »Ja, mir schwant, Sigvaldi hat eine Strafe ... äh, eine Ode ... verdient. Hey, das wär doch ein toller Name für eine neue Richtung der Dichtkunst: die ›Strafode‹.« Mit diesen Worten eilte Bolthor davon, um dem Anführer seinen Geistesblitz persönlich zu überbringen.

Toste und Vagn lächelten einander an. Doch die Freude sollte nur kurz währen.

Im Vorderfeld des Trupps ertönte ein lautes Rufen: »Hinterhalt! Hinterhalt! Wir sind von Sachsen umzingelt!«

Im selben Moment gerieten zweihundert Wikinger in Aufruhr. Das Tal bot so gut wie keine Deckung. Auf den Hügeln um sie herum tauchten aberhunderte von sächsischen Soldaten auf. Der Schock saß zwar tief – die Wikinger waren eindeutig in der Unterzahl –, aber nichtsdestotrotz griffen sie nach den Waffen.

Für gewöhnlich bevorzugten die Nordmänner die svinfylkja, auch besser bekannt als Schweinekeil, eine dreieckige Waffe, deren Spitze gegen den Feind gerichtet wurde, oder formten einen Schilderwall, bei dem sich die Soldaten mit dem Rücken um den Anführer scharten. Für das Abwägen einer Taktik fehlte jedoch die Zeit. Die Sachsen umzingelten sie von drei Seiten, darunter auch der Ausgang aus dem Tal. Ein Meer aus Pfeilen hagelte auf sie herab, und die sächsische Infanterie marschierte auf sie zu.

Toste wurde eingehüllt in das Kriegsgebrüll seiner Kameraden. Teils waren es Schlachtrufe, teils Schreie der Wut. »Auf in den Tod!«, »Glück im Kampf« oder »Lasset die Lanzen sprechen«.

Anders als seine Kameraden war Toste nicht sonderlich erpicht auf Kämpfe. Trotzdem war es ihm weitaus lieber, auf der Seite der Sieger zu stehen. Geier statt Aas. Er würde alles daransetzen, den Feind zu vernichten, egal, wie aussichtslos dieses Unterfangen war. Als ein stämmiger Sachse auf ihn zustapfte, riss er sein Breitschwert in die Höhe und zielte auf die »Fettlinie«, jenen Teil des Körpers, wo sich die lebenswichtigsten Organe befanden. Noch bevor der Angreifer den Speer losgelassen hatte, schlitzte er ihn von der Schulter bis zur Taille auf. Mit aufgerissenen Augen und Blut speiend, sackte der Mann zu Tostes Füßen zusammen.

»Gut gemacht, Bruderherz!«, rief Vagn ihm zu.

Tostes Säbelklinge traf auf die des nächsten Angreifers. Schnell duckte er sich und rammte dem Sachsen sein kurzes Schwert in den Wanst. Mit einem kapitulierenden Grunzen ging der Gegner zu Boden. Seine Augäpfel rollten nach hinten. Er war tot.

Ein heftiger Kampf entbrannte. In der nächsten halben Stunde hatte Toste keine Gelegenheit, sich umzuschauen. Durch ihren Überraschungsangriff hatten die Sachsen den Vorteil auf ihrer Seite. Mit Leichtigkeit durchbrachen sie die nordischen Reihen, liefen durch sie hindurch wie durch ein Weizenfeld. Aber so schnell gaben sich die Wikinger nicht geschlagen ... Das nordische Volk bewies Ausdauer und Stehvermögen. Zwar beherrschten sie die Schwerterkunst meisterlich, doch gegen die sächsischen Truppen waren sie machtlos. Egal, wie viele Gegner Toste zu Boden streckte, der nächste stand bereits parat. Langsam dämmerte ihm, dass es sinnlos war. Das Scheppern der Schwerter, die Todesschreie der Verwundeten, das Wiehern der verängstigten Pferde, das unmenschliche Grunzen der Berserker – all das ließ Toste vor Angst schwindeln. Die Schlacht war noch im vollen Gange, doch schon jetzt hatten beide Seiten große Verluste erlitten.

Aus den Augenwinkeln heraus sah Toste Bolthor. Er trug keine Waffe mehr. Vor ihm stand ein Sachse mit Pfeil und Bogen. Bolthor beugte den Oberkörper, nahm Anlauf, rammte den Gegner und würgte ihn mit beiden Händen. Toste beobachtete, wie er anschließend ein sächsisches Breitschwert nahm und einem Mann den Kopf abschlug, als würde er sich eine Scheibe Wurst abschneiden. Danach nahm er den Kopf eines sächsischen Jünglings in seine prankenartigen Hände und gab ihm eine Kopfnuss, als hätte er mit einer Walnuss zu tun. Der Gestank des Todes schwebte wie ein Tuch über das Schlachtfeld.

Toste schüttelte den Kopf, um das Schwindelgefühl zu vertreiben. Mit einem Mal lief ihm ein Kribbeln über den Nacken. Vagn. Wo ist Vagn? Mit den Augen suchte er das Schlachtfeld ab und entdeckte ihn in einiger Entfernung. Sie hatten gar nicht gemerkt, wie das grausame Treiben sie weiter und weiter voneinander getrennt hatte.

Es war, als bliebe die Zeit stehen. Toste musste hilflos mit ansehen, wie ein sächsisches Langschwert das Kettenhemd seines Bruders auf Herzhöhe zerriss und die Klinge am Rücken wieder austrat. Er war über und über mit Blut besudelt – sein Gesicht, sein Körper und seine Füße.

Tostes und Vagns Blicke trafen sich. Wie so oft traten sie auf ihre ganz eigene Weise zueinander in Kontakt. Vagn schrie im Geiste auf. TOOOOSSSSTTTTTE! Mit Gesten in ihrer ganz persönlichen Geheimsprache, die niemand außer ihnen verstand, verabschiedeten sie sich: »Lebe wohl, Bruder. Ich habe dich immer geliebt.« Im nächsten Moment sank Vagn in die Knie, die Hände um das Schwert seines Angreifers gelegt – ein stämmiger Rotschopf mit einer Narbe im Gesicht, die vom Scheitel bis zum Kinn verlief. Den Stiefel gegen Vagns Schulter gestemmt, wollte der Sachse sein Schwert aus seinem Gegner herausziehen. Mit einem breiten Grinsen blickte er auf Vagn nieder. Trotz seiner Verzweiflung erkannte Toste den silbrig leuchtenden Adler auf dem feindlichen Panzerschild. Vagn lebte noch, wenngleich sein Leben an einem seidenen Faden hing. Sein Peiniger stieß ein grelles Lachen aus und überließ Vagn Gevatter Tod. Es schien ihm Spaß zu machen, Vagn einen langsamen Tod sterben zu lassen.

Pechschwarzer Nebel senkte sich über Toste. Das erste Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, am Rande des Wahnsinns zu balancieren. Er bleckte die Zähne und kämpfte sich mit einem ohrenbetäubenden Brüllen bis zu der Stelle vor, wo sein Bruder lag. Er kämpfte tapfer, stach rechts und links den Feind nieder, und das alles ohne Rückendeckung. Toste wusste, dass er in akuter Gefahr war, als er in Vagns blasses Gesicht blickte. Im selben Augenblick traf ihn ein kraftvoller Hieb am Kopf. Er sackte kraftlos zu Boden. Genau wie sein Bruder. Nein, sein Bruder lag auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen.

Tot! Sein Bruder war tot. Wie sollte er den Verlust jemals verkraften? Toste litt Höllenqualen, während er von der Ohnmacht übermannt wurde. Als ihm ein befreiender Gedanke durch den Kopf schoss, lachte er innerlich. Die Trauer um seinen gefallenen Bruder würde ihm erspart bleiben, weil auch er den Tod fand. Ein Leben ohne Vagn wäre eh sinnlos.

Einen sang- und klanglosen Tod hatte er ohnehin nie gewollt. Wikinger liebten den Heldentod. Dennoch hätte er gern noch einmal mit seinem Bruder gesprochen, ehe sie die Nachwelt betraten.

Ob wir uns in Walhalla wiedersehen? Oder vielleicht im Himmel der Christen?, fragte er sich. Ich wünsche es mir.

Man erzählt sich, dass die Einberiar, die kühnen Soldaten der Wikinger, die bei einer Schlacht fallen, kurz vor ihrem Tod das Aufblitzen der Schwerter der Walküren sehen. Dass die behelmten Jungfrauen auf Schimmeln reiten und dem toten Helden ihr Geleit nach Walhalla, Odins Empfangshalle in Asgard, geben.

Ich kann es kaum erwarten.

Toste entschlief mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Er konnte bereits die liebreizenden Jungfrauen sehen, die ihn davontragen würden. Stell dir Vagns Entzücken vor, wenn wir uns in Walhalla wiedersehen. Umringt von Jungfrauen.

Vielleicht war das Schicksal, das Odin für sie bereithielt, doch nicht so schlimm.

Manchmal möchten Mädchen (ja sogar Nonnen) einfach nur ein wenig Spaß haben ...

»Vergebt mir Vater, denn ich habe gesündigt«, beichtete die junge Frau, die auf der harten Fußbank aus Holz kniete. Ein Zittern begleitete ihre Worte. Dünne Nebelschwaden stiegen empor, als sie sprach. Meist war die Kapelle der Abtei St. Anna dunstig und kühl, doch Mitte November war es in Northumbria so eisig kalt, dass einem das Blut in den Adern gefrieren konnte.

Auf der anderen Seite des Beichtstuhls ertönte ein Stöhnen. »Schon wieder?«, fragte Vater Alaric und seufzte tief. »Ihr habt doch erst heute Morgen die Beichte abgelegt. Zusammen mit den anderen Novizinnen. Ihr könnt unmöglich in so kurzer Zeit schon wieder gesündigt haben ... in einem Nonnenkloster.«

»Ich habe mich der Gotteslästerung schuldig gemacht, als ich in der Sakristei in eine Lache von Schwester Georges Ziege getreten bin.«

»In der Sakristei?«, zischte Vater Alaric. »Also wirklich, so langsam reicht es mir, dass Schwester George meint, jedes Tier retten zu müssen, das ihr über den Weg läuft. Es grenzt an Frevel, dass die Viecher überall frei herumlaufen.«

»Wartet ab, bis Ihr das fünfbeinige Schwein gesehen habt, das sie jüngst adoptiert hat. Wenn mich nicht alles täuscht, macht es gerade ein Nickerchen. Im Taufbecken.«

»Wie bitte?«, entfuhr es Vater Alaric schrill, und er rief sich geschwind in Erinnerung, wo er war. »Zurück zu Eurer Beichte, Mylady. Welch schmutziges Wort habt Ihr denn benutzt?«

»Himmel, Arsch und Zwirn«, antwortete sie nüchtern.

»Himmel, Arsch und Zwirn«, murmelte der Pater, wobei nicht ganz klar war, ob er lediglich die Worte wiederholte oder gar selbst fluchte. Vater Alaric schnalzte mit der Zunge. »Die Stätte des Herrn grundlos in den Mund zu nehmen ist für eine Novizin mit höheren Ambitionen inakzeptabel.«

»Es fällt mir so schwer, immerzu artig zu sein«, erklärte Esme. »Du sollst nicht fluchen.« Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, nicht zu fluchen, wenn man inmitten von ständig schnatternden und überwiegend dümmlichen Nonnen und Novizinnen in einem Kloster lebt, das sich durch die Herstellung von Met über Wasser hält. »Du sollst nicht raffgierig sein.« Derjenige, der sich das ausgedacht hat, hat vermutlich nie unter den leeren Geldbeuteln eines Nonnenklosters zu leiden gehabt. »Du sollst nicht träge sein.« Vor Sonnenaufgang raus aus den Federn und Bettruhe erst lange, nachdem die Sonne untergegangen ist – und das alles ohne angemessene Pause. »Du sollst keine schmutzigen Gedanken haben oder dich der Sünde des Fleisches hingeben.« Als ob ich schmutzige Gedanken erkennen würde, wenn ich von ihnen umzingelt wäre! Was Letzteres betrifft: Ich habe seit zehn langen Jahren keinen Mann mehr zu Gesicht bekommen, bei dem mir das Wasser im Munde zusammengelaufen wäre. »Du sollst dich in Schweigen hüllen.« Mag schon sein, dass ich hin und wieder pfeife, schief singe oder ungefragt meine Meinung zum Besten gebe. »Du sollst nicht eitel sein.« Oh ja, ich bin unglaublich stolz auf mein Novizinnengewand aus Sackleinen. »Ha! Es gibt so viele Du-sollst und Du-sollst-nicht, dass es schwierig ist, den Überblick zu bewahren«, sagte sie schließlich an den ältlichen Geistlichen gewandt, der noch immer schnalzende Geräusche von sich gab.

»Lady Esme, ich bin mehr und mehr geneigt zu glauben, dass Ihr einfach nicht dafür bestimmt seid, das Leben einer Nonne zu führen.«

»Ich bin schon lange nicht mehr Lady Esme – Schwester Esme genügt.«

»Nicht, bis Ihr Euer Gelübde abgelegt habt. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, sinkt mit jedem neuen Tag«, erklärte er mit strenger Stimme, fügte aber sogleich etwas sanfter hinzu: »Seien Sie vernünftig, Lady Esme. Ihr weilt bereits seit elf Wintern hier ... seit Eurem dreizehnten Geburtstag ... und noch immer seid Ihr keine Braut Jesu. Kehrt heim. Seid Eurem Vater eine gute Tochter. Heiratet. Bekommt Kinder.«

»Niemals!«

Wieder ertönte das Schnalzen. »Euer Stolz wird stets ein Findling auf Eurem Weg zur Erleuchtung sein.«

»Nein, den einzigen Findling auf meinem Weg, den ich entdecken kann, ist mein Vater. Er sähe es nur zu gerne, wenn ich tot wäre oder mein Leben hinter klösterlichen Mauern fristen würde.«

»Lady Esme! Denkt an das Gebot unseres Herrn, das da lautet: Du sollst Vater und Mutter ehren.«

»Als der heilige Mann sich dieses Gebot hat einfallen lassen, kannte er meinen Vater noch nicht. Ein Teufel im Kettenpanzer.«

Durch die Trennwand konnte Esme nur wenig erkennen, hätte aber ihren Rosenkranz darauf verwettet, dass der Priester die Augen verdrehte und ein Stoßgebet gen Himmel schickte.

»Das reicht!«, sagte Vater Alaric schließlich. »Geht und haltet Euch von der Sünde fern, mein Kind. Tut Buße, indem Ihr ...«

Esme wusste mit einiger Sicherheit, was er ihr aufbrummen würde: ein Rosenkranzgebet auf dem Steinboden der zweiten Kapelle.

Doch dieses Mal hielt Vater Alaric eine Überraschung parat.

»Geht zu Mutter Wilfreda und den barmherzigen Schwestern im Steintal.«

Steintal? Warum schickt er mich ausgerechnet da hin? Habe ich nicht erst heute Morgen gehört, dass dort eine grausame Schlacht stattgefunden haben soll?

»Ich schicke Euch auf eine Mission der Barmherzigkeit. So Gott will, werdet Ihr jemandem das Leben retten ... eine höchste Form der Erbarmung.«

»Retten? Wen soll ich denn retten?« Esme glaubte, dass er von einem verwundeten Mönch oder einem sächsischen Soldaten sprach, der Hilfe brauchte. Mutter Wilfreda war eine bekannte Heilerin. Es kam oft vor, dass Wandersleute ihretwegen in die Abtei kamen. Aber wieder überraschte Vater Alaric sie.

»Einen Wikinger.«

Vögel mit höchst eigenartigem Gefieder ...

Toste lag auf dem kalten Boden des sächsischen Schlachtfeldes und wartete noch immer darauf, dass die Walküren ihn abholten und nach Walhalla brachten. Er hoffte inständig, dass es nicht mehr lange dauerte. Ihm war, als schlüge eine Trommel in seinem Kopf, der kurz davor war zu bersten.

Mit größter Kraftanstrengung öffnete er ein Auge. Seine Lider waren schwer wie Blei. Er richtete den Blick nach oben. Für gewöhnlich brachte ihn nichts so leicht aus der Fassung, aber was er jetzt sah, erschreckte ihn so sehr, dass er etwas sagte, das für einen gestandenen Wikinger eher peinlich war: »Igitt!«

Fünf Krähen mit schwarzem Gefieder standen im Kreis um ihn. Genau genommen hatten sie die Größe von Menschen und krächzten Sächsisch. Es mussten Todeskrähen sein. Er hatte schon oft Aasgeier gesehen, die in Vorfreude auf die sterblichen Reste ihre Kreise über Schlachtfelder zogen. Niemals aber hatte er sie von nahem gesehen. Er hätte nie gedacht, dass diese Viecher so riesig waren.

»Herrje, ist der groß«, krächzte eine der Krähen. »Wie sollen wir den bloß tragen?«

Was ist an Größe denn so schlimm?

»Vielleicht gelingt es uns, ihn bis zum Karren zu schleifen.«

Vögel, die Karren besitzen?

»Spinnst du? Der Mann ist halb tot. Das würde er nicht überleben.«

Schlaues Köpfchen. Lasst mich einfach liegen.

»Jede von uns nimmt einen Arm oder ein Bein. Ja, so machen wir es.«

Einen Arm oder ein Bein nehmen? Verdammt noch mal! Die wollen mich zerstückeln, mir das Fleisch von den Knochen picken.

»Das würde ihn erst recht umbringen.«

Wie wahr, wie wahr.

»Vermutlich stirbt er uns eh weg.«

Aber, aber, ein bisschen mehr Optimismus könnte nicht schaden.

»Sein Haar gefällt mir. Ein Hauch von Silber, ein Hauch von Gold.«

Was für eine Rolle spielt meine Haarfarbe? Tot ist tot.

»Also wirklich. Wen interessiert schon, welche Farbe sein Haar hat! Schau dir die Muskeln an Schultern und Armen an. Er könnte für uns den Pflug ziehen ... vorausgesetzt, er überlebt.«

Wie bitte? Seit wann bestellten die Krähen des Todes Felder?

»Er ist ein Heide«, jammerte eine der Vögel. »Warum sollten wir einen heidnischen Wikinger retten?«

Nun, wenn man es genau nimmt, bin ich getauft. Ihr dürft mich einen »heidnischen Christen« nennen.

Wiederum eine andere Krähe, augenscheinlich die Anführerin, gab ihrer jammernden Freundin einen leichten Schlag auf den Kopf. »Schäm dich! Der Allmächtige hat mit allen Menschen Erbarmen.«

Gott? Aha. Vielleicht komme ich doch nicht nach Walhalla.

Sein Verdacht bestätigte sich, als die Krähen ihn an Armen und Beinen packten und unsanft emporhoben. Ein stechender Schmerz schoss von seinem gespaltenen Schädel durch seinen geschundenen Körper – irgendein sächsischer Bastard muss mir eine Lanze in die Seite gerammt haben, nachdem ich von dem Schlag auf den Kopf umgefallen bin – bis hinunter zu seinen erfrorenen Zehen, ehe Toste in das wohlige und weiche Bett der Ohnmacht fiel. Wenn er Glück hatte, bekam er nicht mehr mit, wie die Krähen ihn zerfleischten.

Ist gut abgehangen dasselbe wie gut gehangen?

»So!«, seufzte Esme, als sie den gefallenen Wikinger betrachtete, der auf einer harten Pritsche in einer der Gästezellen der Abtei lag. Das prasselnde Feuer in ihrem Rücken war wunderbar warm an einem solch kalten Tag. »So, so, so.«

»So ist es!«, pflichtete ihr Schwester Margaret bei, die auf leicht schwankenden Füßen stand, weil sie im Anschluss an den zermürbenden Ausflug auf das Schlachtfeld ihre neueste Charge Met verköstigt hatte. Margaret war die Tochter eines berühmten sächsischen Bierbrauers und hatte sein Rezept für Honigwein mit ins Kloster gebracht. Genau genommen gäbe es die Abtei längst nicht mehr, wenn der Handel mit dem Honigwein, den sie Margarets Met getauft hatten, nicht einigermaßen Profit abwerfen würde. Esme war eine gute Gärtnerin und bewies beim Gemüseanbau ihr Geschick.

Aber all das spielte im Augenblick keine Rolle. Im Moment interessierte einzig der blonde Nordländer, der bewusstlos und splitterfasernackt wie ein Säugling vor ihnen lag. Nein, das war keine angemessene Beschreibung. Dieser Mann war beileibe kein Kind mehr. Wäre er noch ein Grünschnabel, würden sie ihn nicht so anstieren. Abgesehen von dem Schädelbruch schien er keine weiteren äußeren Verletzungen davongetragen zu haben – aber davon mussten sie sich natürlich selbst überzeugen. Mutter Wilfreda hatte ihre heilende Waschung an ihm durchgeführt und kurz den Raum verlassen, um ihr Kräuterkistchen zu holen.

»Also!«, fügte Schwester Mary Rose hinzu, eine eher weltlich orientierte Nonne, die in ihrem früheren Leben gefälschte Relikte auf den Kirchenstufen des päpstlichen Mönchsklosters in Rom verkauft hatte. Hin und wieder – immer, wenn das Nonnenkloster in einer Finanzkrise steckte, was leider recht häufig vorkam – handelte sie noch mit Zehennägeln des kleinen Jesus oder Wimpern der Jungfrau Maria. »Ich habe schon viele Männer zu Gesicht bekommen. Der hier ist mit Abstand das attraktivste Exemplar. Der Herrgott hat es wahrlich gut mit ihm gemeint.«

Esme, die den Wikinger lediglich mit ihren fünf verhassten Brüdern vergleichen konnte, stimmte Mary Rose von ganzem Herzen zu. Sein erschlafftes Gemächt wirkte riesig.

Mit Ausnahme von Schwester Hildegard, die entsetzliche Angst vor Wikingern hatte – sie betete einen Rosenkranz und murmelte etwas von heidnischen Schändern und Plünderern –, starrten alle Nonnen auf die offen liegende Mannheit.

»Ich glaube, es hat sich bewegt«, meldete sich Schwester Ursula, die immerzu nach Honig duftete. Sie war die Imkerin und lieferte Honig für den Met und Wachs für die Kirchenkerzen. Schwester Ursula war ein wenig kurzsichtig und hatte den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt und die Augen zusammengekniffen, um besser sehen zu können. Die anderen, die keine Sehprobleme hatten, taten es ihr dennoch gleich, um einen besseren Blick zu erhaschen. So sehr Esme das Gemächt des Fremden auch studierte, sie konnte keine noch so winzige Bewegung ausmachen.

»Was auch immer ihr tut, ihr dürft ihn dort bloß nicht berühren«, riet Schwester Stefana ihnen.

Als käme eine von ihnen auf solch eine ekelhafte Idee!

»Ich habe gehört, dass es bei der kleinsten Berührung aufplatzt und riesig groß wird«, merkte Schwester Hildegard an. »Es heißt, Schändungen und Plünderung seien den Wikingern in die Wiege gelegt.«

Alle blickten zu Schwester Hildegard und fragten sich, was genau sie meinte. Ihr Hass auf alles, was mit Wikingern zu tun hatte, schwang in jedem Wort mit. Aber sie hatte recht. Es war das Beste, kein Risiko einzugehen. Nicht, dass auch nur eine von ihnen Lust hatte, so ein hässliches, verschrumpeltes Anhängsel anzufassen.

Es grenzte an ein Wunder, dass der Nordländer die Schlacht überlebt hatte. In seinem Schädel klaffte eine entsetzliche Wunde. Noch wundersamer war, dass ihn die holprige Fahrt über die zerfurchten Straßen nicht umgebracht hatte. Sie hatten ihn gemeinsam mit einem anderen Wikinger zur Abtei gebracht.

Das größte Wunder wäre jedoch, wenn ihn das Fieber, das in seinem Körper wütete, nicht dahinraffen würde. Er hatte einen sehr, sehr gut gebauten Körper, wohlgemerkt. Angefangen von seinen markanten Gesichtszügen – ein niedliches Grübchen am Kinn und einen vollen, sinnlichen Mund – über die breiten Schultern, die schmale Taille und das schmale Becken bis zu seinen Füßen, die einen kunstvoll gebogenen Spann hatten. Wenn da nur nicht sein Gemächt wäre, das Esme ein wenig abstoßend fand und sie längst nicht so sehr in seinen Bann zog wie das kleeblattförmige Muttermal an der Innenseite seines Oberschenkels.

Mutter Wilfreda klatschte laut in die Hände, als sie in die Zelle zurückkam, und warf sogleich ein Leinentuch über seinen nackten Körper, ehe sie ihm durch die halb geöffneten Lippen heißen Kräuterwein einflößte. Anschließend knöpfte sie sich die Nonnen vor: »Schwestern! Habt ihr nichts Besseres zu tun, als herumzustehen und einen Mann anzustarren? Schwester Margaret, Schwester Ursula, geht ans andere Ende des Korridors, und helft Vater Alaric mit dem anderen Wikinger, den wir gerettet haben. Wir mussten den einäugigen Hünen an der Pritsche festbinden, damit er sich die heißen Breiwickel nicht vom Leib reißt. Kein leichtes Unterfangen, sage ich euch. Bei der Jungfrau Maria, der Mann wiegt so viel wie ein Schlachtross. Lady Esme, Ihr bleibt hier und passt auf den Soldaten auf. Sollte er aufwachen oder zum Herrn gerufen werden, so holt mich. Die anderen folgen mir in die Kapelle. Wir werden für die Seelen der beiden beten. Der Allmächtige dürfte seine Gründe haben, warum er sie in unsere Obhut gegeben hat.«

So kam es, dass Esme allein zurückblieb und am Bett des Verletzten Wache hielt. Wieder und wieder fragte sie sich, warum der Allmächtige den heidnischen Wikinger ausgerechnet in ein heruntergekommenes Kloster voller kreuzdummer Nonnen geschickt hatte.

Was sollte ein Wikinger tun, wenn eine Dame sagt: »Ess mich«?

Toste kämpfte verzweifelt darum, dem Meer der Bewusstlosigkeit zu entsteigen, dessen Strömungen ihn in die Tiefe reißen wollten. Ihm war, als ertränke er in Schmerzen. Sein Schädel dröhnte, seine Lende stand in Flammen. Wie konnte es sein, dass seine Haut trotz des eisigen Meerwassers zu verbrennen drohte?

Flatternd öffnete sich eines seiner bleiernen Augenlider ... und er fand sich in einem kleinen und spartanisch eingerichteten Gemach wieder. Und nicht auf dem Schlachtfeld. Im Kamin knisterte zwar ein Feuer, und in der Luft hing der Duft nach Wachskerzen, aber er konnte nirgends Anzeichen für Luxus erkennen. War er gestorben? War dies der goldene Saal von Asgard, von dem alle sprachen? Nein, er musste die Verletzung überlebt haben und war an einen anderen Ort gebracht worden. Unter größter Kraftanstrengung drehte er den Kopf zur Seite, und sein Blick fiel auf eine Frau, die auf einem niedrigen Schemel rechts von der Pritsche saß, auf der er lag. Sie hatte den Blick in ihren Schoß gerichtet und nestelte an einer Perlenkette. Sie war schön ... nein, schöner als schön. Ein schwarzer Schleier hielt ihr das dunkle seidige Haar aus dem Gesicht. Ihre Gesichtszüge waren makellos. Sie hatte eine gerade Nase, nicht zu groß, nicht zu klein, vielleicht ein leichter Hang zu einer Stupsnase. Ihre Haut war rein und samten. Wie Porzellan, das er einst auf einem Markt in einer Stadt im fernen Osten gesehen hatte. Ihre Lippen hatten die Farbe von Rosenknospen. Sie waren üppig und bettelten darum, geküsst zu werden.

Was sind das für Gedanken? Ich bin doch so gut wie tot! Ein Toter voller Wollust! Dass ich nicht lache. Heiliger Thor, mein Schädel ist in zwei Teile gespalten, und ich mache Scherze mit mir selbst.

Er musste eine Art Grunzen ausgestoßen haben, denn die Fremde blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Sie waren graublau und voller Besorgnis. »Ihr seid ja wach!«, sagte sie.

Wie man’s nimmt.

»Ich werde die Mutter Oberin holen.«

Toste hob schwankend die Hand. »Wartet«, krächzte er.

Als er ihre Figur bemerkte, die von einem formlosen schwarzen Umhang verhüllt wurde, der perfekt zu dem Schleier passte, wurde Toste schlagartig klar, wo er war. Sie war eine Nonne. Und die schwarzen Raben, die er auf dem Schlachtfeld gesehen hatte, waren ebenfalls Nonnen gewesen. Es war eigenartig, aber er spürte einen gleißenden Stich im Herzen, weil die schöne Unbekannte sich für ein Leben an der Seite Gottes entschieden hatte ... und weil er nicht tot war.

Er unternahm mehrere Versuche zu sprechen – er hatte so viele Fragen –, aber er fand partout nicht die passenden Worte, so groß war seine Verwirrung. Nach langem Ringen stellte sich ein Erfolg ein, und er fragte: »Euer Name?«

»Esme«, flüsterte sie.

»Ess mich?«, wiederholte er. Es war nicht das erste Mal, dass eine Frau ihn bat, an ihr zu knabbern, aber vor ihm saß eine Nonne, Frigg seis getrommelt und gepfiffen. Er vermutete daraufhin, dass selbst Nonnen nicht vor fleischlichen Genüssen gefeit waren. Schließlich hatte er am eigenen Leib erfahren, wie es war, sich in Enthaltsamkeit zu üben. »Vielleicht später«, entgegnete er huldvoll. Im Moment war er sich nicht sicher, ob er den Kopf bewegen konnte, geschweige denn seine Zunge.

»Wie?« Sie schaute ihn einige Momente lang entgeistert an, ehe sie verstand. »Oh, Ihr wollüstiger Wüstling! Wieso haben wir uns eigentlich die Mühe gemacht, Euch zu retten?« Wenn er nicht geschwächt wäre, hätte sie ihm nur allzu gern eine Ohrfeige gegeben – so zumindest hatte es den Anschein.

Retten? Du hast mich gerettet, Schönheit? Hm. Ich frage mich ... Könnte es sein, dass ... oh, bitte, Odin oder Gott, es ist mir einerlei, wer von euch beiden mich hört ... bitte lasst es möglich sein ... »Schwester?«, fragte er die Nonne vorsichtig. Sie rang nervös die Hände und blickte unruhig zwischen der Pritsche und der offen stehenden Tür hin und her, als dächte sie über eine Flucht nach.

»Ihr dürft mich Lady ... Lady Esme nennen«, wies sie ihn hochmütig zurecht.

Aha, das war also der Grund für ihre üble Laune. Er hatte ihren Namen falsch verstanden. Sein Versuch, ein Lächeln zu Stande zu bringen, scheiterte kläglich. Die Muskeln, die er dazu brauchte, fühlten sich an, als wären sie halb durchtrennt worden. Vagn würde einen Lachanfall bekommen, wenn er ihm erzählte, dass er »Ess mich« statt »Esme« verstanden hatte.

Das war das Stichwort.

»M’lady, haben die barmherzigen Schwestern dieses Klosters noch jemanden außer mir gerettet?«

Sie nickte bedächtig.

Toste schöpfte neue Hoffnung. Oh, bitte, Lord und Odin und alle anderen Götter dieser Erde, bitte macht, dass Vagn nicht gestorben ist! Wenn er lebt, werde ich für den Rest meines Lebens ein guter Mann sein.

»Noch einen anderen Wikinger außer Euch«, sagte sie.

Ich werde in Zukunft nur noch gute Taten tun. Ich werde nie wieder fluchen ... es sei denn, meine Geduld wird strapaziert. Ich werde keine Jungfrauen mehr verführen ... es sei denn, sie flehen mich an. Ich werde nie wieder Kirchen plündern. »Wie heißt er?«

»Ich weiß es nicht. Er ist bewusstlos, genau wie Sie es waren. Er liegt in einer Zelle am anderen Ende des Korridors.«

Just in diesem Moment zerriss ein lautes Brüllen die Stille des Klosters. Toste hätte die Stimme mit verbundenen Augen erkannt. Es war Bolthor ... und nicht sein Bruder Vagn, wie er gehofft hatte. Ihn verließ der Mut ... nicht, weil Bolthor überlebt hatte, sondern weil Vagn vermutlich tot war.

»Gab es noch weitere Wikinger, die gerettet wurden?«

»Ich glaube nicht. Ihr und der Hüne wart die einzigen Lebenden, die wir haben finden können. Und glaubt mir, Mutter Wilfreda hat uns genötigt, genau hinzuschauen. Ich habe noch nie so viel Blut gesehen.« Sie schien seinen bestürzten Gesichtsausdruck bemerkt zu haben, denn sie hielt inne und fragte: »Gibt es jemanden, um den Ihr Euch besonders sorgt?«

Toste schluckte mehrere Male kräftig und nickte. »Mein Bruder«, flüsterte er. Und dann tat er etwas höchst Unerwartetes. Er schrie, so laut er konnte. Seine gesamte Trauer entlud sich in einem einzigen Wort: »Vaaaaagn!«

Seinem Wehgeschrei folgend, das durch Mark und Bein ging und das den Schicksalsgöttern galt, senkte sich wieder das schwarze Tuch über ihn. War es das Tuch der Bewusstlosigkeit oder das des Todes? Toste sehnte sich nach dem Tod.

Kapitel 2

Northumbria, 964 a. D.

Vagn, der Virile, trifft auf Helga, die Hässliche

»Entweder du heiratest meine Tochter, oder du wirst dir wünschen, du wärst tot«, zischte Graf Gorm Sigurdsson von Briarstead.

»Ich wünsche mir nichts sehnlicher als den Tod«, erwiderte Vagn Ivarsson nüchtern. Wenn diese ermüdende Diskussion mit Gorm nicht bald ein Ende nahm, würde einer von ihnen den Abend nicht mehr erleben. Dessen war er sich sicher.

Gorms Halsschlagader trat immer weiter hervor. »Wenn Wünsche Fische wären, Ivarsson, wärst du ein Wal.«

»Wenn Wünsche Fische wären«, äffte Vagn ihn nach. »Für was hältst du dich eigentlich? Einen Poeten? Ich sollte dich mal mit meinem Freund Bolthor bekannt machen.«

»Ich kenne Bolthor, und, nein, ich bin kein Poet. Du hast es mit einem wütenden Mann zu tun, der dein Leben in den Händen hält.«

Gorm, der auf einem Stuhl an der Wand saß, war anzusehen, dass er sich größte Mühe gab, seine Wut zu zügeln. Gequält lehnte er sich zurück und genehmigte sich einen großen Schluck Bier aus seinem irdenen Becher. »Sei gewarnt, du schmieriger Schweinehund. Wenn du nicht bald tust, was ich sage, sorge ich dafür, dass du einen qualvollen Tod erleidest. Entweder lasse ich dir die Haut vom Leib reißen ... oder dir die Eier abschneiden.«

»Nichts als leere Versprechungen«, preschte Vagn vor ... und hoffte, er würde dieselbe Kühnheit an den Tag legen, wenn Gorm seine Drohungen wahr machte. Jetzt, da sein Bruder nicht mehr war, hatte er nicht länger Angst vor dem Tod ... Doch gehäutet oder kastriert zu werden? Nein! Bolthor hatte einst eine Ode über Gorm geschrieben, in der es darum ging, dass Gorm einem seiner Feinde die Zunge abgeschnitten und roh verspeist hatte. Es war jedoch nie ganz sicher, ob Bolthors Geistesprodukte auf wahren Begebenheiten beruhten oder seiner Fantasie entsprangen.

Vagn lag auf dem Rücken. Man hatte ihn auf einer Pritsche in einem der oberen Gemächer von Gorms Holzfestung in Northumbria festgebunden und vor der Tür eine Wache postiert. Aufgrund des prasselnden Feuers in dem kleinen Kamin war es unerträglich warm im Raum. Vagn leckte sich die aufgeplatzten Lippen. Um keinen Preis der Welt wollte er seinen Peiniger anbetteln. Nicht um einen Schluck Wasser ... und schon gar nicht um seine Freilassung.

Seit der Schlacht im Steintal waren gut zwei Wochen vergangen. So manches Mal hatte er gedacht, er müsse sterben. Jetzt, da er auf dem Weg der Besserung war, sehnte er sich nach dem Frieden, den der Tod mit sich brachte. Wer hätte gedacht, dass die Nornen des Schicksals ihn so oft retten würden, um sein Leben ausgerechnet in die Hände eines Landsmannes – und nicht der feindlichen Sachsen – zu legen ... eines Landsmannes, der in Briarstead lebte, unweit von Jorvik, der nordischen Hauptstadt Britanniens? Es war einerlei, ob Gorm sich mit dem sächsischen Grafentitel schmückte oder nicht. Im Herzen blieb er ein waschechter Wikinger, genau wie Vagn.

»Ich werde Helga nicht heiraten.«

»Sie ist schon lange nicht mehr hässlich. Und Odin seis getrommelt und gepfiffen, sie ist noch immer jungfräulich.«

Wäre er nicht an Händen und Füßen gefesselt gewesen, hätte Vagn sich vor Wut die Haare ausgerissen. »Ob hässlich oder nicht und ihre Jungfräulichkeit hin oder her. Ich werde Helga nicht zur Frau nehmen. Weder sie noch eine andere, falls dich das tröstet. Such dir einen anderen. Schnür ihr eine hübsche Mitgift, und ich prophezeie dir, dass die Freier dir das Haus einrennen. Welcher Mann sucht sich seine Braut schon aus, weil sie gut aussieht?«

»Das ist nicht das erste Mal, dass du sie zurückweist ... wegen ihres Aussehens. Du warst es, der ihr den Spitznamen ›Helga, die Hässliche‹ verpasst hat. Hast es ihr nicht ins Gesicht gesagt, sondern in der Gegenwart vieler anderer.«

»Das habe ich nicht.«

»Du warst seinerzeit zehn Jahre alt, drei Jahre älter als Helga, aber sie kann sich bis heute daran erinnern ... auch wenn sie nie davon spricht. Doch ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern, du Stockfisch lutschende Ratte.«

Ach du meine Güte! War das damals, als Toste und ich getrennt waren? »Zwanz-wanzig Jahre«, stotterte Vagn. »Du grollst mir wegen etwas so Nichtigem seit nunmehr zwanzig Jahren?« Es ist einerlei, was du sagst: Helga muss noch immer schrecklich hässlich sein, wenn sie mit achtundzwanzig noch nicht verheiratet ist. Eine alternde Jungfer! Igitt!

»Du hast sie ›Helga, die Hässliche‹ genannt. Das hat ihr arg zugesetzt. Zudem hast du sie bei der Verlobungsfeier stehen lassen. Damals, als du fünfzehn warst. Das ist in meinen Augen alles andere als nichtig.«

»Ich sag dir doch, dass ich nicht Toste bin, sondern sein Zwillingsbruder. Er war damals noch ein Grünschnabel, Himmel, Arsch und Zwirn!« Bei der Erwähnung des Namens seines Bruders schossen Vagn die Tränen in die Augen. Er war noch immer nicht über den Tod seines Bruders hinweg. Wie sollte er weiterleben, wenn ein Teil von ihm fehlte? Wie sollte er sich um Gorm oder seine Drohungen kümmern ... oder um eine alternde Jungfer, wenn er keinen Halt mehr im Leben hatte?

»Wenn ich sage, du bist Toste, dann bist du Toste«, knurrte Gorm. »Dein Vater hat dich meiner Tochter versprochen, als du noch ein Säugling warst. Dieses Mal wirst du dich nicht vor der Hochzeit drücken, Bursche. Dieses Mal entkommst du mir nicht.«

»Ich ... bin ... nicht ... Toste.«

»Sie ist zwar flachbrüstig und dürr wie ein Besenstiel, aber vielleicht kannst du sie ja ein wenig aufpäppeln«, fuhr Gorm fort, als hätte Toste nichts gesagt. »Zugegeben, sie ist zuweilen eine echte Kratzbürste, doch das liegt vermutlich daran, dass du sie damals sitzen gelassen hast. Ihre Weiblichkeit ist seitdem zu getrockneten Rosinen verschrumpelt. Sie ist so unabhängig wie ein Mann – sie handelt mit Stoffen, musst du wissen –, aber ein gestandener Nordländer dürfte keine größeren Probleme haben, sie in ihre Schranken zu weisen. Ach ja, und außerdem hat sie noch alle Zähne.«

Aaaahhhh! Die ganze Zeit über, die Vagn als Gorms Gefangener gefristet hatte, war Helga fort gewesen ... auf einer Handelsreise nach Nordland, wo ihr Großvater mütterlicherseits lebte. Gorm hatte mehrere Ehefrauen überlebt, darunter auch Helgas Mutter und letzte Gemahlin, ein sächsisches Burgfräulein. Helga wurde bei der nächsten Flut mit einer Schiffsladung bestickter Stoffe für ihren Marktstand in Jorvik zurückerwartet. Das hat mir gerade noch gefehlt – eine Frau, die Handel betreibt und obendrein nicht sonderlich feminin ist. Wie war das mit den verschrumpelten Körperteilen? Rosinen? »Wieso glaubst du, dass sie mich überhaupt zum Manne nehmen würde?«

»Ihre Meinung interessiert nicht. Ich habe hier das Sagen.«

Vagn bemerkte, wie ein eigenartiger Ausdruck in Gorms Gesicht trat. Vagn kniff die Augen zusammen und studierte den alten Mann ein wenig genauer. »Sie weiß gar nichts von meiner Entführung, habe ich recht?«

»Ich habe dich nicht entführt. Ich habe dir lediglich das Leben gerettet.« Gorms trübe, alte Augen wanderten im Raum umher, mieden es aber, Vagn direkt anzuschauen.

»Ha!« So viel zum Thema Haarspalterei!

»Sie wird dich akzeptieren, sobald sie sich an den Gedanken gewöhnt hat.«

»Ha!« Da kennst du aber die Frauen schlecht!

»Ein Mann hat ein Recht auf Enkelkinder«, fügte Gorm schmollend hinzu.

Aha, darum geht es also die ganze Zeit. »Vielen Dank für das Vertrauen, das du in mich setzt, aber du musst dir einen anderen Zuchtbullen suchen.«

»Drei Ehefrauen und Odin wissen, zwischen wie vielen Schenkeln ich bereits gelegen habe. Und was ist dabei herausgekommen? Nur ein einziger Spross. Ich wünsche mir so sehnlich Enkelkinder. Am liebsten Enkelsöhne.«

Als Vagn unwillkürlich grinsen musste, platzten seine spröden Lippen auf und begannen zu bluten. Allem Anschein nach steckte hinter der rauen Schale des alten Bastards doch ein weicher Kern. Was aber noch lange nicht hieß, dass er ihm nicht bei lebendigem Leib die Haut abzog ... oder ihn entmannte, wenn ihm der Sinn danach stand.

»Das ist nicht lustig.«

»Im Gegenteil, im Grunde ist das zum Brüllen komisch. Aber selbst wenn du mir ein Lächeln entlockt hast, heißt das noch lange nicht, dass ich deine Tochter heiraten werde. Sei so nett und reich mir endlich den Becher dort drüben. Und bind mich los, ehe ich mich einnässe.«