Der Ruf aus dem Äther - Paul Rosenhayn - E-Book

Der Ruf aus dem Äther E-Book

Paul Rosenhayn

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Beschreibung

"Nur so viel darf ich Ihnen sagen: das Technische, der Apparat, die Maschine sind, wenn nicht alles täuscht, nur die Eierschalen, die dem jungen Küken, genannt ›Radio‹, noch anhaften, das Körperliche, aus dem es hervorgegangen ist und das es langsam im Begriff ist abzustreifen. In zwanzig Jahren werden wir per Radiowelle sprechen – ohne Telephon und ohne Kondensator und ohne Batterie, versteht sich, von Gehirn zu Gehirn." Der Krebsarzt Dr. Griggs ist ein Visionär – aber mehr als nur das: Er verfügt auch über außergewöhnliche Fähigkeiten. Diese präsentiert er seinen Bekannten Herr Kjelland und dem Radioexperten Oevelund, indem er Kjellands Jugendfreundin und einstige Fast-Verlobte, die Baronin Astrid Laurgaard, allein durch Gedankenkraft aus der Ferne dazu zwingt, die Lobby des Hotels aufzusuchen, wo Herr Kjelland auf sie wartet. Fernmanipulation via telepathischer Funkwellen? Ovelund versucht eine Erklärung: "Wenn ich recht verstehe, so hätten Sie an sich die Entdeckung gemacht, daß Sie imstande sind, diese Gehirnwellen zu erzeugen und auszusenden. Und ferner hätten Sie die Baronin Laurgaard als ein befähigtes Medium erkannt, die Wellen aufzunehmen." Recht verstanden! Aber das ist erst der Anfang. Griggs erhält nun selbst einen geheimnisvollen Anruf aus dem Äther, und ist bald überzeugt: "Ich halte diesen Anruf für eine Botschaft von einem anderen Planeten!" Aber muss eine Zivilisation auf dem Saturn der unseren nicht heillos überlegen sein? Und was würde uns ein Kontakt bringen? Segen? Oder vielmehr Fluch, Wahnsinn, Untergang? Paul Rosenhayns lange zu unrecht vergessener früher deutscher Science-Fiction-Roman vermag noch heute – und vielleicht gerade heute wieder! – nicht nur den Science-Fiction-Fan zu fesseln und zu faszinieren.-

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Paul Rosenhayn

Der Ruf aus dem Äther

Roman

Saga

Der Ruf aus dem Äther

© 1924 Paul Rosenhayn

Cover image courtesy of Freepik.com

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711592601

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

I

„Sauternes!“ sagte Lars Oevelund. Bringen Sie Sauternes!“

Der Speisesaal war nicht sonderlich gross. Er war völlig in pompejanischem Rot gehalten, das wie dunkle, ruhige Flammen an den schlanken Säulen emporstieg. Das Orchester war nicht sichtbar; es mochte in einer der kleinen blumenbedeckten Logen der Galerie versteckt sein. Der Saal war erfüllt von jener sanften und zärtlichen Atmosphäre, die sich aus Duft, Musik und Flirt zusammensetzt, und das Gewoge der Sprachen, das in zerrissenen Intervallen durch den Raum klang, war völlig international.

„Man hört kaum ein dänisches Wort!“ lachte Griggs.

Ulsaker nickt.

Die andern nickten, und Ulsaker sagte:

„Das ist ein Glück. Es bedeutet für uns Kopenhagener, dass der Winter vorbei ist.“

Die hohen Glastüren pendelten auf, ein Schwarm neuer Gäste flutete herein. Feuchtschimmernde Pelze trugen den herben Duft des jungen Vorfrühlings da draussen wie eine fremde und feindselige Welle in den Saal.

„Da kommt der Sauternes“, sagte Kjelland.

Das Adagio der Geigen setzte ein; das Stimmengewirr im Saal verstummte, seltsam genug, auf einen Schlag.

„Welche fremdartige Harmonie“, flüsterte Ulsaker; „ich habe nie etwas Ähnliches gehört.“

Oevelund blickte hinüber: „Es ist die neue Oper von Pizzetti ‚Debora et Jaele‘.“

„Sie kennen doch alles!“

„Ich war zufällig in der Premiere: im Scala-Theater in Mailand; Toscanini dirigierte, das war, offen gestanden, der Grund, warum ich hineinging. Die Musik wird Ihnen Freude machen: Pizzetti hat eine völlig abwegige Art, die Singstimme in Gegensatz zum Orchester zu führen; auf der Bühne ein kontinuierliches Rezitativ, im Orchester unabhängig davon eine farbenreiche Tonfülle, die ständig mit der Singstimme kämpft.“

Kjelland hatte die Gläser gefüllt, und leise sagte er: „Es ist schade, dass wir die jüngeren Italiener so spät nach Kopenhagen bekommen. Ich habe weder Alfano noch Francesco Malipiero bisher auf der Bühne gehört. Dabei besitze ich fast alle ihre Opernpartituren und habe sogar ...“ Er verstummte plötzlich und wandte verwirrt den Kopf zur Seite.

Ulsaker blickte ihn an: „Was haben Sie, Kjelland? Sie sind blass geworden.“

„Nichts.“ Kjelland zuckte die Achseln, aber der befangene Ausdruck seiner Miene schien sich eher zu verstärken, während er mit einem Eifer, der in keinem rechten Verhältnis zur Sache stand, das Glas ergriff und an den Mund führte.

„Ich liebe Alfano“, sagte Griggs. „Ich kenne keinen Komponisten, der so charakteristisch orchestriert wie er. Er ist übrigens ausgesprochener Mystiker. Kennen Sie seine Oper ‚Don Juans Schatten‘? Wir hatten sie in New York im Metropolitan. Er bringt darin eine seltsame Neuerung: Chöre ohne Worte. Damit ruft er eine Stimmung hervor, wie ich sie noch kaum in einer Oper erlebt habe; diese Massenbewegung mit Gesang ohne Text gibt der Szenerie eine ganz bestimmte und völlig einheitliche Farbe, die augenblicklich wechselt, sobald sich das Tonbild ändert.“

„Expressionismus ins Musikalische übertragen!“ nickte Oevelund. „Sagten Sie etwas, Herr Kjelland?“

Der Gefragte fuhr zusammen und löste seine Augen gewaltsam von der Loge dort drüben.

„Welch eine schöne Frau!“ flüsterte Griggs. „Sicher eine Ausländerin.“

Ulsaker schüttelte den Kopf. „Nein, sie ist Dänin.“

„Sie kennen sie?“

Es schien, als ob Ulsaker einen zögernden Blick auf Kjelland werfe und als ob dieser die Achseln zucke.

„Ja, ich kenne sie oberflächlich. Es ist die Baronin Astrid Laurgaard, und der Herr an ihrer Seite ist der Kammerherr Kai Gandrup.“

„Hören Sie nur dieses wundervolle Stakkato“, sagte Kjelland.

„Es ist in der Tat sehr schön“, pflichtete ihm Griggs bei. Und mit einem verschmitzten Augenzwinkern setzte er hinzu: „Immerhin finde ich eine schöne Frau wie die dort drüben reizvoller als alle Pizzettis der Welt.“

„Ich bewundere Sie“, sagte Oevelund. „Ich hörte von Ihren vielen Patienten, die Sie in einer Weise betreuen, die sicher den ganzen Menschen in Anspruch nimmt. Und dazu ein so erschütterndes Gebiet, das Sie sich gewählt haben ... Der ständige Anblick der Krebskranken müsste, deucht mich, das Gefühl für das Schöne in der Welt zerstören — ja, allen Glauben an das Helle und Freundliche ersticken. Ich wenigstens kann mir nicht denken, dass ich meines Lebens jemals wieder froh würde, nachdem ich vielleicht fünf Minuten vorher den Anblick der lebendig Verwesenden gehabt hätte — die auf mich hoffen und denen ich dennoch keine Rettung bringen kann.“

Griggs stellte das Glas nieder. „Wohin sollte das führen, mein lieber Herr Oevelund, wenn wir Menschen, wenn wir Ärzte uns auf Anhieb unterkriegen lassen würden? Wer sagt Ihnen übrigens, das wir nicht helfen können?“

„Krebs ...!“

„Ich kann Ihnen von soundso vielen Fällen des Karzinoms berichten, deren Heilung geglückt ist. Und selbst wenn es nicht der Fall wäre: was gestern unmöglich war, kann morgen erreicht sein. Wir führen einen ständigen Kampf, wie der Soldat im Felde. Und wir holen die Kraft zu diesem Kampf aus der Überzeugung, dass wir endlich die Sieger sein werden. Aber der Sieg ist, wie überall, kein Dreh, den man plötzlich findet, er ist Kleinarbeit, die Ausdauer und Nervenkraft verlangt.“

Das Orchester hatte geendet; leiser, gewissermassen respektvoller Beifall setzte ein.

„Haben Sie unter Ihren Patienten“, begann Oevelund, „nicht einen Herrn Lumbye?“

„In der Tat.“

„Sie müssen zugeben, dass er unheilbar ist. Kein Gott kann ihn retten. Gleichwohl hat man seinen Wunsch, ihn in das Sanatorium des Doktors Griggs zu schicken, erfüllt. Denn Lumbye ist sehr reich. Aber Hand aufs Herz, Doktor: ihn werden Sie nicht heilen!“

„Wir sprechen unausgesetzt von mir“, lächelte Griggs, „und von meinen Angelegenheiten — die nicht einmal ausschliesslich meine Angelegenheiten sind. Ich denke, es gibt weit Interessanteres als diese traurigen Dinge. Ich will Ihnen sogar gestehen, dass ich mich in meinen Mussestunden mit Liebhabereien befasse, die nichts mit Medizin und mit Karzinomen zu tun haben. Gott sei Dank: nichts!“

„Radio!“ sagte Ulsaker.

„In der Tat. Ich sehe schon das spöttische Gesicht des Herrn Oevelund — denn hier sind wir an dem Punkt angelangt, wo uns Herr Oevelund tausend Dinge zu erzählen haben wird, von denen wir uns keinen Begriff machen.“

„Ich bitte!“ wehrte Oevelund ab.

„Keine falsche Bescheidenheit! Ich habe Ihr Werk über die Möglichkeiten der Radiowelle gelesen; ich will Ihnen sogar das Geständnis machen, dass ich es bei mir trage; draussen im Mantel.“

Eine glückliche Röte überglänzte Oevelunds Gesicht. „Das freut mich aufrichtig.“ Und als jemand dazwischen lachte, fuhr er, ein wenig verwirrt, fort: „Nicht aus Eitelkeit, weiss Gott nicht. Aber es ist ein glückliches Gefühl, wenn man sich in Gedankenkontakt weiss.“

„Wie herrlich!“ seufzte Kjelland. „Dies wird ein technischer Abend.“

Griggs lachte: „Haben Sie keine Angst, Herr Kjelland. Es ist das Besondere des Themas ‚Radio‘, dass es in gerader Linie über das Technische hinausführt.“

„Nanu?“

„Das klingt vielleicht paradox, aber jede Erkenntnis ist, glaube ich, paradox. Sie brauchen sich nicht verzweifelt nach der Musik umzusehen, meine Herren, das Thema ist schon erledigt. Nur so viel darf ich Ihnen sagen: das Technische, der Apparat, die Maschine sind, wenn nicht alles täuscht, nur die Eierschalen, die dem jungen Kücken, genannt ‚Radio‘, noch anhaften, das Körperliche, aus dem es hervorgegangen ist und das es langsam im Begriff ist abzustreifen. In zwanzig Jahren werden wir per Radiowelle sprechen — ohne Telephon und ohne Kondensator und ohne Batterie, versteht sich, von Gehirn zu Gehirn.“

Oevelund blickte auf. „Das klingt nach Jules Verne.“

Der unsichtbare Kapellmeister gab das Anfangszeichen; eine feine, silbrige Musik erfüllte kosend den Raum.

„Scriabine!“ sagte Oevelund.

„Ja!“ bestätigte Kjelland. „Es ist die dritte Etüde von Scriabine.“

„Ich sehe,“ staunte Griggs, „wir sind ein Kongress von Musiksachverständigen.“

Ulsaker lachte: „Kjelland hat keine Ahnung von Musik; die dritte Etüde von Scriabine ist das einzige, was er kennt.“ Und indem er sich einen Ruck gab, um dem strafenden Blick Kjellands auszuweichen, setzte er hinzu: „Diese Etüde ist nämlich das Lieblingsstück der Baronin Laurgaard, die dort oben sitzt — und ich bin sicher, dass sie es ist, die es bestellt hat.“

„Baronin Laurgaard“, wiederholte Griggs, indem er den Blick auf Kjelland heftete. „Sie kennen sie also?“

Kjelland sah bös an Ulsaker vorbei. „Flüchtig“, sagte er schliesslich in gleichgültigem Ton.

„Wenn ich eigennützig wäre, würde ich Sie bitten, mich ihr vorzustellen. Sie ist in der Tat eine der schönsten Frauen, die ich bis heute gesehen habe.“

„Nichts wäre leichter als das, Herr Doktor“, sagte Kjelland, der unverwandt zur Loge hinaufsah. „Aber Sie werden wenig Freude daran haben. Die Baronin Laurgaard ist eine völlig empfindungslose Frau.“

Oevelund schürzte die Lippen, als ob er ein Lachen nur mit Mühe unterdrücke. „Ich glaube, es ist ein wenig kühn, von den intimsten Angelegenheiten einer Frau so ... wie soll ich sagen ... so diagnostisch zu reden. Ich habe gefunden, dass die temperamentvollste Frau auf den ersten Blick fast immer das Gegenteil schien. Denn es liegt auf der Hand: je kultivierter sie ist, desto mehr wird sie gelernt haben, ihre Gedanken und ihre Wünsche zu verbergen. Und nicht nur das: das wahre Temperament, ich möchte sagen: das echte Temperament einer solchen Frau will aufgesucht sein — es ist nicht da, es vibriert unter dem Aufklingen einer verwandten Saite. Um aber all diese geheimnisvollen Dinge, die wie halbe Töne zwischen Seelischem und Körperlichem schwingen — um alles dies erspüren zu können, bedarf es, glaube ich ...“

Eine kleine Pause entstand. Es war ungewiss, ob Oevelund das Wort suchte oder ob er aus irgendeinem bestimmten Grunde verstummte. Da sagte plötzlich Ulsaker mitten in die Gedankengänge der anderen hinein:

„Herr Kjelland war mit Astrid Laurgaard verlobt.“

Alle wandten sich zu Kjelland herum. Er war blass geworden, und während er unbeweglich in sein leeres Glas blickte, runzelten sich seine Brauen.

„Das ist freilich etwas anderes“, sagte Oevelund mit einer Stimme, in deren leisem Ton, vielleicht gegen seine Absicht, eine gewisse Schonung lag.

„Es ist nicht richtig, was Ulsaker Ihnen da erzählt. Ich war mit Astrid Laurgaard nicht verlobt. Aber ich kann nicht leugnen — dass ich den Wunsch hatte. Wir sind Jugendgespielen, Astrid und ich, und niemand auf der Welt steht ihr näher als ich — sie selbst hat es mir gesagt. Sie müssen deshalb zugeben, Herr Oevelund, dass ich ein gewisses Recht habe, hier, wie Sie sich ausdrücken: diagnostisch zu reden. Astrid hat mir erklärt, sie habe niemand auf der Welt lieber als mich. Dennoch sitzt sie mit einem Manne dort oben, mit dem sie verlobt ist ...“

„Eine Vernunftangelegenheit?“ fragte Griggs.

„Das ist ausgeschlossen. Dazu kenne ich die Baronin wirklich zu genau. Im übrigen ist sie reich; eine Veranlassung zu einer Konvenienzheirat liegt weiss Gott nicht vor.“

Griggs sah hinauf. Die beiden dort oben sahen sich in die Augen und lächelten — jenes zärtliche Lächeln, das seit Anbeginn der Welt die Begleitmusik junger Liebe ist.

Auch Kjelland sah nach oben. Nun traf sich sein Blick mit dem des Arztes.

„Vielleicht bedarf es dieses Umweges über den Kammerherrn Gandrup ...“

„Ich verstehe Sie nicht.“

„Vielleicht kehrt sie jetzt zu Ihnen zurück?“

Kjelland lachte nervös. „Ich sehe, Sie kennen die Frauen nicht. Und besonders: diese Frau nicht.“

„Ich kenne sie in der Tat nicht — aber ich glaube kaum, dass das viel zu bedeuten hat. Ja, ich glaube: je mehr wir uns über die Frauen den Kopf zerbrechen, um so mehr rücken sie von uns ab. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Frauen nicht ergründet, sondern genommen sein wollen.“

„Ich weiss nicht, wo Sie Ihre Erfahrungen gesammelt haben, mein lieber Herr Doktor Griggs — aber ich kann Ihnen sagen, dass Ihre Weisheit auf Astrid Laurgaard bestimmt nicht zutrifft.“

„Mag sein. Man soll nichts verschwören.“ Wieder blickte Griggs zur Loge hinauf — es mochte ein Zufall sein, dass im selben Augenblick Astrid Laurgaard den Kopf zu ihm herumwandte und ihn mit einem kurzen, betroffenen Blick ansah.

„Wie spät haben Sie’s?“ fragte Griggs.

Ein wenig erstaunt zog Kjelland die Uhr. „Dreiviertel Zwölf.“

„Was bekomme ich, wenn die Baronin Laurgaard — sagen wir: um eins ... nun, wohin soll sie kommen?“

„Ins Schreibzimmer des Hotels“, schlug Oevelund scherzend vor. „Dort ist um eins kein Mensch.“

„... also gut: ins Schreibzimmer des Hotels kommt?“

„Sprechen Sie im Ernst?“ fragte Kjelland und machte runde Augen.

„Aber ja.“

„Kennen Sie die Baronin?“

„Sie wissen selbst, dass ich sie nicht kenne.“

„Sie wollen also mit ihr sprechen?“

„Sie werden bis um eins mit mir zusammenbleiben und sich auf diese Weise überzeugen, dass ich nicht mit ihr sprechen werde.“

„Und Sie halten das, was Sie eben gesagt haben ...“

Mit einer leichten Ungeduld im Ton unterbrach ihn Griggs: „Sie können auch irgendeinen beliebigen anderen Ort und eine andere Zeit bestimmen.“

Kjelland sah ihn an: „Gut. Sagen wir um halb eins.“

„Er kann es vor Ungeduld nicht länger aushalten!“ lachte Ulsaker.

„Um halb eins: in der Lounge.“

„Gut. Sie werden also um halb eins die Baronin Laurgaard in der Lounge dieses Hotels erwarten.“

„Und wenn sie nicht kommt?“ warf Ulsaker dazwischen.

„Werden Sie dann Ihren ausgezeichneten Pommery ...“

„Nichts von Pommery“, schnitt ihm Kjelland das Wort ab. „Ich muss Sie bitten, Astrid Laurgaard nicht zum Gegenstand einer Wette zu machen.“ Er wandte sich an Griggs: „Wenn das ... wenn Ihre Prophezeiung misslingt, was ich, offen gestanden, erwarte, so betrachte ich die Angelegenheit als erledigt, und ich glaube, ich brauche keinen der Anwesenden besonders zu bitten, darüber zu schweigen.“

Griggs nickte. „Dennoch möchte ich Ihnen, wenn ich so sagen darf, einen Preis vorschlagen. Nichts Konkretes, nichts, weder Pommery noch Chablis. Wenn meine Prophezeiung eintreffen sollte — mit anderen Worten, wenn die Baronin um halb eins in die Lounge kommen sollte —, so erbitte ich von Ihnen eine Gegenleistung. Nämlich: es könnte sein, dass ich Ihnen in nächster Zeit — vielleicht noch in dieser Nacht — Dinge sagen werde, die auf den ersten Blick unglaubwürdig erscheinen. Wenn also meine Vorhersage eintreffen sollte, so bitte ich um Ihren Glauben auf Vorschuss.“

„Ich meine,“ sagte Oevelund, „gegen diesen Kreditantrag ist nichts einzuwenden.“

„Denken Sie etwa an Hypnose?“ fragte Kjelland. „Dann will ich Ihnen gleich sagen: ein Versuch am untauglichen Objekt. Ich war mit Astrid zweimal auf hypnotischen Séancen, einmal mit Magnussen, einmal bei Schrenck-Notzing. Beide haben festgestellt, dass die Baronin Laurgaard kein Medium ist.“

„Das trifft sich ausgezeichnet. Ich kann auch nicht hypnotisieren.“

Ulsaker machte plötzlich ein belustigtes Gesicht und wies nach oben. Der Portier hatte die Garderobe gebracht, und eben rannte ein flinker Boy am Tisch der vier vorbei und rief dem Kollegen an der Drehtür zu: „Ein Auto für die Herrschaften in Loge drei!“

Die vier sahen sich an. Oevelund erhob sich und ging schlendernd zum Ausgang. Gespannt folgten ihm die Blicke der andern.

„Sie sind abgefahren“, sagte er, als er nach einer Weile zurückkam. „Frederiksbergallee 85.“

„Das ist die Adresse der Baronin.“

„Nun, Herr Doktor Griggs ...?“

Der Gefragte unterhielt sich eben mit dem Kellner über eine komplizierte Küchenangelegenheit.

„Das gibt einen glänzenden Ulk!“ sagte Ulsaker.

Griggs zog das Fazit aus der Konferenz mit dem Kellner: „Also geschwind eine ‚Passetoutgrain‘.“

Unschlüssig blickte Kjelland von Griggs zu den andern, von den andern zu Griggs. „Wollen wir nicht gehen ...?“

„Das wäre recht schade.“ Griggs deutete mit dem Kopf in der Richtung, in der der Kellner mit dem verheissungsvollen Auftrag verschwunden war. „Passetoutgrain, und dazu 1905er, ist keine alltägliche Angelegenheit. Und im übrigen, wenn ich empfindlich sein wollte, so würde ich jetzt sagen: wir hatten, wenn ich nicht irre, ein kleines Abkommen getroffen. Aber ich sage es nicht.“

Ulsaker fasste in die Smokingtasche nach dem Zigarettenetui. „Wenn ich unhöflich sein wollte, würde ich“ — er sandte einen bezeichnenden Blick nach der Drehtür, durch die das Paar verschwunden war — würde ich sagen ... aber ich bin nicht unhöflich. Dazu ist mir Ihre Gesellschaft viel zu lieb, auch ohne Passetoutgrain, abgesehen davon, dass ich von dieser Marke heute zum ersten Male höre. Womit nicht gesagt sein soll, dass mir Ihre Gesellschaft mit diesem fabelhaften Wein nicht doppelt angenehm wäre! Überhaupt, ich glaube, Herr Doktor Griggs, in Weinfragen sind Sie kompetenter als in bezug auf die Frauen.“

„Ich besitze keine Spur von Ehrgeiz auf diesem Gebiet, Herr Ulsaker. Ich habe, das werden Sie mir glauben, in Amerika und in Europa eine Unzahl Frauen kennengelernt, so verschiedenartig, wie die Weine von Kalifornien und die Wässer von Vichy — aber ich gebe zu, dass das kein unbedingtes Recht gibt, mich als Experten zu fühlen.“

Kjelland, dessen Mienen den Ausdruck einer verschlossenen Gleichgültigkeit angenommen hatten, machte eine ablehnende Handbewegung, als ihm Ulsaker das geöffnete Etui anbot: „Die Frau ist ein Rätsel, das kein Sachverständiger der Welt lösen wird.“

„Sie müssen mir schon erlauben“ — Oevelund bediente sich statt seiner — „Sie müssen mir schon erlauben. Ihnen zu widersprechen. Es ist eine der übererbten Weisheiten, die sich vom Vater auf den Sohn und vom Sohn auf den Enkel fortgepflanzt haben, dieses Axiom von der Sphinx im Weibe. In Wirklichkeit steckt dahinter nichts als die Denkfaulheit der Männer.“

„Nanu?“ sagte Ulsaker.

„Wenn eine Frau, eine halbwegs verständige Frau einen Mann liebt, so ist das erste, was sie tut, dass sie den Charakter und die Eigenschaften des geliebten Mannes zu verstehen sucht. Sie trachtet sich in ihn hineinzudenken, sie möchte seine Liebhabereien und seine Abneigungen kennenlernen, sie befreundet sich mit seiner Eitelkeit, sie beschäftigt sich mit seinen Launen. Um einen banalen Ausdruck zu gebrauchen: sie stellt sich auf ihn ein. So lernt sie, halb mühevoll, halb spielend, wie sie ihn zu behandeln hat, wie sie ihn ‚nehmen‘ muss — und bald, wenn sie ein bisschen Schlauheit besitzt, spielt sie auf ihm wie auf einer Violine. Haben Sie jemals gehört, dass ein Mann derartiges täte?“

„Ich würde für eine Frau, die ich liebe, in den Tod gehen“, sagte Kjelland.

„Das sagen Sie, lieber Herr Kjelland, in dem schönen Gefühl — ich will damit Ihren Mut nicht anzweifeln —, dass es von diesem Weintisch bis zum In-den-Tod-Gehen eine unendlich lange Strecke ist, mit der man im Ernst nicht zu rechnen braucht. In Wahrheit kommt es im Leben kaum auf diese grossen Taten an, schon darum nicht, weil die Gelegenheit zu grossen Taten eine viel zu seltene ist. Das haben die Frauen viel besser begriffen als wir. Und darum möchte ich mit einer blamablen Erfahrung nicht hinter dem Berge halten: dass wir Männer nämlich viel zu selbstherrlich, sagen wir schon: zu arrogant sind, um den Versuch zu machen, uns auf die Frau einzustellen wie die Frau auf uns. Kein Mann macht Anstalten, die Eigenart seiner Frau zu verstehen; weder ihre Launen, noch ihre Tugenden, noch ihre Schwächen interessieren ihn. Er nimmt sie einfach als etwas hin, was nun einmal da ist und was man deshalb ertragen muss — oder geniessen kann, je nachdem. Er fasst alle diese Faktoren zusammen in die bequeme Formel von dem grossen Rätsel Weib — und jeder Versuch, das Rätsel zu lösen, die Frau zu verstehen, erstickt von vornherein in der Überzeugung von ihrer Unergründlichkeit. Das ist unendlich bequem, gestehen Sie’s nur ein, meine Herren, und obendrein gibt es dem Idol eine weitere reizvolle Distanz, die die Frau um so anziehender macht, je verliebter wir in sie sind.“

„Das klingt nett, wie alles Paradoxe“, sagte Griggs beifällig. „Aber das ist alles. Ich zum Beispiel bin der Meinung, dass ein Mann sein Idol durchaus nicht in Distanz zu sich selbst bringen will, wenn er verliebt ist — dass er im Gegenteil den Wunsch hat, es von seinem Postament herunterzuziehen.“

Der Kellner erschien mit dem Burgunder. „Ich werde selbst einschenken.“

„Es mag solche Männer geben“, pflichtete Oevelund bei, während er mit liebevoller Andacht die Gläser füllte. „Aber ich glaube, dass sie in der Minderzahl sind — und bestimmt gehören die wirklichen Künstler im Reich der Liebe nicht zu ihnen. Der echte Mann ist, wo es sich um die Frau handelt, immer ein halbes Kind. Unkompliziert ... primitiv; wundersüchtig.“

Kjelland stellte das geleerte Glas klirrend auf den Tisch und sagte trocken: „Es ist halb eins!“

Griggs zog die Uhr. „Es ist sechs Minuten vor halb eins, Sie können also bequem bis um halb eins in der Lounge sein.“

Die andern wurden aufmerksam. „Sprechen Sie eigentlich im Ernst, Griggs?“ erkundigte sich Oevelund, halb erstaunt, halb belustigt „Wollen wir wirklich ...?“

Griggs leerte mit todernstem Gesicht sein Glas und setzte es kopfschüttelnd nieder. „Sind mir eigentlich Kinder? Wir haben in aller Ruhe und in voller Nüchternheit ein Abkommen getroffen. Was um alles in der Welt soll uns eigentlich hindern, dies Abkommen durchzuführen?“

„Nun, Griggs“ — auch Oevelunds Stimme wurde um einen Schatten sachlicher —, „da Sie mich danach fragen, so will ich Ihnen darauf antworten. Wir alle betrachten darum das Abkommen als gegenstandslos, weil sich inzwischen die Voraussetzungen für das Gelingen unseres Unternehmens von Grund aus geändert haben.“

„Sie sprechen von der Baronin?“

„Ich bin so frei. Da sie nach Hause gefahren ist ... also, kurz und gut, ich bin der Meinung, dass uns allen die frische Nachtluft zuträglich sein wird.“

„Dass die Baronin nach Hause gefahren ist, kann doch im Ernst kein Hindernis sein“, sagte Griggs freundlich. „Denn was sollte sie hindern, hierher ins Hotel zurückzukehren? Vielleicht ihr Verlobter? Ich nehme an, dass er sich vor der Tür ihres Hauses von ihr verabschiedet haben dürfte.“

„Natürlich!“ beeilte sich Kjelland beizupflichten.

Ulsaker warf einen Blick auf die Zahlenkolonnen, die der Kellner auf Griggs Geheiss soeben addierte. „Sie sehen, Herr Doktor Griggs, wir haben den Wunsch, Ihnen ein Fiasko zu ersparen. Seien Sie nicht eigensinnig, lassen Sie’s gut sein.“ Und indem er mit einer kreisenden Handbewegung auf die Flaschenbatterie wies, erhob er sich. „Gute Nacht!“

Die vier gingen, von Direktor und Oberkellner eskortiert, dem Ausgang zu. Der Boy trieb die Drehtür wie einen Kreisel an.

Eine häubchengeschmückte Garderobiere erschien aus einem Winkel der Halle. Da sagte Griggs:

„Wo ist die Lounge?“

Die drei drehten sich wortlos zu ihm herum. Die Garderobiere wies irgendwohin, den Korridor hinunter, dorthin, wo ein paar spärliche Glühlampen in dunkle, fremde Gänge wiesen.

Kjelland ging mit entschlossenen Schritten die wenigen Stufen hinauf.

Aus dem Innern des Hauses kam, gedämpft und wie aus weiter Ferne, Musik und Lachen. Schwer und drückend lag die Luft über dem niedrigen Gang. Hier und da zweigten Türen ab, Glastüren, die zu unbekannten Räumen führten; Lichter blinkten verschlafen durch das leere Dunkel. Jeder Schritt schien die Trennung zu unterstreichen, die sich hier vollzog: zwischen den lichterfüllten Räumen dort hinten und dem schlafenden Hause, zu dem diese Treppen führten.

Ein Dienstbeflissener kam verschlafen hinter einer Statue hervor; ein Schalter klickte, gebliches Licht floss über die vier.

„Zur Lounge? Bitte, hier.“

Der Raum war lichtlos. Der Boy, gähnenden Protest im Gesicht, drehte den Kontakt.

„Sie ist nicht da“, sagte Kjelland.

„Es ist zwei Minuten vor der Zeit; Sie verlangen ein bisschen viel.“

Griggs sah sich um. „Wollen wir ins Bibliothekzimmer gehen? Es liegt vis-à-vis.“

Kjelland setzte sich unbehaglich in einen Korbsessel, so dass er den übrigen den Rücken drehte. Die drei schlossen die Tür hinter ihm, und eben trat Oevelund ins Bibliothekzimmer, als Ulsaker mit heiserer Stimme flüsterte:

„Sie kommt!!“

Die drei blickten den Korridor hinunter: die Dame, die dort schnellen Schritts die Stufen emporstieg, war die Baronin Laurgaard.

Alle blickten auf Griggs, der von der allgemeinen Erregung nichts zu spüren schien. Er drängte Ulsaker ins Bibliothekzimmer hinein; die andern folgten.

Die Baronin, ein wenig bleicher als vorhin, verlangsamte den Schritt. Sie blickte durch die Scheibe der erleuchteten Lounge; einen Augenblick blieb sie zögernd stehen. Aber schon war Kjelland ihrer ansichtig geworden. Er erhob sich. Während er fassungslos auf die Tür zuging, trat sie ein.

„Mein Gott“ — Oevelund fasste sich an die Stirn —, „bin ich denn ... bin ich denn ...? Das ist ein Wunder, das ist Hexerei! Die Baronin hat vor unseren Augen das Haus verlassen — und sie ist zurückgekehrt, wie Sie es uns prophezeit haben ... ich muss wohl sagen: wie Sie es ihr befohlen haben.“ Er fasste den Arzt bei den Armen: „Was bedeutet das, Griggs? Sind Sie ein Zauberer? Sie müssen es uns sagen. Sie müssen es uns erklären!“

Griggs blickte durch das Glas der Tür hinüber in die Lounge. Dort drüben standen Kjelland und Astrid sich gegenüber; er hatte ihre Hand in die seine genommen; er streichelte sie zärtlich und sprach, sichtlich stockend und verwirrt, auf sie ein. Sie hörte ihm zu, mit einem nachdenklichen und suchenden Lächeln, und während er sprach, wanderten ihre Augen hinüber zu der Glastür, auf der der Blick des Arztes ruhte.

„Ich will es Ihnen erklären“, sagte Griggs. „Aber nicht hier. Kommen Sie mit mir, in meine Wohnung. Dort wollen wir darüber sprechen.“

II

„Nun?“ fragte Oevelund.