Der schöne Fremde am See - Viola Maybach - E-Book

Der schöne Fremde am See E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Viola Maybach hat sich mit der reizvollen Serie "Der kleine Fürst" in die Herzen der Leserinnen und Leser geschrieben. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. "Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Antonia lief langsam durch das Haus, bewunderte die alten Holzbalken und die Dielen, die schön geschwungene Treppe, die großzügig geschnittenen Räume, die Bilder an den Wänden, die gemütliche Einrichtung. Die alte Villa war ein richtiges Familiennest. Sie schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. Würde sie sich jemals wieder irgendwo zu Hause fühlen? Trotzdem war sie froh, jetzt hier zu sein. Allerdings hatte sie einbrechen müssen, sie besaß ja keinen Schlüssel. Über eins der Kellerfenster war sie eingestiegen, sie hoffte, keinen allzu großen Schaden angerichtet zu haben. Wie gut, dass sie von der Existenz dieses Hauses gewusst hatte! Es würde ihr in der nächsten Zeit Unterschlupf bieten, bis sie eine Entscheidung darüber gefällt hatte, wie es weitergehen sollte. Im Augenblick war sie nicht imstande, Pläne zu schmieden, sie musste zuerst zur Ruhe kommen. Es würde bald dunkel werden, die Tage waren ja um diese Jahreszeit sehr kurz. Sie fragte sich, ob sie es wagen konnte, Licht zu machen. Es gab ja direkte Nachbarn hier. Zwar waren, wie sie erfahren hatte, nicht alle Häuser bewohnt, denn diese Gegend war trotz ihrer Schönheit noch immer ziemlich einsam, aber es gab Leute, die in dieser Straße wohnten. Sie würde es wohl besser nicht riskieren und machte sich deshalb auf die Suche nach Kerzen, um die Batterien ihrer Taschenlampe zu schonen. In der Küche wurde sie fündig, hier gab es auch Kerzenhalter. Ebenso fand sie ein paar haltbare Lebensmittel, sie konnte sich also zumindest eine einfache Mahlzeit zubereiten, denn einige Vorräte hatte sie auch bei sich. Später würde sie ersetzen, was sie verbraucht hatte, auch das eingeschlagene Kellerfenster. Sie fröstelte. Das Haus war nicht völlig ausgekühlt, die Heizung lief, aber offensichtlich auf Sparflamme.

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Seitenzahl: 115

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Der kleine Fürst – 210 –Der schöne Fremde am See

Für Antonia ist eine Welt zusammengebrochen

Viola Maybach

Antonia lief langsam durch das Haus, bewunderte die alten Holzbalken und die Dielen, die schön geschwungene Treppe, die großzügig geschnittenen Räume, die Bilder an den Wänden, die gemütliche Einrichtung. Die alte Villa war ein richtiges Familiennest. Sie schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. Würde sie sich jemals wieder irgendwo zu Hause fühlen?

Trotzdem war sie froh, jetzt hier zu sein. Allerdings hatte sie einbrechen müssen, sie besaß ja keinen Schlüssel. Über eins der Kellerfenster war sie eingestiegen, sie hoffte, keinen allzu großen Schaden angerichtet zu haben.

Wie gut, dass sie von der Existenz dieses Hauses gewusst hatte! Es würde ihr in der nächsten Zeit Unterschlupf bieten, bis sie eine Entscheidung darüber gefällt hatte, wie es weitergehen sollte. Im Augenblick war sie nicht imstande, Pläne zu schmieden, sie musste zuerst zur Ruhe kommen.

Es würde bald dunkel werden, die Tage waren ja um diese Jahreszeit sehr kurz. Sie fragte sich, ob sie es wagen konnte, Licht zu machen. Es gab ja direkte Nachbarn hier. Zwar waren, wie sie erfahren hatte, nicht alle Häuser bewohnt, denn diese Gegend war trotz ihrer Schönheit noch immer ziemlich einsam, aber es gab Leute, die in dieser Straße wohnten. Sie würde es wohl besser nicht riskieren und machte sich deshalb auf die Suche nach Kerzen, um die Batterien ihrer Taschenlampe zu schonen.

In der Küche wurde sie fündig, hier gab es auch Kerzenhalter. Ebenso fand sie ein paar haltbare Lebensmittel, sie konnte sich also zumindest eine einfache Mahlzeit zubereiten, denn einige Vorräte hatte sie auch bei sich. Später würde sie ersetzen, was sie verbraucht hatte, auch das eingeschlagene Kellerfenster.

Sie fröstelte. Das Haus war nicht völlig ausgekühlt, die Heizung lief, aber offensichtlich auf Sparflamme. Sie fragte sich, ob sie herausfinden konnte, wie man sie höher stellte. Sie sehnte sich nämlich nach einem ausgedehnten Bad, aber dazu brauchte sie natürlich heißes Wasser.

Sie setzte also ihren Rundgang durchs Haus fort und landete schließlich wieder im Keller, wo sie zunächst in einem kleinen Raum mehrere Fahrräder entdeckte, keins von ihnen war abgeschlossen, aber die Schlösser hingen daneben. Ihr Herz machte einen Satz vor Freude. Damit kam sie ziemlich schnell bis ins Dorf, vielleicht sogar bis in die nächste Kleinstadt. Sie war gut trainiert, sie fuhr zu Hause viel mit dem Rad. Sie suchte sich eins aus, das einen Korb hatte, nahm auch ein Schloss mit und schob das Rad neben die Kellertür, bevor sie ihre Suche fortsetzte.

Sie fand die Heizungsanlage schließlich und studierte sie genau. Die Bedienung sah sehr einfach aus. Es gab zwei Drehschalter, mit denen man die Temperatur für warmes Wasser und die Heizung regeln konnte. Die Heizung war, wie sie vermutet hatte, zwar an, lief aber auf einer niedrigen Stufe, die Warmwasserzubereitung war abgestellt worden. Sie stellte sie an, drehte die Heizung auf und lauschte eine Weile auf die beruhigenden, blubbernden Geräusche, die das Gerät von sich gab. Als sie wieder oben war, merkte sie schon nach wenigen Minuten, dass sie erfolgreich gewesen war.

Sie kochte Nudeln, die sie mit einer Fertigsauce aß, die sogar ganz gut schmeckte. Danach nahm sie die Kerzen und ihre Sachen mit in den ersten Stock, wo sie das große Badezimmer betrat, das sie auf ihrem Rundgang entdeckt hatte. Sie ließ Wasser in die Badewanne, fand auch einen duftenden Badezusatz und streckte sich schließlich wohlig in der Wanne aus. Das war es, was ihr gefehlt hatte!

Sie schloss die Augen, genoss die Wärme und versuchte, nicht an das zu denken, was sie hierher geführt hatte. Irgendwann würde sie darüber nachdenken und auch Entscheidungen fällen müssen, aber noch war es nicht so weit.

Als sie beschloss, die Wanne zu verlassen, war es fast dunkel. Sie zündete die Kerzen an, die sie zuvor auf einem kleinen Schränkchen aufgestellt hatte und stieg aus dem Wasser. Wäsche gab es hier im Haus genug, auch Bettwäsche hatte sie gefunden.

Sie hüllte sich in ein großes Badehandtuch, ließ das Wasser ab und machte die Wanne danach sauber. Sie wollte, wenn sie wieder ging, das Haus so zurücklassen, wie sie es vorgefunden hatte.

Das Zimmer, in dem sie schlafen wollte, hatte sie sich vorher schon ausgesucht: Es war das größte Zimmer im ersten Stock und dasjenige mit der besten Aussicht auf den See. Sie würde die Matratze von einem der Betten nehmen und dorthin bringen. Sich in eins der Betten zu legen, wäre ihr unrecht vorgekommen, ihr war ja klar, dass sie sich an einem Ort befand, an dem sie nicht hätte sein sollen – jedenfalls nicht heimlich. Aber sie würde gewiss nichts kaputt machen und schon gar nichts stehlen, deshalb war sie nicht hier. Sie brauchte nur ein Versteck.

Sie schlief, allem, was sie beunruhigte zum Trotz, tief und traumlos und wachte am nächsten Morgen auf, als es noch kaum dämmerte. Im Haus war es jetzt angenehm warm. Sie blieb noch liegen, bis sie durch das große Fenster helle Streifen am Himmel sah. Dann stand sie auf und sah auf den See hinaus, der fast unbewegt vor ihr lag, wie ein riesiger Spiegel. Das Bild war von atemberaubender Schönheit, es hatte etwas Tröstliches. Dennoch weinte sie wieder. Sie hatte den Halt verloren, ihre Zukunft erschien ihr ungewisser denn je.

Schließlich trocknete sie ihre Tränen und ging nach ihrer Morgentoilette nach unten, wo sie sich aus dem, was sie mitgebracht hatte und den Vorräten im Haus ein Frühstück zusammenstellte. Sie würde sehen müssen, dass sie einen Laden fand, wo sie ihre Vorräte aufstocken konnte. Einen Laden, in dem man sich später nicht an sie erinnern würde. Sie durfte nicht auffallen. Die Stadt wäre vermutlich besser als das Dorf, falls es dort einen solchen Laden überhaupt gab, aber sie würde es ausprobieren. Bis zur Stadt fuhr sie bestimmt anderthalb Stunden, während der Dorfkern kaum fünf Minuten entfernt lag.

Nach dem Frühstück wusch sie ab und brachte die Küche in Ordnung, dann entriegelte sie die Kellertür und schlüpfte mit dem Fahrrad, das sie sich am Abend zuvor ausgesucht hatte, hinaus. Es gab einen Weg durch den lang gezogenen Garten hinunter zum See, auf dem sie das Grundstück mehr oder weniger ungesehen verlassen konnte. Sie lief, da sie am Ufer nicht fahren konnte, bis zum Waldrand, von dort aus schob sie das Rad zur Straße, schwang sich in den Sattel und machte sich auf den Weg zum Dorf.

Dort angekommen, stellte sie jedoch bald fest, dass sie dort nicht würde einkaufen können. Es machte einen ziemlich verwaisten Eindruck, einen Supermarkt gab es nicht. Und ganz sicher würde eine junge Fremde hier jedem in Erinnerung bleiben. Sie würde also doch in die Stadt fahren. Einem Schild entnahm sie, dass es bis dahin achtzehn Kilometer waren.

Sie brauchte etwas mehr als die angenommenen anderthalb Stunden, aber dafür war die Fahrt angenehm, denn die Straße war eben und nicht viel befahren. Der Ausflug hatte sich gelohnt, das sah sie gleich. Es gab hier sogar einen Supermarkt, in dem reger Betrieb herrschte. Niemand würde auf sie achten.

Sie stellte das Fahrrad ab, verschloss es sorgfältig und holte die Einkaufsliste aus der Tasche, die sie geschrieben hatte. Es war eine lange Liste, entsprechend lang hielt sie sich in dem Supermarkt auf, aber sie hatte es ja nicht eilig. Sie freute sich schon auf die leckeren Mahlzeiten, die sie sich kochen würde, aber als es ans Bezahlen ging, erschrak sie. Sie musste sehr sparsam sein, wenn sie wenigstens zwei Wochen hier bleiben wollte. Und so lange würde sie sicherlich brauchen, bis sie zu einer Entscheidung gelangt war.

Sie hatte zum Glück auch noch ihren Rucksack mitgenommen, denn die Einkäufe passten gar nicht alle in den Fahrradkorb, und so wurde die Rückfahrt ein wenig beschwerlicher als die Hinfahrt. Sie war jedenfalls froh, als es ihr gelungen war, auf ihrem Schleichweg wieder ins Haus zu gelangen. Sie kochte ein paar Kartoffeln und aß eine halbe Hähnchenbrust und Salat dazu. Selten hatte ihr etwas so gut geschmeckt. Ein bisschen fühlte sich ihr Aufenthalt hier wie Urlaub an, wäre nicht das Geheimnis gewesen, das sie kurz zuvor entdeckt hatte und das jetzt wie ein Mühlstein auf ihrer Seele lag.

Sie verließ das Haus erneut, um ein wenig durch den nahe gelegenen Wald zu streifen, so lange es noch hell war. Wieder verließ sie das Haus über die Kellertür, das Rad nahm sie dieses Mal nicht mit. Fünf Minuten später hatte sie den Waldrand erreicht und entdeckte einen Weg, der am See entlang führte. Sie beschloss, dort zu gehen, den Wald zur Rechten, den See zur Linken. Wasservögel hatten sich in seiner Mitte versammelt und veranstalteten ein ziemliches Spektakel. Sie blieb stehen, um ihnen eine Weile zuzusehen und auch zuzuhören. Sie sah Blässhühner, Gänse, Enten, auch einige Möwen und Schwäne. Außer den Vögeln und dem Rauschen des leichten Windes, der sich im Laufe des Tages erhoben hatte, war nichts zu hören.

Sie machte direkt einen Satz, als eine Stimme neben ihr sagte: »Guten Tag!«

Voller Panik drehte sie sich um und sah sich einem Mann von vielleicht dreißig Jahren gegenüber, der sie freundlich anlächelte und nun, angesichts ihrer Reaktion, entschuldigend sagte: »Ich wollte Sie nicht erschrecken, tut mir leid.«

»Sie haben mich aber erschreckt!«, sagte Antonia aufgebracht. »Ich dachte, ich bin hier völlig allein, und dann stehen Sie auf einmal neben mir.«

»Ich bin ganz langsam nähergekommen«, versicherte er, »ich habe Sie schon von Weitem gesehen, und ich dachte, Sie hören zumindest meine Schritte.«

»Ich habe nur die Vögel gehört und den Wind.« Antonia beruhigte sich langsam wieder. Natürlich war die Gegend hier nicht völlig menschenleer, ab und zu begegnete man jemandem. Das war ja auch nicht schlimm, so lange niemand wusste, wer sie war und wo sie sich aufhielt. Sie hatte sich für den Fall, dass jemand ihr Fragen stellte, vorsichtshalber eine plausibel klingende Geschichte zurechtgelegt.

Wie gut das war, konnte sie jetzt feststellen, denn der Mann sagte: »Ich habe Sie hier noch nie gesehen, Sie wohnen nicht hier, nicht wahr?«

»Nein, ich bin bei Verwandten zu Besuch, in der Stadt«, antwortete Antonia. »Und Sie? Wohnen Sie hier?«

»In der Stadt«, antwortete er lächelnd. »Hier draußen ist es schön, aber es wäre mir auf Dauer ein bisschen zu einsam. Aber ich komme öfter her, wenn ich das Gefühl habe, ich müsste mal wieder Abstand zum Alltag gewinnen.«

Er wirkte sympathisch und sah ziemlich gut aus, fand Antonia. Aber ihr gefiel der forschende Blick seiner dunklen Augen nicht. Bevor er weitere Fragen stellen konnte, die sie nicht beantworten wollte, sagte sie: »Ich muss zurück, ich bin verabredet.«

»Soll ich Sie mitnehmen in die Stadt?«

Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Sie schüttelte sehr entschieden den Kopf. »Nein, vielen Dank. Mein Auto steht im Dorf.« Sie nickte ihm noch einmal zu und ging eilig den Weg zurück, den sie gekommen war, wobei sie ängstlich lauschte, ob er ihr eventuell folgte, doch das tat er offenbar nicht. Als sie sich nach einer Weile vorsichtig umdrehte, war von dem Mann nichts mehr zu sehen. Sie fing an zu rennen und erreichte wenig später das Haus.

Ihr Herz schlug wie wild, als sie Kellertür verriegelte.

Sie lief nach oben und spähte durch das große Fenster nach draußen, doch unten am Seeufer war niemand zu sehen. Erst ganz allmählich beruhigte sie sich.

Sie war keine gute Lügnerin. In Zukunft ließ sie sich am besten auf gar kein Gespräch mehr ein.

*

Dr. Nikolai von Hoheneck setzte seinen Spaziergang fort, aber in Gedanken blieb er bei der jungen Frau, die er so erschreckt hatte. Er schätzte sie auf Anfang Zwanzig, knapp zehn Jahre jünger als er und ein sehr schöner Anblick mit den blonden Haaren und der hellen Haut, den großen Augen, dem fein geschwungenen Mund. Er fragte sich, ob sie wirklich bei Verwandten in der Stadt zu Besuch war. Etwas an der Art, wie sie das gesagt hatte, ließ ihn zweifeln.

Und wieso war sie bei seinem Anblick beinahe in Panik geraten? Hatte sie geglaubt, er wolle sie überfallen? Einen übermäßig ängstlichen Eindruck hatte sie auf ihn nicht gemacht, aber man konnte sich täuschen. Immerhin: Wenn sie tatsächlich in der Stadt war, bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie einander noch einmal über den Weg liefen.

Er musste über sich selbst lachen, dass er sich das wünschte. Was war denn auf einmal mit ihm los? Fing er etwa an, sich von seinen Eltern nervös machen zu lassen, die der Ansicht waren, dass er endlich eine Familie gründen sollte? Er hatte es nicht eilig damit, und er wollte sich von niemandem drängen lassen, auch von seiner Familie nicht. Aber diese blonde junge Frau mit ihrem klaren Gesicht, die ihm eine so deutliche Abfuhr erteilt hatte, interessierte ihn.

Er seufzte. Auch wenn die Stadt sehr klein war: Die Wahrscheinlichkeit, dass er sie wiedersah, war äußerst gering. Da hätte der Zufall schon kräftig nachhelfen müssen.

Er machte sich auf den Rückweg. Sonst konnte er hier am See immer gut abschalten, was er manchmal brauchte, wenn ihn seine Patienten allzu sehr beansprucht hatten. Nikolai war Allgemeinmediziner, einer der wenigen in dieser Gegend. Entsprechend groß war der tägliche Andrang in seinem Sprechzimmer – auch der Andrang von jungen Frauen seines Alters, die wohl vor allem kamen, weil er noch ‚zu haben’ war. Doch bis jetzt war er noch bei keiner in Versuchung geraten, seine Freiheit aufzugeben.

Wieder sah er die schöne Blondine vor sich. Sie hatte gleich die Stacheln ausgefahren. Wie sie wohl war, wenn sie jemanden mochte? Wie es wohl wäre, mit ihr befreundet zu sein?

Sein Smartphone meldete sich. Er nahm das Gespräch sofort entgegen, als er sah, dass eine seiner ältesten Patientinnen ihn anrief. »Ja, Frau Aumüller?«, fragte er.

Veronika Aumüllers Stimme klang heiser. »Ich… ich kann nicht mehr gut atmen, Herr Doktor.«

»Ist die Tür offen? Ich fahre gleich los.«

»Tür… ist offen.«