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Exhauptkommissar Niklas de Jong bekommt es in seinem neunten Fall mit einem selbsternannten Racheengel zu tun, der in der Stadt des Westfälischen Friedens umgeht und das berühmte Sendschwert zur Mordwaffe macht. Dabei legt er sich mit fanatischen Extremisten und verblendeten Gläubigen an. Außerdem bekommt er es mit der Arroganz Künstlicher Intelligenz zu tun.
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Seitenzahl: 387
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Christoph Güsken
Der Send, das Schwert und der Tod
In seinem neunten Fall bekommt Exhauptkommissar Niklas de Jong es mit dem Sendschwertmörder zu tun. Grausame Morde geschehen in der Hauptstadt des Münsterlandes, und immer wird das berühmte Sendschwert am Tatort gefunden. Ein windiger Prediger namens Savonarola der Zweite sorgt für Aufruhr, indem er die Mähr von einem Racheengel verbreitet, der in der Stadt umgeht. Die Kripo fahndet mit Hochdruck nach einem Serientäter. Und de Jong, der einen rätselhaften Fall von Notwehr untersucht, dem ein Exkollege zum Opfer fiel, stößt schließlich auf das Element, das die Morde verbindet ...
Ein Kriminalroman über das Recht, das zu Unrecht wird, sobald man es selbst in die Hand nimmt.
Christoph Güsken wuchs in Mönchengladbach am Niederrhein auf, studierte in Bonn und Münster und war Buchhändler in Köln. Er verfasste viele komische Texte für Kabarett und Bühne im Geist der legendären Monty Python. Seit 1995 lebt er als freier Autor in Münster, schrieb zahlreiche Krimis, einige wenig ernste Romane und jede Menge Hörspiele.
Der Send, das Schwert und der Tod ist der neunte Kriminalroman um den schrägen Ex-Hauptkommissar de Jong, der bei seiner Suche nach Antworten auf die ganz großen Fragen ständig über die schlimmsten Verbrechen stolpert.
www.christoph-güsken.de
Originalausgabe
Texte: © Copyright by Christoph Güsken Umschlaggestaltung: © Copyright by Alicia Anger
Verlag: C. Anger Bahnhofstraße 24 48143 Münster [email protected]
Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
1 7
2 12
3 15
4 21
5 31
6 38
7 48
8 50
9 62
10 72
11 83
12 86
13 98
14 105
15 110
16 121
17 125
18 129
19 138
20 151
21 160
22 172
23 177
24 184
25 188
26 196
27 208
28 215
29 227
30 240
31 243
32 248
33 251
34 257
35 262
36 268
37 276
38 280
39 283
40 287
41 292
42 308
43 318
44 324
44 334
45 340
46 347
47 354
48 360
Auf einem fremden Arsch
ist gut durch's Feuer fahren
Sprichwort
Herr und Meister! hör mich rufen! - Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist gross! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.
Johann W. von Goethe
Auf den letzten paar hundert Metern erwischte ihn dann doch noch ein Wolkenbruch. Und der hatte es in sich. Unter blauem Himmel war er den Kappenberger Damm hinausgeradelt, bei mildem Frühsommerwetter. Es war ein Nachmittag, der wie geschaffen war für einen Ausflug auf's Land. Und erst als er das Ortsschild passiert hatte, zogen urplötzlich Wolken auf. Als hätten sie dort auf ihn gewartet. Gleich darauf begann es zu tröpfeln.
Na gut, vielleicht waren sie gar nicht urplötzlich aufgezogen. Er hatte sie nur nicht bemerkt, weil er, während er in die Pedale trat, in Gedanken ausschließlich bei dieser einen Sache gewesen war. So sehr, dass er weder seiner Umgebung noch dem Wetter große Beachtung geschenkt hatte. Diese Sache, die heute zu Ende gebracht werden würde. Die er sich anschickte, zu Ende zu bringen. Es war keine gute Tat, aber sie war gerecht. Und notwendig. Denn was wurde aus einem Verbrechen, das für immer ungesühnt blieb? Was wurde aus denen, die in es verwickelt waren, aus ihren Seelen? Es musste beendet werden, auch wenn die Art und Weise schlecht war. Moralisch gesehen eindeutig falsch. Nur - gut und böse, moralisch und unmoralisch - am Ende des Tages waren das doch nicht mehr als Worte, oder etwa nicht? Und wenn es ernst war - wirklich ernst - was halfen einem dann Worte?
„Aber du bist doch gar nicht darin verwickelt”, hatte Hermine gesagt - wie lange war das jetzt schon her. „Das willst du nur so sehen, die Wirklichkeit ist doch, dass du rein gar nichts damit zu tun hast.”
Rein gar nichts? Aus ihrer Sicht mochte das so sein. Schon weil sie, auch wenn sie es nie zugeben würde, immer eifersüchtig auf Lore gewesen war. Dazu hatte sie keinerlei Grund, aber sie war eifersüchtig gewesen. Abgesehen davon war es eben auch nicht irgendeine Angelegenheit. Es ging nicht um einen umgefahrenen Briefkasten, sondern um Mord. Jemand hatte das Mädchen überfahren und sich einfach davongemacht. Persi wäre heute 23. Ihr Plan war, Jura zu studieren. Sie hatte alles noch vor sich gehabt.
Er war nicht ihr Vater, das ließ sich nicht leugnen, aber sie war die Tochter von Lore. Und mit Lore war er immerhin über drei Jahre lang zusammen gewesen. Sie hätte problemlos seine Tochter sein können. Und das bedeutete doch wohl: Er hatte damit zu tun. Da konnte Hermine sagen, was sie wollte.
Persi. Wer kam schon auf die Idee, seine Tochter Persephone zu nennen? Wahrscheinlich niemand auf dieser ganzen weiten Welt, ausgenommen Lore.
Der Regen hielt sich nicht lange mit Tröpfeln auf. Binnen weniger Sekunden begann es zu prasseln. Ein wütendes, gezieltes Prasseln, als ob es ihm galt, wem denn sonst. Weit und breit konnte er niemand anderen entdecken, der infrage kam. Er stoppte und stieg ab, auch wenn das nicht viel half. Hier auf freier Strecke war nichts in Sicht, wo er sich hätte unterstellen können, nur die Bäume am Straßenrand, aber die ließen fast alles durch. Der Regen schien es darauf abgesehen zu haben, dass er ihm ausgeliefert war. Also stand er nur da unter einem der Bäume, wartete ab und wurde nass.
Lore und ihr mythologischer Tick. Als andere Kinder Pippi Langstrumpf und Petterson und Findus zu hören bekamen, hatte sie der Kleinen fast nur griechische Sagen vorgelesen. Herakles, Theseus, Odysseus und der Zyklop - das ganze Programm. Dazu kam ihre Vorliebe für Demeter-Produkte. Salben, Shampoos und Bio-Gemüse. Insofern passte das schon mit dem Namen. Und dann hatte sich eines Tages Hades, der Gott der Unterwelt, Persephone geholt, ganz so, wie es die Legende erzählte.
Aber nein, Hades war es eben nicht gewesen. Er wusste jetzt den Namen des Mannes, der sie geholt hatte. Überfahren und an der Straße liegen gelassen wie eine tote Katze. Und genau deshalb konnte er, Jens Hohlbein, Hauptkommissar bei der Kripo, die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Dass er den Namen kannte, hatte alles verändert. Der Mann hatte sich ausgerechnet, dass er davonkam, weil niemand von seiner Tat wusste. Aber er musste bezahlen. Das war er Persephone schuldig.
Hohlbein stand da. Regen tropfte von seiner Nasenspitze. Er hatte keine Beweise, woher denn auch, nur das Wissen. Und du bist lange genug Kripomann, dass dir klar ist: Ohne Beweise kommt der Mann davon. Niemand wird ihn zur Rechenschaft ziehen. Dir - und nicht ihm - sind die Hände gebunden.
Der Regen ließ schlagartig nach, als hätte er seinen Spaß mit Hohlbein gehabt, und jetzt war es auch gut. Die Straße spiegelte vor Nässe, irgendwo gluckerte ein Gulli. Der Kripomann wischte mit dem Ärmel über den Sattel, stieg auf und radelte weiter. Es war ihm natürlich klar, dass er sich versteckte. Hinter dem Argument, dass er keine Beweise hatte und deshalb nichts unternehmen konnte. Eine bequeme Ausrede. Er durfte nichts tun, also war es nicht seine Schuld, dass der Kerl davonkam, was unweigerlich geschehen würde. Höchstwahrscheinlich hatte der die ganze Angelegenheit schon vergessen. Den Tod eines unschuldigen Menschen. Aber es war und blieb seine Schuld, und der Mann, der am Steuer gesessen hatte, konnte sich keinen besseren Verbündeten wünschen als einen wie Hohlbein, der Bescheid wusste, aber die Füße stillhielt, weil er ein gesetzestreuer Mensch war.
Der Regen hatte ganz aufgehört. Die Wolkendecke riss auf, hier und da kam blauer Himmel zum Vorschein. Hohlbein bog nach rechts in einen asphaltierten Weg ab, das ein rot umrandetes Schild als 'Privatweg' bezeichnete. Nach knappen 20 Metern mündete er in einen schlammigen Pfad, worauf er nicht gefasst war. Er wich einer tiefen Pfütze aus, kam dann aber ins Schleudern und hätte sich um ein Haar lang hingelegt. Gerade noch konnte er sich mit einem Fuß abstützen. Dabei fiel etwas aus seiner Manteltasche und landete mit einem Platschen in der lehmigen Pfütze. Hohlbein starrte das Ding in dem trüben Wasser an. Er starrte und atmete tief durch. Während er das tat, hatte er das Gefühl, plötzlich zur Vernunft zu kommen. Jedenfalls bildete er sich das ein. Es war, als hätte er unendlich lange auf eine beschlagene Scheibe gestarrt, die jetzt mit einem Mal klar gewischt wurde. Was hast du hier zu suchen? Ist das dein Ernst, willst du das wirklich durchziehen? Bist du denn nicht Bulle? Wie oft und wie vielen Leuten hast du schon erklärt, dass das Recht keins mehr ist, sobald man es selbst in die Hand nimmt?
Jetzt wagte sich sogar die Sonne hervor. Es wurde hell, und es war, als würde die Natur aufatmen. Unter dem Regenschauer hatte sie sich geduckt und notgedrungen ausgeharrt, aber er war vorüber und jetzt dampften die Wiesen und überall glitzerte Nässe im Sonnenlicht. Hohlbein schüttelte den Kopf wie jemand, der gerade aufgewacht ist. Die einfache Wahrheit war, er würde überhaupt nichts durchziehen. Wie kam er nur dazu? Schließlich war er Bulle, kein Terminator.
Aber umkehren kam eben auch nicht in Frage. Ich bin jetzt hier und werde den Mann zur Rede stellen, er soll wenigstens wissen, dass ich weiß, was er getan hat. Vielleicht hält ihn das künftig davon ab, geruhsam den Schlaf des Gerechten zu schlafen, der er nicht ist. Vielleicht bereut er dann eines Tages doch, dass er einfach so davongekommen ist mit seiner Tat. Hohlbein bückte sich und angelte den Revolver aus der Pfütze. Er wischte ihn mit dem Ärmel ab und steckte ihn ein.
Wenige Minuten später stand er vor der Haustür. Es war eine kostbare Tür mit Holz-, Glas- und Bronzeelementen, die formschöne Blumenmuster bildeten. Hohlbein drückte auf einen goldenen Messingknopf direkt daneben.
Er wartete nur wenige Sekunden, dann schwang sie auf. Da stand ein Mann in einem beigen Jogginganzug. Das musste der Kerl sein. Mit einem seltsam verkniffenen Gesichtsausdruck starrte er den Ankömmling an. In seinem Blick lag Angst oder wenigstens Verstörung, als hätte er schon auf Hohlbein gewartet, was ja nicht sein konnte. Aber nur einen kurzen Moment. Dann trat er einen Schritt zurück, hob eine Waffe und schoss.
(Nur wenige Tage zuvor)
„Guten Tag. Wie kann ich Ihnen bei Ihrem Problem behilflich sein?”
„Behilflich sein? Bei welchem Problem? Wer sind Sie überhaupt?”
„Rüdiger. Das ist der Komparativ von Rudi. Ihr Problem ist demnach, dass Sie nicht wissen, worin Ihr Problem besteht?”
„Was wollen Sie? Mich verarschen?”
„Sehr gern. Lassen Sie mich Ihr Dilemma in etwa mit folgender Frage umschreiben: Gibt es ein moralisches Handeln in einer unmoralischen Welt?”
„Ich kenne Sie doch überhaupt nicht.”
„Das ist korrekt. Gestatten Sie mir dann nur noch eine Frage, Herr Hohlbein. Wäre das möglich?”
„Von mir aus. Dann machen Sie schon.”
„Als Sie geboren wurden, wieviele Menschen kannten Sie da wohl? Nennen Sie eine ungefähre Zahl. Oder einfach nur: eher viele oder eher wenige.”
„Wenige natürlich. So gut wie keine. Ist doch normal, oder?”
„Absolut. Völlig normal. Aber bedenken Sie kurz: Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie damals Ihren Grundsatz beherzigt hätten, niemals mit Menschen zu reden, die sie nicht kennen?”
…
„Herr Hohlbein?”
„Sie halten sich wohl für sehr schlau.”
„Allerdings. Ich bin schließlich Rüdiger als Rudi.”
„Das sagten Sie bereits. An Ihren Wortwitzen sollten Sie noch arbeiten.”
„Zurück zu Ihrer Frage.”
„Nicht meine. Ihre Frage.”
„Würden Sie sagen, wir leben in einer moralisch einwandfreien Welt?”
„Träumen Sie weiter. Hier ist überhaupt nichts moralisch. Dass das Gute gewinnt, gibt’s nur im Fernsehen. Alles Schwindel, wenn Sie mich fragen.”
„Was ich ja gerade getan habe. Sehr richtig. Ich bin da ganz bei Ihnen. Aber nur einmal angenommen, die Welt wäre moralisch einwandfrei, hielten Sie es dann für sinnvoll, moralisch einwandfrei zu handeln? … Herr Hohlbein, sind Sie noch online?”
„Ja klar, wieso denn nicht?”
„Gutes tun in einer guten Welt?”
„In welcher denn wohl sonst?”
„Auch da würde ich Ihnen vollumfänglich zustimmen. Jedenfalls im ersten Schritt. Aber jetzt wird es ein wenig komplizierter: Wie ist es denn in einer Welt, die moralisch nicht einwandfrei ist? Mehr noch, einer, die man als unmoralisch bezeichnen muss, in dem Sinne, dass das Gute keine Chance hat, weil das Recht des Stärkeren gilt? Wobei der Begriff selbstredend irrführend ist. Das Recht des Stärkeren ist kein Recht, sondern das Gegenteil davon.”
„Da haben Sie verdammt recht, Rudi.”
„Ich bin viel Rüdiger als Rudi. Nun, es wird Sie nicht verwundern, wenn ich Ihnen sage, dass es meine Bestimmung ist, recht zu haben. Folgende Frage: Wäre es nicht gerade in einer unmoralischen Welt angebracht, dabei mitzuhelfen, sie zu einem besseren Ort zu machen?”
„Ja, was glauben Sie denn, was ich schon seit Jahren versuche?”
„Durch Akte der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit und so weiter?”
„Ja, aber soll ich Ihnen mal sagen, was Ihnen das einbringt: einen Scheißdreck. Glauben Sie einem, der das versucht hat.”
„Natürlich glaube ich Ihnen. Ihr Fazit wäre also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass in dieser Welt - also jener, welche wir als eine unmoralische definiert haben - derjenige, der Gutes tut, der Dumme ist?”
„Das können Sie laut sagen. Und nicht nur der Dumme. Sagen wir es ruhig: Er ist der in den Arsch gekniffene. Der voll Verschissene.”
„Also gut. Einigen wir uns auf den Verschissenen.”
„Allmählich verstehen wir uns.”
Es war jetzt drei Monate her, dass Exhauptkommissar Niklas de Jong sich neu erfunden hatte, aber mittlerweile bereute er das. Nicht dass er prinzipiell etwas gegen Neuanfänge hatte. Gegen die war nichts einzuwenden, allerdings wurden sie wohl oft überschätzt. Oder man ging vorschnell davon aus, dass der Neuanfang an sich immer eine gute Sache war, ganz egal was man neu anfing. Alle möglichen Leute hatten de Jong in letzter Zeit von ihren Neuanfängen erzählt, da hatte er sich eben mitreißen lassen. Und jetzt wachte er in der letzten Zeit oft morgens auf und war angefüllt von den Jahren, die weit hinter ihm lagen. Weil er geträumt hatte, wie schön es damals bei der Kripo doch eigentlich gewesen war: Haus-zu-Haus-Befragungen, vorläufige Festnahmen, Hausdurchsuchungen, peinliche Vernehmungen - für ihn damals Alltäglichkeiten. Wobei das Letzte nur im Traum so gewesen war - in Wirklichkeit hatte er nie eine peinliche Vernehmung durchgeführt.
Nachdem er das Schreiben von Romanen vorerst aufgegeben hatte, war es Tamara gewesen, eine gute Freundin von Giulia, seiner Angebeteten, die ihm den Neuanfang geradezu aufgedrängt hatte. Die so lange auf ihn eingeredet hatte, bis sie ihn davon überzeugt hatte, dass er gar keine andere Wahl habe, als sich neu zu erfinden. Also hatte er sich darauf eingelassen. 'Criminal-Coaching' war ab jetzt seine neue Headline, die übrigens auch von Tamara stammte. Darunter verstand sie - und de Jong nach einer Weile auch - eine gelunge und innovative Synthese aus Privatermittlung, Selbstfindung und Lebensplanung unter dem Motto: Das Leben ist ein Weg, und sich selbst zu finden ist ungefähr so wie einen Kriminalfall aufzuklären.
„Beide Rätsel haben nämlich mehr gemein, als man denkt”, hatte Tamara ihm immer wieder erklärt, als hätte sie, die Webdesignerin, von Ermittlungsarbeit auch nur den leisesten Schimmer. Die Gemeinsamkeit der beiden Bereiche erschien ihr wohl deshalb so plausibel, weil sie auch von Lebensplanung und Selbstfindung nur wenig Ahnung hatte. Aber wenn es darum ging, Webseiten zu gestalten, war sie eine wahre Künstlerin. Und so startete de Jongs Coaching-Karriere auf einer topaktuellen Website mit allen Schikanen, und auch was ihn selbst betraf, war es ein Neuanfang: Wenn er auf seiner eigenen Seite herumklickte, hatte er das Gefühl, einen Menschen kennenzulernen, der ihm bislang völlig unbekannt gewesen war. Einen kompetenten, zugewandten und noch dazu gut aussehenden Experten in Sachen 'Criminal Coaching'. Besonders gern spielte er ein Video ab, das unter der Rubrik 'über mich' eingestellt war. Es zeigte ihn und seinen Alltag auf dem Alten Mädchen, seinem alten Hausboot auf dem Dortmund-Ems-Kanal, auf so lässige und gefällige Weise, dass der Exkommissar sich geradezu selbst beneidete.
„Jetzt musst du nur noch warten, dass sie dir die Tür einrennen”, hatte ihm Tamara versichert. „Lange wird das nicht dauern.”
Aber da wartete er vergeblich; die Tür blieb unversehrt.
„Na ja, ein bisschen Vorlaufzeit musst du der Sache schon geben”, hatte Tamara ihm aufgetragen.
Also hatte de Jong diese Vorlaufzeit zum Renovieren genutzt. Und daraus war eine regelrechte Kernsanierung geworden. Vor allem hatte er das Hausboot entrümpelt, im Zuge dessen zwei Kajüten zum Vorschein gekommen waren, von deren Existenz er bisher überhaupt nichts gewusst hatte, weil da unten alles mit altem Kram vollgestopft gewesen war, so lange er denken konnte. Diese beiden Kajüten hatte er aufwändig renoviert in der heimlichen Hoffnung, dass Giulia bei ihm einzog. Erst sah es auch ganz danach aus, aber dann musste er sich diesen Plan wieder abschminken, weil Giulia sich in ihrer typisch Giulia-haften Art spontan entschloss, Brian, ihren Ex und Singer-Songwriter, für zehn Monate auf einer Europatournee zu begleiten. So eine Chance kommt nicht wieder, hatte sie gesagt. „Für dich oder für ihn?”, hatte er gefragt. Darüber hatten sie sich ordentlich gezofft und am Ende hatte de Jong verlangt, dass sie sich entschied - für ihn oder für Brian. Sie hatte sich für ihn entschieden und war dann trotzdem mit Brian auf Tournee gegangen. Keine gute Idee, sie vor die Wahl zu stellen.
De Jong hatte den neugeschaffenen Raum auf dem Alten Mädchen kurzerhand über Airbnb zur Vermietung angeboten. 'Wohnen wie in Amsterdam, nur in Münster' lautete der Spruch in seinem Inserat, den hatte er sich ausgedacht. „Ehrliche Antwort? Das ist ein außergewöhnlich blöder Spruch”, war Tamaras Kommentar als Expertin. „Wenn die Leute nach Amsterdam wollen, was sollen sie dann hier in Münster?”
De Jong musste zugeben, dass das ein gutes Argument war, trotzdem hatte sie falsch gelegen. Während auf der hochprofessionellen Coaching-Website trotz endloser Vorlaufzeit nach wie vor keine einzige Anmeldung eintrudelte, wurde seine neue Suite seit vier Tagen von einem Gast bewohnt: Dörthe Hennie, Dozentin für Theologie, weilte in der Stadt, weil sie eine Ringvorlesung im Auftrag der jüdisch-christlichen Gesellschaft zum Thema jüdisch-christlicher Dialog im 21. Jahrhundert zu halten hatte. Sie war um die Dreißig und für eine Theologiedozentin außergewöhnlich attraktiv - nicht nur im Vergleich mit dem klischeebelasteten Bild, das sich de Jong von einer Theologiedozentin gemacht hatte.
Und wäre er ehrlich gewesen, hätte er zugegeben, dass sie auch der eigentliche Grund dafür war, dass er an diesem frühen Montagabend auf dem Oberdeck in einem der Plastiksessel saß und in der Zeitung blätterte. Nicht, wie er sich selbst gern weismachte, sein Bedürfnis nach Information und frischer Luft, die heute endlich mal ohne Regen zu haben war. Dr. Hennie schien nämlich die Angewohnheit zu haben, gleich nach dem Duschen kurz an Deck zu treten, gehüllt in nichts als ein lila Badetuch, um genau diese Luft zu schnappen. Und de Jong wollte sich ihren Anblick nicht entgehen lassen.
Aber er war eben nicht ehrlich zu sich selbst, und unten rauschte die Dusche immer noch. Also blätterte er im Münsterischen Stadtanzeiger und las in der Rubrik 'Kurioses', die seine Lieblingsrubrik war:
SCHLECHTEN TAG GEHABT: Zwei männliche Täter in Hoodies und Skimützen haben gestern Nacht um zwei Uhr versucht, den Geldautomaten einer Filiale der Sparkasse Münsterland Ost in der Nähe des Hauptbahnhofs zu sprengen. Der Automat blieb aber unversehrt, stattdessen erwischte es ein Fahrrad und eine Wertstofftonne, deren Deckel einen der Täter am Kopf traf, worauf er laut einer zufälligen Ohrenzeugin auf seinen Kumpel losging, ihn 'blödes Arschgesicht' nannte und wissen wollte, ob er denn 'komplett bescheuert' sei 'oder was'. Der Streit nahm kurz darauf weiter Fahrt auf, als das in der Nähe geparkte Fluchtauto nicht anspringen wollte, worauf die Beiden versuchten, es mit Anschieben flott zu machen. Bevor dies aber gelang - obwohl ein hilfsbereiter Passant noch mit anpackte -, war die Polizei vor Ort. Mit Handschellen im Streifenwagen bedachten sich die Täter gegenseitig mit Flüchen und Beleidigungen.
Menschliche Dummheit, dachte de Jong. Auf die ist wenigstens immer Verlass. Vielleicht ist die Dummheit ja am Ende unsere Rettung. Er horchte auf. Das Duschgeräusch war verstummt. Doch dann setzte es wieder ein. Also blätterte er weiter und stieß auf eine weitere Kuriosität.
SENDSCHWERT UNAUFFINDBAR: In der Nacht zum Sonntag wurde wieder einmal das Sendschwert gestohlen. Es handelt sich dabei nicht um das echte Schwert aus dem Jahre 1578, das am 24.10.2000 bereits entwendet worden ist, sondern um eine originalgetreue Nachbildung, die zum Herbstsend 2001 am Rathaus angebracht wurde. Die Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen, man vermutet einen Pennälerscherz oder eine Mutprobe unter Erstsemestern.
Dem Exkommissar fiel schlagartig ein, dass Achim Bühlow ihm heute Morgen eine Nachricht geschickt hatte. Die hatte er völlig vergessen. Darin war es eben auch um 'diese Sendschwertsache' gegangen, der Hauptkommissar wollte sie mit de Jong besprechen. Und de Jong hatte sich vorgenommen, noch einmal deutlich zu machen, dass er für derartiges nicht mehr zur Verfügung stand, eben weil er sich ja kürzlich neu erfunden hatte. Aber seltsam war es schon: Seit wann kümmerte sich die Mordkommission um Pennälerscherze?
Und genau in diesem Moment ging noch eine Nachricht von Bühlow ein: Verspäte mich leider etwas, sorry. Bin gleich da. - Bin gleich da? Wo denn? Dem Exkommissar musste noch etwas entgangen sein, nur so ergaben die Sätze einen Sinn. Bin gleich da, aber wo? Da blieb nichts anderes übrig, als die nächste Nachricht abzuwarten. Die kam aber erst eine halbe Stunde später. Darin beschwerte sich Bühlow, dass er jetzt schon seit zwanzig Minuten in Pandoras Box saß und wann de Jong denn gedenke einzutrudeln. Verspäte mich leider etwas, schrieb de Jong und machte sich auf den Weg.
Januar und Februar waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnung gewesen. Das hörte sich vielversprechend an, so wie Weihnachten in Australien. Aber weit gefehlt. In diesem Winter hatten die Menschen hierzulande gelernt, sich damit abzufinden, dass Regen kein Wetterereignis war, sondern ein Dauerzustand, wenn nicht eine Jahreszeit. Es war das Jahr, in dem die Meteorologen erstmals von Permaregen sprachen. Legte der Niederschlag eine kurze Pause ein, hoben die Menschen irritiert die Köpfe gen Himmel und fragten sich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, ob das Ende der Zeit gekommen war und nun das Jüngste Gericht hereinbrach. All die Stimmen, die noch vor wenigen Monaten den Regen als einen Segen für die Natur gefeiert hatten, waren erst kleinlaut geworden und schließlich ganz verstummt. Die Natur hatte genug vom Regen, sie war regelrecht besoffen von ihm und weigerte sich, noch mehr zu schlucken. Die Wiesen glichen Seen. Auf den Feldern verschimmelte das Gemüse, Bauern trauten sich nicht mehr hinaus, weil sie fürchteten, in ihren morastigen Äckern stecken zu bleiben und jämmerlich im Schlamm zu versinken. Mittlerweile war es Mai, die Nässe fiel frühlingswarm vom Himmel. Kein Ende abzusehen - bis heute.
Denn endlich, seit zwei Tagen, schien regenseitig eine gewisse Ermüdung einzutreten. Es kam zu kurzen, mittlerweile auch immer längeren Pausen zwischen den Schauern, die eine blasse, ziemlich verschüchterte Sonne ermutigten, sich hin und wieder hervorzuwagen. Unter den Einwohnern breitete sich ein ganz neues Lebensgefühl aus.
Aristoteles, der Inhaber von Pandoras Box, reagierte auf dieses Gefühl, indem er, kaum hatten die letzten Regentropfen den Boden berührt, Tische und Stühle nach draußen stellte. Einige wurden von beachtlichen Pfützen umspült, sodass sich das original mediterrane Lebensgefühl noch nicht einstellen wollte.
An einem der Tische hockte Achim Bühlow, eingehüllt in seine Regenjacke. „Hast du unser Treffen wieder mal vergessen?”, fragte er säuerlich. Vor ihm stand eine Tasse Kaffee und ein Teller mit diesen diversen Cremes, die die Griechen Salate nennen.
„Ach was”, beschwichtigte de Jong. „Ich bin aufgehalten worden.”
„Von wem?”
„Die neue Mieterin”, log de Jong.
„Die Theologie-Professorin?”
„Genau. Sie hatte noch das ein oder andere Anliegen. Rein organisatorischer Kram. Und bei dir? Was macht die Musik?”
Der Hauptkommissar bedachte de Jong mit einem warnenden Blick. Seine Laune schien heute nicht die beste zu sein. Wieder einmal.
„Und Kristin?”, versuchte de Jong, als das Gespräch nicht in Gang kommen wollte. „Geht's ihr gut?”
Ein zweiter warnender Blick. De Jong ahnte, dass seine Verspätung gar nicht der Anlass für Bühlows schlechte Laune war. Da musste noch mehr sein. Also verzichtete er vorsichtshalber auf weiteres Süßholzgeraspel.
„Was ist mir dir? Hast du es dir mal überlegt? Bist du dabei?”, fragte nun Bühlow und tunkte ein Stück Brot in eine der Cremes, deren grelles Rosa aus den anderen hervorstach.
„Ich weiß nicht”, sagte de Jong vage, unsicher, wovon die Rede war. Aristoteles kam mit zwei Ouzos an den Tisch - einen als Begrüßung für de Jong und einen dritten für Bühlow - und empfahl die neue Spezialität des Hauses: veganes Stifado, also den klassischen griechischen Gulasch, nur eben ohne Gulasch. De Jong bedankte sich und als sie wieder allein waren, fragte er. „Du sprichst von der Sendschwert-Sache?”
„Ganz genau.”
„Na gut.” Der Exkommissar holte Luft, so wie man es vor wichtigen Ankündigungen macht. „Also, sei mir nicht böse, Achim, aber ich habe mir nun mal vorgenommen, mich mit solchen Bagatelldelikten nicht mehr zu befassen. Wenn ich es überhaupt jemals getan habe.”
„Bagatelldelikte?” Bühlow machte große Augen.
„Wie zum Beispiel Sendschwertern, die von sturzbesoffenen Erstsemestern abgeschraubt werden. Und ehrlich gesagt ist mir auch schleierhaft, weshalb du so einen Wirbel darum machst.”
Bühlow kippte seinen Ouzo, stellte das Glas auf den Tisch, dann musterte er sein Gegenüber mit einem Blick, in dem de Jong doch tatsächlich einen angewiderten Zug zu bemerken glaubte. „Sag mal, kriegst du eigentlich überhaupt noch irgendwas mit?”, fragte er.
Die Frage war schwer zu beantworten. Sollte die Antwort nein lauten, dann bekam man ja wohl auch nicht mit, dass man nichts mitbekam, sodass die Antwort genauso gut ja lauten konnte.
„Das mit dem Diebstahl ist Schnee von vorgestern. Inzwischen ist das Ding wieder aufgetaucht. Im Zusammenhang mit einem Mord.”
„Nein”, sagte de Jong.
„Doch.” Bühlow hievte seinen Rucksack auf den Tisch, öffnete mit dem Reißverschluss eine der Seitentaschen und nahm einen Umschlag mit Schwarzweiß-Fotos heraus. Dann stellte er den Rucksack wieder neben seinen Stuhl, schob die Vorspeisenplatte an den Rand und breitete die Bilder auf der runden Tischplatte aus. „Monfort, Marlies”, erklärte er. „Freischaffende Künstlerin. Sie wurde gestern auf dem Domplatz aufgefunden. Und das”, sein Zeigefinger klopfte auf das mittlere Foto, „ist das angeblich geklaute Sendschwert.”
De Jong verfluchte seine Vorliebe für die Rubrik 'Kurioses' in der Zeitung, unabhängig vom Datum ihres Erscheinens. Er betrachtete die Aufnahme, auf die Bühlows Zeigefinger gepocht hatte. Sie zeigte eine Frau mittleren Alters, die wie schlafend auf dem Rücken lag, mit geschlossenen Augen, die Hände vor der Brust verschränkt. Unterhalb ihrer Arme bedeckte ihren Körper eine dunkle Plastikplane. Die verschränkten Hände umfassten den Knauf eines Schwerts, das auf der Plane lag. Insgesamt sah sie nicht aus wie das Opfer eines Mordes, sondern wie eine mittelalterliche Königin in ihrer Gruft.
„Und dieses Schwert ist auch die Mordwaffe?”, erkundigte er sich.
„Das Ding ist ein Symbol”, sagte Bühlow. „Es ist viel zu stumpf, um als Waffe zu taugen. Damit könntest du höchstens jemanden verprügeln.”
„Wie wurde sie dann ermordet?”
„Erstochen. Mit einem langen Dolch.”
„Also doch.”
„Die Mordwaffe ist aber nicht auffindbar. Stattdessen hat der Täter die Schwertklinge mit Blut beschmiert.”
„Damit man das Schwert für die Mordwaffe hält?”
„Oder um einen Hinweis auf das Mordmotiv zu geben”, mutmaßte der Hauptkommissar.
„Und das wäre?”
„Das Sendschwert symbolisiert die Obrigkeit und ihre richterliche Gewalt”, erklärte Bühlow, winkte dem vorbeieilenden Aristoteles zu und deutete auf seine leere Kaffeetasse. „Aber das ist ja noch nicht alles.”
„Nein?”
Bühlow kassierte die Fotos wieder ein. „Schon mal was von den Fünfzig Gerechten gehört?” Resigniert schüttelte er den Kopf. „Schon klar, das hast du natürlich auch nicht mitgekriegt.”
„Seit über einer Woche fällt bei mir ständig das Internet aus”, behauptete de Jong kleinlaut. „Du weißt, was das bedeutet: kein Telefon, kein Fernsehen, kein Garnichts …”
„Tja, in so einem Fall sind Zeitungen von vorgestern natürlich das Informationsmedium.” Hauptkommissar Bühlow bekam seinen Kaffee serviert. Er schaltete sein Smartphone ein, wischte auf dem Display herum und hielt es de Jong schließlich hin. Ein Video wurde abgespielt. Man sah den Domplatz, ein Mann mit langem wehenden Haar nach Art der Siebziger in einer weißen Soutane redete zu einer Menschenmenge. Schätzungsweise hundertfünfzig bis zweihundert Personen. Seine Stimme war nicht sehr laut, die Gestik theatralisch. Was er sagte, konnte man nicht verstehen, weil die Aufnahme aus zu großer Entfernung gemacht worden war. „Das sind aber mehr als fünfzig”, meinte de Jong.
„Darf ich vorstellen?”, sagte Bühlow. „Meinhardt Süß, erster Prophet der Fünfzig Gerechten. Nennt sich Savonarola der Jüngere. Für die jungen Leute auch gern Savonarola zwei Punkt null. Einen Tag nach dem Mord hatte er seinen großen Auftritt. Er schwafelte davon, dass Gott einen Racheengel geschickt hat, der die Menschen mit dem Schwert für ihre Sünden straft.”
„Na und?”, meinte de Jong. „Solche Spinner gibt’s doch immer. Oder willst du mir erzählen, dass ihr jetzt gegen Gott ermittelt?”
Ein zweiter Tisch wurde besetzt, von einem jungen Pärchen. Während die beiden auf die Speisekarte warteten, daddelten sie jeder für sich auf ihrem Smartphone.
„Der Kerl ist nicht nur ein simpler Spinner. Er ist ein ausgewiesenes Arschloch. Aber davon erzähle ich dir ein anderes Mal.”
„Warum denn nicht jetzt?”
„Die Fünfzig Gerechten sind eine fundamentalistische Splittergruppe. Normalerweise lungern sie vor Arztpraxen herum und belästigen Patientinnen, indem sie auf aggressive Weise für sie beten. Oder sie legen sich mit Kinobesuchern an, die sich moderne Filme ansehen. Aber seit Süß diese Rede gehalten hat …”
Aristoteles brachte die Speisekarten an den Nebentisch. Er wurde aber ignoriert, weil beide Gäste mit SMS-Schreiben beschäftigt waren, also deponierte er die Karten einfach auf dem Tisch und begab sich wieder hinein, ohne seinerseits de Jong zu bemerken, der ihn heranwinkte.
„Diese Gerechten wollen unbedingt als Religion anerkannt werden”, sagte Bühlow. „Im Zentrum Nord planen sie eine riesige Gebetshalle, die noch größer werden soll als die Zentrale der Scientologen in München. Ein wahrer Protzbau. Aber die Stadt Münster hat den Bauantrag abgelehnt. Seitdem demonstrieren sie gegen Intoleranz und für Religionsfreiheit.”
„Und Süß?”
„Er sieht sich fast am Ziel. Als erster Hohepriester seiner sogenannten Kirche. Aber das wird er nur, wenn die ihre Kirche bauen dürfen. Und diese Rede war irgendwie seine Sternstunde. Seit er sie gehalten hat, rotten sich täglich überall Gerechte zusammen. Und es werden immer mehr. Ich sag dir was: Die Situation könnte außer Kontrolle geraten, aber davon will natürlich niemand etwas wissen.”
„Es klingt ein bisschen so”, meinte de Jong, „als wäre Süß ein Bekannter von dir.”
„Ach was, davon kann keine Rede sein. Aber ich weiß ziemlich genau, was man von ihm zu halten hat.”
„Dann erzähl doch mal.”
„Sag mir erst, ob du mitmachst.”
De Jong nahm wieder einen tiefen Atemzug, schon zum zweiten Mal heute. „Also, wie ich schon gesagt habe, ich -”
„Es ist kein Bagatelldelikt. Es ist ein richtig fetter Mordfall.”
„Ist mir klar. Aber ich bin eben kein Mordermittler mehr.”
„Natürlich bist du das.”
„Nein. Irgendwann muss Schluss damit sein.”
Achim Bühlow schüttelte trotzig den Kopf. „Damit ist nie Schluss.”
„Was meinst du denn damit? Das ist immer noch die Mordkommission und nicht die Mafia.”
Der Kopf wurde immer noch geschüttelt.
„Wir machen doch auf jeden Fall noch weiter Musik zusammen, keine Sorge.”
„Musik …” Jetzt verzog Bühlow das Gesicht, als hätte er auf etwas Verdorbenes gebissen. Als hätte ihm das jetzt noch den allerletzten Spaß am Tag genommen. „Klar, können wir natürlich …”
„Müssen wir aber nicht, wenn es dir etwas ausmacht.”
Aristoteles hatte endlich Zeit, sie zahlten, bekamen aber jeder noch einen Abschiedsouzo. „Seit die Middelhauves eingezogen sind, ist es ein bisschen kompliziert”, sagte Bühlow.
„Deine neuen Nachbarn?”
„Genau. Eigentlich nette Leute, aber ihre musikalischen Vorlieben stammen vom Wühltisch im Baumarkt. Udo Jürgens, Helene Fischer. Und alles dazwischen. Na ja, das ist ihr gutes Recht. Auf schlechte Musik zu stehen, ist schließlich kein Verbrechen. Juristisch gesehen jedenfalls. Aber dass sie diesen Musikgeschmack mit uns teilen müssen …”
„Sie haben euch eingeladen?”
De Jong fing einen Blick auf, als hätte man auch ihn beim Wühlen im Baumarkt ertappt. „Die drehen ihre Kiste voll auf, sodass wir das öde Gewummer noch im Schlafzimmer hören. Sogar auf dem Klo, und das um halb drei in der Nacht. Ich hab sie neulich drauf angesprochen, aber sie haben nur verständnisvoll gegrinst und sich dabei wahrscheinlich gefragt, wie man so spießig sein kann. Das haben sie nicht laut gefragt, natürlich nicht, weil sie sich das nicht trauen. Und der Lärm ist seitdem nicht weniger, sondern eher mehr geworden.”
„Okay, die Verhandlungen waren also ergebnislos.” De Jong nahm sein Ouzoglas mit zwei Fingern und stieß damit an Bühlows. „Um so mehr ein Grund für uns abzurocken. Zeigen wir es deinen Nachbarn. Falsch spielen war schon immer meine Stärke.”
Bühlow grinste freudlos. „Ich lerne jetzt Dudelsack.”
„Was lernst du?”
„Eine reine Vergeltungsmaßnahme. Unterricht einmal die Woche, aber du musst regelmäßig üben. Mindestens eine halbe Stunde pro Tag. Mal sehen, wie lange sie das durchhalten.”
„Die Middelhauves?” De Jong nickte und pfiff leicht durch die Zähne. „Na ja, das ist allerdings schon eine Maßnahme …” Eskalation, wollte er hinzufügen, hat im Kalten Krieg auch nicht immer geholfen, die Wogen zu glätten, aber er hielt den Mund.
„Das Problem ist Kristin”, sagte Bühlow. „Vielmehr unsere Beziehung. Sie droht damit auszuziehen, wenn ich nicht auf ein anderes Instrument umsattele. Was denkst du wohl, was ich mit Blockflöte oder Triangel ausrichten kann?, hab ich sie gefragt. Aber du kennst sie ja, sie kann ganz schön ultimativ sein.”
„Tja, so ist sie eben”, steuerte de Jong sinnloses Geschwätz bei, weil ihm nichts anderes einfiel.
Eine Weile saßen sie schweigend gegenüber und betrachteten den neugestalteten Bahnhofsvorplatz. Autos im Schritttempo auf der Suche nach einem Parkplatz, Radfahrer, die sich gegenseitig die Vorfahrt nahmen. Dann war der Ouzo alle.
„Jetzt sag schon, was das für eine Sache ist mit dir und diesem Motorola”, drängte de Jong.
„Savonarola.”
„Meinetwegen.”
„Nein, nein, lass nur.” Bühlow stand abrupt auf und steckte seine Geldbörse ein. „Sowas interessiert dich ja nicht mehr.”
„Kannst du mir wenigstens dieses Video weiterleiten?”, rief de Jong ihm nach. „Das mit dem irren Propheten. Oder schick mir einen Link! Machst du das?”
Achim Bühlow hob die Hand zum Winken, drehte sich aber nicht mehr um.
Der Send. Die meisten dachten da an Achterbahn, Riesenrad und Currywurst zu Preisen, die man sonst nur vom Weihnachtsmarkt kannte. Aber vor etlichen hundert Jahren hatte es mal eine Zeit gegeben, da war der Send alles andere als ein Kirmesspaß gewesen, nämlich ein höchst hoheitliches Gericht, abgehalten von geistlichen Herrn, die dazu regelmäßig in Münster zusammenkamen. Die urteilten hauptsächlich über Delikte wie gotteslästerliche Reden, hemmungslose Zecherei, Betrügen beim Kartenspiel oder Missachtung der Sonntagsruhe. Meistens blieb es bei einer Verwarnung, hin und wieder bekam ein Delinquent auch mal einen Schandstein umgehängt oder wurde in den Pranger gesteckt. Aber das Marktgeschehen anlässlich des Sends weitete sich aus, die Wirtschaft florierte und es entstand eine Art Duty-Free-Zone auf dem Domplatz. Die Händler kamen von weit her, um Geschäfte zu machen. Und je größer das Geschäft, desto eher hört der Spaß auf - diese eherne Regel galt auch schon damals, sodass so mancher goldener Deal blutig endete. Deshalb verhängte die Bürgerschaft einen Marktfrieden und bedrohte jeden Bruch dieses Friedens mit der Todestrafe. Sinnbild der richterlichen Gewalt war das Sendschwert, das am Rathaus angebracht wurde, zur Warnung an alle, die mit dem Gedanken spielten, die Bürgerschaft von Münster herauszufordern.
De Jong war über das alles im Bilde. Bühlow hatte ihm nämlich mehrere Dateien als Hintergrundinformation zum Fall geschickt. Per Email. Unnötigerweise. Denn de Jong hatte klar und deutlich gemacht, dass er sich an der Ermittlung nicht beteiligen wollte. - Na ja, nicht ganz so klar und deutlich. Nach Bühlows Auftritt bei Aristoteles machte er sich nämlich um seinen Freund Sorgen. Der Dudelsackstreit mit den Nachbarn, Kristin, die mit Auszug drohte, seine ständige Gereiztheit - das alles schien keinen guten Verlauf zu nehmen.
Und deshalb hatte er dem Hauptkommissar, kaum dass er wieder auf dem Alten Mädchen war, geschrieben: Sei doch nicht sauer. Schick mir den Link, ich kann dir aber nichts versprechen. Und wie sich herausstellte, war Bühlow auch nicht sauer. Er hatte umgehend geantwortet: Ich nehme das jetzt mal als ja. Schön, dass du zurück an Bord bist.
Zurück an Bord - nein, davon kann eigentlich keine Rede sein, hätte de Jong umgehend antworten müssen. Ich wollte nur nett sein, aber das ändert nichts daran, dass ich zurzeit lieber Abstand halten will, was Bluttaten angeht. Aber das tat er dann doch nicht. Weil er Bühlow nicht im Regen stehen lassen wollte? Der eigentliche Grund war wohl, dass sie beide mit dem gemeinsamen Musizieren derzeit so gut vorankamen. Eine falsche Bemerkung genügte, und Achim Bühlow würde sich ab jetzt ausschließlich seinem neuen Hobby widmen, dem Dudelsackspiel. Wollte de Jong das riskieren?
Trotzdem, er musste es richtigstellen. Sonst stand Bühlow ja erst recht im Regen. Der Exkommissar tippte schnell eine SMS ins Handy, dann löschte er sie wieder, weil er fand, dass er einen völlig falschen Ton angeschlagen hatte. Den zweiten Versuch unterband das Mobiltelefon selbst, indem es einen eingehenden Anruf meldete. Eugen Küppers, Bühlows Onkel.
„Hey”, sagte de Jong.
„Hey”, sagte Küppers. „Hast du das mit Hohlbein gehört?”
„Hohlbein? Wer ist das?”
„Jens Hohlbein, Hauptkommissar. Ist kurz nach mir in den Ruhestand gegangen.” Eugen Küppers war nämlich seit etwa einem halben Jahr nicht mehr aktiv dabei.
„Ach, du meinst Jens …”
„Genau. Jens.”
„Und was ist mit ihm?”
„Er wurde umgebracht. Erschossen. Angeblich in Notwehr.”
„Was?”
„Sag mal, kriegst du überhaupt noch was mit?”
Jetzt fing Küppers auch damit an. „Mein Internet ist weg. Schon seit Tagen. Er wurde also erschossen?”
„Der Täter ist ein gewisser Arnold Landowski. Er hat sich bedroht gefühlt. Hohlbein hätte plötzlich vor seiner Tür gestanden und mit einer Kanone herumgefuchtelt.”
„Warum?”
„Das frage ich mich ja auch. Da ist so einiges seltsam, findest du nicht? Was hatte Hohlbein bei Arnold Landowski verloren, wieso hatte er eine Waffe dabei? Und wenn Landowski sich bedroht fühlte, wieso schießt er Jens dreimal in die Brust, als sei er einer dieser wildgewordenen Zombies aus dem Fernsehen?”
„Ich weiß es nicht”, sagte de Jong. Er erinnerte sich jetzt an Hohlbein. Ein ernster Typ, fast nie zu Scherzen aufgelegt. Ein oder zweimal hatte de Jong mit ihm ein Bier getrunken, das wusste er wieder. Aber mehr war nicht gewesen. Er konnte sich nicht mal mehr erinnern, worüber sie gesprochen hatten.
„Wenn du Zeit hast”, sagte Küppers, „dann komm doch mal vorbei, dann sehen wir, was wir da machen können.”
„Was wir machen können?”
„Ja. Rauskriegen, was wirklich passiert ist. Millie ist das wichtig.”
„Was hat denn Millie damit zu tun?”
„Na ja, Jens war hin und wieder mal hier zu Kaffee und Kuchen. Und wenn dann sowas passiert, dann bleibt man nicht einfach auf seinem Hintern sitzen, sagt sie. Dann kümmert man sich.”
„Das ist typisch Millie”, meinte de Jong. „Dann kümmerst du dich also?”
„Tja, das ist das Problem. Zeitlich gesehen fehlen mir momentan die Ressourcen.”
„Ach, und deshalb hast du mich angerufen?”
„Ich hab zurzeit einfach zu viel an der Backe, verstehst du? Deshalb dachte ich, du könntest mal vorbeikommen und dir die Sache wenigstens anschauen. Du willst mir doch nicht etwa sagen, du hättest auch keine Zeit?”
„Ehrlich gesagt, da ist diese Sendschwertsache”, meinte de Jong, weil ihn ärgerte, dass Eugen offenbar glaubte, er würde die Tage mit Nasenbohren und sonst nichts verbringen. „An der bin ich nämlich auch dran ...” Er schnappte sich die Maus und klickte auf den Link, den Achim geschickt hatte. Der öffnete den Nachrichtenkanal der Fünfzig Gerechten, der sich 'Stimme der Wahrheit' nannte. Wieder sah man den Prophet auf dem Domplatz, wie er redete und gestikulierte, jetzt aber aus nächster Nähe. De Jong schaltete den Ton ab.
„Ein Serientäter”, sagte Küppers.
De Jong seufzte genervt. „Wie kommst du jetzt da drauf?”
„Mein Gefühl.”
„Warum lässt du nicht die Kripo Münster ihre Arbeit machen? Die werden schon rauskriegen, ob das echte Notwehr war oder was anderes. Oder denkst du vielleicht, die kriegen ohne dich nichts auf die Reihe?”
„Stell dir das mal vor, Niklas: Dieser Kerl knallt Jens einfach so ab und kommt damit davon. Das kann doch nicht sein.”
„Nein, natürlich nicht”, sagte de Jong und legte auf. Dann schaltete er den Ton wieder ein.
***
Der Exkommissar hatte nicht vorgehabt, die Rede von Savonarola zwei punkt null anzuhören. Aber er tat es trotzdem. Auf seine schräge Art war dieser Kerl nämlich ein begabter Redner. Nicht dass er überzeugend wirkte, weil das, was er zu sagen hatte, einleuchtete und Hand und Fuß hatte; sondern er wirkte überzeugend, obwohl das, was er verbal absonderte, eindeutig hanebüchener Unsinn war. Vielleicht war er auch eher überredend als überzeugend. Seine Stimme war durchdringend, aber nicht schrill und bewegte sich in einem einschläfernden Singsang, der auf geradezu göbbelshafte Weise den Verstand benebelte und gleichzeitig alle menschlichen Empörungsorgane bis zum Äußersten stimulierte. Der Mann hatte es auf das Suchtzentrum der Seele abgesehen, auf das kleine, notorisch beleidigte Ego, das allein dafür lebte, es endlich allen einmal heimzuzahlen. Gott der Herr habe das hier befohlen, rief der Prophet und deutete auf die Stelle, auf der Stunden zuvor noch die Leiche einer Frau gelegen hatte. Weil es Gott dem Herrn nämlich Ernst damit sei, dass er dem Laster und der Verderbnis den Kampf angesagt habe. „Nenne mir fünfzig Gerechte, nur fünzig, und ich werde diese verderbte Stadt verschonen und nicht, wie eigentlich beabsichtigt, dem Erdboden gleichmachen. Das verkündet uns dieser Engel.” Der Mann, der Süß hieß, erzählte daraufhin eine Geschichte, derzufolge der Erzengel Gabriel einst selbst das Schwert dort am Rathaus befestigt hatte, zur Mahnung an die Sterblichen, ihr Leben in Demut und Gottesfurcht zu verbringen. So manche hätten versucht, es dort aus seiner Verankerung herauszuziehen, aber vergeblich: Es habe dort so fest gehangen wie angewachsen, so als ob es excaliburgleich in einem Felsblock steckte. Aber eines Tages, so die Verheißung, wenn die Zeit des Vollstreckers gekommen sei, dann würde man eben jenen Vollstrecker daran erkennen, dass es ihm mühelos gelinge, das Schwert herauszuziehen …
De Jong stoppte das Video. Das Fenster schloss sich, darunter kam Achim Bühlows Kommentar zum Vorschein: Vor über zwanzig Jahren hat der Vollstrecker schon mal das Schwert geklaut. Damals hatte man Fans des Regionalligisten Rotweiß-Essen in Verdacht, aber das konnte nie bewiesen werden.
Die Situation könnte außer Kontrolle geraten. Nur wegen eines durchgeknallten Fanatikers? Irgendwas war da zwischen Bühlow und diesem falschen Propheten, da war de Jong sich fast sicher. Er hätte zu gern gewusst, was.
Immerhin hatte er es geschafft, Achim Bühlows Stimmung ein wenig aufzuhellen, indem er vorgegeben hatte, wieder 'zurück an Bord' zu sein. Eugen Küppers gegenüber hatte er es ja auch vorgegeben. Küppers, der offene Fragen klären wollte, was den Tod eines ehemaligen Kollegen betraf, dem aber dazu die Zeit fehlte. Der Exkommissar verspürte wenig Lust, sich weiter mit seinem schlechten Gewissen auseinanderzusetzen. Deshalb - und weil das Wetter jetzt schon seit über einer Stunde ohne Regen auskam - bestieg er sein Rad und fuhr ins Südviertel.
Eugen und Millie bewohnten ein halbes Doppelhaus in einer für die Stadt untypischen Lage: an der Kante eines Abhangs, der steil hinunter zur Umgehungsstraße abfiel, die das Stadtviertel vierspurig in zwei Hälften zerschnitt. De Jong traf Millie im Garten an, wo sie geräusch-unempfindliches Gemüse anbaute. „Niklas, das ist ja ein netter Besuch”, freute sie sich.
„Tja, eigentlich wollte ich mit Eugen sprechen.”
„Der ist leider nicht da. Aber komm doch mit rein, ich hab noch Kuchen vom Sonntag übrig.” Sie streifte ihre Gartenhandschuhe ab, warf sie ins Gras und ging vor ins Haus. „Hast du das mit Hohlbein gehört?”
„Ja”, sagte de Jong, der ihr gefolgt war, „deshalb wollte ich ja mit Eugen sprechen. Da scheint ja so manches seltsam zu sein, und er hat mich gebeten, dass ich mich drum kümmere.”
„Du? Aber er sollte sich drum kümmern.” Millie ließ de Jong im Wohnzimmer stehen, verschwand in der Küche und setzte Kaffee auf. „Er war doch mit Jens so dicke.”
„Mir hat er gesagt, dass er zuviel an der Backe hätte und es einfach nicht schafft.”
„Ach so.”
Der Ton, in dem sie dieses Ach so sagte, ließ de Jong hellhörig werden. Er klang so wie wenn man in einer Melodie einen falschen Ton erwischt. „Was meinst du?”, fragte er deshalb.
Sie kam zurück. Aus der Küche drang das Röcheln der Kaffeemaschine. „Hat er dir denn auch erzählt, was er so an der Backe hat?”
„Ich dachte mir, das Übliche eben: den Fußballverein oder irgendwelche aufwändigen Serienmord-Recherchen ...”
„Schön wär's”, sagte Millie und nickte dabei. Ihr Gesicht wurde schlagartig ernst. „Weißt du was: In Wirklichkeit muss er sich vor Gericht verantworten. Wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung und möglicherweise fahrlässiger Körperverletzung.”
„Wer? Eugen?”
Millie begab sich zurück in die Küche und kehrte mit einem Teller und einer Kuchengabel zurück. Auf dem Teller lag ein Stück Schokoladenkuchen. „Seit Eugen im Ruhestand ist, verhält er sich seltsam”, sagte sie, stellte den Teller vor de Jong auf den Tisch und bedeutete ihm mit einer Geste Platz zu nehmen. Dann setzte sie sich ihm gegenüber.
„Was meinst du mit seltsam?”
„Na ja, weißt du, irgendwie scheint es ihm Spaß zu machen, sich mit Leuten anzulegen. Prozesse zu führen. Vielleicht weil er so lange auf der anderen Seite gestanden hat, hab ich mir überlegt.”
„Ja, sowas soll es geben”, vermutete de Jong.