Schnappt Schröder! - Christoph Güsken - E-Book

Schnappt Schröder! E-Book

Christoph Güsken

4,4

Beschreibung

Ole Frings versucht sich als Krimiautor. Als seine Freundin ihn betrügt, ermordet er seinen Rivalen - literarisch. Er erwägt, seine Story auch in die Tat umzusetzen, doch da ist der Mann bereits tot, genau so ermordet, wie in Oles Story beschrieben. Das ist aber erst der Anfang einer Mordserie, und Ole muss sich mehr als einmal fragen: Bin ich ein Mörder? Und wenn nicht: Warum nicht?

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Christoph Güsken, geboren und aufgewachsen in Mönchengladbach, arbeitete als Buchhändler in Köln und textete für die Springmaus in Bonn. Seit 1995 lebt er als freier Autor in Münster. Er veröffentlichte zahlreiche Hörspiele und Kriminalromane.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: photocase.de/Isabelle Dominique Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-266-1 Westfalen Krimi Originalausgabe

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Für Claudia und Alicia, die versprochen haben,

Living is easy with eyes closed Misunderstanding all you see It’s getting hard to be someone, but it all works out

1

Was für ein schöner Tag!, dachte Schröder, als er auf die Straße trat, und nahm einen ganzen Atemzug würziger Frühlingsluft.

Es war ziemlich genau elf Uhr dreißig. Die Sonne lachte von einem wolkenlosen Himmel, in den Straßencafés herrschte Hochbetrieb, und die Frauen trugen verführerisch kurze Röcke. Es war einer dieser Tage, die in jeder Hinsicht perfekt waren. Der ideale Tag, um einen Mord zu begehen.

Schröder schickte sich an, die Straße zu überqueren, aber ein warnendes Klingeln ließ ihn zurückschrecken. Radfahren war in dieser Stadt nicht nur eine Art, sich fortzubewegen. Es war eine Religion, die zur Intoleranz neigte. Und ihre Anhänger musste man schlichtweg als Plage bezeichnen. Menschen auf Zweirädern thronten hoch auf ihren Sätteln und hatten nicht das Geringste mit Autofahrern gemein, jenen ökologischen Volldeppen, die ihre persönliche Bequemlichkeit in unverantwortlicher Weise über das Wohl des Planeten stellten. Radfahrer genossen es, als Vorbild herzuhalten und bei Gelegenheit Fußgänger zu drangsalieren, die keine Klingeln hatten, um sich zu wehren.

Tom Schröder machte sich nichts aus der Pedaletreterei. Er ließ sich lieber im Taxi kutschieren. Die Straße war jetzt frei und er strebte dem Haus auf der gegenüberliegenden Seite zu. Einem aufwendig restaurierten Stadthaus mit einem unverbaubaren Ausblick auf den Kanal. Dr.Heimeran Lohengrin stand in verschnörkelten goldenen Lettern auf marmorfarbenem Untergrund neben dem Klingelknopf. Literarische Agentur.

Schröder war schlank und für einen Mann nicht besonders groß. Keine respekteinflößende Erscheinung. Die Leute übersahen ihn gern, vor allem aber neigten sie im Allgemeinen dazu, ihn zu unterschätzen. Schröder musste schmunzeln. Was der Durchschnittsbürger sich doch so unter einem Mörder vorstellte: mal eine verkommene, missgebildete Gestalt, lichtscheu und verschlagen, mit gespaltener Persönlichkeit, dessen unsteter Blick eine wilde, verrückte Entschlossenheit ausstrahlte, mal einen eiskalten, berechnenden Typen, der sich sein berühmtes satanisches Grinsen nicht verkneifen konnte und niemals auch nur einen Funken Reue für seine Taten empfand. Schröder hatte nichts mit diesen Bilderbuchhalunken gemein. Er trug ein legeres Jackett, darunter ein T-Shirt und dunkle, gut sitzende Jeans. Sein Gesicht wurde niemals von einem satanischen Grinsen entstellt, sondern zeigte in der Regel eine unbeteiligte Langeweile, die man auch für Arroganz halten konnte. Schröder war belesen und bildete sich viel auf sein Allgemeinwissen ein. Seinem Outfit nach konnte man ihn für einen Therapeuten halten oder einen Exmanager, der sich nach einem Burn-out aufs Land zurückgezogen hatte, um an seiner Biografie zu feilen. Aber niemals für einen Mörder.

Die Tür wurde geöffnet. Der Hausherr stand ihm in Filzpantoffeln gegenüber. »Sie sind …?«, murmelte er statt einer Begrüßung.

»Schröder. Wir hatten miteinander telefoniert.«

»Ja, richtig. Treten Sie näher.« Die Filzpantoffeln trabten voraus, die Treppe hinauf. »Wie wär’s mit einer Erfrischung? Tomatensaft, grüner Tee?«

»Dann lieber die Erfrischung«, sagte Schröder.

Lohengrin war ein auffälliger Typ, wenngleich nicht im positiven Sinne. Zwar war er höher gewachsen als sein Gegenüber, aber seine kompakte Figur und die im Vergleich zum massigen Rumpf kurzen Gliedmaßen ließen ihn wie einen XXL-Gartenzwerg aussehen. Seine kleinen, selbstverliebt dreinblickenden Augen lagen so tief in den Höhlen, dass sie ordentlich schielen mussten, damit die unmittelbar vor ihnen aufragenden feisten Hamsterbacken ihnen nicht die Sicht versperrten. Lohengrins offensichtliche Vorliebe für enge Klamotten trug nicht zur Verbesserung seiner Erscheinung bei, im Gegenteil: Sie betonten die Vergeblichkeit seiner Bemühungen, jung und dynamisch auszusehen. Im Übrigen schnaufte der Mann bei jedem Atemzug wie ein erschöpfter Ackergaul.

Was Annabelle an diesem Kerl findet, dachte Schröder, wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben.

Der Literaturagent führte seinen Gast in eine rustikal gehaltene Wohnküche. Nostalgische Kacheln mit blauen Schiffsmotiven zierten die Wände. Gusseiserne Pfannen und Sammeltassen, mit zotigen Trinksprüchen und Bauernregeln bepinselt, baumelten an altertümlich martialischen Eisenhaken. Geschmackssache, dachte Schröder.

»Nehmen Sie doch Platz«, sagte Lohengrin.

Schröder hockte sich an den Holztisch und sah durch das Fenster auf den Kanal hinaus. Ein holländischer Frachter ließ sich von zwei winzigen Paddelbooten überholen. Auf der Brücke stockte der Autoverkehr wegen einer Baustelle.

Der Gastgeber kam mit zwei Tassen und stellte eine davon vor Schröder. »Sie sind also hier, um mir Ihr Buchprojekt vorzustellen? Da bin ich gespannt«, sagte er und platzierte sich auf der anderen Seite des Tisches.

»Ja und nein«, antwortete Schröder und wunderte sich, dass er doch einen grünen Tee bekommen hatte.

»Ja und nein?«

»Ja, ich habe Ihnen am Telefon erzählt, dass es um ein Buchprojekt ginge. Und nein: Ich fürchte, ich habe Ihnen nicht die ganze Wahrheit gesagt.«

»Nicht die ganze Wahrheit?« Lohengrins Hamsterbacken erschlafften. »Da sind Sie mir aber jetzt eine Erklärung schuldig.«

»Offen gestanden, das mit dem Projekt war frei erfunden.« Schröder lächelte höflich. »Ein Vorwand. Damit Sie mich hereinlassen, verstehen Sie?«

»Nur ein Vorwand …« Der Agent brauchte Zeit, um das zu verdauen. »Wollen Sie damit sagen, Sie haben sich hier einfach …?«

»Eingeschlichen.« Schröder nickte bestätigend. »Unter einem Vorwand. Das trifft die Sache auf den Punkt.«

»Ja, aber wenn das so ist …« Lohengrin begriff immer noch nicht, deshalb kam sein Ärger nur langsam in Fahrt. »Dann muss ich Sie bitten zu gehen. Und zwar augenblicklich. Verschwinden Sie. Das ist ja wohl … Wie kommen Sie dazu, meine kostbare Zeit zu vergeuden?«

»Überlegen Sie doch mal.« Schröder rührte sich nicht vom Fleck. »Versetzen Sie sich in meine Lage. Auch für Sie ergäbe es doch wohl kaum einen Sinn, wenn ich mich jetzt sang- und klanglos davonmachen würde, nachdem ich mir im Vorfeld so viel Mühe gegeben habe, einen Vorwand zu erfinden, um mir Zutritt zu verschaffen. Können Sie mir folgen, Lohengrin?«

»Was wollen Sie von mir? Dass ich Ihnen die Anfahrtskosten erstatte? Wer sind Sie überhaupt?«

Endlich wurde der Literaturagent richtig pampig, und damit brachen seine sattsam bekannten unangenehmen Eigenschaften durch: Eitelkeit, Selbstverliebtheit und Arroganz. Schröder fühlte sich in seiner Absicht bestätigt, etwas gegen diese Eigenschaften zu unternehmen. Er hatte den Weg also nicht umsonst gemacht. »Sehen Sie mich als Vollstrecker«, sagte er.

»Vollstrecker! Jetzt reicht’s mir aber …«

»Des Jüngsten Gerichts, wenn Sie wollen. Irgendeiner höheren Macht.«

»Überhaupt nicht komisch. Raus mit Ihnen, mein Freund, bevor ich Sie eigenhändig –«

»Ein weiser Mann hat einmal gesagt: Wenn dein letztes Stündlein anbricht, solltest du die Zeit nutzen. Es sind immerhin ganze sechzig Minuten. Ein kluger Rat, finden Sie nicht auch?«

Der Mann mit den Filzpantoffeln trat vor, packte zu und hievte Schröder am Arm aus seinem Stuhl. »Schluss jetzt mit dem Gequatsche!«

Tom Schröder war kein Riese, weshalb es nicht besonders schwer war, ihn am Arm wegzuschleifen. Sein heimlicher Trumpf war ja, dass man ihn unterschätzte. Und um einen großmäuligen Literaturagenten zu überwältigen, musste man nicht Rambo sein. Der Hausherr hatte ihn fast bis zur Tür geschleift, als Schröder eine der rustikalen gusseisernen Bratpfannen von der Wand pflückte und sie Lohengrin ohne zu zögern an den Kopf knallte.

Der sackte mit einem Schnaufer zusammen.

Als er sechs Minuten später wieder zu sich kam, befand er sich nach wie vor in seiner Wohnung. Dennoch hatte sich, wie er schon bald feststellte, seine Situation entscheidend geändert. Auffälligster Unterschied: Lohengrin war auf seinem eigenen Fernsehsessel festgeschnallt. Im DVD-Spieler steckte eine Scheibe. Schröder, der Eindringling, stand neben dem Fernseher, nickte ihm freundlich zu und betätigte die Fernbedienung. Die Vorführung startete: Ein nackter Mann penetrierte eine Frau, auch sie nackt bis auf schwarze Nylons und hochhackige Pumps. Er schnaufte, sie stöhnte im Sekundentakt. Eine Zumutung für Auge und Ohr.

Lohengrin ließ sich nicht von den Geräuschen aus dem Fernseher ablenken. Momentan hatte er anderes im Kopf als ein mieses Fernsehprogramm. Er starrte ins Nebenzimmer, wo eine Schranktür offen stand. »Sie haben den Waffenschrank aufgebrochen!«, stieß er hervor. »Wo ist mein Jagdgewehr?«

»Sorgen Sie sich nicht um die Flinte«, erwiderte Schröder freundlich. »Stellen Sie sich lieber den Skandal vor, wenn man Sie so findet: mit heruntergelassenen Hosen vor einem drittklassigen Pornofilm.«

Der Literaturagent sah an sich hinunter. Seine Hosen hingen tatsächlich an seinen Knöcheln.

»Sie sollten froh sein, Lohengrin, dass Sie das nicht mehr erleben werden.«

»Ich werde was nicht mehr erleben? Wieso denn eigentlich nicht?«

Schröder schien Mitleid mit dem Armen zu empfinden, der ebenso verzweifelt wie vergeblich versuchte, sich einen Reim auf das alles zu machen. Er trat zum Fernsehsessel und beugte sich zu Lohengrin hinunter. »Der Grund meines Besuches«, erklärte er geduldig, »ist folgender: Ein Autor ist ein sensibles Geschöpf. Und obwohl Ihnen das klar sein muss, Lohengrin, versprechen Sie ihm das Blaue vom Himmel. Machen ihm den Mund wässrig, indem Sie behaupten, sein Buch sei so spannend, dass Sie es nicht mehr aus der Hand legen konnten. Und dann scheren Sie sich den Teufel um Ihren Klienten und gehen stattdessen seiner Frau an die Wäsche. Vollbringen mit Ihren widerwärtigen Händen widerwärtige Dinge.«

»Was geht Sie das überhaupt an?«, stieß der Agent hervor. Um die üble Beule, die seine Stirn verunstaltete, sammelten sich Schweißperlen.

»Ich kann es nicht leiden, wenn jemand Dinge behauptet, von denen er keine Ahnung hat.«

»Aber was soll ich denn behauptet haben?«

»Jede Wette, Lohengrin, Sie wissen gar nicht, wie das ist, wenn man ein Buch nicht mehr aus der Hand legen kann.«

»Sie sind wahnsinnig. Durchgeknallt! Ein durchgeknallter Wahnsinniger …«

»Ihre Ansicht.« Der ungebetene Gast deutete zum Abschied eine Verbeugung an. »Ich habe Ihre Zeit jetzt lange genug in Anspruch genommen. Bleibt mir nur noch, Ihnen eine kurzweilige Lektüre zu wünschen.« Schröder, schon fast aus der Tür, drehte sich noch einmal um. »Ein letzter Rat: Achten Sie auf die Kerze. Sie wissen doch: Viele Leser haben sich durch ihr Buch so fesseln lassen, dass sie die Kerze ganz und gar vergessen haben …«

Ein letzter Rat, las ich. Achten Sie auf die Kerze. – So ein Blödsinn! Ich fuhr mit der Maus auf das kleine X rechts oben am Bildschirmrand und klickte.

Möchten Sie die Änderungen speichern?, fragte der Computer. Ja? Nein? Abbrechen?

»Keine Ahnung, was weiß denn ich?«, ärgerte ich mich. »Und welche Änderungen überhaupt? Hier wird nichts verändert, nicht ein Buchstabe …«

Vor mir auf dem Tisch, direkt neben dem Notebook, stand ein Glas, daneben eine Flasche, die, soweit ich mich vage erinnerte, Ouzo enthielt. Ich goss nach, obwohl mir im selben Moment der Verdacht kam, dass es sich auch um die Flasche mit dem Wasser für die Topfblumen handeln konnte. Das Zeug schmeckte eklig süß, vielleicht auch ein bisschen vergammelt, und mir wurde schlecht davon. Aber egal – wäre ich stocknüchtern gewesen, ich hätte erst recht kotzen müssen.

Was da auf dem Monitor flimmerte, war nur eine Geschichte, und nicht mal eine gute. Ein Mann beging einen Mord mit allen Schikanen: Bratpfanne an den Kopf, Festschnallen auf dem Fernsehsessel, der Pornofilm … In der Praxis kam so etwas so gut wie nie vor. Barocke Inszenierungen dieser Art gab es nur im Fernsehen, und sie hatten in der Regel nur einen Sinn: Einschaltquoten zu bringen. Wenn man jemanden ernsthaft umbringen wollte, dann klingelte man bei dem Kerl an der Tür, rammte ihm ein Messer in den Bauch und wischte anschließend Blut und Fingerabdrücke ab. Das war’s dann auch schon. Mord war ein schmutziges Geschäft, bei Weitem nicht so genial geplant und brillant ausgeführt, wie es uns die fabuliersüchtige Kriminalliteratur weismachen wollte.

Entscheidend war auch nicht die Mordmethode, wen interessierte die schon? Mörder waren ergebnisorientierte Menschen. Hauptsache, ihr Opfer segnete nachprüfbar das Zeitliche. Viel wichtiger war das Motiv. Was brachte ein vernunftbegabtes Wesen dazu, eine solche Tat zu begehen? Und da sah die Sache schon anders aus. Hier fingen die Spitzfindigkeiten an. Psychologische Abgründe taten sich auf. Keine Frage, das, was ein Mörder tat, war zu verurteilen, aber in gewissen Fällen konnte man ihn auch verstehen. Der gutbürgerliche Verstand mochte sich dagegen sträuben, doch innerlich konnte man nicht anders als zugeben, dass es keineswegs verwerflich, sondern sogar geboten sein konnte, jemandem das Licht auszublasen.

Daniel Metternich war dafür ein Beispiel. Jahr für Jahr hatte der Kerl sich bei mir als bester Freund eingeschleimt. Zweimal in der Woche hatten wir uns zum Jogging getroffen, zusammen Bier getrunken bis zum Abwinken und schlechte Filme im Fernsehen angesehen. Er hatte meine Manuskripte Probe gelesen und sie – falsch und hinterlistig, wie er war – in den Himmel gelobt.

»Allererste Sahne, großes Kino, absolut!«, hatte er geschwärmt. »Du musst nur hier und da ein bisschen kürzen, und schon startest du durch. Du wirst sehen.«

»Kürzen? Was meinst du damit?«

»Du kannst mir vertrauen, Baby, ich verstehe was davon. Ich bin dein Agent.«

Du kannst mir vertrauen. Wie lange hatte ich gebraucht, um zu begreifen, dass dies die unverschämteste Lüge von allen war? Dass diese unscheinbaren Worte ein messerscharfer Dolch waren, den er mir eiskalt und mit voller Absicht in den Rücken stieß? Wie lange, bis bei mir der Groschen fiel, warum Dannis mysteriöse Marketingseminare und Annabelles verspätete Teambesprechungen immer zur gleichen Zeit stattfanden? Meine Arglosigkeit – gut, man konnte sie Schlafmützigkeit nennen und mir vorwerfen. Aber es war Gutgläubigkeit gewesen, die mich zum Spielball der beiden gemacht hatte, zum ahnungslosen Blödmann in ihren intriganten Händen.

Draußen auf der Straße klingelte ein später Radfahrer. Ich rappelte mich hoch und wollte hinausschauen, hatte aber vergessen, in welcher Richtung das Fenster lag. Also ließ ich mich wieder auf den Stuhl zurückfallen.

Ich hatte mir nichts dabei gedacht, dass Annabelle sich beim Vortäuschen ihrer Orgasmen immer weniger Mühe gab – mein Fehler. Dass ihre Ausreden, um sich vor dem Sex zu drücken, immer plumper wurden: Sie erwarte noch einen dringenden Anruf, wolle sich gerade für zweieinhalb Stunden draußen die Beine vertreten oder auf Arte eine Dokumentation über die Geschichte der ostasiatischen Religionen ansehen. Sie dachte wohl, mir könnte sie etwas vormachen. Und damit lag sie nicht ganz falsch. Aber ganz so leicht wollte ich nicht klein beigeben.

»Weißt du, was dein Problem ist?«, hatte sie mir immer gern an den Kopf geworfen. »Andere Leute tun etwas. Sie haben etwas, wovon sie etwas verstehen, und machen es. Du schreibst nur über etwas und verstehst von nichts was. Warum versuchst du es nicht noch mal als Privatdetektiv, so wie früher?«

»Ein Büro mieten, die Füße auf den Schreibtisch legen und in der Nase bohren?«, hatte ich entgegnet. »Du wolltest doch, dass ich damit aufhöre und was Kreatives mache.«

»Eben. Aber was hast du getan? Nur damit aufgehört und sonst nichts weiter.«

»Ich verfasse Kriminalromane, mein Schatz«, hatte ich in belehrendem Ton widersprochen. »Was erwartest du denn von mir? Soll ich etwa selbst jemanden umbringen?«

Desillusioniertes Kopfschütteln. Und dazu dieser herablassende Gesichtsausdruck, den sie immer aufsetzte, wenn sie sich für eine Antwort zu schade war, obwohl sonnenklar war, dass ich recht hatte.

»He, Annabelle, ich hab dich was gefragt!«

Spätestens zu dem Zeitpunkt hätte mir dämmern müssen, dass in unserer Beziehung etwas nicht ganz rund lief, und nicht erst dann, als es zu spät war. Als ich vor einem Scherbenhaufen stand und mich immer wieder fragte, was eine Klassefrau wie Annabelle an einem schlabbrigen Riesenzwerg von Metternichs Kaliber fand.

Ich nahm noch einen Schluck aus der Flasche. Der Mord an Daniel Metternich, dafür sprach vieles, war eine dieser berühmten Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Ein Tatbestand irgendwo zwischen Tyrannenmord und Notwehr, jedenfalls moralisch unbedenklich und einwandfrei. Absolut kleinkariert und unangebracht, hier mit den üblichen Bedenken zu kommen: Jemanden zu töten sei gegen das Gesetz und geschehe meist aus niederen Motiven. Das mochte alles richtig sein, aber in diesem Fall … Schließlich gab es so gut wie niemanden, dem man keinen Gefallen tat, wenn man diesen unangenehmen Zeitgenossen vom Erdboden tilgte.

»Du verstehst von nichts etwas«, hatte mir Annabelle vorgeworfen. Sie täuschte sich. Ich verstand etwas vom Schreiben. Und deshalb würde ich jetzt diese Geschichte zu Ende bringen. Arbeitstitel: Der Tag, an dem Daniel Metternich starb – oder so ähnlich. Es bereitete mir ein satanisches Vergnügen, diesen Kerl eigenhändig ins Jenseits zu schreiben.

Im Schrank hinter den Gläsern fand ich noch eine weitere Flasche. Ich schenkte mir ein, dann schrieb ich. Meine Finger flogen über die Tastatur, nur hin und wieder trafen sie den richtigen Buchstaben, aber Rechtschreibung war mir ziemlich egal, Hauptsache, die Handlung kam irgendwie voran. Die Nacht verging, draußen würde es schon bald hell werden. Ich schrieb, als gehe es darum, ein Leben zu retten, dabei handelte es sich um das Gegenteil.

Endlich war meine Geschichte fertig, ich druckte sie aus und verbrachte ich weiß nicht wie viel Zeit damit, die bedruckten Seiten anzustarren, ohne ein einziges Wort zu lesen. Schreiben mit besoffenem Kopf – für mich kein Problem. Aber lesen …

Urplötzlich ließ ich die Blätter fallen. Ich sprang auf, rannte ins Bad und übergab mich ausgiebig.

Danach ging es mir schon besser. Während des Kotzens war mir eine Idee gekommen. Auf einen Zettel schrieb ich: Lies dir diese Story mal durch, du Faltenarsch. Genau das wird nämlich mit dir passieren, wenn du deine schleimigen Finger nicht von Annabelle lässt.

Ich steckte den Schnipsel zusammen mit dem Text in einen Umschlag, klebte eine Briefmarke darauf und adressierte ihn an Metternich. Dann machte ich mich schwankend, aber zielstrebig auf den Weg zum Briefkasten.

Es war eine laue Frühlingsnacht, die mich wieder halbwegs zu mir brachte. In meinem Schädel pochte es unaufhörlich, und ich plante, später zu Hause noch das eine oder andere Gläschen gegen die Kopfschmerzen einzunehmen. Aber wenn man es, so wie ich, liebte, in Schlangenlinien auf der Promenade spazieren zu gehen, dann war genau jetzt die beste Zeit dafür.

Zwei Nachtschwärmer kamen mir entgegen. Sie bemerkten mich nicht, so sehr waren sie damit beschäftigt, sich zu streiten.

»Blöder Wichser!«, schrie das Mädchen, trat nach dem Kerl und rannte los.

»Okay, scheiß drauf!«, brüllte der Typ und warf eine Bierflasche hinter ihr her. »Dann hau ab, mach doch! Aber du brauchst gar nicht mehr zurückzukommen!« Er schüttelte die Faust gegen sie, dann stellte er sich an einen Baum, zog seinen Hosenstall auf und urinierte.

Ich versuchte in meinem Torkeln innezuhalten und nachzudenken.

Annabelle und Danni. Die beiden trieben es miteinander. Sie tummelten sich im gleichen Bett, aber man durfte nicht den Fehler begehen, sie in den gleichen Topf zu werfen. Daniel mochte ein triebgesteuerter Hornochse sein, aber das galt doch nicht für Annabelle, jedenfalls nicht in diesem Maß.

Du brauchst gar nicht mehr zurückzukommen!, hallte es in meinem Kopf wider. Annabelle war etwas Besonderes. Bisher war ich noch mit keiner Frau zusammen gewesen, für die eine Beziehung geradezu kosmische Dimensionen annahm. Als wir beide uns kennengelernt hatten, war sie fest davon überzeugt gewesen, dass das schon immer vorherbestimmt gewesen war – mindestens so wie bei Romeo und Julia oder Caesar und Cleopatra. Vergleiche dieser Art waren Annabelles Ding. Und wen kümmerte es im Nachhinein, dass Romeo oder Cleopatra etwas nebenher am Laufen hatten, wenn erst mal genügend Gras über die Geschichte gewachsen war? Sich von ihr verlassen zu lassen, wollte also gut überlegt sein. Was, wenn alles ein großes Missverständnis zwischen uns war? Wenn es ihr eigentlich fernlag, mich zu demütigen und ihre leidenschaftlichen Nächte mit Metternich einer verständlichen Sehnsucht entsprangen: dem Wunsch, sich neu zu erfinden? Viele Frauen in ihrem Alter hegten diesen Wunsch, das hatte man herausgefunden. Oder wollte sie einfach nur von einem anderen Mann das bekommen, was sie von mir nicht bekam? Obwohl ich mir auf den Tod nicht vorstellen konnte, was das sein sollte …

Scheißegal, ich würde ihr einfach sagen: »Hey, was hältst du davon, wenn wir noch mal ganz von vorn beginnen?« Und wenn sie dann natürlich sagen würde: »Das hatten wir doch schon x-mal«, dann würde ich fragen: »Was schlägst du denn vor?«

Darauf sie: »Daniel ist so ganz anders als du. Und ich brauche Abwechslung, um mich neu zu erfinden. Was denkst du über eine Auszeit?«

»Eine Auszeit?«

»Ja. Eine Auszeit für unsere Beziehung.«

Sie wollte sich neu erfinden, und ich konnte sie verstehen. Ja, das konnte ich, weiß Gott! Das Verständnis kam wie aus dem Nichts, wuchs in meinem Inneren und überdeckte schon bald alles wie eine warme, flauschige Decke aus Mitgefühl.

Auf dem Rückweg vom Briefkasten nach Hause überkam es mich wie eine Offenbarung: Dieses Verständnis würde meine Waffe sein. Annabelle rechnete nicht damit, es würde sie vollkommen überrumpeln. Und Metternich würde es an seiner empfindlichsten Stelle erwischen. Denn wenn er irgendwas nicht hatte, dann Verständnis.

»Hey!«, würde ich sagen. »Eine Auszeit. Das ist ja Wahnsinn! Weißt du, dass ich gerade eben genau das Gleiche vorschlagen wollte?« Und dann würde es so ein magischer Moment sein, wie man ihn aus Hollywoodfilmen kennt: Beide finden plötzlich heraus, dass sie den gleichen Lieblingssong haben. Bis vor einer Sekunde konnten sie sich nicht ausstehen, aber jetzt sind sie wie für einander bestimmt. Ergreifend.

Zu Hause traf ich Annabelle. Sie war auch gerade erst eingetrudelt. Sichtlich müde, gezeichnet von der langen Nacht. Gleichzeitig aber strahlte sie Zufriedenheit aus, und es lag so ein gesättigtes Leuchten in ihren Augen, das meinen Hass auf denjenigen, der sie zum Leuchten gebracht hatte, augenblicklich neu entfachte.

»Du bist noch auf?«, fragte sie, sobald sie mich bemerkte.

»Wie war deine Teambesprechung?«, fragte ich giftig zurück.

»Ganz nett.« Sie schnüffelte. »Hier riecht es ja wie in einem Schnapsladen.«

Das war typisch Annabelle. Um kurz vor vier kam sie nach Hause und beschwerte sich, dass ich ein oder zwei Gläschen getrunken hatte.

»Sag mal, für wie blöd hältst du mich eigentlich?«, fuhr ich sie an.

Sie sah auf ihre Uhr und seufzte. »Ich glaube nicht, dass das der geeignete Zeitpunkt ist, dir diese Frage zu beantworten.«

»Du warst bei ihm, stimmt’s?«

Keine Antwort.

»Du kannst es wenigstens zugeben.«

»Also gut, ich gebe es zu.«

»Siehst du, ich wusste es!«

»Warum hast du dann gefragt?«

Wie hatte ich mir nur eingebildet, in der Lage zu sein, auch nur ein Nanogramm Verständnis für diese Frau aufzubringen?

»Mich würde nur interessieren: Was ist attraktiv an ihm? Hat er etwa zufällig herausgefunden, dass er in einem früheren Leben Alexander der Große war oder der Marquis de Sade?«

Treffer! Frühere Leben waren Annabelles wunder Punkt. »Du bist so billig, weißt du.«

»Also, was ist es dann?«

»Er macht wenigstens was.«

»Er macht was? Was soll das heißen? Was macht er denn schon?«

»Er ist kreativ.«

»Ach tatsächlich, ist er das? Und was bin ich?«

Mitleid trübte ihren Blick, es war diese verächtliche Sorte Mitleid, zu der nur sie fähig war. »Ich bin mir nicht sicher, was du bist.«

»Also wirklich, ich hätte nie gedacht, dass du so tief sinken würdest, es dir von einem wie ihm besorgen zu lassen.«

Schulterzucken. »Es gibt Männer, die haben Phantasie und Humor. Ehrgeiz, aus ihrem Leben etwas zu machen. Sie sehen die Dinge positiv.«

»Ach, so ist das.«

»Ja, so ist das. Du beschwerst dich doch nur, aber du änderst nichts.«

»Jetzt kommt das wieder.«

»Natürlich. Das kommt immer. Weil bei dir immer alles so bleibt, wie es ist.«

»Blödsinn!«

»Andere Leute merken, wenn in ihrem Leben was nicht stimmt, und ändern es. Du merkst das auch, aber du lässt dich volllaufen und schreibst eine Geschichte darüber. Weißt du, was er über dich gesagt hat?«

Ich lachte schrill. »Du glaubst doch nicht, dass mich das auch nur einen feuchten Hühnerschiss interessiert.«

»Mir ist das zu blöd, Ole. Wir sollten uns mal darüber unterhalten, wer auszieht und wer hier wohnen bleibt. Aber nicht jetzt. Ich gehe schlafen.«

Auch das war typisch: einen in der entscheidenden Phase eines Gesprächs einfach stehen zu lassen und sich ins Bad zu verdrücken.

»Also was?«, rief ich.

»Was was?«

»Was hat er gesagt?«

»Ich dachte, es interessiert dich nicht.«

»Tut es auch nicht.«

»Na also.« Damit schloss sich die Badezimmertür hinter ihr.

Ich ging zum Schreibtisch und sah nach, ob noch was in der Flasche war.

Die Tür öffnete sich wieder, wenn auch nur einen Spalt weit. »Ein Mann, der in so peinlicher Weise für Kreativität hält, was nichts weiter als geschwätzige Wehleidigkeit ist, der kann einem nicht einmal leidtun. Das hat er gesagt.«

Annabelle duschte, und ich fand noch eine halb volle Flasche.

Es bedarf wohl keiner näheren Erklärung, wie schwer es mir in einer Situation wie dieser fiel, zuzugeben, dass sie recht hatte. Es gehörte Größe dazu, in den Spiegel zu schauen und sich von einem besoffenen Monster anstarren zu lassen, das Wehleidigkeit für Kreativität hielt.

Annabelle war spät dran, also brauchte sie nicht länger als eine halbe Stunde im Bad. Danach verzog sie sich ins Bett, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.

Pech für sie. Denn so verschnarchte sie den entscheidenden Moment dieser Nacht. Ich, Ole Frings, gelobte nämlich feierlich, mich fortan nicht mehr damit zu begnügen, nur Worte zu machen und sie zu Papier zu bringen. Mir einzubilden, ich könnte mit bedrucktem Papier irgendetwas gegen die Wirklichkeit ausrichten. Krimiautoren aller Länder mochten die Welt wortreich schöngeschrieben und -geschminkt haben; es kam aber darauf an, sie zu verändern.

Dies war der Moment, da ich den definitiven Entschluss fasste, Daniel Metternich umzubringen.

2

»Ole, alter Schwede! Gut, dass du dich meldest. Ich hätte dich sonst auch angerufen.«

Es war knappe acht Stunden später. Metternichs Stimme flötete mir derart ins Ohr, dass ich mich fragte, ob er irgendwelche Gutmenschen-Medikamente nahm.

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