Der Staub der Elefanten - Hubert Michelis - E-Book

Der Staub der Elefanten E-Book

Hubert Michelis

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Beschreibung

Dies ist die Geschichte eines Elefantenjungen, der als seelisch verletztes Waisenkind ohne Familie aufwachsen muss, wobei Ben für unzählige kleine Elefanten steht, die sein Schicksal teilen. Möglichst viele Menschen sollen Ben durch sein Leben begleiten, um ihn und seine Artgenossen zu verstehen. Denn nur wer versteht, kann etwas ändern auf dieser Welt! Empfohlen ab 12 Jahren. Hubert Michelis gelingt es mit großem Einfühlungsvermögen, sich in das Leben der Elefanten hineinzuversetzen und ihr grausames Schicksal zur Sprache zu bringen: Wilderer bedrohen den kleinen Elefanten Ben und seine Familie. Die Elefanten müssen fliehen. Der Beginn eines verzweifelten Wettlaufs mit der Zeit, bei dem es um Leben und Tod geht … Es ist eine spannende und zugleich innovative Fabel aus der Perspektive der Tiere. Die Geschichte zieht den Leser unweigerlich in ihren Sog und lässt ihn mit den Elefanten bangen und hoffen. Sie löst Betroffenheit und Mitgefühl aus. Genau das will und muss sie tun, denn ohne unsere Empathie könnte es diese herrlichen Tiere schon bald nicht mehr geben! (T.-S. Ho) Eine herzanrührende Geschichte über einen kleinen Elefanten und seine in ihrem Fortbestand bedrohten Verwandten in den Savannen Afrikas. Für kleine und große Leute. (Dr. Hella Jäger-Mertin, Literaturwissenschaftlerin) Das Buch hat den Literaturpreis "Best Author" und "Best Illustrator" 2020 gewonnen.

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Seitenzahl: 104

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Geschrieben von

Hubert Michelis

Illustriert von

Karina Pfolz

Der Staub der Elefanten

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages, Herausgebers, Autor und Illustratorin unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Impressum:

© KarinaVerlag, Wien

www.karinaverlag.at

Text: Hubert Michelis

Lektorat: Bruno Moebius

Cover Design und Layout: Karina Pfolz

Illustrationen, Nachwort: Karina Pfolz

© 2021, Karina Verlag, Vienna, Austria,

ISBN: 9783985512218

Die Elefantenfamilie

Benjamin war ein Elefantenbaby von etwa zwei Jahren, das von seiner Mutter Berta noch immer gesäugt wurde. Sie nannte ihren Sohn Ben und schenkte ihm viel Liebe und Zärtlichkeit.

Eigentlich, dachte Berta, ist Ben inzwischen groß genug, um feste Nahrung zu fressen, aber dem Kleinen gefällt es, gesäugt zu werden und meine nahrhafte Milch zu trinken. Und wächst er nicht täglich mehr und mehr? Der Mutter war bewusst, dass es an der Zeit war, ihr Söhnchen zu entwöhnen, sie tat sich jedoch schwer damit. Möglicherweise hatte dieser Umstand mit Bertas Verhältnis zu ihren Tanten Tina und Ella zu tun? Die beiden waren in der Frage der Ernährung und in manchen Erziehungsfragen anderer Auffassung als die junge Mutter, wodurch es einige Male zum Streit gekommen war. Was das Fressen anging, hatten sie Berta geraten, Ben endlich mal was ›Ordentliches‹ zu futtern zu geben, denn allein von der Muttermilch würde der Kleine nicht mehr satt! Umso mehr freute sich Berta darüber, dass aus ihrem Baby bereits jetzt ein ansehnlicher Bursche geworden war, und eines Tages wäre er, trotz seiner kleinen Gehbehinderung, ein prächtiger Bulle. Berta war ungeheuer stolz auf ihr Junges, wenngleich Bens körperliche Beeinträchtigung immer auch einen Wermutstropfen für sie darstellte. Doch solche Bitterkeit empfand sie nur für sich allein. Vor der Elefantenfamilie prahlte sie gerne darüber, wie stolz sie auf den Kleinen war.

»Schon bei der Geburt«, protzte sie dann vor ihrer Verwandtschaft, »war Ben ein ungewöhnlich kräftiges Kerlchen, und sieht er nicht von Tag zu Tag seinem Vater ähnlicher?«

Dass Ben seit seiner Geburt ein wenig das rechte Hinterbein nachzog,ansonsten jedoch ein putzmunterer, kerngesunder kleiner Elefant war, stellte für die Mutter ein Problem dar. Bens Gehbehinderung war nicht schwerwiegend. Weitaus zutreffender hätte man sie als einen ›Schönheitsfehler‹ der Natur bezeichnen können. Trotzdem wehrte sich Berta dagegen und wollte davon nichts wissen. Vor den anderen Mitgliedern ihrer Familie, die allesamt von tadellosem Wuchs und mit keinem Makel behaftet waren, schämte sie sich regelrecht.

Ich verstehe nicht, dass mir das passieren musste. Womit habe ich das verdient?, fragte sie sich manchmal, als wollte sie die Götter dafür verantwortlich machen. Natürlich ließ sich Bens Handicap nicht vertuschen oder vor anderen verbergen. Jeder sah und wusste davon, aber dieses kleine Defizit war für die anderen Familienmitglieder nie ein Thema, im Gegenteil! Ben war sogar sehr beliebt. Die anderen Kühe nannten ihn ihren ›Sonnenschein‹, dem alle Tiere der Herde ihre besondere Zuneigung schenkten. Allein die Mutter kam damit nicht zurecht und verlor auch nie ein Wort darüber, als existierte diese Einschränkung nicht. Möglicherweise sprach sie gerade deswegen so häufig und gerne über den vor Kraft strotzenden, gewaltigen Baba, Bens Vater. Baba weilte zwar nicht bei der Herde, war für Berta jedoch ein strahlender Held.

Ben hörte seiner Mutter gern zu, wenn sie über seinen Vater sprach. Fast jeden Abend erzählte sie ihm vor dem Einschlafen eine Geschichte über ihn. Der kleine Elefant war dann ganz Ohr. So verspielt er ansonsten auch war, wenn Berta mit ihm über die Erlebnisse Babas sprach – die bisweilen auch ihrer eigenen Fantasie entsprungen sein mochten –, verharrte Ben mucksmäuschenstill und lauschte gebannt auf jedes Wort. Nichts entging ihm und jedes Detail prägte sich tief in seinem Inneren ein. Alles andere war für ihn dann unwichtig und komplett ausgeblendet.

Aber war das ein Wunder, wenn Berta den Vater und Erzeuger ihres Söhnchens wie einen glänzenden, unbesiegbaren Titanen erstrahlen ließ? Ben fieberte mit, geriet hellauf in Begeisterung und schien in einer anderen Welt zu versinken. Es war eine Welt, die er zwar nicht kannte, jedoch unbedingt erkunden wollte. Doch damit, hatte Berta ihm erklärt, hätte es noch Zeit. Erst wenn er alt genug sei, wäre daran zu denken. Nur: Wann war ein kleiner Elefant alt und groß genug, um hinaus in die Welt zu ziehen und eigene Abenteuer zu bestehen? Das endlose Warten kam Ben sinnlos und viel zu lang vor. In seiner kindlichen Unternehmungslust fiel es ihm schwer, sich von seiner Mutter immer wieder auf jene schier unerreichbar ferne Zukunft vertrösten zu lassen. Wäre es nach ihm gegangen, er wäre auf der Stelle losgezogen, um seinen Vater zu begleiten, wenn er Berta von der Schönheit der weiten Savannen, von reißenden Flüssen und wilden Tieren erzählen hörte.

Selbst die belangloseste Kleinigkeit, die der kleine Dickhäuter über Baba erfuhr, war ihm wichtig. Längst sah er in ihm einen übermächtigen Helden. Ob Baba tatsächlich unbesiegbar war – wie Berta behauptete –, wusste Ben natürlich nicht. Allerdings beschäftigte es ihn intensiv. Auch dass Baba in seinen zahllosen Kämpfen mit Tigern, Löwen und Wilderern die eine oder andere Verwundung davongetragen und sie alle überlebt hatte, begeisterte ihn. So wusste Ben beispielsweise von seiner großen Narbe am rechten Vorderbein, die von Löwenbissen stammte. Auch von den vernarbten Schussverletzungen an seiner Schulter oder einer dicht neben dem Herzen hatte er gehört. Kurzum: Es interessierte ihn einfach alles, was mit seinem Vater zu tun hatte! Wenn Berta jedoch etwas von sich gab, was Ben bereits kannte oder anders in Erinnerung hatte, zeigte er sich entrüstet, protestierte heftig und löcherte seine Mutter so lange mit Fragen, bis die Sache für ihn geklärt war.In Wahrheit kannte Ben seinen Vater nicht, nicht wirklich zumindest. Als Säugling hatte er Baba das ein oder andere Mal auf Stippvisiten bei der Herde gesehen, konnte sich allerdings kaum daran erinnern. Er kannte ihn also nur vom Hörensagen und durch Bertas Geschichten. Das schien dem fantasiebegabten kleinen Kerl ausreichend, um sich ein lebendiges Bild von Baba zu machen, das ihn über dessen Abwesenheit hinwegtröstete.

Für Bens Mutter war Baba der beeindruckendste Bulle, den sie je gesehen und erlebt hatte, ein Prachtexemplar von einem Elefanten. Daraus machte sie keinen Hehl.

Allerdings erregte sie mit ihren Prahlereien bei Tina und Ella Neid und Missgunst. Die beiden waren – wie gesagt – ihre Tanten, und jede von ihnen hatte eine Tochter im Teenageralter.

Wenn Berta ihren Baba in höchsten Tönen lobte, kam das bei Tina und Ella also nicht gut an. Manchmal gerieten sie darüber sogar in Streit. »Dein Baba ist noch nicht mal hier, um sein Söhnchen zu bewundern!«, stichelten sie dann, worauf Berta erwiderte: »Ihr werdet schon erleben, was aus meinem Ben mal für ein Kerl wird und das auch ohne seinen Vater!«

Das zänkische Gerede verstummte gewöhnlich wieder rasch, spätestens wenn Emma – wie in diesem Moment – der jungen Mutter einen strafenden Blick zuwarf. Emma trug als Leitkuh die Verantwortung für die Herde. Ein einziger Blick von ihr konnte genügen, um andere zurechtzuweisen oder zur Räson zu bringen. Sie führte die Elefantenfamilie mit Umsicht und fester Hand. Für die Herde war sie eine unangefochtene Autorität, die Zwist oder Streit im Keim erstickte. Sagte Emma etwas, galt das für die anderen Kühe als Gesetz, das man nicht in Frage stellte. Gelegentlich aufkommende Reibereien untereinander duldete sie nicht, da sie Eintracht und Zusammenalt ihrer Herde bedrohten.

Emma war die Älteste. In jüngeren Jahren hatte sie zwei Bullen geboren und großgezogen. Eine Tochter hatte sie allerdings nie bekommen und damit auch keine Nachfolgerin. Noch fühlte sie sich nicht zu alt oder schwach, die Geschicke ihrer Herde zu leiten.

Kommt Zeit, kommt Rat, dachte sie sich. Eines Tages werde ich schon jemanden finden, der dieser Aufgabe gewachsen ist. Insgeheim hatte sie längst eine Wahl getroffen, es der von ihr auserwählten Kuh aber bisher nicht mitgeteilt.

Mit den Söhnen war das so eine Sache unter den Elefanten! Wenn die männlichen Kälber einmal zu Elefantenbullen herangewachsen waren, trennten sie sich von ihren Familien, um als Einzelgänger durch die Savanne zu streifen und in möglichst vielen Herden weitere Nachkommen zu zeugen. Das sicherte den Fortbestand dieser Tierart. Manchmal, erinnerte sich Emma, war es hart und schwer für eine Mutter. Denn wenn ein Sohn nicht von selbst gehen will, muss man ihn dazu zwingen. Emma hatte das persönlich erlebt. Es war ihr keineswegs leichtgefallen, ihr eigenes Fleisch und Blut von der Herde auszuschließen und fortzuschicken. Aber das war nun einmal erforderlich, und dafür trug sie als Familienoberhaupt die Verantwortung. Auch Ben würde dieses Schicksal ereilen, wenn er nicht von allein das Weite suchte.

Berta war von Emmas Zurechtweisung noch ein wenig benommen, wagte es jedoch nicht, einen einzigen Piepser dagegen zu sagen. Sie wusste selbst, dass sie gelegentlich zu viel redete und den Mund zu voll nahm. Manchmal ritt sie der Teufel, und dann wollte sie diesen beiden alten Schrullen – wie sie ihre Tanten insgeheim titulierte – eins auswischen. Wenn Berta sich von Ella und Tina bevormundet fühlte, kochte sie regelrecht über und verlor ihre Selbstbeherrschung. Solche Situationen waren brenzlig und für den sozialen Frieden der Herde nicht ungefährlich. Emma schritt dann jedes Mal ein und wies die Streithähne zurecht. Friede und Eintracht untereinander waren unantastbar. Niemand durfte den Zusammenhalt der Großfamilie durch ungebührliches oder egoistisches Verhalten gefährden, auch Berta nicht. Emma sah aus dem Blickwinkel ihrer klugen Augen, dass die junge Mutter noch immer schmollte.

Im Eifer des vorangegangenen Wortgefechts mit Ella und Tina hatte Berta ihr Söhnchen aus den Augen verloren. Jetzt suchte sie ihn verzweifelt. Ich sehe ihn nicht, wo mag er bloß stecken? Nervös blickte sie um sich. Als sie ihn endlich ausmachte, war sie sichtlich erleichtert, jedoch trieb sich der Bengel zu weit abseits der Herde herum. Das gefiel Berta nicht, zumal er im Begriff war, eine Dummheit zu begehen. Er hatte soeben mit seinem Rüssel ein Grasbüschel ausgerissen und schob es sich genüsslich ins Maul. Geschwind eilte sie zu ihm.

»Was machst du denn da, Ben?«

»Ich wollte mal probieren, wie das schmeckt!«, versuchte er seine Mutter zu täuschen.

»Das kannst du noch früh genug … Und an dem Büschel hängt ja mehr Erde als Gras! Davon kriegst du Bauchweh!«

»Krieg‘ ich nicht, schmeckt lecker und ich hab’s bei den Tanten schon öfters gefressen!«

»Wie, du hast es bereits …!?«, stammelte Berta entrüstet, um dann hinzuzufügen: »Es ist noch zu früh für dich, feste Nahrung zu dir zu nehmen!«

»Tina und Ella sind da anderer Meinung! Außerdem sagen sie, dass das bisschen Erde, das da manchmal dranhängt, überhaupt nicht schlimm wäre. Ella meinte sogar: ›Dreck reinigt den Magen!‹«

»So, meint sie das …!? Na warte, du Schlingel …«, seufzte die Mutter, wobei zunächst nicht klar war, über wen sie mehr verärgert war. »Ich denke, ich muss den beiden mal ordentlich aufs Dach steigen!«

Berta war ziemlich aufgebracht und nötigte den Jungspund, diesen ›Dreck‹ sofort wieder auszuspucken. »Ach, Ben, ich sehe schon, bis du mal groß bist, musst du noch unendlich viel lernen! So, und jetzt komm mit!« Sie stieß ihm mit ihrem Rüssel sachte in die Flanke, worauf Ben sich widerwillig, gegen die Anweisung murrend, in Bewegung setzte.

Er war beleidigt, da er seinen Willen gegen seine Mutter nicht durchsetzen konnte. In seinem Trotz suchte er nach einer Weile die Nähe Tinas und Ellas auf, die ein wenig abseits der anderen grasten. Bei den Tanten fühlte Ben sich wohler, denn sie ließen ihm mehr Freiraum und gängelten ihn nicht wie seine Mutter.