Der Sternsteinhof - Ludwig Anzengruber - E-Book

Der Sternsteinhof E-Book

Ludwig Anzengruber

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Beschreibung

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Ludwig Anzengruber

Der Sternsteinhof

eine Dorfgeschichte

Impressum

Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016
ISBN: 978-3-95923-150-3
Für Fragen und Anregungen: [email protected]
RUTHeBooks
Am Kirchplatz 7
D 82340 Feldafing
Tel. +49 (0) 8157 9266 280

Inhalt

Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel

Erstes Kapitel

Ein Gußregen war herniedergerauscht. Wallend und gischend schoß das sonst so ruhige Wässerlein zwischen den zwei Hügeln dahin; auf der Höhe des einen stand ein großes, stolzes Gehöft, am Fuße des andern, längs den Ufern des Baches, lag eine Reihe von kleinen Hütten.

Die letzte dieser Hütten war gar verwahrlost, der Türstock stand fast frei in der geborstenen Mauer, die Fensterrahmen hingen schief, hie und da guckte ein nackter Stein aus dem rauhen, verwitterten Anwurfe hervor und wenn auch die ärgsten Risse und Sprünge mit Lehm verschmiert und mit Heu und Stroh verstopft waren, so machte das den Anblick nicht besser. Dahinter stieg ein schmaler Streif bearbeiteten Bodens hinan, bestellt mit etlichen Gemüsebeeten, einem Acker mit Krautköpfen und einem andern mit Kartoffelpflanzen. Die Einfriedung dieses Besitztums war mehr angedeutet als wirklich, von Schlingpflanzen umwucherte Pflöcke standen weitab von einander und quer zwischen deren gabelförmigen Enden lagen vermorschte, schlanke Baumstämme.

Wenn der Bach, in den sie allen Unrat leiteten und warfen, träge dahinfloß, dann machte er der ärmlichen Siedlung viel Unlust, dann befiel auch die Beschränktesten da unten eine unklare Empfindung, in welcher Enge, in welchem Schmutze sie dahinlebten, aber heute wuschen die Wasser dahin und in die kühlende Feuchte der Luft mischte sich frischer Erdgeruch und würziger Pflanzenduft, und auf dem Sternsteinhof dort oben konnten sie es auch nicht wohlatmiger und gesünder haben.

Auf dem Bänklein vor der letzten Hütte saß ein etwa vierzehnjähriges Mädchen, außer einem Kopftuche, einem Hemdchen von ungebleichtem Leinen und einem verwaschenen, blauen, weißgetüpfelten Röckchen, hatte es nichts am Leibe. Die Kleine hatte die Füße an sich gezogen, daß sie in der Luft baumelten, nur manchmal streckte sie den linken aus, drückte die Sohle in die feuchte Erde und sah nach dem Grübchen, bis sich dieses mit Wasser füllte, dann war der Schuh fertig. Ja, wer Schuhe hätte, der könnte unter die reichen Leute gehen, wohl auch da hinauf nach dem Sternsteinhof.

Sie hob wieder das Köpfchen. Von ihrem Gesichte war nichts zu sehen als das runde Kinn, der untere Teil der vollen Backen und die Spitze der kleinen Nase zwischen dem Spalt des Kopftuches, das sie zum Schutze der Augen tief in die Stirne gezogen hatte, denn das war auch nötig, hinter dem Hügel, ihr im Rücken, ging eben die Sonne unter, und daher flammten die Fenster des Gehöftes, nach dem sie so unverwandt hinsah, in sprühendem Feuer. Das nasse Schieferdach des Wohnhauses, das dort inmitten weitläufiger Wirtschaftsgebäude stand, verschwamm förmlich in dem tiefdunklen Grau der Wolken, die dahinter standen und nur an den Rändern einen ganz schmalen, rotgoldenen Saum zeigten, so daß es fast aussah, als reiche der Sternsteinhof bis an den Himmel.

Wunder hätte es das Kind nicht genommen! So weit der Himmel reicht, o - wie weit war das, gehört aller Boden zum Sternsteinhof und noch ein gutes Stück ebenen Landes dazu. Was die Wiesen an Vieh ernähren konnten, die Äcker zu tragen vermochten, das hatte der Sternsteinhof-Bauer in Ställen und Scheunen. Das sagten ja die Leute, daß ihm alles wie vom Himmel fiel, seit er den feurigen Stein, die Sternschneutze, die just zur Zeit, als er den neuen Hof zu bauen begann, auf seinen Grund herniederschoß, aus der Erde heben und in das Fundament einmauern ließ.

Plötzlich wirbelte inmitten des dunklen Grau ein helles, sandfarbes Wölkchen lustig empor, der Rauch, der aus einem der Schornsteine ober dem Schieferdache aufstieg. Das Mädchen starrte danach hin und seufzte leise. Von der Seite gesehen, mit dem übergebundenen Tüchelchen, dessen Zipfel hohl und spitz, das Gesicht verdeckte, mußte sich ihr Köpfchen wie das eines kurzschnäbeligen Vogels ausnehmen; und nachdem sie vorhin nach dem Goldrande der Wolken aufgeblickt hatte und nun gerade vor sich hinsah, so war es, als hätte zuerst der Vogel etwa aus der jungen Saat in die blaue Weite geguckt, und plötzlich beäugle er etwas ganz Nahes und besänne sich, ob er darauf los gehen solle.

Ganz so sah es wenigstens nach der Meinung eines halbwüchsigen Bürschchens aus, das schon längere Zeit hinter den Zweigen der mannshohen Büsche im Vorgärtchen der Nachbarhütte lauerte. Als der putzige Vogel da drüben den Schnabel senkte, übermannte den Burschen die Lustigkeit seiner Vorstellung so, daß er mit dem Knebel, den er sich aus einem seiner Hemdärmel drehen wollte, um den lauten Ausbruch seiner Heiterkeit zu ersticken, nicht mehr rechtzeitig zu Stande kam und nun in ein prustelndes, gröhlendes Lachen ausbrach, dem aber sofort ein krampfhafter, pfeifender Husten folgte.

Die Kleine schrak anfangs heftig zusammen, jetzt aber klatschte sie in die Hände und rief lachend: "Siehst, das geschieht dir recht, Muckerl, das ist die Straf dafür, daß du die Leut' so erschreckst."

Was auch der Angeredete zu entgegnen gedachte, eine Entschuldigung oder Grobheit, für den Augenblick mußte der die eine wie die andere für sich behalten. Er lehnte an der Mauer und rang nach Luft, und in sein Gehuste klang das helle, fröhliche Lachen von drüben.

Eine dralle, behäbige Frau setzte mit einem ärgerlichen Rucke Pfanne und Topf, die sie eben zur Hand genommen, auf den Herd zurück und trat unter die Türe.

"Was gibt's denn da wieder für Dummheiten?" sagte sie. "Muckerl, du wärst wohl jetzt alt genug, um gescheit zu sein."

"Es is ja aber weiter nix, Mutter, als a bissel a Hetz", sagte der Bursche.

Die mütterliche Mahnung an sein Alter schien allerdings wohl angebracht. Wie er so dastand, barhäuptig und barfüßig, in Hemdärmeln, verlegen an dem einen einzigen Hosenträger zerrend, erschien er so engbrüstig, so völlig in der Entwicklung zurückgeblieben, kaum so groß wie das Dirnchen vor der Hütte nebenan, und er mag es wohl ein um das andere Mal vergessen, daß er volle drei Jahre mehr zähle, wie denn auch die Leute, denen davon gesagt wird, sich's gewöhnlich wiederholen lassen und dazu noch den Kopf schütteln.

Für Personen, die schon etliche Mal die Gelegenheit wahrnahmen, wohlangebrachte Mahnungen zu äußern, hatte es sicher nichts Überraschendes, daß Muckerl, sobald ihm die Mutter den Rücken kehrte, zum Vorgärtel hinaushuschte.

Er näherte sich dem Mädchen.

"Gut'n Abend, Helen'!"

"Gut'n Abend, Muckerl. Rück' zuher." Sie machte ihm auf dem Bänkchen Platz. "Was hast denn vorhin so gelacht, wie nit g'scheit?"

"Über dein' Vogelhauben. Geh' tu's weg." Er löste ihr den Knoten.

Das Dirnchen griff nach dem Tuche, das ihr in den Nacken sank und legte es vor sich in den Schoß. "Was irrt dich denn das, dummer Ding?"

"Freilich irrt's mich, weil ich dein G'sicht gern säh'."

"Na, so gaff." Sie drehte den Kopf über die eine Schulter nach ihm und sah ihm ganz nah, ohne zu lachen, in die Augen. "Hast leicht noch kein solch's g'seh'n?"

Er schüttelte den Kopf.

Es war ein vollbäckiges Kindergesicht mit gesundem Rot auf der kaum merklich braun angehauchten Haut, umrahmt von reichen Flechten schwarzen Haares mit bläulichem Schimmer. Die Stirne war frei, wölbte sich oben etwas vor, das gerade Näschen zeigte einen fein modellierten Rücken und zierliche Nüstern, die brennend roten Lippen waren voll, die obere schien ein klein wenig aufgeworfen, die untere ein bißchen eingekniffen, unter dichten Augenbrauen und zwischen schwerbefransten Lidern funkelten ein Paar graue Augen mit merkwürdig großen, dunklen Sternen.

Nachdem das Mädchen eine Weile den bewundernden Blicken des Jungen standgehalten, sagte es spöttisch: "Wenn ich auch dir g'fall, Muckerl, so laß dir sagen, du mir gar nit."

"Das glaub' ich", lachte der Junge. Er hatte ja alle Morgen beim Kämmen sein Bild im Spiegel vor sich und wußte, wie er aussah mit seinem braunen, borstigen Haarschopf über der breiten Stirne, der knolligen Nase darunter, den schmalen Lippen, den fahlen, eingesunkenen Wangen; nichts war auffallend an ihm als die großen schwarzen Augen, und die waren nicht schön, denn sie traten zu stark aus den Höhlen.

"Das glaub' ich, Helen'," wiederholte er. Er nahm es von der besten Seite. Wie einer aussieht, dafür kann keiner, und dagegen kann er auch nichts machen.

"Völlig schiech bist, Muckerl", neckte die Dirne.

"Und du rechtschaffen sauber," sagte der Junge.

"Das ist halt jetzt," sagte sie ernst, "denk' aber, was ich zu wachsen hab', bis ich groß bin wie andere Leut'. Meinst ich bleib' sauber?"

"Die Sauberste wirst da herum."

"Das ist auch was." Die Kleine rümpfte das Naschen.

"Sag' ich denn da in Zwischenbühel?" fuhr Muckerl eifrig fort. "Im ganzen Landviertel mein' ich."

"Geh', dummer Bub, fopp ein ander's! Du wirst alle großg'wachsenen Weibsleut und uns kleine Menscherln alle vom ganzen Landviertel kennen!"

"Das hat's auch gar nit not. Hat's nit zugetroffen, was ich vor zwei Jahr' von der Reitler's Eva g'sagt hab'? daß die ihr'n langen Leib und d'kurzen Fuß' behalt'? Nun, und kommt die heut' großg'wachsen, nit daherg'schritten wie ein' Gans, die ein'm anblasen will?"

"Du hast recht, völlig hast recht, Muckerl," lachte Helen', dann faßte sie ihn plötzlich an beiden Händen. "Sag', verstehst du leicht wahrsagen, wie ein Zigeuner?"

"Sei nit einfältig, ich versteh' nur, was 'n Leuten g'fallen mag, und schätz' wohl auch, ob, was ich heut' seh', sich darnach auswachst und das ist mir so unter'm Holzschnitzen kommen. Du weißt, mit Löffeln und Rühreln hab' ich schon, kaum aus der Schul', ang'fangt, später hab' ich wohl auch ein'm heiklichen Bauern an einer Stuhllehn oder am Türsims was g'schnitzt, aber das g'freut mich schon lang nimmer, tragt auch nur wenig Groschen, damit erhalt' ich mein' Mutter nit und käm' selber mein' Lebtag zu nix. Weißt, zulernen will ich. Denen, die d'weltlichen Mandeln und Heiligenbilder machen, will ich's nachtun. Der Herr Pfarrer hat's auch schon meiner Mutter versprochen, den ersten Heiligen, den ich zuweg bring', nimmt er in unser Kirchen. Schon a Zeit schau' ich mir alle Sach' daraufhin an, ob's ihr Holz wert wär', wenn man's schnitzte, und dasselbe kann ich mir dann auch so leibhaftig in's Pflöckl h'neindenken, daß ich mein', ich dürft' nur mit'm Messer nachgeh'n, daß ich's herauskrieg', aber zu eilig bin ich d'rauf aus, und da fallt oft da und dort a Spahn z'viel weg und 's Ganz wird mir schief und scheelweanket; hab' ich erst a sichere Hand, dann bin ich Meister und schneid' nur G'fallsams, wofür mich's Holz nit reut."

Die Kleine hatte die ineinander geschlungenen Hände auf die Schultern des Burschen gelegt und stützte sich so auf diese. "Gelt," sagte sie, "mich tät'st schnitzen?"

"Wie d' dasitz'st, von Kopf bis zun Füßen, aber lieber noch, wenn d' einmal großg'wachsen bist. Verlaß' dich d'rauf, du wirst bildsauber, Helen'; um dich werden sich die Buben raufen." "Muckerl! du Himmelsakkermenter! wo steckst denn?" rief es von nebenan. "Gleich komm'! 's Nachtmahl steht auf'm Tisch!"

"Die Mutter," flüsterte der Junge und glitt von dem Bänkchen herab. "Gute Nacht, Helen'! 's kann wohl sein ..."

"Was denn?"

"Daß ich dann auch mitrauf'."

Er huschte davon.

Als er in dem rein und sauber gehaltenen Stübchen bei Tische saß, keifte die Mutter: "Wie oft soll ich dir's noch sagen, mach' dich da drüben nicht unnütz'. Du bist doch wahrhaftig kein Kind mehr und ein Bursch in deinen Jahr'n vergibt sich etwas und es ist auch ganz unschicksam, wenn er sich mit so ein' halbwüchsigen Menscherl umtreibt. Verträglich bin ich gern mit alle Nachbarsleut, aber vertraulich nit mit jedem und mit den Zinshoferischen wohl zur allerletzten Letzt. Die Dirn' wachst um die Alte auf und die kenn' ich noch von meiner ledigen Zeit her, die ist von der Art, die keinem ein Gut's tut, sie hätt' es denn dabei besser, und der nichts Übles zustoßt, ohne daß sich's zugleich für andere schlechter trifft."

Muckerl hatte sehr aufmerksam zugehört, jetzt schloß er den offenen Mund hinter einem Löffel Suppe. Er aß schweigend weiter. Offenbar war ihm das Gesagte so unverständlich, daß er ihm mit keiner Frage beizukommen wußte.

Unter der Türe der verwahrlosten Hütte zeigte sich die schlanke, hagere Gestalt eines alten Weibes. Nichts als die blitzenden, großen, grauen Augen hatte die Alte mit dem Kinde gemein.

"Komm' h'rein essen."

"Essen?" fragte die Kleine gedehnt. "Wieder ein Schmalzbrot?"

"Sei du froh, wenn wir Schmalz darauf haben, es schmeckt doch weniger hart, wie trocken."

Gähnend trat das Kind in die Stube, schloß aber hastig den Mund und zog tief die Nase kraus vor der moderigen Feuchte, die in dem engen Raum gärte und ihn noch unfreundlicher machte, als er es in seiner Unwohnlichkeit ohnehin schon war.

"Die Kleebinderin ärgert's wohl groß," sagte die Alte, "daß dir ihr Muckerl nachschleicht?"

"Kann ja sein," antwortete die Kleine, indem sie den Kopf zurückwarf und die Schultern hob, als wollte sie andeuten, der große Ärger der Kleebinderin sei ihr ganz gleichgültig.

"Du fängst aber bissel früh an," fuhr die Alte mit gutmütigem Spotte fort, "dir sagen zu lassen, daß du schön bist."

"Ich hab' ihn nit g'rufen, und kein' Anlaß zur Red' geben," entgegnete schnippisch das Mädchen, nahm mit unwilliger Gebärde das dargereichte, mit triefendem Fett beschmierte Brot an sich und ging zur Hütte hinaus. An großen, harten Brocken kauend, stand sie dort und sah nach dem Sternsteinhof hinauf, der dort oben lag wie ein Schloß.

Alle Märchen, von denen sie gehört oder gelesen hatte, vermischten sich in ihrem Kinderkopfe. Da war einmal eine blutjunge, bettelarme Dirne. Wohl war sie bildsauber, aber das merkte ihr niemand an, denn sie hatte nur schlechte Kleider und mit denen lag sie nachts in der Herdasche; der war es aufgegeben, auf einer glühenden Pflugschar über ein Wasser zu schreiten, einen gläsernen Berg hinanzuklettern und in dem Schlosse dort oben einem bösen, alten Weibe, das den Schlüsselbund nicht ausfolgen wollte, den Kopf zwischen Deckel und Rand einer eisernen Truhe abzukneipen. Dann aber war das Schloß entzaubert, gehörte mit allem Hab und Gut innen und allem Grund und Boden außen der armen Dirne, die nun bis an das Ende ihrer Tage herrlich und in Freuden lebte.

Wahrhaftig, die kleine Zinshofer Helene war ein weltkluges, entschlossenes Kind. Sie schätzte ganz richtig, daß viel Anstrengung, Mühsal und Pein auf dem Wege nach solch' einem verzauberten Schlosse liegen müsse, auf die Hilfeleistung gütiger Feen machte sie sich keine Rechnung, "schöne Prinzen" schienen ihr kein dringliches Erfordernis, und "alte Weiber" mochten sich vorsehen.

Zweites Kapitel

Helene erfüllte die Vorhersagung des Kleebinder Muckerl. Ja, sie übertraf, wie er sich selbst gestehen mußte, seine Erwartungen. Freilich, einige Zeit war darüber vergangen, aber wer fragte nach, wo die hingekommen? Der Muckerl wenigstens tat es nicht, dem war sie kurzweilig genug geschwunden. Was sie gebracht hatte, war gut, was sie noch bringen konnte, wird besser sein, und dem sah er freudig und geduldig entgegen.

Er verstand sich jetzt aufs Holzschnitzen. Er erhielt seine Mutter und kam für das ganze Hauswesen auf. Das erste, was er vornahm, als er seine Hand sicher fühlte, war kein leichtes Stück und bezeugte guten Mut und Selbstvertrauen; ein ganzes "Krippel" stellte er fertig. Die heilige Familie im Stalle zu Bethlehem, Öchslein und Esel fehlten nicht, nur die Hirten ließ er weg, an deren Stelle dachte er sich eben die fromme Gemeinde von Zwischenbühel, denn die war ja da, um anzubeten, und darum schnitzte er keine hölzerne Andacht hinzu. Der Pfarrer stellte, versprochenermaßen, das Bildwerk in der Kirche auf, da er es aber doch nicht für ein Kunstwerk halten mochte, auf dessen Besitz man gegen einen umherstreifenden Touristen, oder sei es auch nur gegen einen Confrater stolz tun konnte, so beschloß er, es der Geschmackseinrichtung seiner Pfarrkinder näher zu bringen, und ließ von einem durchreisenden Künstler, der sich Flächenmaler nannte, weil er Fensterläden, Türbalken und Haustore behandelte, die Figuren mit schreienden Ölfarben anstreichen.

Die Gemeinde fand das über alle Maßen schön, und einige versetzte allein der Geruch des frischen Anstriches in eine andächtige Stimmung. Als Muckerl sein Werk mit Farbe überdeckt fand, geriet er in eine sehr geteilte Stimmung. Die Farbe, ja, die Farbe macht sich ganz gut, es schaut das Ganze wie lebendig her, und der Pfarrer mochte wohl recht haben, als er sie dazutun ließ, aber Fleisch, Gewand und Haare waren immer ein Klecks und da glänzte es an Stellen, wo es nicht gehörig war. Muckerl sah mit Befremden, wie manche Falte, die er geschnitten hatte, unschöne Buckeln machte, und wieder, wie eine andere vom Leibe abstand, wo sie sich schmiegen sollte; womit er es versehen hatte, das trat nun auffällig hervor, dagegen verschwanden die Gesichtszüge seiner Heiligen, von denen er überzeugt war, sie wären ihm aufs beste geraten, ganz unter einem dicht aufgetragenen Anstriche. Wahre Puppenköpfe hatten sie auf den Schultern sitzen. Plötzlich entsann er sich des kleinen, hölzernen, bunten Türken, der ober dem Krämerladen als Zeichen des Tabaksverschleißes angebracht war.

"Der Himmelherrgottssakkermenter," murmelte er ziemlich laut, "hat mir's Ganze verschänd't." Erschrocken fuhr er zusammen und bekreuzte sich.

Das war aber doch nicht recht vom hochwürdigen Herrn, daß er einen solchen hat über die Sach' lassen! Hält' er nit dazu ein' andern finden können? War es nit ganz unaufrichtig, daß er überhaupt gar nit hat verlauten lassen, daß eine Farbe dazu soll, und daß er sie darauf haben will? Die Farb' mag der Muckerl nit verreden, sie mag ja 'm Messer nachhelfen, aber decken darf sie nicht, was das gut gemacht. Wer aber soll das machen? Wer kann sich wohl besser dazu anschicken, als der, dem 's selbe Schnitzwerk von der Hand 'gangen ist? Das Lernen wird keine Hexerei sein, und der Muckerl will's erlernen.

Er erlernte es. Bald wunderte sich das ganze Dorf über die bunten Holzstatuetten, die er zwischen den Fenstern zur Schau stellte, kein Heiliger des Kalenders brachte ihn in Verlegenheit, denn da er mit der himmlischen Familie fertig geworden, wird er doch Aposteln, Nothelfern, Märtyrern, heiligen Frauen und Jungfrauen beizukommen wissen.

Nicht lang', so hatte man es auch in der Umgegend Rede, was für ein Geschickter da drüben in Zwischenbühel sitze, und wenn einer ein' Herrgott, eine Gnadenmutter oder ein' Heiligen brauche, so dürfe er nur zu dem gehen. Aber nur wenige kamen, und die feilschten rechtschaffen, am meisten ängstigten den Muckerl die sogenannten Herrgottlkramer, die mit solcher frommen Ware das Land abliefen, sie dachten ihn als billige Bezugsquelle auszunützen und verhielten sich ihm gegenüber wie Kunsthändler in einer Großstadt gegen einen talentierten Anfänger in der Malerei.

Schwere Sorge beschlich oft den Muckerl. Selten, gar selten war es, daß ein Bäuerlein, ein altes Mütterchen, eine junge Dirne Nachfrage hielt, noch seltener, daß er nach stundenlangem Feilschen einen Herrgott, der nicht genug blutig sein konnte, einen Namenspatron, der nie "andächtig" genug schien, verkaufte; die Herrgottlkrämer bekam er öfter zu Gesichte, die aber machten ihn mit ihren Ausstellungen schwitzen, mit ihren Angeboten ganz verzagt, und oft rief er sie unter Tränen in den Augen zurück, wenn sie an der Türe in wegwerfendster Weise fragten: "Na, gibst mir's diesmal mit oder nit? Noch ein' Gang her, is mir der ganze", folgte ein sehr derber Ausdruck, "nit wert!"

Aber da fand sich mit einmal ein Absatz. Eines Abends trat ein Mann in Muckerl's Hütte, nannte sich einen Handels-Agenten für religiösen Hausrat, hätte das Beste sagen hören über den Heiligenschnitzer zu Zwischenbühel und wäre gekommen, dessen Ware zu sehen. Er äußerte sich über die vorgelegten Proben sehr freundlich, lächelte mitleidig, als er den Preis erfuhr, um den bisher diese Arbeiten abgegeben wurden, bot sofort das Fünffache, gab Vorschuß und bestellte nach Dutzenden. In der Stadt, beteuerte der Herr Agent, hätte man derlei nötiger als im Lande, dort wäre mehr Geld, aber auch mehr Gottlosigkeit. Darum gehe man jetzt daran, den religiösen Sinn zu heben, was am Besten durch massenhaften Umsatz von billigem und gefälligem religiösen Hausrat zu bewerkstelligen sein dürfte, wofür denn eine Handelsgesellschaft aufkommen wolle. Der Herr Kleebinder möge nur darauf achten, immer gleich gute Ware zu liefern, so würde ein lohnender Absatz für längere Zeit gewiß sein.

Muckerl schwamm in Seligkeit, fast hätte er sich vergessen und wäre dem kleinen, säbelbeinigen Männlein um den Hals gefallen, aber ein leider in den unteren Volkskreisen eingewurzeltes Vorurteil ließ ihn davon abstehen, denn der Mann, der sich mit der Hebung des christlich-religiösen Sinnes befaßte, war, beschämenderweise, ein Jude.

Nun rückte gute Zeit in's Haus, mit ihr aber auch manches, das die alte Kleebinderin derselben nicht recht froh werden ließ und sie ihr endlich gar verleidete.

Es war an einem Samstagsabende, als Muckerl den Hügel hinter den Hütten herabkam. Er trug seine kurze Jacke mit blanken Knöpfen, seinen saubern Brustfleck, seine guten Schuhe, kurz, sein Feiertagsgewand, seine bestaubten Füße, sein erhitztes Gesicht ließen schließen, daß er nicht von nah, wohl gar von der Kreisstadt, heimkehrte.

Er trug ein kleines Päckchen, es war in sein rotes geblümtes Taschentuch eingeschlagen und kam in keiner seiner Hände, noch sonst zur Ruhe; er faßte es bald in die Rechte, bald in die Linke, drückte es gegen seine Brust, barg es im Rücken, schob es unter die eine oder die andere Achsel und holte es sofort wieder hervor.

Vorsichtig lugte er durch die Zweige des lebenden Zaunes in seinen Garten, und als er seine Mutter nicht um die Wege sah, war er mit einem Sprunge auf Nachbarboden und trat durch die rückwärtige Tür in die Zinshofer'sche Hütte.

Er fand Helene mit der Alten zusammensitzen, Rüben schälen und in einen Topf schneiden.

"Guten Abend, miteinander," sagte er.

"Guten Abend," sagten die beiden.

"Wie geht's?" fragte er. "Wie geht's? So weit ich's euch abzusehen vermag, nit übel, denk' ich. In der Stadt bin ich g'wesen. Halt ja. Müd' bin ich, erlaubt's schon, daß ich mich setz'."

Das Mädchen wies mit der Hand, in der es das Messer hielt, nach der Gewandtruhe, die in der nahen Ecke stand.

Muckerl setzte sich. Er hielt das Paket an beiden Enden angefaßt und drehte es zwischen den zehn Fingern fortwährend herum.

Nach einer Weile sah die Alte auf, wobei ein finsterer Blick die Tochter streifte, und sagte: "Na, wie schaut's denn aus in der Stadt?"

"Ich dank' der Nachfrag'," entgegnete Muckerl, "es ist völlig schön dort und so gangbare Wege haben's, ganze Steinplatten. Ja, Helen', wie ich da drauf gleichen Schritt's getrabt bin, hab' ich an dich gedacht."

"An mich? Ich wüßt' nit, was ich mit'm Stadtleuten ihren Pflaster zu schaffen hätt'."

"Dort tritt sich nit leicht ein's ein' Scherbe, ein' Nagel oder solch's Teufelszeug' ein, wie da bei uns schnell g'schehen is und erst neulich dir."

"Ach, ja so. Das ist längst wieder heil. Schau mal." Die Dirne streckte vom niedern Schemel, auf dem sie saß, den rechten Fuß dem Burschen hin.

"Mein Seel'," sagte der, "ganz sauber verheilt. War auch schad' um die fein' Füß', wann's ein' Narbe verschandeln möcht'."

"Is dir Leid d'rum, so breit' mir halt, wo ich geh' und steh', eine Strohdecken d'runter."

"Da weiß ich mir eine bessere Abhilf'. Ich gib ein Futteral d'rüber." Der Bursche sagte das mit kurzem, wie Husten klingendem Lachen und ward darnach rot bis unter die Haare. "Das heißt," fuhr er stotternd fort, "das heißt, wenn halt d'Zinshofer Mutter damit einverstanden wär', so wären da ein Paar Schuh'."

Die Dirne blickte ihn von der Seite an. "Nur der Mutter Einverständnis braucht's, meinst du? Ich denk', es ist die Frag', ob ich's tragen will?"

"Du wollt'st sie nit?" stammelte Muckerl.

"Dir, seh' ich, muß mer schon z'Hilf kommen," sagte die Alte. "Du mußt auch erst bei jungen Weibsleuten aufhorchen lernen, die verreden oft, wonach ihnen Herz und Hand giert."

"Was du alles weißt," höhnte die Dirne, dann wandte sie sich an Muckerl. "Wirst wohl auch was recht's eingekauft haben? Laß' mal schau'n, daß ich ein' Ung'schickten auslach'. Werd dir wohl für'n guten Willen danken müssen, passen werd'ns mer eh' nit."

"Wird sich ja weisen," schrie Muckerl, der plötzlich wieder in scherzhafte Laune geriet, in hochgehobener Hand das Bündel schwang, als ziele er in bedrohlicher Weise nach dem Kopfe der Dirne. "Gleich kommt's."

"Na, sei so gut," kreischte Helene, fuhr vom Sitze empor und entrang ihm das Tuch. Nachdem sie dasselbe aufgeknüpft hatte, betrachtete sie die Schuhe. Sie stützte das rechte Bein auf den Schemel und hielt die Sohle des Schuhs an die des Fußes. "Schau'," sagte sie, "wahrhaftig, die könnten mir recht sein und schön sein's auch, recht schön." Sie drehte sie eine Weile in den Händen, bot sie ihm dann zurück. "Da nimm's wieder," seufzte sie.

"Ja, warum denn?" fragte ganz ratlos der Bursche. "Warum denn, Helen'?"

"Nein, Muckerl, ich muß dir danken, wirklich muß ich dir recht schön danken. Ich sag's, wie's wahr is. Da dazu g'hören Zwickelstrümpf, die hab' ich nit, und mit bloßen Füßen tret' ich lieber auch auf d' bloße Erd' als auf Leder. Auslachen mag ich mich nit lassen."

"Du Närrisch," sagte mit triumphierender Miene der Bursche, "meinst du, ich denk nur vom Gründonnerstag auf Karfreitag? Ah, mein', nein." Er zerrte ein kleines Päckchen hervor, das er in eine Jackentasche gezwängt hatte. "Da schau', was da d'rein is."

Es waren Zwickelstrümpfe und hochrote Strumpfbänder mit Seidenbandschleifen.

"Muckerl," schrie die Dirne, vor Freude die Hände zusammenschlagend. "Du bist doch ein guter Bub'."

"Ja, gut is er, der Muckerl," sagte die Alte.

Helen' setzte sich neben den Burschen. "Na, därfst auch zuschau'n, wie ich's anleg'." Ohne sich im mindesten durch seine Nähe beirrt zu fühlen, probierte sie Strümpfe und Schuhe an. "Wie das paßt," lachte sie, "du dürft'st von mein' Füßen 's Maß g'nommen haben."

"Das hab' ich auch mit'n Augen; drauf muß ich mich ja verstehen, von welcher Größ' Hand, Fuß und Kopf zu eines Menschen sein'm Leib paßt."

Die Dirne hielt den Saum des Rockes in der Höhe, wo die Strumpfbänder saßen, um die Beine geschlagen und betrachtete selbstgefällig ihre Füße. "Bis daher," sagte sie lächelnd, "ist die Prinzessin fertig, von da ab fangt 's Bettelweib an, und das ist weitaus 's größere Stück."

Muckerl erhob sich. "Nur nit verzagt. Kommt Zeit, kommt Rat. Noch is nit aller Tage Abend. Gut' Nacht, 's ist jetzt Zeit, daß ich geh', sonst ängstet sich d'Mutter oder schilt gar. Gute Nacht, miteinander."

Schon am andern Morgen hatte er Ursache, zu bereuen, daß er an seine Gutmütigkeit so gar keinen Vorbehalt geknüpft. Helene kam vorbeigelaufen, als sie aber ihn und die alte Kleebinderin in der Küche stehen sah, verweilte sie sich ein wenig. "Guten Morgen," rief sie und rasch einen Fuß nach dem andern vorstreckend, fuhr sie fort, "eine närrische Freud' hab' ich mit den Schuhen und Strümpfen, 's is gleich ein anderes Gehen. Dank' dir schön dafür, Muckerl."

Die alte Frau sah ihren Sohn mit einem Blicke an, vor dem er sich verlegen zur Seite krümmte.

Die Dirne wies die glänzenden Zähne, warf beiden einen boshaft lachenden Blick zu und lief weiter.

Die Kleebinderin faltete die Hände ineinander und ließ sie in den Schoß fallen. "Muckerl!" Mehr war sie außerstande hervorzubringen, die Überraschung verschlug ihr die Rede, über welchen Umstand der gewissenhafte Bursche sich jedes heuchlerischen Bedauerns enthielt, dagegen fand er es sehr unbehaglich, daß sie diesen Tag über, so oft sie seiner ansichtig wurde, mit dem Kopfe schüttelte.

Etwa eine Woche darnach kam Muckerl wieder einmal aus der Stadt zurück, aber diesmal umging er das Dorf nicht, er hielt sich auf der geraden Straße und schlenkerte auffällig mit den Armen, als wollte er die Leute, die eben um die Wege waren, sehen lassen, daß er mit leeren Händen käme.

Gleichen Weges war eine gute Weile zuvor Helene mit flinken Füßen durch das Dorf gerannt, sie hielt dabei ein schweres Bündel mit beiden Armen gegen die Brust gepreßt. Jetzt kniete sie inmitten ihrer Stube, vor ihr auf dem Boden lagen Wäschestücke, Latzschürzen, Röcke und ein Sammetspenser ausgebreitet, und sie sah unter den langen Wimpern auf all' die Herrlichkeiten herab, ein Lächeln innerster Zufriedenheit in den Winkeln der aufeinandergepreßten Lippen.

Die alte Zinshoferin schlug ein über das andere Mal die Hände zusammen. Endlich fragte sie: "Vom Muckerl?"

Das Mädchen nickte.

"Wofür hat er dir's gegeben?" fragte die Alte mit scharfem Tone, der jedoch bei ihrem lauernden Blick und gemeinen Lächeln nicht nach mütterlicher Strenge klang, sondern nach rüder Neugierde, die zu wissen verlangt, woran man sei, und Herrischkeit, die bestimmen will, wohin es weiter solle.

Die Dirne sah stirnrunzelnd empor. "Wofür? Dafür, daß ich ihm auf der Straßen nit 'n Weg und daheim nit d'Tür weis'. Für weiter nix." Sie lachte höhnisch auf. "Du mußt wohl dein' Zeit a dankbar's Gemüt g'habt haben, weil d' so fragen magst!"

Als Muckerl der weit außerm Ort, im Busche, ihn erwartenden Dirne das Bündel einhändigte, ließ er sich von ihr zwei Dinge in die Hand versprechen, daß sie in ihrem neuen Putz seiner Mutter nicht unter die Augen gehe und daß sie sich nächsten Sonntag von ihm in's Wirtshaus führen lasse. Ob er auch nur einen Augenblick daran dachte, wie ungereimt es war, der Mutter verheimlichen zu wollen, was sonntags jeder als Neuigkeit von der Schenke mit heimtragen wird? Ach, der Bursche dachte wohl an gar nichts, als wie schön, wie gar aus der Weis' schön, die Dirne war!

In der Samstag-Nacht, vor dem Einschlafen, drehte sich Helen' im Bette nach der Mutter um. "Hörst? Ich hab vergessen dir zu sagen, morgen führt mich der Muckerl in's Wirtshaus."

"Und du geh'st?"

"Warum nit? Wozu hätt' ich mein' Putz? Jetzt, wo ich unter d'Leut gehen kann, hab' ich kein' Ursach' mehr, ihnen fern z'bleiben."

"Na, da heißt d' aber auch schon vom Montag 's Kleebinder Muckerls sein Schatz."

"Mein'twegen, mir schadt's nit, und ihm macht's ein' Freud', und die gönn' ich ihm."

"Die gönnst ihm?" murrte die Alte. "Spiel du dich nit auf die Erkenntliche hinaus! War' dir so um's Herz, so ging wohl dein' Mutter allen andern voraus! Nit? Aber wann nur du dich z'zammstatzen kannst, so mag ich nebenherrennen wie ein' Hadernkönigin. Der Muckerl würd' mich auch bedenken, wenn du ihm nur ein gut' Wort gäbest."

"Ich hab' um mein' Sach' keins an ihn verlor'n, werd' ich doch nit um fremde betteln."

"Ja, das stund' dir nit an, du hochfahrig's Ding? Halt'st dich 'leicht schon vor'm Bettelngehen sicher? Nimm nur dein' Holzschneider. Fahrt ihm einmal unversehens der Schnitzer in d'Hand und bleiben ihm die Finger verkrümmt, is 's mit der ganzen Herrlichkeit vorbei. Hätt'st wohl auch auf was G'scheiter's warten können."

In selbstgefälliger Eitelkeit, die Worte dehnend und singend, entgegnete die Dirne: "Zuwarten und aufdringen ist nit mein' Sach'." Sie befühlte ihre vollen Arme, die sie vor sich über der Bettdecke liegen hatte, den einen mit dem andern. "Mit solche Arm' braucht mer nur festz'halten, was einem taugt, unter dö, was darnach greifen."

"Freilich wohl, dalkete Gredl! Aber laßt mer sich einmal d'rauf ein, dann halt't mer nit nur, mer wird auch g'halten und mag nit loskommen."

Das Mädchen kehrte sich gegen die Wand und gähnte. "Pah, wär' mir d'rum, riskieret ich halt ein blaues Fleckel."

Drittes Kapitel

Der Sonntag hat seine festliche Stimmung vom ersten Läuten der Kirchenglocken, das in der Morgenluft verklingt, bis nachmittags, wo man, vom Segen heimkehrend, wieder über die heimische Türschwelle tritt; darnach aber, wenn die Sonne sich neigt und die Vögel zu lärmen aufhören, während "Manner und Buben" im Wirtshause damit anheben, beginnt für jene, die in den Stuben sitzen, für die Bäuerinnen, für die Bursche, die kein Geld haben, für die Bauern, die es sparen wollen, für die Unkräftigen, die vom Siechtum eben erstanden sind oder sich in dasselbe gelegt haben, eine verlassene, nachdenkliche, ja, langweilige Zeit.

Gegen das Verlassensein hilft freundnachbarlicher Besuch, gegen die Nachdenklichkeit unterhaltsame Ansprache, welche auch der Langweile nicht aufzukommen gestattet. Es war daher recht christlich von der alten Matzner Resl am oberen Ende des Ortes, daß sie sich entschloß, die Kleebinderin am unteren Ende desselben heimzusuchen. Die alte Resl befand sich nicht einmal allein auf ihrem Stübel, sie hatte da jederzeit ihr einzig Kind, die Sepherl, um sich, mochte sie übrigens auch einen kleinwenig selbstsüchtigen Anlaß zu dem Besuche bei der Mutter Muckerls haben, so soll das der Christlichkeit ihres Unternehmens keinen Abbruch tun; wer kann im Verkehr unter Menschen diese Schwäche hoch aufnehmen, die selbst der Frömmste im Verkehr mit Gott nicht los wird, durch den er für sich die ewige Seligkeit zu gewinnen hofft.

So gingen denn Mutter und Tochter die schmale Straße zwischen der Häuserzeile und dem Ufer des Baches dahin. Sepherl war eine mannbare Dirne, mittelgroß, mehr sehnig als voll gebaut, was, wie die Rauheit ihrer Hände, von früher, harter Arbeit herrühren mochte; sie hatte ein rundes, gutmütiges Gesicht, das schönste in selbem waren große, frische, blaue Augen, die sie oft, wie wundernd, weit aufriß, und daher rührte wohl die dünne, in der Mitte gebrochene Falte, die ober den Brauen von einer Schläfe zur anderen lief. Ihr Mund war klein, wie im Wachstum zurückgeblieben und nahm sich, geschlossen, die blutroten Lippen in tiefe Winkel verlaufend, wie der eines Kindes aus, das dem Weinen nahe ist.

Die alte Kleebinder saß bei geschlossener Türe am Fenster, als die beiden in das Vorgärtchen traten. Sie beeilte sich ihnen entgegen.

"Bist allein," sagte die Resl.

"Ja, mein Muckerl is in's Wirtshaus."

"Ich weiß."

"Tut euch setzen. Sepherl, nimm dir den Sessel aus dem Eck dort. Is recht schön, daß ihr euch wieder einmal anschau'n laßt"

"Freut uns, wann wir dir nit ung'legen kommen. Heut' is a schöner Tag und 'n Weg von uns her kann mer wohl für ein' klein' Spaziergang rechnen. Es wär' auch gar nit unlustig zu gehen, tat' nur der Bach nit sein, der stinkt so viel."

"Ja, so viel stinken tut er," sagte Sepherl mit dünner Stimme und wunderte sich hinterher, das heißt, sie machte große Augen, sei es über die üble Eigenschaft des Baches, oder weil sie, ungefragt, dazwischen gesprochen.

"Dich sieht mer aber fast gar nit außer Haus, Kleebinderin?"

"Ich komm' so viel schwer ab. Weißt ja, Matzner Resl, mein Muckerl arbeit't heim. Feldarbeit braucht kein Nachräumen, aber Stubenarbeit braucht's, man glaubt nit damit fertig z'werden. Ja, er schafft aber auch fleißig die ganze Woche über. No, wollt' er sich heut' einmal lustig machen, hab' ich mir gedacht, soll er."

"Hast recht, Kleebinderin. Ich kann nit anders sagen, als daß du recht hast. Er is a braver Bub' und gönnt dir, als seiner Mutter, ja auch alles Gute."

"Das tut er. Der liebe Gott mag ihm's lohnen."

"Amen!" sagte die alte Resl, dann deutete sie nach der oberen Lade eines breiten Wäscheschrankes. "Gelt, jetzt is wohl wieder Geld da d'rein, wie der alte Kasten schon seit viel Jahr' nimmer beisamm' g'seh'n hat?"

"Es is schon ein's d'rein," sagte die Kleebinderin, vom Ellbogen auf die Hände dazu beteuernd schüttelnd, "ich sag' nit, daß kein's d'rein wär', aber so viel, wie du vermeinst, mein' liebe Matznerin, wohl nit! Mußt ja bedenken, daß aus 'n harten Zeiten her noch Schulden zu zahlen waren, und was 's Arbeitszeug kost't und d'Farben, wie hoch d'Fracht z'steh'n kommt und was ein'm d'Steuer abbricht, Jesus, du mein!" Sie beugte sich, beide Hände auf die Knie gestützt, vor und sprach zur Diele hinab. "Kannst mir's glauben, wann d'besten Freund' kämen, nit ein' Heller hätten wir zu verleihen."

"Mein' liebe Kleebinderin, wer so gut als ich weiß, wie ein'm nach nothafter Zeit jeder z'ruckg'legte Groschen anlacht, dem leid't 's d'Freundschaft nit, daß er davon borgen kommt. Mußt also nit meinen, ich hätt' an dein' Geldtruhen klopfen woll'n."

"Glaub's eh nit, bist ja von je a Sparmeisterin g'west."

"Mußt auch nit glaub'n, ich vermut' gar so viel bei dir. Gott sei Dank, rechnen hab' ich noch nit verlernt. Es is wahr, ös habt's jetzt ein schön's Einkommen, und der Muckerl is rechtschaffen fleißig, aber dafür will er halt auch sein' Aufheiterung haben, wie ja billig is; doch das leucht' ein'm ein, daß du kein Haus sparen kannst, bei dem Aufwand, den er macht."

"Mein Muckerl?" "Na ja, und es wird ihm 's auch niemand verdenken, daß er sein jung' Leben g'nießt und sich wie andere Bursche mit'n Schatz in's Wirtshaus setzt."

"Mein Muckerl? Mit ein' Schatz?"

"Und sauber is die Zinshofer Helen', da laßt sich nix sag'n."

"Die Zinshofer Dirn?"

"Und gegen d'Armut, die 's plagt, kommt ja der Muckerl auf. Schand' macht's ihm keine, sie kann sich seh'n lassen neben ihm, wie er's jetzt h'rausputzt hat von Kopf bis zun Füßen."

"Von Kopf bis zun Füßen, sagst? O, der scheinheilige Lotter! Und ich wüßt' um die ganze G'schicht nit einmal von Füßen an, wenn nit das kecke Mensch, um mich z'ärgern, die Schuh' und Strumpf g'wiesen hätt', die er ihr kauft hat."

"Jesses! So ein Unbedacht! Heilige Mutter Anna! Hätt' ich nur nix g'sagt!" Die alte Resl legte nach jedem dieser An- und Ausrufe die Hand vor den Mund, aber nur, um sie sofort wieder wegzunehmen, und nach dem letzten faßte sie nach den Händen von Muckerls Mutter. "Mußt mir nit bös' sein, Kleebinderin."

"Ich muß dir wohl danken," entgegnete diese niedergeschlagen, "daß du mir noch heut' rechtzeitig damit in's Haus' kommen bist und ich nit morgen vor all'n Leuten im Ort ein' Narren gleichschau'."

"Nimm's nit übel, Kleebinderin, daß ich's frei bered', mir is gleich die Sach' nit recht richtig vorkommen, und ich mocht' schwer daran glauben, aber sag' selber, mußt' ich nit? Könnt' ich mir denken, du wüßtest um nix? Freilich war mir rätselhaft, wie sich's hat schicken mögen, daß dir mit einmal die Zinshoferischen Leut' recht sein, die du nie hast leiden mögen!"

"Nach all dem, heut' weniger wie je. Jesses, der gottlos' Bub'!"

"Aber was wahr is, Kleebinderin, is wahr, d'Schönste hätt' er an ihr."

Die Kleebinderin wies mit der Hand alle Schönheit entschieden von sich.

"Ja, ich an deiner Stell' gäb' auch nix d'rauf. Dein Bub' is a braver Bub', ein guter Bub', aber d'Schönheit plagt 'n just nit, und neb'n der Zinshofer Dirn' kommt er gar nit auf. Heirat' ein Mann z'tief unter sein' Vermögen, is er seiner Wirtschaft feind, heirat' er z'hoch über sein' Schönheit, is er's seiner Ruh'."

"Mein' liebe Matznerin, das is a dalket Reden! Für mein' Bub'n is mer d'Schönste g'rad sauber g'nug und wär' d'Zinshofer Dirn' nur anderer Leut' Kind, so sorget ich nit."

"Verzeihst schon, aber so viel, wie du von dein'm Muckerl, kann auch die Zinshofer von ihrer Helen' halten, denn jede Mutter hat 's schönste Kind und die Alte achtet' 's wohl für kein' Gnad', die vom Himmel fallt, wenn dein Sohn ihr' Dirn' zum Weib nähm'! Mein liebe Kleebinderin (diese Ansprache überzuckerte jedesmal eine bittere Pille, die eine Alte der anderen einzugeben Lust hatte), halt' du dein' Bub'n so hoch d'willst, aber af's Kirchdach mußt' 'n nit setzen; wo junge Leut' g'nug af ebenen Boden ohne B'schwer sich z'sammfinden mögen, wird ihm kaum einer andern Mutter Kind dorthin nachsteigen. Freilich, ein arm's Hascherl wüßt' ich, daß sich lang' schon einbild't, er säß' so hoch über alle andern, und sich 'n gern herunterholet, aber kein' Leiter find't, die hinanreicht." Sie streichelte Sepherls Scheitel und tätschelte deren Wange. Die Dirne ward glührot im Gesichte und blickte wieder wundernd auf. Frau Resl erhob sich. "Nun, denk' ich, wär' g'nug g'schwätzt, vielleicht schon all's z'viel; aber wenigstens weißt, woran d'bist, Kleebinderin und wann d'dazu schaust, so ließ sich wohl noch verhüten, was dir etwa nit in 'Kram taugt. No, nix für ungut. B'hüt' Gott!"

"B'hüt' Gott! kommt gut heim. Völlig verwirrt hat mich euer Reden. Gute Nacht!"

"Gute Nacht, Kleebinderin!"

Auf der Straße fragte die Dirne mit leiser, klagender Stimme: "Nun sag mir, mußten g'rad' wir ihm 'n Verdruß in's Haus tragen?"

"Du Tschapperl, du! Hätten wir ihm den ersparen können?! Ich wollt' mir nur niemand bei der Kleebinderin zuvorkommen lassen; sie sollt' seh'n, daß alte Freundschaft die erste am Platz is, und sie sollt' hören, was mich schon lang' druckt, zu sagen, nit meinetwegen, sondern dein'twegen."

Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Morgen weiß er's, daß wir da waren, und dann schaut er mich mit kein' guten Aug' mehr an."

"Bisher hat er dich mit gar kein'm ang'schaut! Is dir so um sein Anschau'n, kannst ja z'frieden sein, wann er derweil auch nur böse Augen in dir stecken laßt. Kommt Zeit, kommt Rat."

Beide schritten längs des Baches dahin, von dem nun in der Abendkühle eine widerlich riechende Feuchte aufstieg.

Allein gelassen, geriet die Kleebinderin, je mehr sich die Zeit dehnte, in immer größere Aufregung und Befürchtungen, der Falschheit ihres Sohnes wegen, so daß zuletzt die arme Alte ebensowenig an einer Stelle zur Ruhe kam, wie eine Maus in der Falle.

Das Wirtshaus lag am andern Ende des Dorfes. Da der Garten etwas anstieg, so war eine Kegelbahn in demselben nicht anzubringen, weder in der Höhe noch der Quere nach; bergauf hätte kein Spieler die Kugel bis zu den Kegeln zu treiben vermocht, sie von selbst bergunter laufen zu lassen, dabei wär' weder Kunst noch Spaß gewesen, und quer, nach einer Seite überhängig, mußte es ja jeden Schub verreißen und käm' der beste Scheiber vor lauter Anwandeln zu keinem Spiel. Aber kegeln wollten die Bauern, und so war denn die Bahn vor dem Hause, längs der Straße angebracht und, wer einkehren wollte, mußte unter dem Vordach hindurch, an den lärmenden, meist hemdärmeligen Spielern vorbeigehen.

Als der Kleebinder Muckerl mit der Zinshofer Helen' herankam, blickten alle verwundert auf.

"Je, Muckerl, getraust du dich auch einmal von deine Herrgottl'n weg?" rief der Wirt und folgte den beiden durch den Hausflur, an Gaststube und Küche vorbei, in den Garten nach.

Der Bursche, der eben zum Schub angetreten war, verzog das Maul, verdrehte die Augen und ließ, als ob er über diese Begegnung auf das nächste vergäße, die schwere Kugel aus der Hand fallen, worauf er einen Schrei tat und auf einem Beine herumhüpfte, als sei das andere geschädigt worden.

Es mußte das ein guter Spaß sein, weil ihn alle belachten.

Im Garten war es kühl und fast einsam. An einem Tische saßen zwei alte Bauern und an einem zweiten ein Knecht mit einer Dirn.

"Was soll ich bringen?" fragte der Wirt. "Wirst wohl ein' Wein woll'n, ein' bessern, versteht sich und ein Backwerk? Wirst dich nit spotten lassen?"

Versteht sich, daß der Muckerl sich nicht spotten ließ.

"Sapramost," rief einer der Bursche draußen, "ist aber die Zinshoferische sauber, die is die Schönst' word'n von all'n!" Auf der Bank hinter dem langen Tische, auf dem die Spieler ihre Krüge stehen hatten, saßen etliche Dirnen, die mochten, während der Schatz kegelte, zusehen oder untereinander plaudern, durften auch ab und zu einen Schluck nehmen. Hatte eine ein Glas mit süßem Weine vor sich und etwa gar ein Zuckerbretzel dazu, so war das eine große Aufmerksamkeit, oder sie, bezahlte sich's selbst.

Bisher hatten sie ziemlich fremd gegeneinander getan und sich nur wenige Worte gegönnt. Oft sah eine die andere mißtrauisch von der Seite an und dann wieder von ihr weg, nach der Kegelbahn und verfolgte eifrig den Gang des Spieles oder tat wenigstens so, während sie mit dem Schatz zu liebäugeln versuchte und dabei auch beobachtete, "ob nit die daneben ein schlechts Mensch mache" und ihn ihr abzuwenden verlangt, wobei es allerdings vorkam, daß die Betreffende selbst einen Augenblick darauf vergaß, daß sie seit acht Tagen mit einem "Neuen" gehe und aus alter Gewohnheit dem "Früheren" zulächelte. Jetzt aber, wo mit einmal die Zinshoferische die Schönste sein sollte, rückten sie naserümpfend zusammen, zogen bedauernde und spöttische Gesichter und wußten wohl, wem das Bedauern und der Spott galt.

"Merkwürdig," sagte der Wirtshannsl, nebenbei bemerkt, seines Vaters beste Kundschaft, "merkwürdig, daß bis heut' keiner von uns um der ihr Sauberkeit g'wußt hat!"

"Kein Wunder," sagte ein anderer, "wann hat man's voreh' auch zu G'sicht kriegt? Nit außer, nit unter der Arbeit. Ihr Hütten liegt am untersten, untern End' und müß't mer erst g'wußt hab'n, was mer dort z'suchen hat, eh' man sich nach Feierabend dahin müd' lauft, und in's Tagwerken hat's ihr Mutter nit g'schickt."

Das war richtig, die Helen' hatte noch niemand arbeiten gesehen.

Als jetzt ein stämmiger Bursche in die Ärmel seiner Jacke schlüpfte und sagte: "Die Schnur is aus, scheibt's ohne meiner weiter. Ich geh', mir die zwei Leuteln anschau'n," da schrien die Dirnen lachend: "Tu' dich nur nit in Kleebinder Muckerl verschau'n!" Sie bildeten jetzt eine Kette und hatten gegenseitig die Arme um Nacken und Hüften geschlungen.

"Sorgt's nur, daß euch keiner von euere Muckerln ausreißt," sagte der Stämmige mit pfiffigem Augenblinzeln.

Nicht lange, so war ein Bursche nach dem andern verschwunden und bei den Dirnen, die nun aneinanderrückten wie Schafe, wenn's donnert, blieb niemand zurück als der Wirtshannsl. Der Schalk wußte, daß er nun als der "einzig G'scheite" bei den armen, vernachlässigten Geschöpfen einen Stein im Brette haben werde, und da verletzte Eitelkeit gar manche veranlaßte, sich so zu benehmen, als wäre ihr darum zu tun, die widerfahrene Kränkung auch zu verdienen, so sah er einem recht unterhaltsamen Abend entgegen. Wirklich schallte es bald unter dem Vordache vor lautem Gelächter und Geschrei, das manchmal in ein grelles Aufkreischen ausartete.

Der Kleebinder Muckerl war im Orte wohlgelitten, in besonderer Achtung stand er nicht, kam ihm ja auch gar nicht zu. Körperstärke, Arbeitstüchtigkeit, erwirtschaftetes, auch überkommenes Geld wertet der Bauer frischweg, darauf versteht er sich, das bewährt sich unter seinen Augen als zu Nutz' und wünschenswert; vor dem Manne, dem man nicht auf den Grund der vollen Tasche zu sehen vermag, rückt er den Hut und gibt ihm, als einem, dem Gott über die andern emporgeholfen hat, wie der hohen Obrigkeit, aus Respekt, kurze Reden. Alle andere Schätzung und Wertung ist ihm überkommen, selbst was unseres lieben Herrgotts und all' seiner Heiligen Gnad' und Barmherzigkeit anlangt, verläßt er sich auf seines Pfarrers Wort und Lehr'. Alles, was in seinem Kreise dem Hergebrachten zuwiderläuft, macht ihn verlegen und mißtrauisch, 's mag ja von Gott gegeben sein, 's könnt's aber auch der Teufel geschenkt haben, wer weiß sich da schnell aus? Und gar, was so inmitten zwischen dem Weltlichen und Heiligen liegt, das Gebiet der Kunst, das ist ihm allzeit nebelgrau geblieben und dürfte es ihm wohl bleiben; vor einem Kunstgegenstande wagt er sich kaum über das reservierte Urteil hinaus: Das schaut schön aus! Da war denn nun der Kleebinder Muckerl, klein und knirpsig, sicher außerstand, auf dem Felde seinen Mann zu stellen, freilich war sein Glück, daß er findig und geschickt genug war, sich daheim mit leichterer Arbeit mehr Geld zu verdienen, als manche andere mit der harten, aber feiern durfte er auch nicht, und sein'm Sack war wohl noch auf'n Grund zu seh'n, übrigens, war solche Arbeit überhaupt welche zu nennen und Ehr' dabei aufzuheben? Wohl heißt's, zu Zwischenbühel da sitzt einer, der versteht's Herrgottlmachen und Heiligenschnitzen, aber (die guten Zwischenbüheler empfanden instinktiv, daß ihr Dorfkind kein Genie sei) wenn er's gar so ausbündig, so aller Welt ungleich verstünd', säß' er nit mehr unter uns. Eben dieses Gefühl der Gewöhnlichkeit Muckerls, das dem unzureichenden Grunde, ihn als etwas Besonderes zu betrachten, entsprang, machte ihn wohlgelitten, nur wollten ihn die Bursche unter sich nicht als einen gleichen gelten lassen, und schau' ein's, nun möcht' mit einmal das Halbmännel, der Stub'nschaffer gar vor allen was voraushaben und mit der Schönsten vom Ort gehn?!

Dazu dürft' ihm doch wohl der Weg zu verlegen und zu verleiden sein.

Wär' anders denen unter'm Vordache draußen die Lustigkeit vom Herzen gegangen, so hätten sie die Gesellschaft, die da rückwärts im Garten saß, verlachen können, denn die kam zu keinem Behagen.

Der Stämmige, der zuerst herbeigeschlichen war, hatte sich ohne viele Umstände an Muckerls Tisch gesetzt, nachdem er dem Herrgottlmacher ein paar kurze Reden gegönnt, wobei er, über dessen Achsel hinweg, Helenen zublinzelte, ging er sofort daran, sich dieser gegenüber als den Spaßhaften und Zutätigen zu bezeigen, denn er hielt dafür, daß der Deckel rasch vom Korbe müsse, wenn er Hahn darin sein wollte, denn die andern Bursche würden nicht lang wegbleiben, aber schon der nächste, der hinzukam, fand ihn verdrossen mit einer hochgeröteten Backe dasitzen.

Und alle Bursche, wie sie sich nun hinzufanden, richteten erst vorab paar Worte an den Muckerl, dann reckten sie die Hälse und sprachen von dem nächsten Tische herüber zu der Dirne, als säße die allein unter ihnen.

"Zinshofer Dirn', anschau'n is wohl erlaubt?"

"Wenigstens nit verboten," sagte sie.

"Könnt'st uns ein G'fallen erweisen ..."

"Wüßt' kein Grund."

"Sag' uns, wie d' so sauber sein magst?"

"Dank für's Kumplament, is mir leid, daß ich's nit z'ruckgeben kann."

"Macht nix. Auf d'Säubrigkeit von andere verstehst dich halt nit. Dös sieht man."

Alle Bursche lachten, und zum Ärger der Dirne, Muckerl mit.

Da saß sie nun, wie sie es gewollt, unter Leuten und wünschte sich weit weg. Hätte sie lieber die dumme Geschichte mit dem Muckerl, wo doch noch nichts dahinter war, geheim gehalten! Was brauchte sie die durch 's ganze Ort zu tragen und von morgen an sein Schatz zu heißen? Dafür haben sie auch die Bursche genommen, als sie vorerst Muckerl ansprachen, als ob sie gar nicht da wäre, aber statt nur ihre Ansprach zu suchen und dadurch zu zeigen, hier säßen zwei, die kein Drittes neben sich leiden, hat er sie wie allein sitzen lassen, und da haben denn die andern getan, als ob er nicht da wäre, und die Hände nach ihr ausgereckt, wie nach einem Ding, das man nur aufzugreifen braucht, etwa wie die junge Katz' beim Fell, und er ist daneben gesessen, hat keinem auf die Finger geklopft, er hat sich nicht um sie gewehrt, nein, er hat sie sich um ihn wehren lassen, als war' er ihrer so ganz sicher und sie müßte sich in allem, lieb oder leid, in ihn schicken. Lachen mag er, statt in den Tisch zu schlagen, als man ihr in's Gesicht bietet, sie vergab' sich was, wenn sie mit ihm ging'!