Der Tote in der Hochzeitstorte - Thomas Brezina - E-Book

Der Tote in der Hochzeitstorte E-Book

Thomas Brezina

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  • Herausgeber: edition a
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Poppi, Lilo, Dominik und Axel, Freunde aus Kindheitstagen, treffen einander in einem Hotel hoch oben in den Tiroler Bergen. Im Frühling musste Lilo ihre Hochzeit wegen der Corona-Krise noch verschieben, nun aber will sie nicht länger warten. Doch dann schneit es stark und eine Lawine verschüttet die schmale Bergstraße und schneidet das Hotel von der Außenwelt ab. Dafür liegt ein Toter in der übergroßen Hochzeitstorte, von der niemand weiß, wer sie geschickt hat. Und draußen, vor dem Fenster, sehen die vier ein rätselhaftes Kind im Schnee … Ein neuer spannender Fall, den die einstige Knickerbocker-Bande lösen muss.

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Thomas Brezina:Knickerbocker-Bande 4immerDer Tote in der Hochzeitstorte

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 edition a, Wienwww.edition-a.at

Cover: Pablo TambuscioSatz: Lucas Reisigl

ISBN 978-3-99001-443-1

E-Book-Herstellung und Auslieferung:Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

PLÄNE

Es war alles genau geplant.

Die Hochzeit.Das Geständnis und die Enthüllung.Der Mord.

Aber wie heißt es so schön?Erstens kommt es anders,zweitens als man denkt.

MONTAG9. NOVEMBER

DER TERMIN

Poppi musste sich setzen.

»Wann wollt ihr heiraten?«

»Am 21. November.«

Pause.

»Lilo, kein Mensch heiratet am 21. November.«

»Wir schon.«

Pause.

»Mein Geburtstermin ist für den 6. Dezember berechnet. Eure Hochzeit wäre nur eine Woche davor.«

»Zwei Wochen.«

»Aber das Baby könnte früher kommen.«

»Das Baby hat sicher Einsehen und will eher später als früher zur Welt kommen. Du wirst meine Trauzeugin sein, Poppi, da fährt die Eisenbahn darüber.«

Wie konnte Poppi Lilo nur zur Vernunft bringen? Wieder entstand eine Pause am Telefon und Lilo machte sich keine Mühe, sie mit Worten zu füllen.

»Lilo, ich sehe jetzt bereits aus wie ein Osterei auf Beinen. Zwei Wochen vor der Geburt werde ich nur noch Bauch sein und sonst nichts. In mein blaues Kleid, das ich mir für die Hochzeit gekauft habe, passe ich ohnehin nicht hinein. Ich müsste Jogginghosen anziehen oder ein Zelt.«

»Alles kein Problem. Du wirst trotzdem wunderschön sein.«

Poppi hatte ihre Freundin in den vielen Jahren schon einige Male stur erlebt. So starrsinnig aber war sie noch nie gewesen.

»Es wird nebelig auf dem Berg sein und kalt«, gab sie zu bedenken.

»Wir halten uns ohnehin nur im Hotel auf. Um diese Jahreszeit sind dort keine Gäste und wir haben es für uns allein.«

»Es ist also dein voller Ernst und ich werde dich nicht davon abbringen können?«

»Genau so ist es. Wir haben die Hochzeit vom Frühjahr in den Sommer verschieben müssen und dann in den Frühling des nächsten Jahres. Aber ich will einfach nicht so lange warten.«

»Die Absage im Frühling war Pech«, gestand Poppi ein. »Aber ihr wart nicht die Einzigen. Wegen der Corona-Krise mussten viele Hochzeiten verschoben werden.«

»Poppi, spare dir deine Kräfte. Mein Entschluss steht fest. Und du weißt, wieso wir nicht im Sommer geheiratet haben.«

Ja, das wusste Poppi genau. Die ersten fünf Monate ihrer Schwangerschaft waren nicht einfach verlaufen. Sie hatte viel Zeit im Bett verbracht, weil die Ärztin ihr strikte Schonung verschrieben hatte.

Poppi hatte die Hoffnung, schwanger zu werden, schon vor Jahren aufgegeben. Deshalb war die Vorfreude auf ihr Kind jetzt umso größer. Die Blutungen in den ersten Schwangerschaftswochen hatten ihr Sorgen bereitet und so hatte sie alle Anweisungen der Ärztin ohne Widerspruch befolgt.

Poppis Geburtstermin rückte näher und näher. Außer Kreuzschmerzen und geschwollenen Beinen hatte sie aber glücklicherweise keine weiteren Beschwerden gehabt. Die Gynäkologin war sehr zufrieden und Poppi musste schon lange nicht mehr das Bett hüten.

Lilos Ankündigung der Hochzeit war völlig überraschend gekommen. Poppi hatte sich gerade einen Kräutertee zubereitet, den ihr die Gynäkologin empfohlen hatte, als ihr Handy klingelte und sie Lilos Stimme hörte.

»Habt ihr über diese Vorverlegung schon länger nachgedacht?«, wollte Poppi wissen.

»Axel weiß nichts davon. Ich sage es ihm, wenn er zurückkommt. Er hat Fußballtraining mit seinem Spezial-Team.«

Poppi atmete tief durch. »Und was ist, wenn Axel den Termin gar nicht vorverlegen will?«

»Ihm ist alles recht. Das weiß ich. Ihm ist nur wichtig, dass ihr dabei seid und Dominik sein Trauzeuge ist. Aber sonst ist er kein Mann von großen Feiern. Du kennst ihn.«

Ja, Poppi kannte Axel seit Kindheitstagen. Nach der Schule waren sie getrennte Wege gegangen und hatten erst als Erwachsene vor dreieinhalb Jahren wieder zusammengefunden. Seit ihrer Wiedervereinigung aber war die Knickerbocker-Bande, wie sie seit der Schulzeit genannt worden war, mindestens so verbunden wie früher. Sie hatten auch zwei neue Fälle gelöst. Bei einem hätte Dominik fast sein Leben verloren. Aus einem Treffen in London waren die schlimmsten Stunden geworden, die sie sich vorstellen konnten. Das lag nun auch schon wieder fast 18 Monate zurück. Danach hatten sie einander nur per Skype gehört und gesehen.

Es gab für Poppi eine letzte Hoffnung. »Dominik kann sicher nicht so kurzfristig kommen.« Er spielte in einer neuen TV-Serie, die in Toronto gedreht wurde und hatte damit riesigen Erfolg. Seine Rolle war ausgebaut worden und seine Drehtage verdoppelt, wie er beim letzten Skype-Treffen stolz verkündet hatte.

»Ich habe ihn gleich als Ersten angerufen. Er hat rund um dieses Datum zehn Tage drehfrei und freut sich sehr, nach Österreich zu kommen«, entgegnete Lilo.

Poppi sank in sich zusammen. Die Hochzeit Ende November hoch oben in den Tiroler Bergen war also eine ausgemachte Sache.

Lilo hatte bereits Zimmer und ein Hochzeitsessen in einem Hotel gebucht. »Es heißt Alpenschlössel und ich schlage vor, alle reisen individuell an. Das ist einfacher. Ich habe in zehn Minuten ein Gespräch mit Veronika Wunderer vereinbart, der Besitzerin, um die Details für die Hochzeit abzustimmen.«

»Also gut, dann bis zum 21. November.« Poppi klang mehr geschlagen als begeistert.

»Anreise eher schon am 19. Oder spätestens am 20. November«, erklärte Lilo. »Abreise frühestens Sonntag, den 22., am Nachmittag. Ihr werdet doch alle zum Feiern bleiben. Wird Zeit, dass die Bande endlich wieder einmal zusammen ist.«

»Wenn Klaus zum Wochenenddienst eingeteilt ist, wird er nicht mitkommen können.«

»Eure Hunde- und Katzenpatienten können doch ein Wochenende von euren Tierarzt-Kollegen versorgt werden«, brauste Lilo auf.

»So einfach ist das nicht, und außerdem …«

Weiter kam Poppi nicht. Lilo verabschiedete sich hastig, weil sie einen anderen Anruf bekam, den sie annehmen musste.

»Blödes Corona«, brummte Poppi nach dem Auflegen. Es gab Momente, da tat ihr das Baby fast leid. In welche Welt wurde es da hineingeboren? Sie rieb sich kreisförmig über den prallen Bauch. »Keine Sorge, wir werden dir alles geben, damit du ein glücklicher Mensch wirst. So schlimm ist die Welt gar nicht. Du wirst schon sehen.«

Das Aufstehen vom Hocker war für die hochschwangere Poppi eine Anstrengung. In dem leicht watschelnden Gang, mit dem sie sich seit einiger Zeit fortbewegte, ging sie in ihr Arbeitszimmer und setzte sich an den Laptop. Was konnte Lilo bewogen haben, in zwei Wochen zu heiraten?

Poppi googelte Hinweise auf einen Neuausbruch des Coronavirus. Es gab Gerüchte und neue Verschwörungstheorien, Berichte über eine neue Behandlungsmethode, aber keine akute Warnung oder Meldung. Sie konnte sich auch täuschen, aber irgendwie wurde Poppi das Gefühl nicht los, Lilo hatte ihr etwas verschwiegen. Es musste einen Grund für die plötzliche Hochzeit geben. Aber welcher könnte das sein? Hatte Lilo auf einmal die Angst überkommen, Axel könnte sie verlassen?

Nein, das war nicht möglich. Nach Lilos Erzählungen in den letzten Gesprächen wirkte ihre Beziehung sehr solide und harmonisch.

Vielleicht war es einfach nur Lilos Dickkopf, dachte Poppi. Wenn sie sich etwas einbildete, musste es geschehen. So war das immer schon gewesen. Als Erwachsene war es bei Lilo nur noch schlimmer geworden.

DIE E-MAIL

Von: Dominik Kascha

An: Lilo Schroll, Axel Klingmeier, Poppi Reder

Betreff: Hochzeit

Hallo ihr drei,

hier meldet sich Nummer vier.

Die frohe Kunde der bevorstehenden Hochzeit ist bis nach Kanada gedrungen. Was für eine Überraschung. Allerdings halte ich Lilos Idee für nachvollziehbar. Besser jetzt, als dann im Frühling nächsten Jahres womöglich wieder nicht.

Der Termin trifft sich wunderbar mit meiner Drehpause. Es ist mir eine Ehre, Axels Trauzeuge zu sein und ich würde niemals auf diese Auszeichnung verzichten.

Es rührt mich sehr, wenn ich überlege, wie lange es gedauert hat, bis Lilo und Axel endlich erkannt haben, was viele andere immer schon gewusst hatten. Doch wie heißt es so schön: Gut Ding braucht Weile.

Es ist schon wieder so viel Zeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Die Rolle im neuen James Bond habe ich damals nicht bekommen, aber der Caspar Jones in Fools Unlimited ist mir ohnehin lieber. Es wurde schon eine zweite und eine dritte Staffel in Auftrag gegeben. Das bedeutet, ich werde die nächsten beiden Jahre in Toronto verbringen.

Viel hat sich in meinem Leben getan. Ich wollte euch manchmal darüber bei unseren Skype-Treffen erzählen, aber nie erschien mir der Moment richtig.

Darum freue ich mich so sehr auf das Wiedersehen. Meine Neuigkeiten möchte ich euch mitteilen, wenn wir einander von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen. Vorweg: Eine Hochzeit ist auch für mich in greifbare Nähe gerückt und Nachwuchs gibt es auch.

Außerdem wird es Zeit, dass ich …

Dominik nahm die Hände von der Tastatur des Laptops, lehnte sich im Sessel zurück und blickte zur Decke.

Es wurde an die Tür seines Trailers geklopft.

»Ja, was gibt’s?«, fragte er.

»In zehn Minuten Szene 010947«, rief die Set-Runnerin von draußen. Ihre Aufgabe war es, die verschiedenen Schauspielerinnen und Schauspieler rechtzeitig ins Studio zu bekommen, was mit dem Hüten eines Sackes voller Flöhe zu vergleichen war.

»Komme gleich!«, rief Dominik. Er überflog die E-Mail und verzog das Gesicht. Axel würde seine Ausdrucksweise wieder als »kariertes Quatschen« bezeichnen. Außerdem würden Dominiks Andeutungen bestimmt zahlreiche Anrufe und E-Mails der neugierigen Poppi zur Folge haben. Wollte er jetzt schon mehr verraten?

Pflichtbewusst griff Dominik nach seinem iPad, öffnete es und tippte auf das Manuskript, das er in einer speziellen App für Serienschauspieler gespeichert hatte. Er gab die Szenennummer ein und sofort erschien sein Text für die Szene. Er hatte ziemlich viel Dialogtext, den er besser noch einmal durchsah.

Zuerst wollte er die E-Mail speichern, später ein wenig überarbeiten und dann absenden. Er entschied sich schließlich aber anders und drückte auf »Löschen«. Seine Freunde mussten sich gedulden. Sie würden alles zeitgerecht erfahren. Beim Gedanken an das Gespräch bekam Dominik leichtes Herzklopfen.

Unsinn, sagte er leise zu sich selbst. Es gab keinen Grund, nervös zu sein.

EINE IDEE

Veronika Wunderer saß in dem engen Büro hinter der Rezeption und starrte auf den Bildschirm des Computers.

Beim Googeln der Schlagworte »besondere Hochzeit« hatte sie ein paar Hunderttausend Einträge gefunden. Sie würde sich später am Abend auf Pinterest alle Boards ansehen, die sich mit diesem Thema beschäftigten. Im Augenblick las sie Erlebnisberichte von jungen Paaren: Was ihnen an ihrer Hochzeit besonders gefallen hatte und was sie sich anders gewünscht hätten.

Wenn sie damit fertig war, würde sie sich auf Youtube Videos von Hochzeitsplanern vornehmen und zur Auflockerung ein paar Videos mit den peinlichsten Hochzeitspannen ansehen.

Veronika streckte sich und sah zum Fenster hinaus. Erst vier Uhr und die Sonne versank schon hinter der Bergkette. Oben auf dem Kamm glänzten die Reste des ersten Schnees, der vor drei Wochen gefallen war.

Auf der Anzeige der Wetterstation, die auf ihrem Schreibtisch stand, konnte sie alle Werte lesen, die von den verschiedenen Messstationen rundum gefunkt wurden.

Temperatur: fünf Grad Celsius auf dem höchsten Gipfel.

Veronika hätte sich null Grad gewünscht und Schneefall. Drei schneearme Winter hatten das Hotel an den Rand des Ruins gebracht. Dazu war im März Corona gekommen und der Skandal um die Infektionen in der Après-Ski-Bar in Ischgl. Sie hatten nicht nur die Saison um einige Wochen früher als geplant beenden müssen, bisher waren für diesen Winter nicht einmal ein Drittel der üblichen Buchungen eingetroffen.

Aber Veronika hatte eine Idee. Wenn ihr Vorhaben gelang, würde sie dem Hotel zu allen Jahreszeiten Gäste bringen, nicht nur Skifahrer im Winter und ein paar Wanderer im Sommer.

Die Bürotür wurde aufgerissen und ihr Vater stapfte herein. Er würdigte sie keines Blickes, sondern steuerte ein Regal an der Wand an, das vom Boden bis zur Decke mit Aktenordnern vollgestopft war.

»Schönen Tag, dir auch, Vater«, grüßte Veronika mit sarkastischem Unterton.

Herr Wunderer drehte nicht einmal den Kopf zu ihr, sondern ließ den Zeigefinger auf den Ordnern von einem Schild zum nächsten gleiten.

»Suchst du etwas?«, fragte Veronika höflich. Sie musste sich sehr beherrschen, nicht loszubrüllen.

»Du hast keine Ahnung, wie üblich«, knurrte ihr Vater. Er war klein und gedrungen und selbst mit ausgestreckten Armen reichten seine Hände nicht bis zu den obersten Regalen. Veronika sah ihm zu, wie er versuchte, sich auf die Zehen zu stellen. Sein Übergewicht und die Steifheit in seinen Gelenken, die viel Alkohol und fettes Essen hervorgebracht hatten, machten sich bemerkbar.

Knurrend zog Herr Wunderer einen Stuhl heran, um ihn als Trittleiter zu verwenden. Seine Beine waren zu kurz und unbeweglich, um hinaufzusteigen.

»Soll ich dir helfen?«, bot Veronika an.

»Den violetten Ordner aus dem vorletzten Fach. Den zweiten von rechts.« Er deutete ihr, sich zu beeilen, hatte sie aber noch immer nicht angesehen.

»Was ist drinnen?« Veronika ging zu ihm und angelte ihn herunter. Sie war fast zwei Köpfe größer als ihr Vater und außerdem gut trainiert.

Herr Wunderer entriss ihr den Ordner. »Ich habe gerade ein gutes Geschäft gemacht. Ohne meine Geschäfte könnten wir schon zusperren, aber zum Glück habe ich vorgesorgt, damit wir uns wenigstens Brot leisten können, wenn es schon für die Butter nicht mehr reicht.«

Veronika betrachtete den Ordner im Arm ihres Vaters prüfend. Sie hatte ihn natürlich dort oben stehen gesehen, aber nie einen Blick hineingeworfen. Der alte Aktenschrank war ein Relikt aus der Zeit, als ihre Eltern das Hotel allein und auf ihre Art geführt hatten. Halbherzig hatten sie die Geschäfte vor zwei Jahren an Veronika übergeben, genau in der Zeit, als die Krise in der ganzen Region beonnen hatte. Es wunderte Veronika nicht, dass die Eltern ihr die Schuld dafür gaben.

»Kann ich erfahren, welches ›Geschäft‹ du gemacht hast?« Sie deutete auf den Computer. »Wenn es sich um Zimmerbuchungen handelt, müsste ich sie in das Reservierungsprogramm eingeben. Wenn es Zahlungen sind, muss ich sie ebenfalls eingeben.«

»Du brauchst gar nichts ›eingeben‹, ich mache das allein. Das Geld siehst du auch nicht, weil es in keine Buchhaltung kommt. Du weißt überhaupt nichts von Geld, hast du verstanden?« Ihr Vater verließ das Büro und knallte die Tür hinter sich zu.

Veronika atmete einmal tief durch und kehrte an den Schreibtisch zurück. Als sie begann, die Angebote eines renommierten Hochzeitsplaners auf seiner Homepage durchzulesen, platzte ihre Mutter herein.

»Weißt du nicht, wie spät es ist?«, fuhr sie Veronika an.

»Ich weiß es, aber wieso ist es wichtig?«

»In einer Stunde kommt die Lady. Was ist mit ihrem Essen?«

Frau Wunderer war so klein wie ihr Mann und wie jeden Tag tadellos frisiert und geschminkt. In ihrem dunkelgrünen Trachtenkostüm sah sie aus, als würde sie im nächsten Moment in der Halle neu angekommene Gäste begrüßen.

»Ich habe Spaghetti mit Crevettensoße und Safran vorbereitet«, erklärte Veronika.

»Die Küche ist dunkel.« Ihre Mutter sah sie mit diesem stechenden, kalten Blick an, den ihre Angestellten früher so sehr gefürchtet hatten.

»Die Soße habe ich schon vor ein paar Tagen gekocht und tiefgefroren.«

»Tiefgefroren? Bist du verrückt? Wenn die Lady das herausfindet, kündigt sie uns womöglich die Abmachung auf.« Ihre Mutter stemmte die Hände in die Seite. »Du hast den ganzen Tag nichts zu tun und wirst es doch wenigstens schaffen, unserem einzigen Restaurantgast ein frisches Abendessen zu kochen.«

»Die Küche ist normalerweise deine Verantwortung«, schnappte Veronika zurück.

»Meine Verantwortung ist es, mit der Bank zu telefonieren und jeden einzelnen unserer Stammgäste anzurufen und anzuflehen, doch wieder zu buchen. Man sollte meinen, das ist genug Arbeit für eine Frau, die längst in Pension sein könnte, aber nicht gehen kann, weil die Nachfolgerin mit einem Bein im Ruin steht.«

Die Eltern konnten es nicht lassen, Veronika mindestens einmal am Tag darauf hinzuweisen, dass sie ihre Tochter für völlig unfähig hielten.

Frau Wunderer trat hinter Veronika und warf einen Blick auf den Bildschirm.

»Hochzeitsplaner? Willst du heiraten? Gibt es vielleicht endlich einen Schwiegersohn für uns?«

»Ich habe euch erklärt, dass ich versuchen will, unser Hotel zu einem beliebten Ort für Hochzeiten in den Bergen zu machen.« Sie schaltete den Computer aus. »Dafür brauche ich so viele Informationen wie möglich, um für die Gäste eine Traumhochzeit gestalten zu können.«

Die einzige Reaktion ihrer Mutter war ein verächtliches Schnauben.

»Die Hochzeit am 21. November ist eine Art Testlauf. Wenn sie gut klappt, dann kann ich Fotos an die Presse schicken und ins Internet stellen. Das wäre für uns kostenlose Werbung.«

Ihre Mutter schüttelte langsam den Kopf. »Meine Güte, Veronika, immer diese Schnapsideen. Wer soll hier bei uns heiraten wollen? Und wieso soll irgendeine Zeitung über die Hochzeit von dieser Frau aus Kitzbühel und ihrem Freund schreiben?«

»Weil Zeitungen, das Fernsehen und viele Internetplattformen schon oft und viel über die zwei berichtet haben. Sie sind ein Teil der ›Knickerbocker-Bande‹. Erinnerst du dich nicht? Als Kinder haben sie einige mysteriöse Dinge aufgedeckt. Voriges Jahr waren die Zeitungen auch wieder voll, als sie einen Internetbetrug aufgedeckt haben.«

»Du rennst da Hirngespinsten nach.« Ihre Mutter machte sich ans Gehen. »Denk nicht, dass du für diese Hochzeit Personal anstellen kannst. Wir eröffnen erst am 1. Dezember. Auf uns brauchst du auch nicht zu zählen. Wir halten von diesem Vorhaben nichts.«

»Ich habe bereits alles geplant«, erwiderte Veronika. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es hat sich eine Praktikantin gemeldet, die gerne kommt. Nur für Kost und Logis. Ich werde sie geringfügig anmelden, damit sie versichert ist, und mit ihr gemeinsam die Hochzeit ausrichten.«

Frau Wunderer schüttelte noch immer den Kopf, als sie das Büro verließ.

Veronika schloss die Augen und redete sich gut zu, weder Mut noch Nerven zu verlieren. Um sich ein wenig aufzuheitern, öffnete sie ihre eigene Homepage, die sie für das Hochzeitsschlössel gestaltet hatte. Sie fand sie gelungen. Einfach, aber stilvoll und stimmungsvoll.

»Die besondere Hochzeit in den Bergen« stand in goldenen Buchstaben über einem Werbefoto des Hotels und dem Bild eines Brautpaares, das sich innig umarmt hielt.

Lilo Schroll hatte als Erste auf die Homepage geantwortet. Sie suchte einen guten und originellen Ort, um in Tirol zu heiraten, der kurzfristig verfügbar war. Das Hochzeitsschlössel erschien ihr gut geeignet.

Weil ihre Mutter sicherlich schon in der Küche lauerte, um zu kontrollieren, was Veronika für den Gast kochte, machte sich Veronika auf den Weg. Das Gemecker ihrer Mutter würde sonst noch unerträglicher werden.

Als Belohnung dafür, ihre Eltern auch an diesem Tag nicht erwürgt zu haben, würde sich Veronika später am Abend eine Stunde in ihrer kleinen Wohnung gönnen und verschiedene Datingseiten im Internet durchforsten. Sie hatte mehrere Profile angelegt und die kleinen Flirts, auch wenn sie nur online stattfanden, erfrischten sie. Jeden Tag schlug ihr Herz vor Aufregung, wenn sie überprüfte, ob neue Nachrichten für sie eingetroffen waren.

Vielleicht schaffte sie es auf diesem Weg eines Tages, einen Mann zu finden, mit dem sie das Hotel betreiben konnte. Oder noch besser: einen Mann, mit dem sie von hier wegziehen konnte und ein neues Leben beginnen, in dem ihre Eltern nicht mehr vorkamen.

Vor drei Wochen hatte sie Mario auf einer der Datingseiten kennengelernt. Zuerst hatten sie nur kurze Nachrichten ausgetauscht, aber an einem der nächsten Abende wollten sie miteinander reden. Die Datingseite bot einen Service an, bei dem keine Handynummern ausgetauscht werden mussten. Insgeheim hoffte Veronika, Mario würde sogar zu einem Video-Chat bereit sein. Die Fotos in seinem Profil sahen vielversprechend aus. Sie hoffte inständig, dass sie echt waren.

TODESSCHATTEN

Rache war ein Motiv, das Leute zu den grausamsten Taten trieb. Die Rachehandlung konnte zu jeder Zeit und auf jede erdenkliche Weise erfolgen.

Auf diese Weise dachte ein Mensch über den Tod nach.

Der Tod würde sich in einem Moment einstellen, in dem keiner mit ihm rechnete. Wie ein Engel mit schwarzen Schwingen würde er dahinfegen und einen leblosen Körper hinterlassen.

Niemand würde das plötzliche und völlig unerwartete Ableben verstehen können. Keiner würde jemals den wahren Grund für den Todesfall erfahren.

Wer überleben will, braucht Ruhe und Klarheit. In diesem Fall schien die einzige Möglichkeit, zu überleben, gleichzeitig der Tod zu sein. Es gab keinen anderen Ausweg.

Der Plan für den Todesfall lauerte auf dem Berg. Viele Vorbereitungen waren dafür nötig. Außerdem Augenzeugen. Das Sterben machte nur Sinn, wenn viele dabei anwesend waren.

Eine Hochzeit im Alpenschlössel erschien als der beste Moment für den Auftritt des Todes.

DIE GÄSTELISTE

»Du hättest sie heute sehen müssen«, rief Axel in der Diele. »Sie haben wirklich alles gegeben. Wir werden die Special Games gewinnen.« Nachdem er seine Jacke aufgehängt und die Sportschuhe weggestellt hatte, stutzte er. Wieso kam ihm niemand entgegen?

»Hallo? Keiner da?«

Axel lauschte in die Stille des Hauses. Was war hier los? Sowohl Lilo als auch Lotta müssten doch zu Hause sein.

Laut rief er noch einmal seine Frage die Treppe hinauf.

»Ich bin hier«, kam es von oben. Am Klang ihrer Stimme konnte Axel erkennen, dass seine Tochter keinen guten Tag hatte. Er lief drei Stufen auf einmal nehmend in den ersten Stock und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer.

Lotta saß am Schreibtisch neben dem Fenster über ein Heft gebeugt und schrieb etwas. Sie sah nicht einmal auf, als er eintrat.

»Ist Lilo nicht zu Hause?«, wollte Axel von ihr wissen.

»Zum Glück nicht.«

»Was soll das denn heißen?«

Als Lotta den Kopf hob, fiel Axel die Veränderung auf. Ihr Haar, das sie bisher zu kleinen Zöpfchen geflochten getragen hatte, war offen und gekraust.

»Schicke Frisur«, sagte er.

»Ich hasse Zöpfe!«

»Seit wann? Gestern haben sie dir noch gefallen.«

»Ich hasse Lilo.«

»Stopp!« Axel trat neben Lotta. »Das reicht. In diesem Haus wird nicht gehasst.«

»Mir egal.«

Axel ließ sich auf Lottas Bettkante sinken, um ihr in die Augen sehen zu können. »Lass mich raten: Lilo hat darauf bestanden, dass du deine Hausaufgaben schreibst. Oder sie hat dir den dritten Pudding aus dem Kühlschrank verweigert. Oder sie hat geschimpft, weil du mit matschigen Schuhen ins Haus gelaufen bist. Also, was war es diesmal?«

Lotta starrte ihn finster an. »Alles drei.«

Auch wenn Axel nicht so gut kombinieren konnte wie Lilo, war die Schlussfolgerung nicht schwierig. »Du bist wütend und hast dir deshalb die Zöpfchen aufgemacht, damit du nicht wie Lilo aussiehst.«

»Ich hasse dich auch«, brummte Lotta.

»Weil ich dich durchschaut habe?«

Er bekam keine Antwort.

»Es ist sehr ärgerlich, wenn Erwachsene ausnahmsweise recht haben, nicht wahr?«

»Ich hasse …«

»Nein, du hasst heute nicht mehr und auch sonst nicht mehr«, fiel ihr Axel ins Wort. »Lotta, reg dich ab. Schreib deine Hausaufgaben, damit deine Lehrerin uns nicht jeden zweiten Tag anruft, weil du sie wieder nicht gebracht hast. Zu viel Pudding macht dick und Lilo ist keine Putzfrau. Daher bleiben die Schuhe, wenn du deine Schlamm-Expedition gemacht hast, in der Garage stehen.«

Von Lotta kam nur ein unverständliches Grummeln.

»Ist Lilo noch einmal weggefahren?«

Axel konnte sich selbst die Antwort auf diese Frage geben. Ihr Geländewagen stand vor dem Haus. Für einen Spaziergang war es zu spät und zu kalt. Also musste Lilo im Haus sein.

»He, Lotta, wo ist Lilo? «

»Sie spinnt heute.«

Normalerweise verlor Axel nur selten die Nerven, aber heute war ein Tag, an dem ihn Lotta wieder einmal aus der Ruhe brachte.

»Das reicht jetzt. So redest du nicht über Lilo! Sie ist wie eine Mutter für dich, wenn nicht noch besser. Sie hatte mit allem recht und ich hätte es genauso gemacht. Wenn du mir keine Antworten geben willst, dann bleib allein in deinem Zimmer. Sobald du mit den Hausaufgaben fertig bist, zeichnest du für Lilo eine Karte zur Entschuldigung.«

Lotta war eine begeisterte und gute Zeichnerin. Axel wollte von ihr eine liebevolle Geste in Lilos Richtung sehen und hielt das für besser als jede Strafe.

Ohne weitere Worte verließ er das Zimmer. Er konnte Lottas Blick im Rücken spüren, kümmerte sich aber nicht darum. Mit Nachdruck schloss er die Zimmertür.

»Lilo? Schatz? Wo bist du?«, rief er den Flur hinunter.

Die Tür zum gemeinsamen Schlafzimmer wurde geöffnet und Lilo trat heraus. »Rufst du schon lange?«

»Eine halbe Stunde«, scherzte Axel.

Lilo lächelte schwach. »Ich habe dich nicht gehört, ich war im Badezimmer.«

»Hast du dich verwöhnt und ein warmes Bad genommen? Erholung von Lottas Frühpubertät?«

»Nein. So schlimm ist das nicht.«

Axel trat zu ihr und wollte sie auf den Mund küssen, aber Lilo drehte den Kopf zur Seite. Sein Kuss ging halb auf ihre Nase. Ein wenig irritiert neigte er sich zurück und sah sie prüfend an. »Stimmt etwas nicht zwischen uns?«

Axel musste an den Sommer des vergangenen Jahres denken. Ihre Beziehung wäre damals beinahe auseinandergegangen. Auch wenn sie sich schließlich wiedergefunden hatten und in Kitzbühel zusammengezogen waren, kämpften sowohl Axel als auch Lilo noch immer mit einer kleinen Unsicherheit bezüglich ihrer Gemeinsamkeiten.

»Nein, nein, alles zu hundert Prozent in Ordnung«, versicherte ihm Lilo. Sie hob entschuldigend die Hand und verschwand wieder im Schlafzimmer. Axel folgte ihr langsam. Er streckte den Kopf durch die Tür, konnte sie aber nicht sehen.

»Lilo?«

»Komme schon.« Sie trat aus dem Bad und kam auf ihn zu. Der frische Geruch von Pfefferminze schlug Axel entgegen und sie küsste ihn. Lilo musste schnell mit Mundwasser gegurgelt haben.

»Mein Team wird immer besser«, begann Axel zu erzählen. »Ich kann die Special Games kaum erwarten.« Nebeneinander gingen sie hinunter in die gemütliche Wohnküche.

»Freut mich sehr für dich.« Lilo öffnete den Kühlschrank und nahm eine flache Backform heraus. »Waren heute alle beim Training?«

»Es fehlt praktisch nie jemand. Sie freuen sich die ganze Woche darauf.« Axel war der Stolz anzumerken. Auf einem Regal an der Wand standen Fotos von Lilo, Lotta und ihm, die die drei auf Urlaub in Teneriffa, beim Skifahren, auf einer Bergtour und auf ihrer Städtereise nach London zeigten. Daneben gab es ein großes Foto von Axel und seinem Team, aufgenommen am Tag, als sie die Landesmeisterschaft im Special Football gewonnen hatten.

Das Team bestand aus Jungen und Mädchen, die alle eine Behinderung hatten. Es gab Kinder mit Downsyndrom, körperlichen Behinderungen, Sehschwächen und Gehörlosigkeit. Axel mochte sie alle und keine andere Tätigkeit in seinem Leben hatte ihn bisher so sehr erfüllt wie das Training mit dieser Gruppe.

Seit die vier Freunde, die in Kindertagen Knickerbocker-Bande genannt wurden, einen riesigen Internetbetrug aufgedeckt hatten, waren sie alle wohlhabend. Ihre Belohnung lag in Millionenhöhe. Keiner der vier hätte noch arbeiten müssen, aber trotzdem taten es alle.

»Ich bin so froh, keine reichen Leute mehr dafür loben zu müssen, dass sie drei Kniebeugen schaffen, nur damit sie sich nach dem Training beruhigt den Bauch vollstopfen und eine halbe Flasche Wein trinken können«, sagte Axel. Er war Personal Trainer gewesen, verwendete seine Kenntnisse nun aber nur noch für sein Spezial-Team und zwei Seniorengruppen in Altenheimen, die für Axels wöchentliche Trainingseinheiten sehr dankbar waren.

Lilo lächelte Axel liebevoll an. »Die größte Freude für mich ist, zu sehen, wie sehr du in deiner Arbeit aufgehst.«

Das traf zu. Axel hob die Alufolie von der Backform ab. »Fischpastete«, erklärte Lilo.

»Hmmm.« Axel leckte sich die Lippen. »Lotta wird aber weniger begeistert sein.«

»Sie bekommt zwei Mini-Pizzas.« Lilo öffnete das Backrohr, wo die Pizzas schon auf dem Blech lagen. Die Fischpastete kam in das zweite Rohr daneben.

Axel schenkte Mineralwasser ein. Für Lilo gab er ein paar Tropfen Rosensirup ins Glas, für sich selbst nahm er Minzblätter und Gurkenstückchen. Sie prosteten einander zu.

Nachdem er getrunken hatte, legte Axel den Kopf schief. Einfühlungsvermögen war keine seiner Stärken. An diesem Abend aber entging ihm nicht, wie verändert Lilo erschien. Er konnte nur nicht genau festmachen, woran es lag.

»Ist mit dir wirklich alles in Ordnung?«, fragte er nach.

Lilo nickte. »Ich habe heute eine Entscheidung getroffen und hoffe, du bist einverstanden.«

»Kein größeres Haus. Dieses hier reicht uns völlig.« Axel deutete um sich. Die Wohnküche allein hatte die Ausmaße einer Junggesellenwohnung.

Lilo und Axel hatten das Haus kurz nach der Fertigstellung günstig erwerben können. Es lag auf einem Berghang, von dem sie einen prachtvollen Blick über die Dächer von Kitzbühel hatten.

»Wir heiraten am 21. November!«, platzte Lilo heraus.

»November?« Axel war anzumerken, dass ihn die Meldung überrumpelte.

»Ja. Genau, wie du es gerne magst: kleiner Rahmen, kleiner Kreis, aber nicht gewöhnlich«, erklärte Lilo schnell.

»Das ist doch schon das übernächste Wochenende«, fiel Axel ein.

»Stimmt. Aber ich will nicht bis zum Frühling warten. Es gibt da Meldungen über ein neues Coronavirus und … und …«, Lilo suchte nach Worten, was ungewöhnlich für sie war.

»Und was?«

Sie lächelte verlegen. »Und ich will dich einfach wirklich gerne endlich heiraten.«

»Können die anderen so kurzfristig? Dominik hat doch Dreharbeiten.«

»Alles schon arrangiert. Alle kommen.«

»Wo werden wir uns das Jawort geben?«

»In 2.800 Meter Höhe in einem Hotel, das Spezialhochzeiten anbietet. Es gefällt dir bestimmt.« Lilo holte ihr iPad und zeigte Axel die Webseite des Hochzeitsschlössels. Er besah sich die Fotos und nickte. »Sieht nicht schlecht aus.«

»Es wird wunderbar werden. Eine Standesbeamtin wird kommen und uns trauen. Zum Glück müssen wir kein neues Aufgebot bestellen, weil unsere andere Hochzeit wegen Corona abgesagt wurde.«

»Ich kenne niemanden, der im November geheiratet hat«, meinte Axel.

»Vielleicht schneit es nächste Woche. Dann wird unsere Hochzeit sicher romantisch.« Lilo strich ihm über die Hand. »Du bist doch einverstanden?«

Axel grinste auf seine jungenhafte Art. »Lilo, habe ich eine andere Wahl?«

Verlegen blickte Lilo zu Boden. »Nein. Eigentlich nicht.«

»Wen laden wir noch ein, außer Poppi und Dominik? Ich nehme an, Poppis Mann Klaus. Und meine Mutter selbstverständlich. Meinen Vater auch, sonst ist er beleidigt.« Axels Eltern waren seit vielen Jahren geschieden und nicht gut aufeinander zu sprechen.

Lilo stand auf und holte ihr Handy. »Dominiks Eltern nicht, weil er das ablehnt. Ich habe ihn gefragt.«

Sie blickten gleichzeitig auf ein Foto im Regal. Es zeigte Lilo mit ihren Eltern und war vor ungefähr zehn Jahren aufgenommen worden. Herr und Frau Schroll lebten beide nicht mehr. Sie waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ein betrunkener Fahrer hatte sie gerammt.

Diesmal nahm Axel Lilos Hand. »Sie hätten sich sehr über unsere Hochzeit gefreut.«

Stumm nickend stimmte Lilo zu.

»Sonst noch jemand, den wir einladen?«, fragte Axel, der das Thema wechseln wollte. Die Erinnerung an ihre Eltern machte Lilo immer traurig. »Herrn und Frau Monowitsch vielleicht?«

»Ich habe sie auch auf meiner Liste«, sagte Lilo. Sie beratschlagten über ein paar andere Verwandte, aber beschlossen am Ende, die Gäste auf ihre beiden Freunde und Eltern zu begrenzen.

»Darf ich nicht kommen?« Lotta stand in der Tür und machte ein verlegenes Gesicht.

»Aber Lotta, was ist denn das für eine Frage.« Lilo winkte sie zu sich.

Lotta streckte ihr eine gefaltete Karte hin. Vorne hatte Lotta Berge gezeichnet, eine orangerote Sonne und einen Mann, eine Frau und ein Mädchen, von denen nur die Silhouetten im Gegenlicht zu sehen waren. »Für dich«, sagte sie.

»Danke, mein Schatz.« Lilo nahm die Karte und betrachtete die Zeichnung bewundernd.

»Steht etwas drinnen.« Lotta deutete ihr, die Karte zu öffnen. In krakeliger Handschrift stand hineingeschrieben: »Ich mag dich! Sehr!« Das »sehr« war unterstrichen und daneben noch ein Herz gemalt. Sogar unterschrieben hatte Lotta.

Axel breitete die Arme aus. »Kommt zu mir, meine beiden Herzensdamen.« Er drückte sie und fühlte sich sehr glücklich.

Die Hochzeit in zwei Wochen fand er überstürzt. Er freute sich auch nicht wirklich darauf. Axel wollte Lilo schon lange gerne das Jawort geben, aber Ort und Jahreszeit kamen ihm unpassend vor. Aus langer Erfahrung wusste er allerdings, wie sinnlos es war, Lilo etwas auszureden. Sie war nicht nur das Superhirn der Bande gewesen (und war es wahrscheinlich immer noch), sondern auch der größte Sturkopf, den er kannte.

»Ich muss meinen Anzug probieren«, verkündete er. »Seit wir ihn gekauft haben, habe ich viel Krafttraining gemacht.« Er deutete auf seine muskulösen Oberarme.

»Keine Sorge«, beruhigte ihn Lilo. »Es ist noch genug Zeit, ihn ändern zu lassen.«

FREITAG13. NOVEMBER

DIE LIEFERUNG

Raoul vertraute auf einen einzigen Menschen und das war er selbst. Er arbeitete allein, er lebte allein und er würde niemals im Leben eine Partnerschaft eingehen, weder beruflich, noch privat.

Er war immer schon so gewesen, sogar als kleines Kind. Im Schulhof war er in den Pausen immer abseitsgestanden. In der Klasse hatte er nichts unversucht gelassen, um allein in einer Bank zu sitzen. Seine freundliche Grundschullehrerin hatte ein Mädchen namens Isobel zu ihm gesetzt, in der Hoffnung, sie könnte ihn ein wenig aus der Reserve locken. Um Isobel loszuwerden, hatte Raoul sie mit frisch gespitzten Bleistiften gestochen, gezwickt und ihre Hefte versteckt. Bald hatte Isobels Mutter darauf bestanden, dass ihre Tochter einen anderen Platz bekam und er hatte wieder den ganzen Tisch für sich allein gehabt.

Das Studium der Pharmazie absolvierte Raoul im Rekordtempo. Auch an der Uni hatte er alle Kontakte vermieden, immer allein gelernt und Gruppenarbeiten, wie sie von einigen Professoren vorgeschlagen wurden, grundsätzlich abgelehnt.

Das Lernen war ihm leichtgefallen und deshalb hatte er nach seinem Master der Pharmazie noch ein Studium der Medizin angehängt. Er promovierte in der Mindestzeit. Die Ausbildung zum Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie machte Raoul an einem darauf spezialisierten Krankenhaus in Chicago. Danach unternahm er mehrere Fortbildungen auf eigene Faust und an Instituten, die unter strengster Geheimhaltung im Verborgenen arbeiteten.

Covid-19 hatte Raoul mit großem Interesse verfolgt. Er hatte mittlerweile sein eigenes kleines Institut, das von ihm allein geführt wurde. Während die meisten Virologen der Welt an einem Medikament und einem Impfstoff arbeiteten, tat Raoul das Gegenteil. Er intensivierte seine Forschungen an neuen Viren, die wie Covid-19 die Welt lahmlegen konnten.

Natürlich wusste er, dass so etwas als »biologischer Kampfstoff« bezeichnet werden konnte. Ihm war auch klar, welche fürchterlichen Folgen ein künstliches Virus haben konnte, wenn es in falsche Hände geriet. Raoul plante weder einen Verkauf noch eine weltweite Erpressung. Wichtig war ihm nur ein Gefühl von Macht. Er wollte spüren, dass er die ganze Erde in der Hand haben konnte.

Seine Experimente waren bisher recht erfolgreich verlaufen. Ebenso die Entwicklung eines Impfstoffes gegen sein Virus. Wenn er es schaffte, seine Forschungen rechtzeitig zu beenden, könnte er sich überlegen, zu einem tödlichen Schlag gegen die Menschheit auszuholen. Die Möglichkeit allein reichte ihm.

Die Pharmazie und die Virologie würden ihm helfen, sich selbst ein Denkmal des Schreckens zu setzen. Auf diese beiden Fachrichtungen führte Raoul es zurück, dass sein Körper im Mutterleib verunstaltet wurde und sein Herz so sehr beschädigt wurde, dass seine Lebenserwartung von Ärzten zuerst auf wenige Jahre geschätzt worden war.

Seine leibliche Mutter hatte ihn deshalb einfach im Krankenhaus gelassen und war verschwunden. Die Pflegefamilie, die ihn aus Mitleid aufgenommen hatte, rechnete es ihrer Fürsorge an, dass er das Erwachsenenalter erreicht hatte und die Ärzte sich eingestehen mussten, eine Fehleinschätzung getroffen zu haben.

Trotzdem wusste Raoul um den Zustand seines Herzens Bescheid. Er könnte sich jederzeit rapide verschlimmern und dann wären seine Tage gezählt.

Jeder Tag war für Raoul kostbar. Da er alleine arbeitete, musste er Teile seiner Forschungen an andere Labore abgeben, um Zeit zu gewinnen. Wie er arbeiteten auch diese Labore nicht immer im Bereich des Legalen.

Diese Subaufträge musste er finanzieren, genauso wie seine Ausrüstung. Er brauchte dafür Millionen und hatte eine Möglichkeit gefunden, dieses Geld auf schnellstem Wege zu verdienen.

Gift war seine Ware. Natürlich handelte es sich nicht um erlaubte Gifte, sondern um jene Arten von Giften, die dringend gewünscht, aber illegal waren: Gifte, die Schädlinge auf Avocadoplantagen in Südamerika vernichteten, Gifte zur Beseitigung von Staren, diesen lästigen Vögeln, die Oliven- und Weintraubenernten vernichteten oder Gifte, die Fischereigebiete zerstörten, ohne nachgewiesen werden zu können. Die Herstellung solcher Substanzen war Raouls Spezialität.

Es erfüllte ihn mit Befriedigung, zu wissen, dass die sprunghafte Preissteigerung bei einigen Meeresfischen auf die Verbreitung von Substanzen aus seinem Labor zurückzuführen war. Es war am Markt bereits zu einer Verknappung von Dorsch und Kabeljau gekommen.

An diesem nebeligen Novembertag lieferte Raoul ein Gift, wie er es noch nie zuvor hergestellt hatte. Es war eine Premiere, eine neue Herausforderung, wie er sie schätzte. Das Gift war für einen Selbstmord bestimmt, der das Leben der betreffenden Person retten sollte. So widersprüchlich das klang, so sinnvoll erschien der Plan, der dahinter steckte.

Wer sein Auftraggeber oder seine Auftraggeberin war, wusste Raoul nicht. Die Bestellung war über eine der zahlreichen Webseiten abgewickelt worden, die er im Darknet betrieb. Abigor nannte er sich dort, ein Deckname, der beschrieb, wie er sich sehen wollte. Allerdings glaubte er nicht, dass jemand die Bedeutung des Namens schon einmal nachgeschlagen hatte.

Der Handel hatte klare Regeln. Der Kaufpreis war auf ein Konto in einem Steuerparadies der Südsee zu transferieren. Eine Hälfte musste vor der Hinterlegung des Giftes überwiesen werden. Die zweite Hälfte war fällig, wenn der Besteller das Gift übernommen hatte. Erst nach Erhalt des gesamten Betrags teilte Raoul den Code mit, mit dem der gelieferte Behälter geöffnet werden konnte. Raouls Anweisung an seine Kunden lautete, das Gift frühestens drei Tage danach einzusetzen.

Der Grund dafür war die Gefährlichkeit der Stoffe. Wie beim Umgang mit Giftschlangen war es ratsam, das Gegengift in der Nähe zu haben. Dieses Gegengift aber gab es nur, wenn der volle Kaufbetrag bereits bezahlt worden war und eine Extrazahlung von weiteren vierzig Prozent erfolgte. Das war Erpressung, aber keiner seiner Besteller würde zur Polizei gehen.

Zwei von Raouls Kunden hatten sich für besonders schlau gehalten und beschlossen, auf das Gegengift zu verzichten. Beide starben innerhalb von Stunden, nachdem sie die bestellte Ware eingesetzt hatten.

Grundsätzlich akzeptierte Raoul von seinen Kunden keine Vorschläge für den Ort der Übergabe. Er bestimmte die Spielregeln. Die Leute bekamen Anweisung, von wo sie die Ware abholen konnten.

Die Lieferung ging diesmal nach Tirol und hier kannte Raoul einen Übergabeort in den Alpen, den er aus mehreren Gründen wählte: Erstens war er sehr sicher, zweitens bot ihm die Anreise ein gewisses Vergnügen und drittens hatte Raoul eine Schwäche für hohe Berge. Es war seine einzige Schwäche.

Das Vergnügen bestand für ihn darin, auf seinem Motorrad die kurvige Bergstraße hinaufzufahren. Der Novembernebel blieb wie eine dicke Decke unter ihm im Tal hängen. Auf dem Berg schien die Sonne.

Das Ziel war ein Würfel aus verspiegeltem Glas, in dem ein kleines Restaurant untergebracht war. Zu dieser Jahreszeit hatte es keinen Betrieb.

Nachdem Raoul das Motorrad abgestellt hatte, holte er eine Drohne aus der Transportbox hinter dem Sitz. Er öffnete sein Handy und tippte auf eine App. So konnte er die Drohne vom Handy aus steuern und die Bilder sehen, die sie lieferte.

Die Drohne besaß eine Infrarotkamera, die ihm anzeigte, ob sich irgendwo in der Umgebung Menschen versteckten. Mehrere Male ließ er die Drohne über dem Gipfelplateau kreisen, bis er Gewissheit hatte, allein zu sein. Die einzigen Lebewesen, die die Drohne zeigte, waren zwei Gämsen, die beim Lärm des Flugkörpers aus ihrem Versteck unter einem Felsvorsprung sprangen und die Flucht ergriffen.

Auf dem Handy schaltete Raoul zur zweiten Funktion der Drohne: Sie konnte nun Kameras aufspüren. Aber auch dieser Rundflug blieb ohne Ergebnis. Er war unbeobachtet.

Nachdem er die Drohne wieder weggepackt hatte, marschierte Raoul auf den spiegelnden Würfel zu. Er stand auf einer Ecke, was ihn noch spektakulärer aussehen ließ, fast wie das Spielzeug eines Riesen, das hier auf den Gipfel geworfen worden war.

Raoul betrachtete sich in der Spiegelung der Würfelwände. Er war froh, dass das Visier des Helms sein Gesicht verdeckte. Die Lähmung des Gesichtsnervs auf einer Seite ließ Mundwinkel und Auge hängen. Es waren die letzten Folgen der Infektion, die er als Baby erlitten hatte.

Unter der Jacke zog er eine kleine Metallkassette hervor. Sie war mit einem Zahlenschloss versperrt, dessen Code er später nach Erhalt des Geldes preisgeben würde. Er hob das Gitter des Schuhabstreifers vor dem Eingang und hinterlegte die flache Kassette in einer Aussparung an der Seite. Danach kehrte er zu seinem Motorrad zurück.

Niemand würde jemals erfahren, wer der Erzeuger dieser Gifte war. Raoul hatte es immer geschafft, unerkannt zu bleiben. Es gab keine Möglichkeit, eine Spur zu ihm zurückzuverfolgen. Sobald er in sein Labor zurückgekehrt war, würde er den Besteller, den er gerade beliefert hatte, über die Notwendigkeit des Gegenmittels informieren. Es war in diesem Fall von noch größerer Wichtigkeit als sonst, weil sonst aus einem lebensrettenden Selbstmord ein bedauerlicher Todesfall werden konnte.

Sein Handy meldete eine neue Nachricht. Die zweite Hälfte seines Honorars war soeben auf seinem Konto eingegangen. Raoul blickte sich prüfend nach allen Seiten um. Wieso wusste der Besteller, dass die Ware hinterlegt war? Er sah hinüber zu den Gipfeln der anderen Berge und ihm kam der Verdacht, es könnte ihn jemand mit einem sehr starken Fernrohr beobachten.

Egal, dachte er. Die Nummerntafel seines Motorrades war aus dieser Entfernung sicherlich nicht zu lesen und von ihm selbst war nur der Lederanzug und der Helm zu sehen. Weil er gute Laune hatte, schickte er über einen verschlüsselten Kanal den Nummerncode für die Schatulle mit dem Gift. Wie immer fügte er die Warnung an, das Gift frühestens in drei Tagen einzusetzen.

Es war Zeit, die Rückfahrt anzutreten. Raoul stieg auf das Motorrad, ließ den Motor an und sog noch einmal das traumhafte Bergpanorama mit den Augen ein. Er konnte sich an den schroffen Felsen, den schneebedeckten Kuppen und dem Licht der untergehenden Sonne nicht sattsehen.

Schließlich riss er sich von dem Anblick los und fuhr die Bergstraße hinunter. Ihn überkam eine Fröhlichkeit, die ihm sonst unbekannt war. Raoul legte sich in die Kurven und genoss es, die Fliehkraft zu spüren. Die Waghalsigkeit versetzte ihm einen anregenden Nervenkitzel.

Die nächste Rechtskurve tauchte vor ihm auf und Raoul senkte den Kopf wie ein angriffslustiger Stier. Er lenkte, das Motorrad gehorchte zuerst, rutschte dann aber seitlich unter ihm davon. Wasser rann über die Fahrbahn. Die Reifen schlitterten wie auf Eis. Raoul zog die Bremsen und versuchte, durch Verlagern seines Körpergewichts das Motorrad wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die schwere Maschine raste unerbittlich auf die Leitplanke zu. Die Wucht des Zusammenstoßes schleuderte Raoul über die Planke. Dahinter fiel der Fels senkrecht in die Tiefe.

Für Bruchteile von Sekunden schien die Welt stillzustehen. Alle Geräusche verstummten. Dann zog ihn die Schwerkraft nach unten. Er strampelte. Aus der Felswand ragten kleine Bergkiefern, deren Wurzeln fest in den Felsspalten verwachsen waren. Raoul versuchte, eine davon zu fassen zu bekommen.

Der Sturz endete mit einem Aufschlag, der seinen Körper in einen einzigen glühenden Schmerz verwandelte.

LADY ROSS

»In einer Woche ist es also so weit.«

Veronika, die gerade Suppe aus einer kleinen Terrine in den Teller schöpfte, hielt inne und sah in die stark geschminkten Augen ihres Gastes. Lady Ross besaß einen hypnotisierenden Blick, der immer Veronikas Zunge lockerte, selbst, wenn sie nichts erzählen wollte.

»Ja, heute in einer Woche kommen die Hochzeitsgäste. Vielleicht reisen sie sogar schon am Donnerstag an.«

Lady Ross riss die Arme auseinander und schlug Veronika dabei fast die Suppenschüssel aus den Händen. »Was für eine entzückende Idee, das Hotel in ein Hochzeitsschlösschen zu verwandeln.«

Zum Glück konnte Veronika die Terrine samt Inhalt retten und auf den Tisch zurückstellen.

»Verzeihen Sie, Kindchen, aber meine Begeisterung über Ihren Plan ist mit mir durchgegangen.« Die Lady deutete in den kleinen Speisesaal im Tiroler Stil. Ihre Finger flatterten dabei wie dünne Insekten. »Das hier ist genau der richtige Ort für die ›besondere‹ Hochzeit.«

Wieder einmal faszinierten Veronika die sorgfältig lackierten Nägel und die Ringe mit den glitzernden Diamanten. Sie waren genauso speziell wie die leuchtend kupferroten Haare, die immer perfekt geschnitten waren. Lady Ross ließ dazu jedes Mal extra eine Maskenbildnerin aus dem Tal kommen, die normalerweise für große Fernsehproduktionen arbeitete.

»Ich hoffe, die Gäste werden zufrieden sein. Es ist die erste Hochzeit hier, ich habe nicht viel Erfahrung und meine Eltern werfen mir jeden Prügel vor die Füße, den sie nur finden können.«

»Kindchen, lassen Sie die beiden alten Herrschaften.« Lady Ross legte Veronika die kühle Hand beruhigend auf den Unterarm. »Sie werden das sicher gut machen. Ich fürchte nur um mein Essen. Sie wissen, Ignaz kann alles, aber nicht kochen. Wenn ich auf ihn angewiesen wäre, hätte mich schon der Hungertod ereilt.«

»Der Ignaz.« Veronika lachte auf. Ignaz war kurze Zeit Hausdiener im Hotel gewesen und von Lady Ross abgeworben worden. Er war ein hochgewachsener Tiroler mit kantigem Gesicht, ein wenig älter als Veronika, der nur die allernotwendigsten Worte sprach. »Sonst sind Sie aber immer noch mit ihm zufrieden?«

»Zufrieden?« Lady Ross trommelte mit dem Suppenlöffel auf den Tisch. »Er ist ein Engel der Berge für mich. Was täte ich nur ohne ihn? Mein Haus wäre längst verfallen und ich erfroren. Ignaz ist wirklich ein Mann für alles, nur nicht fürs Kochen.«

Als Veronika den Rest der Suppe in die Küche tragen wollte, hielt sie Lady Ross zurück. »Kindchen, setzen Sie sich doch zu mir und leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft. Alleine zu essen gehört zu den langweiligsten Tätigkeiten, die ich kenne.«

Gehorsam ließ sich Veronika auf den Stuhl gegenüber sinken und sah zu, wie Lady Ross sehr vornehm die Suppe löffelte. Es war Apfel-Sellerie-Suppe mit Würfeln von