Der Turm und die Brücke - David P. Billington - E-Book

Der Turm und die Brücke E-Book

David P. Billington

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Beschreibung

Long recognised as a classic in the USA, "The Tower and the Bridge" is now at last available in German translation. In his preface to the German edition, Jörg Schlaich writes. "This book is essential reading and a pleasure for the "structural engineering artist", in whose structures the connection between form and force flow is visible and which are distinguished by the ideals of efficiency, cost-effectiveness and elegance." Billington founded with this book structural art as a new, independent art form, which he considers equivalent to architecture. It is no coincidence that the title states the two classic domains of the structural engineer; in this case Billington is referring to two outstanding structures of the epoch, the Eiffel Tower and the Brooklyn Bridge. Billington describes in an easily readable style and in an entertaining manner the ideals, principles and methods of structural art during its historical development through examples of structures from outstanding engineers (e.g. Telford, Maillart, Freyssinet, Menn). With the establishment of structural art as an art form and the explication of its inherent principles, Billington gives the reader well founded arguments for the aesthetic discussion of engineering structures. This also provides a basis for criticism of the new art form; for the criticism of construction that has long been demanded. This timeless book thus has the potential to give a new impulse to the debate about construction culture and particularly the aesthetic aspects of structural engineering in German-speaking countries.

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Seitenzahl: 497

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Inhaltsverzeichnis

Geleitwort zur deutschen Ausgabe

Vorwort

Kapitel 1: Eine neue Tradition: Kunst im Ingenieurbau

Eine neue Kunstform

Die Ideale der Structural Art

Die Geschichte der Structural Art

Ingenieurbau und Wissenschaft

Bauwerke und Maschinen

Ingenieurbau und Architektur

Die drei Dimensionen von Bauwerken

Structural Art und die Gesellschaft

Teil 1: Das Zeitalter des Eisens

Kapitel 2: Thomas Telford und die neue Kunstform

Die zweite Eisenzeit

Thomas Telford und die Kunst der Brücke

Telford und die Grenzen des konstruktiv Machbaren

Kunst und Politik

Telfords Ästhetik

Wissenschaft und Ingenieurbau

Kapitel 3: Brunel, Stephenson und die Eisenbahn

Das Problem der Form

Robert Stephenson

Isambard Kingdom Brunel

Die Spannung zwischen Structural Art und Wirtschaft

Brunel und Stephenson

Kapitel 4: Gustave Eiffel und der Sichelbogen

Ein Turm und eine Ausstellung

Ingenieurbauwerk und Architektur

Gustave Eiffel

Der Crystal Palace von 1851 und die Pariser Weltausstellung 1867

Große Weiten, große Höhen

Die erste Sichelbogenbrücke: Douro

Die zweite Sichelbogenbrücke: Garabit

Kapitel 5: John Roebling und die Hängebrücke

Brunel und Roebling

Immigrant und Ingenieur

Roebling und die Grenzen des konstruktiv Machbaren

Die Ohio River Bridge

Roeblings Ideale

Kapitel 6: Die Brücke und der Turm

Höhepunkt und Aufklärung

Die Funktion folgt der Form

Die Kostenunsicherheit

Wirtschaftlichkeit und Kreativität

Structural Art und der Künstler

Vorläufige Gedanken zu Structural Art

Teil 2: Das neue Zeitalter von Stahl und Beton

Kapitel 7: Jenney und Root: Die erste Chicagoer Schule

Bürotürme

Gotik als Nostalgie

Wolkenkratzer und Kathedralen

Die erste Chicagoer Schule

William Le Baron Jenney

John Wellborn Root

Root und Sullivan

Kapitel 8: Große Stahlbrücken von Eads bis Ammann

Wolkenkratzer und Brücken

Chicago gegen St. Louis: Die Eads Bridge

Die Brücke über den Firth of Forth

Der Übergang: Gustav Lindenthal

Die Hell Gate Bridge

Moderne Formen aus Stahl: Othmar Ammann

Die George Washington Bridge

Wissenschaft und Konstruktion

Hell Gate und Bayonne

Zwei Visionen: Ammann und Steinman

Kapitel 9: Robert Maillart und neue Formen in Stahlbeton

Der Werkstoff des 20. Jahrhunderts

Deutsche Wissenschaft, französische Industrie

Die Schweizer Synthese

Robert Maillart

Neue Formen für Brücken

Neue Formen für Gebäude

Kapitel 10: Dachgewölbe und nationale Stile

Die Vorstellungskraft des Ingenieurs und lokale Traditionen

Dischinger, Finsterwalder und die deutsche Schule

Nervi und die italienische Tradition

Die spanische Schule: Gaudí, Torroja und Candela

Candela und die Tugend der Schlankheit

Kapitel 11: Eugène Freyssinets Leitgedanke

Ein neues Material

Eugène Freyssinet

Die Anfänge der Vorspannung in der freien Natur

Le Veurdre und die Ästhetik von Bögen

Dünne Gewölbeschalen: Orly und Bagneux

Freyssinet und Maillart

Kapitel 12: Arbeit und Spiel: Neue Betongewölbe

Formen und Formeln

Candela, Maillart und die Aversion gegen die Hässlichkeit

Die neue schweizerische Synthese

Heinz Islers Schalen

Isler und die wissenschaftliche Theorie

Kapitel 13: Neue Türme, neue Brücken

Wettbewerb und Spiel

Fazlur Khan und die Zweite Chicagoer Schule

Der Ausdruck des Tragwerks in hohen Gebäuden

Türme aus Beton

Türme aus Stahl

Khan und Teamarbeit

Der explosionsartige Ausbau der Fernstraßen

Christian Menn

Vom Felsenauviadukt zur Ganterbrücke

Die Konstruktion der Ganterbrücke

Demokratie und Konstruktion

Epilog: Ingenieurbau als Kunst

Konstruieren und Kunst

Konstrukteure und Künstler

Anmerkungen

Abbildungsverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Prof. David P. BillingtonPalo Alto, Kalifornien, USA

Titelbild: Salginatobelbrücke, Schweiz (Foto: Nicolas Janberg, www.structurae.de)

Titel der Originalausgabe:„The Tower and the Bridge“Princeton University Press, Princeton, New Jersey, USA© 1983 by Basic Books, Inc.

Übersetzung: Dr. Michael BärLektorat: Jens Völker, Nicolas Janberg, Jost Lüddecke

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Published 2014 by Wilhelm Ernst & Sohn, Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Rotherstraße 21, 10245 Berlin, Germany

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.

All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form – by photoprinting, microfilm, or any other means – nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publisher.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie als solche nicht eigens markiert sind.

Umschlaggestaltung: Sonja Frank, BerlinHerstellung: pp030 – Produktionsbüro Heike Praetor, Berlin Satz: BELTZ Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza

Print-ISBN:    978-3-433-03077-6ePDF-ISBN:    978-3-433-60394-9ePub-ISBN:    978-3-433-60396-3eMobi-ISBN:    978-3-433-60395-6O-Book-ISBN:    978-3-433-60393-2

Geleitwort zur deutschen Ausgabe

Das Buch „The Tower and the Bridge“ von David P. Billington ist, obwohl nun schon über 30 Jahre alt, ohne Frage für den am Bauen, insbesondere am Konstruktiven Ingenieurbau Interessierten wichtig, lehrreich und anregend zugleich.

Deshalb soll zuerst dem Verlag Ernst & Sohn dafür gedankt werden, dass er uns mit dieser gelungenen Übersetzung den Zugriff auf diesen anspruchsvollen Text wesentlich erleichtert hat. Hoffentlich finden sich viele Leser, um den Inhalt dieses Buches in Geist und Sinn zu erfassen und mit guten Entwürfen zu beantworten, aber auch, um den Verlag zu belohnen!

Ich bin mit David Billington seit Jahrzehnten befreundet. Insbesondere trafen wir uns häufig – irgendwo zwischen Leningrad, Yokohama, Madrid und Stuttgart – bei den stimulierenden Tagungen der IASS (International Association for Shell and Spatial Structures), weil uns dort der Leichtbau mit Ikonen wie Felix Candela, Frei Otto, Mamoru Kawaguchi, Heinz Isler und vielen anderen zusammenbrachte. Nach dem Erscheinen von „The Tower and the Bridge“ schrieb ich David Billington einen 7-seitigen Kommentar, der manche positivkritische Diskussion auslöste.

Gerne erinnere ich mich auch an unsere lebhaften Diskussionen in der Wettbewerbs-Jury für den Viaduc de Millau (1998) und unsere Auseinandersetzungen mit der französischen Bürokratie. Nicht zuletzt dank David Billington ging der Auftrag für den Entwurf an Michel Virlogeux und nur sekundär an Foster. Schön, dass das hier mal gesagt werden kann.

Nun soll in diesem Geleitwort keine Kurzfassung versucht werden, weil der kompakte Inhalt dieses bedeutenden Buches in Gänze gelesen werden sollte, um das Entwerfen und Bewerten der eigenen Arbeiten zu stimulieren.

Die Kernaussage dieses Buches ist, dass nicht der Architekt für die Gestalt und der Ingenieur für die Standsicherheit zuständig ist, sondern dass es sich beim Konstruktiven Ingenieurbau um eine neue, eigenständige Kunstform handelt, um Structural Art, um Ingenieurbaukunst. Hier ist die kreative Kraft des Ingenieurs gefordert, der vor dem Hintergrund seines statisch-konstruktiven Verständnisses gestaltend tätig wird. Billington entwirft einen Rahmen für diese neue Kunstform, indem er ihre Ideale Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Eleganz herausstellt. Damit sind Maßstäbe formuliert, mit deren Hilfe die eigenen Arbeiten reflektiert und die Arbeiten Anderer einer fundierten Kritik unterzogen werden können.

Diese Ideale begründet Billington anhand zahlreicher herausragender Bauwerke, wobei der jeweilige Werkstoff – Gusseisen, Stahlguss, Walzstahl, Profilstahl, Stahlbeton – maßgebender Parameter nach Ort und Zeit ist. Die Beschreibungen und Analysen der Bauwerke sind dabei immer in die lehrreiche und unterhaltsame Biografie des jeweiligen Erbauers eingebettet. So lässt uns Billington die Ingenieure, die uns meist zumindest vom Namen her bekannt sind, noch vertrauter werden. Das Buch beginnt mit Darbys Brücke über den Severn bei Coalbrookdale (Gusseisen, 1779) und endet bei Christian Menns Ganterbrücke am Simplon (Spannbeton, 1980). Billington schildert somit einerseits die ersten 200 Jahre Geschichte der Structural Art anhand ihrer bedeutendsten Vertreter und Werke. Andererseits stattet er den entwerfenden Ingenieur mit einem Instrumentarium aus, das ihm auf dem Weg zum gelungenen Entwurf eine Richtschnur sein kann.

So ist dieses Buch „Pflichtlektüre“ und Hochgenuss für den „Ingenieurbaukünstler“, bei dessen Bauten der Zusammenhang von Form und Kraftfluss ablesbar ist und die sich durch die Ideale Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Eleganz auszeichnen.

 

Jörg Schlaich

Berlin, 8. Juli 2013

Vorwort

Der Eiffelturm und die Brooklyn Bridge wurden zu herausragenden Symbolen ihrer Zeit, weil eine breite Öffentlichkeit in ihren Formen den Beginn einer neuen Ära der Technik sah. Ich habe dieses Buch geschrieben, um zu zeigen, dass dieser Turm und diese Brücke nur zwei von zahllosen neueren Ingenieurbauten sind, die eine neue Kunstform repräsentieren, die „Structural Art“ oder Kunst des Ingenieurbaus, welche parallel zur Architektur und vollkommen unabhängig von dieser existiert.

Die Gedanken, auf denen dieses Buch aufbaut, entstammen ursprünglich meinen Vorlesungen über Ingenieurbauwerke für fortgeschrittene Architekturstudenten. Gelangweilt von den üblichen Lehrbüchern für Ingenieure zeigten sie mir, was sie unter schönen Bauwerken verstanden, beispielsweise die Brücken des schweizerischen Bauingenieurs Robert Maillart oder die Bauten des katalanischen Architekten Antonio Gaudí. Ab etwa 1962 entwickelte ich für die Architekturstudenten eine Reihe von Diavorträgen über Ingenieurbauten. 1974 kombinierte ich diese Vorträge in Princeton zu einer neuen Lehrveranstaltung für Studenten des Ingenieurwesens, der Architektur und der freien Künste. Das vorliegende Buch entstammt direkt diesen Vorlesungen. Der zentrale Gedanke, dass Ingenieurbauwerke eine eigene Kunstform darstellen könnten, hat jedoch noch einen anderen Ursprung – meine Forschungen über Leben und Werk von Robert Maillart.

Zusammen mit meinem Kollegen Robert Mark organisierte ich 1972 in Princeton eine Konferenz anlässlich des 100. Geburtstags von Robert Maillart. Der schweizerische Brückenbauer Christian Menn, der spanische Planer und Erbauer von dünnen Schalentragwerken Felix Candela und der Konstrukteur von Wolkenkratzern Fazlur Khan aus Chicago hielten dort denkwürdige Vorträge. Sie alle sprachen über Maillarts Einfluss auf ihre eigenen Werke und die Parallelen zwischen Maillarts Ideen und ihren eigenen. Ganz offensichtlich war die Ästhetik für alle vier ein zentraler Aspekt der Ingenieurplanung, und das Publikum war tief beeindruckt von der Schönheit ihrer fertigen Bauwerke. Für mich war das der erste Hinweis auf eine neue Tradition, die neue Kunst des Ingenieurbaus.

Im Anschluss an diese Konferenz befasste ich mich detaillierter mit Leben und Werk von Robert Maillart. Das erste sichtbare Resultat dieser Forschungsarbeiten erschien 1979: Robert Maillart’s Bridges: The Art of Engineering. Während der Arbeit an diesem Buch erkannte ich, dass Maillart wirklich ein Künstler in demselben Sinne gewesen war wie beispielsweise Alberto Giacometti oder Le Corbusier. Natürlich war Maillart weder Bildhauer noch Architekt; all seine Arbeiten sind in der zahlendominierten, rationalen Welt des Ingenieurbaus verwurzelt. Und doch schaffte er es, aus dieser trockenen Disziplin heraus Werke von großer Schönheit zu erschaffen, die seine Persönlichkeit widerspiegelten. Bei der Erforschung von Maillart erhielt ich entscheidende Hilfe von Christian Menn, der mir nicht nur Kontakte zu den wichtigen Schweizern vermittelte, sondern mir auch seine eigenen Brücken zeigte und mir ihre Konstruktion erläuterte. Allmählich begann ich, aus den Werken von Maillart und Menn heraus zu verstehen, wie ein Ingenieurbau-Künstler denkt und arbeitet.

Noch ein weiteres Ereignis lenkte meine Aufmerksamkeit auf diese Kunstform. 1978 wohnte ich einem Vortrag von Heinz Isler bei, des schweizerischen Konstrukteurs von dünnen Schalentragwerken, der atemberaubende Beispiele seiner fertigen Bauwerke zeigte. Zu dieser Zeit arbeitete ich gerade an einer neuen Ausgabe meines Buches Thin Shell Concrete Structures. Islers Entwürfe brachten mich dazu, das Buch zu überdenken und ihm schließlich ein neues Kapitel über Dachkonstruktionen hinzuzufügen, das sich auf seine Schalentragwerke konzentrierte. Er war ein weiterer Ingenieurbau-Künstler auf einer Stufe mit Candela. Vor allem zeigte Isler, wie durch die Verbindung von striktem Ingenieursdenken und spielerischer Kreativität neue Formen entstehen können.

In der Zwischenzeit versuchte ich mit einiger Mühe, eine Biografie von Maillart fertigzustellen, die all diese Gedanken zur Structural Art enthalten sollte. Zu meinem Glück kam im Frühjahr 1981 dann Martin Kessler von Basic Books mit dem Vorschlag auf mich zu, ein Buch über diese neue Kunstform zu schreiben. Mein Bruder James H. Billington hatte ihm meine Forschung beschrieben, und schon im Herbst desselben Jahres arbeitete ich intensiv an dem Buch. Nach seiner Fertigstellung war ich mit einem klarer umrissenen Ziel wieder in der Lage, zu der Biografie von Maillart zurückzukehren, in der ich nun nicht mehr all die Gedanken im Detail entwickeln musste, die in dem anderen Buch abgehandelt waren.

Da das Thema Structural Art etwas grundlegend Neues ist, scheint es mir sinnvoll, vorab die Kriterien zu erklären, auf denen dieses Buch aufbaut.

Erstens wollte ich die besten Werke des Ingenieurbaus der letzten zwei Jahrhunderte zeigen. Dieser Gedanke hängt mit meinem Wunsch zusammen, eine Vorlesung über Structural Art analog zu Vorlesungen über Malerei oder Literatur zu halten, in der ich die herausragendsten Werke der Reihe nach behandle, um so die Evolution der Gestaltungsprinzipien aufzuzeigen. Dabei schien es mir entscheidend zu sein, die Geschichte anhand der Arbeiten ausgewählter Künstler zu beschreiben und nicht einfach alle Ingenieure aufzuzählen, die Beiträge zur modernen Baukunst geliefert haben. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich auf die wesentlichen Bauwerke zu konzentrieren, sowohl als Einführung für Studenten des Bauingenieurwesens als auch als Überblick für Nichtingenieure, genau wie man die Literatur der letzten 200 Jahre anhand der herausragendsten Künstler präsentiert, anstatt alle verdienstvollen Autoren zu berücksichtigen. Die ausgewählten Ingenieurbau-Künstler haben allesamt Pionierarbeit im Ingenieurbau geleistet, sind (mit wenigen Ausnahmen) an ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten ausgebildet und haben ein tiefes Interesse daran, Wirtschaftlichkeit und Eleganz zu verbinden.

Zweitens habe ich mich entschieden, meine Geschichte im späten 18. Jahrhundert zu beginnen, als Gusseisen erstmals zur Realisierung vollständiger Bauwerke eingesetzt wurde. Vor dieser Zeit waren Stein und Holz die wesentlichen Baumaterialien – Materialien, die es schwierig machen, die Konstruktion von der architektonischen Gestaltung zu trennen. Beginnend mit den eisernen Brücken von Thomas Telford entstanden jedoch neue Formen, die neue Prinzipien und eine andere Ausbildung erforderten und zur Entstehung des modernen Ingenieurberufs führten. Aus diesem Grund habe ich keine Bauwerke aufgenommen, die älter als die Iron Bridge von 1779 sind. Wie die andere aus der industriellen Revolution entstandene Kunstform, die Fotografie, brachte auch die Entwicklung des Industrieeisens neue künstlerische Ausdrucksformen mit sich. So wie es Künstler wie Charles Sheeler gibt, die sich sowohl mit Malerei als auch mit Fotografie beschäftigten, gibt es auch Künstler wie Felix Candela, die sowohl großartige Ingenieurbauten als auch architektonische Bauwerke hervorbrachten. Wie ich in diesem Buch zu zeigen versuche, ist der Unterschied zwischen beiden jedoch ebenso klar wie der zwischen Fotografie und Malerei. In der Tat kann man sagen, dass die beiden traditionelleren Kunstformen Architektur und Malerei eine Art modernes Trauma aufgrund der vermuteten Konkurrenz durch die neuen Kunstformen Fotografie und Ingenieurbau-Kunst erlitten.

Mein drittes Kriterium für den Aufbau des Buches war die gegenseitige Unabhängigkeit von Structural Art und Architektur. Oft werden Ingenieurbau und Architektur als zwei Seiten einer Medaille angesehen und es wird versucht, beide zu vereinigen. Die Motive hierfür sind verständlich, die Ergebnisse jedoch fragwürdig. Natürlich ist es ebenso wichtig für Ingenieure, etwas über Kunst und Ästhetik zu lernen, wie für Architekten, Konstruktion und Statik zu verstehen. Aber wie ich in diesem Buch zu zeigen versuche, entstehen die schönsten Bauwerke der Structural Art, wenn sie von Ingenieuren geplant werden, die im Ingenieurbau ausgebildet sind und nicht in Architektur. Es scheint, dass die besten Bauwerke der Structural Art fast ausnahmslos nicht von einer gestalterischen Zusammenarbeit mit Architekten profitiert hätten. Trotz dieser Tatsache haben scharfsinnige Architekten und Architekturautoren die Ingenieurbau-Künstler schnell erkannt und deren Arbeiten häufig schneller als die Ingenieure selbst verbreitet. Mein Hauptziel war es deshalb, diese neue Kunstform zusammenhängend aus der Perspektive des Ingenieurwesens vorzustellen und zu zeigen, dass die im strengen technischen Sinn besten Bauwerke häufig auch die schönsten waren.

Viertens und letztens bin ich der Überzeugung, dass es einen Satz von grundlegenden Idealen der Structural Art gibt, die sie von Architektur oder Bildhauerei unterscheiden. Der zentrale Punkt ist dabei die feste Überzeugung aller Ingenieure, die in diesem Buch zu Wort kommen, dass sie bei der Gestaltung ihrer Bauwerke eine große ästhetische Freiheit hatten, ohne dabei technische Zugeständnisse machen zu müssen. Kurz gesagt ist die naive Vorstellung, dass ein auf Effizienz optimiertes Bauwerk automatisch auch schön ist, ebenso falsch wie die moderne Auffassung, dass ein schönes Bauwerk nur mithilfe eines nichttechnischen Beraters für Ästhetik entstehen kann. Ich versuche, in diesem Buch zu zeigen, dass die besten Ingenieure gewissen allgemeinen Gestaltungsprinzipien folgten, um außergewöhnliche Bauten zu erschaffen, und dass diese allgemeinen Prinzipien es ihnen erlaubten, ihre individuelle und persönliche Vision des Bauwerks zu verwirklichen.

Danksagungen

Während der zwanzig Jahre, in denen ich an diesen Gedanken gearbeitet habe, hat mir niemand mehr geholfen als Norman Sollenberger, der mich zunächst ermutigte, nach Princeton zu gehen und dann als Leiter der Fakultät für Bauingenieurwesen in den Jahren von 1961 bis 1971 meine Forschungen zu Kunst und Ingenieurwesen kontinuierlich unterstützte. Über ihn lernte ich Robert Mark kennen, der zu meinem engsten Kollegen wurde. Wir arbeiteten mehr als zwanzig Jahre lang forschend zusammen und starteten 1968 gemeinsam das Programm Humanistic Studies in Engineering. Er stand mir stets mit Rat zur Seite, las das gesamte Manuskript und half mit kritischen Kommentaren. Sowohl Robert Mark als auch ich erhielten Unterstützung von Joseph Elgin, dem damaligen Dekan der Fakultät für Ingenieurwesen und Angewandte Wissenschaft in Princeton; ihm habe ich für seine unschätzbare Unterstützung während des Sommers zu danken. Auch Whitney Oates, Vorsitzender des Council of the Humanities in Princeton, und Robert Coheen, damals Präsident der Universität Princeton, waren uns eine große Hilfe, indem sie uns auf das neu gegründete National Endowment for the Humanities hinwiesen, wo wir Herbert McArthur trafen, den Leiter der Ausbildungsprogramme, dessen frühe und zuverlässige Unterstützung uns sowohl die benötigte Finanzierung als auch persönliche Ermutigung sicherte. 1970 kam John Abel (heute an der Cornell University) zu uns nach Princeton und arbeitete an unseren Humanistic Studies mit. Auch er ist seither ein vertrauter Kollege; vor allem Kapitel 12 hat sehr von seinen sorgfältigen Kommentaren profitiert.

Der Vorschlag zur Einführung der neuen Vorlesung Structures and the Urban Environment, auf der dieses Buch beruht, geht auf Ahmet Cakmak zurück, von 1971 bis 1980 Leiter des Bauingenieurwesens in Princeton; er unterstützte diese Vorlesung und hielt sie sieben Jahre lang gemeinsam mit mir. Auch Robert Scanlan hielt Teile dieser Vorlesung und hat mir bei den Abschnitten über Hängebrücken sehr geholfen; er brachte mir Roeblings Bericht über die Cincinnati Bridge zur Kenntnis, auf dem Kapitel 5 aufbaut. Der gegenwärtige Leiter unserer Fakultät, George Pinder, ermutigte unsere Arbeit ebenfalls und unterstützte uns.

Die finanzielle Unterstützung dieses Buches kam vor allem von der Abteilung Forschungsprogramme des National Endowment for the Humanities unter der Leitung von Harold Cannon sowie von dem Programm für Wissenschaftsgeschichte und -philosophie der National Science Foundation unter der Leitung von Ronald Overmann. Robert Mark und ich erhielten Zuschüsse von der National Endowment for the Humanities, der Ford-Stiftung, der Rockefeller-Stiftung, der Andrew W. Mellon Foundation und der Alfred P. Sloan Foundation, die alle die Untersuchungen förderten, die zu diesem Buch führten. Besonders hilfreich für die Aussage des Buches waren zwei Zuschüsse von der National Endowment of the Arts und vor allem die Ermutigung durch Thomas Cain. Meine Studien in der Schweiz wurden durch Zuschüsse von der ETH Zürich (vermittelt von Christian Menn) und des Vereins schweizerischer Zement-, Kalk- und Gipsfabrikanten ermöglicht, deren Direktor Hans Eichenberger uns eine große Hilfe war. Weiter unterstützten die Firma Ciba-Geigy und die Swiss Center Foundation (vermittelt von Charles Ziegler) sowohl die Ausstellung „Heinz Isler as Structural Artist” im Princeton University Art Museum als auch das Maillart-Archiv in Princeton. Großen Dank schulde ich den Leitern des Princeton University Art Museum, die an einer Reihe von Ausstellungen mitgewirkt haben, die den Ingenieurbau als Kunst präsentierten: David Steadman, Peter Bunnell, Fred Licht und Alan Rosenbaum. Marshall Claggett gebührt ein besonderer Dank, weil er mir ermöglichte, 1974 und 1977 als Gast am Institute for Advanced Study in Princeton zu arbeiten.

Im Herbst 1969 lernte ich Donald Egbert kennen, damals Professor für Geschichte der Architektur in Princeton, der meine ersten Notizen zum Thema Ingenieurbau als Kunstform kritisch las. Auf seine unschätzbare Hilfe folgten zahlreiche Diskussionen mit anderen Historikern, vor allem Carl Condit, George Collins und Edwin Layton, deren Einsichten dieses Buch stark beeinflusst haben. Merritt Roe Smith war so freundlich, große Teile des Manuskripts zu lesen und mich mit Rat zu unterstützen. Weitere Historiker, die eine große Hilfe waren, sind Tom Peters, Brooke Hindle, Ted Ruddock, Roland Paxton, Robert Vogel und Neal FitzSimons. Mein Bruder James H. Billington hat mich nicht nur direkt unterstützt und ermutigt, sondern war ein Muster an historischer Gelehrsamkeit. Ohne seine anfänglichen Bemühungen wäre dieses Buch nie begonnen worden und seine sorgfältige Durchsicht des ersten Kapitels verbesserte die Endfassung sehr.

Ich habe einer großen Zahl von Ingenieuren zu danken, deren Gedanken über den Ingenieurbau meinen Text sehr beeinflusst haben. Ich kann sie unmöglich alle aufführen, hebe aber gerne Arthur Elliott, Jack Christiansen, Louis Pierce, Fred Law, Mario Salvadori, Boris Bresler, Stefan Medwadowski, Fred Lehman, Charles Seim, Mark Fintel und auch Fritz Leonhardt heraus, der seine Ansichten über Ästhetik in einem anregenden Schriftwechsel freigiebig mit mir teilte. Alexander Scordelis hat meine Arbeiten im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte durch seine sorgfältige Kritik und seine herzliche Förderung stark beeinflusst. Vor allen anderen hat Anton Tedesko mein statisch-konstruktives Verständnis vertieft und das gesamte Manuskript sorgfältig gelesen.

All das wäre ohne mein langfristiges Studium von Robert Maillart nicht möglich gewesen, das auf das Jahr 1969 zurückgeht. Hierfür war Marie-Claire Blumer-Maillart meine wichtigste Kollegin und Unterstützerin. Unsere enge professionelle Beziehung war gleichermaßen fachlich anregend wie persönlich bereichernd. Auf sie geht das erhellende Licht auf Maillarts Persönlichkeit und seine Ideen zurück, die dieses Buch geprägt haben; ihre Offenheit und ihre kritischen Kommentare waren entscheidend für den möglichen Erfolg dieses Buches. Ihr verstorbener Mann Eduard Blumer arbeitete unermüdlich für das Maillart-Archiv und betrieb diese Forschungen systematisch und humorvoll.

Abgesehen von den Untersuchungen zu Maillart war es der direkte persönliche Kontakt zu einigen Ingenieurbau-Künstlern, der mir den Mut gab, dieses Buch zu schreiben. Christian Menn, Heinz Isler, Felix Candela und Fazlur Khan hielten in Princeton brillante Vorträge, sprachen ausführlich über ihre eigenen Arbeiten und teilten ihre Gedanken zum Entwerfen mit mir. Viele andere Planer haben mein Verständnis der Prinzipien der Structural Art verbessert. Besonders wichtig waren zahlreiche lange Diskussionen mit Myron Goldsmith, der freundlicherweise auch einige Teile dieses Manuskripts las. William F. Shellman vom Institut für Architektur in Princeton leitete meine frühen Recherchen zu Architektur und Kunst an. Sein tiefes Verständnis beeinflusst stets meine Versuche, über die Structural Art nachzudenken.

Während der Arbeiten an diesem Buch wurde ich von einer Reihe engagierter Assistenten unterstützt, vor allem von Paul Gauvreau, der mich über den gesamten Verlauf der Arbeit begleitete, sowie Brenda Robinson, Lisa Grebner, Jane Billington und David P. Billington, Jr. Elizabeth Billington redigierte das gesamte Manuskript sorgfältig, erstellte das Register und half bei vielen Recherchen. Ich möchte den Archivaren an der ETH Zürich, Alvin E. Jaeggli und Beat Glaus, für ihre unablässige Unterstützung ebenso danken wie dem Bibliothekar der Ingenieurwissenschaften in Princeton, Dee Hoelle. Ich bin sehr dankbar für die andauernde Geduld und die Kompetenz meiner Sekretärin Anne Chase, die mich organisiert und Teile des Manuskripts getippt hat. Ich danke Jeanne Carlucci für das Tippen eines großen Teils des Manuskripts. Besonders möchte ich J. Wayman Williams danken, einem Ingenieur und Fotografen, mit dem ich bei der Erstellung von Ausstellungen für das Kunstmuseum, Materialien für Vorlesungen und Fotos für dieses Buch eng zusammengearbeitet habe. Weiterhin danke ich dem Team bei Basic Books, vor allem Martin Kessler, der nicht nur den ersten Anstoß zu dem Buch gab, sondern auch mit Rat und Tat zur Stelle war und das Manuskript kritisch prüfte, Sheila Friedling, die das Manuskript durch sorgfältiges und einfühlsames Redigieren wesentlich verbesserte, und Vincent Torre, der das Buch mit großer Sensibilität und Geschick gestaltete.

Schließlich gebührt meiner Frau Phyllis die letzte und höchste Anerkennung dafür, dass sie mir Unterstützung und Verständnis entgegen brachte, während ich schrieb, reiste und forschte; auch meine drei jüngsten Kinder Philip, Stephen und Sarah haben zur einen oder anderen Zeit mitgeholfen und als Maßstab bei der fotografischen und visuellen Suche nach Structural Art gedient.

 

David P. Billington

Princeton, New Jersey29. April 1983

Kapitel 1

Eine neue Tradition: Kunst im Ingenieurbau

Eine neue Kunstform

Während die Automatisierung rasant voranschreitet, verfallen unsere Straßen, Brücken und städtischen Bauwerke. Unsere Kinder steuern Computer, während die Erwachsenen sich zwischen Schlaglöchern hindurch schlängeln. Je kühnere Fortschritte die Hochtechnologie erzielt, desto trauriger sieht es mit der bodenständigen Infrastruktur für die Wasserversorgung, den Verkehr oder das Wohnen aus. Zivilisation basiert aber auf Bauwerken, und wenn diese zerfallen, zerfällt trotz aller Hochtechnologie auch unsere Gesellschaft. Wir vergessen gerne, dass Technik gleichermaßen Bauwerke wie Maschinen umfasst und dass Bauwerke ebenso unseren Alltag symbolisieren wie Maschinen unsere private Freiheit. Viel zu oft wird Technik mit Maschinen und Geräten gleichgesetzt – den Werkzeugen, die uns Arbeit abnehmen, unsere Kraft vervielfachen und unsere Mobilität erhöhen. In Wirklichkeit sind die Maschinen aber nur die eine – dynamische – Hälfte der Technik, die notwendig um die zweite – statische – Hälfte ergänzt werden muss: Bauwerke, die uns mit Wasser versorgen, den Verkehr fließen lassen oder in denen wir wohnen können.

Dieses Buch ist der Vorstellung gewidmet, dass Bauwerke, die vergessene Hälfte der modernen Technik, ein Schlüssel für den Aufschwung des öffentlichen Lebens sind. Der renommierte Historiker Raymond Sontag nannte sein Buch über die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen A Broken World und charakterisierte die beständigen Hoffnungen dieser Zeit in seinem Schlüsselkapitel The Artist in a Broken World als „Vision, die gebrochene Welt durch die Einheit von Kunst und Technik zu heilen“. Dabei dachte er an Strömungen wie das vom Unglück verfolgte deutsche Bauhaus, aber er übersah wie alle anderen Historiker die Tatsache, dass eine derartige Einheit bereits lange Zeit existiert hatte. Es war eine Tradition ohne Namen, oft mit Architektur, manchmal auch mit angewandter Wissenschaft verwechselt, gelegentlich sogar fälschlich als Machine Art bezeichnet. Es ist die Kunst des Bauingenieurs, die sich am deutlichsten in Brücken, hohen Gebäuden und weitgespannten Dächern manifestiert.

Diese neue Tradition entstand mit der industriellen Revolution und ihrem Material, dem Industrieeisen, das wiederum neue Annehmlichkeiten wie beispielsweise die Eisenbahn mit sich brachte. Diese Ereignisse führten direkt zur Entstehung einer neuen Berufsgruppe, die des modernen Ingenieurs, ausgebildet an speziellen Hochschulen, die wiederum eine Reaktion auf die Anforderungen der industriellen Revolution waren.

Diese Entwicklungen sind wohlbekannt und nahezu jedermann wird zustimmen, dass sie die westliche Zivilisation im Verlauf der vergangenen zweihundert Jahre radikal verändert haben. Weniger bekannt ist, dass diese Entwicklungen auch eine neue Kunstform hervorbrachten – ein Werk der Ingenieure und ihrer Vorstellungskraft. Mein Ziel ist in diesem Buch vor allem, diese neue Kunstform zu definieren und zu zeigen, dass manche Ingenieure diese Kunst seit dem späten 18. Jahrhundert bewusst praktizierten, dass sie parallel zur Architektur und vollständig unabhängig von dieser existiert und dass viele Ingenieur-Künstler auch in der Welt des späten 20. Jahrhunderts noch derartige Werke erschaffen. Es ist eine Bewegung, die auf eine Sprache wartet.

Die Ideale der Structural Art

Obwohl die Structural Art dezidiert modern ist, kann man sie nicht einfach als eine weitere Strömung in der modernen Kunst abtun. Dies einerseits deshalb, weil ihre Ideale sich nur wenig verändert haben, seit sie von Thomas Telford im Jahr 1812 erstmals formuliert wurden. Es ist kein Zufall, dass diese Ideale in Gesellschaften entstanden, die mit den Konsequenzen nicht nur industrieller, sondern auch demokratischer Revolutionen rangen. Die Tradition der Structural Art ist demokratisch.

In unserem eigenen Zeitalter, in dem die demokratischen Ideale stetig von den Verlockungen totalitärer Gesellschaften herausgefordert werden – sei es von kommunistischer oder faschistischer Seite –, legen die Arbeiten der Structural Art Zeugnis ab, dass das Leben immer dann am besten gedeiht, wenn Freiheit und Regeln im Gleichgewicht stehen. Die Regeln der Structural Art sind Effizienz und Wirtschaftlichkeit, und ihre Freiheit liegt in den Möglichkeiten, die sie dem Konstrukteur bietet, seinen persönlichen Stil auszudrücken, der aus der bewussten ästhetischen Suche nach Eleganz in seinen Konstruktionen entsteht. Diese drei wegweisenden Ideale der Structural Art – Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Eleganz –, die ich im Verlauf des Buches erläutern werde, sollen zu Beginn kurz beschrieben werden.

Aufgrund des hohen Preises des neuen Industrieeisens mussten die Ingenieure des 19. Jahrhunderts Wege finden, es so effizient wie möglich einzusetzen. Beispielsweise mussten sie für ihre Brücken Konstruktionen ersinnen, die bei minimalem Verbrauch an Metall größere Lasten – Lokomotiven – als jemals zuvor tragen konnten. Schon seit dem Beginn der neuen Eisenzeit war daher die erste Anforderung an die Ingenieure, so wenig natürliche Ressourcen wie möglich zu nutzen. Gleichzeitig sollten sie immer größere und längere Bauwerke erschaffen – längere Brücken, höhere Türme und noch weiter gespannte Dächer –, und all dies mit geringerem Materialeinsatz. Sie trieben ihre Konstruktionen an die Grenzen, suchten nach neuen Formen, die leicht waren und dies auch zeigten. Sie begannen, das Eisen zu strecken, dann den Stahl und schließlich den Stahlbeton, genau wie die Konstrukteure des Mittelalters den Stein gestreckt hatten, bis sie die Skelette der gotischen Kathedralen erschaffen hatten.

Nach dem Ideal der Erhaltung der natürlichen Ressourcen entstand das Ideal der Erhaltung der öffentlichen Ressourcen. In Großbritannien, dem Zentrum der frühen Structural Art, standen öffentliche Bauten stets unter Beobachtung des Parlaments, private Bauwerke dagegen unter Kontrolle von Aktionären oder Unternehmern. Für die Ingenieure bedeutete das, dass sie neben der Zweckmäßigkeit auch immer die Wirtschaftlichkeit im Auge haben mussten. Was die Öffentlichkeit forderte, war stets mehr Nutzen für weniger Geld. Daraus entstand das Ideal der Erhaltung der öffentlichen Ressourcen. Die großartigen Bauwerke, die ich in diesem Buch beschreiben werde, entstanden nur, weil die Baumeister lernten, sie für weniger Geld zu bauen. Des Weiteren war auch die Zusammenarbeit mit führenden Vertretern aus Politik und Wirtschaft ein entscheidender Teil der Arbeit dieser Künstler. Sie erschufen ihre Werke nicht einsam in einem Labor oder Atelier, sondern unter den rigiden wirtschaftlichen Bedingungen der Baustelle.

Interessanterweise gedieh diese Kunst nicht, wenn die öffentliche Hand oder Unternehmer bewusst entschieden, Bauwerke zu schaffen, bei denen die Kosten zweitrangig waren. Wirtschaftlichkeit war immer eine Voraussetzung für Kreativität in der Structural Art. Wieder und wieder werden wir feststellen, dass die besten Konstrukteure unter der Anforderung höchster Wirtschaftlichkeit über sich hinauswuchsen. Manchmal stießen sie auf unvorhergesehene Schwierigkeiten, die zu Kostensteigerungen führten, wenn sie gegen Ende ihrer Laufbahn an die Grenzen ihrer Konstruktionen stießen. Aber ihre Vorstellungen und ihr Stil entwickelten sich immer im Wettbewerb um die geringsten Kosten. Für die Structural Art ist Wirtschaftlichkeit nicht Hindernis, sondern Ansporn.

Nun mögen minimaler Materialeinsatz und geringe Kosten notwendig sein, sie reichen aber selbstverständlich nicht aus. Viele hässliche Bauwerke sind die Folge schlichter Planungen, die allzu einfachen Zusammenhängen zwischen Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Eleganz folgen. Stattdessen muss ein drittes Ideal hinzukommen, um die finale Gestaltung zu schaffen: die bewusste ästhetische Entscheidung des Ingenieurs. Es ist ein wichtiges Ziel dieses Buches, den Spielraum aufzuzeigen, den Ingenieure haben, um ihren persönlichen Stil auszudrücken, ohne die Ideale der Effizienz und der Wirtschaftlichkeit zu verletzen. Seit Telfords Essay über Brücken aus dem Jahr 1812 sind sich die Ingenieur-Künstler der ästhetischen Ideale bewusst, die ihre Arbeiten leiten, und schrieben sie auch nieder. Die Tradition der Structural Art wurde daher ebenso verbal wie visuell geformt. Die Grundsätze der neuen Kunstform waren demnach Effizienz (geringer Materialeinsatz), Wirtschaftlichkeit (geringe Kosten) und Eleganz (maximale ästhetische Wirkung). Das sind die Grundsätze, die der modernen Zivilisation zu Grunde liegen.

Zivilisation bedarf des bürgerlichen oder städtischen Lebens, und das städtische Leben entwickelt sich in und um Bauwerke: für die Wasserversorgung, den Verkehr und Wohnungen. Die Qualität des öffentlichen städtischen Lebens bemisst sich daher nach der Qualität öffentlicher Bauwerke, wie z. B. der Aquädukte, Brücken, Türme, Terminals oder Konferenzgebäude: nach der Effizienz ihrer Gestaltung, der Wirtschaftlichkeit ihrer Konstruktion und der Eleganz ihrer Formen. Im besten Fall erfüllen die Bauten ihre Funktionen zuverlässig, kosten die Öffentlichkeit wenig Geld und werden – wenn sie ansprechend gestaltet sind – zu Kunstwerken. Aber leider ist unsere moderne Welt voll mit Bauwerken, die fehlerhaft, kostspielig und überdies unfassbar hässlich sind.

Das muss nicht sein. Wenn die Öffentlichkeit und die Ingenieure die Reichweite und das Potenzial der Structural Art erkennen, können die Bauwerke des späten 20. Jahrhunderts effizienter, wirtschaftlicher und eleganter sein als jemals zuvor.

Die Geschichte der Structural Art

Ich werde das Potenzial der Structural Art anhand ihrer Geschichte erläutern und habe das Buch aus diesem Grund in zwei Teile geteilt, die die beiden wesentlichen geschichtlichen Perioden der Structural Art reflektieren. Der erste Teil spürt der Geschichte der Structural Art bis zur Vollendung des Eiffelturms nach, dem letzten großen Bauwerk aus Eisen. Der zweite Teil ist dem Einsatz von Stahl und Beton gewidmet und schließt mit einer Reihe von Bauten aus dem späten 20. Jahrhundert. Unsere Reise durch die Geschichte beginnt in Großbritannien gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Wir können hier erkennen, wie die Entstehung neuer Formen direkt mit der Anwendung neuer Materialien als Reaktion auf die von der Industrialisierung aufgeworfenen Transportprobleme zusammenhängt. Die Verkehrswege – Kanäle, Straßen und Eisenbahnen – beschleunigten die technische Entwicklung und führten zu Urbanisierung und weiteren industriellen Veränderungen. Weil die Städte beengter wurden, wuchsen die Bürogebäude in die Höhe und Bahnhöfe und Brücken mit gewaltigen Ausmaßen wurden wirtschaftlich realisierbar.

Der zweite Abschnitt der Structural Art begann in den 1880er Jahren mit dem Sinken der Stahlpreise und der Entwicklung des Stahlbetons. Die Ingenieure begannen schnell, mit diesen neuen Materialien und entsprechenden neuen Formen zu experimentieren, sodass noch vor der Katastrophe von 1914 in einem schwindelerregenden Tempo eine unglaubliche Vielfalt von Gebäuden entstand. Ihre Reife erreichten diese neuen Formen in Stahl und Beton jedoch erst später, als die westliche Zivilisation von wirtschaftlicher Blüte durch Wirtschaftskrise und Inflation vom Ersten in den Zweiten Weltkrieg taumelte. Während dieser Zeit versprachen Bewegungen in Kunst und Architektur Lösungen für den Verfall der Städte, wobei sie jeweils entweder die Gefahren oder die Verheißungen der Technik betonten.

Die bekannteste dieser Bewegungen war das deutsche Bauhaus mit seinem Ziel, „die Versklavung des Menschen durch die Maschine zu verhindern“, indem es Architektur und maschinelle Produktion zusammenführte und den Künstler ebenso von der Kunst um der Kunst willen befreien wollte wie den Geschäftsmann vom Geschäftemachen als Selbstzweck.2 In den Worten des Bauhausgründers Walter Gropius sollte der Architekt der Zukunft ein „koordinierender Organisator sein, dessen Aufgabe es ist, alle formalen, technischen, soziologischen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen“ und dessen Arbeit von Gebäuden hin zu Straßen, Städten und „schließlich bis zu den weiten Feldern der regionalen und nationalen Planung“ führt.3 Das Bauhaus und andere derartige Bewegungen erkannten die Tradition der Structural Art kaum. Beispielsweise enthielt ein klassisches Werk von Gropius über die Definition des Bauhaus 45 Illustrationen, darunter jedoch keine einzige, die ein Bauwerk der Structural Art zeigte. Als er die umfassende Ausbildung für den Architekten der Zukunft beschrieb, erwähnte Gropius, dass es keine Kurse über das Bauen mit Stahl oder Beton geben würde.4 Obwohl Gropius und andere die Reflexion über Technik und Gestaltung förderten, taten sie dies stets aus dem Blickwinkel der Architektur, nicht aus der Sicht des Ingenieurbaus. Der große Einfluss dieser Architekten auf die Ansichten über das Bauen nach dem Zweiten Weltkrieg hat teilweise dazu geführt, dass die Tradition der Structural Art verschleiert wurde. Zusätzlich zu der häufigen Vermischung von Structural Art und Architektur entstand ein Missverständnis in Bezug auf das Verhältnis von Ingenieurwesen zu Wissenschaft einerseits und Machine Art andererseits. Aus diesem Grund muss ich zuerst erläutern, was diese neue Ingenieur-Kunst nicht ist, bevor ich anhand ihrer Geschichte zeige, was sie ist.

Ingenieurbau und Wissenschaft

Die Vermischung der Structural Art mit Wissenschaft geht auf die Annahme zurück, dass das Ingenieurwesen als angewandte Wissenschaft nur die Vorstellungen und Entdeckungen des Wissenschaftlers in die Tat umsetzt. Die Anerkennung als kreatives Genie und der Vorrang der Erfindung gebührt demnach dem Wissenschaftler, dem Ingenieur bleibt nur die Rolle des Technikers, der Anweisungen von oben umsetzt. Diese Vorstellung ist ein häufiger Trugschluss des 20. Jahrhunderts. Ausgesprochen wurde er beispielsweise von Vannevar Bush, während des Krieges Direktor des Office of Scientific Research and Development, in seinem folgenreichen Bericht an Präsident Truman, der zur Einrichtung der National Science Foundation führte. Bush fasste seine Gedanken wie folgt zusammen:

Grundlagenforschung schafft neues Wissen. Sie erzeugt wissenschaftliches Kapital. Sie erschafft den Fundus, aus dem die praktischen Anwendungen des Wissens schöpfen müssen. Neue Produkte und neue Prozesse entstehen nicht in ausgereifter Form. Sie beruhen auf neuen Prinzipien und neuen Ideen, die wiederum mühsam durch Forschung in den reinsten Gefilden der Wissenschaft entwickelt werden.

Es ist heute richtiger als je zuvor, dass die Grundlagenforschung der Antrieb des technischen Fortschritts ist. Im 19. Jahrhundert konnte der amerikanische mechanische Erfindungsreichtum sich vor allem auf die grundlegenden Entdeckungen der europäischen Wissenschaftler verlassen und die Technik vorantreiben.5

Nicht nur Bushs Erklärung des amerikanischen Erfindungsgeists ist ungenau, dasselbe gilt auch für die allgemeine Aussage, dass „Grundlagenforschung der Antrieb des technischen Fortschritts“ sei. Auf einer Konferenz im Jahre 1973 präsentierten führende Technikhistoriker Arbeiten zum Thema „Die Wechselwirkung von Wissenschaft und Technik im Industriezeitalter“. Die Konferenz fasste die große Vielfalt aller damals zu diesem Thema existierenden Studien zusammen und „die Gruppe war sich geschlossen einig darin, dass sie nicht mit der konventionellen Ansicht (von Bush) übereinstimmte, wonach Technik angewandte Wissenschaft sei“.6

Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Wissenschaft und Technik. Das Ziel des Ingenieurwesens oder der Technik7 ist es, Neues zu erschaffen, während Wissenschaft darin besteht, bereits lange Vorhandenes zu entdecken. Das Ergebnis der Technik sind Dinge, die nur existieren, weil Menschen sie so geschaffen haben, während das Ergebnis der Wissenschaft Beschreibungen dessen sind, was unabhängig von menschlichen Bedürfnissen existiert. Die Technik beschäftigt sich mit dem Künstlichen, die Wissenschaft mit dem Natürlichen.

Am besten betrachtet man Wissenschaft und Technik als parallele Bestrebungen, die sich beide von Zeit zu Zeit aus dem Fundus der jeweils anderen bedienen, sich im Übrigen aber überwiegend unabhängig voneinander entwickeln. Ein Beispiel für diese Unabhängigkeit ist die Tatsache, dass sich von der Unzahl der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gemachten militärischen Erfindungen nur etwa 0,3 % auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückführen lassen. Der große Rest wurde unabhängig entwickelt und entstand durch Impulse aus der Welt der Technik selbst.8 Ein führender britischer Gelehrter schloss vor kurzem, dass es „sehr wenige Indizien für eine klare oder enge Verknüpfung zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschung und der großen Masse der technischen Entwicklungen gibt“. Aus der Analyse einer großen Zahl von Fallstudien von der Chemie in Großbritannien bis zu Bauwerken in den USA folgerte er, dass sich „die Wissenschaft vor allem aus der Wissenschaft der Vergangenheit entwickelt und die Technik aus der Technik der Vergangenheit“.9 In unserem aktuellen Kontext ist es wichtig, dass wir klar zwischen Wissenschaft und Technik unterscheiden, sodass wir den wahren Ursprung der Kreativität des Ingenieurs erkennen können.

Aus dem zuvor erwähnten grundlegenden Unterschied ergibt sich eine Reihe von weiteren Unterschieden. Die Wissenschaft arbeitet stets auf allgemeine Theorien hin, die das Wissen vereinheitlichen. Jedes einzelne Naturereignis muss sich letztlich aus einer allgemeinen Regel erklären lassen, damit es wissenschaftlich akzeptabel ist. Im Gegensatz dazu erschafft die Technik stets individuelle Objekte eines bestimmten Typs. Damit sie vom technischen Standpunkt aus akzeptabel ist, muss eine Konstruktion nur einzigartig sein und mit den speziellen Anforderungen für diese Art von Objekt im Einklang stehen. Es ist diese Einzigartigkeit, die die Structural Art möglich macht. Wären technische Objekte nur die direkte Folge allgemeiner wissenschaftlicher Entdeckungen, würden sie ihre Bedeutung als Ausdruck der Persönlichkeit ihres Konstrukteurs verlieren. Die Tatsache, dass diese Objekte nicht auf allgemeinen Theorien beruhen müssen – und dies in manchen Fällen noch nicht einmal sollten –, lässt sich anhand von konkreten Beispielen aus der Geschichte der Technik belegen. Ich will hierzu zwei Beispiele geben.

1923 entwickelte Robert Maillart, der schweizerische Brückenbauer, eine eingeschränkte Theorie für einen bestimmten Typus seiner Bogenbrücken, die grundsätzlich gegen allgemeine statische Prinzipien verstieß und daher zwischen den Kriegen viele schweizerische Wissenschaftler verärgerte. Trotzdem funktionierte Maillarts eingeschränkte Theorie für seine speziellen Formen gut. Für diesen Typus von Brücken war Maillarts Theorie nützlich und bot den zusätzlichen Vorteil großer Einfachheit. Er hatte die Theorie an die geforderten Formen angepasst, nicht die Formen an die vorhandene Theorie. In den Vereinigten Staaten verstanden dagegen viele Ingenieure die allgemeine Theorie sehr gut, aber da sie mit Maillarts spezieller Theorie nicht klarkamen, konnten sie nicht erkennen, wie sich daraus neue Formen ableiten ließen. Sie waren in einer ingenieurtechnischen Analyse gefangen, die so komplex war, dass sie neue Konstruktionsmöglichkeiten verschleierte. Heute kann das übertriebene Vertrauen auf komplexe Computeranalysen die Planung in gleicher Weise einschränken.

Ein zweites, noch dramatischeres Beispiel lieferte die Konstruktion von Hängebrücken etwa zu derselben Zeit. In den 1920er Jahren entstand eine neue, allgemeinere Methode zu ihrer Analyse. Durchdrungen von der Vorstellung, dass eine allgemeinere Theorie automatisch auch einen umfassenderen Einblick in das Verhalten einer Brücke liefern müsse, verwendeten damals alle führenden Konstrukteure diese Theorie, die in Wahrheit jedoch das Verständnis eher behinderte als beförderte. Sie führte so indirekt zu den fehlerhaften Konstruktionen einer ganzen Reihe von wichtigen Brücken in den 1930er Jahren und zum Einsturz der Tacoma-Narrows-Brücke im Jahr 1940.10

Solche Beispiele zeigen, dass die neue Auffassung des Ingenieurbaus als eine von der Grundlagenwissenschaft unabhängige Disziplin auch zu einer neuen Art von Forschung führt. Sie ist die Grundlage eines neuen Typs von Konstrukteuren und in ihr sind geschichtliche und soziologische Untersuchungen ebenso wichtig wie die Entwicklung wissenschaftlicher Analysen.

Bauwerke und Maschinen

Eng mit dem Trugschluss, Technik sei nur angewandte Wissenschaft, ist ein weiterer Trugschluss verwandt, nämlich dass Technik immer mit Maschinen zu tun haben müsse. Diese einseitige Sicht herrschte in Jacques Elluls oft zitiertem Werk La technique ou l’enjeu du siècle („Die Technik oder das Thema des Jahrhunderts“) vor, was es dem Autor ermöglichte, die moderne Welt als mechanistisch und dämonisch, frei von Persönlichkeit, Kunst oder Hoffnung zu beschreiben.11 Entscheidend für Elluls Argumentation war dabei, dass er die Technik als „den einzigen, idealen Weg“ definierte, den ausschließlich und durchgängig rationalen Pfad zu der eindeutigen und optimalen Lösung einer gegebenen Aufgabe. Es gibt für die Menschen nach dieser Auffassung keine Möglichkeit, ihre Individualität auszudrücken, außer – wie Elluls es formuliert – durch Hinzufügen nutzloser Verzierungen zu der Maschine. Demzufolge kann der Ingenieur nur durch Einschränken der Leistungsfähigkeit oder Steigerung der Kosten (zwei Seiten derselben Medaille) künstlerische Elemente hinzufügen. Ellul spottete heftig über die Vorstellung einer Machine Art, die zwischen den Kriegen von Künstlern, Architekten und Kritikern vertreten wurde. Wie viele andere argumentierte Ellul, dass diese Kunst nur das Symbol eines maschinellen Zeitalters sei und keinesfalls die Effizienz des „einzigen, idealen Wegs“ widerspiegelte.

Aber die Technik besteht nicht nur aus Maschinen. Die Technik hat zwei Seiten: Bauwerke (statische, lokale und permanente Objekte) und Maschinen (dynamische, allgemeine und vergängliche Objekte). Der Eiffelturm (Abb. 1.1), das überdachte Stadion in Seattle (der Kingdome) und die Brooklyn Bridge (Abb. 1.2) sind Bauwerke; sie wurden dafür konstruiert, dass sie Lasten mit minimalen Bewegungen widerstehen können und so lange überdauern, wie die Gesellschaft selbst überdauert. Im Gegensatz dazu sind Aufzüge, Klimaanlagen oder Autos Maschinen; ihre Funktion ist stets mit Bewegung verbunden und sie werden kontinuierlich ersetzt, wenn sie abgenutzt oder neue Modelle verfügbar sind. Technik umfasst stets Bauwerke und Maschinen; sie sind zwei Seiten derselben Medaille.12

Abb. 1.1 Der Eiffelturm (Paris/Frankreich, 1889) von Gustave Eiffel. Bei seiner Fertigstellung für die Pariser Weltausstellung von 1889 war dieser eiserne Turm mit seiner Höhe von 300 m das höchste von Menschen errichtete Objekt der Welt. Seine Form bringt das Ziel des Konstrukteurs, den Turm gegen alle Windlasten zu sichern, optisch zum Ausdruck.

Abb. 1.2 Die Brooklyn Bridge über den East River (New York/USA, 1883) von John A. Roebling. Bei ihrer Fertigstellung war diese davon aus, wie eine flexible Brücke versteift werden muss, um ein Versagen durch Schwingungen aufgrund von Wind zu stählerne Hängebrücke das Bauwerk mit der größten Spannweite der Welt. Ihre Schrägseile drücken Roeblings Vorstellung vermeiden.

Zivilisation erfordert beide Seiten der Technik. Bauwerke symbolisieren Kontinuität, Tradition und Schutz, Maschinen dagegen Veränderung, Mobilität und Risiko. Zwischen beiden Seiten existiert eine konstante Spannung – zwischen einer erstarrten Gesellschaft, die von Bauwerken dominiert wird, und einer hektischen Gesellschaft, in der die Maschinen den Rhythmus vorgeben. Allerdings werden Bauwerke meist von Maschinen erbaut, und die Mehrzahl von ihnen kann überhaupt nur wegen Maschinen erbaut werden. Die modernen Gebäude in unseren Städten wären ohne Aufzüge weitgehend nutzlos, und nur wenige unserer Brücken würden existieren, gäbe es nicht die Anforderungen des Auto- und Eisenbahnverkehrs. Ebenso erfordern viele Maschinen Gebäude zu ihrem Schutz und wären nutzlos ohne Bauwerke, in denen oder an denen sie arbeiten können.

Obwohl sie eng miteinander verknüpft sind, funktionieren Bauwerke und Maschinen ganz unterschiedlich, entstehen aus unterschiedlichen sozialen Beweggründen, und repräsentieren unterschiedliche Gestaltungsprinzipien. Bauwerke dürfen sich nicht wesentlich bewegen, sind speziell für eine bestimmte Umgebung erbaut und werden in der Regel von einem einzelnen Konstrukteur geplant. Bei Maschinen ist Bewegung dagegen ein fester Bestandteil ihrer Funktion, sie werden in wechselnden Umgebungen eingesetzt, und werden im späten 20. Jahrhundert meist von Teams von Ingenieuren konstruiert. Allgemeine Aussagen über Technik sind meist bedeutungslos, wenn diese grundlegende Unterscheidung dabei nicht beachtet wird.

Man kann die Technik nicht nur nach den beiden Arten von Objekten unterteilen, sondern auch nach den zwei Arten von Systemen, die sie enthält: Netzwerke und Prozesse, die wir als Erweiterung von Bauwerken beziehungsweise Maschinen auffassen können. Netzwerke wie beispielsweise Kanäle, Straßen, Gleise, Stromleitungen oder Luftwege sind unbewegliche Einrichtungen der Infrastruktur, die dem Transport von Dingen dienen. Ein Netzwerk organisiert die Verteilung von Dingen, nicht ihre Umwandlung. Prozesse dagegen verändern den Zustand von Dingen, beispielsweise durch Verbrennung, die Raffination von Erdöl, Wasseraufbereitung oder Erzeugung von Elektrizität. Es handelt sich hierbei um dynamische Systeme, deren Kennzeichen die Veränderung ist und die eng mit Maschinen, wie z. B. Motoren, Pumpen, Reaktoren oder Turbinen, zusammenhängen. Dagegen sind Netzwerke statische Systeme, deren Kennzeichen ihre Unveränderlichkeit ist und die für ihre Funktion Bauwerke, wie Aquädukte, Brücken, Dämme, Flughäfen, Kraftwerke oder Sendemasten, benötigen.13

Ich werde in diesem Buch nur Bauwerke betrachten, aber es sollte klar sein, dass diese ihre Bedeutung verlieren, wenn wir ihre komplementäre Beziehung zu Maschinen außer Acht lassen. Der Eiffelturm wäre ohne seine Aufzüge für die Öffentlichkeit weitgehend verloren, und die Brooklyn Bridge wurde nur gebaut, um von verschiedenen Arten von Maschinen befahren zu werden; sie dient heute als Hauptverkehrsader für Autos.

Ingenieurbau und Architektur

Die moderne Welt bezeichnet Türme, Stadien und sogar Brücken häufig als Architektur. Das ist ein weiterer, wenn auch subtilerer Trugschluss ähnlich dem, Technik mit angewandter Wissenschaft oder mit Maschinen zu verwechseln. In diesem Fall beginnt das Problem schon bei dem Wort „Architekt“, das aus dem Griechischen kommt und so viel wie „oberster Baumeister“ bedeutet. Aber seit dem Beginn der industriellen Revolution hat sich der Ingenieurbau zu einer von der Architektur getrennten Kunst entwickelt. Die sichtbare Gestalt des Eiffelturms, des Kingdomes oder der Brooklyn Bridge entstand direkt aus technischen Motiven und der Erfahrung und Vorstellungskraft der einzelnen Planer. In manchen Fällen haben die Ingenieure dazu mit Architekten zusammengearbeitet, genau wie sie mit Maschinenbauern oder Elektroingenieuren zusammengearbeitet haben, aber die Gestalt der Bauwerke entsprang trotzdem den Ideen der Bauingenieure.

Tragwerksplaner im Konstruktiven Ingenieurbau beschäftigen sich mit der Gestalt von Objekten, die relativ groß sind und die zu einem einzigen Zweck konstruiert werden. Dabei betrachten sie die Form als Mittel, die Naturkräfte zu kontrollieren, die auf das Bauwerk einwirken. Architekten entwerfen dagegen relativ kleine Objekte, die von Menschen auf vielfältige und komplexe Weise genutzt werden, und sie betrachten die Form als Mittel zur Gestaltung der von den Menschen genutzten Räume. Das prototypische Bauwerk des Ingenieurs – die öffentliche Brücke – benötigt keinen Architekten. Das prototypische Bauwerk des Architekten – das private Eigenheim – benötigt keinen Ingenieur. Wir haben gesehen, dass Architekten und Ingenieure ihre Ideen parallel zueinander und manchmal in gemeinsamen Diskussionen entwickeln und dass Bauingenieure die Hilfe der Maschinenbauingenieure brauchen, um ihre Bauwerke zu realisieren. Auch Bauingenieure und Architekten lernen voneinander und arbeiten oft produktiv zusammen, insbesondere wenn, wie bei Hochhäusern, große Maßstäbe auf komplexe Verwendungszwecke treffen. Aber im Wesentlichen arbeiten die beiden Arten von Entwerfenden in verschiedenen Welten.

Die Bauten der Structural Art entstammen der Vorstellungskraft von Ingenieuren, die überwiegend an einer neuen Art von Hochschule ausgebildet wurden – der technischen Hochschule, die vor dem späten 18. Jahrhundert völlig unbekannt war. Die Ingenieure organisierten sich in neuen Berufsverbänden, arbeiteten mit neuen Materialien und brachten Politiker dazu, über neue Modelle für die Gesellschaft der Zukunft nachzudenken.14 Die Lehrpläne der neuen Hochschulen kappten alle Verbindungen, die zuvor zwischen der architektonischen Gestaltung und der Konstruktion – aus Industrieeisen und später Stahlbeton – der Ingenieurbauten, an denen wir heute überall die Moderne erkennen, existiert haben mochten. Für diese Bauten waren die alten Prinzipien, die aus der Welt der Steinmetze der Antike übernommen worden waren, nicht mehr angemessen. Das Bauen mit den neuen Materialien erforderte neue Ideen. Weil diese Ideen aber radikal mit dem konventionellen Geschmack brachen, wurden sie vom kulturellen Establishment abgelehnt. Natürlich ist das ein klassisches Problem in der Geschichte der Kunst: Neue Formen stoßen die Wissenschaft häufig vor den Kopf. In diesem Fall hieß das Duell Beaux Arts gegen Structural Arts. Die Metallskelette des 19. Jahrhunderts empfanden die meisten Architekten und kulturellen Meinungsführer als Ärgernis. Neue Gebäude oder Stadtbrücken litten unter bemühten Versuchen, ihre Tragwerksstruktur zu verstecken oder zu einem Abbild einer Steinstruktur zu verzerren. Obwohl manche das Potenzial des neuen Materials für mehr Leichtigkeit und neue Formen erkannten, versuchten die meisten Architekten verzweifelt, Beton wie Stein wirken zu lassen – oder später wie die in der modernen Kunst aufkommenden Abstraktionen. Man hatte das Gefühl, dass die Ingenieurtechnik alleine zu wenig war.

Die konservativen, schwerfälligen Techniker mochten ja, wie Le Corbusier es formulierte, „gesund und kräftig, aktiv und nützlich, ausgeglichen und zufrieden in ihrer Arbeit“ sein, „… aber nur der Architekt kann durch seine Anordnung der Formen eine Ordnung erkennen, die ausschließlich eine Kreation seines Geistes ist … das ist der Moment, in dem wir wahre Schönheit empfinden.“15 Der Glaube, dass der glückliche Ingenieur uns wie ein edler Wilder nützliche Dinge schenkt, die aber nur der Architekt in Kunst verwandeln kann, ignoriert jedoch die zentrale Bedeutung der Ästhetik für den Ingenieur-Künstler. Natürlich ist die Tragwerksplanung nur ein Teil der Gestaltung von architektonischen Bauten, wie Privathäusern, Schulen oder Krankenhäusern, aber auch bei Türmen, Brücken, freitragenden Dächern oder vielen Arten von Industriegebäuden spielen ästhetische Überlegungen eine wichtige Rolle in den Entscheidungen des Ingenieurs. Die besten dieser Ingenieurbauten sind Beispiele für Structural Art, und von diesen gibt es mehr als genug, um die Structural Art als ausgereifte Tradition mit einem einzigartigen Charakter aufzufassen. Dieser Charakter hat drei Dimensionen.

Die drei Dimensionen von Bauwerken

Die erste Dimension ist die wissenschaftliche. Jedes Bauwerk und jede Maschine muss im Einklang mit den Naturgesetzen funktionieren. In diesem Sinn ist die Technik Teil der Natur. Die Analysemethoden, mit denen Wissenschaftler Naturphänomene untersuchen, können auch dem Ingenieur helfen, das Verhalten seiner künstlichen Objekte zu beschreiben. Genau diese Ähnlichkeit der eingesetzten Methoden leistet dem Trugschluss Vorschub, dass die Ingenieurtechnik nur angewandte Wissenschaft sei. Dabei suchen die Wissenschaftler nach existierenden Strukturen, deren Verhalten sie mit neu aufgestellten Gleichungen beschreiben, während Ingenieure neue Strukturen erdenken, deren Aufbau sie anhand existierender Gleichungen kontrollieren. Da die von den Wissenschaftlern untersuchten Strukturen sich sehr von denen der Ingenieure unterscheiden, unterscheiden sich auch die Methoden zu ihrer Analyse. Aber da beide in derselben Welt existieren, müssen sie auch beide denselben Naturgesetzen gehorchen. Das Maß für diese wissenschaftliche Dimension ist die Effizienz.

Technische Strukturen existieren auch in einer sozialen Umgebung. Ebenso wie den Gesetzen der Natur unterliegen sie den Regeln der Politik und der Ökonomie. Die zweite Dimension von Bauwerken ist die soziale. In der Vergangenheit oder in primitiven Gesellschaften der Gegenwart konnten Bauwerke oder Maschinen zumindest in ihrer einfachsten Form das Werk eines einzelnen Konstrukteurs sein; in der modernen Zivilisation sind die Werke der Technik jedoch stets Werke einer Gesellschaft. Sie müssen von der Öffentlichkeit unterstützt werden, entweder über öffentliche Steuern oder durch privaten Handel. Das Maß für die soziale Dimension der Technik ist ihre Wirtschaftlichkeit.

Technische Objekte dominieren unsere industrielle, urbane Umgebung schon optisch. Sie gehören zu den kraftvollsten Symbolen des modernen Zeitalters. Bauwerke und Maschinen definieren unsere Umgebung. Die Lokomotive des 19. Jahrhunderts wurde von den Autos und den Flugzeugen des 20. verdrängt. Gewaltige Komplexe aus Bauwerken und Maschinen werden zu öffentlichen Angelegenheiten. Kraftwerke, Waffensysteme, Raffinerien und Flussbauten – sie alle wurden zu Symbolen für die Verheißungen und Probleme unserer industriellen Zivilisation.

Die Golden-Gate-, die George-Washington- und die Verrazano-Brücke setzen die von der Brooklyn Bridge begonnene Tradition fort. Das John Hancock Center und der Sears Tower in Chicago, das Woolworth Building, das Empire State Building oder die Türme des World Trade Centers in New York – sie alle verbinden das Versprechen des Eiffelturms mit der Zweckmäßigkeit urbaner Büro- oder Wohngebäude. Der Astrodome, der Kingdome und der Superdome transportieren die Vision gewaltiger geschlossener Versammlungsräume, wie sie 1851 vom Crystal Palace in London und 1889 vom Palais des Machines in Paris verhießen wurden, in das späte 20. Jahrhundert.

Nahezu jeder Amerikaner kennt diese gewaltigen Bauwerke des 20. Jahrhunderts, und moderne Städte vermarkten sich immer wieder durch visuelle Bezüge auf diese Bauten. Wie Montgomery Schuyler, der erste amerikanische Konstruktionskritiker, im 19. Jahrhundert zur Eröffnung der Brooklyn Bridge (Abb. 1.2) schrieb, „So geschieht es, dass ein Werk, das mit einiger Wahrscheinlichkeit unser dauerhaftestes Vermächtnis ist und das etwas über uns an unsere entfernteste Nachwelt übermitteln wird, ein Werk der bloßen Zweckmäßigkeit ist; es ist kein Schrein, keine Festung, kein Palast, sondern eine Brücke. Diese Tatsache ist selbst ein Kennzeichen unserer Zeit.“16 Die dritte Dimension der Technik ist eine symbolische, und es ist offensichtlich diese Dimension, die die Möglichkeit eröffnet, die neue Ingenieurtechnik zu Structural Art zu machen. Obwohl es kein Maß für diese symbolische Dimension gibt, erkennen wir ein Symbol doch an seiner Eleganz und seiner Ausdruckskraft.

Es gibt drei Arten von Gestaltern, die mit Formen im Raum arbeiten: Ingenieure, Architekten und Bildhauer. Sie alle müssen bei der Planung einer Form die drei erwähnten Dimensionen oder Kriterien berücksichtigen. Das erste Kriterium, das wissenschaftliche, besagt im Wesentlichen nur, dass sie das gewünschte Objekt mit minimalem Materialeinsatz so erschaffen müssen, dass es den auftretenden Lasten und den Einwirkungen der Umwelt widerstehen kann und dauerhaft ist. Diese Analyse von Effizienz und Haltbarkeit wird auch durch Sicherheitsüberlegungen beeinflusst. Das zweite Kriterium, das soziale, führt zu einer Analyse der Kosten des Objekts im Vergleich zu seinem erwarteten Nutzen für die Gesellschaft. Eine solche Kosten-Nutzen-Analyse findet auf dem Feld der Politik statt. Das dritte Kriterium, das symbolische, umfasst die Untersuchung der äußeren Erscheinung und die Überlegung, wie unter den durch die wissenschaftlichen und sozialen Kriterien gesetzten Randbedingungen Eleganz zu erreichen ist. Auf dieser ästhetisch-ethischen Grundlage erschafft der Gestalter sein Werk.

Für den Ingenieur ist das wissenschaftliche Kriterium entscheidend (ebenso wie das soziale Kriterium für den Architekten und das symbolische Kriterium für den Bildhauer). Er muss dieses Kriterium jedoch gegen die beiden anderen Kriterien abwägen.17 Alle Structural Art entspringt aus dem zentralen Gedanken, dass künstliche Formen die Kräfte der Natur kontrollieren. Es wird jedoch nie ein Bauwerk erbaut werden, das keine soziale Akzeptanz gewinnt. Der Wille des Konstrukteurs reicht niemals aus. Er muss schließlich auch ästhetische Argumente bedenken, damit aus einem einfachen Bauwerk Structural Art entsteht. Alle führenden Ingenieur-Künstler haben sich um das Aussehen ihrer Entwürfe Gedanken gemacht. Die Ingenieure trafen bewusste ästhetische Entscheidungen, um zu ihren endgültigen Entwürfen zu gelangen. Ihre Schriften über Ästhetik zeigen, dass sie ihre Entwürfe keineswegs nur auf den wissenschaftlichen und sozialen Kriterien von Effizienz und Wirtschaftlichkeit aufbauten. Innerhalb der so gesetzten Randbedingungen fanden sie die Freiheit, bewusst zu gestalten. Gerade die strenge Disziplin der Optimierung von Materialeinsatz und Kosten gab ihnen die Freiheit, neue Visionen zu erdenken, die realisierbar und dauerhaft waren.

Structural Art und die Gesellschaft

Die meisten Menschen würden zustimmen, dass die Ideale der Structural Art mit denen einer urbanen Gesellschaft übereinstimmen: die Erhaltung der natürlichen Ressourcen, die Minimierung der öffentlichen Ausgaben und die Erschaffung einer optisch ansprechenderen Umgebung. Wie die Geschichte der Structural Art zeigt, haben manche Ingenieure diese Ideale schon in die Praxis umgesetzt. Noch sind dies aber Einzelfälle. Wie könnte man diese Ausnahmen zur Regel werden lassen? Dieser Frage wollen wir uns historisch nähern, indem wir die zentralen Gedanken herausarbeiten, die für die Structural Art charakteristisch sind. Diese Gedanken spiegeln die drei erwähnten Dimensionen wider: die wissenschaftliche, die soziale und die symbolische.

Der zentrale wissenschaftliche Gedanke kann als Reduktion der Analyse ausgedrückt werden. In der Structural Art bestand dieser Gedanke neben der gegenteiligen Tendenz, die Analyse überzubetonen, wie dies auch heute noch im intensiven Einsatz von Computern für statische Berechnungen zum Ausdruck kommt. Ein prägnantes Beispiel ist die Konstruktion von dünnen Betongewölben – dünnen Schalen. Hierbei wurden die entscheidenden Fortschritte in der Zeit von 1955 bis 1980 – einer Periode intensiver analytischer Entwicklungen – nicht durch komplexe Berechnungen mithilfe von Computern erreicht, sondern dadurch, dass man auf der Grundlage des beobachteten physikalischen Verhaltens sehr einfache Analysemodelle schuf. Schalenbauten bezeugen diesen Fortschritt und sind das beste Argument für den zentralen wissenschaftlichen Gedanken der Structural Art: Es ist der Schöpfer einer Form, der auch ihre Analyse durchführt, daher hat er die Möglichkeit, die Form so zu wählen oder zu verändern, dass die Komplexität der Analyse verschwindet.

Die Form steuert die Kräfte, und je klarer der Konstrukteur sich jene Kräfte veranschaulichen kann, desto sicherer ist er sich seiner Form. Die großen Ingenieur-Künstler Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts wie Robert Maillart oder Pier Luigi Nervi haben sich alle energisch gegen den Drang gestemmt, die Analyse zu komplizieren. Dieselben Argumente hören wir auch von den besten Konstrukteuren im späten 20. Jahrhundert. Wenn die Form gut gewählt ist, wird ihre Analyse verblüffend einfach. Natürlich spart der Computer bei Routine-Berechnungen des Entwurfs viel Zeit. Auch als Unterstützung der Konstrukteure durch die Erstellung von Computergrafiken ist er von großem Wert. Doch wie jede Maschine kann er dem Menschen zwar Arbeit abnehmen, aber nicht die menschliche Kreativität ersetzen.

Ein entscheidender Gedanke, der im Hinblick auf die soziale Dimension aus der Structural Art folgt, hängt mit etwas zusammen, das man die Ökonomie öffentlicher Wettbewerbe nennen könnte. Gestalterische Qualität ergibt sich hier aus dem Wettbewerb konkurrierender Entwürfe für dasselbe Projekt und nicht durch komplexe Regularien für einen einzigen Planer. Regierungen können bessere Entwürfe erhalten, indem sie auf einen Teil ihrer Kontrolle über den Planungsprozess und die gewählte Gestaltung verzichten und diese an eine informierte Öffentlichkeit abgeben. Öffentliche Proteste gegen den Bau von hässlichen, teuren Entwürfen reichen nicht aus. Es ist wichtig, den Menschen eine positive Teilnahme zu ermöglichen, und das ist nur möglich, wenn die Öffentlichkeit auch die alternativen Entwürfe für ein Projekt kennt. Das Konzept und die Bedeutung von alternativen Entwürfen lassen sich am besten durch die Geschichte der modernen Brücken illustrieren, aber es gilt auch für alle anderen Bauwerke.

Zwar gibt es in den Vereinigten Staaten kaum eine Tradition für Entwurfswettbewerbe bei Ingenieurbauwerken, aber in anderen Ländern ist eine solche Tradition fest verwurzelt und liefert Ergebnisse, die sowohl politisch als auch ästhetisch überzeugen. Die Schweiz hat die längste und stärkste Tradition von Entwurfswettbewerben für Brücken, und es ist kein Zufall, dass nach nahezu einhelliger Meinung die beiden großartigsten Brückenbauer des 20. Jahrhunderts Schweizer waren: Robert Maillart (1872–1940), der in Beton baute, und Othmar Ammann (1879–1965), der Konstrukteur der George-Washington- und der Verrazano-Brücke, die in Stahl ausgeführt wurden. Dass die Schweiz mit einem Sechstel der Größe von Colorado und weniger Einwohnern als New York City eine solche Weltgeltung erreichen konnte, hängt damit zusammen, dass Wirtschaftlichkeit und Ästhetik sowohl für die Ausbilder als auch für die Konstrukteure in der Praxis eine zentrale Stellung einnahmen und dass diese Bedeutung durch die öffentlichen Wettbewerbe noch gefördert wurde. Maillarts dünne Betonbögen in der Schweiz waren die preisgünstigsten Vorschläge in den Wettbewerben, lange bevor sie zum Schwerpunkt der ersten Ausstellung in einem Kunstmuseum wurden, die ausschließlich der Arbeit eines einzigen Ingenieurs gewidmet war, der Ausstellung des New York Museum of Modern Art über Maillarts Bauwerke aus dem Jahr 1947. Othmar Ammann wurde ähnlich geehrt. Sein 100. Geburtstag wurde mit Symposien in Boston und New York sowie mit einer Ausstellung in der Schweiz gefeiert. Sowohl Maillart als auch Ammann äußerten sich sehr deutlich über das Aussehen und die Wirtschaftlichkeit von Brücken. Sie sind Paradebeispiele für Ingenieur-Künstler.

Bis heute setzt eine große Zahl von markanten neuen Betonbrücken diese schweizerische Brückentradition fort, die im Prinzip – wenn nicht sogar im Detail – Maillarts Vorbild folgen. Die beeindruckendsten Nachkriegsbauwerke stammen von Christian Menn, dessen weitgespannte Bögen und Ausleger die neue Technik der Vorspannung an ihre Grenzen treiben, ebenso wie dies Maillarts dreigelenkige bzw. durch die Fahrbahnplatte versteifte Bögen Jahre zuvor für Stahlbeton getan hatten. Öffentliche Wettbewerbe trieben diese Ingenieure zu Spitzenleistungen und erzogen gleichzeitig die Öffentlichkeit. Solche Wettbewerbe müssen von den Behörden akzeptiert, von Ingenieuren, deren Meinungen in der Presse diskutiert werden, beurteilt und durch sorgfältig formulierte Regeln gesteuert werden.