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Die Ereignisse haben Grey ins Chaos gestürzt und bisherige Verbündete beginnen, einander zu misstrauen - die Welt, in der die Hexe Felicitas sich bisher zuhause gefühlt hat, scheint auseinanderzubrechen. Obendrein weiß sie, dass ihre Magie sich verändert, aber keiner kann sagen, ob sie dieser Veränderung überhaupt gewachsen ist. Wird sie ebenso wie Grey untergehen?
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Seitenzahl: 405
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Die Ereignisse haben Grey ins Chaos gestürzt und bisherige Verbündete beginnen, einander zu misstrauen – die Welt, in der die Hexe Felicitas sich bisher zuhause gefühlt hat, scheint auseinanderzubrechen. Obendrein weiß sie, dass ihre Magie sich verändert, aber keiner kann sagen, ob sie dieser Veränderung überhaupt gewachsen ist. Wird sie ebenso wie Grey untergehen?
Das gefangene Herz der Hexe
Die Flucht der weißen Hexe
Die Rettung der Lichtwesen
Der Untergang von Grey
Sabrina Kiehl wurde 1987 in Stuttgart geboren, ist Mutter und Bibliothekarin. Früher wollte sie vieles werden: Musicaldarstellerin, Journalistin, Fluglotsin oder Programmiererin. Aber ihre wahre Leidenschaft galt immer dem Schreiben. Besonders liebt sie es, in ihren Geschichten magische Wesen und die reale Welt zu verbinden.
Ihr Romandebüt »Die Tochter des Vampirjägers« erhielt mit »Der selbsternannte Vampirkönig« eine erste Fortsetzung. Mit »Sensus« erschien 2019 im Angelwing Verlag außerdem die erste Geschichte aus der Welt von Grey.
Kapitel EINS
Kapitel ZWEI
Kapitel DREI
Kapitel VIER
Kapitel FÜNF
Kapitel SECHS
Kapitel SIEBEN
Kapitel ACHT
Kapitel NEUN
Kapitel ZEHN
Kapitel ELF
Kapitel ZWÖLF
Kapitel DREIZEHN
Kapitel VIERZEHN
Kapitel FÜNFZEHN
Kapitel SECHZEHN
Kapitel SIEBZEHN
Fee lächelte unweigerlich, als sie den Arm unter ihrem Kopf realisierte und den warmen Körper, der sich von hinten an sie schmiegte.
Wann war sie das letzte Mal mit einem Lächeln auf den Lippen aufgewacht?
Verschlafen blinzelte sie in die morgendlichen Sonnenstrahlen, die ein Schlafzimmer erhellten, das noch so fremd und doch irgendwie vertraut war. Sie kannte diese Wohnung nicht, dafür umso mehr den Mann, der ganz zweifellos dieses Himmelbett ausgesucht hatte. Obwohl es kein Außenstehender vermuten würde, hatte er offenbar einen Spleen für diese Möbelstücke, was ihn nach allem, das geschehen war, ein klein wenig menschlicher erscheinen ließ.
Vielleicht sollte sie Angst vor ihm haben, gerade wegen der Dinge, die sich ereignet hatten. Vor nicht einmal 24 Stunden hatte er Kian getötet, ein angeblich unsterbliches Wesen war vor den Augen so vieler leblos zusammengebrochen, nur weil Artnus ihn berührt hatte.
Keiner hatte geahnt, dass er über solche Kräfte verfügte, geschweige denn, dass sie eine Vorstellung davon hatte, wozu er noch fähig war. Aber sie hatte keine Angst vor ihm. Sie vertraute ihm, so wie sie ihm stets vertraut hatte. Dazu musste sie nicht einmal seine Lebensgeschichte kennen, weil sie ihn kannte, und auch diese unheimliche Kraft änderte nicht, wer er war. Nur in dem Punkt, was er war, hatte sie sich grundlegend getäuscht.
Aber wenngleich sie keine Angst hatte, entsetzte es sie doch, dass er Kian getötet hatte, nicht weil er es konnte, sondern dass er überhaupt so etwas tat. Sie hatte ihn immer als geduldig und sanftmütig empfunden, ein Mord passte nicht in dieses Bild. Andererseits hatte er selbst einen Mordversuch von Kian überlebt, das hatte ihn möglicherweise verändert.
»Alles in Ordnung, Hexchen?«, raunte Artnus träge in ihr Haar und sie musste erneut lächeln.
»Ja«, antwortete sie leise, »ist nur ungewohnt, in einem richtigen Bett aufzuwachen.« In den letzten Wochen hatte sie sich so sehr an die Krankenhausbetten gewöhnt, dass sie fast vergessen hatte, dass es nicht alltäglich war, darin zu liegen. Nun ruhte sie neben Artnus in seinem Bett und seiner Wohnung, die sich anfühlte, als wäre es ihr Zuhause, obwohl alles bis hin zu den Möbeln ihr noch fremd war.
»Gewöhn dich ruhig daran, ich habe nicht vor, dich nochmal auf der Krankenstation schlafen zu lassen.«
Langsam drehte sie sich zu ihm herum, was ihr wieder bewusst machte, dass die dicke Babykugel, die sie auf die Krankenstation geführt hatte, verschwunden war. Im Vergleich zu ihrer bisherigen Lebensspanne hatte diese Schwangerschaft nur so einen kurzen Zeitraum eingenommen, doch es fühlte sich nicht an, als könnte sie es je vergessen. Zumal diese Schwangerschaft ihren Körper für immer verändert hatte auf ganz andere Art, als alle erwartet hatten.
Artnus lächelte sie an und hatte dabei seine faszinierend grauen Gewitteraugen kaum geöffnet. »Du weißt gar nicht, wie lange ich darauf gewartet habe, dich hier zu haben.« Seine Hand wanderte an ihrer Seite entlang hinauf, bis er sie um ihre Nacken legte und sie für einen Kuss an sich zog. Sie schloss die Augen wieder und schmiegte sich eng an ihn, froh um jede Sekunde, die sie einfach mit ihm zusammen sein konnte. Erst seit scheinbar alle Welt darauf aus war, sie voneinander zu entfernen, wusste sie, wie viel er ihr wirklich bedeutete.
»Und jetzt?«, fragte sie leise, als er sie wieder zu Atem kommen ließ. »Wie geht es weiter?«
Artnus lächelte und zuckte scheinbar entspannt mit den Schultern. »Ich fürchte, alles außerhalb dieser Wohnung ist ein fürchterliches Chaos. Die Lichtwesen haben ihren König verloren und werden einen neuen Anführer suchen, Cornelius will die Vorherrschaft an sich reißen und Noctrius weiß noch nicht, was er will.«
Fee seufzte und schmiegte die Wange an seine Schulter. »Du weißt wirklich, was du sagen musst, damit ich gar nicht mehr daran denke, aufzustehen.«
Er lachte leise. »Ich kann sagen, was ich will, und du denkst trotzdem längst darüber nach, wie du das Chaos da draußen ordnen kannst.«
Fee zögerte einen Moment.
Sie hätte das Chaos gerne bewältigt, hatte allerdings keine Vorstellung davon, wie, und für den Moment fehlte ihr auch der Willen, sich da hinein zu vertiefen. Wann hatte sie das letzte Mal so ungestört Zeit mit dem Mann verbracht, den sie so liebte? Warum sollte sie sich gleich wieder den Kopf über alles andere zerbrechen, statt sich einige Stunden friedliches Glück zu gönnen?
»Eigentlich will ich mir darüber gar nicht den Kopf zerbrechen«, gestand sie ehrlich, während sie sich enger an Artnus kuschelte und den Kopf auf seine nackte Brust legte.
Sofort spürte sie, wie er seine Hand wieder in ihr Haar schob und seine Finger um ihren Hinterkopf spreizte. Seine Lippen berührten ihr Haar und Fee schloss die Augen, um seinem Herzschlag zu lauschen.
So war er nur ein Mann. Früher hatte sie gedacht, ihre größte Sorge war, dass er einer Art angehörte, die meist vor dem dreißigsten Lebensjahr verstarb und sie angesichts sein 29 Jahre kaum glückliche Zeit mit ihm verbringen konnte. Zumindest diese Sorge war sie nun los. Er gehörte weder dieser inzwischen ausgestorbenen Art an, noch war er 29. Eher 59 und vermutlich war er vollkommen immun gegen das Alter und sämtliche Krankheiten, er hatte sogar schon unter Beweise gestellt, dass er nicht einmal verdurstete.
»Und doch rattert es in deinem Kopf schon wieder«, er lachte leise und schlag den zweiten Arm um ihre Mitte.
Behutsam strich sie mit den Fingerspitzen über seinen Oberarm. »Wie könnte es das nicht, nach allem, was gestern passiert ist.«
Seine Finger massierten so wohltuend ihre Kopfhaut, dass es wirklich schwer war, überhaupt einen Gedanken zu fassen. »Nimmst du es mir übel? Dass ich ihn getötet habe?«
Fee schluckte schwer. In dem Moment, als Artnus Kian getötet hatte, hatte sie direkt bei den beiden gestanden und beinahe Todesangst vor Kian gehabt.
Den Tod hatte sie ihm nicht gewünscht, aber sie verstand, dass Artnus anders empfand. Obendrein hatte er in den Augen von Grey jedes Recht dazu, weil Kian ihn immerhin eingesperrt hatte, um ihn verhungern zu lassen, allerdings hatte er nicht geahnt, dass Artnus eher unsterblich war als jedes Lichtwesen.
»Nein«, antwortete sie ehrlich. »Es ist nur seltsam.« Sie schloss kurz die Augen. »Und es macht mir irgendwie Angst.« Dabei hatte sie in letzter Zeit wirklich so einiges erlebt, was eigentlich eher Grund zur Sorge gegeben hätte. Artnus war gefangen genommen worden, Noctrius hatte eine Tote wiedererweckt, in ihr hatte sich eine wütende Macht ausgebreitet, die ihr Kräfte verlieh, um die sie nie gebeten hatte. Nun war sie immerhin eine Sorge los, den Mann, der geglaubt hatte, sie gehöre ihm in einer Art von schicksalhafter Ehe, trotzdem machte ihr ausgerechnet Kians Tod Angst.
»Es entspricht auch nicht unbedingt deinen Moralvorstellungen«, erwiderte Artnus sachlich und offenbar gar nicht beunruhigt darüber, dass sie ihm deshalb Vorwürfe machen könnte. In der Welt von Grey war es in Ordnung, dass Artnus Kian als Rache für dessen eigenen Mordversuch getötet hatte – Auge um Auge. Fee dagegen hätte es ausgereicht, wenn man Kian eingesperrt hätte. Ihr schien es grundsätzlich überheblich, wenn irgendein irdisches Wesen sich anmaßte, über Leben und Tod zu urteilen.
Aber da war ein grundlegender Fehler in ihrem Gedankengang: Artnus war kein irdisches Wesen. Er war der direkte Abgesandte eines Gottes. Möglicherweise hatte er das Recht, diese Entscheidungen treffen.
»Das ist es nicht«, antwortete sie leise. »Ich weiß, dass du keine Wahl hattest.« Auch wenn ihr Kopf davon nicht überzeugt war. Hätte es wirklich keine Alternative gegeben?
Artnus strich mit einer Hand durch ihr zerzaustes Haar. »So kann man das nicht sagen. Ich hätte genauso gut Noctrius umbringen können.« Er sagte das so leicht dahin, als wäre die grundsätzliche Tatsache, dass er jemanden umgebracht hatte, nicht schon schlimm genug.
Seltsamerweise hätte sie es ihm wohl eher verübelt, wenn er Noctrius angegriffen hätte, da ein Teil von ihr immer noch daran glauben wollte, dass er ihr Freund und Verbündeter war.
»Hast du aber nicht«, erwiderte sie sachlich. Vermutlich wusste er in seinem tiefsten Innern, dass Noctrius besser war als das, was er in letzter Zeit getan hatte.
»Kann noch kommen.« In seiner Stimme hörte sie ein Lächeln und wusste, dass er log. Er hafte nicht vor, diese unheimliche Gabe wieder einzusetzen. Dieses eine Mal hatte er es nun getan und er gab vor, damit im Reinen zu sein, aber vielleicht bereute er es inzwischen sogar.
»Wie fühlt es sich an?«, fragte sie leise. »Wenn du das tust?«
Sie kannte nur ihre Magie, die sich mal ungestüm, mal sanft und zögerlich anfühlte. Es war bisher eine Kraft gewesen, die sie sich von Elementen oder Göttern borgte, die durch sie hindurch strömte voller Wärme und ihr Werk tat. Seit Kurzem war diese andere Magie hinzugekommen, die aus ihrem Inneren entstammte und in ihren Adern floss wie Blut, diese Magie war manchmal so wild, dass es sich anfühlte, als würde sie Fees Haut sprengen.
»Seltsam«, antwortete Artnus leise, »und kalt, als würde ich ein unsichtbares Fenster zum Weltall aufreißen und selbst fast hindurchgesaugt.«
Fee schüttelte sich unweigerlich. Das klang nicht gerade angenehm. Allerdings sehr gefährlich. So ganz anders als ihre Magie.
»Vielleicht könnte das sogar geschehen«, sie schloss die Augen und lauschte auf seinen beruhigenden Herzschlag, »wenn der Tod irgendwann beschließt, dass du deine Aufgabe erfüllt hast, ruft er dich vielleicht in genauso einem Moment, wenn du dieses Fenster geöffnet hast, zurück zu sich.« Diese Vorstellung ließ eine dicken Kloß in ihrem Hals entstehen, nicht nur weil es bedeuten würde, dass man ihn ihr entzog, sondern vor allem, weil sie Angst davor hatte, was ihn dann erwartete.
Sofort spürte sie seinen zärtlichen Kuss auf ihrem Haar.
»Ich glaube nicht, dass es dazu so bald kommen wird. Nicht, solange ein Schwarzmagier hier so gerne die Grenzen des Möglichen ausreizt und ein menschgewordener Geist auf der Erde wandelt.«
Fee schluckte schwer. »Dann darfst du Noctrius nichts tun.«
Wieder hörte sie sein leises Lachen, obwohl sie es bitterernst meinte. Wenn er wirklich nur noch hier war, um Noctrius zu überwachen, würde er möglicherweise einfach verschwinden, sobald er den Schwarzmagier endgültig ausschaltete. »Könnte schwer werden. Der hat so eine reizende Art.« Immer noch klang es bei Artnus, als nähme er die Situation nicht ernst, aber Fee konnte unmöglich einschätzen, ob das auch der Fall war oder ob er sie nur beruhigen wollte. Seine Worte spiegelten oft nicht das wieder, was wirklich in ihm vorging.
»Nein.« Entschlossen schüttelte Fee erneut den Kopf und stützte sich auf die Unterarme, um ihn anzusehen. Entspannt und sichtlich erholt lag er in der sonnig gelben Satinbettwäsche seines Himmelbetts – als hätte es am Vortag keine ernste Auseinandersetzung gegeben und als hätte er nicht ein Leben beendet. So verwirrend dieser Anblick auch war, so beruhigte es Fee doch, dass er scheinbar so gar nicht beunruhigt war.
»Keine Sorge, Hexchen, ich hatte nicht vor, daraus jetzt einen Sport zu machen.« Er streckte eine Hand nach ihr aus. »Es war kein schönes Gefühl und ich bin froh, dass ich das bisher nur einmal tun musste.«
Fee nickte, obwohl sie nur teilweise beruhigt war.
»Hast du deshalb Angst? Meinetwegen? Weil ich das wieder tun könnte?«
Bereitwillig schmiegte sie die Wange in seine Hand und schloss die Augen. »Nein«, antwortete sie ehrlich, denn sie vertraute ihm immer noch, wenngleich es vielleicht nicht rational war. Es war auch keine bewusste Entscheidung, sondern ein Instinkt. Ihr Kopf hatte durchaus Einwände gegen dieses Vertrauen, aber ihr Herz kannte ihn schon so lange und sah mehr als ihr Verstand. Sie hatte sich früher nicht täuschen lassen, wenn er vorgab ruhig zu sein, obwohl er besorgt war, und sie ließ sich jetzt nicht von der dunklen Macht in ihm täuschen, die ihn als Monster erscheinen ließ.
»Weshalb dann?«
Fee ließ den Kopf wieder auf seine Schulter sinken. »Weil wir nicht wissen, was nun passiert.« Sie schloss die Augen und kämpfte die aufkeimende Unruhe nieder. »Wie werden die anderen reagieren? Was machen wir, wenn sie den Krieg gegen dich eröffnen?« Artnus war Noctrius ohnehin bereits ein Dorn im Auge und auch wenn Cornelius bisher ihr Verbündeter gewesen war, hatte er nicht begeistert darüber gewirkt, dass Artnus nun Greys Geschicke lenken wollte. Das wären schon zwei, die gute Gründe hätten, sich gegen ihn zu erheben. Zwar waren die beiden sich nicht ganz grün, aber ein gemeinsamer Feind könnte sie zumindest vorübergehend vereinen.
»Ich habe nicht vor, ihnen einen Grund dazu zu geben. Ich will ihnen nichts böses, doch gerade Noctrius bewegt sich hart an der Grenze dessen, was noch vertretbar ist. Es ist im Sinne aller, wenn wir ihm Einhalt gebieten, schließlich hat er nicht zuletzt dein Leben aufs Spiel gesetzt.«
Das hatte Fee nicht vergessen und sie machte sich auch nicht vor, dass diese fragwürdigen Ideen allein von Kian ausgegangen waren. Der war gar nicht so weitsichtig, trotz seines enormen Alters. Noctrius hatte sich sehr bewusst entschieden, sie für seine Pläne zu opfern. Und sie hatte noch keine Vorstellung davon, was er nun im Sinn hatte, nachdem sie irgendwie zu einem Teil Lichtwesen geworden war. Im Moment hoffte Fee, dass er ihre Veränderung nicht bemerkt hatte.
»Deshalb macht es mir ja Angst. Noctrius wird damit rechnen, dass du ihm Grenzen setzt, und ich bin mir nicht sicher, ob er das akzeptieren wird.«
Aber nicht nur Noctrius verunsicherte sie, da waren auch noch die Lichtwesen, die möglicherweise nach dem Motto »Auge um Auge« auf Rache für ihren getöteten Anführer sannen.
»Lass uns erst einmal aufstehen und frühstücken, bevor wir uns der Meute stellen und herausfinden, mit wem wir uns zuerst auseinandersetzen müssen.« Artnus küsste sie erneut aufs Haar. »Zusammen schaffen wir das schon. Du vermittelst und ich bringe sie zur Not einfach alle um.«
Was wohl ein Scherz sein sollte, brachte Fee nicht zum Lachen, weil genau das möglicherweise Artnus’ Plan B war.
Fee nutzte die Zeit, während Artnus nach dem Frühstück duschte, um sich in seiner Wohnung umzusehen. Wie oft war sie nur wenige Meter entfernt gewesen in Kians Wohnung, ohne zu ahnen, dass Artnus sich hier auch eingerichtet hatte. Ihr war klar gewesen, dass er irgendwo im Hauptquartier eine Unterkunft hatte, schließlich hatten alle hochrangigen Mitglieder von Grey eine Wohnung hier. Von den Vampiren und Hexen hatten auch viele andere sich auf dem Gelände niedergelassen, weil sie sich hier sicher fühlten. Doch es gab offensichtlich gewaltige Unterschiede bei der Ausgestaltung dieser Unterkünfte. Sie und Noctrius bewohnten kleine Appartements, viele Hexen hatten lediglich ein Zimmer und eine Gemeinschaftsküche zur Verfügung. Indes war Artnus’ Wohnung geräumig und hochwertig ausgestattet: weiße Holzschränke und Regale, ein Boden mit Marmorfliesen, der sich erstaunlich warm anfühlte, ein massiver Esstisch aus dunklem Holz und eine Küche, die man heute wohl als ‚retro‘ bezeichnen würde. Fee befürchtete allerdings, dass sie tatsächlich aus den fünfziger Jahren stammte und lediglich die Elektrogeräte erneuert worden waren. Alles wirkte zudem fabrikneu, ohne jegliche Gebrauchsspuren – wann hätten die auch zustande kommen sollen? Offenbar hatte Artnus hier nie wirklich gewohnt. Seinen eigenen Aussagen nach war er anfangs wohl hauptsächlich umhergereist, um die Spürer zu suchen, dann hatte er diese in einem Safe House in Berlin bewacht, schließlich war er in das hiesige Safe House umgezogen. Aber erst in den letzten Wochen hatte er hier gelebt, mit Rosalie und Dawson.
Offensichtlich war die geräumige Wohnung darauf ausgelegt, dass er hier anderen einen Zufluchtsort bieten konnte. Beim Umherstreifen entdeckte Fee insgesamt drei Gästezimmer, in einem davon lagen sogar noch die unverkennbaren schwarzen Hoodies von Dawson. Der Anblick trieb ihr unweigerlich Tränen in die Augen und sie wandte sich schnell von diesen Überbleibseln ab. Die beiden Spürer waren bereits eine Weile tot, aber sie verstand, dass Artnus es nicht über sich gebracht hatte, diesen Raum auszuräumen. Ihr wäre es nicht anders gegangen und das bewies ihr, dass er wirklich der war, für den sie ihn bisher stets gehalten hatte. Ein gefühlvoller Mann, der dieses Paar geliebt und bis zuletzt beschützt hatte. Er hatte sie sogar davor geschützt, dass Fee sich in ihren letzten Stunden aufdrängte, obwohl die beiden wohl nur alleine sein wollten.
Fee zog die Tür zu diesem Zimmer und der Vergangenheit darin hinter sich zu und schüttelte sich, als könnte sie so den Schmerz loswerden.
Stattdessen streifte sie weiter durch die riesige Wohnung. Ob irgendwer bei Grey so luxuriös lebte? Sogar Kians Wohnung war kleiner.
Ob er das gewusst hatte? Das würde zumindest zu einem Teil erklären, warum Kian so schlecht auf Artnus zu sprechen gewesen war.
Sie wagte sich in das nächste Gästezimmer und starrte irritiert auf ein Babybett aus weißem Holz mit hellgelbem Himmelchen und einem Mobile aus geflügelten Teddybären darüber. Natürlich wusste sie, was sie da sah, und ihr war klar, dass Artnus ihr nicht seit Jahren eine Familie verheimlichte, doch die Erkenntnis kam unerwartet. Er hatte das getan, was sie nur hin und wieder kurz angedacht hatte: ein Kinderzimmer eingerichtet. Für ein Kind, das es nun gar nicht mehr gab.
Es war logisch, dass er das getan hatte, weil das Kind ein Zimmer gebraucht hätte. Aber sie hatte nicht erwartet, dass Artnus tatsächlich Vorbereitungen traf. Sie hatte immer angenommen, er hätte sich nur notgedrungen mit der Aussicht arrangiert, Stiefvater zu werden, dieses Zimmer war jedoch nicht nur aus Logik, sondern mit Liebe eingerichtet worden. Er hatte diesem Kind hier in ein Zuhause geben wollen.
Sie hatte es bis zuletzt nicht geschafft, derartige Vorbereitungen zu treffen, dabei war es ihr nicht egal, aber bei all den anderen Problemen hatte sie einfach keine Gedanken an ein Bett oder ein Mobile verschwendet.
Oder hatte sie vielleicht unbewusst längst gewusst, dass dieses Kind kein Zimmer brauchen würde? Hatte sie geahnt, dass sie nicht mit einem Lebewesen, sondern mit reiner Magie schwanger war? Dieser Gedanke ließ sie sich irgendwie schwach fühlen, sodass sie sich unweigerlich am Türrahmen abstützen musste und mit den Tränen kämpfte.
Sie hatte nie wirklich geplant, Mutter zu werden, aber sie hatte sich darauf gefreut, dieses Kind im Arm zu halten. Allmählich begriff ihr Kopf zwar, dass es nicht gestorben war, doch für ihr Herz fühlte es sich immer noch so an. Außerdem fühlte sie sich schuldig, als hätte sie verhindern müssen, dass ihr Körper diese Macht aufnahm. Hätte sie die Wahl gehabt, dann hätte sie lieber das stupsende Wesen in ihrem Bauch zur Welt gebracht, als diese Magie anzunehmen, mit der sie gar nicht umzugehen wusste.
Sie vermisste das Kind.
»Hey, Hexchen.« Sie realisierte Artnus hinter sich erst, als er einen Arm um ihre Mitte legte.
»Du hast ein Kinderzimmer eingerichtet.«
Er zog sie mit dem Rücken an sich, sodass sie sich anlehnen konnte. »Es schien mir naheliegend, weil du schwanger und eher nicht geneigt warst, wieder bei Kian einzuziehen.«
Fee lehnte bereitwillig den Kopf an seine Schulter und blickte zu ihm auf. Sie sah feuchte Haare und ein entspanntes Lächeln, in ihren Augen sah er eher die Tränen, mit denen sie kämpfte. »Ich hatte wohl einfach nicht damit gerechnet, dass du so etwas tust.«
Artnus zuckte mit den Schultern. »Rosalie brauchte eine sinnvolle Tätigkeit und Online-Shopping kam ihr da sehr gelegen. Dawson konnte so immerhin beweisen, dass er in der Lage ist, Möbel aufzubauen.«
Unweigerlich schluckte Fee, weil sie nun an den anderen schmerzliche Verlust der letzten Wochen denken musste. »Du hast die beiden das machen lassen, obwohl du wusstest, dass sie vielleicht selbst gerne irgendwann Kinder haben wollten. War das nicht grausam?«
Seine Miene wurde ernster und er drückte sie fester an sich. »Sie hätten keine Kinder haben können. Spürer können keine Kinder bekommen. Außerdem waren sie hier wie eingesperrt, weil sie zu große Angst hatten, hinauszugehen. Es war gut, dass sie etwas Sinnvolles zu tun hatten.«
Nun sah sie in den fliegenden Teddybären regelrecht die unsicherere Rosalie. Alles hier trug ihre Handschrift und das war gleichermaßen wunderschön wie schmerzhaft.
An ihrer Wange spürte sie Artnus’ zweite Hand als er mit dem Handrücken behutsam darüber strich. »Wir wollten dir nur etwas Arbeit abnehmen, weil du anderweitig beschäftigt warst.«
Nickend schloss sie die Augen und spürte seine Wärme in ihrem Rücken. »Ich weiß«, sie seufzte leise. »Aber jetzt war es umsonst.« Unweigerlich legte sie die Hand auf ihren Bauch, der sich inzwischen anfühlte, als wäre sie nie schwanger gewesen.
Sie war irgendwie froh, dass Artnus dieses Zimmer hatte einrichten lassen, weil es ihr die Gewissheit gab, dass er sich auf die Zukunft mit ihr und diesem Kind eingestellt hatte.
»Nein, es war nicht umsonst«, flüsterte Artnus ruhig. »Du hast dich darüber gefreut und keiner von uns hat geahnt, dass wir kein Kinderzimmer brauchen werden.«
Nach allem, was sie nun vor sich sah, war Fee sich sicher, dass es ihm schwerfiel, zu akzeptieren, wie sich das entwickelt hatte. Obwohl es nicht sein Kind gewesen war, schmerzte ihn der Verlust.
»Vielleicht ist es gut, dass wir dieses Zimmer nicht brauchen werden«, flüsterte Fee zögernd, wenngleich es ihr widerstrebte, in dieser Entwicklung etwas Positives zu sehen.
Artnus wiegte sie beruhigend. »Weil Kians ehemalige Wohnung beinahe nebenan ist und du lieber in deiner eigenen leben willst?«
Sie schüttelte den Kopf. »Weil es hier ist.« Sie lehnte den Kopf weiter zurück und sah wieder zu ihm auf. »Weil wir nicht wissen, was aus Grey wird, weil ich nicht weiß, ob ein Kind hier sicher wäre. Am Liebsten würde ich so schnell wie möglich flüchten, bevor mich hier jemand festhalten kann, weil ich mir nicht einmal sicher bin, ob wir hier sicher sind.«
Langsam drehte sie sich um und schlang die Arme um seine Mitte, sodass sie den Kopf an seine Brust schmiegen konnte. Er musste wissen, dass er das Einzige war, was sie von dieser Flucht abhielt. Sie wollte nicht ohne ihn gehen.
»Ich kann hier nicht mehr fort. Meine Aufgabe ist, Grey zu überwachen. Deshalb muss ich bleiben.«
Fee nickte, obwohl es eine schmerzhafte Erkenntnis war. Davonlaufen war keine Lösung, im Grunde wusste sie das. Sie war einmal davongelaufen und bewusst wieder zurückgekehrt. Sie mussten sich dem Chaos Greys stellen. Die seltsame Macht, die sich in ihr eingenistet hatte, war vermutlich auch am besten bei Grey aufgehoben. Immerhin hatte letztlich Grey diese Macht erschaffen, Kian und Noctrius hatten es getan mit einem Liebestrank und Lügen. Sie hatten aus Fee dieses Halb-Hexe-halb-Lichtwesen-Ding gemacht.
»Ich weiß«, antwortete sie leise. »Aber es fühlt sich an, als wäre es die größte Dummheit meines Lebens, hierzubleiben.«
Artnus drückte sie fest an sich. »Glaub mir, es ist das Beste, wenn wir bleiben und uns darum kümmern, dass sich dieser Ort wieder wie eine Zuflucht anfühlt und nicht wie ein Gefängnis.«
Müde schmiegte sie die Wange an seine Schulter. »Mit dir an der Spitze von Grey?«
Es war nicht, dass sie ihm in dieser Sache nicht vertraute, vielmehr hatte sie Angst, was ihm drohte, wenn er diese Position einnahm. Bereits jetzt hatte er den Hass einiger auf sich gezogen und je länger er diese Aufgabe übernahm, desto mehr würde dieser Hass wachsen.
»Ich sehe das als Übergangslösung«, beschwichtige er sachlich, als wüsste er, wie sehr sie diese Aussicht beunruhigte. Dabei wirkte er selbst immer noch so gefasst, sie dagegen würde die Geschicke von Grey gar nicht lenken wollen und bisher hatte sie angenommen, dass er es genauso wenig wollte. Zumal es im Moment so viele gab, die nach Macht strebten und die ihm Steine in den Weg legen würden.
»Ich habe Angst, dass sie dir etwas tun werden«, gestand sie ehrlich.
Sein leises Lachen ließ seine Brust vibrieren, sodass sie es an ihrer Wange spürte. »Ich habe keine Angst. Weil ich im Gegensatz zu den anderen wirklich unsterblich bin, immerhin lebe ich eigentlich nicht einmal. Sie sind vollkommen machtlos gegen mich.«
Nachdenklich sah sie zu ihm auf. »Auf mich wirkst du recht lebendig.« Und sie war nicht überzeugt davon, dass es keinen Weg gab, ihm zu schaden. An Unsterblichkeit glaubte sie nicht mehr. Es passte nicht in die Welt der Magie, in der alles immer im Gleichgewicht war, dass es so ein Extrem wie eine Unsterblichkeit geben sollte.
Artnus zuckte mit den Schultern. »Soll ich wohl auch, aber ich bin mir sicher, dass man es nicht als ‚Leben‘ bezeichnen kann. Leben ist Veränderung: Wachsen, Altern, Entwicklung. Ich ‚bin‘ einfach nur. Ich verändere mich nicht.« Nüchtern fasste er das zusammen, da schwang weder Stolz über seine ewige Jugend mit noch Bedauern über all die Erfahrungen, die ihm verwehrt blieben. Allerdings war Fee sich nicht ganz sicher, ob er das richtig sah. In ihren Augen hatte er sich in letzter Zeit durchaus verändert.
»Und was hast du vor, mit dieser Existenz anzufangen, sobald Grey sich wieder stabilisiert hat?« Immerhin hatte er wohl ein beinahe unendliches Dasein vor sich, da würde er sicher den einen oder anderen Plan für seine Zukunft haben. Irritierenderweise hatte Fee im Moment keine Vorstellung davon, wie ihr Leben weitergehen sollte. Monatelang hatte sie sich auf das Leben als Mutter eingestellt, stattdessen war sie nun die Hülle für irgendeine fremdartige Magie, die sie manchmal kaum unter Kontrolle halten konnte.
Artnus legte eine Hand wieder an ihre Wange und strich zärtlich mit dem Daumen darüber. »Ich hatte noch nie Pläne für meine Zukunft, Fee.« Er neigte sich herab und zog sie zugleich weiter heran, sodass er sie küssen konnte, behutsam und ruhig, wie sie ihn kannte. Jede seiner Berührung war so liebevoll und vorsichtig, dass es sich anfühlte, als würde er ihre verletzte Seele streicheln, die Noctrius und Kian einst brutal in Stücke gerissen hatten.
Solche Momente löschten die aufkeimenden Zweifel, die sie an ihm und seinen Motiven insgeheim haben mochte, sofort aus. Sie schmiegte sich bereitwillig an ihn und schloss erleichtert die Augen.
Es fühlte sich an, als wäre alles gut. Als gäbe es nicht Kians wütende Artgenossen, die Artnus tot sehen wollten, keinen übermütigen Schwarzmagier, keinen verärgerten Vampir, keinen menschgewordenen Geist und keine unbekannte Magie tief in Fee.
Als er sie wieder freigab, hatte sie ihre innere Ruhe wiedergefunden und die Tränen in ihren Augen waren getrocknet. Sie sah ihn an und schaffte es endlich, auch zu lächeln, wohingegen er nun ernster wirkte.
»Ich habe mich immer als Mittel zum Zweck verstanden, Fee. Ich sollte die Spürer beschützen und anführen, das habe ich getan. Mehr gab es für mich nicht zu erwarten und mehr habe ich nicht erwartet.« Sein Daumen strich gedankenverloren über ihre Wange. »Ich habe eben getan, was nötig war. Anfangs war ich hier, habe mit den Magiern die Möglichkeiten ausgelotet, alle Spürer zu finden, danach war ich unterwegs, um die Spürer einzusammeln. Irgendwann glaubten wir, alle gefunden zu haben. Es gab verschiedene Einrichtungen, wo wir sie unterbrachten. Ich blieb im größten Safe House in Berlin, bis ich dort der Letzte war. Also kam ich zurück, um zu sehen, was sich hier verändert hat.«
Fee spürte eine Gänsehaut in ihrem Nacken, weil sie genau wusste, was sich verändert hatte, als er wieder ins Hauptquartier gekommen war. Nicht er hatte sich verändert oder Grey, sondern sie war dort gewesen. »Wenn ich dich jetzt an meiner Seite habe, habe ich alles, was ich mir je gewünscht habe, und vielleicht sogar mehr als mir zusteht.«
Liebevoll legte sie ihre Hand über seine. »Dir steht genauso viel Glück zu wie jedem anderen.«
Seinem ernsten Blick entnahm sie, dass er das anders sah. Er gönnte sich selbst kein Glück, vermutlich nicht nur, weil er es mit dem Tod eines uralten Wesens erkauft hatte, sondern eben weil er so eine ungewöhnliche Kreatur war.
»Streng genommen sollte ich nicht einmal mehr hier sein. Ohne Noctrius’ Übermut hätte ich längst gehen müssen.«
Selbstbewusst lächelte Fee zu ihm auf. »Ich lasse dich aber nicht gehen.« Entschlossen legte sie die zweite Hand fest um seinen Nacken und zog ihn zu einem weiteren Kuss dicht an sich, bevor er widersprechen konnte. Sie wollte keinen Widerspruch hören, ganz gleich wie berechtigt er sein mochte. Es stand ihr sicher nicht zu, einen Abgesandten eines Gottes für sich zu beanspruchen, nur weil sie ihn liebte, aber sie würde es tun, bis dieser Gott es ihr persönlich verbot.
Fee fühlte sich zum ersten Mal seit Wochen wirklich entspannt, als sie sich mit einer warmen Fleecedecke auf dem großen Sofa im Wohnzimmer niederließ. Sie selbst hätte diese Ruhepause gar nicht gebraucht, aber Artnus bestand darauf, wenngleich sie körperlich längst wieder fit war.
Weil sie sich so wohlfühlte, verließ Fee ihre Position auch nicht, als kurz nach Dunkelheitsanbruch mehr oder weniger unerwarteter Besuch anklopfte.
Cornelius lächelte und brachte sogar den obligatorischen Blumenstrauß mit. »Marius meinte, das wäre üblich bei Krankenbesuchen«, erklärte der Obervampir, als er Artnus den Strauß in die Hand drückte. Der nahm die Blumen mehr oder weniger desinteressiert an und Fee musste ihn schon stumm anflehen, damit er sich in die Küche bewegte, um die Blumen in eine Vase zu stellen. Fee hatte zwar nicht viel Verwendung für dieses Mitbringsel, aber es wäre dem beendeten Leben dieser Pflanzen gegenüber respektlos, die Blumen einfach vertrocknen zu lassen. Die Blumen sollten wenigstens noch ihren Zweck erfüllen und hübsch aussehen, wenn sie schon ihrer Freiheit beraubt waren. Und sie brauchte keinen Schutz vor Cornelius.
»Das wäre nicht nötig gewesen«, versicherte sie lächelnd. »Das hier ist schließlich kein Krankenhaus und ich bin nicht krank.«
Cornelius ließ sich nicht weit von ihr entfernt auf dem Sofa nieder und zuckte mit den Schultern. »Marius meinte auch, es wäre unhöflich, mit leeren Händen aufzutauchen. Und er kennt sich mit den menschlichen Bräuchen besser aus als ich.«
Der Gedanke, dass Marius derzeit so regen Kontakt mit Cornelius hatte, behagte Fee nicht. Der Arzt war einer ihrer engsten Vertrauten und sie hoffte darauf, dass er das blieb, wohingegen Cornelius eher zum Feind werden könnte. Er könnte schlechten Einfluss auf Marius haben.
Artnus kehrte mit den Blumen zurück und stellte sie in einer Vase auf den großen Esstisch, bevor er sich am Fenster gegenüber der Couch positionierte. Es irritierte Fee zwar im ersten Moment, dass er sich nicht zwischen sie und Cornelius setzte, allerdings sah sie ein, dass seine Angriffsposition direkt gegenüber ihrem Besucher möglicherweise klüger gewählt war.
»Es scheint dir besser zu gehen«, begann Cornelius freundlich, ohne einen Blick auf den Mann auf der anderen Seite des Raumes zu werfen, aber er war sich sicher dessen bewusst, dass er gerade nicht unbedingt Artnus’ Vertrauen genoss. Was vermutlich auf Gegenseitigkeit beruhte.
Fee nickte nur, ohne darauf einzugehen, in welcher Weise es ihr nun wohl besser ging. Inzwischen konnte sie die Magie in ihrem Inneren erstaunlich gut händeln, zumindest fühlte es sich nicht mehr ständig an, als wollte diese Macht mit Gewalt aus ihr herausbrechen. Allerdings hatte sie bisher keinen Versuch unternommen, diese Magie gezielt einzusetzen. Doch derlei Details sollte Cornelius gar nicht wissen – so lange sie diese Magie nicht beherrschte, wollte sie möglichst niemanden darauf aufmerksam machen, was in ihr vorging.
»Es hilft sicher, dass sie keine Angst mehr vor ihrem verrückten Ex-Liebhaber haben muss«, antwortete Artnus an ihrer Stelle und traf damit den Nagel auf den Kopf. Allerdings vermutete sie auch, dass die Zeit mit ihm erheblich dazu beitrug, dass sie ihre neue Magie endlich kennenlernte.
»Dabei könnte die Situation kaum schwieriger sein, nachdem du Kian so gedankenlos ermordet hast.« Cornelius sah Artnus nicht einmal an, sondern spielte mit dem klobigen Siegelring an seiner Hand, demselben Ring, den Fee an einer Kette versteckt trug, obwohl er Artnus gehörte. Die Ringe waren ein Statussymbol der Mächtigen bei Grey, dennoch hatte Artnus ihr seinen überlassen als Zeichen der Verbundenheit mit ihr.
»Wenn ihr euch nicht den ganzen Tag hier verstecken würdet, hättet ihr sicher bemerkt, dass die Lichtwesen ein Stockwerk tiefer eine Krisensitzung nach der anderen abhalten.«
Fee schloss einen Moment die Augen, als könnte sie so verhindern, dass all diese Probleme sich wieder in ihr Leben schlichen. Ja, sie hatte sich hier versteckt, obwohl sie wusste, dass es Dinge zu klären und Krisen zu bewältigen gab. Vielleicht würde sie sich sogar noch länger verkriechen, wenn sie nicht selbst wüsste, dass es nicht richtig war.
»Uns wird wohl keiner dorthin einladen«, widersprach Artnus sachlich und wenig schuldbewusst, obwohl er als selbsternanntes Oberhaupt von Grey einiges zu tun hätte.
»Als ob sie Fee abweisen würden, wenn sie dort Einlass verlangte!«, entgegnete Cornelius hörbar verärgert. »Sie war bis vor kurzem immerhin die ganze Hoffnung der Lichtwesen. Die wollen bestimmt immer noch, dass sie ein Kind bekommt und damit die Art rettet, deshalb würden sie ihr zuhören.«
Erneut schloss Fee die Augen, als könnte sie so das verräterische Gold aus ihren Augen verbannen. Bisher hatten Artnus und sie mit niemandem über die Veränderung gesprochen, die in ihr vorging. Kian hatte es in der Minute vor seinem Tod erkannt, dessen war Fee sich sicher. Er hätte darauf bestanden, dass sie als Halb-Lichtwesen ihm als Lichtwesenkönig gehorchen musste, das war vermutlich der Grund, warum Artnus ihn letztlich getötet hatte. Wenn die Lichtwesen wüssten, dass sie nun irgendwie zu ihnen gehörte, würden sie Fee wahrscheinlich erlauben, mit ihnen zu diskutieren, aber sie würden auch die Forderung stellen, sie müsste das Kind eines anderen Lichtwesens bekommen.
Das Geheimnis ihrer Veränderung musste bewahrt werden, weil es den Lichtwesen eine neue Grundlage gab, über ihr Leben bestimmen zu wollen. Selbst Cornelius konnte sie nicht einweihen, so lange sie nicht sicher war, ob sie ihm noch vertrauen konnte. Er strebte nach Macht, deshalb war ihm Artnus ein Dorn im Auge, und Fee war sich nicht sicher, ob er bereit war, sie zu opfern, um Artnus zu entmachten.
»Als ob Fee sich freiwillig in die Nähe dieser Irren wagen würde!«, entgegnete Artnus nun unverhohlen wütend. »Die sollen ihre Probleme mal schön unter sich ausmachen! Hätte Kian nicht versucht, Fee als Mittel zum Zweck zu missbrauchen, wäre er auch nicht tot.«
Fee atmete laut aus und öffnete die Augen wieder. Sie sah Artnus mit verschränkten Armen und grimmiger Miene gegenüber stehen und Cornelius, der sie abwägend anstarrte.
»Es sind aber nicht nur die Lichtwesen, um die ihr euch sorgen solltet. Auch Noctrius scheint verstimmt. Er hat sich in der Bibliothek eingeschlossen und sucht vermutlich nach Hinweisen darauf, wie man unseren Totengott da drüben umbringen kann. Und ich bin mir nicht sicher, was meine eigenen Leute von der Sache halten.«
Stumm schüttelte Artnus den Kopf und Fee seufzte leise. »Es ist eben für uns alle eine schwierige Situation, aber wenn erst einmal alle sich beruhigt haben, kann man sicher darüber reden«, versicherte sie so zuversichtlich wie möglich, in Anbetracht der Tatsache, dass die Lichtwesen einen Angriff planen könnten.
Nicht, dass die Aussprachen bei den letzten Versammlungen sonderlich hilfreich gewesen waren, zumal die letzte mit einer Leiche geendet hatte. Es war sinnvoller, mit Einzelpersonen die Lage zu besprechen, möglicherweise sogar ohne Artnus.
»Letztlich ist es deine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass deine Leute keine Dummheiten machen«, fügte Artnus kühl hinzu.
Cornelius musterte ihn streng. »Dazu müsste ich ihnen glaubhaft versichern können, dass du keine Bedrohung für uns bist«, erklärte er ernst. »Aber das ist schwierig, wenn du erst so eine Show abziehst und dich dann hier verkriechst. Alle wissen, was du getan hast, doch keiner weiß, was du als Nächstes tun wirst. Keiner kann dich einschätzen und so gewinnst du kein Vertrauen.«
Fee sah nachdenklich ihren Freund an, denn so ganz aus der Luft gegriffen waren Cornelius’ Vorwürfe nicht. Artnus hatte die Mitglieder von Grey verunsichert und entzog sich bisher den klärenden Gesprächen, das verkomplizierte die Situation.
»Man sollte meinen so viele jahrhundertealte Wesen, wie sich hier tummeln, sollten die meisten davon mehr Geduld haben und nicht schon nach einem Tag durchdrehen«, entgegnete Artnus kalt. »Ist ja nicht so, als hätten wir uns hier seit Wochen eingeschlossen, wir hatten eben nur einige Dinge zu bereden. Und um ehrlich zu sein, brauchten wir Zeiten für uns.«
Zustimmend nickte Fee, obwohl sie sich wünschte, er hätte einen versöhnlicheren Ton angeschlagen. Immerhin war Cornelius bisher einer ihrer Verbündeten und es wäre besser, ihn nicht vorschnell zu vergraulen.
Abwechselnd sah Cornelius Artnus und Fee an, ehe er sich schließlich ganz ihr zuwandte. »Ich würde wirklich gerne unter vier Augen mit dir sprechen.«
Unweigerlich zog Fee die Decke über ihre Beine und sah hilfesuchend zu Artnus. Ihm musste genauso klar sein wie ihr, warum Cornelius diese Bitte stellte. Er misstraute Artnus.
»Nein!«, kam die ehrliche Antwort von Artnus und Fee widersprach nicht, obwohl es sicher nicht gerade vertrauenserweckend war, wenn er für sie sprach. »Fee hat eine schwere Zeit hinter sich und hat oft genug gesagt, dass sie sich nicht auf die Machtstreitereien hier einlassen will. Und wir werden sicher nicht zulassen, dass irgendwer uns gegeneinander ausspielt!«
Fee seufzte innerlich, weil Artnus mit diesem Tonfall und dieser Behauptung bestimmt nicht das Vertrauen der anderen gewinnen würde. Sie musste aber auch zugeben, dass er durchaus recht hatte. Sie hatte ihre ganze Schwangerschaft mit diesen Machtkämpfen zugebracht, obwohl sie es von Anfang an nicht wollte. Etwas Zeit für sich könnte sie wirklich brauchen, schon alleine um die Veränderungen in ihrem Körper zu verarbeiten.
»Ein andermal«, ergänzte sie, weniger um Artnus zu widersprechen, als um zu verhindern, dass Cornelius den Eindruck hatte, Artnus würde sie von anderen isolieren. Solches Verhalten wäre kaum dem Frieden innerhalb Greys zuträglich, deshalb musste Cornelius wissen, dass sie mit Artnus’ einer Meinung war. Allerdings war ihr klar, dass er sie sehr wohl von den anderen fernhalten wollte, weil er Angst hatte, dass sie sich von deren Misstrauen anstecken ließ.
»Bald, Hexchen, bevor Dinge geschehen, die dir nicht guttun.«
Fee konnte darüber nur noch müde lächeln. Die Liste der Dinge, die bereits geschehen waren und ihr nicht gutgetan hatten, war lang, einen Punkt mehr auf dieser Liste würde sie verkraften.
Offenbar verstand Cornelius ihr Nicken als Beendigung des Gesprächs und erhob sich, bevor sie überhaupt darum bitten konnte.
Je weiter sich Cornelius entfernte, desto näher trat Artnus an sie heran und Fee musste unweigerlich lächeln, obwohl er noch so angespannt wirkte. Keiner von ihnen sah dem Vampir nach, als er die Wohnung verließ.
Leise fiel die Tür ins Schloss und Fee atmete erleichtert auf. Sie hatte nichts gegen Cornelius, aber seine Anwesenheit hatte sie nervös gemacht. »Du musst mich nicht vor Cornelius beschützen«, versicherte sie dennoch, als Artnus sich dicht neben sie fallen ließ.
»Ich muss ihm allerdings auch nicht vertrauen und aktuell bin ich geneigt, so gut wie niemandem hier zu vertrauen.«
Fee seufzte und verzichtete darauf, nachzuhaken, ob er ihr vertraute. »Warum denken wir da so unterschiedlich? Ich möchte hoffen, dass man mit jedem hier reden kann, und, dass alles gut wird. Wir haben doch alle dasselbe Ziel.«
Sie rutschte die letzten Zentimeter an ihn heran und lehnte den Kopf an seine Schulter. Sofort legte er seinerseits einen Arm um sie. »Denkst du das wirklich?« Seine Finger strichen zärtlich über ihren Unterarm. »Cornelius will Grey wieder unter seine Kontrolle bringen, Noctrius hätte wohl nun gerne einen Magier an der Spitze – vorzugsweise sich selbst – und die Lichtwesen wissen im Moment noch nicht, was sie wollen, wahrscheinlich weniger Vampire und Rache für Kians Tod. Also ja, die wollen dasselbe, nämlich Macht. Aber sie haben alle nicht vor diese Macht miteinander zu teilen. Wenigstens bei dir bin ich mir sicher, dass du kein Interesse an dieser Macht hast.«
Nachdenklich drehte sie den Kopf, bis sie zum ihm aufsehen konnte. Er sah sie gar nicht an, sondern blickte zum Fenster hinaus, als würde er irgendeinem Gedanken folgen, den er gerade nicht aussprechen wollte.
»Aber im Grunde wollen sie doch alle nur, dass wir in Sicherheit und Frieden zusammenleben können«, erinnerte sie ihn ernst, denn zumindest war Grey zu diesem Zweck gegründet worden und als Fee sich vor wenigen Jahren angeschlossen hatte, hatte man ihr diese Vision als Anreiz geboten. Sie hätte sich niemals der Organisation angeschlossen, wenn sie gewusst hätte, dass sie nur dazu dienen sollte, Noctrius’ Einfluss zu vergrößern. Jedoch war Artnus schon viel länger Teil dieser Welt und hatte daher eine andere Sicht auf die Dinge, vielleicht sogar eine treffendere als sie.
»In diesem Ziel sind sich wohl die meisten einig, aber der Weg dahin sieht unterschiedlich aus, abhängig davon, wen man fragt. Noctrius würde vermutlich am liebsten alle Menschen umbringen, die Lichtwesen würden erst einmal die Vampire ausschließen. Sie alle würden damit sicher keinen Frieden stiften.«
Fee schloss die Augen wieder. »Das klingt so, als wäre in deinen Augen kein Frieden möglich.«
Allerdings war er noch nie übermäßig optimistisch gewesen, sondern eher bodenständig und sachlich, meistens eher pragmatisch als hoffnungsvoll, daher war seine Meinung nicht gerade überraschend.
»Zumindest nicht, so lange bestimmte Personen so großen Einfluss haben, dass es keine freien Diskussionen und demokratischen Entscheidungen mehr gibt. Und auch ohne die machthungrigen Individuen in ihren Reihen bezweifle ich, dass sie Mitglieder von Grey derzeit sinnvolle Entscheidungen treffen könnten. Vorübergehend braucht es eine Person, die wieder Ruhe und Ordnung in unsere Gemeinschaft bringt.«
Zögernd nickte Fee, obwohl sie daran zweifelte, dass diese Ordnung durch eine Person zustande kommen konnte. Es musste ein Prozess sein, an dem viele beteiligt waren. »Und wer soll das sein? Du willst den Posten ja eigentlich gar nicht.«
In ihrem Rücken spürte sie sein Schulterzucken. »Es spielt gewöhnlich keine Rolle, was ich will, weil es meine Bestimmung ist. Ich wurde nicht umsonst mit den nötigen Fähigkeiten ausgestattet, um alle anderen Wesen in ihre Schranken zu weisen.«
Der Gedanke behagte ihr nicht, wenngleich er logisch war. Artnus hatte als einziger die Möglichkeit, Lichtwesen zu töten, und vermutlich stellten auch Vampire für ihn kein Problem dar. Obendrein war er selbst wahrscheinlich unsterblich, schließlich hatte er Kians Gefangenschaft überlebt und so bewiesen, dass er weder Wasser noch Essen benötigte. Aber sie wollte nicht glauben, dass er wirklich dazu geschaffen war, andere zu töten.
»Ist das denn deine Aufgabe?«, hakte sie leise nach. Es war das erste Mal, dass sie ihn so direkt nach seinen göttlichen Aufträgen fragte. Bisher hatte er lediglich von sich aus darüber gesprochen, allerdings war er abgesehen von seiner Verpflichtung gegenüber den Spürern nicht gerade präzise gewesen.
Wieder zuckte er mit den Schultern. »Wer weiß das schon so genau. Es ist eher eine Ahnung, als ein klarer Auftrag. Ich hatte einfach keine andere Wahl, als die Zügel in die Hand zu nehmen, und jetzt muss ich das Beste daraus machen.«
Seltsamerweise schien es Fee gar nicht so falsch, dass ausgerechnet er der Kopf von Grey werden könnte, obwohl sie bisher immer geglaubt hatte, für Grey wäre ein einzelner als Oberhaupt zu wenig. Im Grunde hatte Artnus keine Gruppe mehr, der er zugehörig war, daher konnte er wohl objektiver entscheiden als alle anderen. Außerdem hatte er Grey so viele Jahre beobachtet, sodass er die Stärken und Schwächen aller Beteiligten kannte. Vor allem aber strebte er eigentlich nicht nach der Macht und würde diese deshalb vermutlich bereitwillig wieder abgeben, wenn es an der Zeit war. Es schien tatsächlich logisch, dass er Grey aus der Krise führen konnte, aber er schien nicht gerade überglücklich über diese Aufgabe.
»Vor Cornelius hat es nicht den Eindruck gemacht, als wolltest du diese Aufgabe übernehmen«, stellte Fee leise fest, immerhin hatte er zu Cornelius gesagt, Grey sollte die Probleme alleine lösen. Das war nicht gerade die Reaktion eines Anführers auf beginnende Unruhen.
Hinter ihr seufzte Artnus leise. »Will ich ja auch nicht. Aber mir bleibt keine Wahl. Ich will schließlich, dass du hier in Sicherheit leben kannst, und das scheint momentan eher unmöglich.« Er drückte sie behutsam. »Lass mir nur noch ein paar Stunden meine Trotzphase, bevor ich mich dieser Aufgabe widme.«
Fee musste lächeln und nickte. »Nimm dir ein paar Tag zum Trotzen und lass es mich so lange auf meine Art versuchen.« Nicht, dass sie besonders glücklich über die Aussicht auf erbitterte Diskussionen mit ihren Gegenspielern war, aber es besser, als zu riskieren, dass Artnus sich in eine Auseinandersetzung nach der anderen stürzte. Er hatte seine Einmischung mit einem Mord begonnen und wenngleich er Gründe für sein Handeln hatte, so hatte er sich damit doch nicht gerade beliebt gemacht. Außerdem hatte er eine Grenze überschritten: Alle anderen hatten einander zwar gehasst und sich Steine in den Weg gelegt bis hin zu Verschwörungen, aber keiner hatte getötet. Artnus hatte da auf eine neue Ebene gehoben. Ganz zu schweigen davon, was es mit seinen Moralvorstellungen angerichtet haben könnte. War nach dem ersten Mord der zweite schwerer oder leichter? Nachdem es so gut funktioniert hatte, würde es da für Artnus nicht verlockend sein, auch seine übrigen Widersacher aus dem Weg zu räumen?
Er sollte gar nicht erst in Versuchung kommen, seine düstere Macht erneut einzusetzen.
»Und wie stellst du dir das vor?«, er klang eher besorgt als verärgert. Unter anderen Umständen hätte er sie wohl ohne Zögern unterstützt, jedoch hatte sie die letzten Wochen überwiegend im Bett zugebracht und sicher nicht den Eindruck gemacht, als wäre sie großen Herausforderungen gewachsen. Jetzt war sie wieder auf den Beinen, aber eben nicht mehr ganz sie selbst.
»Samuel ist die Nummer zwei der Lichtwesen und er hat mir damals geholfen, als Kian dich eingesperrt hatte. Es macht Sinn, mit ihm zu sprechen.« Allerdings hatte Samuel Kian oft unterstützt. Sein Handeln war kaum einzuschätzen.
Hinter ihr versteifte sich Artnus sofort. »Er ist ein Lichtwesen, schon allein deshalb ist er nicht gerade vertrauenswürdig.« Womit er gar nicht so Unrecht hatte, auch Fee hatte ihre Schwierigkeiten mit Kians Artgenossen.
»Aber du hast selbst gesagt, dass ich wohl zum Teil ein Lichtwesen werde, daher wären die Lichtwesen auf Dauer sicher hilfreiche Verbündete.«
»Du bist auch immer noch eine Hexe, trotzdem schlägst du nicht vor, mit Noctrius zu reden«, entgegnete Artnus ernst. Damit hatte er leider recht, dabei war Noctrius früher sogar ihr Freund gewesen, gerade deshalb saß der Schmerz über seinen Verrat so tief. Bei den Lichtwesen war sie dagegen nicht überrascht, dass sie zu fragwürdigen Mitteln griffen, schließlich waren sie verzweifelt. Die machten ihr zwar das Leben schwer, doch sie verletzten nicht ihre Gefühle, weil sie gar nicht nahe genug an sie herankamen. Noctrius dagegen kannte sie und ihre wunden Punkte.
»Das ist etwas anderes.« Obwohl sie sich stark geben wollte, verriet ihre Stimme die Traurigkeit und den Schmerz. Anderen gegenüber hätte sie ihre Gefühle vermutlich besser versteckt, aber bei Artnus erlaubte sie sich die schwachen Momente.
Leise seufzte er hinter ihr. »So viel anders ist es nicht. Die Dinge mit ihm lassen sich genauso wenig mit Worten regeln. Worte werden da nicht gehört und das wird bei den Lichtwesen nicht anders sein, wenn sie dir erst in die Augen gesehen haben.«
Fee musste schlucken. In ihren Augen schimmerte es verräterisch golden, seit sie ihr Kind vermeintlich verloren hatte. Artnus war der Einzige, dem das bisher aufgefallen war, und er schloss daraus, dass sie zum Teil selbst Lichtwesen geworden war. Leider war das die logischste Erklärung dafür, warum in ihren Adern nun so viel Magie floss. Vermutlich hatte er also recht und die Lichtwesen würden das erkennen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekamen.
»Grey ist alles, was ich habe«, antwortete Fee leise. »Ich habe keine Eltern, keine Geschwister, keine Heimat außer dem Hauptquartier. Ich kann das hier nicht alles als Scherbenhaufen zugrunde gehen lassen. Ich muss meine Welt retten.«
Zärtlich strich er erneut über ihren Arm. »Keine Sorge, ich werde dir dabei nicht im Weg stehen. Ich wusste schließlich, auf wen ich mich einlasse.« Mit sanftem Druck drehte er sie zu sich herum, bis er sie küssen konnte und Fee schloss zufrieden die Augen, weil sie ihm jedes Wort glaubte. Er würde mit ihr alles daran setzen, Grey zu retten, auch wenn sie noch keine Idee hatten, wie das funktionieren könnte.
»Ich mache das alleine«, erklärte Fee noch einmal mit Nachdruck und festem Blick in die grauen Augen ihres Freundes.
»Samuel ist ein Lichtwesen, tendenziell größenwahnsinnig und nicht vertrauenswürdig. Niemand sollte alleine mit einem Lichtwesen sprechen.«
Sie stand bereits an der Wohnungstür und war fest entschlossen zu gehen, aber Artnus stand neben ihr und wollte sie begleiten.