Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
June ist die jüngste Tochter des Vampirjägers Rafael Meloy, der mit seiner Jägergilde die Vampire in Angst und Schrecken versetzt. So auch Alexis, der nur knapp einem Angriff der Jäger entgeht und dabei viele Bekannte verliert. Er will Rache nehmen und er findet schnell die Schwäche des verhassten Jägers: seine Tochter. June, die selbst noch nie einem Vampir begegnet ist, sollte für ihn ein leichtes Opfer sein und ermöglicht es ihm, das Jäger-Netzwerk auszuspionieren. Und er hat leichtes Spiel, denn June schließt ihn schnell ins Herz.. Neuauflage des 2013 erschienen Romans.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 225
Veröffentlichungsjahr: 2019
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Binnen weniger Sekunden hatte sich die gemütliche Runde in ein Schlachtfeld verwandelt. In der Ruine eines Bauernhofes hatten sich die Vampire in Sicherheit gewähnt, nun wimmelte es dort von Vampirjägern, die mit ihren Opfern kurzen Prozess machten. Mit ihren Schwertern enthaupteten sie jeden Vampir, der ihnen in den Weg kam. Einige Vampire stellten sich den Angreifern mit verzweifeltem Mut in den Weg, um die Stellung zu verteidigen, doch sie standen auf verlorenem Posten, der Überraschungsmoment hatte den Jägern einen tödlichen Vorteil verschafft. Alexis bewahrte in dem Chaos die Nerven. Er war einer der wenigen, die niemals unbewaffnet unterwegs waren. Er brauchte nur einen gezielten Schuss, um sein Gegenüber zu töten – durch ihre Sterblichkeit waren die menschlichen Angreifer ihm unterlegen. Hätte er es nicht mit so vielen Feinden zu tun, wäre ihm der Sieg gewiss, so aber war es aussichtslos, selbst wenn jeder seiner Schüsse tödlich wäre. Der Hof war verloren. Diese Schlacht würde der Feind gewinnen. Ohne zu zögern, kämpfte er sich zum nächsten Fenster durch, darum bemüht, Munition zu sparen. Mit seinem gesamten Körpergewicht warf er sich gegen die Scheibe, die mit einem lauten Klirren zerbrach – das Kampfgetöse verschluckte den Laut. Niemand hinderte ihn an der Flucht. Ein Entkommener spielte für die Vampirjäger keine Rolle: An diesem Abend dürften mindestens zweihundert Vampire auf dem Hof gewesen sein, von denen die meisten keine Chance hatten. Es dauerte nur eine halbe Stunde, dann hatten die Jäger das Gebäude erobert. Bloß eine Handvoll Vampire, darunter auch Alexis hatten sich in einem angrenzenden Waldstück versteckt. Von dort aus wurden sie Zeugen des grausigen Schauspiels: Nachdem die Jäger die letzten Verteidiger bezwungen hatten, begannen sie, die Leichen vor der Ruine zu sammeln. Zum Schluss übergossen sie den Haufen mit Benzin und entzündeten einen Scheiterhaufen. Das Feuer verwandelte die Körper der Toten in Staub, sodass keine Spuren vom nächtlichen Kampf zurückblieben, während die Jäger sich um ihr Freudenfeuer versammelten. Das Feuer, das Alexis aus der Ferne sah, konnte sich nicht mit jenem in ihm messen. Hass und der Wunsch nach Rache wühlten in seinem Herzen. Noch wusste er nicht einmal zu sagen, wie viele Freunde er eben verloren hatte. Trotzdem wusste er bereits, dass er für jeden Toten grausam Rache nehmen würde. Von seinem Versteck aus versuchte er, sich die Gesichter der Jäger einzuprägen. Einer stach heraus: Rafael Meloy, jener Vampirjäger, der systematisch die Vernichtung der Vampire plante. Er hatte die anderen Jäger, die früher als Einzelgänger gearbeitet hatten, vereint und aus ihnen eine Armee gemacht, die nun verheerende Angriffe auf die Vampirwelt ausführte. Er musste diesen Anschlag geplant und gewusst haben, dass die Vampire auf dem Hof größtenteils unbewaffnet waren.
June atmete erleichtert auf, als kurz vor Sonnenaufgang der Wagen ihres Vaters wieder in die Einfahrt fuhr. Sie speicherte noch die letzte Datei ab und eilte ihm entgegen. Jedes Mal, wenn er abends aufbrach, war sie in größter Sorge. Ihr Vater mochte der beste Vampirjäger der Stadt sein, aber auch er war nicht unsterblich – anders als seine Gegner. Rafael Meloy schloss sie freudig in die Arme. »Du solltest doch nicht auf mich warten.« Wie hätte sie schlafen können, obwohl sie wusste, dass ihr Vater irgendwo gegen blutgierige Monster kämpfte und vielleicht nicht zurückkehrte? »Ich habe mir Sorgen gemacht.« »Das musst du doch nicht. Mir ist nichts passiert und auch keinem anderen, dafür ist von den Vampire nur Staub übrig.« »Waren es viele?« Ihr Vater trat ins Wohnzimmer. Gelassen streifte er seinen Ledermantel ab und warf ihn achtlos über die Couch, bevor er sich aus einem Schrank eine Flasche Whisky holte und einen großen Schluck nahm. So machte er das immer, er wollte den faulen Geschmack des Kampfes runterspülen. Zumindest sagte er das. »Mehr als ich erwartet hatte«, er lächelte, »du hattest Recht, es war ein Volltreffer, daran werden die Blutsauger eine Weile zu knabbern haben.« June versuchte, sein Lächeln zu erwidern. Sie hatte gehofft, ihre Informationen wären fehlerhaft. Nach gründlichen Recherchen hatte sie auf einem alten Bauernhof ein Versteck ausgemacht, in dem sich nachts mehrere Hundert Vampire aufhielten. Sie plante alle Einsätze der Vampirjäger, aber mit einer solchen Übermacht hatten sie es selten zu tun – zumal ihr diesmal nur fünfzig Mann zur Verfügung gestanden hatten. Ihr Vater hatte die Gefahr für sich und seine Leute wieder fahrlässig unterschätzt, wie er es oft tat, und Junes Warnungen in den Wind geschlagen. In den letzten Jahren hatten sie viele Großangriffe gegen die Vampirwelt ausgeführt, meist mit beeindruckendem Erfolg. Aber inzwischen kannten die Vampire ihren Feind und mit jedem Angriff lernten sie ihn besser kennen. Mit jedem Tag wuchs die Gefahr für die Jäger. »Hast du keine Angst, dass sie auf Vergeltung aus sein könnten?«, fragte sie ihren Vater, der jedoch zunächst einen weiteren Schluck aus der Flasche nahm. »Ich bitte dich! Das sind niedere Kreaturen, die interessieren sich nicht für andere. Einem Vampir ist es egal, ob ein anderer stirbt, solange er selbst überlebt. So jemand denkt nicht an Rache.« June seufzte und verließ den Raum. Sie wollte versuchen, zu schlafen, bevor sie sich wieder an die Arbeit machte. Auf ihrem Schreibtisch stapelte sich die Arbeit bis unter die Decke und in den nächsten Stunden würde der Stapel um einiges höher werden.
***
Es stellte kein Problem dar, herauszufinden, wo Rafael Meloy lebte, Alexis hatte die Adresse aus einem anderen Vampirjäger herausgeprügelt. Ein einzelner Jäger war ihm hoffnungslos unterlegen, schließlich war er nur ein Mensch. Bei der Gelegenheit hatte er sich auch über Meloy informiert. Erstaunlicherweise hatte der sogar Familie: drei Töchter, deren Mutter bereits verstorben war. Die beiden älteren Töchter waren nicht weiter interessant, weil sie den Kontakt zum Vater abgebrochen hatten. Die Jüngste allerdings lebte noch bei ihm und war sogar an dessen Arbeit beteiligt. Unglücklicherweise hatte Alexis nicht erfahren, welche Rolle sie spielte, aber immerhin hatte er ihre Handynummer. Aus dem Dunkel traten Frank und Jonathan zu ihm, er hatte sie herbestellt. Alleine wollte er es nicht mit Rafael Meloy aufnehmen. »Warum treffen wir uns nicht im Club?«, wollte Jonathan wissen. Doch Alexis hatte es nicht nötig, auf Fragen der beiden zu antworten, denn er hatte den höheren Rang. Stattdessen deutete er auf ein altes Fachwerkhaus, »Wisst ihr, wer hier wohnt?« »Ein paar besonders hübsche Mädchen, die gerade leichtbekleidet eine Kissenschlacht machen? Das wäre nämlich der einzige Grund, der den weiten Weg rechtfertigen könnte.« Alexis ignorierte den Vorwurf. Seine beiden Freunde gehörten sicher nicht zu den intelligentesten Exemplaren ihrer Art, was er zum ersten Mal als Vorteil betrachtete: Sie würden seinen Plan nicht in Frage stellen. »Rafael Meloy und seine jüngste Tochter.« Die beiden Vampire wurden blass, wie es auch viele andere in dieser Situation geworden wären. Allein der Name Meloys verbreitete Angst und Schrecken. Die beiden wussten nicht, dass der Vampirjäger außer Haus war. Alexis dagegen hatte beobachtet, wie der Mann vor einer Stunde das Haus verlassen hatte und zu einer Bar gefahren war. Im Haus befand sich höchstens noch die Tochter, vor der man sich kaum fürchten musste. »Spinnst du? Weißt du nicht, dass Meloy letzte Woche den alten Hof dem Erdboden gleichgemacht hat?«, Frank flüsterte nur, aus Angst, man könnte ihn hören. »Doch, das weiß ich – ich war dabei und genau deshalb sind wir hier. Im Übrigen ist der alte Meloy auf Sauftour«, die beiden atmeten erleichtert auf, »ich will mich an Meloy rächen.« Jonathan nickte, »Und was hast du vor? Sollen wir hier warten, bis er zurückkommt, und ihm dann das Licht auspusten?« Alexis musste zugeben, dass dieser Vorschlag gleichermaßen simpel, wie verlockend war – nichts wollte er lieber, als Meloy tot sehen, aber er hatte einen besseren Plan. Als er seine Freunde im Leichenfeuer gesehen hatte, hatte er beschlossen, dass Meloy leiden sollte. Und seit er wusste, dass der Jäger Vater war, hatte er eine sehr genaue Vorstellung davon, wie dieses Leid aussehen sollte: Seine Familie war der wunde Punkt des Vampirjägers. »Das wäre zu einfach, ich habe einen besseren Plan.« Frank schüttelte entschlossen den Kopf, »Du meinst, einen gefährlicheren Plan!« Alexis zuckte mit den Schultern, »Sag bloß, ihr seid neuerdings Feiglinge?« Das ließen die beiden natürlich nicht auf sich sitzen. Stolz war die Schwäche vieler Vampire, wodurch sie leicht zu manipulieren waren. Frank seufzte, »Also, was hast du vor?« Alexis lächelte, voller Stolz auf seinen raffinierten Plan, »Meloy liebt seine Familie über alles. Das Schlimmste, was ihm passieren könnte, ist, dass er sie verliert.« »Du willst seine Familie töten?«, hakte Frank nach, der Plan fand seine Zustimmung. »Besser«, Alexis sah zu den hell erleuchteten Fenstern des Hauses, »Ich will, dass seine eigenen Töchter ihn töten.«
***
June war erstaunt, wie ruhig die Woche verlaufen war. Nach dem Großangriff auf die Ruine hatte sie mit Vergeltungsschlägen der Vampire gerechnet, aber diese waren ausgeblieben, abgesehen von vereinzelten Überfällen auf Menschen in der Innenstadt, alles im normalen Rahmen. »Schau nicht so finster drein – es ist doch alles friedlich.« Michael beugte sich von hinten über sie und schaltete den Monitor ihres Computers aus, widerwillig drehte sie sich nach ihm um. »Wie war deine Patrouille?«, erkundigte sie sich tonlos. Der junge, blonde Vampirjäger lächelte und warf seinen schwarzen Mantel über die Couch – wie ihr Vater, Michael kopierte ihren Vater sogar im Hinblick auf den Hang zur Unordnung. Unter dem Mantel kam ein enges, kurzärmeliges T-Shirt zum Vorschein, unter dem sich sein muskulöser Oberkörper abzeichnete. Als er Junes Blicke bemerkte, streckte er sich genüsslich, um jeden einzelnen, sorgfältig trainierten Muskel zur Geltung zu bringen. »Es war alles ruhig. Ich habe nur ein paar Blutsauger auf der Nahrungssuche ertappt und beseitigt.« Seine strahlend blauen Augen funkelten, er liebte den Kampf gegen die Vampire – wie ihr Vater. »Du kannst also beruhigt in deine Liste eintragen, dass ich keine Vorkommnisse zu melden habe.« June nahm den ironischen Unterton wohl zur Kenntnis, »Vergiss nicht, dass es meine Listen waren, die euch diesen Großeinsatz verschafft haben.« Sie hatte es satt, dass alle Jäger ihr die mühevolle Arbeit mit Spott und Hohn dankten! Immerhin hatte sie geschafft, was ihr Vater immer gewollt hatte, die Vampirjäger in der ganzen Stadt zu vereinen. Sie stand mit allen in ständigem Kontakt, sammelte alle Informationen und organisierte die Einsätze. Ihr hatten sie es zu verdanken, dass es in der ganzen Stadt kaum noch ein Vampirversteck gab, das die Jäger nicht kannten und regelmäßig ausräumten. Der groß gewachsene Nachwuchsjäger wurde für einen Moment ganz klein und ging vor ihr in die Hocke. »Ich weiß, ohne dich müssten wir bei der Arbeit die ganze Zeit im Dunkeln tappen«, säuselte er mit einem süffisanten Lächeln zu ihr herauf, aber June hatte nicht vor, sich so besänftigen zu lassen. »Wie wäre es, wenn ich dich als Dank auf einen Drink einlade?« Michael hatte wieder einmal eine Chance gewittert – es war immer dasselbe Elend mit ihm. June wand demonstrativ den Blick ab, »Wenn du etwas trinken willst, dann geh zu meinem Vater, der freut sich über deine Einladung.« Entschlossen drehte sie den Stuhl zu ihrem Schreibtisch und schaltete den Monitor wieder ein. »Warum lässt du mich immer so auflaufen? Ich will dich endlich anders als nur bei der Arbeit kennenlernen.« Sie antwortete ihm nicht, sondern machte sich wieder an ihren Unterlagen zu schaffen. Michael war ihrem Vater auch in dieser Hinsicht ähnlich. Er sah nicht ein, dass ein Vampirjäger nur für Jagd lebte. Ihr Vater hatte das nie geglaubt und eine Familie gegründet. Was war daraus geworden? Die Mutter tot, die beiden älteren Geschwister auf und davon, und June vergeudete ihr Leben für ihn am Computer. Wenn er eines Tages starb, sollte Michael seinen Platz einnehmen, am liebsten mit June als Ehefrau – damit alles in der Familie blieb. Bis auch Michael eines Tages dem Kampf zum Opfer fiel. »Antworte mir, June!« Sie antwortete wieder nicht und Michael verließ verärgert das Haus, allerdings nicht, ohne die Tür mit einem lauten Knall zuzuwerfen. Sie seufzte, noch etwas, das er mit ihrem Vater gemein hatte. Genau im richtigen Moment klingelte ihr Handy, sodass sie nicht länger über Michael nachdenken musste.
***
Alexis hatte sich die Sache gut überlegt, schon bevor er sich mit seinen Freunden getroffen hatte, war ihm klar gewesen, dass der Jäger, den er überfallen hatte, für ihn noch von Nutzen sein würde. Daher hatte er ihn nicht umgebracht, sondern lediglich gefesselt und eingesperrt, er war der Köder. Jonathan und Frank hatte er auf die beiden älteren Schwestern angesetzt, das sollte die beiden nicht überfordern. Er selbst befasste sich mit der jüngsten Tochter, da sie unter dem direkten Einfluss des Vaters stand. Sie zu umgarnen könnte schwieriger werden. Im Handy des Jägers hatte Alexis die Nummer von June Meloy gefunden und diese unter einem Vorwand herbeigerufen. Nur eine Stunde später fuhr ein schwarzer Mercedes vor. Alexis kannte ihn bereits, es war der Wagen von Rafael Meloy. Kurz fürchtete er, der Jäger selbst wäre gekommen, dann allerdings öffnete sich die Tür der Fahrerseite und eine junge Frau stieg aus. Er hatte sie sich anders vorgestellt. Ein Mauerblümchen, Papis kleiner Liebling, doch stattdessen traf er auf eine attraktive junge Frau. June Meloy war nicht gerade groß, dafür von einer überwältigenden Ausstrahlung, die ihm für einen Moment die Sprache verschlug. Ihre dunklen, langen Haare wehten im Nachtwind und fielen auf eine leuchtend gelbe Seidenbluse, zu der sie eine lange schwarze Hose trug. Sie eilte über den verlassenen Hof und schien dabei fast zu schweben. Alexis hatte sie zu dem Bauernhof bestellt, an dem ihr Vater kürzlich ein Massaker angerichtet hatte. Dorthin hatte er auch den angeschlagenen Jäger gebracht. Neben dem Bewusstlosen knieend, wartete er vor dem ehemaligen Wohngebäude. »Was ist passiert?« June Meloy ging neben dem Verletzten in die Knie und fühlte seinen Puls. Erleichtert stellte sie fest, dass er noch lebte. »Er wollte nur nachsehen, ob die Vampire das Gelände wieder als Versteck benutzen«, log Alexis. »Als er nicht zur vereinbarten Zeit zurück war, bin ich hergekommen, um nach dem Rechten zu sehen und fand ihn so.« Die junge Frau sah ihn misstrauisch an, »Und wer bist du?« Alexis lächelte, er hatte mit dieser Frage gerechnet, »Alexis, ein Freund von ihm, sein Lehrling sozusagen.« Einen Moment schien sie, zu zweifeln, dann aber nickte sie. »Wir müssen ihn zu einem Arzt bringen. Hilf mir bitte, ihn zum Wagen zu tragen.«
***
June konnte ihr Misstrauen nicht verbergen. Manuel war ein guter Jäger, er ging keine unnötigen Risiken ein. Gewöhnlich sagte er ihr bereits im Voraus, wo er auf die Jagd gehen wollte, aber diesmal hatte sie nichts von ihm gehört, bis dieser Fremde, Alexis, sie von Manuels Handy aus angerufen hatte. Viele Jäger hatten Lehrlinge, sie gaben ihr Handwerk an junge Männer weiter, das war Tradition, wie ihr Vater sein Wissen an Michael weitergab. Allerdings hatte Manuel nie von einem Lehrling gesprochen, obendrein sah dieser Alexis nicht nach einem Kämpfer aus. Sicher, er war ein Bild von einem Mann, aber lange nicht so muskelbepackt wie Michael oder ihr Vater. Er war groß, elegant und attraktiv, mit seinem braunen Haar und lebendig grünen Augen könnte er einem Gemälde entsprungen sein. Seine Kleider wirkten teuer, waren allerdings nicht kampftauglich. Insgesamt taugte Alexis nicht zum Jäger, eher zum Model. Dennoch hob er den bewusstlosen Manuel ohne die geringste Anstrengung hoch und trug ihn zum Wagen, als wöge er nichts, dabei war Manuel einer der fülligsten Jäger. So ungern sie es zugab, in Alexis schlummerten Kräfte, die man ihm bei Weitem nicht ansah. June stand fassungslos da und sah ihn an. Er lächelte voller Genugtuung, als habe er gewusst, dass sie ihn für einen Schwächling hielt. Hastig folgte sie ihm zum Wagen und öffnete die Tür, damit Alexis den Verletzten auf die Rückbank legen konnte. »Steig ein!«, befahl sie dann, um nach dem peinlichen Staunen ihre Autorität wieder zu erlangen. Alexis ließ sich das nicht zweimal sagen, er öffnete die Beifahrertür und setzte sich neben sie. »Kann es sein, dass du mich nicht magst?«, fragte er ganz offen heraus, als sie den Wagen startete. »Das bildest du dir ein.« Er hatte Recht – merkwürdige Umstände hin oder her, noch nie hatte sie für einen Menschen solche Abneigung empfunden. Hätte sie die Wahl, würde sie sogar lieber mit Michael ausgehen, als eine weitere Minute mit diesem Alexis zu verbringen. Irgendetwas an ihm stimmte nicht. Er hatte eine befremdliche Ausstrahlung, fremdartig und leblos. Andererseits waren da diese grünen Augen, bei denen sie das Gefühl hätte, verschlungen zu werden, wenn sie hineinblickte. Er bemerkte ihren forschenden Blick und beantwortete ihn mit einem kalten, aber charmanten Lächeln. »Verrätst du mir auch, wer du eigentlich bist, und, was du mit uns Jägern zu schaffen hast?« »Ich bin June, die Tochter von Rafael Meloy.« Ihr Ton ließ keinen Zweifel daran, dass sie nicht mit ihm sprechen wollte, allerdings schien Alexis, das geflissentlich zu ignorieren. »Bist du eine Jägerin?« »Nein, ich koordiniere die Einsätze und sammle die Informationen.« Nun wurde sein Lächeln unheimlich, in seinen Augen blitzte etwas Gefährliches auf, »Dann haben wir solche Einsätze wie neulich Nacht dir zu verdanken?« »Ich habe den Einsatz größtenteils geplant.« »Hast du keine Angst, dass die Vampire dir das übelnehmen könnten?« Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn die wüssten, dass es mich gibt, müsste ich vermutlich Angst haben. Aber ich kann mich verteidigen, ich bin schließlich die Tochter eines Jägers.« »Hast du schon mal gegen einen Vampir gekämpft?« »Nein, das nicht …« Alexis grinste breit, er machte sich über sie lustig! »Würdest du einen Vampir überhaupt erkennen?« June biss sich auf die Lippen. Woher sollte sie wissen, ob sie einen Vampir erkennen würde? Ihr Vater hatte nie ein Wort darüber verloren, woran ein Vampir zu erkennen war. Ihre einzigen Anhaltspunkte wären die spitzen Eckzähne oder die Sonnenallergie, die üblichen Klischees. Die Jäger verließen sich auf ihre Instinkte. June hatte diesen Instinkt nicht, sie musste sich auf das goldene Armband mit dem kleinen Elfenbeinkreuz verlassen, es sollte Vampire vertreiben. Ein Geschenk ihres Vaters. Alexis lachte, »Woher willst du wissen, dass ich kein Vampir bin?« »Wenn du ein Vampir wärst, hättest du mich vermutlich längst gebissen und Manuel getötet. Vampire sind einfach gestrickt, für sie dreht sich alles darum, ihren Blutdurst zu stillen.« Alexis sagte nichts, er zog überrascht eine Augenbraue hoch. Hatte er etwa gedacht, sie wüsste das nicht?
***
Alexis wartete draußen, während June in der Praxis des Arztes war, der sie bereits vor dem Haus erwartet hatte. Alexis war überrascht, wie organisiert die Vampirjäger waren – kein Vergleich zu den Vampiren. Es war alles andere als verwunderlich, dass sie mit ihren Angriffen so erfolgreich waren. Seine Leute handelten instinktiv, die Jäger bereiteten jeden Zug sorgfältig vor – mit Junes Hilfe. Umso verwunderlicher war es, dass die Tochter eines Vampirjägers so wenig über ihre Feinde wusste. Alexis hatte erwartet, dass sie zumindest gut aufgeklärt, wenn nicht gar selbst eine Jägerin war, als Rafael Meloys Tochter müsste sie die Veranlagung dazu geerbt haben. Stattdessen kannte sie nur die üblichen Klischees, das hatte er aus ihrer Reaktion auf seine Frage gelesen. Sie dachte vermutlich, Vampire wären totenbleich, mit spitzen Eckzähnen und einer peinlichen Abneigung gegen Knoblauch. So sehr er diese Vorurteile auch verabscheute, sie kamen ihm in diesem Fall sehr gelegen. Nach einer Weile kam sie wieder heraus und trat neben ihn. »Er wird sich bald erholen, es ist nur eine Gehirnerschütterung. Der Arzt behält ihn für ein paar Tage da.« Das hörte Alexis gerne. Es würde sicher mehrere Tage dauern, bis der Jäger ihn enttarnen konnte, vorläufig stellte er keine Gefahr dar. June lächelte, wenngleich es gekünstelt wirkte. »Alleine hätte er es vermutlich nicht mehr vom Bauernhof weggeschafft. Zum Glück hast du nach ihm gesehen.« »Das war doch selbstverständlich.« Ihr Blick verriet tiefe Dankbarkeit und zum ersten Mal schien das Misstrauen daraus verschwunden. Sein Plan war aufgegangen, sie begann, ihm zu vertrauen. Der verletzte Jäger hatte ihm den Weg geebnet. Inzwischen hatte er seinen ursprünglichen Plan, sie schnellstmöglich zu einer seiner Art zu machen und dann auf ihren Vater zu hetzen, über den Haufen geschmissen. Bei ihrem Gespräch im Wagen hatte er entdeckt, dass June für ihn von größerem Nutzen sein konnte. Sie spielte für die Vampirjäger eine bedeutende Rolle – was noch wichtiger war, sie kannte alle mit Namen. Das war die Chance, das ganze Jägernetzwerk zu zerschlagen. Über sie würde er sich alle Namen und Adressen der Jäger besorgen, dann konnte er alle einzeln überfallen, wo sie es am wenigsten erwarteten: Zuhause. Bis dahin musste er seine persönliche Rache an Meloy zurückstellen. »Nicht wirklich. Die meisten Jäger sind Einzelgänger, für die das Schicksal ihrer Kollegen keine Rolle spielt.« Sie ging zum Wagen und schloss die Tür auf, stieg allerdings nicht ein, sondern drehte sich nach ihm um. Alexis trat mit seinem charmantesten Lächeln einen Schritt auf sie zu, »Ich bin eben anders.« »Das allerdings, du siehst nicht einmal aus, wie ein Jäger.« Dessen war er sich bewusst, das war eine gefährliche Schwachstelle in seinem Plan, er war nun einmal ein Vampir. Er hatte übermenschliche Kräfte, die Vampirjäger dagegen waren Muskelpakete, die ständig Gewichte stemmen mussten, um in Form zu bleiben. Diese auffälligen Muskeln fehlten Alexis. Natürlich sah er tausendmal besser aus, als diese Männer mit all ihren Kampfnarben und ihrer rohen Art. Das war auch June nicht entgangen, sie wusste es allerdings nicht zu deuten. Ein Jäger dagegen hätte sofort gewusst, dass er es mit einem Vampir zu tun hatte. »Das nehme ich als Kompliment«, erwiderte er freundlich. »So war es nicht gemeint.« »Wie dann?« »Du bist nicht stark genug, du wirst es als Jäger nicht weit bringen.« Er zuckte mit den Schultern, »Du solltest mich nicht unterschätzen, ich bin stärker als es scheint.« »Vampire sind sehr stark. Du hast es doch gesehen! Selbst ein kräftiger Mann wie Manuel war ihnen unterlegen.« Allerdings, den Jäger zu überfallen war erstaunlich einfach gewesen. Der entscheidende Unterschied war jedoch weniger die Muskelkraft, als die Schnelligkeit. Ein Schrank von einem Mann, wie Manuel, konnte einem wendigen Vampir einfach nicht schnell genug ausweichen. »Sorgst du dich etwa um mich?« Er hob eine Hand und berührte vorsichtig ihr Haar, es war weich und frisch gewaschen, er konnte sogar den Blütenduft ihres Shampoos wahrnehmen. Erschrocken wich June einen Schritt vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken gegen den Wagen stieß. Sie hatte keine Möglichkeit zur Flucht. Das war seine Chance und er wusste sie zu nutzen. In all den Jahren wäre June die erste Frau, die sich seinem Charme widersetzen konnte. »Bilde dir nichts darauf ein!« Er konnte ihr Herz schlagen hören, seine leichteste Übung als Vampir. June fühlte sich in die Enge getrieben, sie wusste, in welch unglücklicher Lage sie sich befand. »Warum willst du es nicht zugeben?« »Weil du es offensichtlich falsch verstehen willst. Ich sorge mich um alle Jäger, weil sie leichtsinnig gegen eine gewaltige Übermacht kämpfen«, beim Sprechen stolperte sie über ihre eigenen Worte und stotterte leicht – Alexis musste sich ein Lachen verkneifen. »Warum wirst du dann rot?« Er genoss seinen Triumph noch einen Moment, während er erneut ihr weiches Haar berührte. Er genoss den Moment, jedoch nicht in so, wie er es wollte. Es machte ihm Spaß, sie so mit dem Rücken zur Wand zu sehen, er spielte gerne mit seinen Opfern, wie die Katze mit der Maus – aber ein Teil von ihm wollte, dass die kleine Maus ihn umarmte und ihren Widerstand aufgab. Nein, es machte keinen Spaß mehr. Er gab sie wieder frei und ohne ein weiteres Wort stieg sie in den Wagen.
»Du wirkst so angespannt.« Beim Klang von Alexis‘ Stimme fuhr June erschrocken zusammen. Sie war sogar sehr angespannt, die Vampire verhielten sich ungewöhnlich ruhig, nicht nur, dass es keine Vergeltungsschläge gegeben hatte, die Jäger berichteten, dass sie auch auf ihren Rundgängen kaum Vampire zu Gesicht bekamen. Die einzige Ausnahme stellte der Überfall auf Manuel in der vergangenen Nacht dar. June hatte natürlich einen Aufklärungstrupp zum Tatort geschickt, aber die Jäger hatten nichts Verdächtiges bemerkt. Und zu allem Übel musste sie sich nun auch noch mit Alexis herumschlagen, der sich unbemerkt zu ihr ins Haus hatte schleichen können. »Wie bist du hereingekommen?« Er lächelte, schnappte sich einen Stuhl und setzte sich zu ihr an den Schreibtisch. »Die Terrassentür stand offen.« June wollte widersprechen, war sie doch sicher, die Tür geschlossen zu haben, um Michael auszusperren, aber wie sollte Alexis sonst ins Haus gekommen sein? Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er die Tür aufgebrochen haben sollte. »Und was willst du hier?« Solche Überraschungsbesuche waren nicht üblich, die Jäger kamen nicht einfach so bei ihr vorbei, sie riefen an oder sprachen mit ihrem Vater. Viele wussten nicht einmal, wie sie aussah. »Brauche ich denn einen Grund, um herzukommen?«, Alexis lächelte, »Vielleicht wollte ich dich einfach wieder sehen. Du scheinst dich allerdings nicht sonderlich über meinen Besuch zu freuen.« Freuen? Nein, ganz bestimmt freute sie sich nicht, ihn wieder zu sehen. So charmant er auch sein mochte, sie hatte keineswegs vergessen, wie er sie in die Ecke getrieben hatte. Das allein war nicht so schlimm, das Problem war, dass sie sich nicht gewehrt hatte, obwohl sie es gekonnt hätte. Bei Michael hätte sie nicht gezögert, ihm den Arm oder etwas anderes zu brechen … »Ich mag es nicht, wenn sich jemand an mich heranschleicht.« »Das hatte ich auch gar nicht vor, aber du warst so in deine Arbeit vertieft.« Als wäre das Entschuldigung genug ... »Warum hast du nicht einfach geklingelt?« Er zuckte mit den Schultern, »Ich gehe selten den einfachen Weg.« Wieder schenkte er ihr ein Lächeln begleitet von einem so intensiven Blick, dass es ihr für einen Moment die Sprache verschlug und ihren Widerspruch im Keim erstickte. »Das habt ihr Jäger alle an euch – leider.« »Wenn du so wenig von uns hältst, warum arbeitest du dann für uns?« »Mein Vater ist Rafael Meloy, das sagt doch alles.« Mit einem Mal wirkte Alexis erstaunlich ernst, fast schon betroffen. »Zwingt er dich dazu?« June seufzte, »Von zwingen kann man nicht sprechen … Irgendwer muss sich eben um Dad kümmern.« Sie versuchte, zu lächeln, merkte allerdings, dass es nicht gelingen wollte. »Was ist mit deiner Mutter, ist sie nicht für deinen Vater da?« »Sie ist tot und meine Schwestern sind längst aus dem Haus.« »Und warum gehst du nicht auch?« Sie zuckte mit den Schultern, »Mein Vater braucht mich.«
***
Michael hatte sich mit seiner Runde beeilt und manche Gebäude hatte er nur kurz gestreift. Genauigkeit war unnötig, die Vampire hatten sich zurückgezogen, um ihre Wunden zu lecken – der Großangriff auf dem Bauernhof hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Michael hatte in den letzten Nächten nur vereinzelt Vampire getötet, worüber er nicht traurig war. Es war angenehm, nachts auch Zeit für etwas anderes zu haben. Allerdings würde dieser Frieden nicht von Dauer sein, es gab immer noch viele Vampire in der Stadt und es wurden täglich mehr. Eine solche Masse konnte sich nicht über längere Zeit verstecken, irgendwann mussten sie sich neue Opfer suchen und dann würden sie sich wieder dem Kampf mit den Jägern stellen müssen. Aber an diesem Abend würde es ruhig bleiben, er konnte sich erlauben, seine Runde früher zu beenden und sich auf den Weg zu June zu machen. Er wollte seinen Fehler vom Vortag wieder gut machen, wenn er auch nicht wusste, welchen Fehler er überhaupt begangen hatte. Diesmal, das hatte er sich geschworen, würde June seine Einladung nicht ausschlagen. Statt an der Tür zu läuten, ging er – wie üblich – durch den Garten zur Terrassentür. Gerade in den lauen Sommernächten ließ June diese oft offen, damit die Katze ungehindert ein- und ausgehen konnte. Seit er das herausgefunden hatte, benutzte er die Terrassentür meist als Eingang. Das Haus der Meloys war für ihn ein zweites Zuhause, eines Tages würde er schließlich Rafaels Platz einnehmen, am Besten mit June als Frau. Für beides hatte er längst Rafaels Segen, nur June war noch nicht überzeugt. Dann aber stand er vor der verschlossenen Glastür. Durch das Fenster konnte er sehen, dass Junes Arbeitsplatz verlassen war. Wo sollte sie hingegangen sein?
***
Alexis wollte sich selbst zu diesem gelungenen Schachzug beglückwünschen. Ohne die geringste Anstrengung hatte er June überzeugt, mit ihm etwas trinken zugehen. Dabei hatte er angenommen, auf Granit zu beißen, immerhin hatte sie ihn am Vorabend auf der Straße stehen lassen. Aber sie war auch nur eine Frau, ganz egal, wie ungewöhnlich ihre Familie war – sie war einfach nicht in der Lage, seinem Aussehen und Charme zu widerstehen. Und erfreut bemerkte er, dass ihre Miene in der kleinen Bar bald freundlicher und offener wurde, als fielen die Sorgen ihrer Arbeit von ihr ab. »Du hast ein wunderschönes Lächeln, es steht dir besser als diese Falten auf der Stirn vorhin.« Er wollte ihr diese ernste Maske endlich vom Gesicht reißen, sie schien immer irgendwie bedrückt. Und welche Frau war nicht empfänglich für Komplimente?