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Durch ein seltsames Schicksal aneinander gebunden, ziehen der junge Magier Pendrak und seine selbsternannte Leibwächterin Kira in eine Welt, die allmählich aus einem langen Schlaf erwacht. Während alte Bündnisse zerfallen und die Herrscher der Welt um die Macht ringen, erhebt sich ein vergessener Schrecken in den Wüsten des Südens. Für die Protagonisten der Fantasy-Saga beginnt die Suche nach einem geheimnisvollen Buch aus der Zeit der Legenden. "Der vergessene Mond - Das schwarze Buch" hat als Fortsetzung der spektakulären Fantasy-Saga um den vergessenen Mond das Zeug zum Suchtcharakter. Der Kampf von Gut und Böse, magische Welten und Fabelwesen, aber auch die Liebe kommen in diesem wunderbaren Fantasyschmöker ebenfalls nicht zu kurz. Die Suche nach einem geheimnisvollen schwarzen Buch, Intrigen am Hof, Geheimbünde und Magier entführen den Leser erneut in die Welt von Herm Pendrak und Kira. Eine spektakuläre Fortsetzung der Fantasy-Saga. "Der vergessene Mond Band II - Das schwarze Buch" ist der zweite Teil der Fantasysaga "Der vergessene Mond". "Der vergessene Mond" - Die Fantasy-Saga Band I - Zeit des Erwachens Band II - Das schwarze Buch Band III - Rückkehr der Blutkrallen, erscheint 2014
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Seitenzahl: 444
Veröffentlichungsjahr: 2015
www.tredition.de
Für Achim, Victor & HeikeLichter meines Lebens
Bernd Tannenbaum
Der vergessene Mond
Band II – Das schwarze Buch
www.tredition.de
© 2015 Bernd Tannenbaum
Umschlaggestaltung: Martin Schlierkamp
Entwurf der Runenkreise: Lothar Peterhof
Karte: Bernd Tannenbaum
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback
978-3-7323-5399-6
Hardcover
978-3-7323-5400-9
e-Book
978-3-7323-5401-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhaltsverzeichnis
Gesang der Sterne
Zeit des Vergessens
Das schwarze Buch
Blutiger Thron
Das Ende des Vergessens
Schwarzer Mond
Der vergessene Mond
Band I
Zeit des Erwachens
Band II
Das schwarze Buch
Band III
Rückkehr der Blutkrallen
Gesang der Sterne
Mit einem Stirnrunzeln schloss Rakul den schweren Buchband und legte ihn auf den Stapel neben sich zu den Anderen. Die Kammer der Sterne war hell erleuchtet von den Kristallen, die ihre Kraft aus dem Licht der Sterne des Nachthimmels bezogen, so daß Rakul die Zeichnungen der Mondbahnen an der gewölbten Decke klar sehen konnte. Seit Jahrhunderten hatten die Meister des Kristallturms die Bahnen der Monde verfolgt, erst Rakuls Vorgänger und nun er selbst. Aufmerksam glitt sein Blick über die Bahnen und eingezeichneten Daten, die sorgsam an der Decke eingezeichnet worden waren und bis zum heutigen Tag reichten. Darauf folgten die berechneten Bahnen, denen die Monde in der Zukunft folgen würden. Der Verlauf war eindeutig, es würde eine Konjunktion geben. Schon bald würden Jatul, Jesah und Zonah gemeinsam voll am Nachthimmel stehen, nur Karas, der schwarze Mond war nicht beteiligt.
Wieder und wieder hatte er seine Berechnungen überprüft und war jedes Mal zu demselben Ergebnis gekommen. „Aber es ergibt keinen Sinn.“ Noch immer schallten die Worte Schingans, des blauen Erzmagiers, in seinem Kopf. „Warum sollte der Vergessene gerade dann zurückkehren, wenn die Kraft der anderen Monde stärker sein wird als die des seinen?“
Schingan hatte recht, es erschien unlogisch, daß der alte Feind sich gerade jetzt regte. Und doch gab es keine andere Erklärung für die Vorfälle der letzten Wochen. Konjunktion oder nicht, ein schwarzer Magier wandelte auf der Welt. „Und er jagt meine Wächter. Wir müssen ihn aufhalten. Ich brauche dringend mehr Informationen.“
Noch einmal sah Rakul zur Decke der Kammer der Sterne und betrachtete die Kristalle, die ihm ihr Licht schenkten. „Die Sternensinger, vielleicht können sie helfen.“ Es war lange her, daß die Singer dem Turm die Kristalle geschenkt hatten, noch bevor sich der Mantel des Vergessens über die Welt gelegt hatte. „Wie sie wohl reagieren werden, wenn sie die Wahrheit erfahren? Bei allen Drachen, ich müsste sie jetzt einweihen, zusammen mit den anderen Mächtigen der Welt.“ Einmal mehr verfluchte Rakul die Tatsache, daß er den Turm nicht verlassen konnte. Er war an den Pakt von Windoshei gebunden wie seine Vorgänger und angewiesen auf die Unterstützung der drei Erzmagier der Türme der Magie.
„Wenn ich nur wüßte, was dieser Narr im Schilde führt.“ Kalte Wut stieg in Rakul auf, als er an Tirist dachte, den neuen Erzmagier des grünen Turms. Er war es, der die Einberufung des großen Rates verweigert und so Rakul zur Handlungsunfähigkeit verdammt hatte. Als Meister des grünen Turms entzog er sich Rakuls Griff und so war er weiterhin von den Informationen abhängig, die ihm seine Agenten brachten. „Und ihre Anzahl sinkt. Perkles muss Erfolg haben, er muss den schwarzen Magier finden.“
Plötzlich kam Rakul ein erschreckender Gedanke. Was, wenn er den neuen Erzmagier des grünen Turms nicht würde umstimmen können. Würde er tatenlos zusehen müssen, wie die Barriere weiter zerfiel? Mit einem Seufzen wünschte sich Rakul in seine Jugend zurück, in ein einfacheres Leben, bevor das Schicksal ihn gefunden und zum Meister des Kristallturms gemacht hatte. Damals, vor so langer Zeit, daß es sich für ihn beinahe schon wie eine Ewigkeit anfühlte, waren seine Sorgen und Nöte von geringerer Natur gewesen. Hatte man genug Essen, um über den Winter zu kommen und genug Holz, um das Haus warm zu halten – das waren die Fragen, die sich ihm damals gestellt hatten.
Bis zu jenem Tag im Frühling, an dem er sich entschlossen hatte, trotz des aufkommenden Tauwetters auf den See zum Eisfischen zu gehen. „Was für ein Narr ich damals war. Ob sich meine magische Kraft wohl jemals offenbart hätte, wenn ich nicht in dem dünnen Eis eingebrochen wäre? Wie anders wäre dann wohl mein Leben verlaufen?“ Mit einem stillen Schmunzeln verwarf Rakul die Gedanken an seine Jugend. „Was geschehen ist, ist geschehen. Jetzt gilt es, nach vorne zu schauen.“ Seine Konzentration wieder auf die Bahnen der Monde richtend nahm Rakul den nächsten Buchband aus seiner Sammlung und vertiefte sich wieder in seine Berechnungen.
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Vorsichtig strich Lingard mit seiner Hand über das trockene Moos. Die Bruchstellen waren klar erkennbar, die Spur war keine zehn Minuten alt, er holte auf. Seit über einer Stunde folgte er den Mördern durch seinen Wald und sie würden ihm nicht entkommen. Es war Zufall gewesen, dass Lingard die Leiche des Waldwächters gefunden hatte, seinen Kopf von den Schultern getrennt. Die Mörder hatten sie gut unter den Wurzeln einer Morgenweide versteckt und die meisten Spuren recht geschickt verwischt. „Aber nicht geschickt genug!“ Wut kam in Lingard auf beim Gedanken an seinen toten Waffenbruder. Man hatte ihn nicht nur getötet, sondern auch seine Leiche verstümmelt, sie hatten ihn enthauptet. Jetzt folgte er der Spur der zwei Mörder, die sich offensichtlich in geschnürten Leinenschuhen ohne Profil oder Absatz durch den Wald bewegten. Anhand der Schrittweite konnte Lingard sehen, dass es sich um Frauen oder kleine Männer handelte, die sich mit kleinen aber schnell und präzise ausgeführten Schritten bewegten. Einerseits wussten sie, wie man sich bewegt, ohne viele Spuren zu hinterlassen, andererseits waren sie offensichtlich keine Waldläufer, dafür konnte er ihnen zu einfach folgen.
„Warum haben sie ihn enthauptet?“ Vielleicht wollten sie es so aussehen lassen, als ob er einem der Dunkelgeister zum Opfer gefallen war, die in der schwarzen Nacht Tod und Terror in ganz Meronis verbreitet hatten, aber dann hätten sie seinen Kopf verschwinden lassen müssen. Es ergab keinen Sinn. „Als ob die Dunkelgeister nicht schon schlimm genug waren.“ Die schwarze Nacht, wie sie von den Waldwächtern genannt wurde, hatte Hunderten Menschen das Leben gekostet, Kriegern wie Bauern, die Bestien hatten keine Unterschiede gemacht. Was Lingard dabei aber am meisten bestürzte war die Tatsache, dass weder der König noch die Sternensinger auf die Geschehnisse der Nacht zu reagieren schienen.
Es war nun schon der zweite Tag nach dem schrecklichen Vorfall und noch immer hatte Lingard keine Alarmhörner in den Städten gehört, keine königlichen Patroullien durch die Wälder streifen sehen und auch keine neuen Befehle für die Waldwächter erhalten. Es schien, dass das Königreich so weiterlebte, als ob es die schwarze Nacht nie gegeben hätte.
Plötzlich sah er aus den Augenwinkeln etwas Außergewöhnliches. Ein winziges Stück Stoff, kaum zu erkennen, hing an der Spitze eines hervorstehendenAstes. Die meisten Menschen hätten es selbst dann kaum gesehen, wenn man es ihnen gezeigt hätte, aber Lingard war kein gewöhnlicher Mensch. Die Waldwächter von Meronis gehörten zu den besten Spähern und Bogenschützen der Welt und Lingard konnte sich rühmen, einer ihrer Führer zu sein. Es gab nur wenige, die von sich behaupten konnte, ihren Langbogen auf Augenhöhe mit ihm führen zu können und es gab noch weniger, was seinen wachsamen Augen entging.
Vorsichtig nahm er den Stofffetzen von dem Ast und befühlte ihn prüfend mit seinen Fingern. „Schwarze Seide. Wer bei allen Monden läuft in schwarzer Seide durch meinen Wald? Wenn Lydia hier wäre, würde sie es mir sagen können.“ Mit einem Schmunzeln dachte er an seine ältere Schwester, die höfische Gewänder und seltene Stoffe über alles liebte. Obwohl sie so verschieden waren, war er keinem Menschen so verbunden wie ihr. Die Gedanken an seine Schwester ausblendend nahm er die Verfolgung der Mörder wieder auf. Sie bewegten sich nach Osten und hatten ihre Schritte beschleunigt, so als ob sie ahnten, dass sie verfolgt werden. Lingard ging in Gedanken den Weg durch, den sie eingeschlagen hatten. Er würde sie über einen kleinen Bach führen und in lichteres Gelände hin zur großen Handelsstraße. Bestärkt in seiner Vermutung, dass es sich keinesfalls um ortskundige Waldläufer handelte, sondern um Fremde, beschleunigte auch er seine Schritte, sie durften ihm nicht entkommen.
Ein leichter Südwind kam auf, selten zu dieser Jahreszeit, und strich langsam über die Blätter der Baumkronen. Ohne nachzudenken berechnete Lingard die Auswirkungen des Windes auf einen Bogenschuß bei verschiedenen Entfernungen, er würde die Mörder sofort beschießen, wenn sie in Sichtweite kamen. Es war nicht so, dass er den Nahkampf fürchtete, wie jeder Waldwächter war er gut ausgebildet mit Handaxt undParierdolch, doch bevorzugte er stets den Kampf mit der Waffe, die er meisterte wie kaum ein zweiter. Dann kam der Bach in Sicht, schon auf Entfernung konnte er Spuren im feuchten Sand vor dem Wasserlauf sehen. Plötzlich stockte er. „Zu offensichtlich!“ Die Männer, die er nun schon seit geraumer Zeit verfolgte, hatten sich stets geschickt bewegt und nur wenige Spuren hinterlassen, die offensichtlichen Fußabdrücke trugen die klare Handschrift einer Falle.
Fluchend legte er einen Pfeil in seine Sehne und lockerte einen Zweiten in seinem Köcher. Ein kurzer Blick zu seinem einfachen Waffengurt zeigte ihm, dass sowohl seine leichte Axt als auch der kunstvoll gearbeitete Parierdolch mit dem großen Handschutz leicht greifbar an ihren Plätzen waren. Dann verschmolz er mit dem Dickicht und wurde eins mit dem Wald. Nur wenige Menschen konnten von sich behaupten, derart geschickte Späher zu sein wie die Waldwächter von Meronis. Lautlos und nahezu unsichtbar bewegte sich Lingard durch die dichten Büsche auf den Bach zu, seine Augen geschärft auf der Suche nach den Attentätern. Stille hatte sich über die Lichtung gelegt, keine Tierlaute durchstießen das gleichmäßige Rauschen des Baches. „Sie sind hier, ganz nah.“
Das Aufrichten seiner Nackenhaare warnte Lingard vor der nahenden Gefahr, er konnte noch im gleichen Augenblick den Blick des Fremden auf seinem Rücken spüren und rollte sich in einer schnellen Bewegung zur Seite, ohne seinen Bogen los zu lassen. Ein metallischer Stern zischte durch die Luft und schlug in das Holz des Baumes ein, vor dem er noch vor Sekundenbruchteilen gestanden hatte. In einer fließenden Bewegung aus seiner Rolle heraus spannte er den Bogen und schoss noch im gleichen Augenblick, in dem er den Mann in Schwarz auf dem Ast der alten Buche sah. Sein Pfeil flog mit einen Zischen durch die Luft und traf den Mann direkt zwischen die Augen, er war sofort tot. Instinktiv rollte sich Lingard ein weiteres Mal, diesmal rückwärts und zog dabei seinen zweiten Pfeil, legte ihn in die Sehne und war bereit zum nächsten Schuss, noch bevor der Körper des Mörders den Boden erreicht hatte.
Das leise Geräusch des Aufschlags verriet den zweiten Mann in schwarz, als er von einem Baum hinter Lingard springend katzenartig auf dem Boden landete. Sofort löste der Waldwächter den Schuss und sah seinen Pfeil direkt auf den Köpf des Mörders zu fliegen. Doch dann geschah etwas, dass er nicht erwartet hatte. Ungläubig sah er, wie der Mann in Schwarz mit einer schnellen Bewegung seinen Kopf vor dem Pfeil wegdrehte und gleichzeitig das Geschoss mit seinem kurzen Schwert ablenkte. Er hatte noch niemals zuvor gesehen, dass jemand einem von einem Langbogen geschossenen Pfeil aus dieser Distanz ausweichen konnte, das Geschick und die unglaublichen Reflexe des Mannes, der nur seine Augen aus einer Gesichtsmaske preis gab, waren beeindruckend. Ohne einen zweiten Schuss abzuwarten stürmte der Mann mit erhobenem Schwert auf Lingard zu.
Einen der Flüche des alten Baumes murmelnd nahm er erneut Ziel. Er wusste, er hatte nur einen Schuss und keinerlei Ambitionen, dem offenbar sehr gut ausgebildeten Mörder im Nahkampf gegenüber zu stehen. Unter Anspannung all seiner Muskeln spannte er den Bogen schnell und kraftvoll bis zum Anschlag, den Kopf des anstürmenden Mannes im Visier. Dann, im letzten Moment, änderte er sein Ziel nach unten und entließ den Pfeil. Diesmal hatte der Attentäter keine Chance, zu schnell und kraftvoll flog Lingards Pfeil und traf ihn direkt in den Oberschenkel, wo er sein Schwert nicht hatte zur Abwehr einsetzen können. Mit einem Aufschrei ging der Mann zu Boden, herumgerissen von der Kraft des Aufschlags.
Vorsichtig betrachtete Lingard den verletzten Mann, der ihn mit hasserfülltem Blick aus seinen kalten Augen ansah. Er war nicht nur kein Mann des Waldes, sondern musste aus einem fernen Land kommen, zu fremd waren die Augen des kleingewachsenen Mörders. Die plötzliche Bewegung des Mannes kam nicht unerwartet für Lingard, er hatte seinen Bogen wieder geladen und in Anschlag, noch bevor der Angreifer etwas auf ihn werfen konnte. Zu spät sah er, dass es kein Angriff war, den der Mann ausführen wollte. In einer schnellen Bewegung hatte er sich mit seinem eigenen Messer die Kehle aufgeschnitten. Schockiert sah er auf den Mann, der in Sekunden vor ihm verblutete. „Fremdländische Mörder, die sich lieber selbst töten, als in Gefangenschaft zu geraten, was geschieht hier nur?“ Er hatte keine Zeit zu verlieren, er musste ihre Leichen sichern und dann mit Vecox sprechen, noch vor dem Aufbruch des Ersten Singers.
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Still beobachtete Bermon die Zeremonie, wie schon hunderte Male zuvor. Schauer jagten über seinen Rücken, während er dem übernatürlichen Gesang lauschte, der sich von dem Tempel der Sternensinger in die Nacht erhob. Es war das wundervollste Geräusch, das existierte, und kein anderer Gesang der Welt konnte sich mit ihm messen.
Die acht Podeste der Sterne waren heute Nacht mit den erfahrensten Singern besetzt und die Kristalle glühten in allen Farben des Spektrums. Schon bald würde er seinen Platz im Zentrum der Podeste einnehmen und die Vision empfangen. „Es wird immer schwerer werden, diese Narren zu täuschen. Zeit, dass ich aufbreche.“ Mit düsterem Blick sah er zu Vecox, der auf dem Podest des Nordens stand. Er war die größte Sorge des Ersten Singers, talentiert, intelligent und aufmerksam, all das, was Bermon gefährlich werden konnte. Dann war es soweit, der letzte der Kristalle begann zu leuchten unter dem Gesang der Sterne und die Podeste begannen, Wellen von Energie in die Nacht zu senden.
Wie betäubt von dem wundervollen Gesang und den machtvollen Energiewellen, die den Tempel der Sternensinger erfasst hatten, ging er langsam zu dem Podest, das dem Ersten vorbehalten war, inmitten der anderen acht. Mit einem großen Schritt betrat Bermon das Podest und erhob seine Stimme. Erst leise, dann immer lauter werdend stimmte er in den Gesang der anderen Sternensinger ein. Das Vibrieren des großen Kristalls über ihm wurde mit jedem Klang stärker, nur Minuten später fing er an zu Leuchten, gerade als der magische Gesang sein Crescendo erreichte.
Dann traf ihn das Licht der Sterne. Kanalisiert durch den Kristall des Ersten Singers wurde das Licht der hellsten Sterne der Nacht direkt auf Bermons Podest gelenkt, der magische Strahl versetzte seinen Körper umgehend in Trance. Langsam verließ sein Geist seinen Körper und begann in den Nachthimmel zu schweben, wie schon viele Male zuvor. Schnell ahnte er, wohin ihn die Vision führen würde, wie schon beim letzten Gesang erhob er sich immer höher in den Nachthimmel. Dann sah er es, die Barriere, die etwas Verborgenes verdeckte. Erschaffen aus stärkster Magie, unendlich mächtig und undurchdringlich legte sie sich über den Nachthimmel, um ein Geheimnis vor der Welt zu verbergen. Doch die magische Quelle, die die Barriere aufrecht erhielt, wurde schwächer. Vor seinen Augen wurde die Barriere immer dünner und bekam erste Löcher, durch die rabenschwarze Dunkelheit drang. Umgehend konnte Bermon das Gefühl drohender Gefahr spüren, die aus den Lücken der Barriere in den Nachthimmel strahlte, es war als würde irgendetwas versuchen, sich zu befreien, etwas Altes und Gefährliches. Dann endete der Gesang und mit ihm die Vision, genau so plötzlich wie sie begonnen hatte.
„Erster, ist alles in Ordnung?“ Die besorgte Stimme von Kalgar, einem der anwesenden Singer, drang langsam in Bermons Bewusstsein, während seine Sicht noch von den Lichtern der Sterne geblendet wurde. Die Vision war ungewöhnlich intensiv gewesen und er brauchte diesmal länger als sonst, um sich von den Nachwirkungen zu erholen. Zufrieden stellte er fest, dass er nicht gefallen war, sondern seinen Körper während der Vision hatte aufrecht halten können. Langsam ließ er sich von den andern Singern von seinem Podest zum Ruheraum führen, wo die Tempeldiener ihn mit warmen Tüchern wuschen und klares Wasser zur Erfrischung reichten.
Geduldig warteten die acht Singer, bis Bermon sich erfrischt hatte und in seinem seidenbezogenen Sessel zurücklehnte. Bermon konnte die Missgunst in Vecox Augen sehen, sein Kritiker hatte kein Verständnis für die Annehmlichkeiten, die er sich gönnte. „Was für ein Narr. Was nützen Macht und Einfluss, wenn man sie nicht nutzt, sein Leben angenehmer zu gestalten? Nach einem weiteren Schluck Wasser wandte er sich Vecox und den anderen zu. „Eine starke Vision. Sie bestätigt meine letzten Vermutungen, Gefahr droht von Norden, aus Valkall.“
Umgehend brach Stimmengewirr in dem kleinen Raum aus, als die Singer Bermons falsche Vision diskutierten. „Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass uns die Valkallischen Klans angreifen wollen. Seid ihr euch sicher, Erster?“ Vecox Stimme durchschnitt den Raum, augenblicklich verstummten alle anderen Gespräche. „Dieser Hund, er fordert mich offen heraus.“ Mit eisigem Blick starrte Bermon nun auf Vecox, der seinen Blick ebenso kalt erwiderte, die beiden Männer hätten niemals Freunde werden können. „Du zweifelst meine Fähigkeit an, die Vision zu deuten, Vecox?“ Langsam erhob Bermon sich aus seinem bequemen seidenen Sessel und stellte sich vor seinen Herausforderer. „Niemand von uns ist frei von Fehlern, Erster. Vielleicht sollte ich die nächste Vision empfangen. Wenn ich euch bestätige, werden die kritischen Stimmen verstummen.“ Nur mühsam konnte Bermon sich ein Grinsen verkneifen. Vecox war clever, nur wusste er noch nicht, dass er die nächste Vision nie erleben würde. „Also gut Vecox. Morgen breche ich wie geplant auf, um dem König zu berichten. Wenn ich zurück bin, wirst du die nächste Vision empfangen.“ Verdutzt sah ihm Vecox in die Augen, er hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass Bermon auf seinen Vorschlag eingehen würde. „Ich bin erschöpft und brauche Kraft für die Reise. Vecox wird den Tempel leiten, solange ich unterwegs bin. Und bis morgen früh erwarte ich keine Störungen.“
Unter den überraschten Blicken der anderen Singer verließ Bermon den Raum und ging in seine Kammer. Sollten sie sich doch darüber wundern, warum er seinem Feind die Leitung des Tempels übergeben hatte, keiner von ihnen würde lange genug leben, um seine wahren Absichten zu erkennen.
Er spürte die Anwesenheit von Fremden sofort, als er seine Kammer betrat. Eine angenehme Wärme ging von dem brennenden Kamin aus, vor dem ein bequemer Sessel aus bestem Bärenleder stand. Felle von weißen Wölfen bedeckten den Boden, auf dem neben dem Sessel noch ein luxuriöses Königsbett und ein edel verarbeiteter Ahorntisch samt Stühlen standen. Alles schien so wie immer, doch Bermon ließ sich nicht vom schlichten Schein täuschen. „Ich bin allein.“ Seine Worte waren an niemanden speziell gerichtet, doch wusste er, dass sie gehört wurden. Nur wenig später rollte sich eine schwarz gekleidete Gestalt geschickt unter dem Bett hervor und sprang in einer fließenden Bewegung auf seine Beine.
Der Mann, der nun vor ihm stand, war klein und komplett in schwarze Leinen gehüllt, nur seine Augen sahen aus einem Schlitz in seiner Gesichtsmaske auf den Ersten. Ein kurzes Schwert, das auf seinem Rücken befestigt war, schien die einzige sichtbare Waffe des Mannes zu sein, der ihn wortlos mit kalten Augen anstarrte. Das plötzliche Kribbeln in seinem Nacken ließ Bermon erschrocken herumfahren, überrascht sah er auf einen zweiten Mann in Schwarz, der sich lautlos und unbemerkt hinter ihm positioniert hatte. „Wie hat er das geschafft? Unglaublich.“ Der zweite Mann war etwas größer als der erste, aber immer noch klein nach Bermons Maßstab. Der einzige Unterschied zu dem ersten Mann war das lange Krummschwert, das auf seinem Rücken befestigt war. Der Griff aus schwarzem Tigerhorn, versetzt mit vier Edelsteinen, stand in krassem Gegensatz zu der sonst so unauffälligen Erscheinung der Männer, ohne Zweifel handelte es sich um eine besondere Waffe, möglicherweise sogar um ein magisches Artefakt.
„Karrek sagte, ihr habt Arbeit für uns.“ Die Stimme des Mannes verriet Bermon augenblicklich, das der Mann im nördlichen Teil von Begos aufgewachsen war. Bermon hatte ein gutes Verständnis für Klänge und Stimmen, so konnte er den grausamen kalten Klang des Fremden ebenso heraus hören wie auch, dass er die Wahrheit sagte. Schließlich konnte er dem gedungenen Mörder nicht länger in die Augen sehen. Sich abwendend setzte er sich in seinen gemütlichen Sessel. „Ich werde morgen aufbrechen und in die Hauptstadt reisen. Die anderen Singer in diesem Tempel dürfen bei meiner Rückkehr nicht mehr leben. Schlagt nicht direkt morgen zu, sondern wartet, bis man keine Verbindung mehr zu meiner Abreise ziehen kann. Ihr könnt euch Beute nehmen, wenn es euch beliebt, aber zerstört auf keinen Fall die Kristalle des Tempels, ich werde sie noch brauchen.“ Bermon hatte langsam und deutlich gesprochen, um sicher zu stellen, dass seine beiden Besucher alles richtig verstanden. Dann, als nach einer kurzen Pause keine Fragen kamen, drehte er sich zu den Männern um und sah in einen leeren Raum. Die Fremden waren genau so lautlos verschwunden wie sie gekommen waren.
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Schweiß rann Herm in Bahnen vom Gesicht. Seit beinahe einer Stunde folgte er Kira durch das, was sie als Formen des zweiten Shitsu bezeichnete. Vor zwei Tagen war es ihm das erste Mal gelungen, alle Übungen, die sie ihm in den letzten Wochen gezeigt hatte, fehlerlos zu durchlaufen. Die Übungen waren sehr nah an dem gewesen, was er in der Waffenausbildung bei seinem Vater und seinem Lehrer Martek gelernt hatte, daher war es ihm verhältnismäßig leicht gefallen, Kira zu folgen. Doch sein Stolz war nur von kurzer Dauer gewesen. Kira hatte ihm bereits kurz nach seinem vermeintlichen Erfolg verkündet, das er nun den Stand des ersten Shitsu erreicht habe und sie mit den Formen des zweiten Shitsu fortfahren würden. Das allein hatte noch nicht schlecht geklungen, bis er sie nach mehr Informationen über die Shitsu gefragt hatte. „Hätte ich bloß meine Klappe gehalten.“
Tatsächlich hätte Herm gut auf Kiras Vortrag über die verschiedenen Stufen der Kampfkunst verzichten können. Offenbar gab es sieben Shitsu, wobei die erste Stufe die unterste Basis schuf, die Kira bereits mit sieben Jahren gemeistert hatte. Wütend folgte er mit zusammengebissenen Zähnen Kiras nächster Form, die eine Verbiegung seines Körpers erforderte, welche seine Sehnen und Muskeln nur unter starken Schmerzen zuließen. „Bah, gemeistert mit sieben Jahren. Dafür konnte ich mit Sieben schon im Stehen pinkeln.“ Vermutlich hatte sie es ihm nur wegen ihrer schlechten Laune unter die Nase gerieben. Kira hatte es nicht gut aufgenommen, dass Ise sie begleiten würde und spätestens seit sie sich von Tyr und seinem Jagdklan an der großen Handelsstraße nach Meronis verabschiedet hatten, hatte sich ihre düstere Stimmung noch verschlimmert.
Herm hatte bereits früh gelernt, dass man schlecht gelaunten Frauen am besten aus dem Weg ging oder zumindest so wenig Angriffsfläche wie möglich bot, aber wie sollte er das tun? Allein mit ihr und Ise zusammen in der Wildnis waren es anstrengende Tage gewesen und er konnte es kaum erwarten, endlich Paitai zu erreichen. Die große Handelsstadt am Rand von Meronis war in allen Provinzen berühmt, sowohl für ihre umfangreichen Handelsmöglichkeiten als auch ihre Schönheit und er hatte sich fest vorgenommen, Paitai wenigstens einen Tag lang zu erkunden und zu genießen, so wie er es auch in Magystra getan hatte.
Ein schneller Blick zur Seite zeigte ihm das kleine Chamäleon, das seine Schulter für die Kampfübungen verlassen und einen Platz auf einem von der Sonne gewärmten Stein gefunden hatte. Herm hatte sich entschlossen, ihm den Namen Wandler zu geben und die kleine Echse hatte ihn zufrieden angenommen. Die Namensfindung für die große Reißerin hatte sich als schwieriger herausgestellt, sie hatte die meisten seiner Namen abgelehnt, bis er den richtigen gefunden hatte, Ketara. Der Name des legendären weißen Riesenadlers, der den alten Kaiser zu seiner Krönung getragen hatte, sagte seiner neuen Begleiterin zu seiner Erleichterung zu und somit konnte er seine beiden Freunde nun beim Namen rufen.
Wandler sandte Signale zufriedener Langeweile aus, während er in der Sonne lag, Ketara wiederum strahlte das Gefühl von Adrenalin durch den Bund auf Herm, sie war offensichtlich bei der Jagd. Herm wusste, dass er die riesige Bärin allein im Wald würde lassen müssen, wenn sie sich Paitai weiter näherten, ihr Auftauchen würde bei den Stadtwachen der Handelsstadt sicher nicht gut aufgenommen. Er würde sie in seiner Nähe vermissen, sowohl als Freundin als auch als Verbündete im Kampf.
Eine neue defensive Kampfform Kiras erforderte erneut Herms Aufmerksamkeit. Beinahe zu schnell um ihr zu folgen führte sie ihren Kampfstab in einem atemberaubenden Wirbel vor sich, während sie sicheren Schrittes rückwärts ging, Herms erster Versuch sie nachzuahmen endete damit, dass er patzte und den Griff auf seine Hellebarde verlor, die daraufhin in weitem Bogen durch die Luft flog und sich neben ihm in die Erde bohrte.
Unter dem strafenden Blick Kiras nahm er die Waffe wieder auf und folgte weiter ihren Formen, während seine Gedanken zu Marla schweiften. Noch bevor sie nach Meronis aufgebrochen waren, hatte Marla ihn zu einem Gespräch in ihr Zelt geladen, doch die erhofften Antworten hatte er nicht bekommen. Genau genommen hatte er nicht einmal eine Frage stellen können, stattdessen hatte ihm die alte Runenleserin lediglich eine alte Legende ihres Volkes erzählt. Der Legende nach gab es in den alten Zeiten viele Magier, die die Kunst verstanden, einen Bund mit einem Tier oder gar einer Bestie einzugehen, doch dann verschwand das Wissen um diese Kunst wie auch um viele andere Künste, und die Menschheit wurde in die Zeit des Vergessens geführt. Der Sage nach würde die Zeit des Vergessens enden, wenn das alte Wissen wiedererlangt würde. Ein Auserwählter würde die Zeit des Erwachens bringen und die Welt zurück ins Gleichgewicht führen. Das war eine schöne Legende, wie man sie gerne am Lagerfeuer erzählte, doch Herm half es nicht weiter, er war nun genauso schlau wie zuvor.
Schließlich beendete Kira ihre Übung mit einem finalen Schlagwirbel, dessen Bestandteile so komplex waren, dass Herms mühsame Kopie nicht einmal im Ansatz an ihr Original herankam. „Morgen werden wir an deiner Beinstellung arbeiten, du bist zu oft außer Balance.“ Kiras Kritik zum Ende der Übungsstunde hatte inzwischen Tradition, meist war sie knapp, präzise und brutal ehrlich. In dieser Beziehung ähnelte sie Martek, nur das sein alter Lehrer auch öfters mal ein aufmunterndes Wort für ihn übrig gehabt hatte, wenn ihm etwas gut gelang, dieser Teil schien allerdings an Kira vorbeigegangen zu sein.
„Wenn wir direkt weitergehen, schaffen wir es noch vor Anbruch der Dunkelheit zum Kupferkessel.“ Ise hatte ihr Training still verfolgt und dabei einige Tücher am Feuer gewärmt, wie an jedem Tag ihrer Reise. Dankbar nahm Herm eins der Tücher und wusch sich den Schweiß ab, bevor er etwas Wasser trank. Zähneknirschend sah er zu Kira, die kaum geschwitzt hatte und nur leicht ihr Gesicht abtupfte. „Wie macht sie das nur?“ Herm befand sich selbst in ausgezeichneter Form und trotzdem hatte die Übungsstunde alles von ihm abverlangt, er würde nie verstehen wie Kira nach so einer Verausgabung noch immer so frisch aussehen konnte.
„Also gut, dann sollten wir direkt losgehen.“ Ohne Herms Meinung abzuwarten packte Kira ihren Rucksack und ging wieder zur großen Handelsstrasse, die sie für ihr Kampftraining verlassen hatten. Seufzend folgte er ihr zusammen mit Ise, die wortlos neben ihm ging. Die rothaarige Schönheit hatte in den letzten Tagen nicht viel gesprochen, wie ein stiller Schatten hatte sie Herm und Kira auf ihrem Weg begleitet. Dabei hatte sie Kiras schlechte Laune und die offensichtliche Spannung zwischen ihr und Herm geflissentlich ignoriert, wofür Herm dankbar war.
Ein leichter Südwind blies Herm ins Gesicht, als er wieder auf die Strasse trat. Das Klima war milder geworden, je weiter sie in den Süden gekommen waren und so hatten sie ihre Fellschuhe und Umhänge verpackt und reisten nun leichter gekleidet. Herm hatte Meronis bereits gesehen, als er zur Prüfung des roten Turms gereist war, doch damals hatte er sich nicht viel mit seiner Umgebung beschäftigt. Dieses Mal hatte er sich vorgenommen, aufmerksamer zu reisen und so sah er fasziniert auf die immer öfter auftretenden riesigen Bäume, deren Wipfel bis zu fünfzig Meter hoch in den Himmel ragten. „Was für gewaltige Riesen, ihre Wurzeln müssen dutzende Meter in den Boden ragen.“ Im Süden Kaldarras gab es auch Wälder, doch die waren kein Vergleich zu diesem Wald, in dem sie immer tiefer nach Meronis eindrangen. Und so ließ Herm es sich trotz des zügigen Tempos, das Kira auf ihrem Marsch vorlegte nicht nehmen, die Tier- und Pflanzenwelt ihrer neuen Umgebung genauer anzusehen. Schnell fand er Kräuter, die sich zum Kochen eigneten wie auch einige die die Heilung unterstützen konnten, die Wälder von Meronis schienen ein Paradies für Kräuterkundige zu sein.
Schließlich führte die Strasse über eine leichte Anhöhe, auf deren Scheitel angekommen sie zum ersten Mal Paitai sehen konnten. Der Anblick der gewaltigen Baumstadt verschlug nicht nur Herm den Atem, zum ersten Mal seit langer Zeit hielt auch Kira inne und nahm die Sicht auf die beiden gigantischen Lebensbäume und die auf und um sie herum gebauten Gebäude langsam in sich auf. Nur Ise schien unbeeindruckt von dem einmaligen Bild, das sich vor ihnen ausbreitete. „Dort unten ist der Kupferkessel. Heute Abend gibt es warmes Essen und ein trockenes Lager.“ Mit einer Handbewegung deutete sie auf ein großes Holzgebäude, das einige Kilometer vor der Stadt am Rand der Straße lag. Ein Stall und ein Wachturm waren an das Gebäude angegliedert, das gemessen an der Anzahl der Pferde im Stall offensichtlich gut besucht war. Drei Wachen mit Speeren und Langbögen bemannten den kleinen Wachturm und sahen ungewöhnlich nervös aus, wenn man bedachte das die Wache an einem so unwichtigen Ort nahe an einer großen Stadt eher ereignislos sein sollte.
Zielgerichtet wanderten sie gemeinsam zu der großen Taverne, an der gerade eine kleine Handelskarawane anhielt, um ebenfalls einzukehren. „Beinahe zwei Dutzend Pferde im Stall, wir werden nicht auffallen.“ Zufrieden sah Herm auf den vollen Stall und die anderen einkehrenden Reisenden. Doch ein weiterer Blick, diesmal auf seine Gefährten, zerstörte seine Hoffnung. Kira trug wieder die fest geschnürten Leinen aus Begos, die sie schon aus großer Entfernung als Fremde kennzeichneten. Ises Erscheinung war nicht weniger auffällig, ihre Größe gepaart mit ihrer Schönheit und dem leuchtend roten wallenden Haar sowie der valkallischen Fellkleidung würden jeden Versuch, in der Menge unterzutauchen unmöglich machen. „Unterwegs mit zwei Leuchttürmen, jeder der uns sucht wird uns im Handumdrehenfinden.“ Still seufzend betrat er den Kupferkessel, seine zwei Begleiterinnen dicht hinter ihm. Der große Innenraum der Taverne war gut gefüllt mit Reisenden und Händlern, so wie Herm es erwartet hatte. Zu seinem Leidwesen verstummten die vielen Gespräche in dem Raum umgehend, als sich alle anwesenden Augen auf ihn, Kira und Ise richteten. „Wein und frisches Brot für mich und meine Begleiterinnen. Wir sind auf der Reise zum roten Turm, um die Prüfungen abzulegen.“ Mit Erleichterung sah Herm, wie die Gespräche wieder aufgenommen wurden und eine Schankmagd herbei eilte, um einen leeren Tisch abzuwischen. Sie hatten lange überlegt, welche Geschichte sie zur Tarnung erzählen würden und er war froh, dass er sich mit seiner Idee durchgesetzt hatte. Es gab kaum einen anderen glaubwürdigen Grund, warum ein Mann aus Kaldarra zusammen mit einer Frau aus Valkall und einer aus Begos nach Paitai reisen würden.
Schließlich setzten sie sich und begannen stumm, das Brot zu essen. Es war frisch und noch warm, der Kupferkessel legte offenbar Wert auf Sauberkeit und gutes Essen. Heute Nacht würde er gut schlafen, in einem trockenen und warmen Raum, gut gesichert von bewaffneten Wachen. Es war eine gute Idee von Ise gewesen, als sie die Übernachtung in dem großen Gasthaus vorgeschlagen hatte, sie würden morgen frisch und ausgeruht nach Paitai gehen können. Etwas besser gelaunt nahm Herm einen langen Schluck aus seinem Weinkelch, der Wein schmeckte ausgezeichnet.
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Mit ruhigen Schritten ging Lingard auf den Kupferkessel zu. Er hatte die Leichen der Mörder sorgsam versteckt, es galt nun bedacht und gut überlegt zu handeln. Es war sicher kein Zufall, dass fremde Attentäter so kurz nach der schwarzen Nacht in Meronis auftauchten. Das Fehlen jeglicher Aktivitäten des Königs und der Sternensinger verdüsterte das Bild nur weiter, er musste unbedingt mit Vecox reden und herausfinden, was in seinem Wald vorging.
Doch vorher musste er noch nachsehen, ob der Wirt des Kupferkessels eine Nachricht für ihn hatte. Er hatte diesen Weg des Nachrichtenaustauschs mit Vecox eingeführt, nachdem Bermon erster Singer im Tempel geworden war. Lingard traute Bermon genau so wenig wie Vecox es tat, aber als Waldwächter konnte er nicht ständig in die Stadt gehen, um sich mit seinem alten Freund auszutauschen. Sie schickten sich stattdessen Nachrichten zu, indem sie Briefe im Kupferkessel hinterließen und so wollte Lingard zuerst die Taverne nach einer Nachricht für ihn überprüfen, bevor er in die Stadt ging.
Als er die Tür zum Innenraum öffnete, zeigte er sich ihm erwartungsgemäß gut gefüllt mit frühstückenden Gästen. Es war noch früh am Morgen, doch die meisten Reisenden, die im Kupferkessel eine letzte Rast einlegten, bevor sie in die Stadt gingen, versuchten möglichst früh aufzubrechen. Verschiedene Händler saßen mit ihren Bediensteten und Wachen an den zahlreichen Tischen und ein begrüßendes Kopfnicken des Schankwirts lud ihn an die Theke ein. Den Gruß kurz erwidernd ging er zur Theke, wo Schmek ihm bereits einen Krug frischen Wassers hingestellt hatte. Schmek war der Bruder des alten Schankwirts, der die schwarze Nacht wie so viele Andere nicht überlebt hatte. Zu Lingards Glück hatte er keine Schwierigkeiten damit, seinen Nachrichtenaustausch mit Vecox weiter zu führen wie sein Bruder zuvor und so nahm Lingard wortlos den gefalteten Brief von Schmek entgegen und steckte ihn ein. Er würde ihn später lesen, in einer privateren Umgebung, außerdem würde er Vecox heute Abend sowieso noch sehen. „Und dann trinken wir einen guten Schluck Pflaumenwein aus Keldur, den du mir noch schuldest, mein alter Freund.“ Mit einem Grinsen dachte Lingard an seine Wette mit Vecox, die er gewonnen hatte. Genau genommen hatte er noch nie eine Wette verloren, wenn es um sein Talent mit dem Langbogen ging.
Einen weiteren Blick in den Gastraum werfend stockte ihm plötzlich der Atem. Etwas abseits der anderen Gäste saß eine Gruppe von drei Fremden, die im Kupferkessel so fehl platziert wirkten wie eine Eisspinne in der Wüste. Eine der Fremden stammte ohne jeden Zweifel aus Begos und die Ähnlichkeit ihrer geschnürten Leinenkleidung mit der Kleidung der Attentäter war unübersehbar. Sofort schlugen sämtliche Alarmglocken in seinem Kopf an. Er hatte schon seit Monaten keine Reisenden mehr aus Begos gesehen, und die kleine schwarzhaarige Frau war mit Sicherheit genau so wenig eine Händlerin wie die maskierten Mörder, die ihn im Wald hatten töten wollen.
Die drei Fremden hatten ihr Frühstück beinahe beendet und würden sicher bald aufbrechen, er würde sich schnell entscheiden müssen, ob er ihnen folgen wollte oder nicht. Dann wurde plötzlich die Tür zur Taverne laut aufgeschlagen, gerade als die Fremden von ihrem Tisch aufstanden. Ein südländisch aussehender Mann mit schwarzen Haaren, gekleidet in dreckige Lumpen, stand in der Türöffnung und schrie laut in die Taverne hinein. „Die Zeit des Erwachens ist gekommen. Hört das Orakel, das Vergessene wird zurückkehren.“ Lingard hatte schon von den Verrückten gehört, die in den letzten Wochen aus Alterra nach Norden gekommen waren und jedem, der es hören wollte oder nicht ihre Wahnvorstellungen zuschrieen. Er hätte keinen weiterenGedanken an den Verrückten verschwendet, wenn er nicht noch einmal zu den Fremden gesehen hätte. Ihre stille Zurückhaltung war einem aufgeregten Getuschel gewichen, erstmals drehte sich nun auch die rothaarige Frau aus Valkall um und sah mit aufgeschrecktem Blick zu dem Mann an der Tür, der nun von einem der Rausschmeißer wieder unsanft nach draußen befördert wurde.
Lingard wusste, dass er seinen Blick wieder von den Fremden nehmen musste, wenn er nicht auffallen wollte, doch der Anblick der großgewachsenen rothaarigen Barbarin ließ ihn erstarren. „Beim großen Baum, was für eine Schönheit.“ Lingard war es schon immer einfach gefallen, Eindruck bei Frauen zu hinterlassen und hatte auch schon so manches Herz meronischer Schönheiten an romantischen Plätzen unter dem Licht der drei Monde gewonnen. Aber noch niemals zuvor hatte er eine dermaßen eindrucksvolle Frau erblickt. Das lange rote Haar, die muskulöse Figur, der große weibliche Busen, all das ergab ein außergewöhnliches Gesamtbild. Am meisten aber beeindruckten ihn die stahlharten Augen der Frau, die von eiserner Disziplin und Kampfeswillen zeugten. Obwohl die in Fellen gekleidete Barbarin nur einen langen Dolch und eine Peitsche bei sich trug, wusste Lingard umgehend, dass sie eine Kriegerin war. Dann trafen sich ihre Blicke und er versank in den blauen Ozeanen ihrer Augen. Wie gebannt hielt er ihrem Blick stand, bis sie sich schließlich abwandte und zusammen mit ihren zwei Begleitern und ihrem Gepäck aus der Taverne ging. „Narr!“ Umgehend wurde ihm bewusst, dass es nun weit schwieriger werden würde, ihnen zu folgen. Und doch hatte er seine Entscheidung getroffen. Die Fremden würden in die Stadt gehen und wenn sie etwas mit den Mördern seines Waffenbruders zu tun hatten, würden sie ihm nicht entkommen.
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Mit staunenden Augen ging Kira über die hölzerne Brücke, die wenigstens fünfzig Meter über dem Boden zwischen zwei gigantischen Bäumen hing. Die Baumstadt Paitai war schon auf Entfernung ein atemberaubender Anblick gewesen, aber nichts im Vergleich zu dem Gefühl, die schier endlosen Ebenen der Stadt über die zahllosen Brücken zwischen den Bäumen zu durchwandern.
Außerhalb der weißen Blume gab es auch einige kleine Berge, die zu besteigen ein ähnlich kribbliges Gefühl gegeben hatten und doch war es anders. Hier war sie nicht allein auf einem schmalen Gebirgspfad, hier war sie inmitten einer Stadt, in der Handel getrieben wurde, Männer in schwindelerregender Höhe ihrem Handwerk nachgingen und Reisende die titanischen Bäume bestaunten. Herm, der nur wenige Meter hinter ihr ging, schien ebenso gefesselt von seiner Umgebung wie sie selbst, nur Ise ging wie gewohnt emotionslos und unbeeindruckt durch die sagenhafte Stadt.
Sie hatten sich von einem Brothändler, bei dem sie einen frischen Laib dunklen Brotes erstanden hatten, den Weg zum Tempel der Sternensinger erklären lassen, doch langsam zweifelte Kira daran, dass sie ihn noch vor Sonnenuntergang erreichen würden. Aus der Entfernung heraus hatte es leicht ausgesehen, zum Tempel zu gelangen, schließlich überragte er unübersehbar den Rest der Stadt. Doch nun, inmitten des Gewirrs von Plattformen, Brücken und dichtem Handelsverkehr stellte sich der vermeintlich leichte Weg als zähflüssig und lang dar.
Plötzlich spürte Kira ein Kribbeln im Nacken. Das seltsame Gefühl, den Blick eines Fremden auf sich gerichtet zu haben, ließ augenblicklich ihren inneren Alarm läuten. Sie war fremd hier, vermutlich die einzige Frau aus Begos im ganzen Reich Meronis und so wunderte es sie nicht, dass sie von vielen der Einheimischen angestarrt wurde, aber das war etwas anderes. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie verfolgt wurden und sie hatte in den letzten Monaten gelernt, ihrem Bauchgefühl zu vertrauen.
Blitzschnell drehte sie sich um und starrte aufmerksam in die Menge. Händler und Reisende gingen auf dem Weg, den sie auch eingeschlagen hatten. Einige Männer in waldfarbener Lederrüstung mit extrem großen Langbögen schienen neben den dünn gesäten Soldaten des Königs die einzigen Krieger in Sichtweite zu sein. Doch niemand starrte zu ihr, keiner der Männer und Frauen in Sichtweite schien sie zu beobachten.
„Ich habe es auch bemerkt, Kira. Jemand folgt uns, jemand der sehr geschickt darin ist.“ Sprachlos sah Kira zu Ise, die gesprochen hatte, ohne sich umzudrehen. Sie hatte die valkallische Frau stets nur als Magierin gesehen, die einen Großteil ihrer Zeit damit vertat, ihr gutes Aussehen zu pflegen, doch das war offensichtlich ein Fehler gewesen. Wenn sie noch vor Kira bemerkt hatte, das man sie verfolgte, war ihre Wahrnehmung außergewöhnlich. Verwirrt blieb nun auch Herm stehen und sah zu Ise. „Verfolgt, jetzt schon? Wir sind gerade mal einen halben Tag in Paitai und werden schon verfolgt?“
Mit einem Schulterzucken wandte sich Kira zu Herm. „Du hast dir in nur wenigen Wochen etwa fünfzigtausend Valkaller zum Todfeind gemacht, mich wundert nur das du uns hier noch nicht an den Galgen gebracht hast.“ Sein säuerlicher Blick zeigte ihr, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte, aber jetzt war nicht die Zeit für Entschuldigungen. „Wir können es momentan sowieso nicht ändern. Und so wie wir auffallen, können wir uns auch nicht verstecken. Gehen wir erst einmal weiter zum Tempel, möglicherweise können wir dort sicher übernachten.“ Ohne eine weitere Diskussion abzuwarten, nahm Kira wieder den Weg auf.
Der weitere Aufstieg zu den höheren Ebenen der Baumstadt erwies sich als noch beschwerlicher, als Kira befürchtet hatte und so ging die Sonne bereits am Horizont unter, als sie den Tempel erreichten. Immer wieder hatte sie versucht, ihren Verfolger zu erspähen, doch ohne Erfolg. Wer auch immer es war, er verstand eine Menge davon, sich unauffällig zu bewegen. Einen Moment lang hatte sie befürchtet, dass es einer der maskierten Attentäter sein könnte, die sie aus Begos verfolgt hatten, doch dann hatte sie den Gedanken verworfen. In die Eisebenen Valkalls war ihnen sicher keiner von ihnen gefolgt und somit würde das Auftauchen der Mörder in Meronis auch keinen Sinn machen.
Schließlich erreichten sie die oberste Ebene vor dem Tempel und sahen auf die lange hölzerne Brücke, die sie zum Tempel hätte bringen können, wenn sie nicht von der anderen Seite eingezogen worden wäre. Offenbar waren sie bereits zu spät, es würde heute keine Audienzen mehr geben. Frustriert setzten sie sich für einen Moment auf die Plattform und starrten hinüber zum Tempel, während sich Dunkelheit über Paitai legte. Die meisten Gasthäuser waren auf den unteren Ebenen, sie würden einen Teil des Weges wieder zurück gehen müssen.
Plötzlich stutzte Kira. Obwohl sich Dunkelheit über den Tempel gelegt hatte, war sie beinahe sicher, dass sie eine Bewegung etwas unterhalb der großen Plattform gesehen hatte, auf der das gewaltige Bauwerk stand. Der Tempel bestand aus einer riesigen Kuppel, deren Dach den Erzählungen nach ein Loch in der Mitte hatte, durch das die Singer die Sterne sehen konnten, wenn sie ihre Rituale durchführten. Neben der Kuppel befanden sich mehrere kleinere Gebäude, die vermutlich hauptsächlich der Unterbringung der Singer und Tempeldiener dienten, nicht unähnlich ihrem alten Kloster in Struktur und Aufbau. Das Herausragendste aber beim Anblick des Tempels war die Tatsache, dass der große Kuppelbau in einem Stück gewachsen zu sein schien. Hunderte und Tausende kleiner Äste und Kletterpflanzen bildeten die Struktur des einzigartigen Baus, dessen Anblick sicher schon so manchem Reisenden die Sprache verschlagen hatte. Doch jetzt interessierte sich Kira nicht für das außergewöhnliche Bauwerk, sondern die Schatten, die sich beinahe unsichtbar an der Unterseite der Plattform entlang bewegten. Mit einer schnellen leisen Bewegung signalisierte sie Herm und Ise, was sie gesehen hatte. „Seht da drüben, die Sternensinger bekommen Besuch. Und der ist sicher nicht für eine Audienz angemeldet.“
Sprachlos sahen sie, wie sich mehrere in schwarze Leinen gekleidete Gestalten auf die Plattform des Tempels zogen und lautlos durch die Schatten zu den Gebäuden neben der großen Kuppel bewegten. „Das sind die Attentäter, dieselben wie in der weißen Blume und Magystra. Wir müssen da rüber und zwar schnell.“ Mit verbissenem Gesichtsausdruck sah Kira zu der ihnen gegenüber liegenden großen Plattform, sie hatte noch eine offene Rechnung und viele Fragen, es wurde Zeit für einige Antworten.
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Ratlos sah Herm zu der großen Plattform, die wenigstens fünfzig Meter von ihnen entfernt war. Kiras Aufforderung war an ihn gerichtet, aber wie sollte er es bewerkstelligen? Ein Blick zum Himmel zeigte ihm den schwarzen Mond auf halber Fülle, er würde magische Kraft beziehen können, aber nicht zu viel.
Dann erinnerte er sich an die Höhle und Marlas Prüfung. „Wer sagt denn, dass ich nur Waffen aus dem Nichts erschaffen kann?“ Langsam atmete er ein und begann konzentriert, die Energie des schwarzen Mondes in sich aufzunehmen. Das Kribbeln seines Körpers zeigte ihm, dass er bereit war und begann, an eine Brücke zu denken. Diesmal war es anders als in Marlas Prüfung, diesmal erschuf er nicht instinktiv ohne nachzudenken, sondern tat es bewusst. Fasziniert sah er, wie sich ein schwarzer glänzender Strahl von seiner Position aus bogenförmig zu dem Tempel der Sternensinger bewegte, schließlich fest wurde und erstarrte. Er hatte eine Brücke geschaffen, aus dem Nichts.
Unsicher sah er zu Kira und traf ihren erstaunten Blick. Sprachlos sah sie erst die Brücke und dann ihn an, bis Ise die Stille brach. „Außergewöhnlich. Wenn das hier vorbei ist, musst du mir zeigen, wie du das gemacht hast.“ Dann stürmte sie ohne eine Antwort abzuwarten auf die andere Seite.
Ein kurzer Blickkontakt mit Kira, dann rannten sie gemeinsam hinter der rothaarigen Magierin über die von Herm geschaffene Brücke, während er inständig hoffte, dass sie sich nicht plötzlich auflösen würde. Erleichtert setzte Herm seinen Fuß auf den hölzernen Boden der großen Plattform, als er sie erreicht hatte. Angestrengt sah er in die Dunkelheit und versuchte erfolglos, die maskierten Gestalten zu erkennen, die Kira gesehen hatte. Stille lag über dem Tempel und seinen Nebengebäuden, keine Bewegung war zu erkennen. „Zu still, Kira hatte recht.“ Der Abend war noch jung, Herm würde erwarten dass zumindest einige wenige Singer noch einen Spaziergang machten oder Diener zwischen den Gebäuden hin und herliefen. Doch es passierte nichts dergleichen, regungslose Stille hatte sich über den Tempel gelegt.
Kira deutete auf das größere der Nebengebäude und flüsterte ihnen zu, während sie ihren Leinengurt straff zog und in eine geduckte Kampfhaltung wechselte. „Die Schatten, die ich sah, gingen zu dem großen Gebäude dort, dass an die Kuppel anschließt. Bestimmt sind dort die Wohnräume der Singer.“ Mit einem Nicken stimmte auch Ise zu und folgte Kira zu dem großen mehrstöckigen Holzgebäude. Herm spürte im gleichen Augenblick die magische Aura um Ise, als er sie auch sehen konnte. Ein dunkelroter Schimmer umgab die vollbusige Schönheit, die nun eine dreischwänzige Peitsche aus ihrem Rucksack holte und kampfbereit in die rechte Hand nahm. „Soviel zum Thema Unauffälligkeit. Sicher nicht die Stärke einer roten Magierin.“ Ise hatte ihre Aura so dunkel wie nur möglich gehalten, trotzdem waren die Flammen, die sie nun umgaben in der Dunkelheit sicherlich auf einhundert Meter zu erkennen. Eine kurze Konzentration auf seine eigene magische Kraft, dann folgte er den beiden Frauen, einen schwarzen Schild vor sich schwebend und seine Yamasu fest in den Händen.
Als sie die Eingangstür erreichten, bestätigte sich Kiras Verdacht auf grausame Weise. Ein Mann in den weißen Roben der Tempeldiener lag mit abgetrenntem Kopf in der Eingangshalle des Gebäudes. Noch in derselben Sekunde, als Herm den grausigen Fund machte, stieß Kira ihn plötzlich heftig zur Seite und rollte sich in derselben Bewegung über ihn ab. Der Aufschlag von zwei metallischen Objekten in den Boden, wo Kira und Herm gerade noch gestanden hatten zeigte, dass dieAttentäter den Eingang nicht unbewacht gelassen hatten. Ein drittes Wurfobjekt schlug gegen Ises rotes Schild und blieb in ihm stecken, es wäre ihr direkt in die Stirn eingeschlagen, wenn ihre magische Verteidigung sie nicht gerettet hätte.
Mühsam rappelte Herm sich wieder auf und sah angestrengt in die Dunkelheit, ohne einen der Angreifer sehen zu können. Gerade als Kira in ihrer geduckten Kampfhaltung vorstürmen wollte, schoss es ihm durch den Kopf. „Es macht keinen Sinn. Sie wissen doch, dass wir Magier sind.“ Im letzten Moment packte er ihren Ärmel. „Warte, es ist eine Falle.“ Verdutzt sah Kira ihn an, hielt dann aber inne und sah ihn abwartend an. Seine Augen schließend konzentrierte er sich und versuchte, die anwesende magische Kraft wahrzunehmen. Schnell spürte er seine eigene Kraft, die in seinem Zentrum lag, kurz darauf auch die von Ise. Ihre Kraft war anders und fühlte sich fremd an und doch konnte er sie spüren. Dann spürte er eine weitere Kraft, stark und fremd. Sie fühlte sich faul an, wie eine verdorbene Frucht – und sie war direkt hinter ihnen.
Umgehend drehte Herm sich herum und sah auf eine Gestalt, deren Anblick ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Obwohl er noch etwa zehn Meter entfernt war, konnte er den brennenden Blick des Mannes spüren, den er aus seinen schwarz glänzenden Augen Herm entgegen warf. Es war derselbe Magier, den Herm schon in Magystra getroffen hatte und doch war es nicht mehr derselbe Mensch. Wo vorher sein linker Arm gewesen war, zeigte sich nun der unnatürliche schwarz beschuppte Arm eines Monsters, der besser zu den schwarzkalten Augen der Gestalt passte wie der Rest seines Körpers. Die rechte Hälfte seiner Robe war noch grün, so wie Herm es in Erinnerung hatte, die linke Hälfte jedoch war nun schwarz und mit einem unnatürlichen Glitzern belegt.
Noch in demselben Moment, in dem Herm die monsterhafte Gestalt des Magiers wahrnahm, erschien wie aus dem Nichts eine zweite Gestalt und sprang auf ihn zu. Es war einer der maskierten Männer in schwarz, der ein langes Krummschwert mit edelsteinbesetztem Griff zum tödlichen Angriff über seinen Kopf hielt. Ise reagierte als Erste und schoss einen Strahl aus Feuer auf den Angreifer, der ihn unter normalen Umständen verzehrt hätte. Atemlos und wie in Zeitlupe sah Herm, wie der Mann in schwarz das magische Feuer vor sich mit seinem Schwert teilte und unbeschadet weiter auf ihn zukam. „Eine magische Waffe, wie meine Hellebarde.“ Noch bevor Herm seine Waffe kampfbereit heben konnte, sprang Kira zwischen ihn und den maskierten Mann. Ohne nachzudenken übernahm Herm das Kommando. „Ise, du sicherst hinter uns, in der Vorhalle sind wenigstens drei. Kira nimmt den mit der magischen Waffe und ich kümmere mich um den Magier.“
Das Gesicht des Zauberers änderte sich zu einer lächelnden Maske, aber keine Freude war in seinen kalten Augen zu sehen, nur das Versprechen auf den Tod. „Man sagte mir, ich darf dich nicht töten. Aber sicherlich wird niemand etwas dagegen haben, wenn ich mich für meinen Arm revanchiere.“ Noch in demselben Moment, in dem Herm seinen schwarzen Schild verstärkte und sein Gegner seinen Satz gesprochen hatte, startete er auch schon seinen Angriff.
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Die Wucht der Attacke ließ Herm augenblicklich einige Meter zurück taumeln. So hart war der unsichtbare Griff des Magiers auf seinen Schild, dass er ihn nur unter größter Konzentration aufrecht halten konnte.Herm spürte sofort, dass sein Angreifer gegenüber ihrem letzten Treffen deutlich stärker geworden war. Es war nicht nur die Stärke des Angriffs, die ihn irritierte, sondern auch die Magie selbst. Auch wenn die Magie des grünen Mondes für ihn fremd war, so konnte er sie dennoch einordnen. Doch die Magie, die ihn nun angriff war verändert und fühlte sich unrein an, dafür umso stärker.
Ein kurzer Blick hinter ihn zeigte Herm, dass es für seine Verbündeten ebenfalls nicht zum Besten stand. Ise hatte mehrere Feuerbälle in die Vorhalle des Gebäudes geschossen, doch dann waren zwei Attentäter vom Dach auf sie herab gesprungen und hatten ihren Schild beinahe mit der Wucht ihres Aufpralls zerschlagen. Jetzt taumelte die große Magierin rückwärts, während die Attentäter mit großen gebogenen Zweihandschwertern weiter auf ihren Schild einschlugen. Kira wiederum befand sich in einem direkten Zweikampf mit dem Mann, der vermutlich der Anführer der maskierten Männer war. Abseits vom Rest des Kampfes bewegten sich die zwei Kämpfer in atemberaubender Geschwindigkeit durch ihre Kampfformen und schienen jegliches Geschehen um sie herum dabei auszublenden. Am erschreckendsten für Herm war jedoch die Tatsache, dass sich Kira in der Defensive befand und immer weiter vor dem Mann mit dem magischen Schwert zurückwich.
Ein kratziges Lachen verließ die Kehle des grünschwarzen Magiers, als er seinen Druck auf Herms Schild weiter erhöhte, Herm spürte, dass er ihm nicht mehr lange widerstehen konnte. Schnell ging er im Kopf seine Optionen durch. Wenn er weiter Energie in seinen Schild lenkte, würde der Rückstoß ihn töten, falls es seinem Gegner gelang, den Schild zu brechen. Ein offensiver Zauber kam nicht in Frage, solange er es kaum schaffte, seinen Schild aufrecht zu erhalten. Umgehend wünschte er sich, dass sein neuer großer Freund bei ihm wäre, der riesige Reißer würde ihm die Zeit verschaffen, die er brauchte. Schließlich gestand er sich ein, dass er keine andere Wahl hatte, er musste seinen Schild aufgeben. „Jetzt zählt nur die Geschwindigkeit. Ist er schneller als ich, bin ich tot.“
Mit einer konzentrierten Bewegung seiner Arme versuchte Herm schließlich das Unmögliche. In demselben Augenblick, in dem er seinen Schild aufgab, lenkte er die bis dahin verwendete Energie in ein schwarzes Netz um, dass er auf seinen Gegner schoss, während er einen kleinen Teil dazu verwendete, eine schwarze Mauer vor sich zu errichten.
Das laute Fluchen des schwarzäugigen Magiers zeigte ihm den erhofften Erfolg seiner Aktion. Offensichtlich hatte sein Gegner auf einen bestimmten Punkt seines Körpers gezielt und konnte den Angriff nicht aufrecht erhalten, nachdem ihm die von Herm geschaffene schwarze Wand die Sicht auf ihn nahm. Doch nun konnte Herm seinen Gegner auch nicht mehr sehen und er hatte wenig Hoffnung, dass sein Netz-Angriff ausreichend gewesen war, um ihn auszuschalten. Einige Meter links von ihm befanden sich Kira und der Mann in schwarz noch immer in ihr tödliches Duell verstrickt, für einen kurzen Moment verweilte Herms Blick auf dem atemberaubenden Anblick. Die Angriffe des maskierten Mannes kamen mit einer derartig großen Geschwindigkeit, dass er ihnen kaum folgen konnte. Kira wiederum bog ihren Körper in unmögliche Positionen, um den Schlägen auszuweichen und konterte mit einer Serie von Attacken, die offenbar darauf ausgelegt waren, ihren Gegner zu entwaffnen. Erfolglos, ihr Gegenüber war ihr wenigstens ebenbürtig und so konnte Herm die Anspannung in Kiras Gesicht genau wie den Schweiß sehen, der ihr die Stirn hinunterlief, ein klares Zeichen dafür, dass sie sich in Schwierigkeiten befand.