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Ein Roman aus der romantischen Jugendstilzeit: Rosa Pfeffer ist stets und ständig für ihre Lieben im Einsatz: für den Ehemann, die beiden Töchter, ihre Schwiegersöhne sowie die beiden Enkelkinder. Der wenig reiselustige Ehemann verschiebt seit Jahren die geplanten Ferien, und so reicht es Rosa eines Tages, und sie macht eine kleine Urlaubsreise ganz allein … Nach einigen aufregenden Ereignissen vor und während der Fahrt landet sie in einem hübschen, idyllisch gelegenen Mühlental, in dem es vor Geheimnissen nur so zu wimmeln scheint. Rasch gerät sie auf die Fährte von Geschichten, die von Meerjungfrauen, Elfen und Gnomen erzählen. Reichlich Nahrung für ihre Fantasie und ihren schriftstellerischen Geist. In den Bewohnern des Tales findet die sympathische Rosa Pfeffer rasch neue Freunde, die ihr bei den Recherchen für ihre Erzählung gern behilflich sind. Sie erfährt Unglaubliches von der Geschichte des Tales und über seine Bewohner. Es mangelt weder an Spannung und Aufregung noch an Überraschungen, denn: So gut auch manches im Leben geplant ist, oft kommt es ganz anders …
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Seitenzahl: 609
Veröffentlichungsjahr: 2019
Impressum:
© 2019 Romhilde Veronika Albrecht
Umschlagbilder
© Romhilde Veronika Albrecht
Lektorat, Buchsatz, Umschlaggestaltung
Angelika Fleckenstein, Spotsrock
Verlag und Druck
tredition GmbH
Halenreie 40–44
22359 Hamburg
978-3-7497-9403-4 (Paperback)
978-3-7497-9404-1 (Hardcover)
978-3-7497-9405-8 (e-Book)
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ROMHILDE VERONIKAALBRECHT
DER WEIHERUNDDIE WEIDE
Eine ungewöhnliche Erzählung
Im Leben treten Veränderungen ein, die den eingespielten Lebensalltag so plötzlich und unverhofft aus dem Rhythmus bringen, dass man sich erst einmal nicht mehr zurechtfindet. Wenn es dann soweit ist und man endlich begreift, dass hier etwas anders läuft als sonst, bleibt einem nichts weiter übrig, als sich einzufügen und das Beste daraus zu machen.
So erging es mir. Denn mein Alltagstrott veränderte sich total von heute auf morgen und zog alle meine Lieben mit hinein. Zum Glück ins Positive, denn durch mein Leben fegte ein Wind, der so sehr mit Sauerstoff angereichert war, dass ich mich voller Tatendrang fühlte und das abenteuerliche Leben, welches mir neue Türen öffnete, mit jedem Luftholen in mich einsaugte.
Von den Veränderungen, die ich erleben durfte, werde ich etwas aufschreiben und mache eine eher ungewöhnliche Erzählung daraus, die den Eindruck entstehen lassen könnte, dass sich eine fantastische Welt mit der Realität vermischt.
Na, dann will ich mal beginnen.
Zusammenfassung aller handelnden Personen aus meinem Roman:
„Der Weiher und die Weide“
Der Roman handelt in der Zeit um 1900
Teil 1
Der Neuanfang einer Zeit, die Übermut und Abenteuerlust in meinen Alltagstrott wehte
Meine Wenigkeit, Rosa Pfeffer. Ich reiße vor meiner alltäglichen Pflicht aus und fahre in die Ferne, um Abenteuer über Elfen und Nixen für meinen Fantasieroman zu sammeln
Mein treusorgender Mann, Kurt, der sich schwer von seiner Arbeit im Geschäft, trennen kann
Unsere älteste Tochter, die mit ihren Mann unser Geschäft übernehmen wird und deren Sohn 11-jähriger Sohn Fritz, der nur über Büchern hockt
Unsere jüngste Tochter, verheiratet mit einem Arzt, der im Krankenhaus tätig ist und deren 10-jährige Tochter Maria, die eher ein Junge hätte werden sollen, weil sie vor nichts Angst hat
Familie Behring, Besitzer einer wunderschönen Wassermühle in einem idyllischen kleinen Tal, die neben dem Mahlbetrieb, eine Pension und Gastwirtschaft betreiben
Veronika, deren einzige Tochter, die sehr fleißig überall mit zupackt
Die rüstigen alten Müllersleute im Ruhestand und die Schwiegereltern der
Müllerin, die gemeinsam in den Altenteil der Wassermühle ziehen
Ein alter pensionierter Pfarrer und seine Frau Brunhilde, die im Haus bei Freunden neben der Kirche im einzigen Dorf des Tales wohnen
Karl Gruber, der Freund des alten Pfarrers, ein Künstler und seine Frau Erika, die die Näherin des Tales ist
Der alte Ochsenknecht des Wassermüllers, in dem zu jeder Tageszeit der Schalk steckt
Ein lustiger Bahnhofsvorsteher, der versucht hat mir mit Elfen und Geistern, Angst einzujagen
Teil 2
Hildes Familiengeschichte
Hilde, verwitwet und kinderlos, eine liebevolle alte Frau, Besitzerin eines kleinen Fachwerkhofes, welchen sie ihren einzigem Verwandten, einem Sohn ihrer Cousine, überschreibt
Markus Weidensee, Hildes einziger Verwandter, ehemaliger Professor an einer Universität, der mit Freuden den kleinen Fachwerkhof übernimmt und diesen neu aufbaut.
Seine Frau Marianne, die ihren Mann gerne auf den kleinen Hof gefolgt ist und diesen leidenschaftlich bewirtschaftet
Georg, Max und die kleine Milli, deren drei lebhafte und abenteuerlustige Kinder
Annemie, die beste Freundin Hildes und ihr Mann Konrad, die das größte Gut des Tales besitzen
Alexander, ein Studienfreund von Markus, sehr interessiert ist an alten Pergamenten und jetzt der neue Pfarrer im Tal, und seine Frau Annerose, Tochter des Schmieds im Ort
Rolf und Ruth, ein lustiges junges Ehepaar, die eine Schaf- und Ziegenzucht sowie eine Käserei betreiben. Die beiden sind mit Markus und Marianne, seit deren Einzug ins Tal befreundet.
Liesel und Gisel, deren Zwillingstöchter, die nur Blödsinn im Kopf haben
Hedwig und Rudolph, ein älteres noch sehr aktives Bauernpaar, vom anderen Ende des Tales
Jochen, ihr Sohn, und dessen Frau Grete, deren ganze Liebe an ihren Milchkühen hängt
Teil 3
Alrun und Othar eine Elfengeschichte
Alrun eine kleine Waldelfe, deren Mutter eine Baumelfe und ihr Vater ein Mensch war
Answin ihr jüngerer Bruder, er ist stumm und ihr Beschützer. Er hat keine Elfenkräfte und kommt nach den Menschen.
Othar, ein Wasserelf, der sich in Alrun verliebt und mit dieser zusammen bleiben möchte und alle Gesetze der Geisterwelt bricht, um Alrun zu bekommen
Eila seine gutmütige Schwester, auf die er immer zählen kann
Almira, eine Baumelfe und Alruns Mutter, die schwer verletzt in einem Menschendorf gepflegt wird, weil das Geistervolk der Waldelfen diese verstoßen hat
Chnuz, Alruns liebevoller Vater, der vom Menschenvolk ist, welche die Geistervölker, Gnome nennen
Alruns gute Großeltern, die sich fürsorglich um ihre beiden Enkel kümmern, solange die im Menschendorf leben
Eine alte launische Heilerin und die Wahrsagerin des Menschendorfes, sehr verschlagen und falsch. Sie trägt ein Geheimnis mit sich herum
Ein verstoßenes Elfenpaar, welches die Gesetze der Geisterwelt brach und in eine verwunschene Zauberquelle verbannt wurde
Othars Eltern, das Fürstenpaar der Wasserelfen. Der Fürst sehr böse und launisch und Othars fürstliche Mutter, die gutmütigste Elfe im gesamten Wasserreich
Der Herrscher der Waldelfen und seine Priester, welche immer auf uralte Gesetze pochen und Alrun das Leben bei den Waldgeistern schwer machen
Teil 4
Umzug ins Tal und viele Ereignisse
Ich und mein Mann Kurt
Unsere beiden Töchter und ihre Männer, die uns ins Tal zur Wassermühle gefolgt sind, um auch ein paar Tage Ferien zu genießen und mich total fertig machen
Ihre Kinder Fritz und Maria, die mir den letzten Nerv rauben und mich und ihre armen Eltern, nicht wenig in die Verzweiflung treiben
Meine Wirtsleute, die Wassermüller und deren Tochter Veronika
Die alte Tante Hilde vom Fachwerkhof und ihre lieben Verwandten Markus und Marianne
Natürlich auch deren Kinder Georg, Max, Milli
Alexander, Markus Studienfreund, jetzt der neue junge Pfarrer und seine
Frau Annerose
Ziegen- und Schafbauer Rolf und seine liebe Ruth, die er aus der Stadt geholt hatte, um sie zu heiraten und deren Zwillingsmädchen Liesel und Gisel
Annemie Hildes Busenfreundin und ihr Mann Konrad, Besitzer eines großen Wirtschaftsgutes
Die Bauernfamilie Rudolph mit Sohn und Schwiegertochter
Die Eltern und Schwiegereltern der Wassermüller
Der alte Ochsenknecht aus der Mühle, der glücklich ist, dass ein großes Geheimnis endlich gelüftet wurde
Teil 5
Adelheid und Clarissa
Ein bösartiger, listiger, verwitweter Fürst, der mit seinen Nachbarn im ständigen Kampf liegt
Adelheid seine erstgeborene Tochter, schlau, aufsässig und wild, will ihr Leben selbst in die Hand nehmen
Clarissa, Adelheids jüngere Schwester, ein ängstliches sehr artiges Mädchen, die treu ihrer Schwester folgt und diese bewundert
Bertram, Adelheids Mann, ein Fürstensohn aus einem weit im Norden liegenden Land
Sein Freund Ullrich, Clarissas Mann, der alles für seine Frau tut
Der Mönch Conrad, gehorsamer Diener des Fürsten, Beichtvater und väterlicher Erzieher dessen Töchter
Schwanhild, Äbtissin in einem fernen Kloster und die Tante des Fürsten. Übernimmt die Erziehung der beiden Mädchen in ihrem Kloster
Magdalena, eine Nonne aus dem Kloster, folgt den beiden Mädchen in deren ferne Heimat, nachdem sie aus dem Kloster verbannt wurde
Die Kinderfrau der Mädchen, die den Mädchen ins Kloster folgt, um diese zu versorgen
Ein fürstlicher Jäger, der Adelheid und Clarissa und deren Männern und einigem Volk, zur Flucht vor dem verräterischen Vater, in die Ferne hilft
Teil 1
Der Neuanfang einer Zeit, die Übermut und Abenteuerlust in meinen Alltagstrott wehte.
Ich habe frei und fahre in die Berge. Hurra!
Leider alleine, denn mein Mann ist noch nicht reisefreudig, weil er unbedingt die und die Arbeit noch fertigbekommen und diesen oder jenen wichtigen Weg in den nächsten Wochen erledigen will. Na meinetwegen, soll er doch, wenn er der Meinung ist, dass ohne ihn im Geschäft nichts läuft. Meine Meinung allerdings geht mittlerweile in eine andere Richtung …
Sein Vorschlag infolge meiner ständigen Nörgelei und Drängelei, wann wir endlich einmal in die schon seit Jahren geplanten Ferien fahren, fand dann bei mir große Zustimmung. Denn er sagte: „Du kannst ja, wenn du willst, schon mal vorfahren, und ich komme später nach.“ Gut, dachte ich, wenn er das so will. Ich war nicht abgeneigt, alleine zu reisen und begann, nachdem mein Mann – wahrscheinlich von mir genervt – ein Dutzendmal seinen Vorschlag wiederholte, mit meiner Reiseplanung in die Erholung.
Es war Montagmorgen und endlich wieder Ruhe in unseren Räumen, nachdem die gesamte Kompanie – also unsere Kinder samt Anhang – unser Haus unangemeldet am Sonntag gestürmt hatte. Unsere zwei Töchter zumindest waren von dem Vorschlag ihres Vaters, was meinen Alleingang in die Ferien betraf, begeistert und ermutigten mich, den Schritt zu wagen. Ihre Männer eher nicht, denn sie befürchteten, dass ihre Frauen meinem Beispiel folgen würden und zählten alle voraussichtlichen Gefahren, wie umgekippte Kutschen, Überfälle und Abstürze in tiefe Schluchten, in denen nie wieder jemand gefunden wurde, auf.
Das schreckte mich nicht ab. Im Gegenteil, jetzt erst recht! Also, meine Töchter auf meiner Seite wissend, konnte mein Abenteuer, einmal alleine zu verreisen, beginnen. Endlich der lärmenden Stadt mit ihren verstaubten Straßen entfliehen und sich hinaus in die Welt wagen, war der eine Punkt, aber wohin, war der nächste.
So konkret hatte ich mich im Geiste noch nicht mit der Reiseplanung auseinandergesetzt, bis auf den Gedanken, etwas anderes sehen und raus aus dem Alltag zu wollen. Nur weit weg wollte ich, Sauerstoff tanken und mich von Ruhe umhüllen lassen. Am besten in den Bergen. Ja, genauso würde ich es machen. Tja, aber wohin?
Ich nahm meinen Tatendrang, ehe er mir im Laufe des Tages abhandenkommen könnte, zusammen und spazierte eines Morgens erst einmal zum größten Hotel unserer Stadt, welches nur drei Straßen von unserer Wohnung entfernt an einem schönen Stadtpark liegt. An der Rezeption des Hotels angekommen, bat ich den Portier um ein paar Karten, auf denen Hotels und Pensionen von den malerischsten Bergdörfchen aus unseren bewaldeten Gebirgsgegenden um Feriengäste warben. Er wollte mir gerne und möglichst viele Karten mitgegeben, natürlich gegen Bezahlung. Und da war er nicht zimperlich. Ich war aber schon von einer Freundin vorgewarnt worden, die öfters mit ihrem Mann in diesem Hotel einkehrt, dass dieser Portier bekannt dafür war, auch bei den abgebildeten Hotels abzukassieren, wenn er Werbung für sie machte. Nachdem ich ihn auf diesen Umstand aufmerksam gemacht hatte, meinte er überheblich, dass ich es auch sein lassen kann und mir woanders Adressen von Ferienorten besorgen könnte. Dazu hatte ich dann doch keine Lust, gab nach und entlohnte dieses mich frech angrinsende Mannsbild, mit dem von ihm geforderten Betrag für die von mir ausgewählten Karten.
Die Vorderseite der Ansichtskarten, die ich mitnahm, zierten ausschließlich Fotos und Malereien romantischer Hotels und Bauernhöfe, die um Gäste für die Sommerfrische warben und auf der Rückseite der Karten stand die genaue Adresse und Beschreibung des jeweils abgebildeten Objekts. Bei den größeren Hotels befand sich zum Glück ein Telegrafenamt und eine Poststation in der Nähe, damit man zu jeder Zeit die Verwandtschaft, die zu Hause ausharren musste, mit wichtigen Botschaften überhäufen oder Geschäftliches nebenbei noch erledigen konnte.
Wieder zu Hause angekommen, kochte ich mir erst einmal einen Kaffee, um mich zu beruhigen, denn meine Courage schwankte inzwischen doch ein wenig. Nachdem diese wieder auf Normalität angewachsen war, machte ich es mir mit den Karten und ein paar leeren Seiten Schreibpapier, auf denen ich die Schritte meines Reiseplanes notieren wollte, in unserem Wohnzimmer am Schreibtisch meines Mannes bequem.
Nach der ersten Auswahl legte ich die Karten, auf denen Bauernhöfe frische Luft und hautnahes Erleben auf dem Lande anpriesen, gleich wieder beiseite. Ich ahnte sofort, dass ich mich inmitten einer geschäftigen Bauernfamilie nicht richtig erholen konnte, denn bei Viehwirtschaft ging es schon sehr früh im Dunkeln los. Da war an Ausschlafen nicht zu denken. Außerdem stand auf einigen dieser Karten, dass man das pure Landleben bei ihnen genießen könne und schon fünf Uhr morgens mit der Familie und den Bediensteten frühstücken durfte. Nur auf Wunsch und gegen einen finanziellen Aufschlag wäre ein späteres Frühstück ab sieben bis acht Uhr möglich.
Des Weiteren priesen einige dieser Wirtschaftshöfe gesundheitliche Förderung und Wohlbefinden durch Beschäftigung und Beteiligung an den alltäglichen Arbeiten an. Nein. Danke. Ich hatte keine Lust, Magd zu spielen und Kühe zu melken. Das Geld für diese Karten hätte ich mir sparen können.
Ich wollte ausschlafen, lesen und mich einmal bedienen lassen, auch wenn es meine Ersparnisse verringerte. Na, und was soll es, dieses ewige Knausern und Sparen? Jetzt denke ich erst einmal an mich. So!
Außerdem hegte ich schon lange den Wunsch, Geschichten und Erzählungen zu schreiben und hoffte, dass ich endlich einmal dazukommen würde.
Als meine Töchter noch klein waren, habe ich diese mit meinen selbst erfundenen Märchen über Elfen und ähnliche fantastische Lebewesen immer beruhigen können. Es dauerte allerdings eine längere Zeit, bis ich herausfand, dass sie das sehr geschickt ausnutzten und nicht mehr einschlafen wollten, nur um meine Geschichten zu hören. Nun sind sie aus dem Haus und haben selbst eine Familie gegründet. Bei einem unserer häufigen Familientreffen, die meistens bei uns stattfinden, baten sie mich einmal, meine kleinen selbst erfundenen Märchen für die Enkel aufzuschreiben. Warum auch nicht?
Und genau das nahm ich mir vor, wenn ich erst einmal alleine, ohne meinen lieben Gemahl, in die Ferien fuhr.
Ich musste, während ich über meine Pläne nachdachte, lachen. Denn ich stellte mir das Gesicht meines Mannes vor, wenn ich ihn mit den Tatsachen meiner Reise konfrontierte. Mein lieber Ehemann traute mir meinen Alleingang sowieso nicht zu und hatte nur zu meiner und vor allem zu seiner Beruhigung so getan, als ob er mit meinen Plänen einverstanden wäre.
Der wird sich wundern, dachte ich grinsend, denn ich werde aus mir herauswachsen und mein Leben ein bisschen ändern, um viel mehr Spaß als sonst auch im Alltag zu erleben und meiner Fantasie dabei freien Lauf lassen. Zu Hause kam ich sowieso nicht zum Schreiben, denn da wurde ich immer gestört. Ganz zu schweigen von Essen kochen und Kuchen backen und erst die Wäsche machen müssen und was eine Frau sonst noch aufzählen könnte, das sie zu erledigen hat, bevor sie an sich selbst denken darf.
Allerdings, wenn ich an diesem Vormittag gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich meine Reisepläne in den Abfall geworfen.
Oder auch nicht.
Nein, hätte ich nicht.
Keinen Tag möchte ich missen und nichts von den Dingen und Ereignissen, die ich von diesem Montag an erlebte.
Ich ließ meinen Gedanken ein wenig freien Lauf und nach einigem Zögern, ob ich es auch wirklich mit reinem Gewissen wagen sollte, gab ich mir einen Ruck und suchte von den Ansichtskarten eine heraus, auf der eine kleine Pension Werbung mit Spaziergängen in der Natur und sehr viel Ruhe für sich machte. Ausschlaggebend für mich war, dass dieser Ort von uns aus am weitesten entfernt lag, damit mir, außer meinem Mann, niemand so leicht nachfolgen konnte.
Von der Gebirgsgegend, in der die Pension stand, hatte ich bis zu diesem Augenblick noch nichts gehört oder etwas in den Zeitungen gelesen. Aber auf der Karte stand, dass eine neugebaute Bahnstrecke, zwei Ortschaften entfernt unterhalb dieser Pension vorbeiführte und eine Telegrafenstation im Bahnhof vorhanden sei, über diese man sich mit der Pension in Verbindung setzen konnte.
Also gut, mein Entschluss stand fest. Dorthin würde meine Reise in den nächsten Wochen gehen.
Ruhe hatte ich sowieso nötig. Denn mir ging es höllisch auf die Nerven, dass es auf der wichtigsten Hauptstraße unserer Stadt fast jeden Tag irgendeinen Zusammenstoß mit Kutschen und Lieferantenfuhrwerken gab, die sich auf dem Weg zum Marktplatz befanden. Und ausgerechnet vor unserem Fenster lag diese Straße mit dem Marktplatz. Zu guter Letzt und unserem Pech befand sich unserem Haus gegenüber auf der anderen Marktseite auch noch der Gemüsemarkt, der besonders am Wochenende stark besucht war. Das Geschrei der Händler, die ihre nicht immer frischen Gemüsearten aufs Beste empfahlen, artete oft in Streitereien mit den Nachbarständen aus, in welche sich die Bürger beiderlei Geschlechtes, die sich gerade in der Nähe befanden, leider meistens mit viel Begeisterung, einmischten. Da machten nicht selten Kohl und Kartoffeln, den Tauben, die es sich zwischen den Ständen wohl sein ließen, Konkurrenz im Wettflug. Und das ging dann so den ganzen Tag.
Wir bekamen zum Glück unseren wöchentlichen Bedarf an Gemüse direkt von einer kleinen Gärtnerei, die ihre Anlage vor der Stadt hat, ins Haus geliefert.
Aber zurück zu meinen Plänen, diesem Trubel zu entfliehen. Mein Reiseziel, welches ich ansteuern wollte, stand fest. Jetzt brauchte ich mir nur noch Gedanken zu machen, wie ich dahinkomme. Meinen Mann wollte ich in dieser Hinsicht außen vor lassen. Nicht dass er diesen Umstand ausnutzte und mir Hilflosigkeit vorwarf, um mir meine Reise auszureden.
In den letzten Jahren wurden zu meinem Glück und zur Wohltat und Bequemlichkeit der Menschen die Eisenbahnstrecken ausgebaut und erweitert, sodass ich bis auf wenige Kilometer zu dem Dörfchen, in dem die Pension stand und welche ich in den nächsten Wochen bewohnen wollte, heranfahren konnte. Der Zielbahnhof, stand mit auf der Karte und die Zusicherung, dass die Gäste und deren Gepäck von dieser Bahnstation bei jedem Wetter abgeholt würden.
Bei jedem Wetter? An Wetter hatte ich ja noch gar nicht gedacht. Denn in meiner Vorstellung von Erholung spazierte ich nur im warmen Sonnenschein umher und durchstreifte lichtdurchflutete Wälder. Was, wenn es öfters oder gar nur regnen würde? Also musste ich mir wohl oder übel über festeres Schuhwerk und dicke Mäntel Gedanken machen. Klar, ich wollte schließlich in die Berge verreisen. So schlimm wird es nicht werden, dachte ich leichthin, das kriege ich doch hin.
Es war bereits Mitte Mai, und ich war bereit für Abenteuer und fieberte den nächsten Wochen entgegen. Ich stand vom Sofa, auf dem ich es mir noch einmal gemütlich gemacht hatte, auf, räumte meine leere Kaffeetasse weg, zog mich an und holte vor der Haustür noch ein paarmal tief Luft. Dann ging ich entschlossen, zum Postamt, schickte ein Telegramm mit meinen genauen Reiseplänen an die Pension und bat um Buchung eines Apartments.
Als am nächsten Morgen per Boten der hiesigen Poststation endlich die ersehnte Rückantwort nach Hause kam, musste ich leider erschreckt zur Kenntnis nehmen, dass in dieser Wirtschaft nur noch ein Zimmer mit einem Bett frei war. Die Inhaberin der Pension bedauerte es, mir kein anderes Apartment anbieten zu können, weil ihre übrigen Zimmer bis zum Herbst ausgebucht seien. Sie bat mich um schnelle Rückantwort, damit sie, sollte ich mich entschließen, trotzdem die gewünschten Wochen bei ihr zu verbringen, alles für mich vorbereiten konnte.
Na, sowas! Wie viele Menschen brauchen denn Erholung? Das erstaunte mich nun doch ein wenig, dass die ausgewählte Gebirgsgegend und die Pension doch bekannter zu sein schienen als ich dachte. Aber ich hatte mir gerade diese Pension ausgesucht und wollte unbedingt dorthin, denn von dieser Unterkunft aus sollte man, wie auf der Karte beschrieben wurde, einen himmlisch weiten Blick über ein Tal und die anschließenden Gebirgsketten haben.
Ich nahm meinen ganzen Mut, der sich zum wiederholten Mal verkrümeln wollte, zusammen und reservierte mir dieses Zimmer bis Ende Juni. Tatsächlich glaubte ich nicht, dass mir mein Mann in die Ferien folgen würde, das eine Zimmer würde also genügen. Zudem äußerte mein Mann in letzter Zeit viel zu oft, dass er sich in unseren vier Wänden sehr wohl fühlen würde. Ich entlohnte den Boten, der noch im Flur stand und auf meine Antwort wartete, und schob diesen schnell aus meiner Tür hinaus.
Anschließend, nach meiner wahrscheinlich überstürzten Buchung, warf ich mich noch einmal in das Gewimmel der überfüllten Straßen unserer Stadt. Mein nächstes Ziel an diesem Tag war der neu gebaute Bahnhof, der von unserer Wohnung auch nicht weit entfernt lag, und ließ mir am Fahrkartenschalter von einem zuvorkommenden Bahnbeamten die Zugverbindungen heraussuchen. Ich bezahlte eine Fahrkarte mit reserviertem Fenstersitzplatz in einem Abteil zweiter Klasse, denn schließlich wollte ich die Landschaft, durch die der Zug fuhr, genießen.
Leider sollte ich unterwegs dreimal umsteigen, was mir ein paar Sorgen wegen meinem Gepäck machte. Also plante ich nur zwei Koffer und eine Reisetasche ein, die ich während meiner Zugfahrt bei mir haben wollte. Nachdem ich mir auch noch einen Gepäckschein besorgt und bezahlt hatte, musste ich noch einmal ein Telegramm in die Pension schicken und meine genaue Ankunftszeit mitteilen, damit ich vom Bahnhof abgeholt werden konnte.
Als alles für meine Reise geregelt war, machte ich mich ans Kofferpacken, denn in zwei Tagen schon sollte es losgehen. Ich war trotz wackeliger Beine mächtig stolz auf mich, dass ich diesen Schritt gewagt und alles im Alleingang geregelt hatte.
Mein Mann schien, als er am Abend endlich zu Hause war, doch ein wenig aus den Wolken zu fallen. Er hätte niemals gedacht, meinte er mit Bittermiene über den gedeckten Abendbrottisch in meine Richtung, dass ich es wahrmachen und tatsächlich ohne ihn auf Reisen gehen würde. Nachdem er ein Weilchen mürrisch vor sich gebrütet hatte, wollte er empört von mir wissen, wer ihn denn inzwischen bekochen würde, wenn ich nicht da wäre.
Auf meinen Vorschlag, dass er ja mitkommen könnte, antwortete er mir erst einmal nichts.
Er hielt auch noch still, als ich ihm riet, beim Bäcker in unserer Straße zu frühstücken und mittags in einem der vielen Restaurants der Stadt zu essen. Meine Idee kam bei ihm nicht gut an, denn ich wusste, dass mein Mann meine Kochkünste über alles schätzte und brummelte öfters, während er sein Essen hinunterschlang, etwas vor sich hin, wie: „…, dass er nie von mir erwartet hätte, dass ich ihn wirklich im Stich lassen würde.“
Ich ignorierte sein Gejammer vorsichtshalber und tat so, als ob ich nichts verstanden hätte, denn ich freute mich inzwischen sehr auf Berge, Wälder und die pure Natur.
Zwei Tage später brachte mich mein Mann, der sich mittlerweile damit abgefunden hatte, dass ich erst einmal ohne ihn auf Reisen ging, mitsamt Gepäck zum Bahnhof. Er gab mir, als mein Zug pünktlich einfuhr, einen dicken sehr langen Kuss und drückte mich, und ich musste mich aus seinen Armen regelrecht herauswinden, um mein Abteil aufzusuchen. Höflich wie er vor anderen Leuten immer zu mir ist, trug mein Mann meine Reisetasche in den Zug hinein bis zu meinen Fensterplatz. Mit einem letzten Kuss und weinerlicher Stimme meinte er, bevor er mich alleine ließ, dass er es sich nicht nehmen lassen wollte, auf dem Bahnsteig so lange auszuharren und mir nachzuwinken, bis der Zug nicht mehr zu sehen sei.
Ich bekam, wie immer, wenn er mit meinen Plänen nicht einverstanden war, noch etliche Ermahnungen. Ich sollte nicht alleine in der unbekannten Gegend wegen Gefahren herumlaufen und jede Unpässlichkeit, die mich treffen könnte, ihm sofort telegrafieren. Bevor er mein Abteil verließ, ehe der Zug ihn auch noch mitnahm, steckte er mir eine neue Geldbörse zu und murmelte etwas wie „für den Notfall, falls mein Geld nicht reichen würde und dass ich mir was Schönes gönnen sollte“.
Wieder auf dem Bahnsteig vor meinem Abteilfenster stehend, fiel ihm plötzlich ein, mich zu fragen, wie lange ich eigentlich gedenke, im Gebirge zu bleiben. Ich hätte in der Hektik vergessen, es ihm zu sagen. Ich rief ihm aus dem geöffneten Waggonfenster zu, dass ich mich nach meiner Ankunft telegrafisch bei ihm melden würde, ich hätte vor, mich an meinem Ziel erstmal zu orientieren, um zu schauen, ob es mir überhaupt gefällt. Er war zufrieden mit der Antwort und wünschte mir eine gute Fahrt. Ich solle auf mich aufpassen, bis er Zeit hätte, nachzukommen.
Schön wäre es, dachte ich mir und hoffte, dass er sein Versprechen einlösen würde.
Wir waren noch nie während unseres Ehelebens länger als zwei Tage getrennt gewesen, und mir tat mein Mann doch etwas leid, wie er so hilflos und einsam auf dem Bahnsteig stand. Aber nur zwei Minuten. Er hätte ja mit mir zusammen verreisen können.
Endlich ertönte der Pfiff eines Schaffners, der mit erhobener Kelle die Abfahrt freigab, nachdem er alle Türen der Waggons geprüft hatte, ob diese richtig geschlossen waren.
Die glänzende schwarzrotlackierte Lok, verabschiedete sich daraufhin mit einem lauten Pfiff von den Zurückgebliebenen und zog Dampfwolken ausspeiend und schnaufend ihre Waggons aus dem Bahnhof. Ich warf meinem Mann noch eine Handkuss zum Abschied zu, lehnte mich in die Polstersitze und genoss die Fahrt mit der Eisenbahn. Endlich raus aus der überfüllten, lärmerfüllten Stadt mit ihren rußverschmierten Dächern und schmutzigen Straßen – hinaus in die Frische!
Es war noch sehr früh am Morgen, denn ich musste den ersten Zug nehmen, der mich meinem Reiseziel näher brachte. Beim Kauf der Fahrkarte informierte man mich, dass die Zugfahrt zu meinem Zielbahnhof, sofern keine unverhoffte Unterbrechung geschieht, zehn Stunden dauern würde. Deswegen hatte ich mich entschlossen, so früh wie möglich auf die Fahrt zu gehen, denn ich wollte mein Reiseziel noch am selben Tag erreichen.
Meinen Körper durchfuhr eine gespannte Erregung, als der Zug den Bahnhof verließ, wie ich sie seit meiner Kindheit nicht mehr gespürt hatte. Die Sonne war gerade aufgegangen und leuchtete rosa über die weite Landschaft, welche sich hinter unserem Städtchen auftat, und ich genoss die Fahrt in meine Ferien.
Die Zugfahrt verlief ohne Zwischenfälle, und ich hatte immer viel Unterhaltung, durch die wechselnden Fahrgäste in meinem Abteil. Um die Mittagszeit herum war ein Bauernehepaar meine Begleitung im Abteil, die, wie sie mir erzählten, zur Taufe ihres ersten Enkels die Bequemlichkeit des Zuges nutzten, um bei ihrer Tochter zu sein, die etwas weiter weg lebte, seit sie geheiratet hatte. Die beiden Frohnaturen waren lustig drauf und schoben, bevor sie es sich auf ihren Plätzen bequem machten, gewaltige Körbe in das Abteil. Es roch sofort wie in unserem Fleischerladen, bei dem ich unsere Wurst kaufe. Kaum hatten die beiden es sich bequem gemacht, kramten sie tatsächlich gewaltige Wurstringe verschiedenster Sorten und frisches Brot aus den Körben. Meinen erstaunten Blick über die unglaublich vielen Wurstmassen fasste die Bauersfrau falsch auf und begann, mich abzufüttern, weil sie der Meinung war, dass ich bestimmt Hunger habe und was auf die Rippen brauchte.
Ich hatte tatsächlich Hunger, denn ich hatte völlig vergessen, mir Reiseproviant einzupacken und traute mich nicht, in den Speisewaggon des Zuges zu gehen, weil ich das Gepäck nicht unbeaufsichtigt lassen wollte. Die Wurst und die dicken Scheiben Schinken, die ihr Mann für mich abschnitt, waren lecker, was ich diesem zuvorkommenden Pärchen mehrfach bestätigte und mich für diese unverhoffte Mahlzeit sehr bedankte.
Daraufhin musste ich mir zwei Stunden lang alles über Schweinezucht, Futteranbau und Hausschlächterei in Einzelheiten anhören und bekam, als die beiden mein Abteil verließen, noch eine dicke Leberwurst geschenkt, die vorsichtshalber in Zeitungspapier gewickelt wurde, damit meine Kleidung den restlichen Tag ohne Fettflecke überstand.
Zweimal war ich schon ohne Probleme umgestiegen, ehe mein Zug am späten Nachmittag endlich in den Bahnhof einfuhr, auf dem ich in den letzten Zug umsteigen sollte. Ich stieg aus dem Zug, inzwischen müde, denn schlafen konnte ich vor lauter Aufregung und aus Angst, dass mir meine Tasche gestohlen wird nicht. Meine Koffer wurden vom Schaffner aus dem Gepäckwaggon nebst allerlei Geflügelkäfigen, großen Säcken und Kisten gehoben und mitten auf dem Bahnsteig abgestellt.
Allerdings, Bahnsteig konnte man das, wo ich mich befand, nicht nennen. Wildnis traf es besser! Denn bis auf wenige Meter gepflasterte Fläche, standen dort Brennnesseln, Disteln und Kletten, an denen mehrere angepflockte Ziegen sich gütlich taten. An den beiden anderen Bahnstationen, auf denen ich die Züge wechseln musste, standen meine Anschlusszüge schon bereit, sodass ich nie lange unnötigen Aufenthalt hatte. Hier nicht. Der Zug, mit dem ich gekommen war, fuhr dampfend weiter, nachdem der Schaffner kräftig neben mir auf seiner Pfeife pfiff und zum Abschied grüßte. Die Pfeife hätte er sich sparen können, denn weit und breit war keine einzige menschliche Person zu entdecken, die mitfahren wollte.
Da stand ich nun, einsam zwischen Koffern und Kisten auf dem Bahnsteig und rieb meine schmerzenden Ohren. War ich zu früh oder eine Station zu spät ausgestiegen? Ich sah mich hilfesuchend in dieser Einöde um. Endlich sah ich den, wie ich annahm, zuständigen Bahnhofsvorsteher dieser verwilderten Einöde, sich mir nähern.
Ach, es täte ihm so leid, waren seine ersten Begrüßungsworte. Da wäre leider nichts mehr zu machen, meinte er mit weinerlichem Gesichtsausdruck weiter, aber weil er ein cleverer Geselle sei, hätte er schon bald eine Lösung für mich gefunden.
Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, was dieser Stellvertreter der männlichen Spezies mit Eisenbahnermütze auf dem Kopf von mir wollte und warum er sich für etwas entschuldigte und überhaupt: Welche Lösung wurde für mich gebraucht? Und wieso?
Der Telegraf sei kaputtgegangen, war seine nächste Information, was ich wenigstens einigermaßen verstand. Deshalb, so erklärte er weiter, hatte er leider keine Nachricht von einem Umsteigegast erhalten.
Mir war egal, ob er Nachricht von mir bekommen hatte. Mich interessierte nur, wie ich zu dem Anschlusszug kam, um endlich an mein Reiseziel zu gelangen. Der beflissene Mann zerrte mich unter weiteren bedauernden Entschuldigungen am Arm und in sein kleines Amtszimmer. Dieses befand sich, wie ich erst vermutete, in einem Schuppen, und er nötigte mich, in einem sehr abgenutzten Sessel Platz zu nehmen. Dann drückte er mir einen Kaffeerest in einer bereits benutzten Tasse in die Hand. Das schwarze Gebräu hätte jeden Kutscher vom Bock gehauen! Zu allem Überfluss fischte der aufgeregt weiter plappernde Amtsvorsteher mit seinen dicken Fingern auch noch ein paar Stückchen Zucker aus einer Blechdose, die er – ohne mich zu fragen – in meinen Kaffee warf. Überaus eifrig ergriff er seinen Löffel aus der eigenen Tasse und rührte diese Süßigkeit auch noch um. Ich schaute sprachlos in die Tasse.
Oh nein! Diesen Kaffee würde ich nicht trinken. Auf keinen Fall.
Doch das fürsorgliche Mannsbild meinte sehr überzeugend, dass ich den Kaffee zur Nervenberuhigung dringend bräuchte und bestand hartnäckig darauf, dass ich einen Schluck nehmen müsste. Ich tat ihm den Gefallen, widerwillig, aber er schien beruhigt. Zufrieden über meinen Gehorsam setzte er sich an den wackeligen Arbeitstisch und schlürfte seinen Kaffee mit offensichtlichem Genuss.
Endlich bekam ich die Gelegenheit, ihn zu fragen, was denn los sei und wann der Anschlusszug käme. Ich erklärte ihm deutlich, wohin ich wollte.
O weh, hörte ich seine Stimme klagend über den Wackeltisch zu mir herüber tönen, da wäre leider eine schlimme Sache passiert, weswegen der Zug, auf den ich warte, nicht mehr kommen könnte. Wenigstens die nächsten Tage nicht mehr. In dieser Gebirgsgegend, so erzählte er weiter, war am Abend vor zwei Tagen ein Unwetter mit Sturm herniedergekommen, sodass die Eisenbahnstrecke, auf welcher ich zu meinem Bestimmungsort weiterfahren sollte, durch umgefallene Bäume unpassierbar geworden sei. Es würde Tage dauern, ehe alles geräumt sei. Außerdem plapperte er immer noch weinerlich weiter, sei obendrein die einzige Verbindungsstraße zu meiner Erholungsidylle durch eine Gerölllawine verschüttet und dadurch ebenfalls unpassierbar geworden. Es könne zwei bis drei Wochen dauern, ehe diese von den Steinen geräumt wäre. Mit dieser Botschaft sorgte er bei mir vollends für Entsetzen.
Ich kippte vor lauter Schreck meinen Ekel vergessend den inzwischen kalten, widerlich süßen Kaffee runter. Was soll nun mit mir werden, wollte ich von meinem Gegenüber wissen und ob der Zug, mit dem ich gekommen war, demnächst rückwärts hier vorbei käme, damit ich in die nächste Stadt zurückfahren konnte, um mir ein Hotel oder eine Pension zu suchen.
Er verneinte meine Frage mit heftigem Kopfschütteln. Hierher würde nur einmal in der Woche ein Zug in beide Richtungen fahren. Der Zug, der in die Richtung fuhr, aus der ich gerade gekommen war, sei schon gegen Mittag gefahren. Weil das so sei, hätte er nur einmal in der Woche Dienst auf dem Bahnsteig. Eigentlich sei er Schreiner und mache dieses Bahnhofsvorsteherding nur nebenberuflich.
Ich sank in dem alten, gefährlich knarrenden Sessel zusammen und kämpfte mit den Tränen. Das ging ja gut los, dachte ich, und mir fielen die Ermahnungen meiner Schwiegersöhne ein. Ratlos bat ich den Bahnhofsvorsteher, wenigstens an die nächste Station zu telegrafieren, damit man in meiner Pension Bescheid geben konnte, dass ich hier feststeckte.
Nein, das gehe doch nicht, jammerte er wieder, und das hätte er mir gegenüber schon erwähnt, denn der Sturm hatte auch die Leitungen zerstört und das Telegrafieren unmöglich gemacht. In mein schockiertes Gesicht schauend, lehnte er sich über den Schreibtisch und tätschelte mir eine Hand. Ich sollte es nicht so schwernehmen und mir keine Sorgen machen, meinte er. Die Besitzer der Pension, zu der ich wollte, wüssten bestimmt längst über das Unwetter und die Hindernisse auf den Wegen Bescheid.
Aber er hätte schon eine Lösung für mich und meinen Kummer. Leider wäre sein Häuschen mit der Schreinerei, welches sich gleich hinter diesem Bahnwärterhäuschen befinden würde, auf weiter Flur die einzige Ansiedlung. Er käme selten in die nächste Ortschaft, die ein paar Stunden entfernt von hier durch den Wald in einem kleinen Tal liegen würde. Arbeiten für ihn als Schreiner würden meistens zu ihm hergebracht, wenn jemand mit dem Zug in die Stadt wollte. Das wäre für mich erst einmal keine schlimme Sache, meinte er beruhigend zu mir und tätschelte meine Hand weiter, bis ich sie ihm entzog.
Mir war an diesem Punkt seiner Erzählung völlig unklar, was er mir eigentlich mitteilen wollte, und ich wurde allmählich panisch.
An einem Fluss, der sich durch ein kleines Tal schlängelt, setzte seine Erklärung fort, in welchem die nächste Ortschaft sei, befinde sich eine schöne große Wassermühle, und der Müller sollte die Säcke und Kisten mit dem Kleinvieh, die neben meinem Gepäck auf dem Bahnsteig standen bekommen. Aus diesem Grund müsste in der nächsten halben Stunde einer seiner Knechte mit dem Fuhrwagen erscheinen, um das Bestellte abzuholen. Mit diesem Fuhrwerk würde er mein Gepäck und mich selbst hinunter ins Tal zum Müller schicken, denn dieser hätte neben seinem Mahlbetrieb auch eine kleine Gastwirtschaft, die seine Frau und Tochter betreiben würden. Bei denen wiederum gäbe es eine ausgezeichnete Küche, und Fremdenzimmer wären auch genug vorhanden, falls unerwartete Gäste sich in diese Ortschaft verirren sollten.
Auf meine Frage, ob er denn auch bestimmt wüsste, dass ein Zimmer bei dem Müller frei sei, in das ich mich zurückziehen konnte, bis ich zu meinem eigentlichen Ziel weiterreisen würde, nickte er mir strahlend zu. Ich bräuchte mir darüber keinerlei Sorgen zu machen und könne ihm völlig vertrauen. In der Mühle wäre genug Platz, denn zu diesem Fleckchen Erde, käme so gut wie kein Fremder. Das kleine Tal läge zu abgeschieden, als dass sich jemand dahin verirren würde. Er sei sich sehr sicher, dass es mir dort gefallen würde, denn wenn ich etwas für Märchen und Sagen übrig hätte, dann wäre das der richtige Ort. Er legte, nachdem er mir dieses eröffnet hatte, einen Finger an den Mund und gab mir damit zu verstehen, dass ich leise sein sollte. Gleichzeitig zwängte er sich hinter seinem Tisch hervor und schaute vorsichtig zur Tür hinaus. Dann kam er langsam auf Zehenspitzen zu mir an den Sessel heran und flüsterte etwas von Elfen in mein Ohr und dass ich mich hüten sollte, etwas Schlechtes über diese Geister zu sagen, denn das Gebiet hier würde nur so wimmeln von diesen Wesen. In seinem bisherigen Leben hatte er diese Naturgeister schon einige Male erblickt und zu seinem Pech deren Streiche schmerzhaft spüren müssen.
Mein Gegenüber verzog theatralisch das Gesicht und erhob seine Hände über den Kopf. Weit kam er allerdings mit dieser Geste nicht, denn er war ziemlich breit und seine Arme zu kurz. Meiner Meinung nach gehörte er nach dieser Vorführung, die er mir bis her geboten hatte, auf die Bühne.
Aber oh, mit der Aussage, hier würde es Elfen geben, traf er meinen romantischen Nerv. Meine Panik löste sich urplötzlich auf und machte Platz für Ungeduld und Neugierde. Ich war gar nicht mehr böse und traurig über das unverhoffte Hindernis auf meiner Reise. Im Gegenteil. Die Ankunft des Knechtes von der Wassermühle konnte ich kaum erwarten.
Es dauerte leider noch eine geschlagene Stunde, ehe ich endlich das ersehnte Fuhrwerk aus Richtung Wald, der gleich hinter der Bahnstation anfing, auf der Sandstraße heranrollen hörte.
Die Wartezeit im Bahnhäuschen war mir unterdessen zur Qual geworden, denn der Bahnhofsvorsteher wollte keine weiteren Fragen nach Elfen und ähnlichen Geistern beantworten. Er nahm jedes Mal aufgeschreckt seinen Finger an den Mund und gebot Schweigen, sobald ich diese Fantasiewesen erwähnte. Dabei huschte er zur Tür und schaute ängstlich hinaus. Jedenfalls tat er so, als ob er Angst hätte.
Na, ich hoffte, des Müllers Knecht würde redseliger sein auf dem Weg zurück zu seinem Herrn. Ich nahm mir vor, dieses Mannsbild mit Fragen so lange zu quälen, bis meine Neugier gestillt war.
Bei den ersten Geräuschen des herannahenden Fuhrwerks sprang mein Gegenüber auf und eilte mit hastigen Schritten auf den Bahndamm, wo mein Gepäck immer noch schön in Reih und Glied neben den Kisten und Säcken stand.
Ich erhob mich ebenfalls und ging langsamer hinterher. Dann musste ich erst einmal über das Fuhrwerk, welches neben der bestellten Fracht hielt, lachen. Es handelte sich um einen langen flachen Ladewagen, und dieser wurde nicht etwa von feurigen Rössern, sondern von zwei gewaltigen Ochsen gezogen. So große Rindviecher hatte ich noch nie gesehen und hielt vorsichtshalber genügend Abstand zu ihnen.
Vom Lenker dieses seltsamen Fuhrwerks, sah ich nur den Körper und anstelle seines Kopfes eine gewaltige Rauchwolke, die vermutlich der Pfeife, die in seinem Mund steckte, entströmte.
Der Bahnhofsvorsteher war an das Fuhrwerk herangetreten und sagte leise etwas in den Rauch hinein, dann zeigte er auf mich und mein Gebäck. Ich verstand leider kein Wort, das die Männer wechselten und wartete gespannt ab, was dabei für mich herauskam.
Endlich kam Bewegung in den Fuhrknecht, und er sprang von seinem Sitz herunter. Dabei verzog sich der Pfeifenqualm, und ein gutmütiges, von Altersfurchen durchzogenes, Gesicht kam zum Vorschein. Er ließ die Zügel fallen, kam auf mich zu, lüftete eine sehr speckige Mütze und schüttelte mir kräftig die Hand. Dabei hieß er mich willkommen und versicherte mir, dass sich seine Herrschaft über so einen eleganten Städterbesuch freuen und mich nach Strich und Faden verwöhnen würden. Er plapperte unentwegt weiter, während er mit dem Bahnhofsvorsteher die Säcke und Kisten sowie mein Gepäck vom Bahnsteig auf seinen Wagen auflud. Ab und zu musterte er mich von oben bis unten, wobei er in seinem Tun innehielt. Dann meinte er, dass ich in der kleinen Ortschaft, in die er mich mit seinem edlen Gefährt gleich kutschiert, von allen Gebrechen und Leiden, die ich aus der Großstadt mitgebracht hatte, in kürzester Zeit befreit sein würde.
Ich ließ ihn in seinem Glauben, das ich derlei Gebrechen mitgebracht hätte, und näherte mich, einen großen Bogen um die Ochsen machend, dem Karren. Der Müllersknecht hob mich mit Schwung auf den Kutschbock hoch und kramte unter dem Sitz eine einigermaßen saubere Pferdedecke hervor, die er um mich legte. Meinen Blick richtig deutend, versicherte er mir, dass die Decke wegen der Abendkühle und meinem dünnen Mäntelchen notwendig sei. Dabei wies er auf die Abendsonne, die bereits hinter den Gipfeln der nahen Berge versank und beteuerte, dass der Weg zurück ins Tal mindestens drei Stunden dauern und durch kühlen dunklen Wald führte.
Na gut, die übelriechende Decke hielt ich auch noch aus. Hauptsache ich kam endlich in ein sauberes Zimmer, konnte mich frisch machen und schlafen.
Ein letzter Gruß und ein Dankeschön an den Bahnhofsvorsteher für seine Fürsorge um meine Person, eine schnelle Übergabe der mir geschenkten Leberwurst an ihn, und die Ochsen setzten sich langsam in Bewegung.
Mein Begleiter hatte neben mir auf dem Kutscherbock Platz genommen und fing wieder an zu schwatzen. Er bestätigte mir lebhaft, dass es ein Glück für ihn wäre, mit so einer netten Begleiterin, wie ich es sei, auf dem Fuhrwerk unterwegs zu sein. Die Fahrt zurück zur Mühle würde nicht wie sonst langweilig werden, denn man könnte sich in Gesellschaft gemütlich unterhalten. Da seine prachtvollen Ochsen sich mit nichts zur Eile antreiben ließen, dauere seine wöchentliche Fahrt zum Bahnhof immer einen halben Tag lang. Meist ließ er sich noch auf einen Kaffee beim Bahnhofsvorsteher überreden, um mit ihm einige Neuigkeiten auszutauschen.
Ich bedauerte ihn, weil ich heute der Grund war, weshalb er um seinen Kaffee gekommen war, was er entschieden verneinte.
Er erklärte mir, dass er gerade heute etwas spät dran sei, weil der kleine Fluss, an dem die Mühle steht, durch das Unwetter mit Hochwasser zu kämpfen hatte. Unter dem Mühlrad habe sich leider Holz verkeilt. Das wäre mit dem Wasser von den Bergen heruntergekommen. Er musste dem Müller bei der Beseitigung erst einmal behilflich sein. Dann fing er, nachdem er seine Pfeife wieder mit Tabak und Feuer belebt hatte, über sein Heimatdörfchen zu schwärmen und beschrieb mir die Höfe und deren Bewohner. Seine Ochsen liefen derweil in gemächlichen Schritten vor dem Karren her, denn die Sandstraße, auf der wir durch einen düsteren Wald fuhren, war sehr zerfurcht und von Regen ausgeschwemmt. Das Gefährt schwankte öfters zur Seite, wenn die Räder in eine Rinne gerieten, sodass ich mich am Kutschbock festhalten musste, um nicht herunterzurutschen.
Ab und zu schaute ich mich ängstlich nach meinem Gebäck um, ob es noch auf der Ladefläche war. Mein Kutscher, der meine Sorge erkannte, beruhigte mich immer wieder und versicherte, dass sein Gefährt noch nie umgekippt sei oder er etwas auf der Straße verloren hätte.
Der Weg durch den Wald wurde immer schmaler und die Bäume auf beiden Seiten waren so hoch und dicht, dass sie über uns zu einem Tunnel zusammenwuchsen. Da es inzwischen schon spät in den Abendstunden geworden war, kam der einzige Lichtfleck als heller Funke aus der Tabakspfeife meines Nachbarn, wenn er gerade einen Zug machte. Ich bat ihn darum, eine Laterne anzumachen, damit unsere Zugtiere sich auf diesem holprigen Weg nicht ihre Beine verstauchten.
Ach wo, so was bräuchten er und seine Ochsen nicht. Die kennen jeden Stein und er ist sich sicher, dass seine beiden gehörnten Zugtiere vor dem Karren in der Nacht besser sähen als Katzen. Ganz bestimmt sogar. Er würde regelmäßig bei seinen Fuhren vom Bahnhof zurück auf dem Bock einschlafen. Aber die Ochsen liefen immer auf direktem Weg zur Mühle und zu ihrem Stall zurück.
Nachdem er mich aushorcht hatte, woher ich komme und was meine Familie macht und warum ich alleine reise, war er endlich still, und ich sah meine Gelegenheit gekommen, dieses schwatzhafte Objekt von einem ältlichen Müllersknecht meinerseits auszufragen. Ich begann gleich damit, ob er denn etwas darüber wüsste, was der Bahnhofsvorsteher gemeint hätte, als er mir von Elfen berichtete, die hier ansässig sein sollten.
Kaum hatte ich das Wort ‚Elfen‘ ausgesprochen, bewegte sich die Glut der Tabakspfeife aufgeregt hin und her, und ich hörte ein besorgtes „psst“ aus dieser Richtung. Ich musste, ehe ich weitersprechen konnte, erst einmal kräftig husten, denn es hüllte mich in eine gewaltige Qualmwolke ein. Als ich wieder Luft bekam, wollte ich wissen, warum er und der Beamte von der heruntergekommenen Bahnhofsstation wegen Fantasiegestalten so ein Aufhebens machten, denn dass es in Wirklichkeit keine Elfen gab, musste doch jeder vernünftige Mensch wissen.
Seine Antwort auf meine Ansage lautete, „ei, ei, ei“ und „so, so, so, vernünftige Menschen also, aha. Vernünftig soll man sein, aha“. Weiter nichts. Keine einzige weitere Frage beantwortete er mir. Nur sein „ei, ei, ei“ und „so, so, so“, kamen aus seinem Mund, während der restlichen nächtlichen Fahrt.
Ich gab auf und nahm mir vor, am nächsten Tag die Müllerin diesbezüglich auszufragen, denn mit einer Frau, so war ich jedenfalls überzeugt, konnte man vernünftiger sprechen. Die weitere Fahrt mit dem Ochsenkarren durch den dunklen Wald verlief daher bis auf die üblichen Geräusche der nachtaktiven Tiere ruhig, und ich wurde durch das eintönige Hin- und Herschaukeln des Ochsenkarrens immer müder. Kurz vor dem Einschlafen hörte ich das nahe Rauschen fließenden Wassers, und wir fuhren aus dem Wald heraus. Die Sandstraße wurde wieder breiter, und ich konnte im Mondschein ein Tal zwischen hohen Bergen erkennen.
Viel konnte ich nicht sehen, aber ich nahm mir vor, die Zeit zu genießen und die Gegend zu erforschen, solange ich hier an diesem Ort festsaß.
Das Wasserrauschen wurde lauter, und die beiden braven Ochsen hielten vor einem überraschend stattlichen Gebäude, neben dessen Eingang eine angezündete Laterne hing. Mein Begleiter sprang von dem Bock herunter und half mir beim Absteigen. Er führte mich ein paar Stufen hoch und öffnete eine große Haustür, durch die ich in einen schwach beleuchteten großen Flur gelangte. Er öffnete eine weitere Tür und hieß mich, hineinzutreten. Inzwischen wollte er seiner Herrschaft über meine Person als unverhofften Gast zu später Stunde Bescheid geben und sich um das Gepäck kümmern. Ich sollte es mir nicht langweilig werden lassen und es mir in der Gaststube bequem machen.
Die Tür ging hinter mir wieder zu, und ich befand mich alleine in einem großen hohen Raum, der richtig prachtvoll anzusehen war. Die Decke bestand aus gewaltigen Balken, deren Zwischenräume mit Holzbrettern ausgefüllt waren, und die weiß gestrichenen Wände wurden auf zwei gegenüberliegenden Seiten von großen Bogenfenstern unterbrochen. Zwischen den Fenstern bogen sich Regale unter der Last von Krügen und Bechern aus Ton und Zinn. In einem riesigen Kamin an der hinteren Wand prasselte ein Feuer, dessen Wärme den ganzen Raum wärmte. Auf den Holztischen, die im Raum verteilt waren, brannten Öllampen, sodass eine gemütliche Helligkeit die Gaststube erfüllte.
Meinen staubigen Mantel über einen Stuhl legend, blickte ich mich in diesem Raum weiter um und entdeckte zu meiner Freude, dass überall an den Wänden, wo noch genügend Platz vorhanden war, schöne große Gemälde hingen. Ich ging etwas näher heran, um mir diese Bilder genauer anzuschauen. Als ich dann sah, was darauf dargestellt war, bekam ich einen freudigen Schreck, denn auf jedem dieser Bilder waren Elfen und andere Fabelwesen abgebildet. Ich konnte es nicht fassen. Mir war, als ob ich in eine fantastische Welt gereist sei. Die Bilder an den Wänden waren meist mit Ölfarben gemalt oder in Aquarell. Viel verstand ich nicht von Malerei, aber Aquarelle kannte ich, denn von einer meiner Töchter hingen einige schöne Aquarelle in unserem Wohnzimmer zu Hause. Eines der größeren Ölgemälde zog mich besonders an, und ich vertiefte mich in die dargestellte Szenerie.
Auf diesem Bild war, wie ich vermute, die Wassermühle, in die ich eingekehrt war, an einem wild schäumenden Fluss abgebildet. Zwei Wassernixen waren aus den Wellen aufgetaucht, hielten einen hübschen Knaben an der Hand, um diesen zu sich ins Wasser hinunterzuziehen. Dieser Knabe versuchte offenbar, sich mit einer Hand an dem bereits stark beschädigten Wasserrad der Mühle festzuhalten, um den Nixen zu entfliehen. Doch das wilde Wasser, welches das Mühlrad antreiben sollte, drohte das Rad vollständig von der Mühle abzulösen und den Knaben mit sich zu den Nixen in die Tiefe zu reißen.
Eigenartigerweise bekam ich beim näheren Betrachten dieser Szene immer mehr den Eindruck, dass der Knabe einen Gesichtsausdruck ohne Furcht vor den beiden Wassergeistern hatte, und sah mir die abgebildeten Nixen näher an. Die zwei Nixen hatten wunderschöne Gesichter, die umrahmt wurden von im starken Wind flatternden, silbernen Haaren. Sie lächelten den Knaben an, denn sie wussten, dass er ihnen nicht mehr entfliehen konnte.
Ich wurde von diesem Gemälde und den lieblichen Gesichtern der Nixen, die ich immerzu ansehen musste, mehr und mehr gefesselt. Man konnte schon verstehen, dass ein Mann, der den scheuen Nixen zufällig begegnete, sich in die Fluten stürzte, um diesen schönen Wesen in die nassen Tiefen zu folgen. Immer noch in das Gemälde vertieft, hörte ich nicht, dass inzwischen die Tür aufgegangen war und jemand den Raum betreten hatte. Erst als ich ein leises Lachen hinter mir vernahm, drehte ich mich langsam um und erschrak so sehr, dass ich meine Hände auf mein klopfendes Herz legen musste. Vor mir stand wahrhaftig eine der beiden Nixen von dem Gemälde an der Wand.
Sie lachte noch einmal über mein verdutztes Gesicht und stellte sich mir als die Müllerstochter vor. Der Knecht ihres Vaters hatte sie über einen unverhofften Gast informiert, und ihre Mutter würde gerade mithilfe einer Magd das Bett in einem Gästezimmer beziehen sowie warmes Wasser zum Waschen bereitstellen. Ein Feuer im Kamin sollte die Gemütlichkeit in meinem Zimmer vollkommen machen, da es in den Nächten immer noch sehr frisch im Tal war. Ich aber sollte mich inzwischen hinsetzen und das späte Abendbrot, welches sie gerade hereingebracht hatte, genießen.
Es war gut, dass das Wort Abendbrot fiel, denn mit diesem Hinweis kam ich in die Wirklichkeit zurück. Außerdem knurrte mir der Magen, so großen Hunger hatte ich. Für die Fürsorge bedankte mich sehr. Auf einem Tisch stand ein Tablett mit dunklem Brot und Butter. Dazu gab es Schinken und Wurst. Sogar frisches warmes Rührei stand in einer Schüssel für mich bereit. Meine junge Wirtin wollte nur noch Tee und Besteck holen und sich dann, wenn ich nichts dagegen hätte, ein bisschen zu mir setzen.
Es dauerte nicht lange und sie kam mit einer Teekanne und drei Tassen in die Gaststube zurück. Ihr auf den Fersen folgte ihre Mutter – das schloss ich aus der Ähnlichkeit der beiden – mit Besteck, Löffeln und einem großen Glas Honig für Tee. Ich staunte verblüfft die Frau an, denn sie glich der zweiten Nixe auf dem Gemälde an der Wand. Sie war nur etwas älter, aber hatte ebenfalls dieses silberne Haar und die leuchtend blauen Augen, wie ihre Tochter und die Nixen auf dem Bild. Sie begrüßte mich ebenso herzlich, wie vorher ihre Tochter. Nachdem ich mich vorgestellt hatte, machten wir drei Frauen es uns an dem gedeckten Tisch gemütlich.
Essen musste ich alleine, denn die Frauen beteuerten, dass sie schon ein gutes Abendbrot genossen hatten. Dem Tee jedoch waren sie nicht abgeneigt. Ich beschloss, sie in den nächsten Tagen nach der Teemischung zu fragen, denn er war köstlich. Doch erst einmal freute ich mich auf das deftige Abendbrot.
Während ich das Brot aß, erzählte ich zwischen den Bissen den staunenden Frauen von meinem ungeplanten Reiseverlauf. Die Müllerin beteuerte, dass sie sich trotz der unglücklichen Umstände über meinen unerwarteten Besuch freute und war zuversichtlich, dass es mir bei ihr und in diesem Tal gefallen würde. Das glaubte ich gerne und erzählte ihr, weil es mir gerade eingefallen war, von dem merkwürdigen Benehmen des Bahnhofsvorstehers und ihres Knechtes, wenn das Wort ‚Elfen‘ fiel.
Mutter und Tochter fingen daraufhin laut zu lachen an und erklärten mir, dass in den beiden Männern der Schalk wohne und sie sich gerne über die Leute lustig machten. Ach, so ist das, dachte ich enttäuscht. Schade, dass ich meine romantischen Erwartungen mitsamt einem Schinkenbrot hinunterschlucken musste.
Was hatte ich eigentlich erwartet? Viel, wie ich mir eingestehen musste. Ich malte mir während der Fahrt vom Bahnhof bis zu meiner Unterkunft ein verwunschenes Dörfchen aus, in dem Elfen wohnten und den Menschen ein normales Leben vorgaukelten, um diese in ihren Bann zu ziehen.
Mir fiel bei meinen stillen Überlegungen, sofort die Predigt über vernünftige Menschen ein, die sich der Müllersknecht bei der nächtlichen Fahrt durch den Wald von mir gefallen lassen musste. Ich glaube, der unvernünftigste Mensch war ich selbst. Immer wieder hoffte ich in meinem Leben auf Wunder.
Die beiden Frauen, die mir gegenüber saßen, schilderten mir ihr alltägliches Leben in der Mühle und in der Ortschaft. Als ich endlich satt war und ein Gähnen nicht mehr unterdrücken konnte, verabschiedete sich die Müllerin, und ihre Tochter begleitete mich in mein Zimmer ins obere Stockwerk hinauf und wünschte mir eine gute Nacht und schöne Träume.
Ach, die werde ich haben, ganz bestimmt, meinte ich und war mir dessen schon jetzt sicher. Denn das Zimmer, das die Wirtin mir zugewiesen hatte, war herrlich altmodisch; wie in alten Zeiten.
Da stand an einer Wand doch tatsächlich ein großes Himmelbett mit einem gewaltigen Federbett darauf und mindestens vier dick aufgeschüttelten Kissen. Die Bettwäsche und die Vorhänge, die das Bett einrahmten, bestanden aus schneeweißem Linnen mit aufwändiger Lochstickerei. Ich warf mich in das Bett hinein und lachte vor Freude auf. An der gegenüberliegenden Wand war ein kleiner Kamin eingebaut und bis fast oben hin mit Holz bestückt. Inmitten lustig lodernder Flammen verströmte er seine Wärme. Neben diesem Kamin stand auf einem kleinen Tisch eine Waschschüssel und daneben lag ein ordentlich zusammengelegtes, frisches Handtuch. Das Waschwasser für die Schüssel befand sich noch in einem Kupferkessel, der nahe an das Feuer gerückt, dieses warmhalten sollte.
Ich grinste in mich hinein. Wo war ich hier hingeraten?
In der Stadt hatten wir schon längst fließendes Wasser aus Rohren und ein schönes bequemes Bad mit einer Wanne. Ach, alles egal, dachte ich mir, immer noch über mein ganzes Gesicht strahlend. Diesen unverhofften Aufenthalt hier werde ich genießen.
Mein Gepäck hatte man inzwischen vor einen mächtigen bunt bemalten Holzschrank, dessen Türen zwecks Lüftung weit offen standen, abgestellt. Ich ließ die Koffer erst einmal zu und nahm aus meiner Reisetasche, die neben meinem Bett stand, das Nachtzeug heraus und schlief sofort ein, kaum dass ich mich in die Kissen und das große Federbett gekuschelt hatte.
Ob ich schöne Träume hatte, bezweifelte ich am folgenden Morgen, denn in meinem Schlaf begleiteten mich Elfen, die mir Streiche spielten und Nixen, die mich in den Fluss locken wollten, wovor es mir graute, denn ich konnte nicht schwimmen. Da war ich ganz froh, als ich durch das Mühlrad und lustiges Gepfeife eines Burschen, der seine tägliche Arbeit verrichtete, endlich munter wurde. Die Sonne schien durch das geöffnete Fenster ins Zimmer herein, und ihre Morgenstrahlen endeten auf meiner Bettdecke. Vor dem Fenster, welches von Efeuranken umkränzt war, zwitscherte zu meiner Freude ein Star. Dieser kleine Sänger ahmte so perfekt Vogelstimmen nach, dass der Eindruck entstand, es hätte sich die ganze Gattung der ansässigen Singvögel versammelt.
Als ich das geöffnete Fenster so betrachtete, dachte ich mir, dass eine der Wirtinnen am Morgen hier gewesen sein musste, das Fenster geöffnet und mich schlafen gelassen hatte. Das schmutzige Waschwasser war auch entfernt worden, wie ich feststellte, als ich mich aus dem Bett herausquälte.
Es war schon elf Uhr Mittag, als ich endlich mit meiner Toilette fertig war und in die Gaststube hinuntergehen konnte. Ich öffnete die Tür und blieb überrascht stehen. Eigentlich hatte ich erwartet, allein im Speiseraum zu sitzen, doch plötzlich sah ich mich mehreren Personen gegenüber. Zwei ältere Herren, die an einem Fenster standen, kamen sofort auf mich zu, kaum dass ich in die Gaststube getreten war, und hießen mich in ihrem Tal willkommen. Einer der beiden freundlichen Herren stellte sich als pensionierter Pfarrer und der andere als Künstler der an den Wänden hängenden Kunstwerke vor. Sie hätten, klärten die beiden mich auf, bei ihrem morgendlichen Spaziergang von einem unerwarteten Gast in der Mühle erfahren und wollten mich unbedingt willkommen heißen. Dann führten sie mich zu einem Tisch, welcher an einem der Fenster stand, durch das man über die Straße hinweg in ein sonnendurchflutetes Tal blicken konnte. An diesem Tisch hatten es sich schon zwei in die Jahre gekommene Damen mit einer Tasse Kaffee bequem gemacht. Die eine stellte der Pfarrer als seine bessere Hälfte vor und die andere war die Frau des Künstlers, die mir sofort ihre Dienste als Schneiderin anbot, falls ich etwas an meiner Kleidung verändern wollte. Ich bedankte mich für ihr freundliches Angebot und versicherte ihr, dass ich ihre Dienste höchstwahrscheinlich nicht in Anspruch nehmen könnte, weil ich mich nur wenige Tage am Ort aufhalten würde. Sobald die Eisenbahnstrecke wieder frei wäre, würde ich mich zu meinem eigentlichen Ferienziel aufmachen.
Meine Ansage, keineswegs länger als nötig hier zu verweilen, muss die anwesenden Herrschaften nicht richtig überzeugt haben, denn sie schauten mich sehr ungläubig an. Der Künstler, der sich mit Karl Gruber vorgestellt hatte, räusperte sich ein bisschen und bat mich, erst einmal am Tisch neben seiner Frau Platz zu nehmen. Die nahm, nachdem ich saß, meine Hand und bat mich, sie mit Erika anzusprechen, denn das wäre in diesem Tal so üblich. Die Frau des Pfarrers schloss sich ihrer Gefährtin an, und ich sollte sie von nun an Brunhilde nennen. Nach dieser, ihrer Meinung nach, großen Ehre – wie ich vermute – war ich dran. Die zwei wirklich netten älteren Pärchen beäugten mich und warteten auf eine Reaktion meinerseits.
Tja, was sollte ich machen? Ich war herzlich willkommen geheißen worden und wollte nicht unhöflich erscheinen. Aber ich hatte ein Problem damit, fremde Menschen mit Vornamen anzusprechen und wollte es mit Diplomatie umgehen. Das war schwerer als ich dachte. Na gut, ich schaute die Frauen an und versicherte ihnen, dass es mir eine Ehre sei, sie mit ihren Vornamen ansprechen zu dürfen und dass ich die Frau Pfeffer sei. Daraufhin starrten sie mir nur stumm ins Gesicht.
Es dauerte ein paar Sekunden, ehe ich meinen Fehler bemerkte und diesen sofort berichtigte und meinen Vornamen, Rosa, nannte. Sofort kam Bewegung in ihre Gesichter, und sie strahlten mich an. Nochmals hießen sie mich als ‚liebe Rosa‘ willkommen und versicherten mir ihre Freundschaft.
Der ehemalige Pfarrer hatte sich wieder erhoben und war hinausgegangen. Kurze Zeit später erschien er in Begleitung einer Magd und eines stattlichen Herrn, der sich mir als der jetzige Müller vorstellte. Während er mir erklärte, dass die Wassermühle ein Erbe seiner Frau war und er nur hineingeheiratet hatte, deckte die Magd den Tisch mit Tellern, Besteck und schön geschliffenen Weingläsern. Eine zweite Magd und der Müllersknecht, der mich vom Bahnhof hierher kutschiert hatte, erschienen vollbeladen mit dampfenden Pfannen und Schüsseln, die sie auf bereitgelegte Untersetzer aus Holz auf den Tisch, an dem ich saß, abstellten. Nach deren Begrüßung in meine Richtung verschwanden sie eiligst aus der Gaststube, um nochmals mit verschiedenen Platten, belegt mit gebratenen Forellen und Hühnchen, zu erscheinen. Diesmal trugen die Müllersfrau und ihre Tochter einige Weinflaschen und Schüsseln mit frischem Feld- und Löwenzahnsalat herein. Nachdem mich auch sie herzlich begrüßt hatten und wissen wollten, ob ich gut schlafen konnte, schoben sie einen weiteren Tisch an den unseren heran. Sie erklärten mir, sie hätten sich vorgenommen, mit mir gemeinsam ihre Mahlzeiten in der Gaststube einzunehmen, solange ich bei ihnen weilte. Es wäre dann nicht so einsam für mich, und ich könnte mich wie zu Hause fühlen. Dass die netten Grubers und Pfarrers sich dazu eingefunden hatten, sei besonders schön und gesellig.
Man legte mir die größte Forelle auf meinen Teller, weil ich doch das Frühstück verschlafen hatte und sicher hungrig sei. Die Forelle war mir zu viel des Guten, weil ich noch satt von dem späten reichhaltigen Abendbrot war, was ich meinen Wirtsleuten behutsam zu verstehen gab. Ach wo, hieß es da, ich soll ruhig mit der Forelle anfangen, meinten alle am Tisch. Den Rest könnte ich dann zum Abend aufgewärmt bekommen. Na gut, wenn das so ist, dachte ich, dann kann ich mein Essen genießen und schnitt die Forelle, die in brauner Butter und Zitronenscheiben schwamm, an.
Es blieb nichts auf meinem Teller übrig. Ich schaffte es, die Forelle vollständig aufzuessen und die Kartoffeln noch dazu und sogar eine große Schüssel mit Feldsalat. Die Mahlzeit war lecker, und ich dachte an den Bahnhofsvorsteher, der mir die gute Küche der Müllerin ja schon prophezeit hatte. Das gebratene Hühnchen allerdings verweigerte ich und widmete mich nur noch dem wunderbar süßen Weißwein, welchen man mir reichlich einschenkte.
Schade, dass mein Mann mich nicht begleitet hatte, denn der liebte auch gutes Essen und einen süffigen alten Wein. Mal sehen, vielleicht fahre ich mit ihm noch einmal in dieses Tal, und wir mieten uns für ein paar Tage in die Wassermühle ein. Oder besser noch, wir nehmen unsere Kinder und deren Familien mit. Das gibt bestimmt viel Spaß – oder auch nicht.
Na, jetzt war ich erst mal hier. Die beiden Mägde, die in der Wirtschaftsküche zusammen mit den Knechten ihr Mittagsmahl eingenommen hatten, kamen mit leeren Tabletts und deckten den Tisch wieder ab. Nur die Weingläser und die angebrochenen Weinflaschen ließen sie auf dem Tisch stehen.
Ich fühlte mich rundherum wohl und geborgen. Der schwere Wein tat sein Übriges, und meine Gedanken versanken wieder in die fantastischen Welten.
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