Der Weihnachtsmannkiller. Ein Winter-Krimi aus Ostfriesland - Klaus-Peter Wolf - E-Book
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Der Weihnachtsmannkiller. Ein Winter-Krimi aus Ostfriesland E-Book

Klaus-Peter Wolf

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Beschreibung

Die einen bereiteten sich auf das Weihnachtsfest vor, indem sie Strohsterne bastelten oder Wunschlisten anlegten. Andere hörten nur noch diesen Engelsgesang von Frieden, Glück und Liebe. Das alles ertrug er nicht. Er schuf Platz in seiner Tiefkühltruhe - für eine weitere Leiche.                                     Weihnachten einmal ganz anders – Der erste Weihnachtskrimi von Bestsellerautor Klaus-Peter Wolf Die meisten bereiteten sich auf das Weihnachtsfest vor, indem sie Strohsterne bastelten und Plätzchen in den Ofen schoben. Das Haus schmückten, Lämpchen anzündeten oder sich ein Rentier in den Vorgarten stellten. Ihm war das alles zuwider - er hatte andere Pläne. Er würde die Tiefkühltruhe frei machen für eine weitere Leiche. Für den nächsten Weihnachtsmann. In dieser Jahreszeit gab es ohnehin zu viele von ihnen. Er wollte ihre Reihen lichten - das hatte er sich fest vorgenommen. Und dabei würde ihm die größte aller Hexen - Ann Kathrin Klaasen - ganz bestimmt nicht in die Quere kommen. Feiern Sie Weihnachten einmal ganz anders mit der Nummer 1 in der Spannung: Klaus-Peter Wolf. »... ein wunderbares Lesevergnügen!« Uli Wagner/SR3 Krimitipp

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Klaus-Peter Wolf

Der Weihnachtsmann-Killer

Ein Winter-Krimi aus Ostfriesland

Kriminalroman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Weihnachten in Ostfriesland: Eigentlich wäre das die Zeit der Besinnung und des Innehaltens. Doch nicht so in Ostfriesland. In den letzten acht Jahren verschwanden oder starben in der Weihnachtszeit zwölf Weihnachtsmänner. Gerade ist wieder einer verschwunden. Und ein eiskalter Erpresserbrief wurde auch schon gefunden. Da gibt es nur einen Weg: Frank Weller und Rupert müssen sich als Weihnachtsmänner verkleiden und den Killer anlocken. Eine lebensgefährliche Aktion beginnt …

 

Der erste Weihnachtskrimi von Nummer-1-Bestsellerautor Klaus-Peter Wolf.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Klaus-Peter Wolf gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern in Deutschland, seine Ostfriesenkrimis stehen regelmäßig auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste Taschenbuch. Der Autor lebt als freier Schriftsteller in Norden, im selben Viertel wie seine Kommissarin Ann Kathrin Klaasen.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

Andere bereiteten sich auf das Weihnachtsfest vor...

Tobias Henner sah...

Andere bereiteten sich auf das Weihnachtsfest vor, indem sie Strohsterne bastelten oder Wunschlisten anlegten. Er schuf in seiner Tiefkühltruhe Platz für eine weitere Leiche.

Er ertrug diese schreckliche Weihnachtsmusik nicht.

Ihr zu entfliehen, war fast unmöglich. Deshalb ging er nicht ohne Kopfhörer aus dem Haus.

Er hörte Death Metal.

Die übersteuerten Bässe fuhren ihm in den Magen. Das Grunzen, Knurren und Krächzen wurde von spitzen Schreien unterbrochen. Dagegen hatte der Engelsgesang von Frieden, Glück und Liebe keine Chance. So konnte er selbst durch die Osterstraße gehen oder den Marktplatz überqueren, wo jetzt überall Glühweinbuden und Bratwurststände selig-bekifft guckende Leute anzogen.

Wohltätige Organisationen verkauften selbstgemachten Weihnachtskitsch. Dazu diese Beleuchtung überall! Eine Beleidigung für seine Augen.

Selbst die Polizeiinspektion sah jetzt aus wie ein Knusperhäuschen. Die Hexe, die davorstand, hatte keine Warze auf der Nase und auch keinen krummen Rücken. Aber sie war die schlimmste Hexe von allen. Sie hieß Ann Kathrin Klaasen.

Als Kind hatte er in einem Supermarkt die Hexe von einem großen Knusperhäuschen gestohlen und ihr den Kopf abgebissen. Bei Ann Kathrin Klaasen ging das leider nicht so einfach.

Damals war er erwischt worden, und es hatte mächtig Ärger gegeben. Heutzutage war er nicht mehr so leicht zu schnappen. Er wusste, wie man sich tarnte. Er war zu einem Chamäleon geworden, das sich der Umwelt anpasste. Im Frühling und Sommer war das leicht. Aber im Winter wurde es zum Spießrutenlauf. Der reinste Horror.

In der Adventszeit spitzte sich alles zu. Er konnte dann kaum noch an etwas anderes denken als daran, einen verkleideten Weihnachtsmann umzubringen. Am liebsten alle gleichzeitig, aber das ging nicht. Dafür waren es zu viele, obwohl er sich Mühe gab, ihre Reihen auszudünnen.

In diesem Jahr wollte er schon am Vorabend des Nikolaustages beginnen. Am 5. Dezember, dem Sünnerklaasfest, wie die Ostfriesen es nannten, die aus allem einen Witz machten. An dem Tag knobelten sie um armdicke Würste, Torten, Gänse oder – verbotenerweise, aber wer hielt sich hier schon an Verbote? – um Schnapsflaschen. An den Verknobelungen nahmen auch Kinder teil.

Bei ten Cate fiel an diesem Tag der normale Cafébetrieb aus. An mehreren Tischen wurde gleichzeitig geknobelt. Jörg Tapper und seine Söhne waren die Spielführer. Monika Tapper verteilte die Preise. Sie trug immer ein paar Trostpreise in ihrer Tasche, falls ein Kind mal Pech haben sollte. Sie wollte, dass nur lachende Gesichter das Café verließen.

Die Tische wurden immer dicht umlagert. Man setzte einen oder zwei Euro. Jeder durfte einmal würfeln. Wer die höchste Punktzahl aus dem Becher kullern ließ, gewann.

Hier hatte er im letzten Jahr, als er eigentlich gekommen war, um Hermann Volks mit einem Beil ins Jenseits zu befördern, drei Torten und zwei Marzipanseehunde gewonnen. Eigentlich hatte er nur gespielt, um die Wartezeit zu überbrücken und um nicht aufzufallen.

Volks kam angeheitert und viel zu spät. Er verlor ständig, hatte aber dabei gute Laune und lachte jedes Mal laut. Es war wie eine Provokation, als würde er seinen Mörder auslachen. Einmal hatte er ihm sogar ins Gesicht gegrinst.

Es war gar nicht so leicht, jemanden umzubringen, wenn man mit drei Torten und zwei Seehunden balancieren musste.

Er hatte die Torten schnell nach Hause gebracht, einen Seehund selbst gegessen und einen an Kinder verschenkt. Als er – ein bisschen außer Atem – zurück bei ten Cate war, verließ Hermann Volks gerade das Café in Richtung Mittelhaus, wo um Mettwürste geknobelt wurde. So wäre er ihm fast entkommen. Fast.

Am Ende landete er dann doch in der Tiefkühltruhe.

Die Böden waren zu hart gefroren. Eine Erdbestattung ließ sich im Dezember nicht gut bewerkstelligen. Er konnte ja keinen Bagger einsetzen oder anderes schweres Gerät. Er musste es heimlich erledigen.

Einmal war es ihm gelungen, einen ermordeten Weihnachtsmann auf dem ganz normalen Friedhof zu bestatten. Er hatte ihn einfach in einen Sarg mit dazugelegt. Als Grabbeigabe sozusagen. Es war völlig problemlos über die Bühne gegangen. Wer wühlte schon in einem Sarg herum, ob sich unter der Leiche noch eine weitere befand?

Als einer der wenigen Gäste war er bei der Beerdigung dabeigeblieben. Der Mann musste einsam im Altersheim gestorben sein. Aber jetzt war er wenigstens für lange Zeit nicht mehr alleine.

Die Nordsee als nasses Grab war im letzten Winter auch nicht wirklich brauchbar. Bei Ebbe war das Watt zugefroren, und die Flut hatte bizarre Eisbrocken an Land gespült. Weiße Platten stapelten sich übereinander wie riesige, aus Eis gebrochene Spielkarten. So toll das auch aussah, sich dazwischen zu bewegen, war lebensgefährlich. Man konnte einbrechen und zerquetscht werden.

Das Eis gab klagende Geräusche von sich. Da war ein Knistern, ein Stöhnen und ein Knirschen.

Die Töne hätten gut in ein Death-Metal-Konzert gepasst. Sie hatten so etwas Düster-Bedrohliches an sich. Als wollte die beleidigte Natur sich am Menschen rächen.

Selbst die Nordsee gefiel ihm in der Weihnachtszeit nicht. Das Meer hatte in seinen Augen kein Recht, zuzufrieren. Es war salzig und immer in Bewegung.

»Mein Mann«, sagte Renate Volks händeringend, »ist jetzt seit einem Jahr verschwunden.«

Hauptkommissar Rupert stöhnte. Wenn er sie so ansah, ahnte er auch, warum, aber das sagte er nicht.

Er wollte sie abwimmeln, und das ging am besten mit Fakten: »Gute Frau, täglich gehen in den Dienststellen Hunderte Vermisstenmeldungen ein. Allein im letzten Jahr wurden fast zehntausend Personen als vermisst gemeldet. Zwei Drittel davon waren Männer. Die meisten kamen nach ein, zwei Wochen, andere nach Monaten zurück. Meist reumütig, pleite und mit einem Kater. Ich rede von Erwachsenen. Und genau das ist das Problem: Sie sind erwachsen! Erwachsene dürfen ihren Aufenthaltsort selbst bestimmen und sind nicht verpflichtet, ihren Angehörigen mitzuteilen, wo sie sich aufhalten. Wenn ich zum Beispiel bei meiner Geliebten bin … weiß meine Frau auch nicht, wo ich bin … also mich jetzt mal nicht als Person genommen, sondern als Mann …«

Renate Volks erhob den Zeigefinger und sah auf Rupert herab. Sie wippte auf knatschenden Sohlen: »Mein Mann war nicht so einer! Er war ein treusorgender Ehemann! Aber Sie ahnen ja nicht, welche Schwierigkeiten ich jetzt habe, Herr Kommissar.«

»Doch. Es stand groß in der Zeitung.«

Sie wiederholte es trotzdem: »Ich habe mich doch nie um die Bankgeschichten gekümmert. Das hat er immer gemacht. Und zwar gut! Er war unser Finanzminister. Aber das Haus ist noch nicht abbezahlt. Hypotheken werden fällig. Rechnungen müssen überwiesen werden. Wir brauchen Öl! Und ich komme nicht an sein Konto … Ich habe keine Vollmacht für das Geschäftskonto …«

Rupert rollte mit dem Stuhl ein Stück zurück in Richtung Wand. Er brauchte Abstand zu der Frau. Er ahnte, dass es gleich sehr emotional werden würde.

»Vielleicht hatte Ihr Mann ja Gründe, warum er Ihnen keine Kontovollmacht gegeben hat«, orakelte Rupert.

Die ostfriesische Kriminalpolizei wusste inzwischen viel mehr über Hermann Volks, und längst nicht alles hatten sie seiner Frau erzählt. Warum auch? Vielleicht tauchte er ja plötzlich wieder auf und würde dann sehr sauer werden, weil die Polizei sich in sein Privatleben eingemischt hatte.

»Was unterstellen Sie mir da?«, zischte Renate Volks empört.

Rupert versuchte es ganz ruhig: »Gute Frau, Sie können hier nicht einfach so in die Dienststelle platzen und unsere Arbeit überprüfen. Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Sie stören! Sie sind nicht die Polizeichefin, sondern eine Bürgerin, die von ihrem Mann verlassen wurde und das nicht verkraftet. Haben Sie keine Freundin, mit der Sie darüber reden können? Es muss ja nicht gleich eine Therapeutin sein. Aber ich bin jedenfalls nicht zuständig …«

Sie stampfte zornig auf: »Hermann hat mich nicht verlassen! Er ist tot!«

»Ist er für uns nicht, solange wir keine Leiche haben …«

Renate Volks kam einen Schritt näher. Rupert konnte ihr süßliches Parfüm riechen. Er wäre gern mit dem Stuhl noch weiter nach hinten gerollt, aber das ging nicht. Er stieß schon gegen einen Aktenschrank.

»Sie sind einfach eine ganz faule Bande, die von unseren Steuergeldern lebt, sich aber einen Dreck um uns Bürger kümmert!«, rief sie. In ihrer Wut packte sie ein Ostfriesland Magazin, das auf dem Schreibtisch lag, und hob es, wie zum Beweis für Ruperts Untätigkeit, hoch.

Er rechnete damit, dass sie versuchen würde, es ihm um die Ohren zu hauen. Er hielt schon schützend eine Hand vor sein Gesicht. Dann platzte es aus ihm heraus: »Also gut, meinetwegen.« Er kramte die Akte hervor. »Wir sind die letzten drei Tage Ihres Mannes vor seinem Verschwinden akribisch durchgegangen …«

Das Wort akribisch hatte er von Ann Kathrin Klaasen aufgeschnappt. Es hörte sich professionell an, fand er. »Was dabei herausgekommen ist, wird Ihnen aber nicht gefallen, Frau Volks.«

Sie hielt das Ostfriesland Magazin wie ein Schwert in der Hand.

Rupert war bereit, sich zu schützen. Er atmete tief durch: »Ihr Mann hatte eine Geliebte.«

Renate Volks schnaufte.

Rupert suchte den Namen. Er fand ihn und das Foto mit dem Protokoll ihrer Befragung. »Ja. Anneliese Lucht aus Esens. Er hat ihr sogar die Ehe versprochen, sie dann aber verlassen.«

Frau Volks’ Gesicht entspannte sich. Ein Seitensprung nach zwanzig Jahren Ehe, das ließ sich vielleicht verkraften, und wer weiß, was diese Anneliese sich da eingebildet hatte. Vermutlich hatte sie ihrem Hermann nur schöne Augen gemacht und sich mehr von ihm versprochen, als er bereit war, ihr zu geben.

Rupert zeigte ein weiteres Porträt einer Frau. »Also wie gesagt, er hat Anneliese Lucht verlassen … für eine Jüngere. Sarah Birn.«

Ungefragt setzte Frau Volks sich. Genauer gesagt, sie ließ sich auf einen freien Stuhl fallen. Sie wirkte, als hätte jemand den Stecker gezogen.

Rupert betrachtete das Foto noch einmal und erinnerte sich. »Kann ich im Grunde verstehen. Eine ganz bezaubernde Person, diese Sarah …«

»Das sagen Sie nur, um mir weh zu tun«, behauptete Renate Volks. Ihre Unterlippe zitterte. Ihre Füße trommelten einen nervösen Takt auf den Boden.

»Nein«, sagte Rupert, »das haben wir lange verschwiegen, weil wir Sie nicht verletzen wollten. Und im Grunde geht es uns ja auch gar nichts an. Ehebruch ist kein Verbrechen.«

Ann Kathrin Klaasen betrat den Raum. Sie erfasste die Situation mit einem Blick und schaute Rupert tadelnd an. Der erklärte sich schulterzuckend: »Ich habe es ihr gesagt.«

Ann Kathrin gefiel Ruperts eigenmächtige Handlung nicht. Sie fragte: »Und Sie gehen immer noch davon aus, dass Ihr Mann tot ist, Frau Volks? Oder hat er sich bei Ihnen gemeldet?«

Renate Volks nickte vehement und schüttelte dann heftig den Kopf. »Nein, er hat sich nicht gemeldet. Klar gehe ich davon aus, dass er tot ist. Was denn sonst? Aber mir glaubt ja keiner!«

»Doch, ich«, sagte Ann Kathrin, und Renate Volks horchte auf. Jetzt hielt sie wenigstens die Füße still.

Ann Kathrin fragte nach. »Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass er tot ist?«

Frau Volks zählte auf: »Er hat sich seit einem Jahr nicht gemeldet. Er hat den 75. Geburtstag seiner Mutter verpasst, und glauben Sie mir, er hatte eine intensive Beziehung zu seiner Mutter. Er hat keinen seiner Freunde seit dem fünften Dezember jemals wiedergesehen. Niemand hat etwas von ihm gehört. Er war im Schachclub, und er hat in der Band gespielt. Nicht gut, aber gerne. Der war sogar im Stadtorchester. Nee – er ist wie vom Erdboden verschluckt. Und Ihr Kollege da«, sie zeigte auf Rupert, »beschädigt sein Andenken.« Sie spuckte symbolisch in Ruperts Richtung. »Ja, er beschmutzt sein Andenken.«

Ann Kathrin Klaasen beugte sich vor, so dass sie mit Frau Volks auf Augenhöhe war. Es war ihr wichtig, Blickkontakt zu halten, während sie sprach: »Es tut mir leid. Ich habe selbst mit beiden Frauen gesprochen. Mein Kollege hat leider recht. Aber ich fürchte, genau wie Sie, dass Ihr Mann nicht mehr unter den Lebenden weilt. Seine beiden Freundinnen haben auch nie wieder etwas von ihm gehört … Auch ich muss vom Schlimmsten ausgehen.«

»Dann helfen Sie mir, Frau Kommissarin!«, rief Renate Volks.

»Das ist nicht so einfach.« Ann Kathrin klärte die Frau auf, so gut sie konnte: »Vermisste unter fünfundzwanzig Jahren können schon mal gar nicht für tot erklärt werden, wenn keine Leiche vorhanden ist. Das schließt der Gesetzgeber aus.«

»Mein Mann war einundfünfzig, als er verschwand.«

Rupert versuchte, Ann Kathrin gestisch anzudeuten, sie solle sich doch bitte mit Frau Volks woandershin verziehen. Er hätte noch zu arbeiten.

Ann Kathrin sah ihm an, wie sehr ihn das alles nervte. Sie zählte trotzdem für Frau Volks die Fakten auf: »Sie können beim Amtsgericht einen Antrag stellen. Nach Schiffs- oder Flugzeugunglücken geht das schon nach einem halben Jahr. Aber wenn sich jemand einfach nicht mehr meldet, dann müssen mindestens zehn Jahre vergangen sein. Es sei denn, die verschollene Person ist über achtzig oder hat mehreren Menschen gegenüber Suizidgedanken geäußert.«

»So lange kann ich nicht warten.« Renate Volks verdrehte die Augen: »Bis er achtzig ist … Und mein Mann hatte keine Suizidgedanken. Der war voller Lebenslust und Lebensgier! Geht das denn nicht irgendwie anders?«

»Ich verstehe Ihre Ungeduld, Frau Volks, aber am Amtsgericht sind sie sehr vorsichtig. Das gebrannte Kind scheut das Feuer …«

»Wie das?«, fragte Renate Volks.

Rupert wollte alles abkürzen und platzte mit einer Information raus, die er eigentlich nicht weitergeben durfte: »Die haben schon mal einen Mann für tot erklärt. So kam seine Frau an die Lebensversicherung und konnte erneut heiraten. Einen Arzt aus Lingen. Als der Tote dann plötzlich wieder auftauchte, gab es eine Menge Stress. Der wollte in sein Haus zurück, aber da schlief inzwischen ein anderer im Ehebett mit seiner Frau … Einen für tot zu erklären, ist das eine, dann einen für tot Erklärten wieder zum Leben zu erwecken, etwas anderes. Man muss sich da schon ganz, ganz sicher sein …«

Ann Kathrin zupfte Frau Volks am Ärmel: »Kommen Sie. Wir können hier nicht viel für Sie tun. Lassen Sie uns doch gemeinsam einen Kaffee trinken, ich habe eh gerade Pause und wollte zu ten Cate.«

Rupert zwinkerte Ann Kathrin komplizenhaft zu und widmete sich wieder seiner Arbeit am Bildschirm.

Auf seiner Liste standen drei Weihnachtsmänner mit höchster Dringlichkeit. Der eine, Josef Binder, war aus Wilhelmshaven. Er trat seit Jahren in Kindergärten auf, in Kaufhäusern und ließ sich von Familien buchen. Er arbeitete im Advent, in seiner Hauptsaison, härter als jede Kölner Karnevalsband an den tollen Tagen. Sein Auftrittsradius umfasste den gesamten Jadebusen bis Jever, Schortens und Butjadingen. Wo es ein paar Euro zu verdienen gab, indem man kleine Kinder erschreckte oder ungesunden Mist an sie verkaufte, war er dabei. Allein für sein heiseres Säuferlachen hatte er den Tod verdient.

Guntram Bentele, die Nummer zwei auf der Liste, war aus Baden-Württemberg vor gut zehn Jahren zugereist. Er hatte das Haus seiner Oma in Bensersiel geerbt. Seitdem ließ er sich überall in Ostfriesland als Weihnachtsmann mieten. Er trat auch als Witze-Erzähler bei Betriebsfesten auf. Er riss Zoten auf Kosten Schwuler und Behinderter. Er trat gerne nach unten und buckelte nach oben.

Das Schlimmste aber war, er motivierte Kinder und Eltern auf Weihnachtsmärkten zu schrecklichem Gesang. Er spielte Akkordeon und ließ sich manchmal von einem Engelschor begleiten. Kleine Mädchen in weißen Strumpfhosen mit flatternden Gewändern und aufgeklebten Flügeln aus Hühnerfedern.

Als er ihn zum ersten Mal erlebte, heißt: ertragen musste, war das bei dem schrecklichen Weihnachtsspektakel rund um das Wasserschloss Dornum. Sofort stand für ihn fest, dieser Typ musste sterben. Am besten langsam und qualvoll. Der war nämlich ein Überzeugungstäter. Der bildete schon die nächste Generation Weihnachtsmänner aus.

Bei Bentele war es nicht einmal nötig, sein Privatleben vorher auszuspionieren. Ganz anders bei Hark Strauss aus Norden. Er wirkte spießig. Gesetzestreu. Ja, langweilig. Selbst seine Auftritte waren harmlos. Ein bisschen im privaten Rahmen. Einmal hatte er in der Ubbo-Emmius-Klinik Stutenkerle verteilt. Diese Hefeteigmännchen wurden in Ostfriesland Klaaskerl genannt. Die Augen waren aus Rosinen, und auf der Brust klebte eine weiße Tonpfeife.

Er hatte ein einziges Mal versucht, so einen Klaaskerl zu essen. Das Zeug wurde in seinem Mund immer mehr. Es war ihm unmöglich, den Brei runterzuschlucken. Der Mist schmeckte nach gesüßtem Kuhfladen mit gemahlener Vanille.

Dieser Hark Strauss musste sterben, weil er ein Hurenbock im Weihnachtsmannkostüm war. Er suchte regelmäßig zweimal im Monat, immer wenn seine Frau mit ihren Freundinnen ihren Wellnesstag hatte, ein Bordell auf. Er ging nicht zu den Hausfrauen, die etwas nebenbei verdienen wollten, oh nein. Er suchte das schmutzigere Geschäft. Die Zwangsprostituierten und die Cracknutten. Darauf stand bei Weihnachtsmännern ganz klar die Todesstrafe.

Den netten alten Herrn mit dem weißen Bart spielen, Geschenke verteilen und Kinder auffordern, das ganze Jahr über brav zu sein, aber dann rumänische und ukrainische Zwangsprostituierte benutzen wie eine Toilette – nein, da gab es kein Pardon, keine andere Strafe: Auf so einen wartete die Tiefkühltruhe.

Vielleicht würde es ihm auch mal wieder gelingen, einen zu Fischfutter zu machen. Ihm gefiel der Gedanke, dass die Touristen sich Fisch- und Krabbenbrötchen reinzogen, ohne zu ahnen, dass sie im Grunde einen verlogenen Weihnachtsmann zweitverwerteten.

Aber es gab auch eine Frau auf seiner Liste. Eine, deren Namen er fett unterstrichen hatte: Ann Kathrin Klaasen.

Zweimal hatte er sich gegen ihre invasive Art, einen mit Fragen in Widersprüche zu verstricken, behaupten müssen. Vielleicht war es ja ein Fehler gewesen, aber als die Nachforschungen wegen des Verschwindens von Hermann Volks begannen, hatte er sich als Zeuge gemeldet, der ihn bei ten Cate während der Verknobelung gesehen hatte und später sogar noch im Mittelhaus.

Er wollte einfach näher an die Ermittlungen ran. Er fand es spannend, mitzubekommen, was passierte, und amüsierte sich über die Dinge, die die Polizisten dachten, über die Fehler, die sie machten, und die fieberhafte Suche.

Außerdem hatten ihn ja viele Leute gesehen. Zum Beispiel der Maurermeister Peter Grendel. Ein Mann, der drei Torten gewonnen hatte, fiel einfach auf.

Holger Bloems Interview mit Renate Volks hatte für viel Wirbel gesorgt. Sie rief dazu auf, dass jeder, der etwas über ihren Mann wisse, sich melden solle.

Bei den anderen Weihnachtsmännern hatte es viel weniger Aufregung gegeben. Selbst bei denen, die tot aufgefunden worden waren.

Ann Kathrin Klaasen war ihm vorgekommen wie eine Hexenmeisterin. Ihre Fragen drangen in ihn ein, und er hatte mehr gesagt, als er eigentlich wollte. Ohne Not hatte er sich mehr gerechtfertigt als nötig, ohne angegriffen worden zu sein, einfach so, als sei es wichtig. Er fühlte sich prinzipiell verdächtigt.

Was für ein schlimmes Weib!

Er war doch zur Polizei gekommen, um zu helfen. Freiwillig! Weil er einen Artikel in der Zeitung gelesen hatte. Und sie schaute ihn mit ihren Röntgenaugen an, als wolle sie sein Gehirn erst scannen und dann grillen.

Polizeidirektorin Elisabeth Schwarz war es gelungen, ihren Urlaub mit ihrer Leidenschaft, dem Schachspiel, zu verbinden. Sie kam aus dem Harz von einem achttägigen Seminarturnier zurück. Sie empfand sich immer noch als Lernende, und sie wollte bei den Besten lernen. Zwei internationale Großmeister halfen ihr in Wernigerode, die eigenen Partien zu analysieren und so ihr Spiel zu verbessern.

Sie war eine Woche lang völlig in die Welt des Brettspiels abgetaucht. Hier gab es klare Regeln und Strategien. Sie hoffte, daraus auch Wissen und Kraft zu beziehen, um den Alltag als Führungskraft in Ostfriesland besser zu bestehen. Menschen waren aber einfach komplizierter als Schachfiguren und leider weniger leicht zu berechnen.

Sie hatte sich ihren ersten Arbeitstag nach dem Urlaub wahrlich anders vorgestellt. Ann Kathrin Klaasen hatte zu einer Dienstbesprechung eingeladen. Sie verlangte die Gründung einer Sonderkommission, die schon spaßeshalber Soko Weihnachtsmann-Killer genannt wurde.

Elisabeth Schwarz betrat, ganz gegen ihre Gewohnheiten, den Konferenzraum zu spät. Ann Kathrin Klaasen stand vor der Leinwand, auf die Bilder projiziert wurden, und erläuterte ihre Theorie. Für Frau Schwarz völlig inakzeptabel: An der Besprechung nahm auch der Journalist Holger Bloem teil.

Sie saßen in den Augen der Polizeidirektorin wie Hühner auf der Stange und hörten Ann Kathrin Klaasen zu. Nie lauschte man ihr so andächtig. Wenn sie sprach, knabberten die Kollegen Nüsse, aßen Kuchen, pusteten in ihre Teetassen oder spielten unter dem Tisch mit ihren Handys.

Rupert pflegte regelmäßig seine Facebook- und Instagram-Seiten. Einige kicherten auch oder schoben sich gegenseitig Zettel zu, wie pubertierende Schüler während des Frontalunterrichts.

Ann Kathrin Klaasen dagegen hatte die volle Aufmerksamkeit von allen.

»In den letzten acht Jahren verschwanden oder verstarben auf unnatürliche Weise im Dezember – genauer gesagt zwischen dem fünften Dezember und Heiligabend – in Ostfriesland zwölf Männer.«

Die Namen und Fotos der Betroffenen wurden auf die Leinwand geworfen.

»Der dreizehnte, Herr Poppen, ist ein Sonderfall. Er wurde bei einem Spaziergang am zweiten Weihnachtstag überfahren. Aber ich glaube, er gehört trotzdem in diese Galerie. Von acht Männern fehlt bis jetzt jede Spur.«

Sie fuhr mit einem Lichtsignal die einzelnen Porträts an und las die Namen vor.

»Sie stammen aus Leer, Aurich, Wittmund, Harlingersiel. Zwei aus Norden, einer aus Hage und einer aus Marienhafe. Wir reden hier von den Vermissten. Vier Männer sind auf unnatürliche Art gestorben.

Herr Seybert wurde in der Nacht vom sechsten auf den siebten Dezember in seinem Haus erstochen. Wir hielten es für die typische Verdeckungstat eines erwischten Einbrechers.

Herr Ahrends verblutete nach einem nächtlichen Raubüberfall in Lütetsburg am achten Dezember ein Jahr später.

Herr Ripken verbrannte am zwanzigsten Dezember – zwei Jahre später – in seinem Auto auf einem Rastplatz in Emden.

Herr Naber wurde zwei Jahre später erdrosselt aufgefunden. Am zwölften Dezember.

Wenn wir Herrn Poppen dazuzählen, sind fünf aus Norden. Hage zählt zum Altkreis Norden mit dazu. Hier scheint so etwas wie das Epizentrum zu sein.«

Ann Kathrin Klaasen nahm sich Zeit, in die nachdenklichen Gesichter zu sehen.

Frau Schwarz brachte sich, an der Tür stehend, von hinten ins Gespräch ein: »Und was wollen Sie uns damit sagen, Frau Klaasen?«

Einige Köpfe drehten sich kurz zu ihr um. Man nahm ihre Anwesenheit zur Kenntnis, wartete aber gespannt auf Ann Kathrin Klaasens Antwort.

»Ich denke, das können wir nicht als Zufall abtun«, sagte Ann Kathrin.

Die Polizeipsychologin Elke Sommer meldete sich: »Im November und Dezember ereignen sich immer viele Familiendramen. Es ist die große Zeit für Depressionen, Scheidungen und persönliche Krisen aller Art.«

Rupert gab ihr recht: »Rein statistisch verschwinden dann auch die meisten Menschen, außer natürlich in den Sommerferien. Da gehen auch viele flöten … äh, ich meine, verloren.«

»All diese Männer haben eins gemeinsam«, behauptete Ann Kathrin und machte eine bedeutsame Pause. Die Spannung im Raum stieg spürbar. Ann Kathrin hob ihre Stimme: »Sie haben alle einmal den Weihnachtsmann oder den Nikolaus gespielt.«

Hauptkommissarin Sylvia Hoppe kicherte. Auch Pressesprecherin Rieke Gersema hielt das für einen Scherz.

Frau Schwarz prustete los: »Ja, und vielleicht haben auch alle Männer Schuhgröße dreiundvierzig. Vermutlich können sie alle schwimmen, und einige mögen auch gerne Matjesbrötchen oder sprechen Platt.«

Ann Kathrin Klaasen baute sich auf, als müsse sie einen Angriff abwehren. »Das ist kein Witz! Bitte, liebe Kollegen und Kolleginnen, lassen wir die Überlegung doch einen Moment lang zu. Haben wir es hier mit einer neuen Serie zu tun? Tötet hier jemand Weihnachtsmänner?«

Polizeidirektorin Schwarz klatschte spöttisch Beifall. »Na bravo! Bravo! Unter einer Serie macht es Frau Klaasen natürlich nicht. Und weil sie so sehr nach Aufmerksamkeit heischt, hat sie gleich die Presse zur Dienstbesprechung eingeladen.«

Weller empörte sich: »Das war gemein!«

»Herr Bloem ist hier«, sagte Ann Kathrin ruhig, »weil er über einige Vermisstenfälle geschrieben hat. Zum Beispiel über Hermann Volks. Er hat uns wichtiges Hintergrundmaterial geliefert und …«

»Ich beende hiermit diesen Mummenschanz. Die Kriminalpolizei ist eine seriöse Institution, Frau Klaasen. Mit solch kruden Thesen machen Sie uns lächerlich!«

Ann Kathrin Klaasen fuhr unbeeindruckt fort: »Von sechs Männern wissen wir definitiv, dass sie in Norden an der Verknobelung teilgenommen haben. Vier waren bei ten Cate und im Mittelhaus.«

»Ach, so ist das«, lachte Frau Schwarz, »das wird also eine PR-Aktion für Ihr Lieblingscafé und eignet sich auch bestens, um den Besuch in Ihrer Stammkneipe anzukurbeln. Jetzt erschließt sich für mich Herrn Bloems Anwesenheit!«

Holger Bloem erhob sich: »Wenn ich hier unerwünscht bin, dann gehe ich selbstverständlich«, sagte er sauer.

Ann Kathrin Klaasen forderte: »Bitte bleib, Holger.«

Rupert foppte ihn: »Mach jetzt nicht auf Rose.«

»Das heißt Mimose«, korrigierte Marion Wolters ihn.

»Wir sollten alle gehen und unsere Arbeit tun, statt unsere Zeit mit wilden Spekulationen zu verplempern, die nur die Bevölkerung verunsichern«, forderte Elisabeth Schwarz.

Rieke Gersema fürchtete, viel Arbeit könne auf sie als Pressesprecherin zukommen. Ihr war es auch lieber, wenn das hier abgebogen werden würde.

Frank Weller sprach aus, was viele dachten: »Wenn da etwas dran ist, Ann, dann ist das ein ganz, ganz dickes Ding.«

Ann Kathrin fügte hinzu: »Ja, Frank, wenn da etwas dran ist, dann verschwindet oder stirbt in den nächsten Tagen ein weiterer Mann.« Sie holte tief Luft: »Wenn nicht sogar zwei.«

Elisabeth Schwarz rief: »Das ist doch alles lächerlich!« Der Satz blieb ihr fast im Hals stecken, denn ihr wurde schlagartig bewusst, dass, sollte Ann Kathrin Klaasens Annahme sich bewahrheiten, sie ganz schön blöd dastehen würde. Sie versuchte noch, irgendwie die Kurve zu kriegen: »Es ist schon gut, Frau Klaasen, dass Sie ohne Denkverbote an all das herangehen. Ich unterstütze das sehr. Aber wir sollten nicht unnötig viele Pferde scheu machen.« Sie zeigte auf Holger Bloem: »Das gilt auch für Sie, Herr Bloem. Traditionell haben wir ja ein gutes Verhältnis zur Presse, und das soll auch so bleiben.«

Ann Kathrin brauchte nur einen Blick, um Rupert und Weller zu sich ins Büro zu bitten. Frau Schwarz nahm das zur Kenntnis. Sie verhielten sich wie Verschwörer. Sie waren mehr Komplizen als Kollegen. Was immer sie ausheckten, die Polizeidirektorin spürte, dass es für sie als Führungsperson besser war, offiziell nichts davon zu wissen. Sie wollte nicht unter den Druck geraten, etwas zu legitimieren, das sich später als peinlich, ja blödsinnig herausstellte. Aber sie wollte auch nichts verbieten, was sich als klug und erfolgreich erwies. Sie hatte gelernt, dass es manchmal besser war, wegzugucken.

Auch Holger Bloem trottete mit den dreien hinaus. Er fragte verunsichert: »Ist das jetzt geheim, oder soll ich berichten?«

»Dies ist ein freies Land«, antwortete Ann Kathrin. »Wir brauchen eine freie Presse als vierte Gewalt im Staat.«

Holger verstand grinsend.

Rupert überlegte, wie das wohl gemeint war, und zählte an den Fingern ab, von welcher Gewalt Ann Kathrin gesprochen hatte. Das Wort Gewaltenteilung war ihm geläufig. »Also wir, die Polizei. Die Jungs und Mädels im Bundestag und …«

Ann Kathrin flüsterte Holger zu: »Im Moment ist es in Ostfriesland lebensgefährlich, den Weihnachtsmann zu spielen. Ich finde, die Menschen sollten das wissen.«

»Jo«, nickte Holger. »Die Saison beginnt ja gerade.« Er beschleunigte seine Schritte. Er konnte es nicht erwarten, den Artikel in den Computer zu hacken. Es kribbelte geradezu in seinen Fingerspitzen.

»Darf ich dich zitieren, Ann?«, fragte er, schon auf der Treppe.

»Mich auch!«, rief Rupert ihm hinterher.

»Hast du denn was gesagt?«, grinste Weller.

Im Büro goss Rupert sich, ohne zu fragen, aus der silbernen Thermoskanne Kaffee in einen Becher mit der Aufschrift Zimtzicke. Der Kaffee war alt und schmeckte sumpfig. Rupert verzog angewidert den Mund.

Ann Kathrin stemmte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Sie wollte mit den beiden ungestört sein. »Was haltet ihr davon, als Weihnachtsmänner an den Verknobelungen teilzunehmen? Die Kostüme stehen euch beiden bestimmt gut.«

Rupert freute sich sofort auf die nette Abwechslung. Alles, was ihn daran hinderte, am Schreibtisch bürokratischen Mist zu erledigen, gefiel ihm. Jeder Papierkram war ihm lästig. Er war ein Typ für den Einsatz und brauchte den Kontakt zu den Menschen. Er suchte das Abenteuer und war, wie er von sich selbst sagte, noch ein richtiger Polizist und kein Bürohengst.

Frank Weller sprach den Satz nachdenklich aus, fast so, als hätte er Vorbehalte: »Sollen wir Lockvögel spielen?«

Ann gab ihm wortlos recht.

»Wenn er wieder zuschlägt, wird er diesmal auf kampferfahrene Profis treffen, nicht auf harmlose Familienpapis«, tönte Rupert und blähte seinen Brustkorb auf.

»Ihr könntet zum Beispiel Weckmänner in der Fußgängerzone verteilen, um ihn zu provozieren«, schlug Ann Kathrin vor. »Ich habe bereits mit Jörg Tapper gesprochen. Er spendiert uns hundert.«

Rupert überprüfte den Sitz seiner Dienstwaffe. Er zog die Heckler & Koch, richtete sie gegen den Kalender an der Wand und posaunte: »Diesmal bist du an den Falschen geraten, du blöder Versager! Flossen hoch!«

Ann Kathrin wies Rupert sofort zurecht. Sie mochte solche Einlagen überhaupt nicht. »Das ist kein Spiel, Rupert, und der korrekte Spruch bei einer Verhaftung ist auch nicht Flossen hoch, du Versager.«

Rupert steckte die Waffe wieder in das Holster und maulte: »Spaßbremse!«

»Da ist noch etwas, das ihr wissen solltet«, sagte Ann Kathrin, »es gab bei allen verschwundenen oder getöteten Männern einen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit.« Sie erinnerte Rupert daran: »Bei Herrn Volks die zwei Affären. Bei Herrn Kujahn einen üblen Konkurs, bei dem nicht alles korrekt ablief. Bei Herrn …«

Weiter kam Ann Kathrin nicht, denn Weller schlussfolgerte: »Du meinst, der überprüft vorher die Lebensläufe und …«

Rupert verwarf den Gedanken sofort: »Das ist doch alles Quatsch. Jeder hat Dreck am Stecken, wenn man nur lange genug in seiner Vergangenheit forscht.«

»Ich nicht«, behauptete Weller.

Rupert lachte laut: »Du bist geschieden. Du hast mit deiner Ex zwei Kinder und hast – unverbesserlich, wie du bist – noch einmal geheiratet. Es gibt Religionen, die würden dir allein deswegen den Zugang ins Paradies verweigern.«

Weller sagte es zu Rupert, schielte aber dabei auf seine Frau Ann Kathrin: »Ich habe jedenfalls nicht ständig irgendwelche Affären.«

»Langweiliger Spießer«, konterte Rupert und hob stolz den Kopf. Er zog den Gürtel seiner Hose zurecht und verpasste Weller einen Spruch: »Wer keine Angebote hat, kann gut treu sein, weißt du?«

»Vielleicht«, sagte Ann Kathrin, »greift er sich einfach wahllos Nikoläuse oder Weihnachtsmänner. Vielleicht überprüft er sogar deren Lebensläufe und wählt sie dann nach ihren Verfehlungen aus. Wir wissen nicht, wie verrückt er ist und wie sein Gehirn funktioniert … Aber der erste auslösende Impuls ist für ihn ganz sicher das Kostüm.«

»Wenn er nur Männer angreift, die sich noch an einem aktiven Sexualleben erfreuen, hast du ja nichts zu befürchten, Alter«, stichelte Rupert. »Dann kommt er sowieso zu mir, der kleine Drecksack. Und bei mir ist er genau an der richtigen Adresse.«

Rupert pustete in den Lauf seiner Heckler & Koch, als sei der durch Schüsse heiß geworden.

Weller wurde ernst: »Ist das eine offizielle – ich meine, eine dienstliche Geschichte?«

Ann Kathrin zuckte mit den Schultern, als spiele die Frage für sie keine Rolle.

Rupert maulte: »Wenn unsere Aktion von Erfolg gekrönt ist, dann war sie garantiert hochoffiziell und von ganz oben angeordnet. Und wenn es ein Flop wird, dann können wir uns nicht einmal die Überstunden gutschreiben. Das kennen wir doch alles.«

Ann gab zu bedenken: »Nicht alle Männer sind an dem Tag verschwunden, an dem sie als Weihnachtsmann oder Nikolaus auftraten. Einige zwei Wochen später, andere erst im Jahr darauf. Aber alle im Dezember …«

Das gefiel Rupert nun gar nicht. »Das heißt, er kann auch noch nächstes Jahr zuschlagen? Irgendwann? Einfach so? Ja, ist denn auf gar nichts mehr Verlass? Nee, das ist nicht fair. Ich finde, der sollte sich mal an unsere Dienstzeiten halten.«

»Wir sollten«, schlug Weller vor, »uns rasch Kostüme besorgen.«

»Ich mag diesen Job«, freute Rupert sich. »Ich liebe die Abwechslung.« Plötzlich hielt er inne und machte ein merkwürdig nachdenkliches Gesicht. »Falls etwas schiefgeht und ich dran glauben muss, Leute, dann möchte ich auf keinen Fall, dass Holger Bloem meinen Nachruf schreibt.«

»Warum nicht?«, fragte Weller.

»Der kennt mich zu gut«, gab Rupert zu, »und das ist so ein Journalist, der sich der Wahrheit verpflichtet fühlt. Ich finde, das ist nicht nötig. Man könnte doch auch ein paar nette Sachen über mich erzählen und muss nicht alles aufwärmen, was ich so verbockt habe im Leben …«

Weller fischte Papier vom Schreibtisch und nahm einen Stift in die Hand. »Willst du mir vielleicht deinen Nachruf diktieren? Dann drucken wir ihn genau so, wie du es möchtest.«

Rupert wusste nicht, ob das ernst gemeint war oder nicht. »Ja, äh … Wie würdest du denn so was schreiben?«

»Er war stets bemüht, mit seinem sonnigen Gemüt zu einem guten Betriebsklima beizutragen.«

Ann Kathrin ermahnte die zwei: »Jungs, die Zeit läuft.«

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