Der Winzerhof – Die goldenen Jahre - Linda Winterberg - E-Book
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Der Winzerhof – Die goldenen Jahre E-Book

Linda Winterberg

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Beschreibung

Die Flüchtigkeit von Glück  

Wiesbaden, 1956: Die Sektkellerei Herzberg hat schwierige Jahre hinter sich, doch endlich können Henni und ihr Mann Georg expandieren. Bille hat sich von einem Schicksalsschlag erholt und in einen Regisseur verliebt. Sie erwartet Zwillinge, ahnt jedoch nicht, welch schwierige Zeit ihr bevorsteht. Lisbeth, deren Ehe auf tragische Weise enden musste, lernt einen neuen Mann kennen – und sieht nicht, dass er etwas im Schilde führt. Und plötzlich geschieht etwas, das das Leben der Schwestern auf den Kopf stellt und nach dem nichts mehr so sein wird wie zuvor. 

Die große Winzerhof-Saga – packend erzählt und voller unvergesslicher Figuren

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Über das Buch

Rheingau, 1956: Henni und ihr Mann Georg führen die Sektkellerei Herzberg mit viel Geschick. Der Aufschwung der Wirtschaftswunderzeit sorgt dafür, dass sie expandieren und den Betrieb weiter ausbauen können. Bille hat sich von ihrem schweren Schicksalsschlag erholt und in einen Regisseur verliebt, der in der „Filmstadt“ Wiesbaden für die Ufa dreht. Sie ist hochschwanger – mit Zwillingen. Dann ziehen erneut dunkle Wolken über der Sektkellerei Herzberg auf. Lisbeth mischt sich wieder mehr in das Familienunternehmen ein, immerhin hält sie Anteile daran. Es kommt erneut zu einem schweren Zerwürfnis der Schwestern – bis zu einem Tag, der alles verändert und von dem an sie zusammenhalten müssen.

Über Linda Winterberg

Hinter Linda Winterberg verbirgt sich Nicole Steyer, eine erfolgreiche Autorin historischer Romane. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern im Taunus.

Im Aufbau Taschenbuch und bei Rütten & Loening liegen neben den ersten Bänden der Winzerhof-Saga »Das Prickeln einer neuen Zeit« und »Tage des perlenden Glücks« von ihr die Romane »Das Haus der verlorenen Kinder«, »Solange die Hoffnung uns gehört«, »Unsere Tage am Ende des Sees«, »Die verlorene Schwester«, »Für immer Weihnachten«, »Die Kinder des Nordlichts« sowie die große Hebammen-Saga »Aufbruch in ein neues Leben«, »Jahre der Veränderung«, »Schicksalhafte Zeiten« und »Ein neuer Anfang« vor.

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Linda Winterberg

Der Winzerhof – Die goldenen Jahre

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

1. Kapitel — Wiesbaden, 12. Februar 1956

2. Kapitel — Wiesbaden, 22. Februar 1956

3. Kapitel — Wiesbaden, 3. März 1956

4. Kapitel — Assmannshausen, 20. März 1956

5. Kapitel — Wiesbaden, 14. April 1956

6. Kapitel — Wiesbaden, 2. Mai 1956

7. Kapitel — Wiesbaden, 12. Mai 1956

8. Kapitel — Wiesbaden, 21. Mai 1956

9. Kapitel — Wiesbaden, 2. Juni 1956

10. Kapitel — Wiesbaden, 3. Juni 1956

11. Kapitel — Wiesbaden, 5. Juni 1956

12. Kapitel — Wiesbaden, 20. Juni 1956

13. Kapitel — Assmannshausen, 25. Juni 1956

14. Kapitel — Assmannshausen, 7. Juli 1956

15. Kapitel — Wiesbaden 18. Juli 1956

16. Kapitel — Colmar, 19. Juli 1956

17. Kapitel — Wiesbaden, 2. August 1956

18. Kapitel — Wiesbaden, 4. August 1956

19. Kapitel — Wiesbaden, 2. September 1956

20. Kapitel — Wiesbaden, 20. September 1956

21. Kapitel — Wiesbaden, 6. Oktober 1956

22. Kapitel — Assmannshausen, 10. Oktober 1956

23. Kapitel — Wiesbaden, 15. Oktober 1956

24. Kapitel — Wiesbaden, 20. Oktober 1956

25. Kapitel — Wiesbaden, 8. November 1956

26. Kapitel — Assmannshausen, 2. Dezember 1956

27. Kapitel — Wiesbaden, 27. Dezember 1956

28. Kapitel — Wiesbaden, 10. Januar 1957

29. Kapitel — Wiesbaden, 25. Januar 1957

30. Kapitel — Wiesbaden, 2. Februar 1957

31. Kapitel — Assmannshausen, 18. März 1957

32. Kapitel — Wiesbaden, 3. Mai 1957

33. Kapitel — Wiesbaden, 10. Mai 1957

34. Kapitel — Assmannshausen, 2. Juni 1957

Nachwort

Impressum

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1. Kapitel

Wiesbaden, 12. Februar 1956

»Ich wünschte, ich könnte hierbleiben«, sagte Henni. »Du weißt, dass ich noch nie eine große Anhängerin der Fastnacht gewesen bin.« Sie widmete dem Piratenkostüm auf dem Tisch, das ihre Schwester Bille ihr mitgebracht hatte, nur einen kurzen Blick. Es sah nicht schlecht aus, das musste Henni zugeben. Ein schwarzer Hut, eine Augenklappe, das Oberteil war eine Korsage, der Rock aus einem roten Stoff gefertigt. Sie würde darin wie eine Piratenbraut aus der Südsee aussehen.

Die beiden befanden sich im Büro der Geschäftsführung der Sektkellerei Herzberg. Dem Herz des Familienbetriebs, wie Henni es gern bezeichnete. Obwohl sie zugeben musste, dass nach dem Feuer, das die Büroräume vor zehn Jahren zerstört hatte, von dem alten Herz nicht mehr viel übriggeblieben war. Henni hatte sich nie wirklich mit der neuen Einrichtung anfreunden können und vermisste an so manchen Tagen den mächtigen Schreibtisch ihres Großvaters und die aus dunklem Holz gefertigten Bücherregale, die die Wände gesäumt hatten. Durch das moderne Mobiliar fehlte diesem Raum die nostalgische Würde von damals, zu der auch der allgegenwärtige Geruch von Zigarren gehört hatte. Aber so war nun einmal der Lauf der Zeit. Das Leben schritt voran, und in den letzten Jahren hatte es das Schicksal gut mit ihnen gemeint. Ihr Großvater wäre stolz darauf, was sie alles auf die Beine gestellt hatten. Ihre neu eingeführte und preisgünstigere Marke Herzberg trocken eroberte die Bundesrepublik im Sturm und bescherte dem Unternehmen den lang ersehnten wirtschaftlichen Erfolg.

Henni berührte die Korsage des Kostüms. Der Stoff fühlte sich weicher an, als sie gedacht hatte. Sie stieß einen Seufzer aus. Von dem Kostüm würde man auf dem Fastnachtsumzug, der in zwei Stunden stattfinden sollte, nur den Hut und die Augenklappe sehen, denn ohne dicken Mantel, Mütze, Schal und Handschuhe hielt man sich besser nicht lange vor der Tür auf. Das ganze Land wurde seit Wochen von einer Kältewelle heimgesucht. Jeden Tag schienen die Temperaturen noch weiter unter null zu fallen, und der Rhein war bereits von einer dicken Eisschicht überzogen. Warum musste die Personalabteilung der Kellerei ausgerechnet in diesem Jahr auf die Idee kommen, die Wiesbadener Fastnacht in eine Mitarbeiterveranstaltung zu verwandeln? Es war geplant, zuerst dem Umzug beizuwohnen, im Anschluss daran sollte es einen Ball mit Tanzkapelle im Marmorsaal geben. Sogar das Wiesbadener Prinzenpaar war dazu geladen worden. Henni verfluchte sich dafür, ihr Veto nicht eingelegt zu haben. Was war an dem üblichen Sommerfest für die Mitarbeiter plötzlich so schlecht gewesen? Gut, im letzten Jahr hatte ein abscheuliches Unwetter der Feier rasch den Garaus gemacht, und die Würstchen auf dem Grill waren davongeschwommen, die Sonnenschirme fortgeflogen. Aber meist hatten sie in den letzten Jahren Wetterglück gehabt. Der Personalleiter war jedoch der Meinung gewesen, dass es in diesem Jahr etwas Neues sein müsste. Lange hatten er und Hennis Ehemann Georg – der Geschäftsführer der Kellerei – nicht gebraucht, um auf die Idee zu kommen, denn beide waren glühende Anhänger der Fastnacht. Henni würde nie verstehen, was die Menschen so toll daran fanden. Sie war jedes Jahr froh darüber, wenn am Aschermittwoch alles vorüber war.

»Nun hab dich nicht so«, erwiderte Bille, die bereits ihr Kostüm trug. Sie ging dieses Jahr als Hexe. Im Kostümfundus der Wiesbadener Filmproduktion, in dem sie bis vor Kurzem als Aushilfe gearbeitet hatte, fanden sich Unmengen an Kostümen in den unterschiedlichsten Größen, was ihr zupasskam, denn sie war bereits arg rund. Bille erwartete, zur Freude aller, Zwillinge. Vor vier Jahren hatte sie den Filmregisseur Wolf Kapplan geheiratet und schien endgültig ihr Glück gefunden zu haben. Die beiden hatten nach ihren Flitterwochen in Venedig eine hübsche Altbauwohnung im Nerobergtal bezogen, und Bille begleitete Wolf gern zu den Drehorten. Ihr gefiel ihr turbulentes Leben an seiner Seite, und daran, eine Familie zu gründen, hatten die beiden nicht gedacht. Doch dann, aus heiterem Himmel, hatte sie sich eines Morgens während eines Spaziergangs mit Henni im Weinberg übergeben, wochenlang war die Übelkeit geblieben. Der anfangs angenommene Magen-Darm-Infekt hatte sich alsbald als eine Schwangerschaft entpuppt, und bei einer der Vorsorgeuntersuchungen hatte der Arzt plötzlich zwei Herzschläge in ihrem Bauch erkannt.

Nun war Bille bereits im fünften Monat. Die Übelkeit hatte sich wieder gelegt, und sie hatte einen ausgezeichneten Appetit, besonders Süßes hatte es ihr angetan. Wenn man davon absah, dass sie langsam wie eine Ente watschelte, bekam ihr die Schwangerschaft ausgezeichnet. Die vollen Wangen standen ihr gut, und ihr braunes Haar war voll und glänzend wie nie zuvor. Sie trug es inzwischen etwas länger und hatte es zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, wie es zurzeit Mode war. Auch Henni hatte ihr blondes Haar wieder wachsen lassen und trug es hochgebunden.

»Fastnacht ist nur einmal im Jahr. Das wird bestimmt lustig. Es ist nur schade, dass Thomas beim Umzug nicht dabei sein kann«, bedauerte Bille. »Die geschmückten Wagen hätten ihm gefallen, und natürlich das Auffangen der Kamelle. Wie geht es ihm denn? Juckt es ihn noch arg?«

Billes Sorge um ihren kleinen Neffen Thomas sorgte dafür, dass sich in Henni erneut das schlechte Gewissen regte. Sie hatte ihren vierjährigen Sohn nur ungern in der Obhut ihrer Köchin Inge und der Hausdame Trude auf ihrem heimischen Gut in Assmannshausen zurückgelassen und kam sich mal wieder wie eine Rabenmutter vor. Der arme Kleine hatte sich im Kindergarten, den er seit einem Jahr mit großer Freude besuchte, die Windpocken eingefangen. Kind sein war auch nicht immer ein Zuckerschlecken. Doch Henni wusste Thomas bei den beiden älteren Damen in den besten Händen. Trude und Inge planten ein Faschingsfest der Windpocken und hatten einige von Thomas’ gepunkteten Kindergartenfreunden ins Gut eingeladen. Lachen war nach Trudes Meinung noch immer die beste Medizin. Inge backte fröhlich Schokoladentörtchen, und Käthe – sie leitete noch immer ihren Weinladen und die kleine Straußenwirtschaft – half ihr dabei. Henni beneidete ihren Sohn beinahe. Er würde diesen eiskalten Tag in der warmen Stube verbringen, während sie, trotz ihrer Winterkleidung, auf der Straße festfrieren würde.

Henni wollte Bille Antwort geben, wurde jedoch durch das Eintreten von Georg und Wolf daran gehindert. Die beiden trugen bereits ihre Faschingskostüme und waren bester Laune. Sie hatten sich unabhängig voneinander für das gleiche Kostüm entschieden und gingen als Cowboys. Wolf begrüßte Bille mit einem Kuss.

»Was für eine hübsche Hexe ich doch habe«, sagte er. »Du siehst zum Anbeißen aus.« Es folgte ein längerer Kuss.

»Also ich würde meine Piratenbraut ja auch gerne loben und innig küssen«, kommentierte Georg sogleich die Tatsache, dass Henni sich noch nicht umgezogen hatte. »Aber ich habe keine. Wo mag sie wohl sein?« Er sah sich suchend im Raum um. Henni gab ihm einen Klaps auf die Schulter.

»Hör mit dem Unsinn auf«, rügte sie ihn. »Du weißt genau, wie sehr ich die Fastnacht verabscheue. Dazu noch diese Kälte. Bei diesen Außentemperaturen bleibe ich lieber bei meinem warmen Wollpullover und den dicken Strümpfen.«

»Die dicken Strümpfe kannst du auch unter dem roten Rock anziehen«, merkte Bille an.

Henni gab sich geschlagen. »Also gut. Dann gehe ich mich mal umziehen. Aber den Pullover trage ich über der Korsage, ob es euch nun gefällt oder nicht! Wir haben schon die Windpocken im Haus, auf eine Grippe verzichte ich gerne.«

Grummelnd nahm sie ihr Kostüm zur Hand und verließ den Raum.

Im Flur lief sie ihrer neuen Sekretärin Hannelore Bertels über den Weg. Die gute Wilhelmine hatten sie vor zwei Jahren schweren Herzens in ihren wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Sie hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, ihre Nachfolgerin höchstpersönlich einzuarbeiten, und war bei den Vorstellungsgesprächen dabei gewesen. Dabei hatte sie auf Details geachtet, die Henni niemals in den Sinn gekommen wären. Zu hübsche Damen hatte sie sogleich aussortiert. Ihrer Meinung nach gab es in deutschen Büros eindeutig zu viele Techtelmechtel zwischen Vorgesetzten und ihren Sekretärinnen. Hannelore war Mitte dreißig und mit ihrer dicken Brille, der gedrungenen Figur und dem kurz geschnittenen Haar eher ein Mauerblümchen. Obwohl sich Henni sicher war, dass Georg sich niemals mit einer Angestellten einlassen würde, hatte sie Wilhelmine schmunzelnd zugestimmt. Widerworte hätten ohnehin nichts gebracht. Hannelore Bertels war jedoch nicht nur wegen ihres Erscheinungsbildes, sondern vor allem wegen ihrer Fähigkeiten eingestellt worden. Sie konnte fehlerfrei tippen, beherrschte Stenographie, hatte ausgezeichnete Manieren und war zuverlässig. Sie war lernfähig und hatte den Sekretariatsablauf innerhalb weniger Tage verinnerlicht, Wilhelmine hatte ihr selbstverständlich auch das Lauschen an Türen beigebracht. Obwohl Henni inzwischen der Meinung war, dass Sekretärinnen dieses bereits während der Ausbildung lernten.

Hannelore trug ebenfalls noch kein Kostüm.

»Ich kann Sie gut verstehen, Frau Winkler«, machte sie keinen Hehl daraus, dass sie das Gespräch mal wieder mitangehört hatte. »Für mich ist die Fastnacht auch jedes Jahr ein Graus. Ich werde als Krankenschwester gehen, da ist der Aufwand gering. Das Kostüm hab ich mir von meiner Mitbewohnerin geliehen.«

»Und am Mittwoch sind wir dann todkrank«, kommentierte Henni kopfschüttelnd und erkundigte sich, ob es wichtige Anrufe gegeben hatte.

»Jetzt, wo Sie danach fragen«, antwortete Hannelore. »Ihre Schwester hat angerufen und abgesagt. Sie meinte etwas von einer Magenverstimmung.«

»Die hätte ich auch gern«, kommentierte Henni und stieß ein Seufzen aus.

Sie hatte bereits geahnt, dass Lisbeth nicht kommen würde. Die angebliche Magenverstimmung nahm sie ihr nicht ab. Lisbeth hatte der Fastnacht ebenfalls nie etwas abgewinnen können. Eine ihrer seltenen Gemeinsamkeiten. Lisbeth war und blieb Hennis Sorgenkind, und derweil hatte sich vor einigen Jahren alles großartig entwickelt. Lisbeth hatte Wolfgang, einen erfolgreichen Unternehmer, geheiratet, und die beiden waren in eine prachtvolle Villa im Kurviertel gezogen. Doch dann war Wolfgang nur wenige Wochen nach der Heirat bei diesem schrecklichen Autounfall in Südfrankreich ums Leben gekommen. Lisbeth hatte mit im Wagen gesessen und wie durch ein Wunder nur wenige Blessuren davongetragen. Er war sofort tot gewesen. Es hatte lange gedauert, bis Lisbeth sich von dem Schock erholt hatte. Henni hatte in den Wochen nach dem Unfall immer wieder an das Gespräch zurückdenken müssen, das sie mit Lisbeth kurz vor ihrer zweiten Hochzeit in den Weinbergen geführt hatte. Damals hatte Lisbeth gerade ihr Kind verloren und mit dem Schicksal gehadert. Sie hatte Henni anvertraut, dass sie insgeheim befürchtete, niemals glücklich werden zu dürfen, weil sie so vielen Menschen während des Naziregimes Unrecht angetan hatte. Henni wollte nicht daran glauben, dass irgendwo Buch über ihre Taten geführt wurde. Aber vielleicht war es ja doch so? Würde Lisbeth wegen ihrer düsteren Vergangenheit niemals glücklich werden dürfen?

Die hübsche Villa im Kurviertel hatte Lisbeth wieder verkauft, steckte sie doch voller schmerzlicher Erinnerungen. Anfangs hatte sie sich im Rheingau bei Georg und Henni verkrochen, später hatte sie eine eigene Wohnung in Wiesbaden bezogen, und sie hatten sich nur noch selten gesehen. Vor zwei Jahren hatte sie dann Dieter Dettmer kennengelernt. Einen Vertriebsleiter, der bei den Farbwerken in Höchst tätig war. Henni war mit ihm nie warm geworden. Sie empfand ihn als arrogant, sein Blick hatte etwas Verschlagenes an sich, obwohl er durchaus attraktiv war. Er war groß, breitschultrig, hatte volles, dunkelblondes Haar, ein markantes Kinn und wusste sich zu kleiden. Nach nur wenigen Monaten hatten die beiden geheiratet. Lisbeth hatte sich ihm bedauerlicherweise angepasst und sich erneut von ihren Schwestern entfernt. Sie meldete sich nur noch selten, sagte häufig geplante Besuche ab, und wenn sie aufeinandertrafen, herrschte eine seltsam angespannte Stimmung. Henni schmerzte es, dass ihr Verhältnis wieder schlechter geworden war. Sie hatte so sehr darauf gehofft, dass ihre Annäherung von Dauer sein würde. Aber Lisbeth war und blieb unberechenbar.

Gustav Stellmann zog plötzlich Hennis Aufmerksamkeit auf sich. Der alte Pförtner gehörte zur Kellerei Herzberg wie der Sekt und der Weinkeller. Inzwischen war er Mitte siebzig, was ihn jedoch nicht daran hinderte, weiterhin seinen Dienst an der Pforte zu verrichten. Nachdem er vor einigen Jahren seine geliebte Margot an den Krebs verloren hatte, war er zu einem lustigen Witwer mutiert, der alle Nase lang eine neue Frau an seiner Seite gehabt hatte. Doch nun war bereits seit einigen Jahren seiner Traudl treu. Die beiden hatten sich vor fünf Monaten im kleinen Kreis das Jawort gegeben. Gustav war der einzige Mitarbeiter der Herzbergs, der auf dem Gelände wohnte. Das kleine Fachwerkhäuschen am Ende des Grundstücks, dessen Anblick Henni stets wehmütig werden ließ, erzählte so viele Geschichten aus längst vergessener Zeit.

»Ei Gude, die Damen«, grüßte Gustav fröhlich auf Hessisch. »Schon in Fastnachtslaune?«

Gustavs Aufzug war als eigentümlich zu bezeichnen. Er trug sein übliches kariertes Hemd, aber um seinen voluminösen Bauch hing ein etwas Braunes, Plüschiges. »Das wird heute eine recht frische Angelegenheit werden«, redete er munter weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. »Deshalb werde ich zum Umzug als Bär gehen. Später dann als Gespenst. Der Bär ist mir im Marmorsaal dann doch etwas zu warm.«

»So ein Bär ist gar keine so üble Idee«, antwortete Henni und schmunzelte.

»Meine Traudl ist ja schon so gespannt auf das Prinzenpaar«, sagte Gustav. »In der Zeitung war heute ein Bild von den beiden. Hübsch sind sie ja, aber es gibt schon viel Gerede. Ausgerechnet eine Amerikanerin müssen sie zur Faschingsprinzessin machen, als ob sich da kein hübsches hessisches Mädsche gefunden hätte. Traudl fand auch ihren Namen gewöhnungsbedürftig: Mary aus Minnesota. Und der Prinz ist angeblich bei seinem Pfarrer in Ungnade gefallen. Der ist der Meinung, dass einer vom evangelischen Kirchenvorstand bei der Fastnacht als Prinz nix zu suchen hat.«

Weitere Angestellte gesellten sich zu ihnen, auch sie hatten sich in bunt kostümierte Fastnachts-Gesellen verwandelt. Sie warfen erste Luftschlangen und Konfetti und riefen fröhlich: »Helau!«.

Henni und Hannelore flohen vor der bunten Meute in Hannelores kleines Büro, fügten sich in ihr Schicksal und zogen ihre Kostüme an. Als letztes Utensil legte Henni die Augenklappe über ihr linkes Auge. Sie kontrollierte deren Sitz mit der Hilfe ihres Schminkspiegels, klappte ihn zu und straffte die Schultern. Es galt, dem bunten Treiben und der Kälte zu trotzen. An Aschermittwoch war es, dem Herrn im Himmel sei Dank, wieder vorbei.

2. Kapitel

Wiesbaden, 22. Februar 1956

Lisbeth verließ die Frauenarztpraxis von Doktor Weidner in der Taunusstraße mit gesenkten Schultern. Sie war den Tränen nahe. Wieder einmal hatte ein Arzt die Worte ausgesprochen, die sie nicht mehr hören konnte. Es sei alles in bester Ordnung, sie müsse Geduld haben. Doch geduldig wollte sie längst nicht mehr sein. Sie wünschte sich nichts mehr auf der Welt, als endlich schwanger zu werden. Jeden Monat hoffte sie erneut, doch immer wieder wurde sie enttäuscht. Sie tat alles, was ihr der Arzt geraten hatte. Sie maß ihre Temperatur, achtete auf ihren Zyklus, aß gesund und ausgewogen. Doch nichts schien zu helfen. Es war zum Verzweifeln. Wieso nur wollte es ihnen nicht gelingen? Dass sie neuerdings den Anblick ihrer kugelrunden Schwester Bille ertragen musste, verstärkte ihren Kummer nur noch. Das Gefühl von Neid hatte sich in ihrem Herzen wie ein giftiger Pfeil festgesetzt. Wenn sie es genau nahm, verabscheute sie den Anblick sämtlicher Schwangerer und den von glücklichen Müttern ebenfalls. Ein besonders mütterliches Exemplar lief ausgerechnet jetzt an ihr vorüber. Lisbeth schätzte die Frau auf Ende zwanzig, sie schob einen Kinderwagen vor sich her, in dem ein Säugling lag, der noch kein halbes Jahr zu sein schien. Neben ihr lief ein niedliches blondgelocktes Mädchen, nicht älter als drei Jahre. Lisbeth beobachtete von Missgunst erfüllt, wie die Frau fürsorglich die Hand des Mädchens nahm, bevor sie die Straße überquerten. Wieso durfte diese Frau Kinder haben? Wieso bekamen Frauen Kinder, die gar keine haben wollten? Wieso hatte sie damals ihren kleinen Engel verloren? Sie wusste, dass sie auf diese quälenden Fragen keine Antworten bekommen würde.

Seufzend machte sie sich auf den Weg zum Café Maldaner in der Marktstraße, wo sie sich mit ihrer Freundin Magda zum Kaffee verabredet hatte.

Magda hatte sich kurz vor ihrer zweiten Eheschließung als Innenarchitektin um die Einrichtung ihres Hauses im Kurviertel gekümmert, und aus ihrer Geschäftsbeziehung hatte sich über die Jahre eine enge Freundschaft entwickelt. Und das, obwohl sie grundverschieden waren. Magda trug meist eigentümliche Kleidung, sie war unkonventionell, direkt, und es interessierte sie nicht, was die Leute von ihr dachten. Sie lebte in einer aus drei Männern und vier Frauen bestehenden Wohngemeinschaft in Mainz-Mombach. Lisbeth, die sich selbst nicht gerade als Kind von Traurigkeit bezeichnen würde, wollte gar nicht so genau wissen, in welcher Beziehung sie alle zueinander standen. Eine solch illustre Kommune ging sogar ihr zu weit.

Als sie das im Stil eines Wiener Caféhauses eingerichtete Maldaner betrat, wartete Magda bereits auf sie und winkte ihr zu. Sie hatte einen der Tische im vorderen Bereich erobert. Auch heute sah sie farbenfroh aus. Sie trug einen lila Strickpullover, darüber eine grüne Weste und einen hellblauen Cord-Rock. Ihr braunes, halblanges Haar hatte sie mit einem grün-pink karierten Tuch gebändigt. Im Gegensatz zu ihr kam sich Lisbeth in ihrem schlichten hellbraunen Kostüm wie eine graue Maus vor. Ihr Tisch lag in Sichtweite der Kuchentheke. Lisbeth versuchte meist, die Köstlichkeiten in der Auslage zu ignorieren, heute jedoch beschloss sie, die guten Vorsätze in den Wind zu schlagen. Die Nuss-Sahne-Torte sah köstlich aus. Sie hatte ihren Mantel noch nicht abgelegt, da hielt sie schon eine der Bedienungen auf und bestelle eine Portion Kaffee mit Sahne und die Torte. Magda ahnte, woher der Wind wehte.

»Schlechte Neuigkeiten?«, fragte sie, nachdem Lisbeth sich gesetzt hatte.

»Eigentlich nicht«, antwortete Lisbeth in einem zynisch klingenden Tonfall. »Wieder einmal hat mir ein Arzt mitgeteilt, dass alles seine Ordnung hätte und ich Geduld haben müsste.«

»Hm«, antwortete Magda, zündete sich eine Zigarette an, nahm einen kräftigen Zug und blies den Rauch in die Luft.

Lisbeth sprach aus, was Magda dachte.

»Ich weiß, besser so als anders. Aber an irgendetwas muss es doch liegen. Inzwischen kommt es mir auch so vor, als könnte Dieter das Thema Kinder nicht mehr hören. Er scheint sogar die Lust am Sex zu verlieren. Ich kann ihn in dieser Hinsicht sogar verstehen. Mir macht es auch keinen Spaß, nach Kalender zu vögeln.«

»Nicht so laut!«, mäßigte Magda und schenkte einer älteren Dame am Nebentisch ein charmantes Lächeln, die pikiert in ihre Richtung blickte. Ihrem Tischnachbarn war vor lauter Schreck sogar sein Monokel aus dem Auge gefallen und in seine Kaffeetasse geplumpst, was Lisbeth zum Schmunzeln brachte.

Die Bedienung kam und brachte den Kuchen und die Portion Kaffee. Aus Solidarität orderte Magda ebenfalls eine Nuss-Sahne-Torte.

»An manchen Tagen ist das Leben nur mit Zucker zu ertragen«, sagte sie, nachdem die Bedienung fort war. »Ich hab heute meinen besten und langjährigsten Kunden verloren.«

»Den Merling?«, hakte Lisbeth verdutzt nach.

Magda nickte mit betretener Miene. »Er hat heute früh das Zeitliche gesegnet. Schlaganfall. Und das mit fünfzig.«

»Großer Gott«, entfuhr es Lisbeth. »Das ist ja eine Tragödie.«

»Ja, das ist es«, bestätigte Magda mit Grabesstimme. »Er war ein feiner Kerl und ein großartiger Friseur, ein Meister seiner Zunft. Ich und meine Haarpracht werden ihn vermissen. Allerdings gebe ich zu, dass ich vor allen Dingen die Einnahmen vermissen werde, die ich mit ihm in den letzten Jahren regelmäßig generiert habe.«

Gottwald Merling war der Inhaber von fünf Friseurläden im Wiesbadener Stadtgebiet gewesen, die er von Magda viermal im Jahr neu dekorieren hatte lassen, weil er die Abwechslung geliebt hatte.

Die Bedienung kam und stellte Kuchen und Kaffee vor Magda. Sogleich schob sie sich ein großes Stück des süßen Machwerks in den Mund, und ihr Gesichtsausdruck wurde selig. »Meine Güte«, sagte sie. »Ist das köstlich. Die perfekte Sünde an einem solch bescheuerten Tag.«

»Was wird jetzt aus den Läden?«, fragte Lisbeth und ging nicht auf die Kuchenschwärmerei ein.

»Keine Ahnung«, antwortete Magda und zuckte mit den Schultern. »Er war alleinstehend und kinderlos. Wie du ja weißt, war er …« Sie vollendete den Satz mit einem Blick zum Nebentisch nicht.

»Vom anderen Ufer, ich weiß«, erwiderte Lisbeth leise. »Aber es könnte trotzdem Erben geben, von denen du nichts weißt. Geschwister, einen Freund. Ich würde die Flinte noch nicht ins Korn werfen. Vielleicht werden die Läden doch noch weiterbetrieben.«

»Ach, so wie ich Gottwald kenne, hat er alles dem Tierschutz vermacht. Sein Hund Poldi hatte in seiner Wohnung sogar ein eigenes Zimmer.« Sie rollte die Augen.

Lisbeth wusste nun nicht mehr so recht, was sie antworten sollte. Sie hatte Gottwald Merling nur einmal persönlich getroffen und war von ihm nicht so begeistert gewesen wie Magda. Ihr war sein affektiertes Getue auf die Nerven gegangen. Und an ihre Haare ließ sie seit Jahren nur ihre Friseuse Betty, die im Friseursalon Staudmann an der Wilhelmstraße arbeitete und stets über den neuesten Klatsch und Tratsch der Stadt informiert war.

Ein älteres Ehepaar betrat durch die Drehtür das Café, und der Mann klopfte sich den Schnee vom Hut. Missmutig registrierte Lisbeth, dass vor dem Fenster der reinste Schneesturm tobte. Der Winter schien dieses Jahr nicht enden zu wollen. Das andauernde Grau und die eisige Kälte drückten zusätzlich ihre Stimmung.

»Wie steht es denn in der Kellerei?«, wechselte Magda das Thema und zündete sich eine Zigarette an. »Noch alles hübsch im Paradies?«

Lisbeth wusste, worauf ihre spitz klingende Bemerkung anspielte. Die Kellerei war die perfekte heile Welt. Georg und Henni gaben tagtäglich das erfolgreiche Vorzeigeehepaar, ihr Sohn wuchs und gedieh, und alles, was die beiden anfassten, schien zu funktionieren. Lisbeth wusste, dass ihr Neidgefühl ungerecht war, aber es war nun einmal da. Während sie als trauernde Witwe am Grab ihres Mannes gestanden hatte, war Henni noch beliebter und glücklicher geworden. Die große Schwester hatte es allen gezeigt, sie hatte alle Unwägbarkeiten umschifft und lebte ein sorgloses Leben. Und was lebte sie? Ein Leben an der Seite eines Mannes, der durchaus charismatisch war, dem sie jedoch mehr Ehrgeiz zugetraut hätte. Seitdem sie ihn kannte, sprach er davon, Teil der Geschäftsleitung werden zu wollen. Doch bis heute war er Vertriebsleiter geblieben. Selbst die Beförderung zum Bereichsleiter war ihm Anfang des Jahres verwehrt geblieben. Sie waren weit davon entfernt, ein strahlendes und erfolgreiches Ehepaar zu sein. In den letzten Wochen dachte Lisbeth immer öfter darüber nach, ob sie sich nicht zu rasch in diese Ehe gestürzt hatte. Sie hatte ihren Verlustschmerz hinter sich lassen und etwas Neues beginnen wollen. Aber war sie tatsächlich schon dazu bereit gewesen? Oder haderte sie nur deshalb, weil ihr Eheleben anders verlief, als sie es sich erträumt hatte? Wieder einmal schien ihr Leben nur aus Enttäuschungen zu bestehen. Sie schob die zweifelnden Gedanken zur Seite und beantwortete Magdas Frage: »Wie soll es schon laufen? Gut natürlich. Georg und Henni sind verliebt wie am ersten Tag, und die Umsätze gehen durch die Decke. Georg plant einen weiteren Ausbau der Anlagen, weil die Nachfrage nach dem billigen Sekt so groß ist. Mir persönlich schmeckt die Plörre aus dem Fass ja nicht. Aber die Leute scheinen diese Prickelbrause zu mögen.«

»Der Preis bestimmt eben manchmal den Geschmack«, antwortete Magda. »Dir ist Champagner doch immer noch das liebste Getränk, oder Martini.« Sie zwinkerte Lisbeth zu. »Obwohl ich zugeben muss, dass mir der Billigsekt auch nicht schmeckt. Ich möchte deinem Schwager nicht zu nahetreten, aber ich finde, es fehlt das gewisse Etwas. Ich persönlich bevorzuge den Winzersekt eines Bekannten aus Rheinhessen. Aber man darf in Wiesbaden ja nicht zu laut sagen, dass man Prickelbrause auf der ebsch Seit einkauft.«

»Ach, das ist mir ehrlich gesagt egal«, antwortete Lisbeth. »Und von dieser alten Rivalität der Städte habe ich noch nie viel gehalten.« Sie schob ihren Kuchenteller ein Stück von sich. Ihr Magen hatte zu rebellieren begonnen. So viel Sahne und Zucker auf einen Schlag war er nicht gewöhnt. Ihr Blick blieb an ihrer Armbanduhr hängen.

»Meine Güte!«, rief sie erschrocken. »Es ist ja schon nach fünf. Dieter hat für heute Abend Kinokarten. Immerhin ein Lichtblick.«

»Oh wie schön«, antwortete Magda. »In welchen Film soll es denn gehen?«

»Ich denke oft an Piroschka mit Lieselotte Pulver.« Lisbeth winkte die Bedienung näher und bezahlte die Rechnung. Magda protestierte, doch Lisbeth brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Lass mir die kleine Freude«, sagte sie und gab reichlich Trinkgeld, was das junge Mädchen erfreute. Eilig schob es die Münzen in ihre Börse und wünschte mit einem strahlenden Lächeln noch einen schönen Nachmittag.

»Meine Nachrichten mögen zwar nicht erfreulich gewesen sein, aber mir ist immerhin kein zahlungskräftiger Kunde verlorengegangen.«

»Wieso sollen deine Nachrichten nicht erfreulich gewesen sein? Was willst du eigentlich von den Ärzten hören?«, fragte Magda. »Dass etwas nicht stimmt? Dass du keine Kinder bekommen kannst? Sei doch froh darüber, dass es nur Geduld ist, die du brauchst. So ist das eben manchmal. Dir geht es doch gut. Du bist gesund, verheiratet, Dieter hat eine sichere Anstellung, und als Anteilseignerin der Kellerei wirst du nicht am Hungertuch nagen. Bei mir sieht es jetzt düster aus. Ohne Merling muss ich wesentlich kleinere Brötchen backen, und ob ich jemals wieder einen solch zahlungskräftigen Kunden finde, steht in den Sternen.«

Lisbeth sah Magda irritiert an. In einem solchen Ton hatte sie noch nie mit ihr geredet. Sie gestand sich jedoch ein, dass Magda rechthatte. War sie zu anspruchsvoll geworden? Wieso konnte sie ihr kleines Glück nicht genießen? Sie wusste, wie schnell sich alles wieder verändern konnte. Dieter war an ihrer Seite, und er vergötterte sie. Darüber sollte sie sich freuen und nicht ständig das Glück der anderen neidisch beäugen.

»Entschuldige bitte«, ruderte sie zurück. »Du hast natürlich recht. Es liegt wohl in meiner Natur, dass ich immer gerade das haben will, was ich eben nicht habe. Und das mit deiner Kundschaft wird sich gewiss bald wieder einrenken. Wenn du magst, höre ich mich mal ein bisschen um.« Sie erhob sich und nahm ihren Mantel von der Garderobe hinter dem Tisch.

»Das wäre lieb«, antwortete Magda. »Vielleicht findet sich ja jemand, der eine schicke Villa im Kurviertel eingerichtet haben möchte. Das ist eine meiner Spezialitäten.«

»Ich weiß«, antwortete Lisbeth und wickelte ihren Schal um den Hals. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«

Vor dem Café umarmten sich die beiden im dichten Schneetreiben, dann ging jede ihrer Wege.

Als Lisbeth eine Weile darauf die geräumige Wohnung im ersten Stock einer der für Wiesbaden typischen Stadtvillen betrat, staunte sie darüber, dass ihr Ehemann bereits anwesend war. Dieter stand, ein Glas Whiskey in der Hand, an der Terrassentür und wandte sich um, als sie eintrat. Er trug einen dunkelblauen Anzug, sein dichtes, dunkelblondes Haar hatte er zurückgekämmt. Seine Attraktivität war es, die Lisbeth als Erstes aufgefallen war. Sie waren sich bei dem alljährlichen Reitturnier im Biebricher Schlosspark zum ersten Mal über den Weg gelaufen. Sie hatte an einem der vielen Stände Getränke für sich und Magda geholt, und er hatte direkt neben ihr gestanden. Ab diesem Zeitpunkt hatte sie das Gefühl gehabt, ihm ständig überall zu begegnen. Er hatte Glück im Spiel gehabt. Der Außenseiter, auf den er sein Geld gesetzt hatte, hatte tatsächlich gewonnen. Sie waren am Rande des Turnierfeldes ins Gespräch gekommen und nur wenige Tage später miteinander ausgegangen. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, die schönste Frau auf Erden zu sein, hatte ihr Komplimente gemacht, ihr Rosen geschenkt. Sie wusste, dass er sie mehr liebte als sie ihn. Sie wussten es vermutlich beide und nahmen es hin. Lisbeths Vergangenheit und die Verluste in ihrem Leben wogen schwer, sie abzuschütteln, würde niemals ganz gelingen.

»Du bist schon hier«, sagte Lisbeth. In ihr breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Sie kannte ihren Gatten inzwischen und wusste seinen ernsten Gesichtsausdruck zu deuten.

»Es ist etwas vorgefallen, oder?« Sie trat näher.

»So kann man es sagen«, antwortete er und trank von seinem Whiskey. »Ich bin raus.«

»Wie, raus?«, hakte Lisbeth nach.

»Na, raus. Der neue Bereichsleiter hat mir gekündigt.«

»Wie bitte?«, stieß Lisbeth fassungslos aus. »Aber wieso das denn? Du hast stets von einer Beförderung gesprochen! Ein neuer Bereichsleiter? Aber der solltest du doch werden.«

»Bin ich aber nicht geworden«, gab Dieter zurück. »Es ist, wie es ist. Du hast offensichtlich einen Versager geheiratet.« Sein Blick wanderte zu Lisbeths Körpermitte, und er lachte bitter. »Einen Mann, der es nicht einmal hinbekommt, seine Frau zu schwängern.«

3. Kapitel

Wiesbaden, 3. März 1956

Bille liebte ihre Arbeit im Kostümfundus der Filmstudios und den Trubel auf dem Gelände. Noch vor einigen Jahren hätte sie sich nicht vorstellen können, etwas mit Film- und Fernsehen zu tun zu haben. Schließlich hatte sie als Krankenschwester gearbeitet und ein Medizinstudium angestrebt. Die Begegnung mit Wolf war es gewesen, die ihr Leben durcheinandergewirbelt und auf den Kopf gestellt hatte. Sie hatte nach dem Verlust ihrer ersten großen Liebe Fritz nicht mehr daran geglaubt, jemals wieder solch tiefe Gefühle für einen Mann empfinden zu können. Doch es war geschehen, und ihre Liebe ertrug auch den täglichen Alltagstrott, der jedes verliebte Pärchen irgendwann einholte. Obwohl ihr Alltag mit Wolf in seiner glamourösen Filmwelt doch etwas Besonderes war. Bille hatte inzwischen einige Kinostars kennengelernt, darunter eine waschechte Hollywood-Diva. Zsa Zsa Gabor hatte in dem Film Der Ball der Nationen die Hauptrolle gespielt, und Bille hatte sich um ihre Garderobe gekümmert. Die Diva war ihrem Ruf gerecht geworden und oft wankelmütig gewesen. Ihre Unberechenbarkeit hatte Bille am allerwenigsten leiden können. An dem einen Tag war sie die Freundlichkeit in Person gewesen, am nächsten hatte sie an allem und jedem etwas auszusetzen gehabt. Aber Bille war ruhig geblieben. So hatte sie es von ihrer Lehrmeisterin, Hertha Heinrich, der Leiterin des Kostümfundus gelernt. Wesentlich reizender war im Jahr zuvor die junge Romy Schneider gewesen. Damals hatte sie ihre erste Rolle, das Evchen, gegeben, das in Wiesbaden ohne Vater aufwächst. Der Film Wenn der weiße Flieder wieder blüht war ein großer Erfolg, und das schüchterne Mädchen von damals war durch die erfolgreichen Sissi-Verfilmungen zu einem Star avanciert. Hertha hatte ihr bereits damals prophezeit, dass sie eine der ganz Großen werden würde. Die gute Hertha, die durch ihre schlimme Arthrose in den Händen ihre über alles geliebte Arbeit vor zwei Wochen endgültig hatte aufgeben müssen. Sie war der Grund dafür, weshalb Bille nun mit ihrem Kugelbauch die volle Verantwortung im Kostümfundus übernommen hatte und im Watschelgang mal wieder durch die Reihen der Kleiderständer lief, um das passende Kleid für eine der Schauspielerinnen herauszusuchen. Eine Nachfolgerin für die erfahrene Schneidermeisterin zu finden, gestaltete sich schwierig. Die Personalabteilung hatte bereits einige Vorstellungsgespräche geführt, aber keine der Bewerberinnen war eingestellt worden. Wer beim Film arbeiten wollte, musste mehr können, als Kleider nähen. Die Mitarbeiter mussten eine bestimmte Form von Pragmatismus an den Tag legen. Schwärmereien für irgendwelche Schauspieler waren vollkommen fehl am Platz, auch galt es, kein Plappermaul zu sein. Obwohl auch Bille hin und wieder von ihren Erlebnissen mit den Filmstars erzählte. Henni hatte alles über Zsa Zsa Gabor wissen wollen, und auch Trude und Inge hatten an ihren Lippen gehangen. Die Gabor würde es verschmerzen, wenn in der Assmannshausener Gutsküche über sie getratscht wurde.

Bille blieb stehen und legte sich die Hand ins Kreuz. Ihr Bauchumfang hatte in den letzten Tagen erneut zugelegt, und das Laufen wurde immer beschwerlicher. Auch spürte sie inzwischen die Kindsbewegungen recht deutlich. Letzte Nacht waren die beiden Schätzchen besonders unruhig gewesen und hatten ihr mehrere schmerzhafte Tritte in den Rippenbogen versetzt. Die letzten Wochen der Schwangerschaft würden kein Zuckerschlecken werden. Das stand fest.

»Frau Kapplan«, rief plötzlich eine weibliche Stimme. »Sind Sie hier irgendwo?«

Bille rief eine Antwort und ging in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Vor der offen stehenden Glastür, die in Billes Büro führte, traf sie auf eine der Aushilfen. Das arme Ding machte einen etwas durchweichten Eindruck. Der seit dem Vorabend herrschende Dauerregen hatte sich bedauerlicherweise noch immer nicht gelegt.

Bille war dem blonden Mädchen – sie schätzte es auf siebzehn oder achtzehn – bisher nur zweimal begegnet, weshalb sie sich ihren Namen noch nicht eingeprägt hatte.

»Herr Gladau schickt mich«, sagte das Mädchen und japste nach Luft. Sie hatte es wohl eilig gehabt. Die Erwähnung des Personalleiters löste in Bille Reuegefühle aus.

»Ach du je«, antwortete sie. »Ich habe das Vorstellungsgespräch mit der neuen Schneiderin vergessen. Ich komme.«

Sie lief rasch in ihr Büro und griff sich ihren Mantel und den Regenschirm vom Garderobenständer.

Im Freien empfingen sie starker Regen und ein böiger Wind. In den letzten Tagen hatte endlich die Kälte etwas nachgelassen. Allerdings brachte das Tauwetter neue Sorgen mit sich, denn nun befürchtete man ein Überlaufen des Rheins.

So schnell es in ihrem Zustand eben ging, folgte Bille dem Mädchen quer über das Filmgelände zu dem roten Backsteingebäude, in dem die Verwaltung untergebracht war. Vollkommen außer Puste trat sie in den Eingangsbereich und schloss ihren Schirm. Das Mädchen drängte weiter zur Eile und stand bereits an der Treppe. Zu Billes Bedauern lag die Personalabteilung im ersten Stock des Gebäudes, das leider keinen Fahrstuhl besaß.

Als sie das Büro des Personalleiters kurz darauf betrat, fühlte sie sich, als hätte sie einen Sack Beton die Stufen mit nach oben geschleppt. Sie erweckte anscheinend auch einen mitgenommenen Eindruck, denn Gladau bemühte sich sogleich um sie, nahm ihr Mantel und Schirm ab und rückte einen Stuhl für sie zurecht. Der Personalleiter war Mitte fünfzig und trug, wie gewohnt, einen Strickpullunder, dieses Mal weinrot-grau kariert, und eine Fliege. Er war so hager, dass Bille stets annahm, er würde nicht genügend zu essen bekommen.

Die Bewerberin war eine Frau um die vierzig mit halblangen braunen Haaren. Sie hatte sich erhoben und rückte unsicher ihre Kostümjacke zurecht.

Bille wurde stutzig. Die Frau kam ihr bekannt vor. Ihre großen blauen Augen hatten etwas Eindrückliches. Sie hatte sie irgendwo schon einmal gesehen. Nur wo? Oder täuschte sie sich? Sie schob den Gedanken beiseite, grüßte freundlich, stellte sich vor und erkundigte sich nach dem Namen der Frau.

»Birgit Habermann«, antwortete sie so leise, dass Bille sie kaum verstehen konnte. Sie lächelte schüchtern.

Philipp Gladau übernahm nun das Zepter. Er bat die Damen, Platz zu nehmen, und setzte sich hinter seinen Schreibtisch, den er für das Vorstellungsgespräch anscheinend extra aufgeräumt hatte. So ordentlich hatte ihn Bille zuvor noch nicht gesehen. Gladau blätterte in einer Mappe, die vermutlich die Bewerbungsunterlagen enthielt.

»Sie stammen also aus Schlesien, aus dem Städtchen Glogau«, begann er das Gespräch.

Birgit Habermann nickte und fügte ein kaum hörbares Ja hinzu.

»Nach der Flucht haben Sie für eine Weile in München gelebt. Darf ich fragen, was Sie dazu bewogen hat, nach Wiesbaden zu kommen?«

Die Schneiderin wirkte irritiert. Aus Schlesien, Glogau. Bille sah plötzlich ein blasses, ausgemergeltes Gesicht vor sich, dieselben blauen Augen … Konnte es tatsächlich sein, dass sie mit Birgit Habermann während ihrer Flucht im selben Zug in den Westen gesessen hatte? Bille beschloss, sich später danach zu erkundigen. Sie lenkte das Gespräch in eine andere Richtung.

»In München also. Die Filmstudios am Geiselgasteig sollen großartig sein.«

»Dort war ich auch tätig«, antwortete Birgit Habermann. »Ich habe einige Jahre im Kostümfundus der Filmproduktion als Näherin gearbeitet. Als ich Ihre Stellenanzeige im Kurier entdeckt habe, dachte ich, das wäre etwas für mich. Die Arbeit in einem Kostümfundus ist doch etwas anderes als in einer einfachen Schneiderei oder – noch schlimmer – in einer dieser größeren Fabriken mit den Fließbändern, die neuerdings überall aus dem Boden gestampft werden.«

Bille erkundigte sich danach, ob sie bereits Umgang mit den Schauspielern gehabt habe.

»Aber natürlich«, bestätigte Birgit Habermann. »Die Begegnung mit den Schauspielern ist eine zusätzliche Freude. Obwohl der eine oder andere Star nicht ganz einfach sein kann. Aber mit Nachsicht und Geduld haben wir noch jeden abgefertigt bekommen.« Diese Aussage erfreute Bille. Sie hätte glatt von Hertha kommen können. Birgit Habermann hatte ihre Schüchternheit vom Anfang komplett abgelegt, und ihre Stimme klang nun fest, sie wirkte selbstbewusst.

Gladau zog durch ein Räuspern die Aufmerksamkeit wieder auf sich.

»Es freut mich, dass sich die Damen bereits so gut verstehen. Darauf hatte ich ehrlich gesagt gehofft. Ich mache es kurz: Sie sind bisher die beste Bewerberin für diese Anstellung, Frau Habermann. Da wir jedoch längerfristig planen möchten, wollte ich mich noch erkundigen, ob Sie dauerhaft in Wiesbaden bleiben wollen. Immerhin hat es Sie doch recht rasch von München nach Wiesbaden verschlagen, wie ich Ihrem Lebenslauf entnehmen kann.« Er sah Birgit über seine Lesebrille hinweg fragend an.

»Ich plane, in Wiesbaden sesshaft zu werden«, antwortete Birgit Habermann und sah sich bemüßigt, den Grund für ihren raschen Umzug hinzuzufügen. »Mein Ehemann stammt aus der Stadt, und wir haben ein Haus in Sonnenberg geerbt. Er hat eine Anstellung als Schichtleiter bei Opel in Rüsselsheim erhalten.«

»Oh, großartig!« Gladau schien diese Erklärung zu erfreuen. »Dort habe ich meine Ausbildung gemacht. Gewiss wird er sich bei den Opelanern wohlfühlen. Gut, dann ist ja alles soweit geklärt. Ihren angegebenen Gehaltsvorstellungen können wir entsprechen. Wann können Sie anfangen?«

»Wenn Sie möchten, sofort«, antwortete Birgit.

»So etwas höre ich gerne, denn wie Sie sehen, können wir Unterstützung dringend gebrauchen«, spielte er auf Billes Schwangerschaft an.

Es folgte das übliche Händeschütteln, dann standen Bille und Birgit wieder auf dem Flur. Plötzlich herrschte eine eigenartige Stimmung. Bille überlegte, ob sie Birgit auf die Flucht ansprechen sollte, doch die Näherin kam ihr zuvor.

»Wir kennen uns, nicht wahr?« Es klang weniger wie eine Frage, eher wie eine Feststellung. »Du hast mir in diesem abscheulichen Waggon gegenüber gesessen.« Ohne zu fragen, war sie zum vertraulichen Du übergegangen.

»Ja, das hab ich«, antwortete Bille. »Wir haben einige Tage miteinander verbracht, und ich kannte nicht einmal deinen Namen.«

»Ich habe damals allen misstraut.«

»Ich auch«, erwiderte Bille. »Wir waren allein. Da ist es doch verständlich.«

»In dem Zug war ich allein«, erwiderte Birgit. »Davor nicht.« Ihre Augen wurden feucht, und sie wandte den Blick ab, während sie weitersprach: »Meine Mutter und meine kleine Tochter haben es nicht geschafft. Sie waren während der Flucht irgendwann einfach verschwunden. Auf dieser elenden Landstraße, in diesem Schneesturm, gottverdammte Kälte. Ich hab sie gesucht. Ich bin zurückgelaufen, hab nach ihnen gerufen und all diese hoffnungslos aussehenden Menschen gefragt, nur Kopfschütteln oder Blicke aus ausdruckslosen Augen habe ich als Antwort erhalten. Ich wollte erfrieren, ich wollte mit ihnen in dieser weißen, kalten Welt bleiben. Doch mein jetziger Ehemann hat mich herausgeholt. Er war ein Deserteur und hat mich in einer alten Scheune aufgelesen, hat mich mitgenommen. Er hat mich zu dem Zug gebracht und mir gesagt, dass wir uns in München wiedersehen würden. Er gab mir eine Adresse. Ich hätte nicht geglaubt, dass wir uns tatsächlich wiederfinden. Er war mein Wunder in dieser eisigen Welt. Er ist es bis heute. Und vielleicht geschieht ja irgendwann noch ein weiteres Wunder, und ich sehe meine Mutter und meine Tochter doch noch wieder. Es gibt solche Wiedersehen. Ich hab davon gelesen.«

»Wir sollten die Hoffnung niemals aufgeben«, antwortete Bille.