Der zauberhafte Romantasy-Märchen-Sammelband (Rosenmärchen) - Jennifer Alice Jager - E-Book

Der zauberhafte Romantasy-Märchen-Sammelband (Rosenmärchen) E-Book

Jennifer Alice Jager

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

**Keine Blume birgt mehr Magie als die Rose** Diese Box enthält zwei wunderschöne Romantasy-Märchenadaptionen in einer E-Box zum Weglesen und Wegträumen. Schneeweiße Rose. Der verwunschene Prinz (Rosenmärchen 1) Seit dem Tod ihrer Mutter sind die Schwestern Snow und Rose auf sich allein gestellt. Gemeinsam führen sie ein bescheidenes Gasthaus an der Grenze zum verwunschenen Wald. Viele Gefahren drohen dort, doch die Schwestern konnten immer auf sich aufpassen. Bis sie eines Tages einem geheimnisvollen Fremden Obdach gewähren und Snow ihr Herz an ihn verliert. Plötzlich befinden sich Rose und Snow mitten in einem magischen Krieg zwischen den Zwergen und Feen des Waldes. Und damit mitten in einem Kampf um Liebe, für die Freiheit und um das Schicksal eines ganzen Königreichs … Blutrote Dornen. Der verzauberte Kuss (Rosenmärchen 2) Briar soll ihren Vater an den Königshof begleiten und ahnt nicht, dass sie dort mehr erwartet als die höfischen Zwänge und der rauschende Ball anlässlich ihres sechzehnten Geburtstags. Ein ungebetener Gast taucht bei dem großen Fest auf: jene Fee, die vor zwanzig Jahren von der Schwester der Königin ihrer Macht beraubt und in einen magischen Schlaf gelegt wurde. Erweckt durch einen verzauberten Kuss schwört sie Rache und belegt Briar mit einem Fluch. Sie soll sich an einer Rosendorne stechen und auf ewig schlafen. Briars einzige Hoffnung ist Thorn, der Erbe einer kleinen unscheinbaren Baronie. Er will die Fee besiegen, doch diese hat ihn schon einmal in ihren Bann gezogen und ihm einen folgenschweren Kuss geraubt … Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage … betörend, märchenhaft und zutiefst romantisch! Diese Liebesgeschichten treffen genau ins Herz! »So viel mehr als nur ein Märchen. Magisch, mitreißend und einfach so gut!« (Leser*innenstimme auf Amazon) //Alle Bände der märchenhaften Fantasy-Reihe: -- Schneeweiße Rose. Der verwunschene Prinz (Rosenmärchen 1) -- Blutrote Dornen. Der verzauberte Kuss (Rosenmärchen 2) Beide Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden und haben ein abgeschlossenes Ende. //

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


www.impressbooks.deDie Macht der Gefühle

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2022 Text © Jennifer Alice Jager, 2022 Coverbild und Covergestaltung: Formlabor, unter Verwendung mehrerer Motive von shutterstock.com / © Oleksandra Vasylenko (93928516) / © Flower design sketch gallery (164190065) / © Irina Alexandrovna (344430152) / © Oleksandra Vasylenko (93928516) / © alicedaniel (24721393) ISBN 978-3-646-60992-9www.impressbooks.de

Jennifer Alice Jager

Schneeweiße Rose. Der verwunschene Prinz (Rosenmärchen 1)

**Keine Blume birgt mehr Magie als die Rose …** Seit dem Tod ihrer Mutter sind die Schwestern Snow und Rose auf sich allein gestellt. Gemeinsam führen sie ein bescheidenes Gasthaus an der Grenze zum verwunschenen Wald. Viele Gefahren drohen dort, doch die Schwestern konnten immer auf sich aufpassen. Bis sie eines Tages einem geheimnisvollen Fremden Obdach gewähren und Snow ihr Herz an ihn verliert. Plötzlich befinden sich Rose und Snow mitten in einem magischen Krieg zwischen den Zwergen und den Feen des Waldes. Und damit mitten in einem Kampf um Liebe, für die Freiheit und um das Schicksal eines ganzen Königreichs.

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Das könnte dir auch gefallen

© privat

Jennifer Alice Jager begann ihre schriftstellerische Laufbahn 2014. Nach ihrem Schulabschluss unterrichtete sie Kunst an Volkshochschulen und gab später Privatunterricht in Japan. Heute ist sie wieder in ihrer Heimat, dem Saarland, und widmet sich dem Schreiben, Zeichnen und ihren Tieren. So findet man nicht selten ihren treuen Husky an ihrer Seite oder einen großen, schwarzen Kater auf ihren Schultern. Ihre Devise ist: mit Worten Bilder malen.

Märchen sind zum Träumen da.

Märchen sind da, um sich in ihnen zu verlieren, um jenen

Pragmatismus über Bord zu werfen, der uns im Alltag fesselt. Sie sind da, um sich ganz auf das Unmögliche einzulassen. Denn das, was uns hoffen lässt, was uns kämpfen und wieder aufstehen lässt, sind die unmöglichen Dinge.

Wahre Liebe, die von einem einzigen Blick entfesselt wird, der Sieg des Guten über das Böse und der Glaube, dass alles im Leben einen Sinn ergibt.

Dieses Buch ist den Träumern gewidmet.

Es ist für diejenigen unter euch geschrieben, die an all die Dinge glauben wollen, von denen uns die raue Wirklichkeit weismachen will, dass es sie nicht geben kann.

Die Schatten

Im Schatten liegt verborgen, Was wir im Licht nicht sehen. Also warte nicht auf Morgen, Denn die Schatten werden gehen.

Ohne ihre Schwester wäre Snow verloren gewesen. Es lag nunmehr ein Jahr zurück, dass ihre Mutter gestorben war. An ihren Vater konnte sie sich nicht mehr erinnern und so waren ihre große Schwester Rose und die Mutter alles gewesen, was sie hatte.

Das kleine Gasthaus am Waldesrand alleine zu führen, dazu wäre Snow nicht in der Lage gewesen. Rose hingegen war voll in ihrem Element. Sie war eine hochgewachsene, junge Frau mit feurigem Haar und ebenso feurigem Blick. Sie wickelte die Männer scharenweise um den Finger, brachte sie dazu, ihre Tageslöhne zu versaufen und die Kassen damit zu füllen. Sie war voller Tatendrang, hatte immer tausende Ideen und war schon bei der nächsten, wenn die erste noch nicht umgesetzt war.

Snow war ein wenig zu schüchtern, um des Nachts betrunkene Männer zu bedienen. So geschah es nicht selten, dass einer von ihnen ihr an den Hintern packte und sie – ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester – keinen Spruch parat hatte, um den Trunkenbold in die Schranken zu weisen. Nein, wenn ihr das geschah, quiekte sie erschrocken auf. Jedes Mal. Und jedes Mal kam Rose und rettete sie.

Es war ihr Glück, dass sie eine eher unscheinbare Person war. Snow hatte blondes Haar, blassbaue Augen und eine Haut so weiß wie Schnee. Die heißesten Sommer konnten daran nichts ändern.

So eine unscheinbare Gestalt erlaubte es einem, schnell und unbemerkt zwischen den Tischen umherzuflitzen, die Bestellungen zu servieren und wieder zu verschwinden, ehe der Gast wirklich bemerkt hatte, was gerade geschehen war. Schnell war sie dabei allemal und geschickt obendrein.

Alles in allem waren Rose und sie ein unschlagbares Gespann und so mussten sie sich auch keine Sorgen machen, mal nichts zu essen auf den Tisch zu bekommen. Ihr Gasthaus lag an der einzigen Zugangsstraße zum Königsschloss von Farrendale, direkt hinter den verwunschenen Wäldern. An Reisenden mangelte es nicht – auch wenn ein paar von ihnen ihr Ziel wohl nie erreichen würden. Schließlich wusste jeder, dass die Wälder gefährlich waren und eine falsche Tat dafür sorgen konnte, dass man sie nie wieder verlassen würde. Mit Waldgeistern und Feen durfte man sich nun mal nicht anlegen.

Snow seufzte bei diesem Gedanken. Ihr taten die Männer leid, die am Abend noch feierten und mit ihren Freunden scherzten und am nächsten Tag schon als Birke oder Eichhörnchen endeten. Sie und ihre Schwester wussten, wie gefährlich die Wälder waren, welche Blumen man pflücken durfte und welche nicht. Sie sammelten Kräuter und Brennholz im Wald und ignorierten die Stimmen, die sie tiefer hineinlocken wollten. Sie achteten stets darauf, den Pfad zurück nicht zu verlieren. Doch wer fremd hier war, unterschätzte die Gefahren oft, die in den Schatten lauerten.

»Träumst du wieder?«, fragte Rose neckisch und stieß Snow in die Seite.

Snow riss sich von dem Anblick des Waldes los, den sie durch das trübe Buntglasfenster ihrer Wirtsstube sehen konnte, und lächelte verlegen.

»Immer«, antwortete sie.

Rose grinste breit und drückte ihr vier Humpen in die Hände.

»Für den Tisch am Kamin. Und kannst du danach in die Scheune gehen? Wir haben kaum noch Rüben.«

»Rüben?«, fragte sie. »Die lassen sie doch sowieso alle stehen. Die Männer essen nur die Hammelkeule und tunken die Soße mit dem Brot auf. Die gekochten Rüben sind Hundefutter.«

Rose hob die Brauen und sah ihre Schwester abschätzend an.

»Und? Willst du, dass die Hunde verhungern?«

Das wollte Snow nun wirklich nicht. Es ließ sich hier draußen zwar gut leben und sie beide hatten alles, was man sich wünschen konnte, doch spät in der Nacht, wenn die Wirtsstube leer war und die Betten des Gasthauses nicht belegt, wenn man die Wölfe hören konnte, wie sie ihre Klagelieder heulten, und die Lieder der Waldnymphen im Rauschen der Blätter erklangen, war Snow doch froh, dass auf dem Hof die Hunde Wache hielten. Schließlich kamen die Wachmänner aus Banton, dem nächstgelegenen Dorf, nur einmal pro Woche vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.

»Mir wäre es lieber, die Hunde würden den Hammel bekommen und die Männer die Möhren«, meinte sie schmunzelnd.

Sie ließ ihre lachende Schwester an der Theke zurück und servierte das Bier. Die grölenden Männer bemerkten erst, dass ihre leeren Krüge gegen volle ausgetauscht worden waren, als sie danach griffen, und so war Snow beinahe schon wieder an der Theke angelangt, als sie ihr hinterherriefen und -pfiffen.

Rose, die noch immer lachte und sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte, nickte in Richtung der Gesellschaft am Kamin.

»Du weißt schon, dass du ihnen allen den Kopf verdrehst, oder?«, fragte sie.

Snow legte die Stirn in Falten.

»Das bist wohl eher du«, meinte sie.

Rose presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und lächelte ihre Schwester wehmütig an.

»Mit mir scherzen sie und malen sich verruchte Dinge aus, wenn sie abends in ihren Betten liegen, aber dich, kleines Schwesterchen, dich wollen sie heiraten. Du bist jetzt sechzehn Jahre alt und kein kleines Kind mehr. Aus dir ist eine Frau geworden, die sich jeder anständige Mann als Ehefrau wünschen würde.« Sie strich Snow über die Wange und ihr Lächeln wurde ein Stück breiter. »Du kannst nicht dein ganzes Leben mit mir hier im Wald verbringen. Irgendwann wird sich die Tür öffnen und der Mann deiner Träume betritt den Raum.«

Snow lachte.

»Ich bleibe lieber ein Leben lang mit dir hier am Waldrand, als mich auf einen dieser Abenteurer einzulassen, die hier ein und aus gehen.«

»Das wirst du ganz anders sehen, wenn es so weit ist«, meinte Rose zwinkernd.

Snow hatte ganz sicher nicht vor, sich so schnell zu verlieben, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Es war nicht so, dass sie nicht schon davon geträumt hätte, in einem schönen weiß gestrichenen Haus in Baton zu leben, lachende Kinder um sich zu haben und einen kleinen Garten zu pflegen und zu hegen. Doch sie hatte Rose und das Gasthaus. Sie würde ihre Schwester niemals alleine lassen, auch wenn sie hier im Schatten des Waldes lebten, wo in den Gärten nichts anderes wuchs als die Rosen ihrer Mutter.

Weiße und rote waren es, die auch im Winter Blüten trugen und sie stets daran erinnerten, wie lieb sie ihre Mutter doch gehabt hatte und wie wichtig ihr dieses kleine, beschauliche Gasthaus gewesen war.

Snow schlang ihren Umhang enger um den Körper, als sie nach draußen trat und ihr der kalte Herbstwind an den Haaren zupfte. Es war eine sternklare Nacht. Ihr Atem zeichnete sich neblig in der klirrenden Kälte ab. Als sie auf den gefrorenen Boden trat und ihren Blick nach oben richtete, sah sie die ersten zarten Schneeflocken am Himmel tanzen – die Vorboten eines langen, harten Winters.

Eilig lief sie über den Hof und schlüpfte durch das Tor in die Scheune. Stockfinster war es hier, doch Snow brauchte kein Licht. Sie wusste, wo die Rüben lagen, und hätte auch keine Hand frei gehabt, um die Laterne mit sich zu tragen, wenn sie erst einmal den schweren Sack zu schleppen hatte.

Sie wandte sich dem dunklen Raum zu und hatte noch keinen Schritt getan, da packte sie jemand von hinten und zerrte sie hinter die Tür. Sie hätte geschrien, doch der Fremde presste ihr seine Hand auf den Mund.

Panik stieg in ihr auf. Die düstersten Gesellen trieben sich manchmal in ihrer Wirtsstube herum. Es bestand kein Zweifel, dass es die Hände eines Mannes waren, die sie hielten. Er roch nach süßlichem Schweiß, Wald und nassem Fell, aber nicht nach Bier und Wein. Das machte ihr am meisten Angst und trieb ihr die Tränen in die Augen. Wer auch immer sie festhielt, war kein betrunkener Gast, der ungeschickt und übermutig gewesen wäre. Der Mann wusste genau, was er tat, und war um ein Vielfaches stärker als sie.

»Keinen Ton«, zischte er ihr ins Ohr.

Erst jetzt bemerkte Snow, dass sie ihm die ganze Zeit in die Hand geschrien hatte. Ihr Atem ging noch immer schnell, doch sie tat, was er verlangte, und schwieg.

Würde er sie loslassen, wenn sie ihm gehorchte? Und würde Rose sie hören können, wenn sie dann schrie? Tatsächlich lockerte der Mann seinen Griff. Sofort warf Snow sich nach vorne, doch sie war nicht schnell genug. Er zog sie wieder an sich heran, stolperte dabei rückwärts und sie beide schlugen gegen die Wand.

Hatte er geschwankt? Er war vielleicht doch betrunken und sie hätte eine Chance, ihn zu überwältigen. Doch das war es nicht. Der Mann stöhnte bei dem Aufprall, als habe er Schmerzen. Er war verletzt. Das musste es sein.

Snow versuchte etwas zu sagen. Wenn er Hilfe brauchte, musste er doch nur darum bitten. Er musste sie nicht bedrohen.

»Ich lasse dich jetzt los«, sagte er in langsamen, eindringlichen Worten. Seine Stimme klang sanft, freundlich. Gar nicht wie die eines Mannes, der unschuldigen Frauen in dunklen Scheunen auflauerte. »Aber du musst mir versprechen still zu bleiben.«

Snow nickte eifrig.

»Gut«, sagte er und löste die Hand von ihrem Mund.

Sofort wirbelte Snow herum, um ihm direkt ins Gesicht sehen zu können, doch da waren nur Schatten.

Er hielt sie weiter am Arm fest und würde sicher nicht so schnell lockerlassen. Ihr Blick huschte zur Tür, die nur wenige Schritte entfernt lag und um einen Spalt geöffnet war.

»Seid Ihr verletzt?«, fragte sie den Mann.

Er schwieg.

»Braucht Ihr Hilfe, ist es das?«, hakte Snow nach.

»Es darf niemand erfahren«, antwortete er mit brüchiger Stimme.

»Was?«, fragte sie. »Was darf niemand erfahren?«

Er schwankte ein weiteres Mal. Nun spürte sie auch, dass seine Hand zitterte. Wäre sie nicht eben noch in seiner Gewalt gewesen, hätte sie ihn gestützt, als er zu stürzen drohte. Doch so war sie nur froh, als sein Griff sich lockerte und sie endlich von ihm loskam. Er fiel wie ein Sack Rüben zu Boden und blieb liegen.

Zögernd stand Snow einen Moment da, dann lief sie zur Tür. Die Wirtsstube war voller Männer, die sich darum reißen würden, ihr behilflich zu sein den Fremden zu fesseln und nach Banton zu schleppen. Doch was, wenn er ernsthaft verletzt war? Vielleicht sollte sie nur Rose Bescheid geben, damit sie sich um seine Wunden kümmerte, bevor eine Horde übereifriger, betrunkener Männer sich auf ihn stürzte.

Sie hatte das Scheunentor schon in der Hand und konnte den Lichtkegel sehen, den die Laterne am Hintereingang des Gasthauses auf den Hof warf, als sie sich entschied, nichts dergleichen zu tun.

Sie kehrte um und sank neben dem Mann auf die Knie. Niemals hätte sie es sich verzeihen können, wenn er verbluten würde, während sie Rose von den Geschehnissen berichtete. Er war ohnehin keine Gefahr mehr für sie.

Snow packte den Fremden an der Schulter und drehte ihn auf den Rücken. Er war ein junger Mann mit feinen Zügen, die unter einem dichten Bart und struppigem, langem Haar kaum zu erkennen waren. Der Geruch nach nassem Tier stammte von dem Fell an seinem Kragen. Er trug solide Kleidung, die zerschlissen, aber von guter Qualität war. Vielleicht war er einer der wenigen Abenteurer, die sich mit den Feen eingelassen und es lebend wieder aus dem Wald geschafft hatten. Vielleicht war er aber auch nur ein Jägersmann, der bei dem Zusammenstoß mit einem Eber den Kürzeren gezogen hatte.

So oder so war Snows Angst mit einem Mal verflogen. Er war verletzt und egal wer er war, er brauchte Hilfe.

Sie tastete seinen Körper ab und griff gleich mehrere Male in Blut. Die Zeit, jemanden herbeizurufen, blieb ihr nicht. Sie wagte es nicht einmal, zurückzulaufen, um die Laterne zu holen. Stattdessen schob sie das Tor weiter auf, sodass der Körper des bewusstlosen Mannes in den bläulichen Schein des Mondes getaucht wurde.

Rose und Snow waren hier draußen auf sich allein gestellt. Wunden zu versorgen gehörte ebenso zu ihrem Alltag wie das Ausbessern des Daches und das Erschlagen von Ratten. Wie oft waren schon stolze Männer in Rüstung in ihr Gasthaus gekommen und hatten sich tags darauf von den Schwestern ihre zahllosen Wunden versorgen lassen? Es waren nicht nur die Feen und Waldgeister, die den verwunschenen Wald gefährlich machten. Auch Wölfe und Bären gab es dort, die mit ihren seidigen Fellen die Jäger anlockten und sie mit Zähnen und Krallen in die Flucht schlugen.

Flink knöpfte sie dem Mann das Hemd auf und untersuchte die Schürfwunden an seinem Oberkörper. Er stöhnte, als sie eine tiefere Verletzung betastete und ihre Finger über seine Rippen wandern ließ.

»Ihr hättet in die Stube kommen sollen«, murmelte sie. »Niemand muss sich schämen um Hilfe zu bitten, auch wenn Ihr gestern vielleicht noch vor euren Freunden groß getönt habt, dass ihr Heldentaten vollbringen würdet, und heute geschlagen heimkehrt. Es ist mannhafter, einzugestehen, verloren zu haben, als eine Frau im Dunkeln zu überfallen.«

Der Fremde antwortete natürlich nicht. Er war längst nicht mehr bei Bewusstsein.

Snow verband ihm die Wunden notdürftig mit den Fetzten seines Hemdes. Die Blutungen konnte sie stoppen, doch für mehr brauchte sie Wasser, Salbe und saubere Tücher.

Es war bitterkalt hier draußen, sodass sie den Mann in ihren Umhang hüllte, bevor sie ging. Er hatte viel Blut verloren und fühlte sich bereits so kalt wie der Tod selbst an. Nachdem er es bis hierhergeschafft und überlebt hatte, so dumm gewesen war, sich in die Scheune zu schleichen, statt in die gut besuchte Stube zu treten, und das Glück gehabt hatte, auf sie zu treffen und nicht auf einen der Männer, die wohl kurzen Prozess mit ihm gemacht hätten, durfte es nicht sein, dass er am Ende erfror und Snows Bemühungen umsonst gewesen wären.

Zitternd vor Kälte lief sie zurück zum Gasthaus und war froh, endlich wieder im Warmen sein zu können.

»Wo warst du so lange?«, begrüßte ihre Schwester sie. »Und wo ist dein Umhang? Viel wichtiger: Wo sind die Rüben?«

Snow schüttelte den Kopf.

»Keine Rüben. Ich erkläre es dir morgen.«

Rose sah sie skeptisch an, bekam aber keine weitere Erklärung von ihrer jüngeren Schwester. Wenn sie jetzt berichtete, dass in der Scheune ein Mann lag, würde Rose für einen Aufruhr sorgen, der böse enden konnte.

»Wie du meinst«, seufzte Rose resigniert und machte sich wieder an die Arbeit.

Auch Snow schüttelte die Geschehnisse der letzten Stunde ab und versuchte, nicht mehr an den Mann zu denken, der ohnmächtig in der Scheune lag. Sie schmeckte noch immer seinen Schweiß auf ihren Lippen, doch auch das versuchte sie zu verdrängen. Natürlich gelang ihr das nicht. Wie könnte es auch? Ein Fremder hatte sie überfallen, ihr Todesangst eingejagt, und alles in ihr drängte darauf, es ihrer Schwester zu erzählen, der sie sonst immer alles erzählte.

Es war ihr, als würde die Zeit stillstehen und sie für den Rest der Ewigkeit dazu verdammt sein, Humpen zu schleppen und deftige Mahlzeiten zu servieren.

Rose war viel zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, um zu bemerken, dass Snow nicht ganz bei der Sache war. Sie wirbelte hinter der Theke wie Laub im Sturm, machte drei Handgriffe zeitgleich, zapfte Bier, spülte Gläser, wischte die Theke und fand irgendwo noch die Zeit, die Teller mit Fleisch, Brot und Käse zu füllen.

Snow kam es an Abenden wie diesen, an denen die Schenke brechend voll war, vor, als würde ihre Schwester keinen Atemzug tun, bis der Mond endlich hoch am Himmel stand, die Männer aus Banton zu ihren Frauen heimkehrten und die Reisenden ihre Zimmer im oberen Stockwerk aufsuchten. Dann endlich atmete Rose tief durch und erledigte die letzten Handgriffe in aller Ruhe und mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Die wollten heute gar nicht mehr gehen, was?«, fragte sie an Snow gerichtet.

»Was?«, fragte sie, obwohl sie die Frage eigentlich verstanden hatte. Snow war in Gedanken bei dem Mann in der Scheune und überlegte schon eine geraume Zeit, wie sie ihrer Schwester davon berichten könnte, ohne sie wütend zu machen.

»Du stehst schon den ganzen Abend neben dir«, stellte Rose fest. »Stimmt etwas nicht? Hat einer der Männer dich angepackt?«

»Nein, nein!«, wehrte Snow vehement ab, trug aber wohl zu dick auf, denn Rose straffte sofort ihre Haltung und fixierte ihre jüngere Schwester durch schmale Augen.

»Wenn einer von ihnen auch nur ein abfälliges Wort über dich verloren hat …«, zischte sie mit erhobenem Putzlappen. »Wehe dem, der meiner Schwester zu nahetritt!«

»Das ist es wirklich nicht«, beteuerte Snow.

Sie traute Rose durchaus zu, einen Gast nach dem anderen aus seinem Bett zu zerren und zu verhören. Wenn es um Snow ging, konnte Rose ganz schnell zur Furie werden. Deswegen hatte sie ihr auch kein Wort über den Mann in der Scheune gesagt. Sie wäre ausgerastet und hätte keine Rücksicht auf Verluste genommen.

Auch jetzt, nachdem Ruhe eingekehrt war und Snow den ganzen Abend schon darauf gewartet hatte, ihr zu berichten, konnte sie den Gedanken nicht abschütteln, dass es vielleicht besser wäre, Rose nichts zu sagen. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass der Mann sich bis zum Morgen erholte, sich bedankte und abreiste, sodass Rose nie erfahren müsste, dass er ihre kleine Schwester bedroht hatte. Doch diese Chance war mehr als gering. Er war ganz übel zugerichtet worden und so befürchtete Snow eher, dass er am nächsten Tag nicht mehr am Leben war. Es blieb ihr nichts anderes, als ihrer Schwester davon zu erzählen.

Sie seufzte schwer und kam zur Theke, wo Rose noch immer auf eine Erklärung wartete.

»Als ich vorhin Rüben holen wollte, bin ich jemandem begegnet«, begann sie.

»Einem Mann? Hat er dir aufgelauert?«, fragte Rose bestürzt und zornig zugleich. »Er hat dich doch nicht etwa angefasst?«

Snow konnte durchaus verstehen, dass Rose immer nur das eine befürchtete. Wenn man es tagtäglich mit betrunkenen Männern zu tun hat, sieht man nur deren Schattenseiten, und bald kann man nichts anderes mehr sehen. Dann nutzte es auch nicht, dass der Bäcker aus dem Dorf freundlich lächelte und von seinen lieben Kindern erzählte, wenn er tags zuvor lallend unter dem Tisch gelegen, von dem prallen Busen der Pfarrerstochter geschwärmt und sich in seinem eigenen Erbrochenen gewälzt hatte. Nein, da nutzten keine lieben Worte, um so etwas vergessen zu machen, und nichts Gutes blieb, das man von den Männern halten könnte, wenn ein jeder von ihnen schon einmal ähnliche Ausfälle gehabt hatte.

Snow aber glaubte an das Gute in den Menschen.

Es war das Bier, das die Schattenseiten zum Vorschein brachte, und nicht jeder frönte ihm. Auch wenn es unter den Männern im Dorf vielleicht keine Ausnahme gab, so hatte sie auch oft schon Gäste gehabt, die auf dem Weg zum Königspalast von Farrendale waren, die gesittet blieben, kaum einen Becher Wein leerten und neben reichlich Trinkgeld auch freundliche Worte und ein Lächeln daließen.

»Mich hat niemand angefasst«, behauptete Snow, obwohl es ja anders gewesen war. Der Mann in der Scheune hatte aber so eine vertrauensvolle Stimme gehabt, dass sie nicht daran glauben konnte, dass sein Übergriff ihm nicht leidtäte, wenn er wieder bei Sinnen war. »Als ich in der Scheune war, war dort ein Mann. Er ist verletzt und …«

»Warum sagst du das nicht gleich?«, unterbrach Rose sie und warf ihren Putzlappen weg. »Ist er noch dort? Sind die Wunden tief?«

»Er blutet stark und ist nicht bei Bewusstsein«, erklärte Snow.

»Ach, Snow, du hättest etwas sagen müssen«, warf Rose ihr vor. »Dort draußen erfriert er ja und jetzt ist das Feuer fast niedergebrannt.« Sie deutete auf den Kamin.

»Ich hatte Angst, dass die Männer unüberlegt handeln würden und wir ihm nicht mehr hätten helfen können.«

Rose war bereits in der Küche verschwunden und kam mit dem Verbandskoffer wieder.

»Wie kommst du denn auf den Gedanken? Sie hätten uns helfen können ihn in die Stube zu bringen.«

Snow konnte ihr ja schlecht sagen, dass sie gelogen hatte und der Mann handgreiflich geworden war. Hätte sie das einige Stunden zuvor berichtet, wäre die Hölle ausgebrochen.

»Er sieht ziemlich heruntergekommen aus. Vielleicht ist er auf der Flucht und muss sich verstecken. Er hatte sicher einen Grund, die Scheune aufzusuchen und nicht gleich ins Haus zu kommen«, meinte sie.

Rose hielt inne.

»Du meinst also, du hast nichts gesagt, weil du vermutest, dass er ein Verbrecher ist? Und deswegen willst du ihn versteckt halten? Einen Dieb oder gar Mörder? In unserer Scheune?«

So wie Rose das sagte, hörte es sich wirklich nicht nach einer guten Idee an.

»Ja, so ungefähr«, gab sie verlegen lächelnd zu.

Rose warf den Kopf in den Nacken und lachte so laut, dass Snow befürchtete, sie würde die Gäste im Obergeschoss aus den Betten holen.

»Du bist zu süß, kleines Schwesterchen«, sagte sie noch immer lachend. »Du würdest noch die Wunden eines Bären versorgen, der dir zuvor das Bein abgerissen hat.«

»Das vielleicht nicht gerade«, wehrte Snow ab.

»O doch, genau das«, entgegnete Rose schief grinsend. »Und jetzt komm, wir wollen uns deinen Bären genauer ansehen.«

Snow nahm die Laterne vom Haken und führte ihre Schwester über den Hof. Auf dem Weg dorthin überkam sie die Angst, dass der Mann verschwunden sein könnte. Dabei wäre das doch das Allerbeste gewesen. Ihre Sorgen wären sie damit mit einem Schlag los. Doch sie wollte nicht, dass er verletzt und auf sich alleine gestellt durch den verwunschenen Wald irrte oder zu später Stunde nach Banton ging, wo Gauner und Halunken an jeder Ecke lungerten.

Ein Stein fiel ihr vom Herzen, als der Mann noch genauso dalag, wie sie ihn zurückgelassen hatte. Schnell mischte sich aber die Angst dazu, er könne die letzten Stunden trotz Druckverbänden und wärmendem Schurwollumhang nicht überstanden haben.

»Das ist er?«, fragte Rose.

»Was denkst du, wie viele Männer hier in der Scheune liegen?«, fragte Snow kichernd. Rose stimmte mit ein.

»Du hast als Kind auch immer gleich mehrere verletzte Eichhörnchen, Vögel und Kaninchen in Kisten in deinem Zimmer sitzen gehabt, da ist die Vermutung, dass du hier ein halbes Dutzend Männer untergebracht hast, die du alle gesund pflegen möchtest, gar nicht mal so abwegig«, neckte Rose ihre Schwester.

Sie lief zu dem Mann und stellte den Verbandskasten neben ihm ab. Snow kam nur zögerlich näher. Zum einen hatte sie noch immer die Befürchtung, er könne tot sein, zum anderen aber auch die, dass das Gute in seinen Zügen, von dem sie sicher gewesen war es gesehen zu haben, verschwunden war.

»Komm schon näher, ich brauche Licht«, forderte Rose sie auf.

Sie hielt dem Mann ihre Hand über den Mund, um festzustellen, ob er noch atmete. Als Rose erleichtert nickte und sich dem Verbandskasten widmete, war Snow beruhigt. Sie ging neben ihrer Schwester in die Hocke und stellte die Laterne ab.

»Du hast recht gehabt«, meinte Rose, während sie die Tinktur zur Wundversorgung auf eine Mullbinde träufelte. »Er sieht wirklich aus wie ein Herumtreiber. Sicher hatte er seine Gründe, nicht in die Stube zu kommen.«

»Du denkst, er ist ein Verbrecher?«, fragte Snow.

»Ich denke, das muss er uns selbst beantworten, wenn er wieder bei Bewusstsein ist.«

Snow betrachtete das Gesicht des schlafenden Mannes. Er sah friedlich aus, blass und mitgenommen, aber geirrt hatte sie sich nicht. Er hatte etwas an sich, das einem Vertrauen einflößte.

Rose kümmerte sich um die Verletzungen, reinigte die Wunden und kündigte schließlich an, heißes Wasser holen zu müssen. Snow nickte das ab und strich dem Mann das schweißnasse Haar von der Stirn.

»Er hat Fieber«, stellte sie besorgt fest, doch Rose war bereits gegangen.

Auch wenn die Blutungen gestoppt waren, war das noch längst kein Garant dafür, dass er überlebte. Sie würden ihr Bestes geben, aber oft war das nicht gut genug. Fieber war ein erstes Anzeichen für Wundbrand und wer erst einmal darunter litt, verlor mit etwas Glück nur ein oder zwei Gliedmaßen, doch oft sein Leben.

Plötzlich schlug der Mann die Augen auf. Es war, als habe er bemerkt, wie lange Snow ihn betrachtet hatte, und nun erwiderte er den Blick. Snow war wie erstarrt.

Unter all dem Dreck, dem filzigen Bart und wirren Haar verbarg sich ein junger Mann, der verwirrt schien, Schmerzen hatte und dessen tiefblaue Augen sie nun direkt ansahen.

Genau solche Augen waren es, wegen denen Snow auch einen Bären versorgt hätte, wenn er auch zuvor noch ein gefährliches Monster gewesen wäre. Denn ein Bär war auch nur ein Tier, das nichts Böses im Sinne hatte, das nur kämpfte, um zu überleben. Der Mann hatte dieselben Augen wie ein unschuldiges Tier. Vielleicht war er ein Verbrecher, doch wenn er etwas Unrechtes getan hatte, dann glaubte Snow nicht daran, dass es aus bösem Willen geschehen war. Heutzutage reichte es doch schon aus, einen Laib Brot zu stehlen, um verurteilt zu werden und als Dieb zu gelten. Der Mann hatte ja vielleicht nur Hunger gelitten oder seine Familie versorgen wollen.

»Es wird alles wieder gut«, versprach sie. »Ihr seid hier sicher und Eure Wunden werden versorgt.«

Der Mann öffnete den Mund, sagte aber nichts. Stattdessen hob er die Hand und ergriff die ihre. Dann schloss er die Augen wieder.

»Er hat Fieber«, rief Snow überstürzt, als ihre Schwester wiederkam.

»Das war zu erwarten«, meinte Rose und stellte die Schüssel warmen Wassers neben dem Verbandskasten ab. Sie bemerkte die Hand, die Snow noch immer hielt, und ein Lächeln huschte ihr über die Lippen. »Aber keine Sorge, wir kriegen dein Vögelchen schon wieder fit.«

Den Mann mit einem Vogel zu vergleichen, dessen gebrochener Flügel versorgt werden musste, passte ganz gut, wenn man bedachte, dass er wahrscheinlich vogelfrei war. Snow hoffte nur, dass sie sich keinen Ärger einhandelten, wenn sie ihm halfen.

Seit dem Tod ihrer Mutter kreisten die Geier ohnehin schon über ihren Köpfen. Das Wirtshaus war lukrativ und so mancher Dorfbewohnter hoffte darauf, dass die beiden jungen Schwestern bald überfordert wären und das Haus für wenig Geld an den nächstbesten Interessenten verkauften. Wenn es sich nun herausstellen würde, dass sie einem Verbrecher Unterschlupf gewährten, wäre das ein gefundenes Fressen für die Leichenfledderer, die es auf den Traum ihrer Mutter abgesehen hatten.

Ein Lächeln

Es ist egal, was gestern war, Was morgen kommt, ist einerlei. Das, was zählte, als ich dich sah, War nur, wie ehrlich dein Lächeln sei.

Snow lag wach in ihrem Bett. Sie konnte einfach nicht schlafen, solange sie nicht wusste, wie es dem Mann in der Scheune ging.

Sie hatten ihm ein Bett aus Stroh bereitet, ihm warme Decken gebracht und Rose hatte seine Wunden versorgt. Doch sein Fieber war immer noch hoch gewesen. Es standen Wasser und Brot für ihn bereit, sollte er zu sich kommen, und die Scheune war verriegelt, sodass ihn niemand zufällig finden konnte.

Snow konnte an nichts anderes denken als daran, dass sie bei ihm hätte bleiben sollen. Was, wenn das Fieber stieg? Wenn er aufwachte und nicht wusste, wo er war?

Sie zwang sich dazu, liegen zu bleiben, versuchte die Augen zu schließen und zumindest eine Stunde zu schlafen. Als dann die ersten Gäste zu hören waren, hielt sie es nicht mehr aus und stand auf.

Rose war bereits im Wirtszimmer, als Snow nach unten ging. Sie erkannte wohl sofort, dass ihre kleine Schwester unbedingt nach draußen wollte, um nach dem Mann zu sehen, und drückte ihr eine Servierplatte in die Hand, bevor sie auf dumme Gedanken kommen konnte.

»Wir haben das Haus voller Leute«, flüsterte sie in scharfem Ton. »Erst wird das Frühstück serviert, dann versorgen wir die Tiere.«

Letzteres sagte sie auf eine Weise, die keinen Zweifel daran ließ, von wem die Rede war. Auch wenn es Snow schwerfiel, sah sie ein, dass ihre Schwester recht hatte, und ging ihren Pflichten nach.

Selten blieb mal ein Reisender länger als eine Nacht. Das kleine Gasthaus am Rande des Waldes war die letzte Einkehrmöglichkeit vor dem Königsschloss, zu dem die meisten von ihnen unterwegs waren. In wenigen Stunden wäre die Stube leer und erst am Abend kämen die Männer aus dem Dorf, um sich zu betrinken und zu feiern.

Snow erledigte, was sie jeden Morgen zu tun hatte, servierte das Frühstück, fegte die Zimmer und zog die Betten neu auf. Die Wäsche warf sie auf einen Haufen, um den sie sich später kümmern würde.

Rose brachte die Küche auf Vordermann und sammelte alle Essensreste in einem Eimer für die Hunde.

»Dann gehe ich jetzt die Tiere füttern?«, fragte Snow ungeduldig.

Rose sah sich um. Das Gasthaus war beinahe leer. Nur ein älterer Mann mit seinen zwei Töchtern saß noch an einem Tisch in der Ecke.

Sie nickte.

»Ja, aber beeil dich«, sagte sie.

Das ließ sich Snow nicht zweimal sagen. Sie schnappte sich den Eimer und ihren Umhang und verließ die Stube durch den Hinterausgang.

Die Hunde wussten bereits, was sie erwartete, und kamen freudig wedelnd auf sie zu gerannt. Sie bellten und sprangen aufgeregt vor ihr hoch, sodass Snow alle Mühe hatte voranzukommen.

»Nicht so stürmisch«, mahnte sie die Rasselbande und kämpfte sich mit gerafftem Rock und hochgehobenem Eimer bis zur Scheune vor, wo sie die Essensreste in den Schweinetrog kippte.

Während die Hunde sich gierig über ihre Mahlzeit hermachten, sah Snow sich noch einmal um. Es war niemand zu sehen, sodass sie unbehelligt den Riegel aufschieben und in der Scheune verschwinden konnte.

»Hallo?«, flüsterte sie, bekam aber keine Antwort.

Als sie um den alten Karren gelaufen war, hinter dem sie das Lager aus Stroh und Decken bereitet hatten, fand sie den Mann noch immer schlafend vor. Das Essen hatte er nicht angerührt.

Sie war erleichtert und betrübt zugleich. Zu gerne hätte sie Antworten von ihm erhalten. Zumindest seinen Namen wollte sie unbedingt erfahren. Sie ließ sich neben ihm nieder, fühlte seine Stirn und tauchte den Lappen in die Schüssel mit Wasser, um ihn damit zu kühlen.

Viel Zeit durfte sie sich nicht lassen. Noch immer waren Gäste im Haus und bis zum Abend gab es noch viel zu erledigen.

»Ihr seid jung und stark, Ihr werdet das Fieber besiegen«, versprach sie dem Mann. Sie tupfte ihm die Stirn ab, wusch ihm den Dreck aus dem Gesicht und die Tränen aus den Augenwinkeln. Seine Lippen waren spröde und rissig. Er musste endlich zu sich kommen und etwas trinken, damit er wieder zu Kräften kommen konnte, doch er regte sich nicht.

»Ich komme bald wieder«, versprach Snow und versicherte sich, dass die Decken fest um seinen Körper geschlungen waren, bevor sie sich erhob.

***

Snow stürzte sich an diesem Tag in die Arbeit. Sie war schon immer fleißig gewesen, doch heute war sie besonders bemüht ihre Finger zu beschäftigen. Sie wusch die Laken, flickte sie, wo sie Löcher hatten, putzte die Fenster und setzte das Gemüse für den Eintopf auf.

»Ich gehe ins Dorf, besorge Brot und Kerzen. Brauchst du noch etwas?«, fragte Rose. Sie hatte ihren Umhang bereits angezogen und trug einen großen Flechtkorb auf den Schultern.

»Nein, geh nur, ich komme zurecht«, versicherte Snow.

Sie begleitete ihre Schwester zur Tür und konnte nicht umhin, einen Blick auf die Scheune zu werfen, als sie ins Freie trat.

»Es gibt noch genug zu tun«, ermahnte Rose sie.

»Ich weiß«, seufzte Snow, dachte aber nicht daran, wieder ins Haus zu gehen. Rose sah ihr das wohl an der Nasenspitze an, denn sie schüttelte nur seufzend den Kopf und ging.

Wenn Rose nicht selbst gesehen hätte, dass der Fremde schwer verletzt und geschwächt war, hätte sie Snow wohl kaum mit ihm alleine gelassen. Rose wusste ja auch nicht, dass er sie bedroht hatte. Snow schrieb diesen Vorfall aber ganz seiner Angst und den Schmerzen zu. Sie glaubte nicht daran, dass er ihr ernsthaft etwas getan hätte.

Kaum dass Rose außer Sicht war, lief sie wieder zur Scheune und sah nach dem Rechten. Der Mann schien noch immer nicht zu Bewusstsein gekommen zu sein und so langsam machte Snow sich ernsthaft Sorgen.

Wieder ließ sie sich neben ihm nieder und wusch den Lappen im kalten Wasser aus, da drehte er ihr den Kopf zu und sah sie direkt an.

»Ihr seid wach!«, stellte Snow erleichtert fest.

Der Mann öffnete den Mund, doch kein Ton kam über seine Lippen.

»Ihr müsst etwas trinken«, gebot sie ihm und nahm den Becher zur Hand.

Der Mann nickte schwerfällig, war aber wohl zu schwach, um sich aufzurichten, also legte Snow ihm das Tongefäß an die Lippen und half ihm, den Kopf anzuheben.

Er trank gierig. Das Wasser lief ihm über die Mundwinkel und ließ ihn husten. Snow tupfte ihm den Bart trocken und schenkte ihm ein Lächeln.

»Ihr werdet Euch schnell wieder erholen. Wie ist Euer Name?«, fragte sie.

Der Mann sagte etwas mit rauer Stimme. Es war kaum mehr als ein Flüstern und unmöglich zu verstehen. Dann schloss er wieder die Augen. Es ging ihm wirklich nicht gut und Snow musste sich fragen, was ihm wohl widerfahren war. Seine Wunden deuteten auf einen Kampf hin. Sie wusste nicht, ob Feen und Kobolde mit Pfeilen und Schwertern kämpften – wohl eher mit Flüchen und Verwünschungen.

Sie hätte sich wirklich gewünscht, er wäre einer jener Männer, die tollkühn in den Wald zogen, um Abenteuer zu erleben. Wenn seine Verletzungen aber von Menschen stammten, könnten ebenjene Männer bald schon vor ihrer Türe stehen.

»Mein Name ist Snow«, erklärte sie. »Wie der Schnee, weil ich so blass bin und meine Haare so hell und auch meine Augen, seht Ihr?«

Sie deutete auf ihre blassblauen Augen. Dass sie nur Blödsinn von sich gab, wusste sie, aber ihr fiel nichts Besseres ein, was sie hätte sagen können, und zu schweigen wollte ihr einfach nicht gelingen.

Der Mann öffnete die Augen wieder und ein Lächeln huschte ihm über die Lippen. Snow war erleichtert, dass er ihr ihren Redeschwall nicht übel nahm.

»Mein Name …«, begann er mit brüchiger, fast tonloser Stimme, hielt dann aber die Luft an.

Rose hatte gesagt, er habe mehrere gebrochene Rippen. Tief einzuatmen, zu reden oder gar zu lachen musste ihm Schmerzen bereiten. Es wäre vielleicht klüger gewesen, ihn sich ausruhen zu lassen. Er brauchte Schlaf und Zeit, um sich zu erholen. Doch sicher war er auch einsam. Snow jedenfalls hätte sich an seiner Stelle einsam gefühlt und gewünscht, mit jemandem reden zu können.

»Ihr braucht sicher Ruhe«, meinte sie, nachdem er nicht mehr weitersprach. »Ich sollte besser gehen.«

»Nein!«, widersprach er energischer, als es ihm wohl lieb war, denn gleich darauf biss er sich auf die Lippen und entschuldigte sich. »Chris ist mein Name.«

»Chris«, widerholte sie lächelnd, schürzte dann aber die Lippen. »Ihr habt mich hinterrücks überfallen. Das nehme ich Euch noch immer übel. Aber meine Schwester und ich gehören nicht zu den Menschen, die jemanden, der Hilfe braucht, abweisen. Ihr könnt also gerne bleiben, bis Ihr Euch erholt habt.«

»Danke«, sagte er schlicht und sah sie noch eine Weile durchdringend an, bevor er den Kopf zum Scheunengebälk drehte und sein Blick sich in der Dunkelheit verlor.

»Wollt Ihr Euch nicht entschuldigen?«, fragte Snow. »Oder erklären, wer Ihr seid?«

Er atmete tief durch und wie es sich Snow gedacht hatte, bereitete ihm das wohl Schmerzen. Er biss sich auf die Lippe und schloss die Augen.

»Ich weiß nicht« sagte er.

»Ihr wisst nicht, ob Ihr Euch entschuldigen wollt, oder wisst Ihr nicht, wer Ihr seid?«, hakte Snow nach.

»Ich kann mich nicht erinnern«, erklärte er, hob die Hand und fuhr sich durchs Gesicht. Sein Bart schien ihn zu irritieren. Selbst seine eigene Hand schien ihm fremd zu sein.

Seine Worte hatten ihre Frage nicht wirklich beantwortet. Hatte er den gestrigen Tag vergessen oder alles, was davor geschehen war? Zumindest seinen Namen wusste er. Da war es sicher nur eine Frage der Zeit, bis auch die anderen Erinnerungen zurückkehrten.

»Ihr solltet Euch jetzt wirklich ausruhen, damit Ihr bald wieder zu Kräften kommt«, meinte Snow.

»Erzähl mir mehr von deinem Namen«, bat er sie.

Snow schüttelte verwundert den Kopf.

»Da gibt es nicht mehr zu erzählen«, erklärte sie. »Was wollt Ihr denn wissen?«

»Ich höre nur so gerne den Klang deiner Stimme«, sagte er leise, fast flüsternd. Er schien dabei zu sein, wieder wegzudämmern, und wahrscheinlich war das besser so. Er brauchte den Schlaf. »Ich habe dich singen gehört.«

Snow legte die Stirn in Falten. Singen? Wann hatte sie das letzte Mal ein Lied gesunden? Gestern sicher nicht. Sie fühlte seine Stirn und musste feststellen, dass er noch immer Fieber hatte. Sicher sprach er von einem anderen Mädchen, bei dem er in Gedanken war.

Sie wusch den Lappen aus und kühlte ihm Stirn und Wangen.

»Meine Mutter gab mir den Namen und sie pflanzte einen Busch weißer Rosen am Tag meiner Geburt«, erzählte sie. »Ein Jahr zuvor hatte sie rote Rosen gepflanzt. Damals kam meine Schwester zur Welt. Rose. Sie hat Eure Wunden versorgt.« Snow sprach leise und mit ruhiger Stimme, so wie sie zu den Tieren sprach, die sie verletzt im Wald fand und gesund pflegte. »Rose und ich, wir sind wie Feuer und Schnee, sagen die Leute. Meine Mutter meinte, wir wären die schönsten Blumen im Garten ihrer Träume. Abends sang sie uns immer ein Lied. Rosen so rot wie der Sonnenaufgang, Rosen so weiß wie fallender Schnee. Wenn ich einst geh’n muss, mir wird ums Herz bang, werd über euch wachen, bis euch wieder ich seh.«

Der Mann atmete ruhig und gleichmäßig. Snow wusste nicht, ob er bereits eingeschlafen war oder nur ihrer Stimme lauschte. Scheinbar beruhigte es ihn, jemanden sprechen zu hören, also kramte sie in ihrer Erinnerung und erzählte weiter.

Sie war kein Mensch, der je große Abenteuer erlebt hatte. Ihr Leben drehte sich um Arbeit, um das kleine Wirtshaus, und nur manchmal lauschte sie den Geschichten der Reisenden, die von ihren Erlebnissen in fremden Ländern berichteten. So war das, was sie dem Fremden zu erzählen hatte, sicher nicht sehr unterhaltsam. Doch jedes Mal, wenn sie eine Pause einlegte, schien er unruhig zu werden, also durchforstete sie ihre Erinnerung weiter und erzählte ihm von ihren Ausflügen in den Wald, von ihren Tieren, ihrer Mutter, Rose und dem Rosengarten.

Bald schon hatte sie die Zeit vergessen und auch, wem sie das alles erzählte. Mit einem Lächeln auf den Lippen grub sie alte Kindheitserinnerungen aus und summte Lieder, die ihr wieder in den Sinn kamen, oder erzählte von Streichen, die ihre Schwester ihr früher gerne gespielt hatte.

Als die Tür aufflog und ein kalter Luftzug zarte Schneeflocken bis zu ihr auf das Strohlager wehte, sprang sie erschrocken auf. Eilig lief sie um den Karren und atmete erleichtert durch, als sie Rose im Eingang stehen sah.

»Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt!«, beschwerte sie sich.

»Habe ich dich gerade singen gehört?«, fragte Rose.

Snow senkte beschämt den Blick. Sie hatte dem Fremden tatsächlich das ein oder andere Lied vorgesungen. Es schien ihm ja gutzutun.

»Vielleicht«, meinte sie kleinlaut.

Rose stemmte die Fäuste in die Hüften und lachte spöttisch.

»Die Hausarbeit bleibt also liegen, weil du es für wichtiger hältst, einem völlig fremden, bewusstlosen Mann Kinderlieder vorzusingen?«

»Er ist nicht bewusstlos«, sagte sie, um das Thema zu wechseln, und deutete hinter sich. »Ich habe mit ihm gesprochen.«

Rose riss die Augen auf.

»Und was hat er gesagt?«, fragte sie und lief an Snow vorbei. »Wie heißt er und wie wurde er verletzt?«

Sie ging vor dem Mann in die Hocke und rüttelte sanft an ihm.

»Hört Ihr mich?«, fragte sie. Sie fühlte seinen Puls und die Stirn, presste dann die Lippen zusammen und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Sein Fieber ist noch immer hoch und ansprechbar ist er auch nicht. Du hättest ihm besser die Stirn gekühlt, statt Lieder zu singen.«

»Das habe ich und getrunken hat er auch etwas«, beteuerte Snow. »Er war nur kurz wach, aber er kann sich an nichts erinnern. Nur seinen Namen konnte er mir nennen. Chris.«

»Chris und weiter? Christopher? Christian? Christer?«

Snow hob die Schultern.

»Das hat er nicht gesagt, auch sonst nicht viel.«

»Bei dem Fieber wundert es mich, dass er überhaupt zu sich gekommen ist. Du wirst mir ein paar Kräuter aus der Küche besorgen müssen. Wir brauchen Lindenblüten, Hagebutte, Holunder, Kamille und Salbei, verstanden?«

Snow nickte und lief los. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie nicht mehr auf sein Fieber geachtet hatte. Wenn er nun doch starb, würde sie es sich nie verzeihen können, ihm Geschichten erzählt zu haben, statt seine Beschwerden zu lindern.

Doch so weit kam es nicht. Ab dem Tag erlaubte sie es sich kein weiteres Mal, unachtsam zu sein. Rose bereitete einen Tee aus den Kräutern, den sie ihm dreimal täglich einflößten. Snow achtete sehr genau darauf, dass er alles davon trank, und sah regelmäßig nach ihm.

Es dauerte drei Tage, bis er kräftig genug war die Tasse selbst zu halten. Sie saßen sich schweigend gegenüber, während er trank, und Snow wartete bis zum letzten Schluck, um ganz sicherzugehen, dass er seine Medizin nicht verschmähte.

Er entschuldigte sich oft für die Umstände, die er ihnen machte. Je länger er bei ihnen war und umso mehr er sprach, desto sicherer war Snow, dass er kein einfacher Gauner sein konnte. Er drückte sich gewählt aus, war höflich und bescheiden – ganz wie ein Kaufmannssohn oder ein junger Ritter unter der Flagge des Königs. Doch wenn sie ihn zu seiner Vergangenheit befragte, schwieg er. Beinahe schien es ihr, als schäme er sich dafür, sich nicht erinnern zu können.

»Wir haben zu dieser Jahreszeit kaum noch Gäste«, meinte Snow eines Abends. Sie saß ihm, wie jeden Abend, mit angezogenen Beinen gegenüber, hatte die Arme um die Knie geschlungen und sah dabei zu, wie er seine Gemüsesuppe löffelte. »Im Winter ist der Wald noch gefährlicher und Jäger erwarten wir erst wieder im Frühjahr. Es sind also Zimmer frei und Ihr müsst nicht länger in der Scheune schlafen. Außerdem wird es hier langsam viel zu kalt.«

»Wegen mir müsst ihr euch keine Mühe machen«, versicherte er. »Mir reicht die Scheune völlig aus und die Zimmer sind doch für zahlende Gäste vorbehalten. Ich habe nichts, was ich euch anbieten könnte.«

»Jetzt, wo es Euch besser geht, könntet Ihr ein wenig im Haushalt mit anpacken«, meinte Snow. »Es sei denn natürlich, Ihr seid Euch als Mann zu schade, mal nach dem Besen zu greifen.«

Ein seichtes Lächeln huschte ihm über die Lippen. Er sah lange nicht mehr so wild aus wie am ersten Tag. Vielleicht hatte sich Snow auch mittlerweile an den Anblick seines struppigen Haars und der dichten Gesichtsbehaarung gewöhnt. Wenn sie ihn ansah, sah sie ihm ohnehin immer in seine gütigen blauen Augen. Sie sprachen oft mehr, als es Worte vermocht hätten.

»Um meine Dankbarkeit auszudrücken, bin ich mir für nichts zu schade«, versicherte er.

»Dann wartet hier!«, bat sie freudig und sprang auf. »Ich hole Euch einen Umhang, damit Ihr auf dem Weg zum Haus nicht friert.«

»Warte«, rief er ihr nach, hob die Hand und hielt sie damit auf. »Das wird nicht nötig sein. Ich habe doch die Decken.«

Snow lachte.

»Das stimmt, tut mir leid«, entschuldigte sie sich. Sie war ganz aufgeregt, weil es ihm besser ging und er bald schon mit ihnen am Esstisch sitzen würde, statt hier auf dem Boden zu kauern.

»Du musst dich nicht entschuldigen«, beteuerte er. »Und du musst auch nicht immer so überaus höflich zu mir sein. Du hast mir das Leben gerettet und mich aufgenommen. Behandle mich bitte nicht länger wie einen Fremden.«

»Aber Ihr … du bist fremd«, sagte sie. Gerne hätte sie etwas anderes behauptet, doch sie wusste nichts über ihn. Nicht, woher er kam, wie er verletzt worden war oder ob er ein Verbrechen begangen hatte. Sie erinnerte sich noch gut an den Abend, als er ihr aufgelauert hatte, und an die Worte, die gefallen waren. Es dürfe niemand erfahren, hatte er sie gewarnt. Er trug ein Geheimnis mit sich, das bedrohlich zwischen ihnen stand und vor dem Snow Angst hatte, es zu entschlüsseln.

»Ich bin mir selber fremd«, meinte er fast tonlos. »Du und deine Schwester, ihr beide seid die einzigen Menschen, die ich kenne. Ich kenne euch besser als mich selbst, daher bitte ich dich, mich nicht wie einen Fremden zu behandeln.«

Snow presste die Lippen fest zusammen. Sie verstand, was er meinte, auch wenn sie niemals verstehen könnte, was er durchmachen musste.

»Kommst du?«, fragte sie und reichte ihm die Hand.

Er nickte und ließ sich von ihr aufhelfen. Das Gehen fiel ihm noch schwer, sodass sie ihn stützen musste und sie nur langsam über den Hof laufen konnten.

Sie hatten den Weg erst zur Hälfte hinter sich gebracht, als er stehen blieb und in Richtung des Waldes blickte.

»Der verwunschene Wald«, meinte sie. »Dort musst du verletzt worden sein, denn im Dorf wird niemand vermisst.«

»Dann komme ich von dort? Aus dem Wald?«, fragte er. »Er kommt mir vertraut vor.«

Sie drängte ihn weiterzugehen. Es war sehr kalt an diesem Abend und das Letzte, was er jetzt brauchte, war, sich eine Erkältung einzufangen.

»Niemand kommt von dort«, erklärte sie. »In diesem Wald leben nur Feen, Kobolde und Waldgeister. Du warst vielleicht auf der Durchreise oder auf Abenteuer aus.«

Er schmunzelte. »Nach Abenteuern ist mir jetzt jedenfalls nicht mehr zumute.«

Rose hatte keine Ahnung, dass Snow den Fremden mit ins Haus bringen wollte. Sie hatte es ja selbst noch nicht gewusst, als sie vor gut einer halben Stunde mit einer Schüssel dampfender Suppe zu ihm gegangen war.

Wie so oft hatte sie den Beschluss spontan gefasst und ihre Gedanken schon ausgesprochen, bevor sie sich alles genau überlegt hatte.

Entsprechend sah Rose nicht gerade erfreut aus, als Snow die Hintertür aufstieß und mit Chris in die beheizte Stube trat.

»Dort draußen ist es einfach zu kalt«, erklärte Snow kurzerhand.

Rose öffnete den Mund und hatte den Finger bereits drohend erhoben, besann sich dann aber wieder. Sie sah wohl selbst ein, dass ihre Schwester recht hatte.

»Das kleine Zimmer hinter der Besenkammer kann ohnehin nicht mehr vermietet werden«, sagte Rose. »Der Kamin ist verstopft, es zieht durch einen Riss im Fensterrahmen und es tropft von der Decke. Aber besser als die Scheune ist es allemal.«

»Es muss auch noch gesäubert werden, weil wir es eine Weile schon nicht mehr genutzt haben«, ergänzte Snow.

»Das ist schon in Ordnung. Gebt mir nur einen Lappen und einen Besen, dann kümmere ich mich selbst darum«, versicherte Chris.

Rose lachte spöttisch auf.

»Ihr könnt kaum aufrecht stehen, wie wollt Ihr da ein Zimmer auf Vordermann bringen? Überlasst das Putzen getrost meiner lieben Schwester. Sie hat Euch mit nach Hause gebracht, sie kann sich jetzt auch um die Arbeit kümmern, die Ihr uns bereitet.«

»Wenn ich irgendetwas tun kann, um es wiedergutzumachen …«, begann er, doch Rose winkte ab.

»Werdet gesund. Das ist Lohn genug.«

Snow war froh, dass Rose ein Herz für den Mann hatte. Wahrscheinlich dachte sie an ihre Mutter, die auch nie einen Notleidenden abgewiesen hätte.

Der Winter

Unter der weißen Winterpracht, Scheint alles wie im ew’gen Schlaf. Doch mit der Sonne der Frühling erwacht. Versprich, dass ich dich halten darf.

Der Winter hüllte die kleine Wirtsstube am Rande des verwunschenen Waldes in seine weiße Pracht. Schweigen legte sich über den Wald, der in jenen Tagen magischer denn je wirkte.

Was Snow und Rose über die Sommermonate eingenommen hatten, musste nun ausreichen, um drei Menschen zu versorgen. Rose zählte jeden Morgen ihre Ersparnisse und verbrachte die Abende nicht mehr hinter der Theke, sondern an den Tischen, wo sie zu Trinkspielen aufforderte und mit Bauern feilschte, um gute Preise für Korn und Gemüse auszuhandeln. Sie mussten jetzt sparen, wo sie konnten, doch Snow war es das wert und auch Rose beschwerte sich nicht.

Chris ging es von Tag zu Tag besser. Schon nach einer Woche in dem kleinen Zimmer am Ende des Flurs hatte er sich darangemacht, den Kamin freizubekommen, und tags darauf fragte er nach Werkzeug, um die undichte Stelle in der Zimmerdecke zu flicken. Auch wenn es ihm in seinem Zustand viel Mühe bereitete und er lange brauchte, um einfache Handgriffe auszuführen, war er ihnen am Ende nicht nur eine Last, sondern half auch, wo er konnte.

Jeden Morgen brachte Snow ihm ein Tablett mit Brot und Suppe. Bis es ihm gut genug ging, um hinuntergehen zu können und mit ihnen am Tisch zu speisen, würde noch einige Zeit vergehen. Bis dahin genoss Snow die Stunden, die sie mit ihm verbringen konnte, auch wenn sie oft genug nur daraus bestanden, ihm dabei zuzusehen, wie er seine Suppe löffelte.

Als Snow eines Morgens sein Zimmer betrat, bekam sie so einen Schrecken, dass ihr beinahe das Tablett aus der Hand gefallen wäre.

Christ stand an der Kommode, hatte ihr den Rücken zugewandt, doch der Mann, den sie im Spiegel sah, war ein anderer.

Erst als sie in seine Augen blickte, erkannte sie ihn wieder. Ein Lächeln huschte ihm über die Lippen und er legte den Rasierer ab, mit dem er sein Gesicht von dem dichten Gestrüpp befreit hatte. Dahinter war ein junger, fremd anmutender Mann zum Vorschein gekommen.

»Guten Morgen«, grüßte er sie in gewohnt freundlichem Ton.

»Du siehst völlig verändert aus«, sagte sie erstaunt und stellte das Tablett auf den Tisch neben der Tür.

»Meinst du?« Er fuhr sich über das glatt rasierte Kinn. »Für mich sieht es vertrauter aus. Ich glaube beinahe, dass ich den Mann im Spiegel kenne.«

»Du hast …« Snow deutete auf seine Wange.

»Was?«, fragte er, drehte sich wieder dem Spiegel zu und entdeckte die Stelle, die er zuvor übersehen hatte. Er lächelte. »Oh, da muss ich wohl noch mal ran.«

»Setz dich«, forderte Snow ihn auf und trat an die Kommode. Sie reinigte das Messer in der Waschschüssel und wartete, bis er ihrer Aufforderung gefolgt war.

»Du siehst wirklich aus wie ein anderer Mensch«, meinte sie, griff ihm unters Kinn und hob es an. »Gerade als ich dachte dich langsam kennenzulernen.«

»Es würde mir gefallen, wenn ich mich selbst kennenlernen könnte. Ich träume von Dingen, die ich nicht verstehen kann, und alles, was mir in den Sinn kommt, wenn ich versuche mich an etwas zu erinnern, sind du und die Geschichten, die du mir erzählt hast.«

Snow war kein erfahrener Barbier, aber dafür tat sie ihr Werk gut. Sie legte den Rasierer zur Seite und griff nach der Schere, um auch seine wilde Mähne zu zähmen.

»Ich kann dir erzählen, wer du bist«, sagte sie. »Über deine Vergangenheit weiß ich nichts, aber sehr viel über den Mann, der vor ein paar Wochen in unserer Scheune aufgetaucht ist. Ich kann dir sagen, dass du ein großes Herz hast. Du bist gütig und wenn man dir einen Gefallen tut, kommst du nicht zur Ruhe, bis du dich erkenntlich gezeigt hast. Manchmal, wenn ich in dein Zimmer komme und du im Bett liegst und schläfst, höre ich dich im Schlaf flüstern. Ich verstehe nicht, was du sagst, aber es hört sich an, als wärst du zufrieden. Ich denke, dass du ein friedliches Leben geführt hast. Die Menschen, die dich gekannt haben, müssen freundlich gewesen sein, denn du glaubst an das Gute im Menschen, also wirst du auch gute Menschen kennengelernt haben. Du hörst viel lieber zu, als selbst etwas zu erzählen. Vielleicht liegt es nur daran, dass du nicht viel weißt, aber ich denke, du bist ein neugieriger Mensch und machst dir viele Gedanken über andere. Sicher gibt es eine Familie, die dich vermisst. Vielleicht Frau und Kinder. Und wenn es dir besser geht, solltest du nach ihnen suchen.«

Sie bereute den letzten Satz ausgesprochen zu haben. Natürlich würde er irgendwann gehen müssen, doch was, wenn das Leben, das er bisher gelebt hatte, besser war als die Zeit, die er mit ihr verbrachte? Dann würden sie ihn womöglich nie wiedersehen.

Sie trat zurück und betrachtete das Ergebnis ihrer Arbeit. Chris war wirklich ein ansehnlicher Mann. Nun, da er nicht mehr aussah wie ein Eremit aus dem Wald, erkannte sie, dass er kaum zwanzig sein konnte. Vielleicht war er noch zu jung, um eine eigene Familie zu haben.

Seine Augen hatten ihre Wirkung nicht verloren, auch wenn sie jetzt nicht mehr wie helle Funken schienen, die aus den Schatten leuchteten. Doch da war noch mehr als nur seine Freundlichkeit. Nun, da er sich nicht mehr verstecken konnte, wirkte er noch verlorener denn je. Die Traurigkeit in seinen Zügen wusch ihr das Lächeln von den Lippen.

»Schau selbst«, meinte sie leicht benommen, senkte den Blick und deutete auf den Spiegel. »So sieht es viel besser aus, nicht wahr?«

Er stand auf und betrachtete sich im Spiegel.

»Ja …«, murmelte er und drehte den Kopf von einer Seite zur anderen. »Ich kenne ihn wirklich, diesen Mann.«

»Und? Weißt du noch mehr über ihn als das, was ich dir sagen konnte?«

Er schwieg eine Weile, dann sah er zum Fenster, wo der unendlich scheinende Wald unter einer weißen Schneedecke lag.

»Er hat sich verlaufen und lange schon kein Licht mehr erblickt.« Chris drehte sich zu Snow und lächelte, als ihre Blicke sich trafen. »Bis zu dem Tag, als er eine schneeweiße Rose mitten im Winter blühen sah.«

Mit einem Mal riss er die Augen auf und sah erneut zu dem verwunschenen Wald.

»Was ist?«, fragte Snow besorgt.

»Nichts«, behauptete er, doch damit konnte er sie nicht täuschen. An irgendetwas musste er sich erinnert haben, nur schien er nicht bereit, ihr davon zu erzählen.

Er strich sich mit beiden Händen durchs Gesicht und rieb sich die Schläfen.

»Danke für deine Hilfe«, sagte er schließlich in einem Ton, der seltsam abweisend klang. »Richte auch Rose meinen Dank für Schere und Rasierklinge aus und frag sie, ob sie Arbeiten zu erledigen hat, die ich übernehmen könnte. Ich will helfen, wo ich kann.«

»Du bist noch immer verletzt. Es wird noch Wochen dauern, bis all deine Wunden vollends geheilt sind«, ermahnte sie ihn.

Er schwieg. Es schien fast, als würde er sich mit einem Mal danach sehnen, endlich wieder bei Kräften zu sein. Konnte er sich an seine Vergangenheit erinnern und wollte nun bald schon von hier verschwinden?

Snow verletzte es, dass er sich ihr nicht anvertraute. Sie hatte ihm alles von sich erzählt, keine Geheimnisse vor ihm gehabt und an seinem Bett gesessen, als er Fieber gehabt hatte und Schmerzen litt. Sie wünschte sich so sehr, dass irgendwo ein glückliches Leben auf ihn wartete, doch sie wollte auch nicht, dass alles vorbei war. Er war ihr so vertraut geworden und ihn nun ziehen zu lassen bräche ihr das Herz. Mehr aber schmerzte es, dass er seine Gedanken nicht mit ihr teilte.

»Dann … dann werde ich das Rose so ausrichten«, sagte sie monoton und ging zur Tür.

»Snow, warte!«, rief er ihr nach.

Alleine ihren Namen aus seinem Mund zu hören zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen. Sie drehte sich zu ihm um und sah, dass auch er lächelte.

»Ich danke dir«, sagte er und nickte höflich. »Für alles.«

Ihr Lächeln erstarb. Wie er das sagte, klang es beinahe nach einem Abschied. Sie knickste, als wäre er nur ein Gast, ein Edelmann aus gutem Hause, der freundliche Worte für sie übrighatte.

»Nichts zu danken«, sagte sie und ging.

Es fühlte sich falsch an. Er hatte ein eigenes Leben mit einer Vergangenheit, die ihn früher oder später einholen musste. Wie auch bei den Vögeln und Kaninchen, die sie gesund gepflegt hatte, würde irgendwann der Tag des Abschieds kommen.

Es tat jedes Mal aufs Neue weh und doch musste es sein. Aber Chris war kein verletztes Tier, das nicht verstand, was ihm Gutes widerfahren war, das nicht zurückblickte, wenn es endlich wieder frei sein konnte, und nie wieder zurückkehren würde.

Es war ja nicht so, dass er keine Dankbarkeit zeigte. Ganz im Gegenteil. Doch Snow wollte mehr, sie wollte etwas anderes und verstand nicht, was es war, nach dem sie sich sehnte. Sie verstand nicht, warum sie sich nicht für ihn freuen konnte.

»Was schaust du so traurig?«, fragte Rose, als Snow in die Wirtsstube trat.

Snow zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht«, gab sie ehrlich zu. »Ich glaube, Chris’ Erinnerungen kehren langsam zurück. Es geht ihm schon viel besser und …«

»Und mein kleines Schwesterchen ist verliebt«, meinte Rose grinsend.

Snow klappte die Kinnlade runter.

»Nein, das bin ich nicht!«, wehrte sie ab.

»O doch, das bist du! Bis über beide Ohren!« Roses Grinsen wurde breiter. Sie sah Snow herausfordernd an, doch die wollte gar nicht erst darauf eingehen.

Am Ende würde sich nur herausstellen, dass Rose recht hatte. Ja, sie empfand etwas für Chris. Jedes Mal, wenn sie sein Zimmer betrat, pochte ihr Herz schneller. Sie konnte in seiner Gegenwart nicht klar denken und plapperte nur Unsinn.

Aber alles sprach dagegen, diesen Gefühlen nachzugeben. Er hatte ein anderes Leben, das irgendwo da draußen auf ihn wartete. Bald schon würde er sich erinnern und dann käme der Abschied. Snow könnte es nicht verkraften, ihm ihre Zuneigung gestanden zu haben, nur um kurz darauf zu erfahren, dass er bereits mit einer anderen Frau liiert war.

Noch mehr fürchtete sie, dass er in ihr nichts weiter als eine kleine Schwester sah.

Das Risiko, zurückgewiesen zu werden, war viel zu hoch. Lieber war es ihr, sie blieben Freunde. Sie durfte einfach nicht über das nachdenken, was ihr Herz höherschlagen ließ, dann würde es bald schwächer werden und irgendwann in der Dunkelheit ihres Unterbewusstseins verschwinden. Davon war sie fest überzeugt.

Nichts von alledem sprach Snow offen aus und doch schien ihre Schwester es zu verstehen. Sie sprach kein weiteres Mal davon und auch Chris gegenüber verlor sie kein Wort über die Gefühle, die Snow für ihn hegte.

***

Es vergingen Wochen, in denen der Winter wie ein tiefer Schlaf über dem Tal am verwunschenen Wald lag. Je weiter der Winter voranschritt, je höher der Schnee und je kälter die Nächte waren, desto weniger Menschen kamen in das kleine Gasthaus.

Chris war ihnen eine so große Hilfe, dass Snow ihn nicht hätte gehen lassen wollen, selbst wenn da nicht die Gefühle in ihr schlummerten, die sie vor ihm verbarg und doch nicht ganz verstecken konnte.

Wie viel Arbeit tatsächlich über die Jahre liegen geblieben war, merkten die Schwestern erst jetzt, wo jemand sie anpackte. Während die beiden das Dach nur hier und dort notdürftig geflickt hatten, tauschte Chris ganze Balken aus. Er hackte Holz, flickte geborstene Dielen, reparierte Möbel und brachte sogar den alten Ofen wieder zum Laufen.