Secret Woods: Secret Woods: Zwei märchenhaft-schöne Romantasy-Bände zum Wegträumen und Dahinschmelzen in einer Box - Jennifer Alice Jager - E-Book

Secret Woods: Secret Woods: Zwei märchenhaft-schöne Romantasy-Bände zum Wegträumen und Dahinschmelzen in einer Box E-Book

Jennifer Alice Jager

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Beschreibung

**Es war einmal … ganz neu interpretiert. Das trifft mitten ins Herz** Diese Box enthält zwei märchenhaft-schöne Romantasy-Bände zum Wegträumen und Dahinschmelzen. Das Reh der Baronesse (Secret Woods 1) Anstatt den Zwängen des Königshofs zu unterliegen, trainiert Nala lieber das Bogenschießen und gerät in Raufereien mit ihrem Bruder Dale. Aber als ihr Vater, der Baron von Dornwell, eine neue Frau auf das Anwesen bringt, sieht sie ihr Glück schwinden. Die Komtesse ist hochnäsig und böswillig, dennoch ist Nalas Vater ihr vollkommen verfallen. Als Nala schließlich das dunkle Geheimnis der Komtesse aufdeckt, ist es bereits zu spät. Sie setzt alles daran, ihre Familie vor der bösen Stiefmutter zu retten. Doch schon bald steht nicht nur das Leben ihres Bruders auf dem Spiel. Auch ihr eigenes Herz ist in Gefahr – und das des fremden Jägers mit dem verschmitzten Lächeln und den blaugrauen Augen … Die Schleiereule des Prinzen (Secret Woods 2) Noch weiß Nala nicht, wer sich hinter dem wahren Gesicht des attraktiven Jägers verbirgt, der sie um jeden Preis finden will. Sie genießt die Freiheit, die ihr die weiten Wälder der königlichen Jagdgründe bieten, in der Hoffnung, doch noch den Bann von ihrem verwunschenen Bruder lösen zu können. Aber die neu gewonnene Freiheit ist trügerisch. Ihre böse Stiefmutter trachtet nach Nalas Leben – und nach der Liebe des Prinzen, damit ihre eigene Tochter Königin werden kann. Dessen Herz ist jedoch längst vergeben … Grimms »Brüderchen und Schwesterchen« – wunderschön und modern erzählt. Diese Märchenreihe berührt dein Herz! //Alle Bände der Märchenadaption von »Brüderchen und Schwesterchen«: -- Secret Woods 1: Das Reh der Baronesse -- Secret Woods 2: Die Schleiereule des Prinzen// Diese Reihe ist abgeschlossen. //Weitere märchenhafte Romane der Autorin: -- Sinabell. Zeit der Magie -- Being Beastly. Der Fluch der Schönheit -- Prinzessin Fantaghiro. Im Bann der Weißen Wälder -- Schneeweiße Rose. Der verwunschene Prinz (Rosenmärchen 1) -- Blutrote Dornen. Der verzauberte Kuss (Rosenmärchen 2)//

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2023 Text © Jennifer Alice Jager, 2016 Lektorat: Rebecca Steltner Coverbild: shutterstock.com / © Khomenko Maryna / © conrado / © mythja / © Malivan_Iuliia / © Eric Isselee / © Checubus / © PlusONE Covergestaltung der Einzelbände: formlabor ISBN 978-3-646-61011-6www.impressbooks.de

© privat

Jennifer Alice Jager begann ihre schriftstellerische Laufbahn 2014. Nach ihrem Schulabschluss unterrichtete sie Kunst an Volkshochschulen und gab später Privatunterricht in Japan. Heute ist sie wieder in ihrer Heimat, dem Saarland, und widmet sich dem Schreiben, Zeichnen und ihren Tieren. So findet man nicht selten ihren treuen Husky an ihrer Seite oder einen großen, schwarzen Kater auf ihren Schultern. Ihre Devise ist: mit Worten Bilder malen.

Wohin soll es gehen?

 

 

 

 

  Vita

 

  Secret Woods 1: Das Reh der Baronesse

 

  Secret Woods 2: Die Schleiereule des Prinzen

Für all die Brüder und Schwestern da draußen. Weil Blut dicker ist als Tinte.

Nur eine Ahnung

Nala hob ihren Bogen und spannte die Sehne, bis sie mit den Fingerkuppen ihren Wangenknochen berühren konnte. Durch zusammengekniffene Augen fixierte sie ihr Ziel.

»Du schießt dir noch die eigene Nase weg«, höhnte Dale neben ihr.

Sie war sechzehn Jahre alt, er gerade mal zwei Jahre älter. Dennoch behandelte er sie nur zu gerne wie ein Kind.

»Von wegen«, entgegnete sie hoch konzentriert.

Nala ließ die Sehne schnellen und der Pfeil traf die Strohpuppe zielgenau mitten in die Brust.

»Ha!«, stieß sie stolz aus. »Siehst du? Habe ich es dir nicht gesagt? Ich treffe immer.«

Dale lachte herzlich.

»Bei zwanzig Metern kein Wunder.« Er deutete auf das Anwesen in ihrem Rücken. Es lag dort hinter einer halbhohen Mauer, auf dem sanft ansteigenden Hügel. Ein prunkvolles Herrenhaus mit geweißelten Wänden und freiliegenden, zinnoberrot lackierten Balken – ihr Zuhause. »Geh mal dreißig Meter zurück und versuch es dann noch einmal.«

»Geh du doch zurück«, entgegnete sie schnippisch. »Und lass mich in Ruhe.«

»Warum gleich so aufbrausend?« Noch immer grinsend hob er verteidigend die Hände und setzte eine wenig überzeugende Unschuldsmiene auf.

»Das weißt du sehr wohl!«, knurrte sie und hob erneut ihren Bogen.

Natürlich wusste er es und er wusste auch, dass es nichts mit ihm zu tun hatte. Auf ihren Vater war sie wütend, darauf, dass er wieder heiraten wollte und sie mit dieser Entscheidung so plötzlich überrumpelt hatte.

Sie war wütend darauf, dass er diese Erbschleicherin in ihr Zuhause gebracht hatte und Dale vorschickte, um seine Schwester zu überreden, zurück zum Anwesen zu kommen, wo sie ihre Stiefmutter kennenlernen sollte.

Nala blies sich eine ihrer blonden Strähnen aus dem Gesicht und zielte erneut auf die Strohpuppe. Weil sie genau gewusst hatte, dass es Dale sein würde, der sie holen sollte, hatte sie die Puppe nach seinem Abbild gestaltet, ihr eines seiner Hemden angezogen, ein schiefes Grinsen aufs Gesicht gemalt und einen Fetzen alten Bärenfelles auf den Kopf geklebt. Natürlich mimte Dale den besonnenen, älteren Bruder und ließ sich davon nicht ärgern.

»Lass mich mal, ich zeige dir wie das geht.« Er griff nach dem Bogen, doch Nala entzog sich ihm.

»Ich weiß auch so, dass du der bessere Schütze bist, das musst du mir nicht beweisen.«

Dale stemmte die Fäuste in die Seiten und grinste überlegen.

»Der beste der ganzen Baronie.«

Nala verdrehte die Augen. Sie hätte ihn nicht loben sollen, jetzt würde er tagelang von nichts anderem reden.

»Ja, ja, du wirst einmal der tollste Baron von allen und zu den königlichen Jagdgesellschaften geladen werden. Ich weiß schon.«

Auf gestelzte Weise verbeugte er sich tief vor ihr.

»O ja, so wird es sein, Schwesterherz.« Als er wieder aufsah, war sein Blick ernst geworden und nichts Scherzhaftes lag mehr in seiner Stimme. »Aber alle werden sie nur von dir reden. Der Baronesse von Dornwall. Die anmutigste Frau des ganzen Königreiches.«

Nala blieben die Worte im Halse stecken. Sie war gewiss nicht außergewöhnlich, ein graues Mäuschen, wenn man so wollte. Insbesondere neben Dale verblasste sie schnell. Er war groß, mit breiten Schultern und von sehnigem Körperbau. Sein dichtes, dunkles Haar hing ihm in wilden Strähnen vor den rehbraunen Augen. Augen, die tief und warmherzig waren und in denen sich schon so manche Magd verloren hatte.

Obwohl sie Geschwister waren und ihre Gesichtszüge die nahe Verwandtschaft auch verrieten, war sie klein, beinahe dürr, mit großen, aber blassen Augen und dünnem, blonden Haar, das nie länger wachsen wollte als knapp bis über ihre Schultern.

Ein solches Kompliment zu hören, und sei es auch maßlos übertrieben und zudem von ihrem Bruder, berührte sie peinlich. Gerade reimte sie sich eine Antwort zusammen, mit der sie dem entgegnen könnte, da grinste er wieder breit und frech.

»Aber weil du eine männerfressende Furie bist, werden dich alle nur von weitem bewundern wollen.«

Nala sog die Luft ein.

»Du!«, zischte sie durch zusammengebissene Zähne. »Na warte!«

Sie warf den Bogen beiseite und stürzte sich auf ihn. Überrumpelt, wie er war, stolperte er rückwärts und verlor das Gleichgewicht.

Lachend fielen sie beide ins hohe Gras, rauften sich wie zwei junge Hunde, pikten und kitzelten sich gegenseitig, bis Nala irgendwann um Gnade flehen musste.

»Bitte, bitte!«, jauchzte sie mit feuchtem Glanz in den Augen und vom vielen Lachen schmerzendem Zwerchfell.

Sie lag auf dem Rücken und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen ihren Bruder, der sie in die Seite zu zwicken versuchte.

»Gibst du auf?«

»Niemals!« Sie versuchte ihn an den Haaren zu ziehen, bekam die Hände aber nicht frei.

»Sofort runter von ihr!«

Eine dürre Frau mit toupierter Turmfrisur und schief darauf drapiertem Hut kam den Hügel herunter gelaufen und geradewegs auf sie zu.

Sie trug ein schickes Kleid in kräftigem Bordeauxrot. Aus dickem Samt war es, mit schwarzen Aufnähten, passend zu ihren Stiefeln und Handschuhen.

Die fremde Frau fuchtelte mit einem Fächer wild in der Luft und schlug damit, kaum war sie bei ihnen angelangt, auf Dale ein.

»Runter von ihr! Runter, sofort!«, schrie sie hysterisch.

»Schon gut!«, beteuerte Dale, doch sie hörte nicht auf, bis sie ihn von Nala heruntergeprügelt hatte und schlug auch dann noch weiter auf ihn ein. »Ist ja gut! Autsch! Ich bin ja … Autsch, verflucht!«

»Hört auf!«, verlangte Nala.

Die Frau achtete nicht auf sie.

»Flegel! Ungehöriger Bursche!«, fauchte sie wie ein Drache.

Dale kroch von der Frau weg und versuchte vergebens auf die Beine zu kommen. Nala war dafür umso schneller wieder auf den Füßen. Sie griff nach dem Fächer, bekam ihn aber nicht zu greifen.

»Hört sofort auf ihn zu schlagen!«, verlangte sie.

Die Frau stieß sie zur Seite und holte erneut aus.

»Lasst das!« Nala schnappte wieder nach dem Fächer, da erhob die Fremde ihn auch gegen sie.

Erschrocken riss Nala die Arme hoch.

»Was soll das hier werden?«

Es war ihr Vater, der ihnen zurief. Er kam den Hügel heruntergelaufen und die Frau wandte sich ihm zu. Dale gelang es nun endlich sich aufzurappeln.

»Das frage ich mich auch«, murrte er entnervt und klopfte sich den Dreck von der Hose.

»Diese Verrückte hat völlig grundlos auf Dale eingedroschen!«, klagte Nala sie an.

»Ihr schlagt meinen Sohn?«

Verwirrt sah die Fremde den Fächer in ihrer Hand an und tat dabei gerade so, als habe ihn dort jemand ganz ohne ihr Wissen und Zutun platziert.

»Oh, mein Liebster, William, ich wusste ja nicht, wer er ist.« Sie deutete auf Nala. »Auf Eure Tochter hat er sich gestürzt und sie zu Boden gerungen. Verzeiht, aber bei dem verlotterten Äußeren und dem dunklen Haar sah ich keine Ähnlichkeit zu Euch, noch vermutete ich mehr als einen Strauchdieb unter all dem … Dreck.«

Mit dem Fächer deutete sie auf Dales Kleidung, die nach dem Raufen und dem unerwarteten Angriff tatsächlich sehr gelitten hatte. Missmutig sah Dale an sich herunter und fischte ein paar Grashalme aus den Falten seines Hemdes.

Nala sah nur flüchtig zu ihm. Sie konnte sich kaum von dem Anblick dieser aufgetakelten Dame lösen. Das sollte sie sein? Das war die Frau, von der ihr Vater so schwärmte? Eitel sah sie aus. Sie trug ihre Nase viel zu hoch und ihre Kleidung war am Königshof vielleicht angemessen, aber sicher nicht hier auf dem Lande, wo ihnen die Gänsehirten das Federvieh über den Hof trieben und Hunde sich in den Dreckpfützen suhlten, durch die Nala zuvor mit nackten Füßen gelaufen war.

Dornwall war ein beschauliches Stück Land, mit weiten Wäldern, einfachen Bauersleuten und einem bescheidenen Baron, der fern von allem Schick der Adelshäuser lebte.

Nalas Vater lächelte milde. Er brauchte keinen Gehrock aus Brokat oder goldene Ringe an den Fingern, so wie andere Edelleute ihren Reichtum gerne zur Schau trugen. Alleine seine Ausstrahlung zeichnete ihn schon als gütigen und weisen Herrscher aus, neben dem diese aufgedonnerte Pute im samtenen Kleid, mit ihren Polstern unter dem Rock und dem Schmuck im Haar, aussah wie ein exotischer Vogel.

»Nun, er hat das Haar seiner Mutter und die Kleidung … Gott weiß, wo er die herhat«, sagte er zu Nalas Überraschung.

Wieder betrachtete Dale das, was er am Leib trug und auch Nala musste sich fragen, seit wann ihrem Vater Hemd und Leinenhose nicht mehr gut genug waren.

»Sie, sie hat auch mich schlagen wollen«, warf sie ein.

Es konnte doch nicht sein, dass diese Frau so einfach damit durchkam. Welcher Mensch tat so etwas? Einfach auf jemanden einprügeln.

»Aber nein, niemals hätte ich die Hand gegen dich erhoben, Kindchen. Schützen wollte ich dich vor dem Flegel.«

»Aber sie hat … Dale, du hast es doch auch gesehen, oder?«

Verloren sah Nala von ihm zu ihrem Vater und wieder zurück. War sie denn die Einzige, die erkannte, dass die Frau eine falsche Schlange war?

»Das sind schwere Anschuldigungen, die du da gegen die Komtesse erhebst«, ermahnte ihr Vater sie.

Dale ergriff sofort Partei für Nala.

»Ein Missverständnis, mehr nicht.«

Nala riss die Augen auf.

»Wie bitte? Aber sie hat …«

»Lass gut sein, Schwesterchen«, unterbrach Dale sie.

Die Komtesse gackerte wie ein aufgeschrecktes Huhn.

»Feine Damen sollten aber auch nicht raufen, meint Ihr nicht auch, mein Liebster?« Sie streckte dem Baron die Hand entgegen und der nahm sie an.

»Sie war schon immer ein Wildfang«, erklärte er. »Sie weiß sich gegen ihren Bruder zu wehren.«

Nala verschränkte die Arme vor der Brust.

»Nicht nur gegen ihn«, murmelte sie.

Dale trat hinter sie und flüsterte ihr ins Ohr.

»Immer ruhig Blut.«

»Ich hatte es mir zwar anders ausgemalt, aber so habt ihr euch zumindest schon einmal kennengelernt«. Ihr Vater küsste die Hand seiner Verlobten. »Und jetzt kommt, wir wollen gemeinsam zu Abend essen und eure neue Schwester will sich euch ebenfalls vorstellen.«

Nala wollte sich gar nicht ausmalen, wie das vonstattengehen würde. Nachdem die Komtesse schon den Prügel ausgepackt hatte, würde ihre Tochter vielleicht mit dem Säbel auf sie warten.

»Die Kinder werden sich sicher blendend verstehen«, mutmaßte die Komtesse und öffnete mit einem kräftigen Ruck ihren Fächer.

Der Baron führte sie wieder den Hügel hinauf und Nala blieb mit zu Fäusten geballten Händen und angestauter Wut zurück.

»Hier.« Dale reichte ihr den Bogen und Nala riss ihn ihm aus der Hand.

»Verstehst du das?«, fragte sie, ohne den Blick von der Komtesse und ihrem Vater zu lösen.

»Vater ist verliebt. Wie wäre es, wenn du dich einfach für ihn freust?«

Sie wünschte sich, es wäre so einfach. Sie liebte ihren Vater und gönnte ihm alles Glück dieser Welt, aber sie erinnerte sich auch an ihre Mutter, daran, wie freundlich und gutherzig sie gewesen war. Sie erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen und nicht vor über fünf Jahren, wie ihr Vater sie vergöttert hatte.

Es war eine aufrichtige, hingebungsvolle Liebe gewesen und nicht das, was sie jetzt im verklärten Blick ihres Vaters sah.

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, ich kann es nicht verstehen.«

Dale grinste breit und verpasste Nala einen Seitenhieb.

»Das musst du auch nicht, du bist ja schließlich noch ein Kind«, zog er sie auf.

»Und du bist ein Idiot!«, konterte sie und stieß ihn von sich, packte aber gleich darauf seine Arme.

Sie waren übersät mit Striemen, die der Fächer auf seiner Haut hinterlassen hatte.

»Das musst du Vater zeigen! Er sollte sehen, was für eine Furie er sich da ins Haus geholt hat.«

Dales Grinsen wurde breiter. Er beugte sich zu ihr vor und sah sich um, als würde er ihr ein großes Geheimnis anvertrauen wollen.

»Das kennt er schon. Er hat ja dich – die größte Furie von allen.«

»Und du«, stotterte sie sich etwas zurecht. »Du bist der größte Dummkopf von allen!«

Sie schubste ihn von sich und schlug ihm die Hände weg.

»Au!«, schrie er gekünstelt auf und rieb sich die Stelle, die Nala getroffen hatte. »Am besten, ich gehe damit sofort zu Vater.«

Er wich ihr aus, als sie mit dem Bogen ausholte.

»Oh, bitte nicht schlagen!«, höhnte er.

Er rannte den Hügel hinauf und sie folgte ihm.

»Na warte!«, rief sie. »Ich verpasse dir etwas, das du ihm zeigen kannst!«

***

Nala ließ sich viel Zeit damit, sich für das Abendessen fertig zu machen. Sie brauchte das, um zur Ruhe zu kommen. Im Vorbeilaufen hatte sie die Tochter der Komtesse bereits im Empfangszimmer gesehen.

Sie stand ihrer Mutter in nichts nach, trug ihre Nase ebenso hoch, wenn denn möglich sogar noch höher, und war in ein blassrosa Rüschenkleid gekleidet, das sie aussehen ließ wie ein riesiges Ferkel und war so bunt geschminkt wie ein Zirkusclown oder Hofnarr.

Sie war in Nalas Alter und vielleicht versteckte sich unter all dem Tand und Taft ja ein nettes Mädchen. Wirklich glauben konnte Nala das aber nicht. Es grauste ihr davor hinunterzugehen und den Abend mit diesen beiden Schnepfen zu verbringen.

Mehr noch verabscheute sie den Gedanken daran, ihr Leben und ihr Heim mit ihnen teilen zu müssen, im schlimmsten Fall sogar ihr eigenes Zimmer.

Die Baronie ihres Vaters war nicht sehr groß, ihr Anwesen eher bescheiden im Vergleich zu den Herrenhäusern umliegender Grafschaften und Fürstentümer. Wenn dieses Mädchen so anspruchsvoll war, wie sie aussah, würde sie sich mit der Kammer im Erdgeschoss sicher nicht zufriedengeben.

Nalas Zimmer war groß, sie hatte ein Doppelbett ganz für sich allein, einen eigenen Schminktisch und einen begehbaren Kleiderschrank. Würde man die Kommode beiseiteschieben, wäre genug Platz für ein zweites Bett, aber in den Schrank passte wahrscheinlich nicht einmal ein einziges ihrer pompösen Kleider.

Nala seufzte. Natürlich übertrieb sie damit. In ihrem Schrank war viel Platz. Dennoch wollte sie ihn nicht teilen. Nichts von alledem wollte sie teilen, erst recht nicht ihren Vater.

Es klopfte und wie gerufen trat der Baron ein.

»Ich werde mir kein Zimmer mit ihr teilen!«, warf Nala ihm entgegen, kaum dass er die Tür geöffnet hatte.

»Und das musst du auch nicht. Das hier ist dein Reich und das wird es auch bleiben.«

Sie wandte sich von ihm ab und beschäftigte ihre Finger damit, die Schatulle auf ihrem Schminktisch zu durchwühlen.

»Du hast Mutter nicht vergessen, oder?«, fragte sie, ohne ihren Vater dabei ansehen zu können.

Er kam zu ihr und strich ihr das Haar von den Schultern. Im Spiegel betrachtete er das Antlitz seiner Tochter, während er Antwort gab.

»Wie könnte ich? Wie könnte ich sie je vergessen, wo sie doch mein ganzes Leben war und alles an dir mich an sie erinnert? Zwar hast du mein Haar, aber von ihr hast du die strahlenden Augen, ihr Temperament, ihre Güte. Du bist das größte Geschenk, das sie mir machen konnte – du und dein Bruder.«

Nala drehte sich ihm zu.

»Und diese Frau, die du jetzt in unser Haus geholt hast, die du erst seit wenigen Wochen kennst, die magst du wirklich?«

Er küsste sie auf die Stirn.

»Deine Mutter wird sie nie ersetzen.«

»Aber du magst sie? Ich meine, sie ist so … so …«

»Wie wäre es, wenn du erst einmal versuchst, sie richtig kennenzulernen, bevor du ein Urteil über sie fällst?«

Sie atmete tief durch. Um seinetwillen würde sie es versuchen. Schließlich war Nala kein Kind mehr, das ihren Vater für sich beanspruchen konnte. Wenn die Komtesse ihn wirklich glücklich machte, dann würde sie ihren ersten Eindruck und das ungute Gefühl, das sie plagte, einfach ignorieren und der Frau und ihrer Tochter eine Chance geben.

Einsichtig nickte sie und entlockte ihrem Vater damit ein Lächeln.

»Ich habe hier etwas für dich«, sagte er und drehte Nala wieder zum Spiegel um.

Aus der Tasche zog er eine Kette und legte sie ihr um den Hals.

»Mutters Kette«, hauchte Nala völlig überwältigt. Ihre Finger glitten über die filigrane Fassung des Anhängers, der einen leuchtend hellen Amethyst umrahmte. Wie eine Träne sah er aus, glitzernd wie Tau an einem Sommermorgen.

Sie liebte diese Kette. Schon als Kind hatte sie sie immer bewundert und sich gewünscht, sie einst auf ihrer eigenen Hochzeit tragen zu dürfen.

»Sie soll dich immer daran erinnern, dass du mir das Teuerste bist.«

Nala wirbelte herum und fiel ihrem Vater in die Arme.

»Aber das weiß ich doch auch so«, beteuerte sie.

Natürlich gönnte sie ihm sein Glück und wollte sich dem nicht in den Weg stellen. Bloß dass er in ihren Augen nicht glücklich aussah und diese Sorge konnte sie zwar beiseiteschieben, nicht aber abstellen.

***

»Du bist jetzt also bestechlich«, flüsterte Dale ihr ins Ohr, als er hinter ihr in den Speisesaal trat.

Nala fasste an den Anhänger ihrer Kette.

»Du bist nur eifersüchtig, weil Vater mich lieber hat als dich«, giftete sie zurück.

Sie stieß ihm ihren Ellbogen in die Rippen und streckte ihm die Zunge raus. Er wollte sie nur wieder necken, das wusste sie und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Ich liebe diesen … rustikalen Stil«, erklärte die Komtesse in herablassendem Ton und strich mit dem Zeigefinger über die Anrichte. Skeptisch betrachtete sie ihre Fingerkuppe und rümpfte die Nase.

»Ich finde es hier düster, dreckig und es stinkt nach Bauern«, brummte ihre Tochter und ließ sich auf den Stuhl am Kopfende der Tafel plumpsen.

Nala gab sich alle Mühe nicht die Fassung zu verlieren. Sie durfte das einfach nicht zu ernst nehmen. Womöglich war das Mädchen ja nur übermüdet von der langen Anreise und in Wirklichkeit eine ganz Nette.

»Dort sitzt Vater für gewöhnlich«, erklärte Nala so höflich sie konnte und vergaß dabei nicht freundlich zu lächeln.

»Für gewöhnlich«, wiederholte das Mädchen Nalas Worte überspitzt. »Für gewöhnlich stellt man sich vor, bevor man jemanden zu belehren versucht. Mein Name ist Amelia Margaret von Hohenberg und deiner?«

»Nala«, antwortete sie verbissen.

»Nala, und weiter?«

»Nala von und zu heb deinen vornehmen Popo in die Höhe und verschwinde«, spie sie dem verwöhnten Balg entgegen.

Amelia klappte die Kinnlade runter.

»Aber, aber, meine Damen! Wir wollen doch nicht streiten«, mischte die Komtesse sich ein.

Bevor Nala darauf reagieren konnte, kam ihr Vater in den Speisesaal. Mit beiden Händen trug er ein schwer beladenes Silbertablett. Er stellte es auf den Tisch und hob schwungvoll den Deckel ab. Darunter kam ein halbes Dutzend knusprig brauner und noch dampfender Rebhühner zum Vorschein. Sofort erfüllte der Duft nach gebratenem Fleisch den ganzen Raum.

»Tadaa!« Mit ausgebreiteten Armen präsentierte er das Mahl. »Für meine Besten nur das Beste.«

»Oh«, war die blasse Reaktion der Komtesse.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte er verwundert.

»Nein! Nein, alles ist gut. Hervorragend. Nur haben denn die Bediensteten heute frei?«

»Nun … die Köchin, ja, wie jeden Sonntag.«

»Und wer deckt für gewöhnlich den Tisch? Wer räumt ab und wer schneidet das Fleisch?«

Der Baron lächelte verlegen.

»Es gibt außer uns nur Frau Lankfort, die Köchin, zwei Stallburschen und Fräulein Griepen, die Hauswirtin.«

»Ah.« Die Komtesse zog ihre Lippen zu einem runzligen, kleinen Etwas zusammen.

Es amüsierte Nala, dass diese Frau so bestürzt darüber war. Scheinbar hatte sie einen etwas anderen Haushalt erwartet und in einer anderen Baronie wäre sie da sicher auch fündig geworden, aber Baron William von Dornwall war keiner dieser Männer, die nicht auch selbst mit anpacken konnten, die sich von hinten bis vorne bedienen ließen und für die ihre Hausangestellten den ganzen Tag schufteten.

»Vater ist ein hervorragender Koch«, erklärte Nala und küsste ihn auf die Wange. »Und sonntags gehört die Küche ganz ihm.«

Die Komtesse lächelte gezwungen.

»Ich hasse Geflügel«, maulte Amelia und schürzte die Lippen.

Nala musste ihre Meinung über die Komtesse revidieren. Sie hatte geglaubt, es könnte nicht schlimmer sein, aber Amelia bewies gerade das Gegenteil.

»Sicher gibt es auch Beilagen, nicht wahr?«, fragte die Komtesse.

»Sicher!«, bestätigte William und hob die Hände. »Bloß habe ich nur zwei Hände. Ich gehe aber gleich und hole den Rest.«

»Du wirst doch jetzt nicht den ganzen Abend Hausarbeit verrichten wie eine Küchenmagd?«, bedauerte die Komtesse und legte ihre Hände auf die seinen. »Ich habe extra zum feierlichen Anlass unserer Verlobung eine besondere Flasche Wein mitgebracht.«

Der Baron rieb die Finger seiner Zukünftigen und da war er wieder, dieser verklärte Blick, den Nala von ihm so nicht kannte. Was sah er bloß in dieser Frau, dass er seine Augen nicht von ihr lassen konnte?

»Nala«, stammelte er, ohne sich von der Komtesse lösen zu können. »Sei so gut, geh in die Küche und hol das Gemüse und die Soße.«

»Was soll ich tun?«, fragte sie ungläubig.

Aber was beschwerte sie sich? Alles war besser, als hier in diesem Raum zu sein und mit ansehen zu müssen, wie ihr Vater sich zum liebestollen Narren machte.

»Sie ist sich zu fein, um in die Küche zu gehen, Mutter«, spekulierte Amelia herablassend.

»Für nichts bin ich mir zu fein!«, warf Nala ihr lautstark zurück.

»Bitte, Kinder.« Die Komtesse kam zu Nala und Dale gelaufen und drängte beide zur Tür. »Vielleicht magst du deiner Schwester helfen? Und holt auch die guten Weingläser für euren Vater und mich.«

»Wir habe keine besseren als die, die auf dem Tisch stehen«, erklärte Dale, als die Komtesse bereits die Tür hinter ihnen schließen wollte.

»Dann kauft welche«, zischte sie und schlug die Tür zu.

»Hat sie gerade …«, begann Dale verdutzt und sah stirnrunzelnd zu Nala.

Die knirschte mit den Zähnen.

Tief in mir verborgen

Dale war früh am Morgen zur Jagd aufgebrochen, so dass er nicht mitbekam, wie die Kutschen mit dem Gepäck der Komtesse und ihrer Tochter ankamen.

Gleich drei waren es, über und über beladen mit schweren Kisten und Truhen, eine größer als die andere. Nala hätte neben ihrem Hab und Gut noch den ganzen Hausstand, ja sogar das ganze Anwesen samt Stock und Stein einpacken müssen, und wäre mit der Hälfte dieser Koffer ausgekommen.

Sie stand im Korridor und sah den Männern dabei zu, wie sie das Gepäck ins Haus schleppten und in den Zimmern verteilten.

Die Komtesse begutachtete jedes einzelne Stück, bevor sie sagte, wo es abzustellen war.

»Bringt das in das Empfangszimmer dort und gebt Acht, es sind zerbrechliche Porzellanvasen darin.«

»Mutter!«, rief Amelia aus dem ersten Stock.

»Jetzt nicht, Liebes, ich bin sehr beschäftigt«, winkte die Frau ab.

»Aber schau doch, hier oben ist genügend Platz für meine Sachen.«

Nala ahnte, wovon sie sprach. Amelia hatte bereits geschrien und gezetert, als der Baron ihr am Abend zuvor ihr Zimmer gezeigt hatte. Viel zu klein und zu dunkel, hatte sie sich beschwert. Am Morgen ging die Tirade weiter. Sie hätte die Nacht kein Auge zugetan, weil Insekten unter ihrem Bett hausten.

Nala trat einen Schritt vor und schaute die Treppe hoch. Tatsächlich stand das Mädchen vor ihrem Zimmer.

»Denk nicht mal daran!«, giftete sie Amelia an. »Das ist mein Zimmer.«

»Wozu brauchst du denn all den Platz? Du hast ja nichts. Nur ein paar alte Fetzen und wertlosen Kram.«

»Wo sie Recht hat«, stimmte die Komtesse mit hochgezogenen Brauen zu. Sie bedachte Nala mit einem so herablassenden Blick, dass die nicht anders konnte, als an sich herabzusehen.

Nur weil sie sich nicht jeden Tag so auftakelte wie diese beiden Puten, waren ihre Sachen doch längst nicht wertlos. Sie wünschte nur, ihr Vater könnte die Komtesse jetzt sehen, wie sie seine Tochter verachtend ansah und das Haus, das ihre Mutter so liebevoll eingerichtet hatte, mit ihrem Kram vollstopfte.

»Vater hat es mir versprochen«, betonte Nala.

Die Komtesse stieß ein hohles Lachen aus.

»Nun, man muss Kompromisse eingehen, wenn man miteinander auskommen will. Du bist jetzt nicht mehr das Prinzesschen in diesem Haus.« Sie drehte sich den Männern zu. »Bringt diese Kisten hoch in das Zimmer gleich rechts.«

»Nein!«, protestierte Nala und stellte sich kurzerhand vor den Treppenansatz.

»Ich verbitte mir diese kindlichen Spielchen!« Die Komtesse packte Nala am Arm und versuchte sie von der Treppe wegzuzerren.

So einfach ließ sich Nala aber nicht von ihr herumschubsen. Sie klammerte sich am Geländer fest.

»Verpass ihr eine Tracht Prügel!«, rief Amelia. Sie hüpfte aufgeregt, als würde ihr gleich ein Hahnenkampf geboten.

Nala riss sich los, konnte aber das Gleichgewicht nicht halten und stürzte auf die Stufen.

Amelia klatschte schadenfroh in die Hände, während Nala sich den schmerzenden Ellbogen rieb. Wie konnte ein Mensch bloß so gehässig sein? Es gefiel ihr tatsächlich, dabei zuzusehen, wie Nala etwas einstecken musste.

Die Komtesse streckte erneut die Hand nach ihr aus und Nala hob sogleich schützend die Hände vors Gesicht. Statt ihr aber eine Ohrfeige zu verpassen, wie sie es befürchtet hatte, griff die Frau nach der Kette ihrer Mutter.

»Das ist ein viel zu hübsches Schmuckstück, um es tagtäglich an so einer wie dir zu verschwenden.«

Nala zog ihr die Kette aus der Hand und ließ sie in ihrem Ausschnitt verschwinden.

»Das ist meine Kette und ich trage sie, wann und wo ich will.«

Sie rappelte sich auf und schob sich an der Komtesse vorbei, weg von der Treppe und den Männern, die darauf warteten, Amelias Kleider hinauftragen zu können.

Die Komtesse bedeutete ihnen mit einem Kopfnicken fortzufahren, wandte sich dabei aber keinen Moment von Nala ab.

So zeigte sie also ihr wahres Gesicht. Dabei hatte sie sich bisher ja kaum Mühe gegeben, es zu verbergen. Wieso aber sah ihr Vater das nicht? Warum erkannte er nicht, wer diese Frau wirklich war? War es ihr Reichtum? Hatte er Geldsorgen? Nein, das hätte er seinen Kindern niemals verschwiegen. Aber wenn es das nicht war, was dann?

»Na siehst du? Das tat doch nicht weh, oder?«

Bei dem Sturz auf der Treppe hatte Nala sich ein paar blaue Flecken zugezogen, die etwas anderes sagten. Sie hütete sich aber davor, der Komtesse das an den Kopf zu werfen.

Als Nala keine Antwort gab, ging die Frau zur Kammer unter der Treppe und zog einen Besen hervor.

»Wie wäre es, wenn du dich etwas nützlich machst? Schau doch, der ganze Dreck, den die Männer hier hereingeschleppt haben.« Sie drückte Nala den Besen in die Hand, die gab ihn ihr aber gleich wieder zurück.

»Wie wäre es, wenn Ihr selbst sauber macht?«

Wieder sah die Komtesse sie auf diese schaurige Art an, mit einem so abfälligen Blick, dass Nala sich schmutzig und wertlos fühlte. Ihr Verstand sagte ihr, dass dem nicht so war, aber sie konnte dieses Gefühl nicht loswerden. Es bohrte sich mitsamt dem Blick der Frau tief in ihr Herz.

Die Hand der Komtesse spannte sich fest um den Stiel des Besens. Sie trat einen Schritt auf Nala zu und die wich ihr aus. Sie konnte nicht anders, die Frau machte ihr Angst – große Angst.

Als die Komtesse ihr erneut den Besen hinhielt, griff Nala zu. Sie konnte sich nicht gegen ihren Willen durchsetzen und verstand selbst nicht, warum das so war.

»Ich gehe jetzt zu deinem Vater. Von dem hier muss er nichts erfahren. Diesmal nicht. Verstanden?«

Nala stand neben sich. Sie nickte benommen und wollte der Komtesse doch viel lieber ins Gesicht spucken. Es war, als würde jemand anderes ihren Körper lenken. Sie wusste nicht einmal, wovon die Komtesse gesprochen hatte. Wollte sie ihrem Vater verschweigen, dass Nala frech gewesen war oder hatte sie ihr gerade das Versprechen abgerungen, über den wahren Charakter seiner Verlobten zu schweigen?

Wie angewurzelt blieb Nala stehen und klammerte sich an dem Besen fest. Die Komtesse ging und erst, als ihre Schritte nicht mehr zu hören waren, gelang es Nala sich aus dem Bann zu lösen.

»Steht dir gut, der Besen«, höhnte Amelia.

Nala sah flüchtig zu ihr hoch, gab aber kein Kontra. Ihr Herz pochte wie wild in ihrer Brust und in ihren Ohren rauschte es. Ihr war, als wäre es mit einem Mal eisig kalt geworden. Die Haare standen ihr an den Armen zu Berge, sie hatte tatsächlich Gänsehaut bekommen. Wenn sie zuvor nur ein ungutes Gefühl gehabt hatte, so schuf sich jetzt eine grausige Gewissheit Platz in ihren Gedanken.

Diese Frau war viel schlimmer als eine Erbschleicherin, viel schlimmer als nur eine eitle Dame von Stand. Das, was Nala in ihren Augen gesehen hatte, war böse. Es waren Hass und Habgier.

Sie musste es ihrem Vater sagen. Und er, er musste es ihr einfach glauben. Sie war seine Tochter und hatte ihn nie belogen.

Sie stellte den Besen beiseite und folgte der Komtesse zum Kaminzimmer. Sie nahm sich fest vor, ihr nicht noch einmal in die Augen zu sehen. Das musste ihre Waffe sein, so kontrollierte sie die Menschen. Doch schon als sie die Stimme der Frau durch die Tür hörte, lief ihr ein Schauer über den Rücken.

»Ich bin mir nicht sicher, ob es der richtige Weg für ihn ist. Die königliche Armee, das ist eine gefährliche Sache.«

Sie sprachen über Dale. So musste es sein und es ergab auch Sinn. Nala war nur irgendein Mädchen, konnte niemandem gefährlich werden, aber Dale war sein Erstgeborener, sein Erbe.

Aber ihr Vater würde das nicht tun. Er würde niemals im Leben seinen einzigen Sohn in den Kriegsdienst schicken. Dass sie ihm so einen Vorschlag gemacht hatte, damit schnitt sich die Komtesse ins eigene Fleisch. Nala musste sie gar nicht anprangern, sie verriet sich gerade selbst.

»Liebst du mich?«, fragte die Komtesse.

Nala musste schmunzeln. War das etwa ihre einzige Waffe? Dachte sie, einen so starken Mann wie den Baron von Dornwall mit ein paar süßen Worten um den Finger wickeln zu können? Selbst wenn er sie liebte, wären die Gefühle für sie niemals stärker als die Liebe zu seiner Familie.

»Abgöttisch«, antwortete er.

Nala wartete auf das Aber.

»Nie habe ich einen Menschen mehr geliebt«, erklärte er weiter.

Nalas Brust schnürte sich zusammen. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. Ihre Hände begannen zu zittern, ihre Gedanken überschlugen sich. Sie wusste nicht, was schwerer wog: Die Angst vor der Macht dieser Frau oder die Enttäuschung über ihren Vater.

Nala konnte nicht anders, sie musste da rein. Sie musste ihrem Vater in die Augen sehen und er ihr, wenn er sagte, dass er diese Frau mehr liebte, als er ihre Mutter geliebt hatte, mehr als seinen Sohn.

Sie riss die Tür auf.

»Vater, wie kannst du so etwas nur sagen!?!«

Die Komtesse schien wenig überrascht, als Nala so plötzlich in das Zimmer gestürmt kam. Ungerührt stand sie am Kamin, schwenkte den Cognac in ihrem Glas und bedachte das aufgebrachte Mädchen mit einem herablassenden Blick, während ihr Vater schwer seufzte.

»Nala, dieses Gespräch war nicht für deine Ohren gedacht.«

Der Blick der Komtesse sagte da etwas anderes. Sie hatte genau gewusst, dass Nala ihr folgen würde, hatte das alles hier inszeniert. Aber wozu?

Nala durfte sich von ihr nicht aus der Ruhe bringen lassen. Nicht einmal anschauen durfte sie die Frau, die so leicht in ihr Herz einzudringen vermochte.

»Seit wann gibt es in diesem Haus Geheimnisse?«, fragte Nala.

»Es ist unhöflich die Erwachsenen durch geschlossene Türen zu belauschen, Kindchen. Habe ich es dir nicht gesagt, William? Sie kennt keine Manieren. Es fehlt ihr gänzlich an weiblichem Charme und vornehmer Zurückhaltung.«

Der Blick der Komtesse lag wertend auf ihr und Nala war nicht in der Lage dem standzuhalten. Viel erschreckender war aber, dass ihr Vater ihr nicht widersprach. Er nickte zustimmend und in seinen Zügen konnte Nala so etwas wie Enttäuschung erkennen.

»Wie kannst du nur?«, krächzte sie ungläubig, gewann dann aber ihre Fassung wieder. »Wie kannst du nur daran denken, Dale fortzuschicken?!«

»Es ist bloß eine Überlegung, weiter nichts. Es muss dich weder kümmern noch berühren«, erklärte ihr Vater in besonnenem Ton.

»Um Gottes willen, Vater! Er ist dein Sohn, dein einziger Sohn.« Sie redete eindringlich auf ihn ein und glaubte selbst nicht, was sie da sagte, glaubte nicht, dass sie es sagen musste. »Wie kannst du auch nur einen Gedanken daran verschwenden?«

Nala ergriff seine Hände. Er sah sie nicht einmal an. Stattdessen suchte er den Blick seiner Verlobten, als könnte er keine eigenen Entscheidungen mehr treffen, selbst nicht darüber, was er seiner Tochter antworten sollte.

Was war bloß in ihn gefahren? Sie erkannte ihren eigenen Vater nicht mehr wieder. Ihn so schwach, so willenlos und dieser Frau völlig ausgeliefert zu sehen, trieb ihr die Tränen in die Augen.

»Der Dienst für König und Vaterland«, begann er.

Nala unterbrach ihn.

»Es ist mir egal, dass die anderen angefangen haben und der König nur unser Land verteidigt. Ich will nicht, dass Dale in den Krieg zieht! Das wäre sein Tod und der Niedergang unserer Baronie. Deiner Baronie.«

»Nala, versteh doch!«

Sie schlug ihm die Hände weg.

»Nein! Du musst mir nichts erklären. Ich verstehe sehr gut. Stirbt dein Erbe, geht alles an sie.«

Nala deutete auf die Komtesse.

»Jetzt gehst du zu weit«, drohte er mit erhobenem Zeigefinger. »Ich liebe diese Frau mehr als …«

»Mehr als mich?« Nun konnte sie ihre Tränen nicht mehr länger zurückhalten. »Mehr als deinen Sohn?«

Ihr Vater antwortete nicht, wich weiter ihrem Blick aus und legte die Stirn in Falten.

»Ich denke, das genügt jetzt«, mischte die Komtesse sich ein. »Es ist alles gesagt.«

»Nein!«, fuhr Nala sie grob an.

Kurzentschlossen griff sie sich in den Nacken und löste die Schließe ihrer Kette. Sie ließ den Anhänger in die Hand ihres Vaters gleiten und schloss seine Finger darum.

»Nimm du sie. Ich brauche sie nicht, um mich an Mutter zu erinnern, du scheinst sie aber vergessen zu haben.«

»Ich«, murmelte er und öffnete seine Hand. »Nein, ich habe sie nicht vergessen.«

Er sah zu Nala auf und sein Blick war wieder klarer geworden. Sie sah in seinen Zügen wieder den Mann, den sie kannte – ihren geliebten Vater – und nicht diesen willenlosen Knecht, zu dem die Komtesse ihn gemacht hatte.

Er hob die Hand und strich seiner Tochter über die Wange.

»Natürlich erinnere ich mich. Ich werde mich immer erinnern. Ach, mein Täubchen, du bist so ein herzensguter Mensch. Immerzu machst du dir Sorgen um mich und deinen Bruder.«

»Du willst ihn in den Krieg schicken. Natürlich mache ich mir Sorgen.«

»Nur Gerede, nichts weiter. Ich würde ihn niemals in Gefahr bringen – euch beide nicht.«

»Na siehst du? Du hast dir ganz grundlos Gedanken gemacht.« Die Komtesse stellte ihr Glas auf den Kaminsims und kam zu ihnen gelaufen. »Dabei steht einem so hübschen Antlitz das Denken so gar nicht zu Gesicht.«

»Bei aller Liebe, Komtesse. So habt Ihr nicht von meiner Tochter zu sprechen«, betonte der Baron mit Nachdruck.

Ein amüsiertes Lächeln umspielte die Lippen der Frau.

»Liebt Ihr mich denn nicht mehr, William?«, fragte sie.

Er öffnete den Mund, zögerte aber zu antworten. Es war, als wären ihm die Worte, die er eben noch wie selbstverständlich über die Lippen gebracht hatte, nun im Halse stecken geblieben.

Die Komtesse griff nach der Kette und zog sie ihm aus der Hand. Kaum war sie aus seinem Blickfeld verschwunden, fielen ihm die Worte wieder ein.

»Aber natürlich liebe ich Euch! Mehr als ich verkraften kann.«

Nala hatte keinen Zweifel mehr. Die erschreckende Wahrheit in den Worten ihres Vaters pochte heftig in ihren Schläfen. Natürlich konnte er das nicht verkraften. Deswegen nicht, weil es ein böser Zauber war, der auf ihm lag.

»Ihr seid eine Hexe«, hauchte Nala, mehr zu sich selbst als zu der Frau.

Die Komtesse lächelte verstohlen.

»Eure Tochter hat eine blühende Fantasie.«

Nala stolperte von der Komtesse und ihrem Vater weg. Es war ihr eigentlich schon klar gewesen, als sich der Bann der Frau im Korridor über sie gelegt hatte. Die Gewissheit darüber zerschlug ihr jede Hoffnung, sie könnte ihren Vater mit Worten erreichen. Einzig die Kette ihrer Mutter hatte ihn für einen kurzen Moment wachgerüttelt.

Die Komtesse hatte ihn verhext, seine Sinne mit einem Liebeszauber getrübt und so würde er alles tun, was sie von ihm verlangte, alles sagen, was sie hören wollte.

Aber wozu das Ganze? Warum ausgerechnet er? War es sein Titel, auf den sie es abgesehen hatte? Natürlich. Nichts anderes konnte es sein. Und alles, was zwischen ihr und dem Adel stand, war Dale.

»Vielleicht lässt du mich einen Moment mit deiner Tochter allein. Wir wollen uns einmal unter vier Augen aussprechen.«

»Ja, sicher. Das ist eine gute Idee«, stimmte er blind zu.

»Nein, Vater, bitte geh nicht«, flehte Nala.

Dabei wusste sie, dass es egal war, ob er da war oder nicht. Sie hatte ohnehin keinen Einfluss mehr auf ihn.

Der Baron achtete nicht auf das, was seine Tochter zu ihm sagte. Sein Blick hing an den Lippen der Komtesse und jedes Wort, das darüber kam, saugte er auf wie ein Schwamm.

»Dann geh jetzt.«

Er nickte und sah Nala nicht an, als er das Zimmer verließ und die Tür hinter sich zuzog.

»Was habt Ihr ihm angetan?« Nala wich weiter vor der Frau zurück und stieß mit dem Rücken gegen die Anrichte.

Die Komtesse spielte mit der Kette in ihrer Hand.

»Du bist ein kluges Mädchen, hast mich schneller durchschaut, als ich es erwartet hätte.«

»Was wollt Ihr von uns?«, verlangte Nala zu wissen.

»Was glaubst du denn?«

»Ihr, Ihr wollt Vaters Titel. Deswegen ist Dale Euch im Weg.«

Das Schmunzeln der Komtesse wurde breiter.

»Aber das werde ich nicht zulassen!«, warf Nala ihr entgegen.

»Du brauchst dich um deinen Bruder nicht zu sorgen. Für meine Pläne ist er nicht von Belang und auch dein Vater kann seinen Titel gerne behalten. Mir reicht es aus, die Frau eines Barons zu sein. Damit eröffnen sich meiner Tochter Möglichkeiten, die ich nie hatte und solange sich mir niemand in den Weg stellt, ist auch niemand in Gefahr. Hast du das verstanden?«

»Wie könnt Ihr das behaupten, wenn Ihr davon sprecht, meinen Bruder in den Krieg zu schicken?«

»Nennen wir es eine Sicherheit. Dein Schweigen gegen sein … nun ja, seien wir realistisch. Es herrscht immerhin Krieg mit Bales, die Zeiten sind gefährlich: Gegen sein Leben.«

Nala hatte es geahnt. In eine Falle hatte die Komtesse sie gelockt. Schon im Gang hatte sie ihr Netz gesponnen, hatte genau gewusst, dass Nala ihr zum Kaminzimmer folgen und so das Gespräch hören würde. Das alles nur, um ihr zu offenbaren, was Nala eigentlich schon längst wusste und um ihr dann, hinter verschlossenen Türen, zu drohen.

»Sind wir uns einig?«

»Gebt mir die Kette meiner Mutter zurück«, verlangte Nala.

»Deine Mutter?« Die Hexe betrachtete das Schmuckstück eine Weile interessiert. »Wer war diese Frau? Ach, wen interessiert das heute noch, sie ist tot, nicht wahr?«

Sie ließ den Anhänger von einer Hand in die andere gleiten und hielt sie Nala schließlich hin. Kaum wollte sie danach greifen, zog die Komtesse sie wieder weg.

»Dein Schweigen gegen mein Wort. Niemand wird zu Schaden kommen, solange du dich mir nicht in den Weg stellst.«

Nala hatte kaum eine andere Wahl. Sie musste ihr zustimmen. Eine Hexe, die einen so mächtigen Liebeszauber aufrechterhalten konnte, hätte sie mit einem Fingerschnipsen in einen Frosch verwandeln können – oder Schlimmeres.

Sie hielt der Komtesse die offene Handfläche hin und wartete darauf, dass sie den Anhänger darüber hielt. Erst dann gab sie ihr Wort.

»Einverstanden«, sagte Nala verbissen und obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte.

Die Komtesse lächelte zufrieden und ließ die Kette los.

»Braves Kind.« Sie tätschelte Nalas Wange und die ließ sich das widerwillig gefallen. »Und jetzt geh und kehr den Gang.«

Nalas Finger schlossen sich so fest um den Anhänger in ihrer Hand, dass es schmerzte.

Was blieb ihr denn anderes, als zu tun, was die Komtesse von ihr verlangte? Nala war ihr und ihrer Gnade ausgeliefert.

Zumindest, bis sich ihr ein Ausweg auftat.

Bis dahin würde sie tun müssen, was die Komtesse von ihr verlangte, aber unterwürfig sein, ihr nach dem Munde reden, das würde sie ganz gewiss nicht.

Mit fest zusammengepressten Lippen kämpfte sie gegen die Tränen und schaute die Komtesse direkt an. Die war zumindest so einsichtig, dass sie Nalas eisernes Schweigen hinnahm und ihr die Tür öffnete.

Mit einem Kopfnicken deutete sie nach draußen.

»Geh schon.«

Sie huschte mit gesenktem Blick an der Frau vorbei und zuckte zusammen, als diese hinter ihr die Tür zuschlug.

***

Nala war noch immer mit Fegen beschäftigt, als Dale von der Jagd heimkehrte. Er legte seine Armbrust auf die Garderobe und warf seinen pelzbesetzten Umhang über den Haken darüber. In der Hand hielt er zwei an den Pfoten zusammengebundene Hasen, die er sich anschließend über die Schulter warf.

Ein Schmunzeln huschte ihm über die Lippen, als er seine Schwester bei der Hausarbeit sah.

»Ein bisschen zu spät, um die fleißige Tochter zu mimen, meinst du nicht?«

Sie sah ihn nicht an. Wie hätte sie es auch können? Ein Blick auf ihn würde sofort alles in ihr wachrufen, was sie zu verdrängen versuchte. Es war so schon schwer genug gegen die Tränen anzukommen.

»Das musst du gerade sagen. Dir würde ein wenig Demut auch nicht schaden«, knurrte sie und versteckte sich damit hinter ihren barschen Worten.

Dale lachte herzlich.

»Was ist denn in dich gefahren? So kenne ich dich ja gar nicht. Demut?«

Nala konzentrierte sich ganz auf ihren Besen und wich Dales Blick aus, der versuchte sie direkt anzusehen.

»Lass mich einfach in Ruhe.«

Sein Grinsen erstarb. Er legte die Hasen neben seiner Armbrust ab und packte Nala bei den Schultern. Noch immer versuchte sie ihn nicht ansehen zu müssen.

Er kannte sie einfach viel zu gut. Wie hätte sie ihm etwas vormachen können? Aber sie musste. Er durfte die Wahrheit nie erfahren.

»Deine Augen sind ja ganz gerötet. Hast du geweint?«

Im Versuch, ihm weiter auszuweichen, blieb ihr Blick an der Treppe hängen. Ihr fiel der Auslöser des Ganzen wieder ein und sie reimte sich schnell eine Geschichte zusammen.

»Diese blöde Kuh zieht in mein Zimmer ein«, erklärte sie und deutete nach oben.

Er folgte ihrer Geste und sofort war sein Grinsen wieder zurück.

»Ach Schwesterchen, es gibt doch Schlimmeres. Sollst du es mit ihr teilen oder schläfst du künftig etwa im Stall, bei den Schweinen?«

Nala schüttelte den Kopf.

»Nur den Schrank will sie haben«, brummte sie.

Dale stieß ein höhnendes Lachen aus und raufte ihr anschließend durchs Haar.

»Das ist doch nun wirklich nur halb so schlimm.«

»Vater hat es mir versprochen«, warf Nala ein.

»Reg dich nicht immer über Kleinigkeiten auf, Schwesterchen. Dein Schrank ist doch groß genug.«

»Ich will ihn aber nicht teilen. Nicht mit ihr!«

Es tat ihr gut, ihre Wut herauszulassen, auch wenn sie die Wahrheit für sich behalten musste. Ein paar einzelne Tränen fanden nun doch ihren Weg auf den frisch gefegten Parkettboden.

Dale kratzte sich nachdenklich an der Schläfe.

»Weißt du was? Wir vergessen die Hasen. Die Köchin soll sie für ein andermal einlegen oder Pastete daraus machen. Heute Abend gibt es Hühnchen! Nur für diese Miss Ich-hasse-Geflügel.«

Nala ließ den Besen fallen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie wusste nicht, was an seinen Worten es war, aber nun kannten ihre Tränen kein Halten mehr.

»Habe, habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte er unsicher.

Einsam

Nala stand an ihrem Fenster. Es zeigte nach Osten und sie musste um die Ecke schauen, um die Menschen beobachten zu können, die den Hof für die Hochzeit schmückten. Die Komtesse hatte dafür eigens einige Dorfbewohner herzitiert. Man hatte einen großen Pavillon aufgebaut und ihn mit reichlich Girlanden geschmückt. Überall standen Körbe mit weißen Blumen und die Tische, die sie aufgestellt hatten, konnten dutzenden Familien Platz bieten. Jeder aus der Baronie, der Rang und Namen hatte, würde kommen. An einem gesonderten Tisch hatte man alles für den Adel des Landes vorbereitet. Fürsten und Grafen erwartete man und sogar der König selbst hatte sein Kommen angekündigt.

Niemand wollte es sich entgehen lassen zu sehen, wie der Baron von Dornwall nach so vielen Jahren der Trauer wieder in den Stand der Ehe trat. Alle wollten sie sehen, wer sein Herz hatte erobern können. Dass es in Wirklichkeit in Fesseln lag, wusste keiner von ihnen.

Ein Quieken wie das eines gequälten Ferkels ertönte aus Nalas Kleiderzimmer. Über die Türschwelle flogen Kleider in allen Regenbogenfarben und landeten auf einem Haufen. Jedes war pompöser als das vorherige.

»Nichts«, schrie Amelia. »Nicht das Geringste!«

Schließlich kam sie mit einem Bündel von gut einem halben Dutzend Kleidern aus dem Zimmer und trat die aussortierten achtlos beiseite.

»Was tust du denn hier?«, blaffte sie Nala an.

»Das ist immer noch mein Zimmer. Außerdem stand ich schon hier, als du hereingekommen bist. Ich kann nichts dafür, dass du blind wie ein Maulwurf bist.«

Empört schnappte Amelia nach Luft.

»Warte nur, das sage ich Mutter! Du wirst schon sehen, was du davon hast, so mit mir zu reden.«

Nala wollte sich auf diese Streitereien nicht einlassen. Sie hatte wahrlich größere Sorgen als diese vorlaute Pute. Heute würde ihr Vater eine Hexe heiraten und ihr war noch nichts eingefallen, was sie dagegen hätte unternehmen können.

Amelia dachte aber nicht daran, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sie warf ihre Kleider auf Nalas Bett, krempelte die Ärmel hoch und kam zu ihr gestapft.

»Du verschwindest jetzt von hier«, drohte sie ihr, packte Nala am Arm und zerrte sie in Richtung Tür.

»Das werde ich ganz bestimmt nicht!«, widersprach sie energisch.

Sie riss sich los und stieß Amelia von sich. Das Mädchen stolperte von ihr weg, verhedderte sich in einem Rock und plumpste mit dem Hintern voran in den Haufen aussortierter Kleider.

Sie sah dabei so lächerlich aus, dass Nala nicht anders konnte, als zu lachen, während Amelia schrie und mit Händen und Füßen wild strampelte.

Für einen Moment vergaß Nala, wo sie war und über wen sie sich da lustig machte. Als ihr Vater plötzlich in der Tür stand, schlug sie sich erschrocken die Hände vor den Mund. Natürlich war ihm der Aufruhr nicht entgangen. Schließlich schrie Amelia gerade das ganze Haus zusammen.

Er sah Nala und das am Boden liegende Mädchen und schüttelte enttäuscht den Kopf.

»Alles in Ordnung, Amelia?«, fragte er und half ihr auf.

»Nein!«, plärrte sie wie ein Kleinkind. »Gestoßen hat sie mich, gesagt, dass sie mich hier nicht haben will. Dabei wollte ich mir doch nur ein hübsches Kleid für die Hochzeit aussuchen.«

»Nala, so kenne ich dich gar nicht.« Ernst sah er sie an. »Kannst du denn nicht wenigstens versuchen mit deiner Schwester auszukommen?«

»Es, es war keine Absicht«, beteuerte sie.

Was hätte sie auch anderes sagen können? Würde sie alles abstreiten, stände doch nur Aussage gegen Aussage und Amelia hätte einen Grund, um zu ihrer Mutter zu rennen. Das aber musste sie unbedingt vermeiden.

»O doch!«, warf Amelia ihr vor.

Sie legte es regelrecht darauf an, ihr Ärger zu bereiten und Nala war nicht besonnen genug, um das einfach zu ignorieren.

»Halt du doch die Klappe!«, giftete sie zurück.

Sofort bereute sie, das gesagt zu haben.

Der Baron stellte sich zwischen die beiden Mädchen.

»Es ist mir vollkommen egal, wer von euch beiden angefangen hat. Ihr werdet euch jetzt zusammenreißen. Dies hier ist der Tag meiner Hochzeit und den lasse ich mir von euch nicht verderben.«

Nala wünschte sich, sie hätte einen Plan, um genau das zu erreichen. Aber was konnte sie schon tun? Jeder gescheiterte Versuch, ihn wachzurütteln, würde Dale in Gefahr bringen.

»Ich freue mich sehr für Euch und Mutter«, verkündete Amelia. »Kümmert Euch nicht um die da. Sie gönnt Euch Euer Glück einfach nicht.«

Zu ihrer Verwunderung nahm der Baron diese Aussage ernst.

»Stimmt das, Nala?«, fragte er.

Sie konnte ihn nicht direkt ansehen. Ihn zu belügen brach ihr das Herz, ihm die Wahrheit zu verschweigen war nicht weniger schwer.

»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie wenig überzeugend.

»Soll sie doch eigenbrötlerisch in ihrem Zimmer schmollen, wir lassen uns den Tag von ihr nicht vermiesen, nicht wahr?« Amelia schnappte sich zwei der Kleider, die sie auf Nalas Bett geworfen hatte und hielt sie sich vor die Brust. »Was, meint Ihr, steht mir besser? Blau oder Rosa?«

Nalas Vater sah sie zuerst nicht an. Sein Blick lag noch immer auf seiner Tochter, die zähneknirschend und mit geballten Fäusten dastand und dagegen ankämpfte, ihm die Wahrheit wieder und wieder an den Kopf zu werfen, bis er endlich verstand, dass die Komtesse eine Hexe war.

»Das rosa Kleid steht dir sicher ausgezeichnet, Amelia«, sagte er schließlich, nachdem sein durchdringender Blick Nala zu keiner weiteren Aussage hatte bringen können.

Amelia grinste breit und warf das blaue Kleid schwungvoll zurück auf Nalas Bett.

»Ihr habt einen hervorragenden Geschmack, werter Baron.«

Sie drehte sich im Kreis und das Kleid wirbelte dabei um sie herum.

»Nala.« Er griff ihr ans Kinn und hob es an. »Versuch heute wenigstens einmal zu lächeln, ja? Für mich?«

Nala zwang sich ihre Mundwinkel anzuheben. So schwer es ihr auch fiel, sie musste versuchen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Zumindest eine Weile, zumindest, bis ihr ein Ausweg einfiel.

»Kommt, ich will Mutter das Kleid zeigen!«

Amelia nahm den Baron bei der Hand und zog ihn mit sich.

»Wenn Ihr mit meiner Mutter verheiratet seid, darf ich Euch dann Vater nennen?«, hörte Nala, wie Amelia ihn fragte, bevor sie die Tür zuzog.

Nala war schon im Begriff, sich wieder dem Fenster zuzudrehen, da lugte ihre künftige Stiefschwester noch einmal durch die Tür.

»Gib es auf. Gegen Mutter kommst du nicht an.« Sie streckte Nala die Zunge raus.

»Das werden wir noch sehen«, zischte sie.

Amelia grinste gehässig. Sie zog die Tür zu und schloss sie ab.

»Was soll das?«, rief Nala und lief zur Tür. Sie rüttelte heftig daran. »Mach sofort wieder auf!«

»Ganz bestimmt nicht! Du wirst unsere Pläne nicht durchkreuzen. Dafür sorge ich.«

»Mach auf!«, verlangte sie und zerrte verzweifelt am Türgriff.

Amelia lachte nur hämisch und schon im nächsten Moment hörte Nala, wie sie die Treppe nach unten nahm.

»Vater!«, schrie Nala so laut sie konnte. »Dale!« Niemand hörte sie.

Sie schlug mit den Fäusten gegen die Tür, rüttelte wieder und wieder am Griff, doch es zwar zwecklos. Sicher war ihr Bruder draußen und half bei den Vorbereitungen. Die ersten Gäste mussten jeden Moment eintreffen und das würde auch ihren Vater zu sehr beschäftigen, als dass er nach ihr suchen würde, wenn sie sich nicht blicken ließ.

Sie sank an die Tür gelehnt zu Boden. Hilflos fühlte sie sich, alleingelassen. Der Gedanke an das Versprechen, das die Komtesse ihr abgerungen hatte, schnürte ihr die Kehle zu und machte ihr das Atmen zur Qual. Sie versuchte sich einzureden, dass es besser war, hier oben zu sein und nichts zu tun. Was hätte sie auch ausrichten können? Niemand würde ihr glauben.

Sie stützte den Kopf schwer auf ihre Hände und vergrub die Finger in ihrem Haar. Vom Hof drangen bereits Stimmen zu ihr hoch und bald ertönten die Fanfaren, die das Gefolge des Königs ankündigten.

Wollte sie wirklich hier oben sitzen und nichts tun, während alles, was Rang und Namen hatte in diesem Land, auf dem Hof vor diesem Haus zusammenkam? Sie wünschte sich so sehr, sie könnte in ihr Bett kriechen, die Bettdecke über den Kopf ziehen und alles vergessen. Aber dieser Albtraum endete nicht. Wenn sie am nächsten Tag erwachte, würde alles nur noch schlimmer sein.

Sie rappelte sich auf und lief zum Fenster.

Sie konnte den vorderen Bereich des Anwesens von hier kaum einsehen. Normalerweise hätte sie zumindest das Haupttor sehen können, durch das die Gäste mit ihren Kutschen fuhren. Heute versperrte ihr aber das Dach des Pavillons die Sicht. Wenn sie doch zumindest Dale hätte entdecken können, ihm etwas hätte zurufen und ihn um Hilfe bitten können. Andererseits würde die Komtesse ihr Rufen sicher hören und das Risiko konnte sie nicht eingehen.

Selbst wenn sie freikäme, was dann? Während sie dastand und in Gedanken ihre Möglichkeiten durchging, spielte sie mit den Fingern an ihrer Kette.

Natürlich! Sie musste ihrem Vater die Kette geben. Mochte sein, dass ihr niemand Glauben schenken würde, ganz ohne Zeugen und Beweise, aber wenn die Kette ein weiteres Mal den Bann brechen könnte und das vor aller Augen – vor den Augen des Königs –, dann brauchte sie keinen weiteren Beweis.

In Gegenwart des Königs und seinem Gefolge würde die Hexe es auch nicht wagen, ihre Drohung wahr zu machen und Dale etwas anzutun – ganz bestimmt würde sie das nicht.

Das war sie, die Lösung, nach der sie die ganze Zeit gesucht hatte. Nala hätte Luftsprünge machen können. Sie stand so kurz davor, all dem ein Ende zu setzen und sicher hatte Amelia sie nur deswegen hier eingesperrt, weil sie genau das verhindern wollte.

Eingesperrt. Ja, das war sie und in ihrer Freude hatte sie das beinahe vergessen. Auch wenn sie jetzt einen Plan hatte, so konnte sie noch immer nicht aus dem Fenster um Hilfe schreien. Bis sie jemand befreien würde, hätte die Komtesse sie längst durchschaut. Nein, sie musste selbst einen Ausweg finden.

Sie sah sich in ihrem Zimmer um. Ein Brecheisen wäre jetzt hilfreich, nur bewahrte sie ein solches nicht gerade in ihrer Nachttischschublade auf. Ihr Blick fiel auf den Berg an Kleidern in der Mitte ihres Zimmers.

Sie schmunzelte.

Für das, was sie jetzt vorhatte, würde Amelia sie umbringen. Ihr gefiel der Gedanke, diese verwöhnte Göre wütend zu machen. Sie ließ sich auf dem Boden nieder, griff sich zwei der Kleider und knotete die Ärmel aneinander.

***

Aus Amelias Kleidern ein Seil zu knoten kostete mehr Zeit und Arbeit, als sie vermutet hatte. Von draußen drang bereits Musik zu ihr vor, es dämmerte und sie fragte sich, ob die Komtesse und ihr Vater nicht längst vermählt worden waren.

Alleine der Gedanke daran ließ sie vor Wut zittern. Sie zog den letzten Knoten fest und trug das Seil zu ihrem Bett, wo sie das Ende am Pfosten befestigte.

Einen Vorteil hatte der fortgeschrittene Abend: Ihr Fenster lag bereits in dunklen Schatten, so dass niemand bemerkte, wie sie es öffnete und das aus Kleidern und Röcken geknüpfte Seil nach unten warf.

Noch einmal sah sie sich auf dem Hof um. Im Pavillon wurde getanzt, der größte Teil der Gesellschaft saß aber an den Tischen dahinter, abgeschirmt zum hinteren Teil des Hofes.

Nala stieg auf die Fensterbank und schaute nach unten. Ein Schauer überkam sie. Es sah viel höher aus, als sie gedacht hatte. Sie klammerte sich an den Fensterrahmen und drehte sich langsam um. Ihr Herz pochte wild und dass sie nun nicht mehr sah, wie tief es hinter ihr nach unten ging, machte es nicht besser. Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch, dann packte sie das Seil fest mit beiden Händen und rutschte vorsichtig nach unten.

»Verzeihung? Kann man Euch helfen?«

Nala fuhr innerlich zusammen. Auf dem Hinterhof war jemand, ein Mann. Mehr konnte sie im Dämmerlicht nicht erkennen, nur dass er direkt unter ihr stand und hinauf schaute.

»Nein!«, rief sie. »Geht einfach weiter.«

Das fehlte ihr gerade noch. Wie hatte sie ihn übersehen können und warum war er nicht bei den anderen und feierte?

»Seid Ihr sicher?«, fragte er.

Nala stieg vorsichtig weiter ab. Ihre Arme zitterten bereits und ihre Muskeln schmerzten. Dabei war sie noch immer in Reichweite des Fensters. Sie hatte unterschätzt, wie anstrengend der Abstieg sein würde.

»Bitte, geht einfach weg.«

»Ich könnte hochkommen und Euch wieder hineinhelfen. Ihr wisst sicher, dass dieses Haus auch Türen hat?«

»Haha«, stieß sie trocken aus und verdrehte die Augen.

Der Mann hielt sich wohl für witzig. Sollte er doch mal versuchen, ein Seil aus glatten Seidenstoffen hinunterzuklettern, dann würde ihm das Scherzen schnell vergehen.

Wie um das zu unterstreichen, verlor sie den Halt und rutschte schlagartig fast einen Meter nach unten, bevor ein Knoten sie abrupt stoppte.

Ihr Herz schlug ihr bis zum Halse und sie klammerte sich an das Seil, als ginge es um ihr Leben. Ein kurzer Blick nach unten verriet ihr, dass sie damit gar nicht so falschlag. Sicher, es war nur der erste Stock, in dem ihr Zimmer lag, aber auch ein Sturz aus dieser Höhe konnte schon tödlich enden, zumindest aber würde sie sich ein paar Knochen brechen.

»Geht es Euch gut?«, fragte der Mann.

»Sehe ich etwa so aus?«, fauchte sie zurück.

»Schon gut, dann gehe ich eben.«

»Ja, bitte!«

Sie kletterte vorsichtig weiter runter. Es waren nur noch zwei Meter bis zum Boden, zwei kurze Meter und doch hatte sie panische Angst.

»Wartet!«, rief sie dem Mann nach.

Er durfte nicht einfach gehen, wo er doch sicher jedem erzählen würde, was er gesehen hatte.

»Dachte ich mir doch, dass Ihr meine Hilfe benötigt«, sagte er und kam wieder näher. »Ich zähle bis drei und ihr lasst Euch einfach fallen. Keine Sorge, ich fange Euch auf.«

»Fangen?« Nala rutschte das letzte Stück nach unten und sprang direkt vor ihm auf den Boden. »Für wie dumm haltet Ihr mich?«

Der Fremde stand mit ausgebreiteten Armen vor ihr, bereit, das Mädchen zu fangen, das nun bereits unten angelangt war.

Er war jünger, als sie gedacht hatte. Vielleicht in Dales Alter, vielleicht auch ein oder zwei Jahre älter. Das verrieten alleine schon seine Bartstoppeln, bei denen Nala sich nicht sicher war, ob sie das Ergebnis von Faulheit waren, weil er sich zwei oder drei Tage lang nicht rasiert hatte, oder es ein Versuch sein sollte sich einen Bart stehen zu lassen, wie ihn hohe Herren gerne trugen. Sein gepflegtes hellbraunes Haar trug er zu einem lockeren Zopf im Nacken zusammengebunden. Ein paar Strähnen davon fielen ihm vor seine schmalen, graublauen Augen, mit denen er Nala neugierig fixierte. Er war eindeutig nicht von hier, wie sein leichter Akzent – oder eher das Fehlen von selbigem – und seine Kleidung erkennen ließen. Er musste zum Gefolge eines Adligen gehören, war womöglich deswegen hier auf dem Seitenhof unterwegs, weil er sich um die Pferde gekümmert hatte und gerade vom Stall gekommen war.

»Ihr, Ihr könnt die Arme jetzt runter nehmen«, sagte Nala.

Er lächelte verlegen und kratzte sich am Hinterkopf.

»Also … tut Ihr so etwas öfter?« Er sah hinauf zu ihrem Fenster.

Sie folgte seinem Blick. Er war gut einen Kopf größer als sie, für einen Knecht oder Stallburschen aber nicht sehr muskulös, obwohl er durchaus gut gebaut war. War er vielleicht doch ein junger Ritter? Sehnig genug war er jedenfalls und ein Schwert oder Degen würde ihm gewiss gut stehen. Wo war dann aber sein Wappen? Er trug ja nicht einmal einen Gürtel, an dessen Schnalle irgendeine Zier war, die auf seine Verbundenheit zu einem bestimmten Hause hinwies.

Ganz egal wer er war, sie musste ihm sein Schweigen abringen.

»Ihr behaltet es für Euch, ja?«

»Nun, das kommt ganz darauf an. Seid Ihr eine Diebin?«

Nala legte die Stirn in Falten und den Kopf schief.

»Wie kommt Ihr auf diese Idee? Glaubt Ihr nicht, dann würde ich bequemere Kleidung tragen?«

Er trat einen Schritt zurück, rieb sich das stoppelige, schmale Kinn und betrachtete skeptisch ihr Kleid.

»Ja, und vielleicht Schuhe«, meinte er nachdenklich.

»Außerdem hätte ich dann ja mein Diebesgut bei mir, oder?« Nala verschränkte triumphierend die Arme vor der Brust und prustete. Der junge Mann war aber wenig beeindruckt.

»Dann verratet mir doch, wer Ihr seid und ich überlege mir, ob ich Euer Geheimnis für mich behalten möchte.«

Sie hatte keine Zeit für solche Spielchen. Es wäre ohnehin egal, was er wem erzählte. Wenn sie jetzt loslaufen und geradewegs zu ihrem Vater gehen würde, hatte er gar nicht die Gelegenheit, vorher jemandem zu berichten.

»Ich habe eine bessere Idee«, sagte sie und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. »Ihr schweigt oder ich verwandle Euch in eine Kröte.«

Das würde ihn jetzt erst einmal eine Weile beschäftigen. Sie lief an ihm vorbei, geradewegs auf den Pavillon zu, da hielt er sie am Arm fest. Seine kräftige Hand umschloss ihren Oberarm mit Leichtigkeit. Sofort fiel ihr auf, dass er keine Schwielen an den Fingern hatte. Ganz gewiss war er kein Stallbursche.

»Wie eine Hexe seht Ihr nun wirklich nicht aus.«

»Bitte, lasst mich einfach gehen«, bat sie beinahe flehend.

Jeden Moment könnte die Komtesse oder ihre Tochter sie entdecken und dann wäre alles zu spät.

»Sobald Ihr mir eine Antwort gegeben habt.« Er wirkte wie jemand, der es gewohnt war zu bekommen, was er wollte. Selbstsicher sah er sie an, seine Augen dabei zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, in denen es funkelte. »Ihr macht mich zu neugierig, ich kann Euch nicht einfach ziehen lassen.«

»Ich bin keine Diebin und keine Hexe, ich bin das Mädchen, das von einer Hexe bestohlen wurde und jetzt lasst mich los.«

»Bestohlen?« Er sah noch einmal zu ihrem Fenster. »Und was tut Ihr jetzt dagegen?«

Nala schüttelte verwirrt den Kopf.

»Was ist das für eine Frage?«, wollte sie wissen.

Er sah sie aber nur durchdringend an und wartete auf die Antwort. Sie trat näher an ihn heran.

»Was man eben tut, wenn man bestohlen wurde. Man klaut es sich wieder zurück.« Sie schmunzelte und der Fremde erwiderte ihr schelmisches Lächeln.

Er zog sie an sich heran und küsste sie auf die Wange.

Nala stieß ihn sofort von sich und verpasste ihm eine so schallende Ohrfeige, dass ihre Handfläche heiß pochte.

»Was fällt Euch ein?«, fragte sie empört.

Noch immer lächelnd rieb er sich die gerötete Wange.

»Ich habe Euch einen Kuss gestohlen und nun hoffe ich darauf, dass Ihr Ihn Euch zurückstehlt.«

»Da könnt Ihr lange warten!«, giftete sie ihn an, drehte sich auf dem Absatz um und lief davon.

Diesmal hielt er sie nicht auf.

Unter ihren blanken Sohlen piekte der Schotter, aber Nala dachte nicht daran, deswegen langsamer zu laufen. Schließlich wollte sie sich vor diesem unverschämten Fremdling keine Blöße geben.

Sie erreichte den Pavillon und hielt sich hinter einer der Säulen versteckt. Der Tanzboden war hüfthoch angelegt, so dass sie beim Versuch, etwas auf der anderen Seite erkennen zu können, zwischen den wirbelnden Röcken der Damen hindurchblicken musste. Wie bunte Kreisel drehten sie sich vor ihr. Alle hatten sie sich zu dem feierlichen Anlass hübsch gemacht, trugen Samt und Seide, weiße Strümpfe und mit Schleifen versehene Tanzschuhe, deren Sohlen auf dem Holzboden klackerten.

Natürlich, wie könnte es auch anders sein, hatte Nala nicht daran gedacht, sich passend zu kleiden. Sie trug noch immer ihr einfaches, braunes Wollkleid und darüber eine Schürze, während ihr Ausgehkleid frisch gebügelt in ihrem Zimmer hing.

Sie hatte keinen Gedanken daran verschwendet sich umzuziehen. Dabei liebte sie es doch zu tanzen. Das Sommerfest von Shirewar, der nächstgelegenen Stadt, war für sie jedes Jahr aufs Neue ein Ereignis. Sie flocht sich dann immer bunte Bänder ins Haar, so wie die Damen auf der Tanzfläche sie auch heute Abend trugen und dann tanzte sie die ganze Nacht hindurch.

Wie gerne hätte sie auch den heutigen Abend auf diese Weise genossen, wie gerne hätte sie sich für ihren Vater gefreut und den Tag seiner Hochzeit gefeiert. Es hätte alles so schön sein können.

Sie warf einen Blick zurück. Der junge Mann von vorhin war nicht mehr zu sehen. Er war ein Flegel gewesen. Sie einfach so zu küssen war unverschämt, selbst wenn es nur auf die Wange gewesen war. Bei dem Gedanken daran legte sie sich ihre Hand auf die Stelle, die seine Lippen berührt hatten.

Wenn sie sich nun schick gemacht hätte und ihm im Pavillon begegnet wäre, dann hätten sie heute Abend vielleicht miteinander getanzt. Er war ein gutaussehender Kerl, hatte etwas Verwegenes in seinem Blick, schmale Augen voll Tiefe und verborgenen Geheimnissen. Sein schiefes Grinsen hatte sie noch gut vor Augen, seine kräftige Hand, die sie mühelos hatte halten können, die weiche, warme Haut und alleine schon die Art, wie er sie festgehalten hatte – ganz ohne ihr wehzutun und doch wäre sie nicht in der Lage gewesen sich von ihm zu befreien. Sein Duft haftete auch jetzt noch an ihr. Der schwere, süßliche Geruch von weichem, gewachstem Leder und Fichtennadeln, so wie Dale nach einer Jagd roch, nur ohne den Gestank nach Schweiß, Fell und Blut.

Wie gerne wäre Nala mit ihm über die Tanzfläche geflogen, hätte sich von ihm führen lassen und alles um sich herum vergessen. Dann hätte sie sich gewünscht von ihm geküsst zu werden, statt ihn dafür zu verfluchen. Vielleicht hätte sie sogar tagelang von ihm geschwärmt und Dale hätte sie damit aufgezogen.

Nala schüttelte den Kopf. Alles war anders gekommen, nichts so, wie es hätte sein können – hätte sein sollen. Es nutzte nichts dem nachzutrauen. Sie musste sich darauf konzentrieren, das Beste aus dem zu machen, was das Leben ihr bot. Sie hatte die Kette, hatte eine Gelegenheit und die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden würde.

Sie drehte sich wieder um und spähte erneut durch die Reihen der Tanzenden hindurch. An den Tischen dahinter sah sie Dale. Er schien sich prächtig zu amüsieren, hatte einen gut gefüllten Krug Bier vor der Nase und lachte herzlich. Statt sich am Adelstisch mit Baronen, Grafen und Fürsten zu unterhalten, saß er bei den Bauern und einfachen Bürgern von Dornwall.

In dieser Hinsicht kam er ganz nach seinem Vater.