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Ihre verzweifelte Suche nach Hilfe führt unsere Gefährten in die lebensfeindlichen Modersümpfe. Doch nicht nur die unbarmherzige Natur macht ihnen zu schaffen. Eine dunkle Macht erhebt sich tief in den Ruinen der einstigen Hochkultur der Zatasch. Der Schicksalsturm ist das erste Mal seit Jahrtausenden wieder bewohnt und fordert bereits seine ersten Todesopfer. Schon bald befinden sich unsere Helden im Kampf mit einem Gegner, der vor nichts zurückschreckt. Doch das ist erst der Anfang, denn die Toten beginnen auf der Erde zu wandeln, unter der sie einst begraben waren. Können unsere Gefährten die dunklen Mächte aufhalten, deren Ziel es ist, jegliches Leben auszulöschen?
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Tobias Melder
Die Drei-Welten-Saga 4
Der Zorn des Nekromanten
Bisher von der Drei-Welten-Saga erschienen:
˜˜˜
Teil 1: Die Reise beginnt
Teil 2: Der Ruf der Elderbäume
Teil 3: Das Herz des Phönix
Teil 4: Der Zorn des Nekromanten
Impressum:
Vorlage für Covergrafik + Illustrationen: Natalina Macri
Covergestaltung: Jennifer Schattmaier
www.schattmaier-design.de
Lektorat, Korrektorat: Samira Grobe, Christel Grobe
Karte gestaltet mit Inkarnate Pro (www.Inkarnate.de)
Druck: e-publi – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Herausgegeben von: Tobias Melder, Veilchenweg 2, 87749
Hawangen
www.tobias-melder.de
Danksagungen
Danke an Anke Unger für deine vorangegangenen Lektorate. Ohne dich wären meine Bücher nie das geworden, was sie heute sind.
Danke Samira und Christel für euer Lektorat und die wunder-baren Gespräche auch abseits des Schreibens.
Danke Jenn für das abermals wundervoll gestaltete Cover.
Danke für all euer wunderbares Feedback.
Danke an jeden Einzelnen, der an diesem Buch direkt oder indirekt beteiligt war.
Danke Kerstin für dein Verständnis und deine unendliche Unterstützung. Ich liebe dich.
Danke an dich, weil du deine wertvolle Zeit mit meiner Geschichte verbringen möchtest.
Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen
Personenverzeichnis:
Die Gefährten:
Tom:
Stammt wie Ben und Lucy ursprünglich von der Erde. War Magieradept an der Akademie von Elderan.
Ben:
Ausbildung zum Schwertkämpfer bei den Diamantenen Klingen.
Lucy:
Ausbildung zur Heilerin bei der Schwesternschaft der Heiler unter der Leitung von Oberschwester Merva.
Aeria:
Verstoßene Tochter der Elfenkönigin. Geschickte Diebin und Kämpferin.
Garrick:
Kämpfer vom Volk der Zwerge, durch dessen Adern das Blut der alten Zwergenkönige fließt.
Beolar:
Einstiger treuer Begleiter von Fiadorgas. Nun unfreiwilliger Anführer der Gefährten.
Darion:
Ehemaliger Soldat, der sich der Gruppe nach dem Kampf um Hohenerz anschloss.
Königreich Nuor:
Alberia:
Alternde Magierin - Einsiedlerin
Oleg:
Magieradept an der Akademie. Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns.
Viana:
Magieradeptin an der Akademie. Tochter einer einflussreichen Adelsfamilie.
Nelli:
Studentin bei der Schwesternschaft der Heiler. Adjutantin von Oberschwester Merva.
Aren:
Meister an der Akademie von Elderan.
Merva:
Oberschwester der Schwesternschaft der Heiler.
Brian:
Gehilfe von Meister Aren.
Senorus:
Meister an der Akademie von Elderan. Mitglied des Hohen Rates.
Sir Brodwin:
Oberbefehlshaber der Streitkräfte des Königreichs Nuor.
Erowein:
König von Nuor.
Erewat:
Prinz und erster Thronfolger Nuors.
Eolia:
Abgesandte der Elfen. Mitglied des Hohen Rates.
Lord Emrich:
Anführer der Rebellion im Süden Nuors.
Prinzessin/Lady Iseria:
Prinzessin am Hofe von Nuor.
Liarick:
Geflohener Magieradept und Widersacher Toms.
Terlas:
Kommandant der Stadtwache in Dunkelmoor.
Galron:
Statthalter von Dunkelmoor.
Senturon:
Häuptling eines Minotaurenstammes.
Kerrogh:
Kämpfer der Minotauren.
Tarlion:
Ehemaliger Schützling Arens.
Sultanat Nerubia:
Fahir:
Prinz aus Nerubia. Ausgebildet bei den Diamantenen Klingen.
Sullah:
Leibdiener Fahirs.
Gartruck:
Stadtkommandant Tirsallas. Ehemalige Leibwache Fahirs.
Lorbun:
Vorläufiger Herrscher Nerubias.
Zeitrechnung:
Die aktuelle Zeitrechnung beginnt im ersten Jahr nach der großen Trennung, als Almexias der Mächtige die einstmals geeinte Welt getrennt und daraus die drei Welten geformt hat:
1. Jahr n.d.T.
Ein Jahr besteht aus zwölf Monaten, jeder benannt nach einem der zwölf alten Götter.
1. Janous nach dem Totengott
2. Ferios nach dem Gott der Jagd
3. Machiir nach dem Gott des Wassers und der Meere
4. Avuri nach der Göttin der Erde
5. Majas nach der Göttin des Lebens und der Geburt
6. Junos nach dem Gott des Feuers
7. Jaios nach dem Gott des Lichts
8. Bromoros nach dem Weltenschmied
9. Septaphran nach dem Gott des Krieges
10. Okterion nach der Göttin der Ernte
11. Nerros nach dem Gott des Windes und der Stürme
12. Dezimar nach dem Herrn der Schatten
Prolog
Der Schicksalsturm, 07. Jaios im Jahr 3678 n.d.T.
Eine unnatürliche Stille herrschte auf dem großen, gepflasterten Platz, welcher den einstmals majestätischen Schicksalsturm umgab. Kein Tier war zu hören. Nicht einmal das Summen einer der in den Sümpfen allgegenwärtigen Mücken drang an Meister Arens Ohr. Selbst der Wind schien diesen Ort zu meiden.
Der Dauerregen der letzten Tage hatte aufgehört und dichte Nebelschwaden umfingen den Magier. Aren sog die schwüle, stickige Luft ein und blickte nach oben. Selbst als verfallene Ruine strahlte der Turm noch immer eine ungeheure Erhabenheit aus. Doch gleichzeitig umgab diesen eine Aura der Dunkelheit, die den Magier erschaudern ließ. Er dachte an die unzähligen Leben, die hier vor so vielen Jahren von Nihillus genommen wurden.
Und heute, über vierhundert Jahre nach der abscheulichen Tat des verrückten Magiers, war dieser verfluchte Turm erneut der Ausgangspunkt für sinnloses Blutvergießen gewesen. Doch dieses Mal war er selbst an alle dem Schuld. Die Last dieser Erkenntnis drückte ihn beinahe zu Boden.
Meister Aren seufzte schwer, straffte seine Schultern und begann, das blutige Schlachtfeld zu überqueren. Der abscheuliche Geruch von verwestem Fleisch stieg ihm in die Nase, der mit jedem weiteren Schritt noch unerträglicher wurde. Was hätte er nicht für einen frischen Windhauch gegeben, der den bestialischen Gestank davontrug!
Er holte ein Taschentuch hervor und hielt es sich vor die Nase, damit er diesen widerwärtigen Geruch halbwegs ertragen konnte. Mit glasigen Augen sah er sich um. Dutzende Menschen lagen verstümmelt auf dem Pflaster verteilt. Viele der Wunden sahen so aus, als seien sie den Männern erst nach dem Kampf zugefügt worden.
Aren stieg über die Überreste einer der Kämpfer. Ihm fehlten beide Beine und die Arme waren bis zum Ellenbogen abgetrennt worden. Seinen Mund hatte er zu einem letzten, verzweifelten Schrei geöffnet. Die Augen und sein Herz waren ihm herausgerissen worden. Aren begann zu würgen und musste seinen Blick abwenden. Die anderen Leichen um ihn herum sahen allerdings nicht besser aus.
Irgendwie schaffte er es trotzdem, seinen Weg fortzusetzen, nachdem sich das Bild der grauenhaft verstümmelten Leiche für immer in sein Gedächtnis eingebrannt hatte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er endlich bei der Treppe an, die zum Schicksalsturm hinauf führte. Zwischen den abgeschlachteten Menschenkriegern, die es bis zu den Stufen geschafft hatten, lagen hier auch vereinzelte tote Echsenwesen. Sie waren ebenfalls schwer gezeichnet vom Kampf, aber nach ihrem Tod schienen sie unangetastet geblieben zu sein. Wo waren sie nur hergekommen?, fragte sich Aren. Hier leben schon seit hunderten von Jahren keine Zatesch mehr. Dies war ein weiteres Rätsel, das es zu lösen galt, doch zuerst musste er Gewissheit haben.
Mit wackeligen Knien schritt er die dreizehn Stufen bis zum Eingang des Turmes hinauf. Grimmig blickte er zu der dunklen Öffnung im baufälligen Gemäuer. Im schwindenden Abendlicht sah sie aus wie das Maul einer bösartigen Bestie, die ihn mit einem Bissen verschlingen konnte. Aren spürte die Verderbnis, die von diesem Ort ausging. Wie konnte ich nur glauben, dass das Böse diesen Ort je verlassen hat?Wie konnte ich ihn und die anderen so unvorbereitet hierherschicken?, fragte er sich vorwurfsvoll. Im Halbkreis um den Torbogen lagen einige verkohlte Echsenwesen. Das muss er gewesen sein, dachte Aren. Vielleicht hat er es ja doch geschafft? Ein Hauch von Hoffnung keimte in ihm auf.
Doch als er den Haufen verbrannter Asche betrachtete, den er in der Mitte der bis zur Unkenntlichkeit verdampften Echsen entdeckte, verflog diese sogleich wieder. Aren kniete sich neben die Überreste und zog etwas matt Glänzendes daraus hervor. Tarlion, was habe ich dir nur angetan? Tränen rannen über sein Gesicht, als er den kupferfarbenen Ring in seiner Hand betrachtete. Es war der gleiche Ring, den er an einer Kette um seinen Hals trug. »Es tut mir so leid«, hauchte Aren kraftlos in die herannahende Dämmerung und schloss seine Augen.
Noch einmal sah er Tarlions jugendliches Abbild vor seinen Augen, kurz bevor er aufbrach. In dessen stechend grünen Augen lagen sowohl Stolz als auch Vorfreude.
»Danke Meister, dass ihr mich für diesen Auftrag ausgewählt habt«, sagte Tarlion aufgeregt. »Macht euch keine Sorgen. Ich werde schon bald wieder zurück sein. Ich kann es kaum erwarten, mir endlich die Robe eines vollwertigen Magiers zu verdienen.«
»Pass auf dich auf«, redete Aren auf ihn ein, als er dessen Sorglosigkeit bemerkte. Für ihn war alles im Leben immer nur eine Art Spiel gewesen. »Jeder Auftrag birgt seine Gefahren, also sei auf der Hut«, versuchte er ihm einzutrichtern, doch sein Schützling winkte nur ab.
»Keine Angst«, erwiderte Tarlion stattdessen überheblich. »Ihr habt mich doch gut ausgebildet.« Er zwinkerte seinem Meister zu, ehe er sich zum Gehen wandte. Aren sah zu, wie sein Schützling mit festen Schritten durch das Tor der Akademie zu seinem Auftrag aufbrach. Sein Erster und zugleich sein Letzter.
Der Magier öffnete seine tränenverkrusteten Augen wieder und starrte in die Dunkelheit des verfluchten Turmes. Ich verdammter Narr, schalt Aren sich erneut, während er den Tod seines Schützlings betrauerte. Ich hätte wissen müssen, dass er noch nicht bereit war.
Teil 1 –
Die Sümpfe
Kapitel 1 – Tod
Modersümpfe, 13. Junos im Jahr 3721 n.d.T.
Der modrige Geruch der wochenlangen Regenfälle war allgegenwärtig, als Lucy die feuchte Luft durch die Nüstern der langen, rüsselförmigen Nase des Uljack sog. Um den Weg vor ihnen auszukundschaften, hatte sie sich mit diesem in den Modersümpfen heimischen Wildtier verbunden. Das ausgewachsene weibliche Uljack reichte Lucy etwa bis zur Hüfte und hörte auf den Namen Bilwack. Zwischen den vier langen Zehen des Tieres spannte sich eine dicke, ledrige Schwimmhaut, die es normalerweise vor einem zu tiefen Einsinken in den Morast bewahrte. Doch in dem von den herabstürzenden Wassermassen völlig aufgeweichten Boden sank selbst Bilwack auf den kaum mehr benutzten Wegen teilweise bis zu ihren Knien in den Morast ein.
Lucy blickte durch die zu Schlitzen verengten, schwarzen Augen den schmalen Pfad entlang, der längst dem moorigen Sumpf glich, der sich um sie herum erstreckte, so weit das Auge reichte. Es kostete das Uljack enorme Kraft, seine Beine aus dem Schlamm zu heben. Der Vorderhuf des Tieres schmatzte triumphierend auf, als es sich ein weiteres Mal befreit hatte. Langsam und gleichmütig schritt Bilwack voran. Die enorme Luftfeuchtigkeit machte es dem Tier schwer, etwas zu wittern. Auch die Sicht war durch den dichten Regenschleier auf wenige Schrittlängen begrenzt.
Lucy hoffte, irgendwo in der Nähe einen sicheren Unterschlupf für sie und ihre Begleiter zu finden, der sie zumindest für ein paar Stunden vor den Wassermassen schützen würde. Doch um sie herum gab es nichts als das triste Grau und Braun des Sumpfes. Selbst das Grün der Gräser und Sträucher schien der Regen weggewaschen zu haben.
Vor ihr machte der schlammige Pfad eine Biegung. Nur noch diese eine Kurve, schickte Lucy Bilwack eine letzte Aufforderung, doch es sträubte sich dagegen. Lucy spürte Unruhe in dem Uljack aufkommen. Es spitzte die Ohren und lauschte angestrengt durch den Regen. Sie konnte zunächst nichts anderes wahrnehmen, als das alles umtosende Trommeln der Tropfen. Zähe Sekunden vergingen, in denen das Tier immer unruhiger wurde. Es kostete Lucy all ihre Überredungskunst, damit das Tier nicht einfach Reißaus nahm. Es gesellte sich noch ein weiteres Geräusch zum Trommeln der Tropfen hinzu. Ein leises, monotones Brummen drang an ihre Ohren, welches rasch lauter wurde. Schon bald übertönte es sogar den Regen. Eine merkwürdige schwarze Wolke kam hinter der Biegung zum Vorschein.
Ruckartig setzte sich das Uljack in Bewegung. Dieses Mal ließ Lucy den Fluchtreflex des Tieres zu, welches mit weiten Schritten den morastigen Weg zurück hetzte. Bilwack setzte seine gesamte Kraft für die Flucht ein, doch ihre Hufe versanken jedes Mal noch ein Stück tiefer in dem schlammigen Boden, während das Brummen immer lauter in ihren Ohren dröhnte. Gehetzt blickte das Tier zurück. Die unheilvolle Wolke näherte sich unaufhaltsam. Was ist das?, fragte Lucy sich verwundert, während die Panik des Uljacks sie selbst einzunehmen drohte.
Lucy atmete tief ein und versuchte etwas Abstand zwischen sich und den Gemütszustand von Bilwack zu bringen, wie es ihr Realla, die Druidin aus dem hohen Norden, beigebracht hatte. Augenblicklich beruhigte sich ihr eigener Herzschlag wieder und die Panik wich aus ihren Gliedern, was es ihr ermöglichte, die Eindrücke des Uljacks wieder zu verarbeiten.
Erstaunt stellte Lucy fest, dass das schwarze Gebilde unablässig seine Form veränderte. Noch immer fragte sie sich, was es war, das sich zielstrebig ihrem Tier näherte. Da Bilwack der Wolke auf dem Pfad nicht entkommen konnte, versuchte sie ihr Glück abseits des Weges, doch schon nach wenigen Schritten versank sie bis zum Bauch im Morast.
Ein letztes Mal drehte sich Bilwack um, die schwarzen Pupillen schreckgeweitet blickte es auf das nahende Unheil. Das schwarze Gebilde war nur noch wenige Schritte entfernt und somit nah genug, dass Lucy ein paar Einzelheiten erkennen konnte. Es handelte sich um einen Schwarm aus unzähligen kleinen Insekten. Sind das Mücken?, fragte sie sich, während das Uljack panisch versuchte, sich zu befreien. Doch mit jeder weiteren Bewegung sank es nur noch tiefer ein. Lucy hatte das Gefühl, als müsse das Herz des Tieres jeden Moment vor Angst und Anstrengung zerbersten.
Mittlerweile nahm sie nichts anderes mehr wahr als das dröhnende Summen der Mücken. Aus den Augenwinkeln sah Lucy, wie eines der Insekten auf der Flanke des Tieres landete. Bilwack versuchte nach ihm zu schnappen, doch sie erwischte es nicht. Sieht aus wie eine übergroße Fliege, wunderte Lucy sich.
In diesem Moment durchzog plötzlich ein unsäglicher Schmerz den Körper des Uljacks, der auch Lucy bis ins Mark traf. Er rührte genau von der Stelle, auf welche sich die Fliege gesetzt hatte. Ihr Tier bäumte sich vor Schmerz auf, während weitere der Insekten auf seinem Körper landeten und diesen mit noch unerträglicheren Schmerzen peinigten. Schon bald war es komplett von der Wolke aus abertausend summenden Fliegen eingehüllt.
Die markerschütternden Schmerzen, die Lucy verspürte, ließen sie schrill aufschreien. Die Verbindung zu Bilwack brach jäh ab und sie wusste, dass sie das Tier in den Tod geführt hatte. Am ganzen Leib zitternd sackte sie in sich zusammen. Nur nebenbei bemerkte sie, wie ein paar starke Arme sie auffingen, ehe alles um sie herum schwarz wurde.
Kapitel 2 – Spielchen
Modersümpfe, 01. Junos im Jahr 3721 n.d.T.
Viana klopfte vorsichtig an der schiefen, alten Türe der verfallenen Hütte. Sie fragte sich, wie jemand freiwillig an solch einem lebensfeindlichen Ort wohnen konnte. Aus dem Inneren drangen langsame Schritte, die sich schlürfend der Türe näherten.
»Klopf, klopf«, hörte Viana eine krächzende Frauenstimme fröhlich rufen. Als niemand von ihnen darauf reagierte, ertönte die Stimme erneut. »Klopf, klopf?« Diesmal klang sie fragend.
Viana, Nelli und Oleg sahen sich fragend an. »Wer ist da?«, erwiderte Nelli schließlich unsicher, als nichts mehr kam.
»Niemand«, kam von der anderen Seite und es drang kindliches Gekicher aus der Hütte.
»Will dieser Niemand uns vielleicht hereinbitten?«, fragte Nelli freundlich.
»Ich weiß nicht, wollen die Herrschaften denn mit mir spielen?«, fragte die Stimme erwartungsfroh.
»Was soll denn das?«, fragte Oleg verstört.
»Merva hat erwähnt, dass sie sehr speziell sein soll. Wir sollten einfach mitmachen«, flüsterte Nelli und richtete sich dann wieder an die Stimme hinter der Türe. »Sehr gerne. Was spielst du denn am liebsten?«
»Oh … das ist schön. Kommt herein, dann kann ich es euch besser erklären.« Die Türe öffnete sich knarzend. Im Rahmen erschien eine groß gewachsene Frau mit langen, zerzausten, grauen Haaren und tiefen Falten im Gesicht. Sie hatte ein kindliches Lächeln auf ihren Lippen und begann ohne Umschweife an den dreien zu schnuppern. »Ihr riecht nach Spaß und Abenteuer«, sagte sie frohgemut und bat sie herein. »Kommt, wir spielen verstecken«, sagte sie. »Ihr zählt und ich verstecke mich.«
»Wir sind hier, weil wir etwas suchen«, versuchte Viana einzuwerfen, doch die alte Frau hörte nicht.
»Los, dreht euch um«, sagte die alte Frau und zerrte an ihnen, bis die drei sich endlich umgedreht hatten. »Gut und nicht schummeln. Aber ich muss euch warnen. Ich bin gut im Versteckspielen.« Schon tapsten die nackten Füße leichtfüßig über den Steinboden davon.
»Aber…«, versuchte Viana anzusetzen. Sie wollte sich umdrehen, doch Nelli hielt sie davon ab. »Lass uns erstmal mitspielen. Dann wird sie uns vielleicht eher helfen.« Viana nickte missmutig.
Die drei zählten laut bis zwanzig, ehe sie sich auf die Suche nach der alten Frau begaben. Die Suche dauerte jedoch nicht allzu lange, da sie sich hinter dem viel zu kleinen Stuhl versteckt hatte.
»Och menno«, gab sie enttäuscht von sich. »Ihr seid ja wahre Meister im Suchen. Gleich nochmal«, kicherte die Frau voller kindlicher Freude.
»Wir sind hier, weil wir deine Hilfe brauchen«, versuchte Viana es erneut.
»Jetzt seid ihr erst einmal dran mit Verstecken«, erwiderte die alte Frau, ohne auf ihre Worte einzugehen.
Die Frau eilte zur Türe, drehte sich um und begann laut zu zählen. »Eins, zwei …«
»Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein?«, fragte Oleg konsterniert.
»…drei, vier …«
»Allem Anschein nach doch«, erwiderte Nelli hilflos.
»…fünf, sechs …«
»Ich finde, die alte Merva hätte uns ruhig vorwarnen können, dass sie völlig den Verstand verloren hat«, meinte Oleg genervt.
»…sieben, acht …«
»Wir sollten mitspielen und uns verstecken«, erwiderte Nelli wenig überzeugt.
»…neun, zehn …«
»Das ist doch albern«, sagte Oleg nur, als er versuchte sich zwischen die Wand und den Schrank zu quetschen. Viana gab sich gar nicht erst die Mühe, sich anständig zu verstecken, stattdessen setzte sie sich auf den Stuhl, während Nelli unter den wackeligen Tisch krabbelte.
»...neunzehn, zwanzig, versteckt oder nicht, ich komme.«
Kapitel 3 – Fahir – Geheimnisse
Elderan, 16. Junos im Jahr 3721 n.d.T.
Sullah spähte vorsichtig um die Ecke. Die schmale Gasse vor ihm lag größtenteils im Dunkeln. Fahirs Diener atmete erleichtert auf, als er niemanden zwischen den Häusern entdecken konnte. So unauffällig wie möglich schlich er von einer Hausecke zur nächsten. Er wollte in dieser Gegend des Hafens niemandem über den Weg laufen. Wieder sah er sich kurz um, dann setzte er seinen Weg in Richtung des angegebenen Treffpunktes am anderen Ende der Straße fort.
Ein lautes Scheppern über ihm ließ ihn zusammenzucken. Erschrocken flüchtete er sich hinter eine geborstene Holzkiste und blickte zum Ursprung des Geräusches hinauf. Es stammte aus einem der wenigen Fenster, in dem noch Licht brannte. Gedämpfte Flüche drangen an Sullahs Ohr, doch niemand war zu sehen.
Er spitzelte hinter der Kiste hervor. Am Ende der Gasse sah er den Mast eines Lastkahns aufragen, der am Hafen vertäut lag. Aus einer der nahen Hafenkneipen drang leises Gemurmel zu ihm herüber. Die Spelunken hier schlafen niemals, wusste Sullah. Er erhob sich und setzte seinen Weg fort. Als er sich dem Eingang der Kneipe näherte, wurden die Gespräche mit einem Mal lauter und die Tür zur Schenke schwang auf. Drei angetrunkene Matrosen torkelten aus der Spelunke und kamen direkt auf ihn zu.
Lautlos schlich Sullah in den Schatten eines Türeingangs, während er den näherkommenden Gestalten lauschte, wie sie gerade ein zotiges Lied anstimmten.
Da war diese holde Maid
Mit ihrem gar lieblich Leib
Ihr Dekolleté war eine Pracht
Also blieb ich die ganze Nacht
Im Bett war sie eine Wucht
So bereiste ich ihre Bucht
Bis es ward helle vor dem Haus
Immer rein und wieder raus
»Ruhe!«, hörte Sullah dieselbe Stimme, die vorher geflucht hatte, brüllen. Ein rundgesichtiger Mann erschien am Fenster und blickte zornfunkelnd herunter, während die Betrunkenen gerade an Sullahs recht mickrigem Versteck vorbeitorkelten.
»Selber Ruhe«, rief einer der drei Angetrunken zurück, woraufhin sie alle zu lachen anfingen und sogleich noch lauter weiter grölten.
So blieb ich viel zu lange
War mit dem Weib zugange
Als ihr Mann uns splitternackt
Fand im heißen Liebesakt
Die drei wollten gerade lauthals den nächsten Vers anstimmen, als der Mann am Fenster erbost einen Eimer in die Hand nahm und dessen stinkenden Inhalt auf die drei schüttete. Der Unrat traf die Betrunkenen und ließ sie verstummen. Der Dreck spritzte so weit, dass auch Sullahs dunkler Umhang etwas abbekam. Der Diener rümpfte seine Nase. Die drei Hafenarbeiter überzogen den Mann im Fenster mit üblen Flüchen, während sie an sich herabsahen. »Was für eine Schweinerei«, stammelte einer von ihnen, während er sich plötzlich in Sullahs Richtung drehte. Er blickte jetzt mit seinen glasigen Augen direkt zu dem Hauseingang, wo der Diener sich versteckt hielt. Der Mann legte den Kopf schief. Langsam fuhr Sullahs Hand in Richtung seines gewellten Dolches.
Schließlich wandte der Mann sich wieder ab. »Pah … diesen Gestank werde ich Tage nicht loswerden. Was frisst du denn, dass du so stinkst?«, fragte er den Mann im Fenster angewidert, während er unflätige Gesten in dessen Richtung vollführte. Dieser holte gerade einen zweiten Eimer hervor und drohte, sie erneut zu bewerfen.
»Los, wir gehen«, lallte einer der Betrunkenen und zog seine zeternden Freunde weiter die Straße entlang, sodass sie schnell außer Reichweite des Unrats gelangten. Bald darauf verschwand auch der Mann wieder vom Fenster. Erleichtert atmete Sullah aus, wartete noch, bis die Arbeiter um die nächste Ecke gebogen waren und setzte dann seinen Weg fort.
Beim vorletzten Haus vor dem Hafenbecken blieb er stehen und klopfte in der ihm aufgetragenen Weise gegen die abgewetzte Holztüre. Eine kleine Luke öffnete sich und ein bulliges Gesicht musterte ihn aufmerksam.
»Was macht ein Mann nachts alleine an den Docks?«, fragte der Mann. Die Worte drangen durch das schwere Holz nur gedämpft zu Sullah.
»Ein einsamer Wolf ist stets auf seinen Vorteil bedacht«, antwortete er. Der Mann verengte seine Augen einen Moment, dann schob er die Klappe wieder zu. Kurz darauf hörte der Diener, wie einige Schlösser geöffnet wurden. Bald darauf schwang die Türe lautlos auf. Sobald Sullah eingetreten war, verriegelte der Wächter die Türe sofort wieder. Der breitschultrige Mann tastete ihn ab und nahm den Dolch an sich.
Nur ein paar verrußte Laternen erhellten den kleinen Raum, in dem Dutzende Kisten und Fässer standen. Der Wächter schickte ihn zu einem weiteren Mann, der Sullah aufforderte, ihm zu folgen. Gehorsam schritt er hinter dem Berg von einem Mann her, bis sie am anderen Ende des Raumes angelangten. Dort blieben sie vor einer Wand stehen. Es dauerte etwas, dann glitt die Mauer geräuschlos zur Seite und gab den Weg in einen Keller frei. Der Wächter schubste Sullah unsanft die Stufen hinab und folgte ihm dann. Nur mit Mühe schaffte es der riesenhafte Mann, sich hinter ihm die enge Treppe hinunterzuzwängen.
Auch der Kellerraum war vollgestellt mit Unmengen an Fässern, Kisten und Säcken, wenngleich er deutlich besser beleuchtet war als der Vorraum. In der Mitte des Gewölbes saß eine gedrungene Gestalt an einem beeindruckenden, mahagonifarbenen Schreibtisch.
Der Mann war gerade dabei, etwas in einen großen Folianten zu schreiben. Hinter ihm standen zwei weitere Wachen, die die Hände an ihre Schwertgriffe gelegt hatten. Derjenige, der ihn herabgeführt hatte, versperrte den Weg zurück. Allesamt musterten ihn aufmerksam. Ihre Haltung deutete darauf hin, dass sie eine gute Ausbildung erhalten hatten und wussten, wie man kämpft.
Sullah sah sich um. Es gab weder ein Fenster noch eine andere Türe. Sein einziger Fluchtweg bestand also in der Treppe hinter ihm, sollte etwas schiefgehen. Er straffte sich noch einmal, zog die Kapuze vom Kopf und trat an den Schreibtisch. Der Mann notierte noch ein paar weitere Zahlen in das dicke Buch und sah dann zu ihm auf.
An den mandelförmigen Augen und dem dunklen Teint des Mannes erkannte Sullah sofort, dass auch er aus seiner Heimat Nerubia stammte.
»Rasuhl zur Ehre«, begrüßte ihn dieser.
»Möge der Gott der Toten auch dir wohlwollend gesonnen sein«, erwiderte Sullah den Gruß, führte den Daumen seiner rechten Hand zur Stirn und verneigte sich leicht. Sein Gegenüber tat dasselbe.
»Es tut gut, endlich einmal einem wahren Gläubigen in diesem gottlosen Land zu begegnen«, frohlockte der Mann und bot Sullah an, Platz zu nehmen. Der Diener setzte sich und blickte in die Augen seines Gegenübers, welcher ihn aufmerksam musterte. »Es ist das erste Mal, dass jemand deines Ranges meine Dienste in Anspruch nimmt. Sag mir, wie kommt ein einfacher Diener des Totengottes zu solch einer Ehre?«
Sullah schluckte leicht, ehe er sein Anliegen vortrug.
˜˜˜
Sullah verstaute den ledernen Beutel, den er bekommen hatte, sorgfältig unter seinem langen Mantel. Der Mond war bereits um gut eine Spanne weitergewandert. Nicht mehr lange und die ersten Arbeiter würden sich in Richtung Hafen aufmachen, um ihrer Arbeit nachzugehen. Er beeilte sich, um rechtzeitig wieder im Palast zu sein, damit seine Abwesenheit nicht bemerkt wurde. Er hatte Glück und niemand nahm von ihm Notiz.
Vorsichtig öffnete er das Gitter, das ihm ungesehen Einlass in den hiesigen Palast der Herrscherfamilie Nerubias gewährte und der zugleich als Botschaft seines Landes diente. Sullah zwängte sich durch den Schlitz, schloss das Gitter wieder hinter sich und kletterte die schmalen Stufen hinab.
Unten angekommen befand er sich in einem abgelegenen Lagerraum im Kellergewölbe des Palastes. Der Diener ließ seinen Umhang in einem ausgefransten Korb verschwinden und schnappte sich einen der Behälter, in welchem Tee aus ihrer Heimat bevorratet war. Sollte ihn jetzt jemand sehen, wäre er nur der Leibdiener Fahirs, der im Auftrag seines Herren die Vorräte in dessen Teeküche auffüllte. Dennoch ging er leise und achtsam. Alles war ruhig. Zu ruhig, dachte Sullah.
Normalerweise waren um diese Zeit schon einige Bedienstete dabei, Vorräte für das üppige Frühstück von Prinz Ahmad aus dem Keller zu holen, dem derzeitigen Botschafter Nerubias im Königreich Nuor. Doch heute war keine Menschenseele unterwegs.
Sullah beschlich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Auf Zehenspitzen ging er weiter und schritt die Kellertreppe hinauf. Oben angekommen, spähte er um die Ecke. Keine Wachen, die patrouillierten, erkannte er. Das ist nicht gut, dachte er nervös. Waren sie aufgeflogen? Er eilte den Gang entlang, bis er die Räume seines Meisters erreicht hatte.
Vorsichtig öffnete Sullah die Türe zu Fahirs Schlafgemach. Sein Herr lag selig schnarchend in seinem Bett, ansonsten war das Zimmer leer. Der Diener schlich sich an seinen Meister heran, bis er über ihm gebeugt stand. Ein seliges Lächeln lag auf Fahirs Lippen. Die Bettdecke begann sich leicht zu bewegen. Sullah spannte sich an und zog seinen pechschwarzen Dolch mit der gewellten Klinge hervor. Seine mandelförmigen Augen verengten sich, als er sein Ziel anvisierte. Dann stach er zu.
Kapitel 4 – Die Sümpfe
Modersümpfe, 16. Junos im Jahr 3721 n.d.T.
Beolar war müde und ausgezehrt. Sie waren erneut den ganzen Tag bei Dauerregen durch die schlammigen Sümpfe marschiert. Seine Kleidung wog mindestens fünf Pfund mehr als gewöhnlich und bei jedem Schritt sank er knöcheltief in den faulig stinkenden Morast ein. Die feuchte Schwüle tat ihr Übriges.
Seit sie die Pforten von Duurah ohne Fiadorgas und Garrick verlassen hatten, war nur wenig gesprochen worden. Jeder trauerte auf seine Weise über den Verlust ihrer Gefährten. Gleichzeitig war die Verunsicherung groß, wie sie ohne ihren Führer bei dieser Aufgabe bestehen sollten.
Sein alter Freund hatte ihn als neuen Anführer ihrer kleinen, zusammengewürfelten Gruppe auserkoren. Aber er war kein geborener Anführer. Er war stets Fiadorgas gefolgt, in dem Glauben, dass, egal an welch abgeschiedene Orte er ihn auch immer geführt hatte, es immer einen guten Grund dafür gegeben hat. Und Beolar wusste, dass der Gelehrte am Ende immer einen Ausweg fand, egal wie aussichtslos die Situation zunächst auch erscheinen mochte. Aber so ein Mann war Beolar nie gewesen. Und wenn er ehrlich war, wollte er so jemand auch niemals sein.
Konnte er dennoch zu so jemandem werden?, fragte er sich, doch er bezweifelte es. Und dabei hing so viel von ihrem Vorhaben ab. Sie mussten die restlichen Bruchstücke des Stabes der Titanen ausfindig machen und ihn wieder zusammensetzen, ehe die Invasion auf ihrer Welt begann. Ansonsten drohte ihnen dasselbe Schicksal wie der Erde. Er hatte das Gefühl, dass die Bürde dieser Aufgabe ihn noch tiefer in den Morast einsinken ließ.
Beolar blieb stehen und starrte angestrengt durch den Regenschleier in die Ödnis des Sumpfes. Irgendwie hoffte er, die Mauern der verfallenen Stadt zu entdecken, in der Alberia sich vor langer Zeit niedergelassen hatte. Aber er wusste es besser. Sie mussten noch einige Tagesmärsche entfernt sein.
Ob die alte Magierin die Lösung all ihrer Probleme war? Fiadorgas’ letzter Wunsch war es gewesen, dass sie Almexias’ Tagebuch zu ihr bringen sollten, damit sie es zu Ende entschlüsseln konnte. Der Gelehrte vermutete, dass der größte Zauberer der Geschichte die Aufenthaltsorte der restlichen Bruchstücke dort vermerkt hatte. Doch um darin lesen zu können, benötigte es gewaltige Magie und nicht einmal sein Freund war mächtig genug gewesen.
Alberia war in der Tat die begabteste Magierin, der Beolar bislang begegnet war. Doch was, wenn ihr Verstand sich mittlerweile endgültig verabschiedet hatte? Schon das letzte Mal, als er sie zu Gesicht bekommen hatte, schien nicht mehr viel davon übrig gewesen zu sein.
All die Sorgen und das Wissen um seine Verantwortung drückten ihm noch mehr auf das Gemüt als der nicht enden wollende Regen. Seufzend blieb er stehen und blickte nach hinten. Ben sank bei jedem Schritt tief in den Morast ein. Seine enorme Körpergröße war auf den schlammigen Pfaden von großem Nachteil. Trotzdem ging er scheinbar ohne allzu große Mühe. Und er ging als Einziger aufrecht.
Lucy, die hinter ihm hertrottete, hatte den Blick auf ihre Füße gerichtet. Seit dem Zwischenfall mit dem Uljack waren drei Tage vergangen. Sie war davor die Einzige gewesen, die immer wieder versucht hatte, mit den anderen ein Gespräch zu führen. Doch nun schritt sie nur noch gleichmütig vor sich hin. Dazu zuckte sie bei jedem noch so kleinen Geräusch vor Schreck zusammen. Beolar konnte nicht einmal erahnen, wie es sich anfühlen musste, in der Haut eines sterbenden Wesens gesteckt zu haben. Wieder wurde ihm das Fehlen seines Freundes schmerzlich bewusst. Fiadorgas hätte mit Sicherheit die richtigen Worte gefunden und Lucy aus ihrer Schockstarre geholt. Alles, was er stattdessen tat, war stur weiterzumarschieren.
Darion trottete ebenso wortkarg vor sich hin wie Beolar selbst. Der ehemalige Soldat war noch mürrischer geworden, seit sie Duurah verlassen hatten. Auch schien er dem Alkohol wieder zugeneigter zu sein. Dass Garrick lieber in der Zwergenstadt geblieben war und helfen wollte, sie wieder aufzubauen, statt weiter mit ihnen zu ziehen, hatte ihn mehr getroffen, als er zugeben wollte. Er hatte immer zu Garrick aufgesehen. Auch hier hätte Fiadorgas mit Sicherheit die passenden Worte gefunden. Beolar hingegen fühlte sich machtlos.
Tom ging gebeugt am Ende der Gruppe. Er war sichtlich in Gedanken versunken. Nach Beolar selbst hatte ihn der Tod des Gelehrten vermutlich am härtesten getroffen. Schließlich war Fiadorgas der Einzige, der ihm dabei helfen konnte, seine magischen Kräfte zu verstehen und weiter zu trainieren. Vielleicht wird Alberia für ihn ja eine geeignete Lehrerin, hoffte Beolar. Ansonsten ist ihr Unterfangen von vornherein dem Untergang geweiht. Fiadorgas hat immer wieder betont, wie wichtig Tom für den weiteren Verlauf der Geschichte sein wird.
Aeria war, wie fast immer, nicht zu sehen. Die Elfe kundschaftete für sie die Gegend aus. Nachdem sie den Hauptweg verlassen mussten, ging es großteils durch unwegsames Gelände. Ohne ihre Führung hätten sie sich längst in den Sümpfen verirrt, das war Beolar klar. Sollte nicht ein Anführer bestimmen, wohin es geht?, fragte er sich entmutigt.
Ein wahrer Anführer kennt die Stärken und Schwächen seiner Mitstreiter und setzt sie dort ein, wo sie am sinnvollsten sind. Fiadorgas’ Worte hallten in seinem Kopf wider und ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen. Ja, da hast du vermutlich recht, wand er sich an seinen verstorbenen Freund. Du fehlst uns, setzte er noch hinzu und sein Lächeln erstarb augenblicklich wieder.