Die Reise beginnt - Tobias Melder - E-Book

Die Reise beginnt E-Book

Tobias Melder

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Beschreibung

Tauche ein in eine phantastische und raue Welt: Bei einem Angriff wird die Erde komplett zerstört. Mit Hilfe werden Ben und Lucy vor dem sicheren Tod gerettet und finden sich fortan in einer fremdartigen Welt voller Magie und Fabelwesen wieder. Ihr Retter offenbart ihnen, warum ausgerechnet sie vor dem sicheren Tod bewahrt wurden: Das Schicksal der gesamten Welt hängt von ihnen ab. Sogleich beginnt für die drei eine Ausbildung, die sie an den Rand ihrer Kräfte bringt. Doch nicht alle der Einheimischen sind ihnen freundlich gesonnen … In der Zwischenzeit macht Aeria, die verstoßene Tochter der Elfenkönigin, in den Überresten einer längst in Vergessenheit geratenen Zivilisation eine Entdeckung, die alles verändern könnte.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Tobias Melder
Die drei-Welten-Saga 1
Die Reise beginnt
Über die Illustratorin:
Impressum:
Danksagungen:
Prolog
Kapitel 1 – Der Alltag
Kapitel 2: Der Angriff
Kapitel 3: Auf der anderen Seite
Kapitel 4: Der Hohe Rat
Kapitel 5: Das Erwachen
Kapitel 6: Die Kundgebung
Kapitel 7: Die Bruderschaft
Kapitel 8: Ein neues Leben
Kapitel 9: Vorbereitung
Kapitel 10: – Tom - Ein ruhiger Geist
Kapitel 11– Tom - Wut und Schmerz
Kapitel 12 - Wahrheit
Kapitel 13 – Aeria - Unruhige Rast
Kapitel 14 - Ben - Disziplin
Kapitel 15 – Tom - Magiekunde
Kapitel 16 – Lucy – Die Schwesternschaft
Kapitel 17 – Ben - Tee
Kapitel 18 – Aeria - Heimat
Kapitel 19 – Lucy – Merva
Kapitel 20 – Aeria - Audienz
Kapitel 21 – Ben - Kampfkunst
Kapitel 22 – Lucy – Geschichten
Kapitel 23 – Aeria - Wiedersehen
Kapitel 24 – Tom – Die Prüfung
Kapitel 25 – Aeria – Die unterirdische Stadt
Kapitel 26 – Tom – Robe und Stab
Kapitel 27 – Ben - Küchendienst
Kapitel 28 – Aeria – Die unterirdische Stadt
Kapitel 29 – Lucy – Das Hospital
Kapitel 30 – Aeria – Tiefer in die Stadt
Kapitel 31 – Tom – Meister Senorus
Kapitel 32 – Ben – Boxkampf mit Fahir
Kapitel 33 – Aeria – Die Bibliothek
Kapitel 34 – Tom– Das Duell
Kapitel 35 – Aeria – Der Kristall
Kapitel 36 – Angriff auf dem Marktplatz
Kapitel 37 - Abschied
Kapitel 38 – Die Reise beginnt
Tobias Melder

 

 

 

 

 

 

Tobias Melder

Die drei-Welten-Saga 1

Die Reise beginnt

 

 

Über die Illustratorin:

 

Natalina Macri wurde 1980 in Schwabmünchen geboren und lebt seit vielen Jahren im Ostallgäu. Sie schreibt gern Bücher über Katzen, insbesondere über ihren schwarzen Kater Zampano. Er erlebt in den Geschichten »Zampano und die besonderen Tiere« und »Zampano wild unterwegs«, zwei mitreißende Abenteuer. Neben vielen schönen Bildern und Zeichnungen, mit denen die Autorin ihre Bücher selbst illustriert hat, erwartet die Lesenden ein spielerischer Lerneffekt.

 

 

Impressum:

 

Vorlage für Covergrafik + Illustrationen: Natalina Macri

Covergestaltung: Jennifer Schattmaier

www.schattmaier-design.de

Lektorat, Korrektorat: Anke Unger

Karte gestaltet mit Inkarnate Pro (www.Inkarnate.de)

Herausgegeben von: Tobias Melder, Veilchenweg 2, 87749

Hawangen

www.tobias-melder.de

 

 

Danksagungen:

 

Danke an all meine Testleser:

 

Ines, Tanja, Flo und Vincent. Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, um meine zahlreichen Fehler zu korrigieren und für euer wunderbares Feedback.

 

Danke Anke Unger fürs Lektorieren.

 

Danke Elke für deine Kritik und deine Ratschläge.

 

Danke Natalina für deine wunderschönen Bilder.

 

Danke an meine Schamanenkollegen Ralf, Elfriede und Julia, ohne euch wäre dieses Buch sicher nicht in dieser Form erschienen.

 

Danke an alle, die in irgendeiner Form am Erscheinen dieses Buches beteiligt waren.

 

Danke an dich, dass du dieses Buch gekauft hast.

 

 

Jetzt wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

Ort und Zeit unbekannt

 

 

 

Ein schriller Schrei, gefolgt von einem heftigen Windstoß riss ihn aus seinem Schlaf. Ungläubig blickte er an sich herab und was er sah, verschlug ihm den Atem. Der Wind blähte die violette Robe aus dünner Seide, die er trug, und ließ sie wild um seinem Körper tanzen. In seiner rechten Hand hielt er einen langen, leichten Stab aus grauweißem Holz, an dessen Spitze eine in allen nur erdenklichen Farben leuchtende Kugel eingefasst war. Jedoch war es nicht sein ungewöhnliches Erscheinungsbild, welches ihm den Atem raubte, sondern vielmehr die Tatsache, dass seine Füße mehrere hundert Meter über dem Boden baumelten. Was zum Teufel ist mit mir passiert, fragte er sich, wobei er noch Probleme hatte, all das zu verarbeiten. Das letzte, an das er sich erinnern konnte, war, dass er in seinem Zimmer am Schreibtisch saß. Wo bin ich? Was mache ich hier? Mühsam versuchte sein Verstand, sich einen Reim aus alldem zu machen.

Unter ihm erstreckte sich eine karge Wüstenlandschaft, soweit das Auge reichte. Auf dem sandigen Boden tobte eine Schlacht, in der sich zehntausende Menschen gegenseitig bekämpften. Er konnte keine Einzelheiten erkennen, dafür war er zu weit entfernt, jedoch hallte der Klang von klirrendem Stahl hundertfach zu ihm herauf. Überall waren Explosionen zu vernehmen, die die Erde erschütterten. Und er hörte unentwegt Schreie voller Schmerz und Angst, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließen. Von überall her kamen sie. Grässliche, verzerrte Schreie von Verwundeten oder bereits im Sterben liegenden Männern und Frauen. Was zur Hölle geht hier vor? Sein Herz und sein Verstand rasten und er versuchte, Erklärungen für das zu finden, was er hier sah, jedoch gelang es ihm nicht, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Er schloss ungläubig seine Augen und hoffte, dass alles einfach verschwinden wäre, wenn er sie wieder öffnete. Doch die Schreie verstummten nicht und die Szenerie blieb unverändert, als er seine Augen erneut öffnete. In diesem Moment spürte er einen heftigen Luftzug, der seine Robe erneut aufbauschte.

Etwas war nur wenige Meter an ihm vorbeigerauscht. Sein Blick versuchte, dem zu folgen. Zuerst sah er nur einen gewaltigen, gefiederten Flügel. Erst als etwas Abstand zwischen sie gekommen war, erkannte er es. Sein Mund formte nur ein lautloses »Wow«. Er bestaunte einem gigantischen Greifvogel, der majestätisch durch die Lüfte flog.

Dieser war nicht alleine. Er realisierte, dass auch um ihn herum ein erbitterter Kampf tobte. Eine Luftschlacht epischen Ausmaßes war hier im Gange, jedoch bekämpften sich hier weder Flugzeuge noch Helikopter, wie er es erwartete, sondern unzählige Tiere, die sich gegenseitig angriffen. Hunderte Vögel, um ein Vielfaches größer als alle, die er jemals gesehen oder von denen er auch nur gehört hatte, sausten durch die Lüfte.

Riesige Adler und Falken rissen sich gegenseitig das Gefieder aus. Auf einigen von ihnen ritten sogar Menschen. Doch flogen auch noch weitaus ungewöhnlichere Kreaturen umher. Märchenhafte, ihm unbekannte Geschöpfe. Mischwesen, halb Vogel, halb Katze. Echsenartige Flugwesen, mit langen, stachelbewehrten Schwänzen. Flinke in Violett und Blau schimmernde Kreaturen, die zerbrechlich wie ein Papierdrachen wirkten, die aber mit atemberaubender Geschwindigkeit in wildem Zickzack durch den Himmel schossen. In der Ferne meinte er ein besonders großes Exemplar eines Adlers mit einer Art Drachen kämpfen zu sehen. Sein Verstand war immer noch dabei, all das richtig zu verarbeiten, als plötzlich etwas direkt vor ihm seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Ein gewaltiges Monster, das direkt aus einem seiner schlimmsten Alpträume zu entstammen schien, flog direkt auf ihn zu. Er erstarrte vor Angst, als er in dessen vor lauter Hass glühenden roten Augen blickte. Die Kreatur war so groß wie ein mehrstöckiges Haus, mit stachelbewehrten Armen, so dick wie ein Baumstamm. Ihre fahle, blaue Haut schimmerte leicht im Licht der tiefstehenden Sonne. Sie trug einen wehenden, schwarzen Umhang, unter dem ein langer, mit Stacheln übersäter Schwanz zum Vorschein kam. Aus ihrer von tiefen Narben zerfurchten Stirn ragten zwei dunkle, gekrümmte Hörner hervor. In einiger Entfernung zu ihm blieb das Monster in der Luft stehen und brüllte laut auf, sodass er vor Schreck zusammenzuckte. Zumindest innerlich, denn sein Körper bewegte sich keinen Millimeter.

Die Kreatur verzog das Gesicht zu einem grauenerregenden Lächeln und streckte die linke Pranke in seine Richtung. Im selben Moment löste sich ein gigantischer Feuerball aus der Handfläche des Monsters, der unaufhaltsam in seine Richtung flog und ihn endgültig in Panik versetzte. Er wollte fliehen, konnte sich aber nicht bewegen. Er hatte keine Ahnung, wie er sich retten könnte. Er spürte, dass sein Körper ihm nicht mehr gehorchte. Abgesehen davon wusste er ohnehin nicht, wie er sich hätte fliegend fortbewegen sollen. In wenigen Augenblicken würde der Feuerball ihn erreichen und zu einem winzigen Häufchen Asche verbrennen. Die Hitze, die er spürte, war kurz davor, seine Haut einfach wegzuschmelzen. Er schloss seine Augen, um sich seinem Schicksal zu ergeben.

In diesem Moment geschah etwas mit ihm. Es fühlte sich fast so an, als wäre er plötzlich nur noch Gast in seinem Körper, als wäre er nichts weiter als ein stiller Beobachter all dessen, was jetzt folgte. Ohne sein willentliches Zutun hob er den Stab mit beiden Händen vor sich in die Höhe und murmelte einige, ihm völlig fremde Worte. Die schier unerträgliche Hitze, die er gerade noch verspürt hatte, verschwand augenblicklich und der Lärm um ihn herum verstummte. Vorsichtig öffnete er seine Augen wieder, nur einen Spalt breit. Ungläubig und voller Angst erblickte er das Schauspiel um sich herum. Er war nun komplett von den Flammen eingehüllt und er war sich sicher, doch noch jeden Moment zu Asche verbrannt zu werden. Jedoch geschah nichts dergleichen. Eine Art unsichtbares Kraftfeld hielt die lodernden Flammen von ihm fern. Er spürte keinerlei Hitze und konnte zusehen, wie das Inferno um ihn herum langsam wieder erlosch. Was passiert hier gerade? Was ist los mit mir? Wo bin ich? Was ist das da nur für eine Monstrosität? Die Gedanken in seinem Kopf rasten immer schneller, ohne dass er auch nur im Entferntesten eine Antwort finden konnte.

Er erkannte, wie die Kreatur erneut eine Attacke gegen ihn starten wollte. Nun schien er jedoch am Zug zu sein. Wieder bewegte er sich ohne sein willentliches Zutun. Er richtete den Stab mit der rechten Hand auf sein Gegenüber und schrie etwas in der ihm unbekannten Sprache. Sein ganzer Körper begann zu kribbeln und sein rechter Arm zitterte vor lauter Kraft, die ihn nun durchströmte. Beinahe im selben Augenblick brach ein violetter Blitz aus der leuchtenden Kugel an der Spitze seines Stabes hervor. Die Luft um ihn begann zu vibrieren. Zur gleichen Zeit hatte die Kreatur Tom einen Strahl aus scharlachrot lodernden Flammen entgegengeschleudert.

Ein ohrenbetäubender Knall ertönte, als die beiden Energien aufeinanderprallten. Die Druckwelle, die dabei entstand, war gewaltig. Es kostete ihn fast seine gesamte restliche Kraft, nicht einfach davongefegt zu werden. Die Meisten, die gerade um sie herumflogen, hatten weniger Glück. Sie wurden zur Seite geschleudert, mehrere Reiter fielen aus ihren Satteln und stürzten dem sandigen Boden entgegen.

Die Kräfte der beiden schienen im Augenblick gleichwertig zu sein. Keiner konnte den Strahl des anderen entscheidend zurückdrängen. Auch wenn er nicht wusste, was hier gerade geschah, so merkte er dennoch, dass seine Kräfte rasch schwanden. Ihm wurde klar, dass er diesen Zustand nicht mehr lange aufrechterhalten konnte. Ein weiteres Mal bewegte sich sein Körper wie von Geisterhand. Mit allerletzter Kraft legte er nun auch seinen linken Arm an den Stab, dabei schrie er wieder etwas ihm Unbekanntes. Jeder Nerv seines Körpers begann zu beben. Seine Arme fühlten sich an, als ob sie jeden Moment explodieren würden.

Gelbe Funken sprühten nun zusätzlich aus der Kugel, die am Ende des Stabes laut zu summen begann. Die Funken tanzten im Kreis um den violetten Lichtblitz und bahnten sich so ihren Weg nach vorne. Es gab eine weitere, noch gewaltigere Explosion, als diese mit dem Feuerstrahl kollidierten. Der darauffolgende Knall war so laut, dass er im Anschluss nichts weiter als ein grelles Pfeifen hören konnte. Er mobilisierte seine letzten Kraftreserven, um den Energiestrahl noch etwas länger aufrecht zu erhalten.

Ganz plötzlich war es vorbei. Zurück blieb grenzenlose Schwäche. Er war nicht einmal mehr in der Lage, sich weiter in der Luft zu halten und stürzte ungebremst in die Tiefe. Der sandige Boden kam immer näher und begann, langsam vor seinen Augen zu verschwimmen. Nur noch wenige Sekunden, bis er mit voller Wucht aufschlagen würde.

Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

 

 

 

Kapitel 1 – Der Alltag

Erde, 01. April 2020

 

 

 

Ein dumpfer Schlag ertönte, als der Wecker auf den Teppich knallte und ihn aus dem Schlaf riss. Tom lag schweißgebadet in seinem Bett und starrte völlig außer Atem die weiße Decke über ihm an. Die Erinnerungen an seinen intensiven Traum verschwammen schon in dem Moment, als er seine Augen öffnete. Er versuchte, sich an das zu erinnern, was er gerade eben noch durchlebt hatte, doch je mehr er sich bemühte, desto weiter entglitt es ihm. Tom wusste bald nur noch, dass ihm alles so völlig real vorgekommen war.

Erschöpft drehte er sich zur Seite, um den Wecker zu betrachten, den er im Schlaf heruntergeworfen hatte. 7:30 Uhr zeigte dieser an. Tatsächlich war es schon wieder Zeit aufzustehen, doch er fühlte sich müde und ausgezehrt. Ein Gefühl, dass Tom nur allzu gut kannte, doch dieses Mal war es schlimmer als sonst. Er konnte die Augen kaum offenhalten, weswegen er kurz überlegte, ob er nicht einfach liegenbleiben sollte.

Tom besann sich jedoch schnell eines Besseren. Die Prüfungen standen kurz bevor und da er bereits die letzten Unterrichtsstunden verpasst hatte, wäre es wohl keine gute Idee, noch mehr Stunden zu verpassen. Also quälte er sich aus seinem warmen Bett und streckte seine müden Glieder, während er laut gähnte. Im Anschluss schaltete er seinen Computer ein. Die aufgehende Sonne schimmerte schon leicht durch die schweren, von Staub bedeckten Vorhänge, als er diese zur Seite zog.

Er öffnete seine Balkontür und trat auf den etwa ein mal drei Meter »großen« Balkon hinaus. Die kühle Morgenluft, die ihm entgegenschwappte, weckte die ersten Lebensgeister in ihm. Der Himmel war wolkenlos und die ersten Sonnenstrahlen trafen auf sein Gesicht.

Er schloss seine Augen, genoss die sanfte Wärme auf seiner Haut und atmete ein paar Mal tief ein. Als die kühle Luft seine Lungen flutete, schien die Müdigkeit Stück für Stück von ihm abzufallen. Es wird ein schöner Frühlingstag werden, dachte er sich, als er den Blick über die umliegenden Gebäude streifen ließ. Einfache mehrstöckige Reihenhäuser umgaben das Studentenwohnheim, in dem er mittlerweile seit fast drei Jahren wohnte. Es war sehr ruhig, wie meistens hier draußen in dem kleinen Vorort. Ein Auto fuhr gerade aus der Garage gegenüber, während einige Studenten sich schon auf dem Weg zur Bushaltestelle befanden. Auf der anderen Straßenseite ging eine ältere Frau mit ihrem Hund in Richtung des kleinen Parks, den Tom von seinem Balkon aus sehen konnte. Mehr war hier im Moment nicht los.

Meistens mochte er die Ruhe hier. Es gab niemanden, der ihn störte, niemanden, der etwas von ihm wollte, niemanden, der ihn verletzen konnte. Doch gleichzeitig hasste ein Teil von ihm diese Stille. Dann, wenn er sich in ihr einsam und verlassen fühlte, dann, wenn er sich nichts sehnlicher wünschte, als jemanden mit dem er reden konnte, jemanden, der einfach nur bei ihm war. Als er so auf dem Balkon stand, kamen schon wieder unheilvolle Gedanken in ihm hoch. Er schüttelte sich kurz, um diese schnell wieder zu verdrängen, wie er es immer machte. Anschließend drehte er sich um und begab sich zurück in seine kleine Ein-Zimmer-Wohnung.

Tom begab sich direkt in sein kleines Bad, ließ kaltes Wasser über seine Hände laufen und klatschte es sich auf Stirn und Wangen. Daraufhin betrachtete er sich im Spiegel. Er sah in ein hageres Gesicht, umrahmt von langen schwarzen Haaren, die leicht gelockt auf seinen Schultern ruhten. Ein dichter, dunkler Bart umrahmte sein Kinn. Die geröteten, matten stahlblauen Augen seines Spiegelbildes blickten müde zurück. Sie wurden dabei von riesigen dunklen Augenrändern umrahmt, die er schon hatte, solange er denken konnte. Diese waren hauptsächlich durch das Zusammenspiel von langen Nächten vor dem PC und den immer häufiger werdenden, Schlafstörungen entstanden. Im Laufe der Jahre waren sie einfach immer weiter gewachsen. Nicht gerade das Gesicht eines klassischen BWL-Studenten, dachte er sich. Nachdem er seinen Schlafanzug ausgezogen hatte, begab Tom sich in seine kleine Duschzelle.

Genau das, was ich jetzt brauche, ging es ihm durch den Kopf, als das kühle Wasser der Dusche über seinen Körper rann und weitere Lebensgeister in ihm weckten. Nach ein paar Minuten stellte er die Dusche wieder ab und nahm das Handtuch, um sich abzutrocknen. Als er fertig war, betrachtete er sich noch einmal kurz im Spiegel. Seinen Augenrändern konnte das kalte Wasser nichts anhaben und noch während er die Dusche abgestellt hatte, kehrte die Müdigkeit wieder zurück in seine Glieder. Er schnappte sich seine Jeans und sein T-Shirt, welche noch vom Vortag auf dem Boden im Bad lagen und streifte sie sich über. Im Vorbeigehen nahm er noch schnell die letzte Scheibe Brot, sowie ein sauberes Messer aus seiner kleinen Küchenzeile mit an den Schreibtisch.

Dieser war immer mehr zum Mittelpunkt seines Lebens geworden. Sein Computer, mittlerweile längst hochgefahren, schien schon beinahe sehnsüchtig auf ihn zu warten. Tom legte das Brot auf einen noch recht brauchbar aussehenden Teller und bestrich es mit der schon offen bereitstehenden Nutella-Creme. Der Schreibtisch glich eher einem Schlachtfeld als einem Arbeitsplatz. Etliche gebrauchte Teller und Gläser stapelten sich auf der einen Seite, während auf der anderen leere Chipstüten sowie haufenweise Verpackungen und Pizzakartons lagen. Überall verstreut tummelten sich Zettel und Geschirrtücher sowie Ordner und Blöcke. All das ließ die Umrisse des Schreibtischs mittlerweile nur noch vage erahnen. Er nahm einen großen Bissen von dem Brot und machte sich daran, wie jeden Morgen, einige Internetseiten und Foren zu durchstöbern. Viel Neues gab es nicht zu entdecken, während er sein Frühstück beiläufig hinunterschlang. Kein Wunder, war er doch erst vor dreieinhalb Stunden ins Bett gegangen. Vorher konnte er noch keinen Schlaf finden. Obwohl er nichts Interessantes entdeckte, verging die Zeit wie im Fluge und Tom erschrak, als er wieder auf die Uhr sah.

Scheiße! Schon so spät? Er zwang den letzten Bissen vom Brot hinunter, um sich dann auf die Suche nach seinem Rucksack zu machen. Ein kurzer Blick hinein verriet ihm, dass der Ordner für Recht fehlte. Hektisch überflog er das Chaos in seinem Zimmer und suchte nach dem besagten Ordner, jedoch ohne Erfolg. Er muss doch hier irgendwo sein, dachte er, als er zum zweiten Mal seinen Schreibtisch durchwühlte. Verdammt ich habe doch keine Zeit mehr. Ein verzweifelter Blick auf seine Uhr bestätigte ihn. Dann fiel ihm der Ordnerberg hinter seinem Bett ein. Da muss er sein, sagte er zu sich mit etwas Zuversicht. Tatsächlich fand er ihn eingeklemmt zwischen Bettkante und Zimmerwand. Schnell packte er ihn ein, nahm seine Jacke, die über dem Stuhl hing und eilte nach draußen.

Bereits als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hatte ihn die Müdigkeit wieder vollends gepackt. Er fühlte sich sogar noch ausgezehrter als zuvor. Missmutig sah er den Gang entlang. Zu beiden Seiten gingen jeweils sieben gleiche orangefarbene Türen ab, die zu ähnlichen Wohnungen wie seiner eigenen führten. Das mit dem Bus wird verdammt knapp, dachte Tom, während er schnellen Schrittes an den Türen vorbeieilte und anschließend die düstere Betontreppe hinunterrannte. Während er die Stufen hinuntersprang, kramte er seinen MP3-Player aus der Jackentasche hervor und stöpselte ihn an. Der tiefe Bass der Musik beruhigte ihn ein wenig. Es war fast so, als würde er sich damit von der Welt um ihn herum abschotten.

Draußen angekommen schlug ihm wieder die kühle Morgenluft entgegen. Allerdings schaffte sie es nicht, erneut ihre erfrischende Wirkung zu entfalten. Als er auf die Straße einbog, sah er gerade noch den Bus vor seinen Augen davonfahren. Ach verdammt, nicht schon wieder, fluchte er leise vor sich hin. Er blieb kurz stehen, um seine Möglichkeiten durchzugehen. Die Erste bestand darin, hier auf den nächsten Bus zu warten. Die Zweite war zu laufen, was allerdings noch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würde als das Warten. Pünktlich würde er es allerdings so oder so nicht mehr schaffen. Die dritte Möglichkeit, die ihm blieb, schien für ihn im Moment auch die Verlockendste zu sein. Er könnte einfach wieder nach oben gehen, um den versäumten Schlaf nachzuholen. Ein inneres Zwiegespräch begann. Auf den Bus warte ich sicher nicht ... Ach jetzt noch einmal hinlegen, das wär’s…Aber du hast schon zu oft eine Stunde verpasst … Ich krieg doch eh wieder kaum was mit, so müde wie ich bin ... Nur noch ein paar Wochen bis zu den Prüfungen … Die habe ich davor auch so geschafft … Und was, wenn ich dieses Mal versage?

Irgendwie schaffte es am Ende die Stimme, die zur Universität gehen wollte, sich durchzusetzen. Also machte er sich zu Fuß auf in Richtung Campus. Allerdings hatte er es nun nicht mehr allzu eilig. Er ging an der leeren Haltestelle vorbei und bog dann kurz darauf in ein Waldstück ein. Die Musik dröhnte aus seinen Kopfhörern.

Zu Beginn seines Studiums war Tom gerne den Weg durch den Wald gelaufen. Er war dafür sogar oftmals etwas früher aufgestanden. Das Laufen hatte ihn immer irgendwie beruhigt, er fühlte sich danach meistens wacher und lebendiger. Jedoch verflog diese Wirkung recht schnell, weshalb er begann, immer öfter mit dem Bus zu fahren, oder, wie jetzt, sich komplett von der Außenwelt abzuschotten. So nahm er weder den kleinen Weiher wahr, an dem er früher öfter eine Pause eingelegt hatte, noch die Lichtung, welche durch das Licht der Morgensonne ein beinahe märchenhaftes Ambiente bot.

Auf dem Campus waren nur noch vereinzelt Menschen unterwegs. Einige von ihnen hatten es eilig, sie waren wohl genau wie Tom zu spät dran. Andere flanierten an dem künstlich angelegten Teich entlang und beobachteten die junge Entenfamilie, die sich hier eingenistet hatte.

Kurz vor dem Hörsaal gingen ihm einmal mehr unzählige Fragen durch den Kopf. Wie würde der Professor reagieren, wenn er so spät auftauchte? Würdeer auf ihn aufmerksam machen, ihn vor allen bloßstellen? Was würden seine Kommilitonen dann von ihm denken? Würde ihn überhaupt irgendwer bemerken oder bliebe er wie immer unsichtbar? Mit leicht zittrigen Händen umklammerte er die Türklinke, drückte sie nach unten und schob die schwere Tür auf.

Es war letzteres Szenario, welches eintreten sollte. Niemand registrierte, dass er gerade den Raum betreten hatte. Halb erleichtert, halb enttäuscht, suchte er sich einen Platz am Rand. Da der Hörsaal nicht mal zu einem Drittel gefüllt war, fiel ihm das nicht allzu schwer.

Wie es schien, war der Professor noch nicht allzu weit gekommen. Er versuchte einzusteigen und dessen monotonem Vortrag zu folgen. Alsbald begann sein Blick jedoch, durch den Hörsaal zu schweifen. Er erkannte viele Gesichter wieder, die ihm in den letzten drei Jahren vertraut geworden waren. Da war der junge Mann vor ihm, wie immer in ein schickes Hemd gekleidet, der die Angewohnheit hatte jede Stunde mindestens zweimal sein Handy auf den Boden zu werfen. Der kurzsichtige Junge in der ersten Reihe, der eine dicke Lupe brauchte, um überhaupt etwas von dem lesen zu können, was an der Tafel stand. Das hochnäsige Mädchen, das jede Stunde versuchte, mit klugen Kommentaren Eindruck beim Professor zu schinden.

Sein Blick wanderte weiter umher, bis sein Herz einen großen Sprung machte. Er ruhte nun auf einer hübschen, zierlichen jungen Frau mit gelockten blonden Haaren nur ein paar Reihen vor ihm. Sie hatte den Kopf zu ihrer Banknachbarin gedreht und versuchte gerade, mit äußerst mäßigem Erfolg, ein Lachen zu unterdrücken.

Die Frau war ihm schon an seinem ersten Tag ins Auge gestochen. Jedes Mal, wenn er sie sah, begann sein Herz wie wild zu rasen, gleichzeitig schnürte sich alles in ihm zusammen. Er hatte bis jetzt noch nie den Mut aufbringen können, sie anzusprechen, obwohl er sich nichts sehnlicher gewünscht hätte. Was soll ich denn zu ihr sagen? Über was sollen wir uns denn unterhalten? Ich kann ja sowieso kein Gespräch führen. Was soll eine wie sie schon von mir wollen? Würde sie mich überhaupt mögen? Tausendfach waren ihm diese Gedanken schon durch den Kopf gegangen, nie war es ihm gelungen, sie zum Schweigen bringen. So blieb er sich auch heute wieder treu und schwärmte aus sicherer Entfernung von dem hübschen Mädchen. Es kostete ihn einige Mühe, seinen Blick wieder von ihr abzuwenden, damit er dem Professor bei seinem einschläfernden Monolog über Gesellschaftsrecht weiter folgen konnte.

Die Zeit schien still zu stehen, als wollte die Stunde niemals zu Ende gehen. Immer wieder huschte sein Blick hinüber zu der jungen Frau und er fragte sich dabei, ob er es denn jemals schaffen würde, sie anzusprechen. Kurz vor dem Ende der Stunde vibrierte sein Handy. Es war eine Nachricht von Martin. Einer der wenigen, mit dem er überhaupt Kontakt hatte. Ich schaff es heute nicht zur Mathevorlesung, schrieb er.Also würde Tom die nächste Stunde auch wieder allein dasitzen, wie so oft. Er stieß einen leisen Seufzer aus. Bald darauf war der einschläfernde Vortrag des Professors dann doch endlich zu Ende.

Ein Großteil der Studenten stand auf und verließ den Raum, während andere in Scharen hereinströmten, um der Mathevorlesung beizuwohnen. Völlig in Gedanken schaute er den Leuten zu, welche die Treppe hinaufgingen, bis sein Blick den seiner heimlichen Angebeteten traf. Er sah ihr direkt in ihre wunderschönen, dunkelblauen Augen. Sein Herz schien für einen Moment stehen zu bleiben, nur um dann wie wild zu rasen. Sie blickte zurück. Sah sie gerade wirklich ihn an? Auf ihrem Mund schien sogar ein leichtes Lächeln zu erscheinen. Er spürte Hitze in sich aufsteigen. Sofort richtete er seinen Blick auf die Unterlagen vor ihm. Hat sie mich gerade wirklich angelächelt?, fragte er sich. Was für ein wundervolles Lächeln.War das eben nur ein Zufall, oder hatte es etwas zu bedeuten? Da er jedoch nichts weiter machte, als panisch die Bank vor sich anzustarren, würde er es vermutlich nie erfahren. Wieder einmal hasste er sich selbst für seine Feigheit.

Auch die nächste Stunde schien sich für ihn geradezu endlos zu ziehen, ohne dass er irgendetwas von dem mitbekam, was der Professor ihnen zu vermitteln versuchte. Seine Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis. Wofür soll das alles hier denn überhaupt gut sein, fragte er sich. Wieso bin ich eigentlich immer noch hier, das hat doch alles überhaupt keinen Sinn, so wie der Rest meines Lebens. Immer mehr versank er in seine düstere Gedankenwelt.

Als die Stunde beendet war, stöpselte Tom seine Kopfhörer wieder ein, in der Hoffnung, auf andere Gedanken zu kommen. Er verließ den Hörsaal, ohne irgendjemanden um ihn herum auch nur wahrzunehmen. Alles um Tom hüllte sich in einen undurchdringlichen Schleier. Hat sich ja mal wieder gelohnt hierher zu kommen, ging ihm durch den Kopf, während er durch die Tür des Hörsaals ins Freie trat.

Obwohl er nur noch ein paar Minuten hätte warten müssen, ging er an der Bushaltestelle vorbei. Er hatte keine große Lust, in einen überfüllten Bus einzusteigen, in dem nur haufenweise Menschen waren, die ihn ja sowieso nicht beachteten.

In seinem Zimmer angekommen warf Tom erst einmal seine Tasche in die Ecke, schaltete den Computer wieder ein und holte sein Handy heraus. Er hatte eine neue Nachricht erhalten. Diesmal von Chris. Er kannte ihn schon von Kindheitstagen an und war wohl der Einzige, mit dem Tom sich wirklich gut unterhalten konnte.

»Hey, wir gehen heute Abend in die Stadt was trinken. Lust mitzukommen?«, stand in der Nachricht. Also geht er heute mit Lucy, seiner Verlobten, in einen Club und will, dass ich mitkomme. Tom war hin und her gerissen. Einerseits hatte er schon Lust, wieder mal etwas mit Chris zu unternehmen. Immerhin war er schon fast drei Wochen nicht mehr mit ihm unterwegs gewesen. Auf der anderen Seite konnte er Clubs und Discos nicht ausstehen. Er fühlte sich dort unwohl, hatte immer das Gefühl einfach nicht dorthin zu passen, nie dazuzugehören. In Gedanken ging er schon einmal mögliche Ausreden durch. Ich muss noch eine Menge lernen. Das glaubt er mir eh nie, musste er schmunzeln. Chris kannte ihn zu gut, als dass er Lernen als Ausrede zählen lassen würde. Mir geht’s heute nicht besonders gut vielleicht.Oder ich habe schon etwas anderes vor. Nur was sollte ich da sagen, ihm fiel spontan absolut nichts Glaubwürdiges ein.

Er beschloss, sich später zu entscheiden und suchte in seinem Kühlschrank nach etwas Essbarem. Er fand noch eine offene Packung Würstchen, die er mit an seinen Schreibtisch nahm. Endlich saß er wieder an seinem PC. Dort vergaß er für eine Weile alles um sich herum. Der Bildschirm vertrieb alle Gedanken daran, wie klein und elend er sich in seinem Leben fühlte. Er startete sein Onlinerollenspiel, sammelte eine Weile Materialien für den morgen anstehenden Raid und stöberte noch etwas in den Foren herum, bis sein Handy erneut vibrierte. Es war Chris, der immer noch auf eine Antwort wartete. Tom sah auf die Uhr. Verdammt ist es wirklich schon so spät? Er hatte gar nicht mitbekommen, dass er schon so lange vor seinem Rechner gesessen hatte. Tom hielt innerlich Zwiesprache. Ich hasse Discos. Aber immerhin sind Chris und Lucy dabei. Trotzdem wird es mir sicher keinen Spaß machen. Ich verrotte noch hier drin, wenn ich nicht mitgehe. Aber ich bin so verdammt müde. Es dauerte eine Weile, bis sich eine Seite in ihm durchsetzen konnte.

»Alles klar ich bin dabei, wann geht’s los?«, schrieb Tom zurück.

»Um acht bei mir. Bier ist schon kaltgestellt«, kam die baldige Antwort von Chris. In Tom stieg langsam die Anspannung, wie immer, wenn er unter Leute gehen sollte. Doch dieses Mal fühlte es sich irgendwie anders an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2: Der Angriff

Erde, 01. April 2020

 

 

 

 

 

Tom erkannte den Hünen von einem Türsteher sofort, der mit der Security Jacke noch beeindruckender wirkte, als ohnehin schon. Es handelte sich um Ben, einen ehemaligen Kommilitonen von ihm, der jedoch schon während des zweiten Jahres erkannt hatte, dass das Studium nichts für ihn war, woraufhin er es kurzerhand geschmissen hatte. Da er einer der Wenigen gewesen war, mit denen Tom sich gut verstand, schmerzte ihn dessen Weggang sehr. Gleichzeitig hatte er ihn um seine Entscheidung beneidet. Denn auch Tom war sich von Monat zu Monat unsicherer, ob das Studium denn überhaupt noch etwas für ihn war. Obwohl er eigentlich keinen Grund fand, der noch für es sprach, schaffte er es dennoch nicht, wie Ben alles hinzuschmeißen. Vor allem die Angst, was denn danach kommen würde, hielt ihn davon ab, denn er hatte nicht den Hauch einer Idee, was er stattdessen machen sollte. Als sie näher kamen, erkannte Ben ihn.

»Hey Tom, schön dich mal wieder hier zu sehen«, begrüßte der Türsteher ihn. »Schon lange her, wie geht’s dir denn?«

»Ganz gut so weit«, log Tom und versuchte dabei, das stetig größer werdende mulmige Gefühl in seiner Magengegend zu verdrängen. »Und bei dir? Bereust du mittlerweile deinen Abbruch?«, fragte Tom augenzwinkernd.

»Ganz und gar nicht«, antwortete Ben. »War die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Ich fühle mich so gut, wie schon lange nicht mehr.«

Tom bewunderte Ben jetzt noch mehr für seinen Mut, den er selbst niemals aufbringen würde. »Und was macht deine Boxkarriere so?«, fragte Tom.

»Es geht voran«, antwortete Ben. »Nächsten Monat habe ich meinen ersten größeren Kampf hier in Bobbys Boxstudio. Wenn du willst, kannst du gerne vorbeikommen, ich reserviere dir gute Plätze.«

»Ich überleg es mir«, log Tom, denn mit Boxen konnte er so rein gar nichts anfangen. Insgeheim fragte er sich, warum jemand wie Ben, der eigentlich keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte, ausgerechnet Boxer werden wollte. »Ist schon viel los?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.

»Ihr seid sehr früh dran. Noch ist es recht leer, wird aber mit Sicherheit wieder voll heute«, antwortete Ben. »Dann mal viel Spaß, man sieht sich«, und schon hatte er sich den nächsten Gästen zugewandt, die er, seiner Begrüßung nach zu urteilen, ebenfalls gut kannte.

Tom, Chris und Lucy liefen gerade die lange, breite Treppe der Diskothek hinunter, als Tom ein leichtes Donnergrollen aus weiter Ferne vernahm. Nur wenige Augenblicke später begann die Erde kurz zu beben. Oder hatte er sich das eben nur eingebildet? Sonst schien niemand anderes etwas bemerkt zu haben. Aber irgendetwas war gerade passiert, das konnte er fühlen. Er spürte, wie sich Gänsehaut über seinem gesamten Körper ausbreitete, während das mulmige Gefühl tief in seinem Inneren stetig weiter heranwuchs. So intensiv hatte er es noch nie gespürt, als wolle es ihm sagen, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Doch er hatte keine Ahnung, was der Auslöser für dieses Gefühl war.

Er sah zu den Wänden und hoffte fast, dort Anzeichen für ein Beben oder Ähnliches zu erkennen, doch keines der dort befestigten Bilder bewegte sich auch nur einen Millimeter. Ich muss mir das wohl doch nur eingebildet haben, sagte Tom zu sich. Er blickte zurück, die steile Treppe hinauf. Aber auch dort sah er keinerlei Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Mit jedem Schritt, den er auf der glatten marmorierten Steintreppe weiter nach unten machte, wuchs das mulmige Gefühl immer stärker an. Er hatte schon des Öfteren leichte Panikattacken erlebt, doch keine davon hatte sich auch nur im Entferntesten so heftig angefühlt, wie das, was er gerade in diesem Moment erlebte. Seine Brust verengte sich immer mehr, das Atmen fiel ihm schwer, dazu begann sich sein Magen zu verkrampfen. Auch hatte er das Gefühl, pausenlos von jemandem beobachtet zu werden. Er sah sich noch einmal um, jedoch war niemand in der Nähe.

»Bist du dir sicher, dass er der Richtige ist?« Die Stimme eines jungen Mannes hallte in seinem Kopf wider. Obwohl Tom sie ganz deutlich hören konnte, vermochte er nicht zu sagen, aus welcher Richtung sie kam. »Er sieht nicht gerade so aus, wie ich es erwartet hätte«, fuhr der Unbekannte fort.

Tom blieb beunruhigt stehen, drehte sich erneut um und blickte die Treppe hinauf. Es war nach wie vor weder jemand zu sehen, der ihn beobachtete, noch konnte er irgendetwas erkennen, das seinen Zustand hätte erklären können. Hinter ihm gingen nur zwei junge Frauen langsam und heftig diskutierend nebeneinanderher. Hätte Tom sie genauer betrachtet, hätte er sie mit Sicherheit hübsch gefunden. Die linke mit kurzen, dunkelrot gefärbten Haaren und einem schönen, schmalen Gesicht, trug eine bunte Bluse und einen kurzen gelben Minirock, der von einem breiten Nietengürtel gehalten wurde. Die andere hatte ihr langes, blondes Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Ihre Augen funkelten im schummrigen Licht dunkelgrün. Sie trug ein einfaches, bauchfreies, weißes T-Shirt und eine kurze, enganliegende Jeans. Doch Tom nahm die zwei Frauen nur am Rande wahr, er versuchte förmlich, durch sie hindurchzusehen, um erkennen zu können, was hinter ihnen im Schatten verborgen lag.

»Habe ich dir jemals einen Grund geliefert, mir nicht zu vertrauen?« Ein zweiter Mann schien dem ersten zu antworten. Seine Stimme war rauer und tiefer, klang wie die eines alten Mannes. Irgendwie kam ihm diese Stimme seltsam vertraut vor, nur konnte er nicht sagen, wo er sie vorher schon einmal gehört hatte. Auf der Treppe befand sich außer den Frauen und den drei Freunden niemand mehr. Tom blickte zur Decke hinauf, da er mittlerweile das Gefühl hatte, als kämen die Stimmen irgendwo von dort oben.

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte der jüngere Mann. »Aber ich gehe ein enormes Risiko ein und muss wissen, ob er es auch wirklich wert ist.«

»Sonst wären wir jetzt nicht hier«, antwortete die zweite Stimme bestimmend. »Du solltest auf deine Position gehen, wir sollten uns alle bereit machen, es ist gleich so weit.«

Was ist nur los mit mir, fragte sich Tom. Irgendetwas stimmt hier doch nicht, oder verliere ich den Verstand?

»Hey Tom? Auf was wartest du?« Chris‘ Frage riss ihn aus seinen Gedanken.

»Was…?« Er schüttelte kurz seinen Kopf, atmete einmal tief durch und richtete seinen Blick wieder nach vorne. »Ja… ich… ich komm schon!«, stammelte Tom und folgte seinen Freunden. Mittlerweile dröhnte der Bass laut durch die Luft. Mit jedem einzelnen Schlag bohrte sich das unangenehme Gefühl noch tiefer in Toms Eingeweide. Als sie schließlich am unteren Ende angekommen waren, drehte es ihm schon fast den Magen um.

»Ist mit dir alles in Ordnung? Du siehst blass aus«, fragte Lucy in leicht besorgtem Ton.

»Ja… ich hab nur…« Tom richtete nochmal einen kurzen Blick hinauf zur Decke. »Alles okay. Gehen wir weiter.«

Sie befanden sich nun in einem kleinen Vorraum. Ein paar Jugendliche gingen durch die breite Schwingtür auf der rechten Seite in den großen Saal. Die Musik dröhnte heraus. Es drang lautes Stimmengewirr zu ihnen herüber, welches sogleich wieder gedämpft wurde, als die Tür sich wieder schloss. Vor ihnen stand ein junger Mann an einen Stehtisch gelehnt. Er starrte unentwegt mit einem gehetzt wirkenden Gesichtsausdruck auf das Smartphone in seiner linken Hand.

Chris und Lucy bogen in einen schmalen Gang ein, um in der dortigen Garderobe ihre Jacken abzugeben. Da Tom keine Jacke dabeihatte, wartete er am Anfang des Ganges auf sie. Er war gerade dabei, in Gedanken zu versinken, als plötzlich ein lauter, schriller Schrei den immerwährend donnernden Bass übertönte.

Tom drehte sich, um erkennen zu können, was passiert war. Vor Schreck blieb er wie angewurzelt stehen. Das rothaarige Mädchen, das gerade noch hinter ihnen hergelaufen war, lag bäuchlings am Fuße der Treppe. Ihr Gesicht lag in einem See aus einer matt glänzenden, roten Flüssigkeit, der von Sekunde zu Sekunde weiter anschwoll. Ist das Blut? Ihr Blut?, fragte er sich, während ihm schwindelig wurde. Was zum Teufel geht hier vor? Toms Herz raste wie wild. Er versuchte zu verarbeiten, was da gerade geschah.

Sein Blick wanderte nun zu der zweiten Frau. Im ersten Moment schien es, als ob sie einfach ein paar Zentimeter in der Luft schwebte. Erst auf den zweiten Blick erkannte er ein paar lange, knochige Finger, die von hinten um ihren Hals gepresst wurden. Die Frau blickte genau in Toms Richtung. In ihren wunderschönen dunkelgrünen Augen erkannte er die verzweifelte Bitte um Hilfe, sowie nackte Angst. Dann, nur einen Bruchteil später, riss sie die Pupillen und ihren schmalen Mund weit auf. Kurz darauf begann sie am ganzen Leib wie wild zu zucken. Etwas Glänzendes drang plötzlich in Brusthöhe aus dem weißen T-Shirt hervor, welches sich in kürzester Zeit mit Blut vollsog. Jemand hatte ein Messer von hinten direkt durch ihr Herz gebohrt. Das Messer wurde wieder herausgezogen und ein Schwall Blut strömte aus der Wunde, als ob jemand einen Damm geöffnet hätte. Dann löste sich der Griff um ihren Hals. Sie fiel seitlich auf den Boden, direkt neben ihre Freundin. Heftig zuckend und Blut spuckend, lag sie nun ebenfalls in dem See aus Blut. Ihren Blick hatte sie noch immer auf Tom gerichtet. Langsam erstarben ihre Bewegungen. Ihr Blick trübte sich, fast war es so, als ob sie jetzt durch ihn hindurch ins Leere starrte, ehe endgültig jegliches Leben aus ihr gewichen war.

Jetzt erst gewahrte Tom die widerliche Gestalt, die hinter den Toten gestanden hatte. Die Kreatur war vielleicht anderthalb Meter groß, mit einer ledrigen, dunklen, graugrünen Haut. Sie trug nur einen Lendenschurz aus abgerissenem, fleckigem, braunem Stoff. Die Bestie hatte lange, staksige Arme, in denen sie aber allen Anschein nach genug Kraft besaß, um ein Mädchen mühelos mit nur einem Arm in die Luft zu heben. Das Gesicht und der Körper waren von unzähligen Narben übersäht. Der breite Mund quoll förmlich über vor lauter schiefer, spitzer Reißzähne. Ihre überlange Nase sah so aus, als wäre sie schon Dutzende Male gebrochen worden.

Doch was Tom wirklich die Nackenhaare zu Berge stehen ließ, waren ihre Augen. Kleine, kreisrunde Augen, die von innen heraus orangerot glühten. Zu Toms Entsetzen nahmen diese nun ihn Visier. In dem durchbohrenden Blick lag blanker Hass. Die Kreatur bleckte die Zähne und leckte das Blut mit seiner langen, ledrigen Zunge von seinem krummen Messer ab, welches er gerade aus dem Körper des Mädchens gezogen hatte. In diesem Moment kamen noch weitere dieser Monster die Treppe hinuntergerannt. Toms Herz stand kurz vor der Explosion. Die Neuankömmlinge beachteten Tom jedoch gar nicht, sondern liefen schnurstracks durch die Schwingtür in den großen Saal.

Tom stand starr vor Angst da. In seinem Kopf drehte sich alles. Was geht hier vor? Ich… Ich muss träumen. Das muss wieder ein Albtraum sein. Übelkeit stieg in ihm empor. Das Monster warf sein Messer zur Seite und setzte ein schiefes, verzerrtes Lächeln auf. Dann zog die Gestalt einen kleinen, hölzernen Bogen, den sie um die Schulter getragen hatte, hervor. Sie legte einen Pfeil auf, begann ihn zu spannen und zielte damit genau auf Toms Brust.

Toms Gedanken rasten noch schneller. Was… ist das da und warum tut es das alles?Was… was soll ich nur machen? Muss… Muss ich jetzt sterben?, fragte er sich. Langsam begann sich seine Starre ein wenig zu lösen und er taumelte panisch rückwärts.

Die Kreatur lies die Sehne los. Der Pfeil pfiff durch die Luft und raste direkt auf seine Brust zu. Tom spürte einen harten Schlag gegen seine Wade. Im selben Augenblick verlor er sein Gleichgewicht und kippte nach hinten um.

Noch im Fallen sah Tom den Pfeil über seinen Kopf hinwegbrausen. Kurz darauf hörte er das Krachen, als dieser an der Wand zerschellte. Ein umgekippter Tisch, der quer auf dem Boden lag, hatte ihm das Leben gerettet. Vorerst.

Er lag in etwas Feuchtem, Warmem und Klebrigem. Als Tom sich umsah, stellte er erschrocken fest, dass er in einer Blutlache lag, die von dem Jungen ausging, der zuvor noch auf diesem Tisch gelehnt hatte. Er lag dicht neben Tom auf dem Boden, einen Pfeil mitten in der Brust steckend. Sein Smartphone hielt er immer noch in seiner linken Hand, während es wild vibrierte.

Tom mühte sich, den Blick wieder von dem Jungen abzuwenden, denn die Kreatur stieß einen wilden Schrei aus. Sie stürmte mit erhobenem Messer auf ihn zu. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er sah sich panisch um, die Kreatur versperrte ihm aber den einzigen Ausgang.

Sie war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Tom kroch ein Stück nach hinten, seine Kleider wogen schwer von dem vielen Blut und seine Füße rutschten auf dem schmierigen Untergrund immer wieder weg. Sein Rücken traf schließlich auf die Wand an die er sich sogleich drängte. NEIN! Ich will noch nicht sterben, waren seine letzten Gedanken, als die Kreatur über ihn gebeugt stand. Sie holte zum Schlag aus, um ihn mit dem Messer zu erstechen. NEIN, schrie Tom, vor Angst erstarrt, still in sich hinein.

In diesem Moment berührte Toms rechte Hand etwas Metallisches. Was jetzt folgte, konnte er sich noch weniger erklären als all das, was bisher geschehen war. Mit einem Mal beruhigte sich sein Herzschlag. Er begann, völlig entspannt zu atmen und in seinem Kopf herrschte mit einem Mal absolute Klarheit. Das panische Gefühl in seiner Magengegend war komplett verschwunden. Alles um ihn herum war plötzlich verstummt. Er hörte weder den donnernden Bass, noch die entsetzlichen Schreie, welche aus dem Saal drangen. Er hörte nur sein ruhiges, fest schlagendes Herz, seinen gleichmäßigen Atem und das leise Klirren von Metall, das aufeinandertraf.

Wie in Trance hatte er den Hieb des Monsters abgewehrt. Doch womit eigentlich? Er betrachtete das, was er dort vom Boden aufgehoben hatte mit einem ungläubigen Blick. In seiner Hand befand sich ein Schwert. Ein einfaches kurzes Schwert, geziert nur von einem kleinen scharlachroten Edelstein, der in das Heft eingefasst worden war. Etwas schien in die Klinge eingraviert worden zu sein, doch Tom erkannte nicht, um was es sich dabei handelte.

Irgendeine Art unnatürliche Energie strömte von dem Schwert über seinen Arm direkt in ihn hinein und wurde mit jedem Herzschlag durch seinen gesamten Körper gepumpt. Er fühlte sich so ruhig und gleichzeitig so lebendig wie noch nie zuvor. Sein Körper wusste ganz genau, was er zu tun hatte. Mit einem eleganten Satz richtete er sich auf und blickte nun seinerseits auf die Kreatur hinab, die daraufhin einen kleinen Sprung nach hinten machte. Offenbar war sie ebenso überrascht von der Wendung der Ereignisse wie er selbst. Als Tom aufrecht vor ihr stand, bemerkte er, wie klein sie eigentlich war.

Allerdings währte die Überraschung seines Gegenübers nur sehr kurz. Sofort stach er weiter mit dem Messer auf Tom ein. In ihrem lächelnden Gesichtsausdruck lag das sichere Gefühl des Sieges, doch Tom wehrte die Stiche ohne jegliche Mühe ab. Es kam ihm so vor, als ob das Schwert vollkommen für sich alleine kämpfte. Er musste nur den Arm heben und die Klinge erledigte den Rest wie von selbst. Er war immer noch absolut ruhig. Die Welt um ihn herum war, bis auf das Keuchen des Angreifers vor ihm und dem Klirren, das bei jedem Aufeinandertreffen der Klingen ertönte, vollkommen still. Es war fast so, als läge der Rest der Welt hinter dichten Nebelschwaden verborgen. Die Kreatur stach immer wilder auf Tom ein, ohne auch nur annähernd zu treffen. Ihr vorhin noch so siegessicherer Blick veränderte sich langsam, wurde immer wütender und verzweifelter. Sie legte ihre gesamte Kraft in einen letzten Angriff, den Tom jedoch mühelos abwehrte. Die Kreatur schnaubte heftig und legte eine kurze Pause ein. Offenbar, um sich eine neue Strategie zurechtzulegen.

Auf diese Pause hatte Tom oder vielmehr das Schwert gewartet. Er holte leicht mit der Hand aus und stach zu. Die Klinge bohrte sich durch die ledrige Haut tief hinein in die Brust des Monsters. Ohne jeglichen Widerstand trat sie auf der anderen Seite wieder aus. Warmes, klebrig schwarzes Blut sickerte zähflüssig aus der Wunde. Die Kreatur starrte ihn ungläubig mit ihren aufgerissenen orangerot glühenden Augen an, ehe das Leuchten in ihnen erlosch. Tom zog das Schwert wieder aus deren Brust, woraufhin das Wesen tot in sich zusammenbrach.

So langsam erwachte er aus seiner Trance. Er begann wieder, alles um sich herum wahrzunehmen, zunächst noch ganz verschwommen. Es war so, als ob die Geräusche nur langsam näherkommen würden. Er bemerkte, dass die Musik aufgehört hatte. Die qualvollen Rufe und Schluchzer wurden immer lauter. Tom starrte immer noch ungläubig auf die reglos am Boden liegende Kreatur vor ihm.

In der Zwischenzeit waren auch Chris und Lucy um die Ecke gebogen. Sie hatten das Ende des sich ihnen hier bietenden Schauspiels fassungslos mit angesehen. Völlig entgeistert standen sie da, unfähig zu erfassen, was gerade geschehen war.

Der Raum wurde nun beinahe unentwegt von kleineren Beben erschüttert, wobei das Licht dabei jedes Mal heftig flackerte. Aus der Ferne konnte Tom leise Explosionen vernehmen. Wir müssen hier so schnell wie möglich raus, ging es ihm durch den Kopf, als er wieder etwas zu sich gekommen war. Er wandte seinen Blick von dem Toten ab und sah zu Chris und Lucy hinüber. Er rannte auf sie zu, seine Kleidung klebte, nass und schwer von dem vielen Blut, an seinem Körper.

Eine weitere Erschütterung durchzog den Raum, dieses Mal noch heftiger. Staub und Putz begann von der Decke zu rieseln, in der sich jetzt ein breiter Riss bildete. Als er bei ihnen angekommen war, stammelte Lucy: »Was …was ist hier passiert?« Ihre weit aufgerissenen tiefblauen Augen waren erfüllt von blankem Entsetzen.

»Wir müssen sofort raus«, kommandierte Tom, ohne auf die Frage von Lucy einzugehen. Er lief schon in Richtung der Treppe, als er bemerkte, dass weder Chris noch Lucy Anstalten machten, ihm zu folgen. Zu verängstigt und geschockt von dem, was sich gerade abgespielt hatte, standen sie einfach nur da und starrten auf die Leichen, die den Boden pflasterten.

»Los jetzt, da drinnen sind noch mehr von diesen … diesen Dingern«, rief Tom ihnen energisch zu. Schnell begriff er jedoch, dass Worte nichts nützen würden. Er eilte zurück, packte Lucy am Arm und zog sie hinter sich her. Sie kam ins Straucheln, fing sich allerdings schnell wieder. Sie folgte Tom mit wackeligen Schritten, der schon am Fuß der Treppe angekommen war. Daraufhin begann auch Chris, wieder zu sich zu kommen. Sie rannten an den toten Körpern der Frauen vorbei, die am Ende der Treppe in einem Meer aus ihrem eigenen Blut lagen. Keiner von ihnen traute sich, sie im Vorbeigehen anzusehen. Zu viel Angst hatten die drei vor dem Bild, das sich ihnen dort bot. Stattdessen starrten sie stur die Treppe hinauf und hasteten an den Größen der Musikgeschichte vorbei, die ihnen aus den Bildern gespannt zuzuschauen schienen, wie sie um ihr Leben rannten. Auf ihrem Weg nach oben kamen die Freunde an fünf weiteren, reglos auf der Treppe liegenden Menschen vorbei. Auch ihnen schenkten sie aus Angst keinerlei Beachtung, sie hatten nur noch den Ausgang im Blick, wollten so schnell wie möglich entkommen.

Sie konnten schon das Gelände außerhalb des Clubs sehen, als plötzlich ein donnernder Schlag die Luft durchzog und den Boden zum Beben brachte. Einige der Bilder fielen von den Wänden und Putz rieselte von der Decke auf sie herab. Tom hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Zu seinem Entsetzen sah er, dass der Türrahmen vor ihnen bereits von breiten Rissen durchzogen war, die von Sekunde zu Sekunde noch größer wurden. Bald würde er nachgeben.

»Los, schneller«, schrie Tom, während er noch einmal sein Tempo erhöhte.

Der Rahmen brach langsam unter seiner Last zusammen. Tom setzte zum Sprung an und schaffte es hindurch. Kurz darauf hörte er ein lautes Krachen hinter sich, als der Ausgang hinter ihm einstürzte. Chris, Lucy … NEIN, ging es ihm durch den Kopf.

Als er sich umdrehte, lagen seine Freunde bäuchlings auf dem Boden, bedeckt von einer dicken Staubschicht. Einen kurzen Moment schien die Welt still zu stehen, während er zu ihnen hinüber starrte.

Lucy begann, sich langsam zu bewegen und Chris rappelte sich schwerfällig wieder auf. Tom atmete tief durch, dann half er Lucy wieder auf die Beine.

»Alles in Ordnung?«, fragte er besorgt.

»Ja …«, schnaubte sie erschöpft. »Ich glaube sch...« Lucy brach mitten im Satz ab, hielt den Atem an und rannte zu der Hecke neben dem Eingang, um sich heftig zu übergeben. Erst jetzt realisierte Tom, dass sie sich inmitten eines Leichenfeldes befanden. Sein Magen verkrampfte sich schlagartig. Auch er musste stark gegen die aufkommende Übelkeit ankämpfen. Selbiges galt für Chris, der von Sekunde zu Sekunde blasser im Gesicht wurde. Dutzende reglose Körper säumten den Boden. Einige von ihnen waren schrecklich entstellt, mit durchgeschnittenen Kehlen oder abgetrennten Gliedmaßen. Die Diskothek selbst war eingestürzt, Flammen schossen aus den Mauerresten, doch es war bei weitem nicht das einzige Gebäude, welches brannte. Der halbe Straßenzug stand in Flammen. Immer wieder hörte er Einschläge in der näheren Umgebung. Weiter die Straße hinauf sahen sie noch mehr dieser Kreaturen, die hinter panisch flüchtenden Menschen herliefen. Jeder, der nicht schnell genug entkam, sank reglos auf das Kopfsteinpflaster nieder.

Doch damit noch nicht genug. Vom anderen Ende der Straße kamen fünf Riesen langsam in ihre Richtung getrottet. Sie waren um die drei Meter groß, hielten gewaltige Keulen in ihren massigen Händen, mit denen sie alles kurz und klein schlugen, was in ihre Reichweite kam. Ein paar von ihnen warfen auf ihrem Weg parkende Autos wie Spielzeuge in die noch intakten Häuser.

Noch schienen die drei Freunde von niemandem bemerkt worden zu sein, jedoch waren beide Seiten auf der Hauptstraße versperrt. Es blieb also nur noch die schmale Seitengasse als Ausweg, die Tom nun entlangblickte.

Erst jetzt erkannte er Ben, der mit einer weiteren der kleinen Kreaturen rang. Der Türsteher überragte sein Gegenüber um Längen, welcher mit einem Dolch auf ihn losging, während Ben sich mit Händen und Füßen wehrte. Das war ihm bis dahin recht gut gelungen, denn neben ihm lagen zwei der Monster reglos auf dem Boden. Allerdings blutete Ben stark. Er schwankte heftig und war sichtlich außer Atem.

Tom rannte »Hier lang!«, schreiend zu Ben, das Schwert nach wie vor mit der rechten Hand fest umklammernd. Dieser wich einem Hieb der Kreatur aus, kam dabei jedoch ins Straucheln und fiel zu Boden. Das Monster holte zum finalen Schlag aus. Eine Klinge sauste durch die Luft und bohrte sich durch dessen Brust, wie durch Butter.

Das Blut rann schwarz und zähflüssig aus der tiefen Wunde. Tom war gerade noch rechtzeitig angekommen. Eine weitere Kreatur kam aus der Gasse gesprungen und Tom lief ihr entgegen. Er wehrte deren Schlag locker ab und konterte seinerseits mit einem Hieb gegen den Kopf. Der Schlag spaltete die Schädeldecke, woraufhin dunkles Blut in alle Richtungen spritzte, ehe das Monster tot zu Boden fiel.

Ben stöhnte vor Schmerzen, als Lucy bei ihm ankam. »Geht es dir gut?«, fragte sie ihn, immer noch bleich im Gesicht, während sie seine Wunden betrachtete.

»Halb so wild«, antwortete Ben mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Hat jemand eine Ahnung, was zum Teufel hier los ist? Ich war gerade auf dem Weg zum Rauchen, als ich Schreie hörte und plötzlich von diesen … diesen Viechern angegriffen wurde. Was sind das für Monster und wo kommen die plötzlich alle her? Und seit wann kannst du mit einem Schwert umgehen?«

»Ich habe nicht den geringsten Schimmer«, antwortete Tom. »Aber wir müssen von hier verschwinden, auf der Straße wimmelt es nur so von diesen Dingern.« Er sah sich auf dem Boden um und nahm ein Messer, sowie einen abgenutzten runden Holzschild auf, den die Kreaturen getragen hatten. Er gab Chris das Messer und Lucy das Schild. »Das werden wir vielleicht noch brauchen«, sagte er. Ben hob seinerseits ein langes Messer vom Boden auf. In diesem Moment krachte ein Auto in das Gebäude neben ihnen.

»Okay, lasst uns von hier verschwinden«, rief Ben. Die Gasse führte die vier auf einer langgezogenen Rechtskurve über das unebene Kopfsteinpflaster. Sie rannten um ihr Leben, Ben voraus, dicht gefolgt von den anderen. Sie erreichten das Ende der Kurve und Ben blieb mit einem Male abrupt stehen. Tom hielt neben ihm inne.

»Was ist?«, fragte Chris außer Atem, doch als er sie eingeholt hatte, sah er selbst, warum sie stehen geblieben waren.

Die Gasse führte noch gut 100 Meter weiter geradeaus und mündete dann in eine größere Straße. An der Kreuzung standen Dutzende der grünhäutigen Monster und scharten sich um einen groß gewachsenen Mann. Er trug eine dunkle, schwarzviolette Kutte, der den Kreaturen Befehle erteilte. Jedes Mal, wenn er mit seinem Arm in eine Richtung zeigte, rannten einige von ihnen dorthin. Schließlich fiel sein Blick auf die vier in der Gasse. Tom blickte sich um. Rechts von ihnen verlief eine gut drei Meter hohe Steinmauer, welche die dahinter liegende Brauerei umgab. Auf der anderen Seite war das Haus bereits in sich zusammengefallen. Der Kuttenträger lachte kurz auf, als er die Freunde erblickte. »Sieh an, weitere Opfer«, sagte er mit einer tiefen, grollenden Stimme, die Tom ein Schaudern über den Rücken laufen ließ. Es war beinahe so, als hallte dessen Stimme direkt in seinem Kopf wider.

Der Mann hob seinen Arm und die übriggebliebenen Kreaturen rannten mit wildem Gekreische auf sie zu. Hinter sich hörte Tom die schweren Schritte der Riesen bedrohlich näherkommen. Sie saßen in der Falle. Da er keinen anderen Ausweg sah, stellte sich Tom den Angreifern entgegen. Sein Atem ging schwer und sein Schwertarm begann zu zittern. Ben stellte sich, immer noch blutend, neben ihm auf. Lucy wurde von Chris hinter sich gedrängt. So warteten sie auf die heranstürmenden Bestien.

Die erste ankommende Kreatur griff direkt Tom an. Wieder verfiel er in eine Art Trance. Sein Atem beruhigte sich, sein Herzschlag wurde langsamer und war bald das Einzige, das er noch wahrnahm. Seine fließenden Bewegungen entstanden erneut ohne sein willentliches Zutun. Er parierte den Schlag der Kreatur geschickt und brachte sie im Gegenzug aus dem Gleichgewicht. Ben nutzte die Gelegenheit und stach zu. Er traf das Monster an der Schulter, woraufhin es laut aufschrie und ein Stück zurückwich. Da stürzte sich auch schon der nächste Feind auf Tom. Diesmal reagierte er zu spät und spürte einen stechenden Schmerz in seinem linken Oberarm, als das Messer die Haut und das Fleisch durchbohrte. Er taumelte einen Schritt zurück, so dass das Messer wieder aus der Wunde glitt. Blut verteilte sich auf dem Boden. In ihm wuchs ein leichtes Schwindelgefühl heran, doch es behinderte Tom kaum.

Das Monster holte erneut aus. Diesmal war Tom jedoch schneller, wich seitlich aus und stach seinerseits zu. Sein Schwert durchbohrte die Kehle seines Gegenübers. Gleich darauf zog er die Klinge wieder heraus und traf in einer fließenden Bewegung mit einem tiefen Stich die zweite, bereits verwundete Kreatur in der Magengegend. Beide fielen nahezu gleichzeitig tot zu Boden.

Tom fühlte sich wie in einem Rausch. Mit Stolz und Genugtuung betrachtete er die Ungetüme, die er gerade erledigt hatte. Kommt nur her, mich besiegt ihr nicht, dachte er. Tom fühlte sich nun wieder unbesiegbar.

Ein lauter Schrei riss ihn jäh aus seiner Überheblichkeit. Es war Lucys schrille Stimme, die die Luft durchbrach. Er drehte sich in ihre Richtung und erkannte sofort, was sie erschreckt hatte. Chris lag reglos auf dem Boden, während Blut aus einer tiefen Wunde in seiner Brust rann. Eine unbändige Wut packte Tom. Er rannte auf die Kreatur zu, die über Chris gebeugt stand, um ihr mit einem kräftigen Hieb den Kopf von ihren Schultern zu trennen. Dem letzten verbleibenden Gegner säbelte er, bevor dieser überhaupt reagieren konnte, seinen rechten Arm ab, ehe Tom ihn mit einem Stich direkt durch das Herz niederstreckte.

---ENDE DER LESEPROBE---