Deutschland zur See - Guntram Schulze-Wegener - E-Book

Deutschland zur See E-Book

Guntram Schulze-Wegener

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Beschreibung

Prägnant, fundiert und kenntnisreich: Das Buch gibt einen Überblick über die wechselvolle Marinegeschichte unseres Landes und beschreibt seine militärisch-politischen Zeitläufe, die zu großen Siegen und schweren Niederlagen auf See führten. Wissenschaftlich zuverlässig und auf dem Stand der neuesten Forschung, schildert dieser mit Abbildungen, Karten, Flaggen, Dienstgradabzeichen, Schlacht-Gemälden und Porträts opulent ausgestattete Band anschaulich Tatsachen und historische Zusammenhänge – und regt zugleich an, sich weiter in das spannende Thema Marinegeschichte zu vertiefen. Ein Standardwerk für den historisch interessierten Leser und den Liebhaber maritimer Sachbücher.

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Seitenzahl: 379

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GUNTRAM SCHULZE-WEGENER

Deutschland zur See

175 Jahre Marine

In Kooperation mit dem Deutschen Maritimen Institut und der Marine-Offizier-Vereinigung e.V.

UNSEREN AUF SEE GEBLIEBENEN MARINE-KAMERADINNEN UND MARINE-KAMERADEN

Ein Gesamtverzeichnis der lieferbaren Titel schicken wir Ihnen gerne zu.

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www.mittler-books.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über: http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8132-1037-8

© 2023 by Mittler im Maximilian Verlag GmbH & Co. KG

Stadthausbrücke 4, 20355 Hamburg

Ein Unternehmen der

Alle Rechte vorbehalten.

Bildnachweise Umschlag

Titelfoto: Klüverbaum des Segelschulschiffes Gorch Fock, Foto: picture-alliance/Sulupress.de/Joerg Waterstraat Umlaufende Bildleiste: Fregatte Niedersachsen und Hubschrauber „Sea Lynx“, Foto: Mediendatenbank/PIZ/Saskia Thieme; Hamburger Flottille, Foto: MOV/DMI; Kaiser Wilhelm II. und Prinz Heinrich von Preußen, Foto: MOV/DMI; Leichter Kreuzer Emden, Foto: Sammlung Autor; Schiffe der Standing NATO Maritime Group (SNMG) 1, Foto: Wikimedia/public domain; Segelschulschiff Niobe, Foto: Peter H. Block; U-Boot-Typ VII C, Grafik: Anneli Nau; Großadmiral Alfred von Tirpitz, Foto: Nicola Perscheid/Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz

Nicht bei allen Abbildungen konnten die Inhaber der Bildrechte ermittelt werden.

Der Verlag bittet freundlich um Kontaktaufnahme:

Maximilian Verlag, Stadthausbrücke 4, 20355 Hamburg

Layout: pusch:mann:schaft berlin

Dieses Buch enthält historische Fotos/Abbildungen aus der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, die Hakenkreuze beinhalten. Die betreffenden Fotos/Abbildungen dienen zur Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens und dokumentieren die wissenschaftliche Forschung. Diese Publikation steht damit gemäß § 86 (4) StGB im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben in der Bundesrepublik Deutschland. Wer solche Fotos/Abbildungen aus dieser Publikation kopiert und propagandistisch im Sinne von § 86 und § 86a StGB verwendet, macht sich strafbar.

Autor und Verlag distanzieren sich ausdrücklich von jeglicher nationalsozialistischer Gesinnung.

Abkürzungen

BMVg Bundesministerium der Verteidigung DMB Deutscher Marinebund DMI Deutsches Maritimes Institut EU Europäische Union MOV Marine-Offizier-Vereinigung MSM Marineschule Mürwik OHL Oberste Heeresleitung OKM Oberkommando der Kriegsmarine OKW Oberkommando der Wehrmacht OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa PIZ Marine Presse- und Informationszentrum der Marine PK Propaganda-Kompanie Skl Seekriegsleitung UN United Nations/Vereinte Nationen WEU Westeuropäische Union ZMSBw Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

INHALT

Impressum

Vorwort

Zum Geleit

Grußworte

Einführung

KAPITEL 1

Warum Deutschland heute Seeherrschaft ausübt

Die Welt, aus der wir kommen

KAPITEL 2

Die Reichsflotte

Preußische Marine und Marine des Norddeutschen Bundes

KAPITEL 3

Die Marine findet sich

Wilhelm II. und „seine“ Marine

Flottenbaumeister Alfred von Tirpitz

KAPITEL 4

„Kräfteausgleich“ und Handelskrieg mit U-Booten

Seekrieg über und unter Wasser

Skagerrak-Schlacht und „uneingeschränkter“ U-Boot-Krieg

Letztes Aufbäumen und Matrosen-Revolte

KAPITEL 5

Erste Jahre

Schiffe, neue Identität und Selbstbewusstsein

In williger Gefolgschaft

KAPITEL 6

Handelskrieg gegen England

Neue Operationsbasen

„Wolfsrudel“ im Anmarsch

„Berlin“ – „Rheinübung“ – „Cerberus“

Höhepunkt und Zusammenbruch

Untergang 1945

KAPITEL 7

Bundesmarine

Volksmarine

Deutsche Marine

KAPITEL 8

Auf dem Weg zu einer Werteordnung

Vorbilder und Traditionserlasse

Institutionen, Symbole, Brauchtum

KAPITEL 9

Deutsche Marine der Zukunft

Dank

Zeitstrahl

Literatur

Personenregister

VORWORT

FOTO: BUNDESWEHR/NICO THESKA

Vizeadmiral Jan Christian Kaack, Inspekteur der Deutschen Marine

am 14. Juni 1848 beschloss das erste frei gewählte deutsche Parlament in der Paulskirche in Frankfurt am Main die Aufstellung einer eigenen Flotte gegen die Blockade der deutschen Häfen durch dänische Kriegsschiffe und zum Schutz der eigenen Handelsschiffe. Das war die Geburtsstunde der Reichsflotte als erste gesamtdeutsche Marine der jungen Republik. Mit überwältigender Mehrheit einigten sich die Volksvertreter auf den Bau dieser Flotte und stellten dafür die damals sehr ambitionierte Summe von sechs Millionen Talern zur Verfügung.

Seit 1998 wird in der Deutschen Marine jedes Jahr dieser Tag als Geburtstag der Deutschen Marinen gefeiert. Zwei wesentliche Elemente bilden dabei die besondere historische Brücke von der Reichsflotte hin zu unserer heutigen Deutsche Marine. Beide Marinen unterstehen der parlamentarischen Kontrolle, und die Besatzungen der Schiffe dienen unter den Farben Schwarz-Rot-Gold, den Farben der bürgerlichen Revolution von 1848.

Bereits damals wurde die maritime Dimension der äußeren Sicherheit trotz der eigentlich kontinentalen Prägung Deutschlands erkannt und daraus der erste Auftrag für die Reichsflotte abgeleitet – die offensive Verteidigung und der Schutz des Handels über See. Auch das ist eine augenfällige Parallele, denn auch die Deutsche Marine von heute schützt die Küsten Deutschlands, die Küsten der Bündnispartner und beteiligt sich am Schutz der weltweiten Seehandelswege. Damit war die Reichsflotte damals, wie auch die Deutsche Marine heute, ein verlässliches und wirksames Instrument der Politik.

Die Notwendigkeit einer starken Marine in einem starken Bündnis ist uns besonders im letzten Jahr noch einmal klar vor Augen geführt worden. Insbesondere der 24. Februar 2022, der Tag des Überfalls Russlands auf die Ukraine, wird uns noch lange als eine Zäsur in Erinnerung bleiben. Eine Zeitenwende, die die internationale Sicherheitsarchitektur auf den Prüfstand stellt. Deshalb wollen wir die Deutsche Marine zukünftig konsequent am Maßstab einer effektiven Landes- und Bündnisverteidigung ausrichten. Das ist unsere historische Verpflichtung, und ich bin optimistisch, dass uns das mit unseren großartigen Männern und Frauen erfolgreich gelingen wird.

Nun aber lade ich Sie herzlich ein, durch die bewegte Geschichte der deutschen Marinen von 1848 bis heute zu reisen und unser 175. Jubiläum zu feiern. Bitte bleiben Sie der Deutschen Marine auch weiterhin eng verbunden!

FOTO: MOV/DMI

ZUM GELEIT

FOTO: MICHAEL EPKENHANS

Prof. Dr. Michael Epkenhans, apl. Professor für Neue Geschichte an der Universität Hamburg

EIN LANGER WEG

Aus der Mitte des Parlaments, der Frankfurter Nationalversammlung, brachten nach erfolgreicher Revolution im Jahre 1848 demokratisch gewählte Abgeordnete einen Antrag zur Gründung einer Marine ein. Nach kurzer Debatte stimmte die große Mehrheit der Abgeordneten diesem Antrag zu. Auch wenn die 1848/49 geschaffene Flotte im Zuge der Gegenrevolution verschwand und 1852 symbolträchtig versteigert wurde, ist der 14. Juni 1848 der Tag der Verabschiedung des Flottengesetzes, seit vielen Jahren der „Geburtstag“ unserer Marine. Er erinnert an die parlamentarische Verankerung einer Flotte, die sich demokratischen Prinzipien verpflichtet fühlte und deren Auftrag die Verteidigung Deutschlands war.

Doch so glatt, wie es den Anschein hat, ist die deutsche Marinegeschichte nicht verlaufen. Diese ist vielmehr auch ein Beispiel dafür, wie schwer sich die Deutschen auf ihrem Weg zur Herausbildung einer modernen, freiheitlichen Werten verknüpften Demokratie getan haben. 1848 dauerte es gerade einmal ein Jahr, bis die Fürsten diesem „Spuk“ mit Gewalt ein Ende machten. Nur wenig später ließen sie die ungeliebte Reichsflotte versteigern. Sie war ihnen schlichtweg zu teuer.

Damit begann zugleich die Zeit der „Irrwege“: Die Kaiserliche Marine verstand sich als Instrument einer Politik, die Deutschland zur führenden See- und Weltmacht im 20. Jahrhundert machen sollte, selbst wenn dies, wie am Ende des Ersten Weltkrieges, den eigenen Untergang zur Folge hatte. Aus dieser Perspektive war die Reichsmarine der Weimarer Republik für viele Marineoffiziere eine Zeit der Schwäche und Erniedrigung, die sie so schnell wie möglich überwinden wollten. Bereitwillig gingen sie daher ein Bündnis mit dem verbrecherischen NS-Regime ein, das einen neuen Weltkrieg vom Zaun brach und Deutschland in die Katastrophe führte.

Erst danach sollten die Deutschen und ihre Marine aus der Geschichte lernen. Im Bündnis mit den Alliierten bauten die „Gründerväter“ der jungen Bundesrepublik nicht nur ein stabiles, freiheitliches Gemeinwesen, sondern seit 1955 auch eine diesen Werten verpflichtete neue Marine, die Bundesmarine, auf. Gemeinsam mit den Marinen der NATO war diese bereit, die westliche Wertegemeinschaft gegen den Warschauer Pakt zu verteidigen, auch wenn dies bedeuten konnte, gegen eine andere deutsche Marine, die Volksmarine, zu kämpfen. Ein Glücksfall, die Implosion der Sowjetunion und ihrer Satelliten-Staaten infolge friedlicher Revolutionen, führte dann 1989/90 eine Zeitenwende und damit eine Vereinigung beider deutscher Staaten herbei.

Seitdem hat die Deutsche Marine, getreu den Prinzipien ihrer „Gründer“ von 1848 und 1955, sich in weltweiten Einsätzen zum Schutz von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten bewährt. Dass ihre Hauptaufgabe seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 wieder die Landes- und Bündnisverteidigung ist, gehört zu den bitteren Ironien der Geschichte.

Dr. Guntram Schulze-Wegener zeichnet diesen von manchen Irr- und Umwegen geprägten Weg von den demokratischen Anfängen 1848 bis heute kenntnisreich, ausgewogen und mit der gebotenen kritischen Distanz gut lesbar nach. Sein Buch ist zugleich eine Mahnung, die Bedeutung von Freiheit und Demokratie und die Notwendigkeit, diese Werte zu verteidigen, nicht zu vergessen.

FOTO: MARINEKOMMANDO

GRUSSWORTE

FOTO: KARSTEN SCHNEIDER

Konteradmiral a.D. Karsten Schneider, Präsident des Deutschen Maritimen Instituts

BEMERKENSWERTE KONTINUITÄTEN

Jubiläen sind Anlässe zur Erinnerung. Sie dienen dazu, sich der geschichtlichen Wurzeln zu vergewissern und Halt zu finden, während es heißt, die Gegenwart zu bewältigen und in die Zukunft zu blicken. Der Ausgangspunkt von 175 Jahren der Marinegeschichte Deutschlands ist ein leuchtender. Die Nationalversammlung, ein für damalige Verhältnisse demokratisch und frei gewähltes gesamtdeutsches Parlament, beschließt nach Beurteilung der militärischen Lage, eine Marine aufzustellen und die erforderlichen Gelder zu bewilligen. Diese Marine ist also eine Parlamentsmarine.

Was danach folgt, wissen wir. Die Formel von Kontinuitäten und Diskontinuitäten der deutschen Marinegeschichte bestimmt unser historisches Denken. Die Höhen und Tiefen dieser Zeit sind uns bewusst. Die Brüche sind schmerzhaft und notwendig – 1918 und insbesondere 1945. Sie überschatten dabei oft das Bleibende, von dem wir hoffen, dass es das Richtige ist, und wir aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben. In diesem Vertrauen darf uns das Jubiläum ermutigen, an die bemerkenswerten Kontinuitäten unserer Marinegeschichte zu denken.

Angesichts des Krieges vor unserer Haustür sei zunächst einmal an eine operative Kontinuität erinnert. Die Marine erfüllt den am längsten ununterbrochen bestehenden Auftrag deutscher Streitkräfte. Sie räumt seit dem 1. August 1914 Minen. Selbst von 1945 bis 1955 sind deutsche Seeverbände damit beschäftigt, weil diese Aufgabe maritimer Sicherheit weder mit dem Kriegsende noch mit dem Zusammenbruch des deutschen Staatswesens erledigt ist. Seit dem 2. Januar 1956 besteht die heutige Marine. Das sind 67 Jahre, so lange wie keine deutsche Marine vor ihr. Auch wenn man in den 1990er-Jahren die Bezeichnung ändert, ist es doch dieselbe Organisation geblieben mit der unveränderten Verfassungsgrundlage im Artikel 87a des Grundgesetzes: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“

Auf dieser Grundlage kehrt die Marine zurück zu ihrem Ursprung als Parlamentsmarine und hat diesen Charakter seither zu ihrer politischen Kontinuität gemacht. Ihre Aufträge haben den Segen des Bundestags. Dessen Mitglieder kommen selbst in den entlegensten Einsätzen an Bord. Um diese Aufmerksamkeit beneiden uns andere Marinen und Institutionen. Angesichts der Lage in Europa hat wieder ein gewähltes gesamtdeutsches Parlament, diesmal unter dem Begriff der „Zeitenwende“, die Gelder für eine verstärkte Landesverteidigung bereitgestellt.

Anders als vor 175 Jahren muss die Marine als ein Teil der Streitkräfte diese allerdings mit dem Rest der Bundeswehr teilen. Vertrauen wir darauf, dass die jetzt erforderlichen Weichenstellungen jenen Erfordernissen der deutschen und damit europäischen Sicherheit zur See Rechnung tragen, die sich seit 1848 als Kontinuum erwiesen haben. Dann darf man mit Zuversicht auf die Zukunft unserer Marine blicken.

FOTO: THORSTEN KÄHLER

Konteradmiral a.D. Thorsten Kähler, Vorsitzender der Marine-Offizier-Vereinigung e.V.

UNSERE MARINE IST TEIL DES GANZEN

Das Gedenken an die Gründung der ersten deutschen Marine vor 175 Jahren fällt heute anders aus als vor 15 Jahren, als wir in der Paulskirche zu Frankfurt im Vertrauen auf einen ewigen Frieden in Europa feierlich unserer Anfänge im Jahre 1848 gedacht haben.

Geschichte ist nach meiner Überzeugung kein vorhersagbares Kontinuum, sie hat auch kein Ende, sondern weist immer wieder Brüche auf. Kein Land in Europa ist in seiner jüngeren Geschichte so stark von diesen Brüchen geprägt worden wie Deutschland. Das spiegelt sich auch in unserer Marinegeschichte wider.

In diesen Brüchen, besonders in den Katastrophen zweier Weltkriege, sehe ich den Grund, warum viele Menschen im heutigen Deutschland allem Militärischen zunächst mit Skepsis begegnen und das 175-jährige Jubiläum der Gründung der ersten deutschen Marine wahrscheinlich nicht als besonderen Grund zum Feiern betrachten. Ausgeprägt sind dagegen die Angst vor neuem Krieg und der feste Glaube an eine Zeit, in der das „Miteinander reden“ über dem „Aufeinander schießen“ steht, in der es um die Sorge für das Wohl der Menschheit und nicht um das sinnlose Abschlachten in Kriegen geht, die Einzelne aufgrund persönlicher Macht- und Geschichtsfantasien immer wieder anzuzetteln bereit sind.Diese Mischung aus Angst und festem Glauben hat uns über viele Jahre blind gemacht gegenüber den Bedrohungen durch totalitäre Regime, die sich um unseren Kontinent und an anderen Orten auf der Welt aufgebaut haben. Der undenkbar geglaubte Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat uns schmerzlich die Augen geöffnet.

Streitkräfte sind ein Mittel zum Zweck der Politik. Sie sind heute in ihrem Auftrag durch unsere Verfassung legitimiert. Unsere Verfassung ist wertebezogen, Menschen- und Freiheitsrechte sind ein nicht veräußerbarer Teil unserer nationalen Identität und Souveränität geworden. Unser Land ist fest eingebunden in Bündnisse und die Solidargemeinschaft eines gemeinsamen Europas. Unsere Streitkräfte sind damit immer auch Bündnisstreitkräfte. Grundlage des friedlichen Zusammenlebens in Europa und in einer die Kontinente umspannenden Gemeinschaft gleichgesinnter Nationen ist das Eintreten für eine regelbasierte Weltordnung auf der Grundlage universeller Menschen- und Freiheitsrechte, in der gemeinsamer Wohlstand und eine lebenswerte Zukunft für unsere nachfolgenden Generationen möglich sind.

Deutschland ist ein Land, das nur über wenige natürliche Ressourcen verfügt, dafür aber über Erfindungsreichtum unserer Menschen. Diesen setzt unsere Industrie in Produkte um, die auf dem Weltmarkt gefragt sind. Deutschland verfügt über keine große Küste, aber über bedeutende weltweite Handelsbeziehungen. Handel ist die Grundlage unseres Wohlstandes und sichert unsere Zukunft. Handel kann auf Dauer nur in einem stabilen Umfeld und in einem System der Rechtssicherheit florieren. Der Erhalt von Rechtssicherheit und Souveränität bedarf geeigneter Mittel, einschließlich militärischer Machtmittel. Unsere heutige Marine ist Teil dieser Machtmittel. Sie ist politischer Ausdruck des Willens unseres Landes, für ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmtheit einen Preis zu bezahlen.

In diesem Verständnis lohnt es sich, gemeinsam mit Respekt auf die Gründung der ersten deutschen Marine unter den Farben Schwarz-Rot-Gold und die Geschichte der deutschen Marinen bis heute zurückzublicken.

FOTO: HEINZ MAURUS

Staatssekretär a.D. Heinz Maurus, Präsident des Deutschen Marinebundes e.V.

WIR SIND STOLZ AUF DIESE MARINE!

In diesem Jahr 2023 blicken wir zurück auf 175 Jahre deutsche Marinegeschichte, die gleichsam einen Spiegel der bewegten deutschen Geschichte von 1848 bis heute darstellt. Wie diese war die Entwicklung der deutschen Seestreitkräfte geprägt von Aufbruch und Rückschlag, Höhe- und Tiefpunkten, Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Dies alles wird in dem vorliegenden Buch anschaulich und prägnant geschildert.

Dagegen standen in früheren Zeiten meist nur die vermeintlich heroischen Taten der Marine in den beiden Weltkriegen im Mittelpunkt. Die Skagerrak-Schlacht, der Untergang des Schlachtschiffes Bismarck, der Einsatz der U-Boote – das waren die Ereignisse, die vor allem mit deutscher Marinegeschichte verbunden wurden. Doch wie Guntram Schulze-Wegener zeigt, gibt es noch viel mehr, das sich zu erzählen lohnt!

Von den 175 Jahren deutscher Marinegeschichte umfasst allein die Epoche der 1956 gegründeten heutigen Deutschen Marine mehr als ein Drittel. Anders als die meisten ihrer Vorgänger hat sie nie einen Krieg führen müssen. Vielmehr hat sie während des Kalten Krieges einen wesentlichen Beitrag zur Friedenswahrung in Europa geleistet. Darüber hinaus hat sie seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes vor mehr als 30 Jahren ihre Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse immer wieder unter Beweis gestellt. Ich als ehemaliger Marineoffizier denke, wir können und dürfen auf diese Marine stolz sein. Ebenso bin ich überzeugt, dass die Männer und Frauen unserer Marine auch in Zukunft alle vor ihnen liegenden Aufgaben und Herausforderungen meistern werden.

Seit nunmehr über 130 Jahren begleitet der 1891 gegründete Deutsche Marinebund die deutschen Marinen durch ihre wechselvolle Geschichte. Der Deutsche Marinebund selbst hat sich in dieser Zeit von einem reinen Veteranen-Verband zur größten maritimen Interessen-Vertretung Deutschlands gewandelt. Als „Das Bündnis für Mensch. Schifffahrt. Meer.“ bietet der Deutsche Marinebund heute allen mit dem Meer und der Seefahrt verbundenen Menschen ein Forum. Ebenso hat er sich die Förderung des maritimen Bewusstseins in Deutschland sowie die Bewahrung der deutschen Marinetradition und Marinegeschichte zur Aufgabe gemacht. Der deutsche Marinebund unterhält zudem weitgehend aus eigenen Mitteln das Marine-Ehrenmal in Laboe, die offizielle Gedenkstätte der Deutschen Marine und Erinnerungsort für die auf See Gebliebenen aller Nationen. Zugleich ist das Marine-Ehrenmal ein Lernort, der sich bewusst und kritisch mit der deutschen (Marine-)Geschichte auseinandersetzt. 1985 bemerkte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner vielbeachteten Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes: „Wer vor der Vergangenheit die Augen schließt, wird blind für die Gegenwart.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Ich wünsche diesem Buch, dass es viele Leser finden möge.

FOTO: OLAF RAHARDT

EINFÜHRUNG

FOTO: AUTOR

Der Autor: Dr. Guntram Schulze-Wegener, Herausgeber der Fachzeitschriften „Schiff Classic“ und „Militär & Geschichte“, Fregattenkapitän der Reserve

IM LICHT DER VERNUNFT

„Seefahrt ist nötig!“ Vielleicht denken die Abgeordneten der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche am 14. Juni 1848 an diesen international gültigen maritimen Leitsatz, als sie eine Entscheidung von wahrhaft historischer Dimension treffen: eine deutsche Marine zu gründen! Die Konstituierende Sitzung in dem Schwarz-Rot-Gold beflaggten Saal ist laut Protokoll von 9 Uhr bis 14:30 Uhr angesetzt. Sie soll aber erst um 11 Uhr begonnen und nur bis etwa 13:30 Uhr gedauert haben. Danach seien die Parlamentarier, ebenfalls laut Protokoll, „ziemlich erschöpft“ gewesen, was angesichts der Tragweite ihres Entschlusses keineswegs verwundert.

Sie sind es, die an jenem Tag das Startsignal für eine Marine geben, die zwar nur wenige Jahre existiert, aber als ein Symbol für die Einheit des Reiches nicht mehr wegzudenken ist. Es dauert über ein Jahrhundert, bis nach dem Scheitern der ersten deutschen Flotte eine neue unter den demokratischen schwarz-rot-goldenen Farben fährt. Geläutert von einer maritimen Vergangenheit mit ihrem gewaltsamen Streben nach Seemacht, deren historische Bedeutung nie mehr als eine bloße Behauptung ist, setzt die Marine der Bundesrepublik Deutschland nach Brüchen und Katastrophen ihrer Vorgängerinnen Maßstäbe für die Zukunft.

Auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, eingefügt in die westliche Solidargemeinschaft und feste Bündnisstrukturen gehören selbstkritisches Hinterfragen und Zweifel an hergebrachter Überlieferung zu ihren, den Ideen der Aufklärung verpflichteten geistigen Positionen. Wie keine deutsche Marine zuvor entfaltet sie eine dauerhafte vitale demokratische Energie und hat bei aller Pracht ihrer Erscheinung nie etwas Aufgesetztes, Effektheischendes. Ein fortlaufend unaufgeregter Evolutionsprozess macht sie schließlich zu dem, was sie heute ist: gemeinsam mit ihren Partner-Marinen ein Teil seeherrschaftlicher Größe auf den Weltmeeren! Dies war und ist keine Selbstverständlichkeit. Deutsche Seeherrschaft ist vielmehr das Ergebnis einer in Jahrzehnten erwiesenen professionellen, vertrauensvollen Zusammenarbeit.

Ein Blick in die wechselhafte maritime Geschichte Deutschlands von den Anfängen bis in die Gegenwart dient daher nicht nur dem Informationsgewinn, sondern auch der Vergewisserung, dass uns der lange, dunkle Weg aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zur See ins Licht der Vernunft geführt hat.

Dieses Buch, in seiner Grundform zum 150. Jubiläum der Marine 1998 und in einer überarbeiteten Version 2008 erschienen, ist völlig neu konzipiert und verfasst und sowohl gekürzt als auch erweitert. Bei allem Ändern und Neuverfügen ist Deutschland zur See eine chronologisch erzählte Ereignisgeschichte auf überschaubarem Raum geblieben, in dem 175 Jahre zeitlicher Abfolge eine steife Ordnung jedoch nur vortäuschen. Denn zwischen tausend Daten und Fakten ist Platz für Interpretation, Gedanken-Experimente und Anschluss-Fragen, um herauszupräparieren, was zum Verständnis unserer Marinegeschichte wichtig erscheint.

KAPITEL 1

SEEHERRSCHAFT IN DER DEUTSCHEN GESCHICHTE

„Den Frieden zu wahren, gerüstet zum Streit, mit flatternden Fahnen, im eisernen Kleid, so tragt, deutsche Schiffe, von Meere zu Meer, die Botschaft von Deutschland, den Frieden umher“

SINNSPRUCH IM BLEIGLASFENSTER ÜBER DEM EINGANGSPORTAL DER MARINESCHULE MÜRWIK

LEHREN AUS DER VERGANGENHEIT:

WARUM DEUTSCHLAND HEUTE SEEHERRSCHAFT AUSÜBT

Die beiden Großadmirale Alfred von Tirpitz und Erich Raeder würden staunen. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges findet im Oktober 2015 die große „At-Sea-Demonstration“ (ASD 15) statt, an der alles teilnimmt, was maritimen Rang und Namen in der NATO hat. Mit neun Zerstörern und Fregatten aus acht Nationen, darunter sechs Schiffe mit modernsten Waffensystemen zur Luftabwehr, operiert einer der größten Flottenverbände des neuen Jahrtausends in einer gemeinsamen Übung im Nordatlantik. Die Deutsche Marine, die an allen operativen Planungen führend beteiligt ist, stellt vier Stabsoffiziere und den Chef des Stabes und besetzt damit eine herausgehobene Position. Dies zeigt eindrucksvoll, dass die Marine Deutschlands als Bestandteil der westlichen Allianz zu einem geachteten, geschätzten und zuverlässigen Partner herangewachsen ist, der verantwortungsvolle, im Lauf der Jahrzehnte erweiterte Aufgaben übernimmt.

Da ist es unerheblich, dass die Deutsche Marine weder über Flugzeug- oder Hubschrauber-Träger noch über atomgetriebene U-Boote verfügt. Das würden die in klassischen see- und weltmächtigen Mustern verankerten ehemaligen Admirale der Kriegsmarine (Erich Raeder) und der Kaiserlichen Marine (Alfred von Tirpitz) freilich missbilligen. In ihrem Denken ist die Kraftentfaltung auf See untrennbar verbunden mit Größe und Zahl von Schiffen sowie modernster Technik. Erstaunt wären sie zudem über die Voraussetzungen, die zu dieser neuen historischen Rolle in der Welt geführt haben: Seit Deutschland nicht gegen, sondern mit den ehemaligen Gegnern zweier Weltkriege und anderen Nationen auf allen Ebenen zusammenarbeitet, übt das nach Lage, Tradition und Denkart kontinentale Binnenland im Zentrum Europas als Teil des stärksten Militärbündnisses Seeherrschaft aus. Die historische Mission scheint nach zwei vergeblichen Anläufen, die beide Großadmirale vorangetrieben und deren totales Scheitern sie vor der Geschichte mit zu verantworten haben, also geglückt.

FOTO: US NAVY/RANDY J. SAVARESE

Nur gemeinsam sind wir stark: Deutschland hat im Bündnis mit den NATO-Partnern die Lehren aus seiner maritimen Vergangenheit verinnerlicht. Rechts die Fregatte Rheinland-Pfalz (F 209) während einer internationalen Übung 2012 im Rahmen der Standing NATO Maritime Group 1 (SNMG 1) zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so anfällig für das „Seemacht-Konzept“ sind, findet seine Erklärung im rasanten Wandel der Welt mit all den darin liegenden Chancen.

WAS IST SEEHERRSCHAFT?

Die These, dass Deutschland heute, 175 Jahre nach Gründung seiner ersten Marine, über Seeherrschaft verfügt, verlangt nach Spurensuche. Was ist Seeherrschaft, wie zeigt sie sich? Was ist demgegenüber Seemacht? Worin liegen die Unterschiede? Und inwiefern sind diese Termini auf Deutschland in Vergangenheit und Gegenwart anwendbar? Nach allgemein gültiger Definition ist Seeherrschaft die mit Schiffen, Booten und Flugzeugen als maritimer Streitmacht eines Staates praktizierte militärische, politische oder wirtschaftliche Dominanz über einen möglicherweise vertraglich abgesicherten, in jedem Fall räumlich und zeitlich abgegrenzten Wirkungsbereich auf See sowie dessen Seewege. Die Größe von Seeherrschaft ist dabei eine Variable. Erstreckt sie sich auf einen sehr kleinen Geltungsbereich in Bündnissen oder in einem Krieg, spricht man von Seegeltung. So wird man mit Fug und Recht behaupten können, dass Deutschland mit seiner Marine in der Ostsee eine starke Wirkung und damit Seegeltung entfaltet, in größerem Rahmen im Mittelmeer beispielsweise oder im Atlantik an der Seite seiner Partner sogar Seeherrschaft.

Seemacht dagegen ist ein auf politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, militärischen, wissenschaftlichen, kulturellen und ideologischen Aspekten beruhendes Konzept, aus dem Seeherrschaft oder abgestuft Seegeltung in der Praxis erwächst. Wer Seeherrschaft aufbauen und erhalten will, braucht den gedanklichen Überbau. Und diesen Überbau bildet Seemacht als eine die länderspezifischen Fantasien anregende abstrakte, politisch intendierte und meist von Theoretikern und Politikern instrumentalisierte, die Menschen gleichwohl begeisternde Konstruktion ohne realen Wert und Nutzen. Denn der aus Ideen und Visionen angefüllte Kosmos steht zunächst für alles und nichts. Erst mit der durch Schiffe, Häfen und Ereignisse nachweisbaren und existierenden Seeherrschaft wird Seemacht gegenständlich. Warum die Nationen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so anfällig für das „Seemacht-Konzept“ sind, findet seine Erklärung im rasanten Wandel der Welt mit all den darin liegenden Chancen.

SEEMACHT IST GRAUE THEORIE

So nehmen alle Mächte die Zahl und Größe der Schiffe zum Maßstab ihrer Allgewalt auf See. Je stärker die Armada, desto ausgedehnter die Seeherrschaft und konsequenter der Wille zur See- und Weltmacht. Auch kleinere und zur See bislang unbedeutende Länder können derartige maritime Kräfte entwickeln, wenn sie die Kriterien erfüllen, die zum Willen zur Seemacht und daraus folgend zur praktischen Seeherrschaft unerlässlich sind: eine seestrategisch geeignete geografische Lage, schiffbare Küstenlinien mit weitem Hinterland zum Ausschöpfen von Ressourcen und Aufbau notwendiger Infrastruktur, ein ausgedehntes Staatsgebiet, eine beständig wachsende Bevölkerung mit einem ausgeprägten maritimen Bewusstsein sowie eine Regierung mit dem Willen zur (See-)Macht. Und nicht zu vergessen den Mut zum Kampf gegen Feinde, die vermutlich all dies nicht zulassen werden und deswegen politisch, wirtschaftlich oder militärisch direkt (Seeschlacht) oder indirekt (Blockade, Verdrängen) auszuschalten sind.

FOTO: MSM

Der Sieg des Hanse-Bundes über dänische Schiffe vor der Warnow-Mündung 1234 zeigt, dass die Hanse auch militärisch überlegen ist, Gemälde von Alex Kircher

Bemerkenswert ist, dass alle Mächte in der Geschichte über kurz oder lang bei dem Versuch scheitern, Weltmacht durch und über die See zu werden. Das gilt gestern wie heute. Den Grund liefert Mahan selbst. Keine von ihnen verfügt jemals dauerhaft über sämtliche Bedingungen und Mittel und kann sich daher nicht in die Lage bringen, die See global zu beherrschen und so den Erdball in seiner Gesamtheit zu „besitzen“. Seemacht drückt nur den Willen aus, vollkommene Seeherrschaft zu gewinnen. Zugespitzt formuliert ist Seemacht eine in den jeweiligen Forderungen und Wünschen ihrer Zeit liegende illusionäre Vorstellung. Zu Recht spricht der britische Marinehistoriker Julian Corbett (1854–1922) statt von Seemacht lieber von Seeherrschaft, die dazu dienen kann, für Handels- und/oder militärische Zwecke nutzbare Seeverbindungswege und einzelne Gebiete zu kontrollieren. Seeherrschaft mit ihrer Strategie (letztere nennt er „Some Principles“) ist nach Corbett immer vorübergehend, denn der Wirkungsraum selbst großer Flotten nimmt sich gemessen an den Weiten der Ozeane gering aus und wird Begehrlichkeiten anderer wecken, die ihn zu beschneiden suchen.

FOTO: UNIVERSITY OF MINNESOTA

Seeherrschaftliche Hanse: „Carta marina“ von Olaus Magnus von 1539 „mit Beschreibung der nördlichen Lande und der dort vorkommenden wunderlichen Dinge“

MARITIMER DOMINO-EFFEKT

Und die Deutschen? Wie jedes andere Land, so schöpft Deutschland sein maritimes Wissen und Bewusstsein, seine Kenntnisse und Erfahrungen aus der Vergangenheit und den See-Unternehmen anderer Völker. Vorbilder – positive wie negative – sind unentbehrlich. Diese Art von historischer Kettenreaktion mag eine Binsenweisheit sein, aber ohne die vielfältigen Errungenschaften der seefahrerisch exzellenten Wikinger und den regen Warenaustausch von Interessen-Gemeinschaften in Küstenstädten des Reiches um die erste Jahrtausendwende gibt es keine erfolgreiche Hanse. Ohne den wirtschaftlich, schiffbaulich und die Mentalitäten der deutschen Küstenbewohner prägenden Wert der Hanse oder die atemberaubenden Abenteuer im Zeitalter der Entdeckungen kann weder eine „Brandenburgisch-Afrikanische Kompagnie“ Friedrich Wilhelms von Brandenburg entstehen noch können eigene Seeherrschaftsinteressen herausgebildet werden. Man braucht Bilder und Vorbilder. Aber wie weit reichen sie zurück, wo liegen unsere maritimen Anfänge?

HISTORISCHE VORLÄUFER:

DIE WELT, AUS DER WIR KOMMEN

Seeherrschaft und Entwicklung von maritimem Denken im Altertum und Frühmittelalter sind für den geografischen Raum der heutigen Bundesrepublik nicht nachweisbar. Es gibt einige archäologische Zeugnisse von römisch-germanischen Kämpfen in der Nordsee und auf Flüssen, die Germanen-Stämme mit dem Seewesen in Berührung bringen, was aber ziemlich belanglos ist.

Karl der Große lässt Schiffe zur Küstenverteidigung bauen und setzt sie gegen Normannen, Dänen und maurische Piraten ein. Kaiser Otto III. und Friedrich I. Barbarossa, dessen Sohn Otto den Titel „Reichsadmiral“ führt, unterhalten in ihren Herrschaftsbereichen Kriegsflotten, die Seewege bis ins Mittelmeer sichern, wo Kämpfe mit Seeräubern überliefert sind. Unzweifelhaft ist dies ein Teil deutscher Seefahrtgeschichte, hat aber kaum Auswirkungen auf die praktische Politik.

Anders die Hanse des Mittelalters. Zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert beherrscht dieses effiziente, gewinnorientierte Wirtschaftsbündnis von fast 200 Küsten- und Binnenstädten den Fernhandel in Nordeuropa und steigt zur Supermacht auf. Das Schiff, die Kogge, ist Mittel zum Zweck, eine Art armierter Stückgutfrachter des Mittelalters und die Hanse ursprünglich nichts weiter als eine rein wirtschaftliche Vereinigung von Kaufleuten in Städten an der Nord- und Ostsee mit nur mäßiger Ausdehnung ins Landesinnere. Später führt das immer weiter verzweigte und tief nach Europas Mitte und Süden hineingreifende System der Hanse als gesamteuropäischer Zweckverbund sogar Kriege: nacheinander gegen Dänemark und Norwegen, die Niederlande, England, Dänemark, wiederum Norwegen und dann Schweden. Eine im engen Sinne deutsche Flotte freilich gibt es nicht, die Koggen segeln und kämpfen immer unter der Flagge des jeweiligen Stadtstaates. Möglicherweise geht die Gründung der Hanse auf das Jahr 1241 zurück, als sich Lübeck und Hamburg zusammenschließen, um gemeinsam Handel zu treiben und die Verbindungswege zu sichern, oder auf 1229, als aus demselben Grund Lübecker, Soester, Dortmunder und Bremer Kaufleute einen Vertrag mit dem Fürsten von Smolensk schließen. Plausibler für die zeitliche Einordnung aber ist der im 12. Jahrhundert allgemein aufblühende Warenaustausch mit Städten in Osteuropa.

GARANT POLITISCHER MACHT

Zentrum wird Lübeck, das seit 1226 als „Freie Reichsstadt“ nur dem Kaiser und keinem Fürsten untertan und daher unabhängig ist. In den Hansestädten bilden sich oligarchische Hierarchien neureicher Familien heraus, die Geschicke bestimmen nicht mehr Adel und Klerus, sondern Großkaufleute, die als Krönung ihrer Karriere nicht selten Bürgermeisteroder Ratsherrnämter versehen. Mit Wohlstand und wirtschaftlicher Macht, aber auch mit politischem Einfluss, steigt der Brotneid, der zu innerhansischen Interessen-Konflikten führt. Im äußersten Fall schließt man eine Stadt aus – so geschehen 1358 mit Brügge, das hansische Kaufleute zusätzlich zu besteuern versucht, doch dann zurückrudert, um nicht dauerhaft Schaden zu nehmen.

Ärger handeln sich auch die Dänen ein, die Mitte des 14. Jahrhunderts ihr Ostsee-Imperium wiederbeleben wollen. Die beiden Kriege gegen den dänischen König Waldemar IV. 1360 bis 1370, den alle hansischen Streitkräfte gemeinsam erfolgreich führen, gilt als Höhepunkt der Hanse, deren wirtschaftliche und politische Macht in Nordeuropa sie durch ihren Sieg eindrucksvoll bestätigt. Im Frieden von Stralsund ist Dänemark gezwungen, der Hanse umfangreiche Handelsprivilegien einzuräumen. Verlustreich hingegen ist das Unwesen der sogenannten Vitalienbrüder um Klaus Störtebeker und Gödeke Michels, die von Wismar und Rostock angeheuert werden und mit ihrem räuberischen Treiben in Nord- und Ostsee der Hanse schwer zusetzen. Mit ihrer Gefangennahme und Hinrichtung (oder Flucht?) zwischen 1400 und 1402 nimmt der Spuk allmählich ein Ende. Doch der Aufstieg von Territorialstaaten mit ihren eigenen Wirtschaftsgesetzen und der Dominanz des Kaufmannsgeschlechts der Fugger, beginnender Fernhandel nach Übersee sowie neue Konkurrenz auf dem Wasser – namentlich durch Engländer und Niederländer – bei zunehmender eigener Uneinigkeit leiten den Niedergang des Hansebundes ein. 1669 findet der letzte Hanse-Tag mit nur noch neun Abgesandten in Lübeck statt.

Hat die Hanse Seeherrschaft ausgeübt? Nimmt man die Formel zur Hand, erfüllt sie in der Tat alle Kriterien: Flotte, Basis und maritimer Spirit oder zumindest eine starke maritime Verbundenheit sind vorhanden, da die Bevölkerung der Hansestädte genau weiß, wem sie ihren Reichtum und den weit in das Binnenland reichenden Einfluss zu verdanken haben: dem Meer.

Im Weiteren wird sich zeigen, dass Deutschland nach der Seeherrschaftsformel nur zweimal in seiner Geschichte Seeherrschaft für sich in Anspruch nehmen kann: zur Zeit der Hanse als Bestandteil eines teamfähigen europäischen Phänomens und heute eingebettet in ein partnerschaftliches, mächtiges Bündnis mit einem in den Jahrzehnten seines Bestehens immer deutlicher ausgeprägten maritimen Spirit. 71 Prozent der Erde sind vom Meer bedeckt, 90 Prozent des weltweiten Warenumschlags geht über die Meere; daher haben wir verinnerlicht, ohne das Meer nicht leben zu können. Die Geschichte zeigt: Das sehr komplexe „System Seeherrschaft“ ist nur im Zusammenspiel mit starken Teilhabern und in Kooperation realisierbar, nicht im Alleingang, wie die erfolgreiche Hanse und die Deutsche Marine unserer Tage unter Beweis stellen.

EPOCHALE EINSCHNITTE

Ein Seitenblick auf die großen Entdecker offenbart neben den gängigen Motivationen Landnahme (Wikinger) und materieller Gewinn (Hanse) einen gänzlich neuen Aspekt maritimer Expansionen, nämlich den religiösen Missionierungsgedanken. Das Zeitalter der Entdeckungen soll hier nicht weiter betrachtet werden, weil es nicht in den „deutschen“ Wirkungsbereich fällt, obgleich auch Deutsche unter den Schiffsbesatzungen der großen Pioniere zu finden sind. Nur so viel: Der Zusammenhang zwischen überseeischen und europäischen Ereignissen ist eminent. So fällt der Vorstoß der Osmanen im Indischen Ozean zeitlich mit ihrem Vormarsch bis vor Wien zusammen, und das Mittelmeer verliert in dem Maß an Bedeutung, wie die atlantischen Völker das Steuer übernehmen und an Einfluss gewinnen.

Die von Spanien westwärts und Portugal südostwärts, nachher von Frankreich, England und den Niederlanden ausgeübte Seeherrschaft – die drei Punkte der Seeherrschaftsformel sind eingelöst – über gewaltige Seegebiete ist nur durch Verbesserungen in Nautik, Kartografie und im Schiffbau möglich. Man kann sich nun ohne Weiteres von den Küsten lösen und ins offene Meer steuern.

AUFTEILUNG DER WELT

Um Mitte des 16. Jahrhunderts sind die Weltmeere größtenteils erschlossen, der Übergang vom kosmozentrischen und anthropozentrischen Weltbild ist vollzogen, und es gibt Kolonien, an deren Gründung die Spanier und Portugiesen den größten Anteil haben. Sie gliedern die Welt mit päpstlichem Segen in den Verträgen von Tordesillas (1494) und Saragossa (1529) in einen östlichen (Portugal) und westlichen (Spanien) Teil, allerdings ohne die aufkommenden maritimen Größen England und Frankreich zu berücksichtigen. Spanier und Portugiesen machen lukrative Geschäfte in ihren Gewässern, was staatliche Freibeuter und Piraten auf den Plan ruft, schließlich vermehrt Engländer, Franzosen und Niederländer, die Flotten dagegenstellen.

Es ist kein Zufall, dass der Philosoph, Theologe und Rechtsgelehrte Hugo Grotius 1609 mit seiner Auftragsschrift De Mare Liberum eine erste rechtswissenschaftliche Grundlage für die uneingeschränkte Freiheit der Meere schafft. Sie scheint dringend angeraten, weil zu viele Mächte Besitzrechte beanspruchen und die Niederlande sich anschicken, die Weltmeere in großem Stil zu befahren. Grotius ist Niederländer.

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Buchmalerei aus dem Hamburger Stadtrecht von 1497 mit stark bewaffneten Schiffen, die den Handel der Hansestadt überwachen und schützen

Etwa zu der Zeit, als globale maritime Expeditionen die Erde umgreifen, England 1588 und die Niederlande 1607 Spaniens Vorherrschaft zur See brechen, sind die Deutschen auf Jahrzehnte in ihren beengten Verhältnissen zunächst mit sich und ihrem Glauben beschäftigt. Dänemark, Schweden, die Hansestadt Lübeck (die Hanse ist brüchig, existiert aber noch) und das Großfürstentum Moskau streiten bereits um ihre Vorherrschaft in der Ostsee, über die aktiver Handel getrieben wird, in den sich auch die Engländer und Niederländer einmischen. Kaiser Maximilian II. möchte die Küsten von Nord- und Ostsee mit einer Flotte schützen, doch die Pläne versanden. Dänemark und Schweden beherrschen die Ostsee (Dominium Maris Baltici), das Herzogtum Preußen zeigt allenfalls Wachsamkeit, indem es in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts einige Schiffe zur Abwehr eines möglichen schwedischen Angriffs bereithält.

Dass die Ostsee als Seekomplex für brillante Geschäfte und Hegemonial-Bereich politisch interessant bleibt, offenbart ihre Rolle im 30-jährigen Krieg. Albrecht von Wallenstein versucht, mehr als zehn Hansestädte für eine maritime Allianz gegen die Protestanten zu gewinnen, die in den Pakt jedoch nicht einwilligen. Einerseits fürchten sie die Rache der Schweden, und andererseits trauen sie der katholischen Liga nicht. Damit beraubt sich die Hanse selbst aller Chancen auf eine mögliche Wiederbelebung. Wallenstein schmiedet dennoch eine vom spanischportugiesischen Königshaus ausdrücklich befürwortete Flotte gegen Dänemark, Schweden und die Niederlande. Kaiser Ferdinand II. gibt sich nicht bescheiden, seinem Generalissimus verleiht er 1628 den wohlklingenden Titel „Generalkapitän der ganzen kaiserlichen Schiffsarmada zu Meer und des Ozeanischen und Baltischen Meeres General“ und ernennt ihn zum Admiral. „Zu Meer und des Ozeanischen und Baltischen Meeres“ heißt nichts weniger als Anspruch auf Nordatlantik, Nordsee und Ostsee in Abgrenzung zu den nach wie vor bestehenden spanisch-portugiesischen Herrschaftsräumen.

Dieser Anspruch steht im Gegensatz zu der von dem Universal-Gelehrten John Selden in seinem 1635 veröffentlichten Werk Mare clausum Sive de Dominio Maris geforderten weitläufigen englischen Gewässerhoheit um die britischen Inseln. Sekundiert wird Selden von den vor ihm wirkenden Sir Walter Raleigh, John Dee und Francis Bacon. Sie schreiben das aufstrebende englische Seewesen einer überwältigend weitsichtigen strategischen Idee zu und stilisieren es zu einer kulturellen Identität epochalen Ausmaßes, die das englische Selbstverständnis als „seegoing nation“ begründet.

Was als großer Entwurf zur Seeherrschaft im Norden unter dem Generalissimus gedacht und unter ungeheurem Aufwand mit Wismar als Flottenstützpunkt und Schiffen aus Polen teilweise materiell bereits umgesetzt ist, geht letztlich an den Schweden zugrunde. Sie behalten durch vorausschauende Bündnispolitik und staatliche Organisation ihrer Seestreitkräfte die Oberhand. Wallenstein, dessen Flaggschiff König David bei einer Aktion gegen die schwedische Küste zur Flucht in das neutrale Lübeck gezwungen wird und sich damit das eigene Scheitern rundheraus eingestehen muss, setzt hoch und verliert alles. Von seinen seeherrschaftlichen Ambitionen bleibt nichts. Wäre die Geschichte anders verlaufen, wenn Wallenstein mit Unterstützung der Hansestädte, Polens, Spaniens und Portugals eine große Nord- und Ostsee-Flotte aufgebaut und diese gegen Dänemark, Schweden und das an Selbstbewusstsein zunehmende England geführt hätte? Da er seine diesbezügliche Macht auf die Reste der Hanse, Spanien und Portugal stützen soll, die politisch und wirtschaftlich im Ableben begriffen sind, darf das bezweifelt werden. Außerdem hatte Wallenstein alles, aber keinen maritimen Spirit.

KURBRANDENBURGS TRÄUME

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Roter Adler: Flagge der Kurbrandenburgischen Marine 1657 bis 1701

Der 30-jährige Krieg begräbt alle deutschen Seeherrschaftsbestrebungen, während England sie intensiviert. Die 1637 vom Stapel gelaufene Souvereign of the Seas ist mit 100 Kanonen das größte Kriegsschiff der Welt und noch dazu ein prächtiges Symbol maritimen Gestaltungswillens, dem die Franzosen wenige Jahre später die Le Royal de Soleil mit 104 Kanonen entgegenstellen. Es dauert zehn Jahre, bis sich wieder etwas Deutsches auf dem Meer zu regen beginnt. Mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms von Brandenburg steigt in dem kriegsversehrten, bettelarmen Herzogtum Preußen und im Kurfürstentum Brandenburg das Begehren, durch Seehandel Geld zu verdienen. Die Hanse des Mittelalters, die große Zeit der Entdecker, das noch unverbrauchte maritime Engagement der Niederländer mit ihrer handeltreibenden Ostindien-Kompanie und natürlich die Engländer dienen als Modelle. „Der gewisseste Reichtum und das Aufnehmen eines Landes kommen aus dem Commercium her; Seefahrt und Handel sind die fürnehmsten Säulen eines Estats“ (Friedrich Wilhelm). Letztlich muss er seine Herrschaft über Außenhandelserfolge absichern. Aber wie? Für den Aufbau einer Flotte benötigt er die Mittel, und nach wie vor haben die Schweden das vertraglich abgesicherte Recht zu diktieren, wer die Ostsee befahren darf und wer nicht.

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Kurbrandenburgische Flotte: Links die größte und stärkste Fregatte Friedrich Wilhelm zu Pferde, im Hintergrund links außen Berlin, in der Bildmitte vorn die Große Yacht des Großen Kurfürsten, dazwischen Dorothea und Rother Löwe, rechts im Vordergrund Markgraf von Brandenburg, ganz rechts Churprinz

Einige Versuche hin zu einer regelrechten brandenburgischen Seehandelspolitik in Ost- und Nordsee verlaufen wegen der Stärke Schwedens und Dänemarks sowie aufgrund fehlender wirtschaftlicher und geografischer Voraussetzungen im Sand. Auch kann der Große Kurfürst nur auf wenige Mitstreiter zurückgreifen, die etwas vom Fach verstehen. Es verfestigt sich der Eindruck, als sei der Drang Brandenburgs nach Seegeltung in erster Linie ein rein persönliches Anliegen des Kurfürsten, der im Westfälischen Frieden Landmasse als Entschädigung erhält, aber keine für ein eventuelles maritimes Ausgreifen nutzbringenden Zugeständnisse. Es gibt keinen Grund für die Signatar-Mächte, einen möglichen Aufstieg Brandenburgs zur See zu fördern.

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Nach seiner Devise „Seefahrt und Handlung sind die fürnehmsten Säulen des Estats“ rüstet der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm eine Flotte zur Erkundung der Westküste Afrikas

EINE FLOTTE OHNE ZUKUNFT

Die Lage ändert sich mit dem Sieg Friedrich Wilhelms über die in Brandenburg eingefallenen Schweden bei Fehrbellin 1675. Die Nordeuropäer müssen ihre Vorherrschaft in der Ostsee aufgeben, sodass Preußen die dortigen Seewege frei nutzen kann. Die von dem niederländischen Reeder Benjamin Raule organisierte Flotte umfasst auf ihrem Höhepunkt 36 Schiffe, die zunächst Kaperkrieg gegen französische, hamburgische und spanische Schiffe führen, um gewaltsam vom Kaiser zugesicherte Gelder einzutreiben. Beherzt treibt der Kurfürst in seinem Land die dringend nötige Infrastruktur voran, es entstehen Magazine, Unterkünfte, „Admiralitäts-Kollegien“ in Berlin, Königsberg und Emden.

Er lässt staatseigene Schiffe bauen, statt sie zu mieten, errichtet die „Handelskompagnie auf den Küsten Guineas“ (Brandenburgisch-Afrikanische Kompagnie) mit dem Fort (Feste) Groß Friedrichsburg und weitere Stützpunkte, von denen aus das kleine Land einen vorübergehend florierenden Sklavenhandel unterhält und exotische Waren wie Gewürze, Kakao, Kaffee, Ingwer, Tabak und Früchte importiert. Nach obenstehender Definition darf man also mit einigem Recht von brandenburgischer Seegeltung sprechen. Der Kauf von neun Schiffen mit insgesamt 176 Kanonen am 1. Oktober 1684 ist sogar symbolischer Akt zur Gründung einer „Kurfürstlich Brandenburgischen Flotte“, der jedoch keine Zukunft beschieden ist und die im Übrigen die Engländer misstrauisch beäugen: Wohin steuern diese binnländischen Krautjunker? Pläne, den Handel über See auszuweiten, bleiben wegen Streitigkeiten mit Partnern in den Anfängen stecken, und Überfälle auf seine afrikanischen Besitzungen und Kaperungen von Schiffen zermürben die Handelspolitik Friedrich Wilhelms zunehmend, der 1688 stirbt. Sein Nachfolger Friedrich III. müht sich zwar redlich, das Erbe fortzuführen, verfügt aber nicht über das maritime Gen des Vaters und setzt andere Schwerpunkte.

Der Verfall ist nicht aufzuhalten. Und dennoch: Der Gedanke an Marine generell und an Seehandlung im Speziellen ist vorhanden, die Preußens Soldatenkönig, der Nachfolger Friedrichs III., erneut prüfen lässt. Seine Gutachter kommen aber zu dem Schluss, dass es gerade wegen des kostspieligen Faibles von Friedrich Wilhelm I. für Armee und seine „Langen Kerls“ besser ist, auf den Bau eigener Schiffe zu verzichten und sich auf das verbündete Ausland zu verlassen. Sein Sohn Friedrich II., aus dem „der Große“ werden wird, setzt Schiffe zum Schutz preußischer Häfen ein und lässt Kaperfahrten in Nordsee, im Kanal und selbst im Mittelmeer zu.

KLUGE HANDELSPOLITIK

Hoffend, dass Großbritannien als Verbündeter immer auch den preußischen Seehandel schützt, investiert der König in einen sehr lebhaften Ostasien-Handel. Die 1750 in Emden mit seinem Freihafen und der ersten preußischen Seemannsschule gegründete „Asiatische Handelskompanie“ lässt Ostfriesland aufblühen und spült zumindest vorübergehend Gewinne in Friedrichs Kriegskasse. Die „Seehandlungs-Sozietät“ ist mit überseeischem Verkehr gewinnbringend und bereitet Polen wirtschaftliche Schwierigkeiten durch 14 Einheiten, die von Stettin aus nach Frankreich, Spanien, West- und Südafrika, Nordamerika, West- und Ostindien laufen. Und der zwischen 1777 und 1784 gebaute Eiderkanal ist bis 1895 die einzige Schiffsverbindung zwischen Nord- und Ostsee, die den mühsamen Umweg um Kap Skagen erspart.

Das ist das Werk des „Alten Fritz“, der nach streng rationalistisch-ökonomischen Gesichtspunkten mit seinen Schiffen reine Wirtschafts- und Bündnispolitik betreibt, aber keine Seeherrschaftspolitik. Er weiß, dass sich Preußen schon aus Gründen seiner mangelhaften geografischen Lage und infrastrukturellen Brachlandschaft nicht als maritimer Faktor eignet. Es ist daher folgerichtig, dass Friedrich II., dessen ureigenstes Feld eine schlagkräftige Armee ist, in seinem Testament einem maritim geprägten Preußen eine klare Absage erteilt.

FOTO: SANKT JACOBI KIRCHE, HAMBURG

Florierender Handel mit „Convoy“-Schiffen der Freien und Reichsstadt Hamburg, Gemälde von Joachim Luhn (1681)

Königin Luises berühmten Worten, Preußen sei auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen eingeschlafen, ist zuzustimmen, denn auch auf der Seeseite bleibt es in Preußen bis auf Weiteres ruhig. Dabei führen der amerikanische Unabhängigkeitskrieg 1776 bis 1783, die erbitterten Seekämpfe zwischen England und Frankreich zwischen 1793 und 1805 und, praktisch vor der eigenen Haustür, die zwischen 1668 und 1746 zum Handelsschutz fahrenden kriegsmäßig gerüsteten „Convoy-Schiffe“ der Hansestadt Hamburg das Gewicht starker Flotten vor Augen. Für die preußische Passivität mag ausschlaggebend sein, dass die Koalitionskriege bis 1805 den Norden nicht erreichen. Dann erklärt Schweden Frankreich den Krieg und veranlasst Napoleon an der Nordflanke Europas zu Aktivitäten.

Der Pariser Vertrag setzt nicht nur Pflichten Preußens gegenüber Frankreich fest (zum Beispiel im Kriegsfall Hilfstruppen zu stellen), sondern nötigt die geschwächten Hohenzollern auch, ihre Küstengewässer für britische Schiffe zu sperren. Und dies nach den epochalen Seeschlachten von Aboukir (1./2. August 1798) und Trafalgar (21. Oktober 1805), welche die englische Seeherrschaft im Atlantik und im Mittelmeer bestätigen. Britannia, rule the waves! Wie nichts anderes wird dieser maritime Schlachtruf das britische Selbstverständnis in den folgenden Jahrzehnten bestimmen. England und das Meer bilden für ein Jahrhundert einen Kontinent für sich.

PREUSSEN WITTERT SEELUFT

Da ist es für die Preußen unklug, sich ausgerechnet das traditionell preußenfreundliche und seetüchtige England zum Feind zu machen. Gebietsschachereien mit Napoleon I. bringen das Fass zum Überlaufen. Der 11. Juni 1806, als England Preußen den Krieg erklärt und weltweit nicht weniger als 300 preußische Handelsschiffe aufbringt, ist daher ein Schlüsseldatum. Die Katastrophe wird mit der Blockade der Ostseehäfen durch Schweden komplett. Selbst als sich die Wogen wieder glätten, bleibt Londons Misstrauen gegenüber Berlin bestehen, dessen kopflose Politik binnen weniger Wochen das Erbe Friedrichs des Großen verspielt.

Ein weiteres maritimes Schlüsseldatum in der schwierigen deutsch-englischen Geschichte ist der 7. September 1807. England nimmt das seit 1712 in dänischem Besitz befindliche Helgoland ein und sichert sich damit eine exzellente geostrategische Position. Die Deutsche Bucht, die die Südoststrecke der Nordsee mit der Elbe-, Weser- und Jade-Mündung bildet, sowie die Zufahrt zu den beiden Hauptseehandelsplätzen Hamburg und Bremen sind von dort aus zumindest teilweise kontrollierbar. Ganz abgesehen von seiner Bedeutsamkeit als Plattform zur Flankendeckung für eine in See stehende oder ein- und auslaufende (deutsche) Flotte. Es ist nur zu verständlich, dass es für das Deutsche Reich später eine Handlung von größtem Staatsinteresse ist, das Hochsee-Eiland zu erwerben, was 1890 unter Verzicht auf koloniale Gebietsansprüche tatsächlich gelingt. Bis dahin bleibt Helgoland britisch.

Die schwedische Blockade von 1806 im Gedächtnis, überlegen die Preußen seit 1811 im Rahmen ihrer umfassenden Reformen, Seestreitkräfte zum Küstenschutz zu organisieren, zu deren Zweck Oberstleutnant Gustav von Rauch, der nachmalige Kriegsminister, einen Plan zum Bau von 16 Schiffen vorlegt. Kein Geringerer als Neidhardt von