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Als das Krokodil und Captain Hook wieder in meinem Leben auftauchen, bin ich dafür nicht in Stimmung. Und schlimmer noch, sie bringen sich unwissentlich in Gefahr, indem sie unter einem Namen nach mir fragen, der längst tot sein sollte. Jetzt muss ich nicht nur mich selbst, sondern auch die beiden Männer retten, denen ich geschworen habe, sie mit meinen bloßen Händen zu töten. Doch als ich mich zwischen Roc und Hook wiederfinde, muss ich eine Entscheidung treffen: Will ich mein Herz oder mein Leben riskieren?
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Seitenzahl: 260
Veröffentlichungsjahr: 2025
Nikki St. Crowe
(Band 1)
Übersetzt von Patricia Buchwald
Copyright © 2024. Devourer of Men: A Captain Hook, Crocodile, and Wendy Darling Reimagining (Devourer Series Book 1)
Published by Arrangement with Nikki St. Crowe
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,
30161 Hannover.
Deutschsprachige Ausgabe © 2025. DEVOURER OF MEN
VAJONA Verlag GmbH
Übersetzung: Patricia Buchwald
Korrektorat: Désirée Kläschen und Lara Gathmann
Coverumschlagsrechte liegen bei Nikki St. Crowe
Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
Teil der SCHÖCHE Verlagsgruppe GmbH
An alle, die denken, dass sie schwach sind.
Ihr seid es nicht.
Bildliche Sprache, Gewalt, elterlicher Missbrauch (physisch und psychisch), abfällige Sprache gegenüber Kindern, innere Kämpfe mit der sexuellen Identität / mit sich selbst aufgrund elterlichen Missbrauchs, bildlich dargestellte sexuelle Inhalte, Erwähnungen von Koma/Tod des Ehepartners, Trinken von Blut, Gefangenschaft, Unterwerfung, Selbstmord
Er war ein Mann mit unbezwingbarem Mut. Man sagte von ihm, dass das Einzige, wovor er zurückschreckte, der Anblick seines eigenen Blutes gewesen sei, das dick und von einer ungewöhnlichen Farbe war.
J.M. BARRIE
Ich bin schon sehr lange auf den Sieben Inseln – vielleicht länger, als ich mich zu zählen traue. Und doch ist es schon viele, viele Jahre her, dass ich einen Fuß auf die Insel gesetzt habe, die als Immerland bekannt ist.
Immerland gehört zu der Inselkette zwischen Lustland und Dunkelland, während Nimmerland im Norden liegt.
Was die Insel angeht, so hat sie schon immer mit ihrer Identität gekämpft. Sie will seriös und mächtig sein, aber unter der Oberfläche kämpft sie damit, ihren eigenen Erwartungen gerecht zu werden.
In all den Jahren, seit ich hier bin, scheint sie sich ihren bedauernswerten Trieben hingegeben zu haben.
Die Luft stinkt nach Ruß und Pisse und die Energie ist einfach weg.
Ich war so von meinem Krieg mit Peter Pan eingenommen, dass ich kaum aufgeschaut habe, um zu bemerken, wie sich die Sieben Inseln verändert haben.
»Aye?«, sagt die Hafenmeisterin und blickt zu mir auf. Ihre Brauen sind dünn und wölben sich über ihren großen Augen in einem ständigen Zustand der Besorgnis. Mehrere Risse in ihrer Tweedjacke sind mit karmesinrotem Garn zugenäht worden, wahrscheinlich passend zu ihrem leuchtend roten Haar. Um sie herum weht ein Duft, der mich an brennenden Salbei und Gewürztee erinnert.
»Wie bitte?«, frage ich, denn ich bin mir nicht ganz sicher, wo wir in der Unterhaltung sind.
»Wie lange?«, wiederholt sie, ihr Logbuch offen in der Hand, der Stift schwebt über dem Papier.
Ich werfe einen Blick auf mein Schiff, das auf halbem Weg am Dock anliegt. Meine kleine Schwester Cherry und eine Handvoll meiner Männer bleiben hier. Ich habe Cherry gesagt, dass sie auf den einzigen Ort aufpassen soll, den wir unser Zuhause nennen, aber eigentlich mache ich mir mehr Sorgen um die Sicherheit meiner Schwester an Land als auf See.
»Eine Woche für den Anfang«, antworte ich.
»Sehr gut.« Auf dem nächsten Dock schreien sich zwei Männer an, dann wird eine Pistole gezogen und eine Kugel abgefeuert. Die Hafenmeisterin ignoriert das und macht einen Vermerk in ihrem Buch.
»Was ist aus diesem Ort geworden?«, murmle ich.
Die Frau blickt durch die Fransen ihrer roten Haare zu mir auf. »Willst du die Wahrheit oder meine Meinung hören?«
»Gibt es einen Unterschied?«
»Die Monarchie«, sagt sie und klappt das Buch zu. »Überrannt von malos vermes.« Sie spuckt auf den verwitterten Steg.
Malos vermes. Böse Würmer. Immerland hat es noch nie gemocht, eine Hexe eine Hexe zu nennen. Wahrscheinlich, weil ihre Monarchie von Hexen gegründet wurde und sie deshalb ihre eigene Geschichte verdrehen müssen, um sich besser zu fühlen.
Von allen Inseln der Inselkette herrscht auf Immerland der meiste Aberglaube über das Böse. Als ich das letzte Mal hier war, hängten sie Pakete mit in Milch eingeweichten Disteln über ihre Fenster, in der Hoffnung, die vermes zu verwirren.
»Böse Würmer, sagst du? Also was ist es?«
»Hm?« Ihre Brauen sinken einen Hauch über ihre Augen.
»Deine Meinung oder die Wahrheit?«
Sie zuckt mit den Achseln und leckt das Ende ihrer Feder ab, um die Tinte wieder anzufeuchten. »Das macht dann hundert Frongs für die Woche.«
»Hundert! Du machst wohl Witze.«
»Wenn es dir nicht gefällt, kannst du auf eine andere Insel segeln.«
»Verdammte Scheiße.« Ich krame in der Tasche meiner Jacke und hole die geforderte Gebühr heraus. »Für hundert Stücke sollten diese Docks mit Gold gepflastert sein.«
Sie schnaubt und nimmt das Geld. »Beschwer dich bei der Königin, ja?«
Ich schenke ihr ein angespanntes Lächeln. »Das werde ich sicher tun.«
Jemand ruft ihren Namen und sie eilt davon und murmelt etwas von samtenen Dandys.
Ich werfe einen Blick auf meinen Samt-Gehrock und frage mich, warum ich ihn trage. Es ist ein feiner Winterland-Samt, der mich mehr gekostet hat, als ich zugeben möchte. Es sollte ein Statement sein. Eines, das sagt, dass ich respektabel und immer in guter Form bin.
Mein Vater hat mir dieses Gefühl schon in jungen Jahren eingebläut. Wir müssen immer als überlegen wahrgenommen werden.
Aber das funktioniert nur, wenn es jemanden zu beeindrucken gibt. Hier schreit er nur: »Hallo. Ich bin leicht zu berauben.«
Grummelnd ziehe ich an den Aufschlägen, um die Jacke zu richten, und mache mich auf den Weg zum Dock.
Der Hafen Nummer drei ist für Reisende, also haben es die Leute nicht eilig und viele von ihnen sind betrunken.
Ich mache mich auf den Weg ins Herz der Stadt South Avis. Avis liegt direkt an der Außenmauer des Immerland-Schlosses und von ihrem Aussichtspunkt aus kann man seine vielen Türme sehen, die aus der Horizontlinie herausragen. In der Abenddämmerung ist es zu dunkel und zu bewölkt, um viel zu sehen, aber ich bin ja auch nicht wegen der Monarchie hier.
Smee hat bestätigt, dass Wendy zuletzt im Immerland-High-Tower-Gefängnis am östlichen Rand von Avis festgehalten wurde, wo die felsige Küste und die salzigen Meereswellen es fast unwirtlich machen. Nach all den Jahren, die vergangen sind, seit Peter Pan Wendy auf Immerland zurückgelassen hat, bezweifle ich, dass sie noch dort ist. Es ist unmöglich, dass jemand den Turm so lange überleben würde.
Aber das wirft eine Frage auf: Wenn sie nicht länger eine Gefangene ist, warum hat sie dann keine Nachricht geschickt? Warum ist sie nicht nach Nimmerland zurückgekehrt?
Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich diese Antworten haben will. Am besten ist es, man lässt die Fragen im Verborgenen. Ich brauche jedoch einige Informationen, bevor ich einen Plan entwerfen kann.
Auf der Hauptstraße abseits der Docks herrscht eine Kakophonie aus klappernden Pferdehufen, Zeitungsjungen und Straßenverkäufern, die ihre Waren anpreisen. Die Luft riecht nach gerösteten Erdnüssen und Pferdescheiße.
Die Erdnüsse lassen mich sofort an ihn denken, meinen Todfeind, und ich entferne mich so schnell ich kann von dem Geruch.
Eine Kutsche rattert vorbei und ich warte an der Straßenecke, bis sie vorbeifährt. Hier gabelt sich die Straße in drei Richtungen. Ich will in die Second Street, wo die Straße zum Stadtteil ansteigt, der als UpHill bekannt ist. Dort sollte es viele Zimmer zu mieten geben und viele Betrunkene in Kneipen mit losen Zungen.
Als der Hügel ansteigt und die Straße eine Ebene bildet, entdecke ich ein überhängendes Schild für ein Gasthaus namens The Royal Suit. Oben auf dem Schild ist ein rotes Herz handgemalt, um das sich dornige Ranken winden. Der Innenraum ist voll. Lachen, Feiern, Trinken und Herumtollen erfüllt den verrauchten Raum. Niemand schenkt mir einen zweiten Blick.
Ich gehe zum Tresen und werde von einer Frau begrüßt, die halb so alt ist wie ich und ein hochgeschlossenes Jackett mit einem aufgenähten roten Herz auf der Brust trägt.
»Abend«, sagt die Frau ein wenig abgelenkt. Sie hat sich ein Handtuch über die Schulter geworfen und ein leeres Tablett unter den Arm geklemmt. »Kann ich dir etwas bringen?«
»Ein Zimmer, wenn du eins frei hast.«
»Natürlich.« Sie stellt das Tablett beiseite und kramt einen dicken Wälzer hervor, in der Mitte steckt ein Lesezeichen. Es ist ein Verzeichnis der Gäste und Zimmer. »Name, Sir?«
»Captain James Hook.«
Sie trägt meinen Namen ein, holt einen eisernen Schlüssel und gibt ihn mir. »Das Zimmer ist da hinten. Nummer elf, Sir. Das Abendessen wird um halb sieben serviert. Du hast es heute Abend schon verpasst, aber ich kann dir einen kalten Teller bringen, wenn du hungrig bist. Es ist Hirschgulasch. Übrigens, ich bin Mills. Die Köchin und Gastwirtin.«
»Es ist mir eine Freude, dich kennenzulernen. Ich warte gerne bis zum Abendessen morgen, aber danke für das Angebot.«
Ein Mann ruft den Namen der Frau und sie stößt einen verärgerten Atemzug aus. »Wenn das alles ist?«
»Ja. Danke.«
Es gibt eine Seitentür in der Taverne, die mich in die Gasse und nach hinten führt, weg von der belebten, lauten Straße. Ich finde Zimmer Nummer elf, drehe den Schlüssel im Schloss und höre, wie sich der Riegel innen öffnet.
Die Tür knarrt, als ich sie aufschiebe. Es ist nicht so groß wie mein Zimmer zu Hause und der erste Anflug von Sehnsucht überkommt mich überraschend.
Ich kann nicht nach Hause gehen.
Ich habe kein anderes Zuhause als mein Schiff.
Peter Pan hat das deutlich genug gemacht.
Es gibt drei Fenster – zwei auf der Vorderseite und eines auf der Westseite des Zimmers, das einen kleinen Garten zeigt. Das Bett ist ein Doppelbett mit einer durchgelegenen Matratze und einer hauchdünnen Bettdecke. Es steht zwischen zwei Nachttischen, auf denen jeweils eine Lampe steht.
Wasser tropft aus einem Wasserhahn im Waschraum. Vor einem der Fenster steht ein runder Tisch. Ich ziehe den klapprigen Holzstuhl darunter hervor und setze mich. Jetzt, wo ich mich ausruhe, kann ich das Echo der Meereswellen in meinen Beinen spüren.
Ich lehne mich gegen die Stuhllehne, schließe die Augen und atme tief ein. Was ist, wenn ich Wendy Darling nicht finden kann?
Was, wenn sie nicht gefunden werden will?
Oder noch schlimmer – was, wenn er sie zuerst findet?
Unmöglich. Ich habe ihn auf Nimmerland bewusstlos zurückgelassen und hatte einen großen Vorsprung.
Das Krokodil kann mich hier unmöglich besiegen.
Vielleicht wird er gar nicht kommen.
Vielleicht werde ich ihn nie wiedersehen.
Mein Bauch krampft sich bei dem Gedanken zusammen.
Es sind sieben Tage vergangen und ich habe ein halbes Dutzend Tavernen besucht und unzählige Münzen ausgegeben, um die Lippen der Einheimischen zu schmieren und einen Happen an Informationen zu bekommen. Jeden Happen.
Und was habe ich vorzuweisen?
Nichts.
Niemand hat je von Wendy Darling gehört.
Niemand hat einen Kontakt innerhalb des Towers oder der Gefängniswachen.
Ich renne gegen Wände.
»Guten Abend, Captain«, ruft Mills, als ich am Eingang der Taverne vorbeikomme und zur Rückseite gehe. Sie steht an einem der Zaunpfosten und klopft mit einem geriffelten Stock einen Teppich aus. Staubwolken liegen in der Luft. Schweiß klebt an einigen Strähnen ihres dunkelbraunen Haares.
»Guten Abend, Ma’am.«
»Mills«, korrigiert sie.
»Natürlich.« Ich lächle sie an und laufe weiter. Obwohl es noch nicht einmal Abendbrotzeit ist, brummt mein Kopf und meine Sicht ist verschwommen, nachdem ich auf Geheiß von Big Billy Green drei volle Gläser Immerlandwein getrunken habe.
Trotz seines Namens war Big Billy eine ganze Hand kleiner als ich, aber er trank, als wäre er doppelt so groß.
Big Billy Green kann vielleicht nicht über hohe Felsvorsprünge sehen, aber er kann die Flaschen von jedem einzelnen Mann trinken.
Ich hatte gehört, dass er Smee kannte, was mich zu der Annahme brachte, dass er Wendy kennen könnte.
Aber auch er war eine Sackgasse.
Ich stapfe zu meiner Tür, ziehe den eisernen Schlüssel aus meiner Tasche, schlinge den Ring um das Ende meines Hakens und drehe ihn dann, während ich nachdenke.
Vielleicht gehe ich die Sache falsch an.
Wie viele Jahre ist es her, dass ich Wendy das letzte Mal gesehen habe?
Wie alt wäre sie jetzt?
Auf der Inselkette altert niemand so wie die Sterblichen, aber die Magie einer jeden Insel ist ein bisschen anders. Auf Nimmerland ist niemand gealtert. Wenn ich mich richtig erinnere, ist die Alterung auf Immerland nicht allzu weit von der Alterung der Sterblichen entfernt.
Bei dem Gedanken dreht sich mir der Magen um.
Was ist, wenn Wendy schon tot ist?
Was wäre, wenn –
Auf meiner Treppe knirscht etwas auf dem Stein unter meinem Schritt.
Ich hebe meinen Stiefel an und finde eine Ansammlung zerbrochener Erdnussschalen.
Die Luft gefriert in meiner Lunge und Eis füllt meine Adern.
Nein.
Ich drehe mich um, mein Herz schlägt in meinen Ohren.
Aber es ist niemand da.
Nur Mills, die weiter unten ihren Teppich ausklopft.
Schlag. Schlag.
Das Echo der Pferdehufen von der Straße unten am Hügel vermischt sich mit den Stimmen, die aus den offenen Fenstern im hinteren Teil der Taverne dringen.
Wo bist du, Krokodil?
Ein Windhauch weht durch den Hof und ein Blätter rauschen über das Kopfsteinpflaster.
Wartet er in der Taverne auf mich?
Schatten ziehen an den offenen Fenstern vorbei, aber ich kann keines der Gesichter ausmachen.
Ich fühle mich ungeschützt, verletzlich. Das war doch genau seine Absicht, oder?
Mein Gesicht erhitzt sich, wenn ich daran denke, dass er mich beobachtet.
Scheiß drauf und scheiß auf ihn. Er verhöhnt mich. Darauf falle ich nicht herein.
Ich stecke meinen Schlüssel ins Schloss und dränge mich in mein Zimmer, bevor ich es mir anders überlege.
Was ist, wenn er drinnen wartet?
Ich schwinge meinen Haken wie eine Waffe, die andere Hand am Kolben meiner Pistole, schaue hinter der Tür nach und schleiche dann in den Waschraum.
Es ist niemand da.
Ein lautes Gelächter ertönt aus der Taverne und lässt mich zusammenzucken. Es folgt das Klopfen von Bierbechern auf massiven Holztischen.
Mit der Stiefelspitze schlage ich die Tür zu und schiebe den Riegel vor. Dann ziehe ich einen der Stühle in die Mitte des Raums und setze mich mit Blick zur Tür, die Pistole im Schoß.
Wenn er kommt, jage ich ihm eine Kugel direkt zwischen die Augen.
Es kommt mir vor, als säße ich schon seit Stunden auf diesem verdammten Stuhl, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe die Uhr aus dem Fenster geworfen, als ich hierherkam. Alles, was ich weiß, ist, dass es hinter meinem Zimmer dunkel und der Trubel in der Taverne abgeklungen ist.
Minuten, Stunden, und kein Krokodil.
Ich gehe eine Weile in meinem Zimmer umher und versuche, meine Strategie zu entwerfen, während ich seine errate.
Was ist, wenn er Wendy bereits gefunden hat und zu ihr gegangen ist?
Was ist, wenn die Erdnussschalen nur ein Trick waren, um mich aufzuhalten?
Ich gieße mir einen Drink ein, mein Rücken schmerzt vom ständigen Laufen.
Mit dem Glas in der Hand setze ich mich wieder hin und nehme einen tiefen Schluck. Der Alkohol vertreibt das Frösteln in meinem Bauch, aber er hilft nicht gegen das verknotete Nervengeflecht.
Ich bin erschöpft, meine Augenlider sind schwer. Aber ich werde die ganze Nacht aufbleiben, wenn es sein muss.
Ich leere das Glas, stelle es dann neben mir auf den Boden und ziehe die Pistole wieder heraus.
Ich fühle mich besser, wenn der Abzug in greifbarer Nähe ist.
Meine Augen fallen zu und ich werde eine Sekunde später wach.
»Du siehst lebendig aus«, murmele ich vor mich hin, als ob der Klang meiner eigenen Stimme die Müdigkeit vertreiben könnte, die mich zu übermannen droht.
Wie lange noch bis zum Morgengrauen? Vier Stunden? Sechs?
Verdammt noch mal, wenn ich Uhren nur nicht so verdammt hassen würde.
Ich blinzle noch einmal, als die Erschöpfung mich beinahe in die Tiefe zieht.
Ich kann es schaffen. Ich muss es schaffen.
Aber ich bin ein Narr, weil ich so denke.
Das Zimmer des Captains zu betreten, ist gar nicht schwer.
Mills, die Gastwirtin, gab mir nur zu gerne einen zusätzlichen Schlüssel, als ich ihr sagte, dass ich meinen besten Freund, Captain James Hook, überraschen wollte.
»Er sah aus, als bräuchte er einen«, sagte Mills. »Einen Freund, meine ich.«
»Du hast ja keine Ahnung«, antwortete ich.
Als ich sein Zimmer betrete, finde ich ihn schlafend in einem klapprigen Stuhl vor, die Pistole schlaff in der Hand. Es ist noch nicht einmal Geisterstunde. Die Nacht ist noch jung.
Ich lasse die Tür offen, gehe zu ihm hinüber und beuge mich hinunter. Es ist nur ein Fuß Abstand zwischen uns.
Ich atme ein und der Duft von Piraten steigt mir in die Nase. Rum und Gewürze und alte Zigarren.
Sein Mund ist leicht geöffnet, die gleichmäßigen Atemzüge des Schlafes kommen über seine Lippen.
Er hat sich in den Tagen, seit er mich verlassen hat, rasiert.
Warum?
Er sieht um die Hälfte jünger aus. Weniger verwegener Pirat, mehr Kaufmannssohn, der vorgibt, etwas anderes zu sein.
Vielleicht versucht er, sich vor mir zu verstecken, als ob ein Biest wie ich ihn in der Dunkelheit nicht erkennen würde.
Ich spüre ein merkwürdiges Gefühl in meiner Brust, ein stärker werdendes Pochen meines Herzens.
Als ich hierhersegelte, überlegte ich mir, wie ich Captain Hook zum Schreien bringen könnte. Aber jetzt, wo ich vor ihm stehe, scheint ein Schrei nicht ganz so befriedigend zu sein wie ein Jammern.
Vielleicht spiele ich zuerst mit ihm. Vielleicht werde ich es genießen.
Leise ziehe ich den anderen Stuhl unter dem Tisch am Fenster hervor und lümmle mich drauf.
Der Captain bewegt sich nicht.
Auf dem Nachttisch leuchtet noch eine Öllampe, die den Raum mit schwerem, flackerndem Licht erfüllt.
Ich ziehe eine Handvoll Erdnüsse heraus, knacke eine auf und warte.
Um Mitternacht kommt er wieder zu sich.
Seine Wimpern flattern gegen seine Wangen und dann richtet er sich auf und streckt seine Beine aus. Ganz allmählich scheint er sich daran zu erinnern, dass er vor sehr furchterregenden Biestern auf der Hut sein sollte, und springt auf.
Als er mich auf der anderen Seite des Raumes sieht, übernimmt sein Instinkt die Kontrolle. Er hebt die Pistole und drückt ab.
Die Kugel schlägt knapp über meiner Schulter in der Wand ein und der Putz rieselt auf den Boden.
»Du hast mich vermisst, Captain«, sage ich und werfe eine Erdnussschale auf den Boden. »Ich habe dich auch vermisst.«
Er ist blitzschnell auf den Beinen, und weil er ein bisschen betrunken und verwirrt ist, weiche ich ihm einfach aus.
Ich bin auch schneller. Ein uraltes, übernatürliches Monster zu sein, hat einige Vorteile.
Er dreht sich um und macht große Augen. »Du«, sagt er.
»Ich«, antworte ich, werfe mir eine Erdnuss in den Mund und rede mit vollem Mund. »Hast du jemand anderen erwartet? Mach mich nicht eifersüchtig, Captain.«
Er stürmt wieder auf mich zu und ich lasse zu, dass er mich in seinen Armen einschließt.
Er zerrt mich zurück und ich stoße mit einem übertriebenen Schwunggegen die gegenüberliegende Wand. Er drängt sich an mich.
Sein Atem ist heiß, seine Augen sind groß und blutunterlaufen. »Ich werde dich umbringen.«
Ich lache ein wenig. »Das sagst du immer wieder.«
»Hör auf zu grinsen, verdammt!«
»Vielleicht solltest du versuchen, mehr zu grinsen, Captain.« Ich zeige ihm meine Zähne. »Vielleicht gebe ich dir einen Grund zu grinsen.«
Er schnaubt verächtlich und setzt die scharfe Spitze seines Hakens an meiner Kehle an. Er gräbt sie in mein Fleisch, durchbohrt die Haut, und als die erste heiße Blutspur an die Oberfläche kommt, bin ich hart.
Mein Herz rast in meinen Ohren, mein Magen schwankt und ich liebe es.
Wird er mich umbringen?
Der Tod mag die Schwester des Abenteuers sein. Das Herz pocht sicherlich genauso.
»Mach schon«, sage ich ihm. »Vergieß mein Blut und schau, was passiert.«
Was wird passieren? Ich weiß es nicht. Aber ich bin gespannt darauf, es herauszufinden.
»Du hast mich angelogen«, spuckt er aus.
Er bezieht sich auf Wendy Darling.
»Du hast mich verlassen«, erwidere ich.
»Ich hätte dich töten sollen, als du bewusstlos warst.«
Ich schnalze mit der Zunge. »Und was hätte dein Vater davon gehalten? Einen Mann zu töten, während er bewusstlos unter deinem Dach liegt? Schlechtes Benehmen, Captain.«
Er knirscht mit den Zähnen und lehnt sich mit seinem ganzen Gewicht gegen mich, um den Haken tiefer in meinen Hals zu drücken. Aber jetzt, wo er näher ist, ist die Beule zwischen meinen Schenkeln nicht zu übersehen.
Ich lächle wieder.
Die ganze Farbe weicht aus seinem Gesicht.
Die Anspannung weicht aus seinem Körper und er taumelt zurück.
So ist das also.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich enttäuscht oder erfreut bin, einen wunden Punkt gefunden zu haben. Ich war gerade auf Entdeckungsreise und habe mich für die erste, offensichtlichste Lösung entschieden.
Der Captain hat eindeutig Vaterballast, den er anpacken muss.
Den habe ich auch, wenn ich ehrlich bin. Ich ignoriere meinen nur besser. Vane und ich, wir beide. Wir wuchsen als die Dunkelland-Elite auf, die mit einer Lüge gefüttert wurde. Wir mögen gefräßige Tiere sein, aber es gibt Dinge, die wir nicht schlucken können.
»Halt die Klappe«, sagt der Captain schlaff.
»Wozu soll das gut sein?«
Er sackt in seinem Stuhl zusammen, immer noch ein wenig verwirrt, vielleicht ein wenig besiegt.
Das Unbehagen in meiner Brust … Ist es das, was man unter Schuld versteht?
»Captain«, sage ich.
Er blinzelt zu mir hoch. Sein dunkelbraunes Haar ist zerzaust, ein bisschen trocken und wellig von der salzigen Seeluft. Er ist müde und erschöpft und ja, das könnte meine Schuld sein. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben Schuldgefühle gehabt, außer als meine Schwester starb.
Ich gehe zum Tisch, gieße einen Schuss Rum ein und reiche ihn ihm. »Trink.«
Mit einem vorsichtigen Funkeln in den Augen betrachtet er das Glas und schaut dann auf die Flasche hinter ihm.
»Ich kann dir versichern, Captain, wenn ich dich tot sehen wollte, würde ich dich einfach essen. Jeden leckeren kleinen Bissen.«
Schnaubend nimmt er das Angebot an und kippt den Rum runter. Er verzieht das Gesicht wegen des Brennens und fährt sich dann mit den Fingerknöcheln über den Mund, um die überschüssigen Tropfen wegzuwischen.
Was für schöne, feuchte Lippen.
In meinem Bauch pocht es und ich wünschte, ich könnte es mit etwas anderem als Verlangen verwechseln.
Jetzt ist nicht die Zeit zum Ficken und doch …
»Was machst du hier?«, fragt er schließlich.
»Eine sehr dumme Frage, wenn du die Antwort genau kennst.«
Das Glas neigt sich in seiner Hand, also nehme ich es ihm ab.
»Sie ist nicht hier«, sagt er. »Ich habe tagelang nach einem Hinweis gesucht und niemand hat von ihr gehört.«
»Vielleicht suchst du an den falschen Stellen und stellst die falschen Fragen.«
Er runzelt die Stirn und blickt mich finster an. »Ich weiß, wie man verdammte Fragen stellt.«
Ich ziehe meinen Stuhl in die Mitte des Raums und drehe ihn so, dass ich rittlings darauf sitzen kann und meine Arme über die Lehne lege. »Dein Stolz steht dir im Weg.«
»Tut er nicht«, sagt er scharf und abwehrend.
»Frag mich, ob ich irgendwelche Hinweise gefunden habe«, sage ich ihm.
Sein Blick verfinstert sich weiter und seine Mundwinkel verziehen sich. »Hast du?« Die Worte kommen leise und voller Hoffnung heraus.
»Ja.«
Er beugt sich nach vorne. »Wie? Wann?«
»Ich bin effizient. Und überzeugend.«
»Und du nennst mich stolz.«
»Ich habe gesagt, dass dein Stolz dir in die Quere kommt. Du kannst stolz sein und nicht darüber stolpern.«
»Komm zur Sache, Biest.«
Ich beuge mich vor, als würde ich ihm ein Geheimnis verraten. Auch er beugt sich vor, als würde er gleich eines hören.
»Ich habe gestern Abend ein Mädchen getroffen«, beginne ich.
Er rollt mit den Augen und lehnt sich dramatisch zurück, und ich schmecke den Hauch von Eifersucht in der Luft.
»Und als ich bis zu den Eiern in ihrer süßen Pussy steckte –«
Sein Kiefer spannt sich an, als er mit den Backenzähnen knirscht.
»Erzählte sie mir eine Geschichte.«
Das ist nur teilweise wahr. Ich stupse ihn nur gerne an, um zu sehen, wie er tanzt.
Die Wahrheit ist, dass ich tatsächlich ein Mädchen kennengelernt habe, doch diese Informationen habe ich mithilfe einer verbannten Faekönigin erlangt, die die Macht hat, in den Köpfen zu graben und wertvolle Informationen zu sammeln.
Es war kein Ficken im Spiel.
»Lass mich raten«, sagt der Captain. »Sie hat dir gesagt, dass du der beste Liebhaber bist, den sie je hatte?«
»Das versteht sich von selbst.«
Er schnaubt verächtlich.
»Ich ficke wirklich wie ein Gott. Frag jeden.«
»Das würde ich lieber nicht.«
»Ich könnte es dir zeigen.«
Er zappelt, verlagert sein Gewicht und der Stuhl nimmt seine Unruhe wahr und unterstreicht sie mit einem lauten Quietschen. Sein Gesicht brennt heiß. Ich glaube, er gefällt mir ganz gut ohne Gesichtsbehaarung. So kann er sich nirgends verstecken.
»Hör auf vom Thema abzulenken«, sagt er. »Wendy. Bleib bei Wendy.«
Ich spreize meine langen Beine. Der Blick des Captains folgt meiner Bewegung und ich ertappe ihn dabei, wie er meinen Schritt mustert. »Das Mädchen erzählte mir, dass eine Freundin von ihr eine Großmutter hatte, die vor vielen Jahren im Tower saß und sich eine Zelle mit einer Frau namens Wendy teilte.«
Die Öllampe fängt einen Luftzug ein und die Flamme tanzt. Das Licht flackert über das Gesicht des Captains, während seine Augen zu mir zurückspringen. »Wendy Darling?«
»Ja.«
Der Stuhl knarzt wieder. »Ist sie noch am Leben?«
Ich zucke mit den Achseln. »Ich soll das Mädchen in« – ich ziehe meine Taschenuhr heraus und der Captain zuckt beim Ticken zusammen – »einer Stunde und zehn Minuten treffen.«
»Zu dieser gottlosen Stunde?«
»Immerland schläft nicht.«
»Wo?«
Ich schnalze mit der Zunge. »Du hast deutlich gemacht, dass du nicht mit mir zusammenarbeiten willst, Captain. Schließlich hast du mich auf Nimmerland bewusstlos zurückgelassen und bist in den Sonnenuntergang gesegelt, ohne mich mitzunehmen.« Ich stehe auf. »Also muss ich jetzt wirklich los.«
»Warte.« Er steht ebenfalls auf, greift nach mir und packt mich am Handgelenk.
Ich schaue auf seine Haut an meiner herunter. Seine ist glatt und unversehrt und ein wenig von der Sonne gebräunt. Meine ist blass und von Tinte und Narben gezeichnet.
Wir sind gegensätzlich, der Captain und ich. Er will vergessen, wer er ist, und ich habe Angst, dass ich nicht mehr weiß, wer ich war.
»Es tut mir leid«, sagt er leise und runzelt die Stirn über sein eigenes Eingeständnis, als überraschte es ihn, dass es ihm über die Lippen gekommen ist, verräterische kleine Worte.
Ist es mir egal, ob er aufrichtig ist? Ist es mir wichtig, ob wir gemeinsam oder getrennt nach Wendy suchen? Es könnte witzig sein, ein Spiel daraus zu machen.
Aber weil ich es mag, stolze Männer zu quälen, sage ich: »Was war das? Ich konnte dich nicht hören.«
»O Gott.« Er rollt mit den Augen und lässt meinen Arm fallen. »Es tut mir leid, dass ich dich bewusstlos zurückgelassen habe! Es tut mir leid, dass ich ohne dich weggesegelt bin. War das laut genug für dich?«
»Du musst nicht gleich schreien, Captain.«
Er zeigt mit seinem Haken auf mich. »Ich habe meine Meinung geändert. Ich bin wieder dabei, dich zu ermorden.«
Ich lache und gehe zur Tür. »Komm, Captain. Lass uns etwas trinken und etwas essen, während wir auf unser Treffen warten. Ich verspreche, ein guter Junge zu sein und nur das zu essen, was auf meinem Teller ist.« Ich zwinkere ihm über meine Schulter zu. Sein Gesicht ist wieder rosa und ich glaube, ich habe noch nie etwas so Köstliches gesehen.
Mit einem flatternden Ausatmen stellt der Captain seine Öllampe ab und folgt mir aus der Tür.
Wenn man zu dieser späten Stunde durch die belebten Straßen des Hafenviertels von Immerland spaziert, wo sich nur Degenerierte, Betrunkene und Gauner herumtreiben, könnte man meinen, das Krokodil würde genau hierher passen.
Irgendwie schafft er es trotzdem, sich abzuheben.
Ich glaube, es liegt an der lässigen Abwesenheit von Angst und Vorsicht. Als ob er hier keinen Feind und keinen Gleichen hätte.
An der nächsten Straßenecke bricht eine Schlägerei aus. Mehrere Männer schubsen sich gegenseitig und verteilen Schläge. Ein vierter schwingt ein Messer. Er schlitzt damit herum.
Jemand schreit. Ein anderer Mann stachelt sie an.
Das Krokodil schlendert vorbei und schaut kaum hinüber, während es sich eine Nuss in sein offenes Maul schiebt. Ich bin ein paar Schritte hinter ihm und die ausgehöhlten Schalen seiner Erdnüsse knirschen unter den Sohlen meiner Stiefel.
»Wo ist dieses Treffen?«, frage ich ihn.
»The Tipping Well«, antwortet er, wischt sich die Hand ab und zündet sich eine Zigarette an. Zu unserer Linken sticht einer der kämpfenden Männer einem anderen in den Bauch. Ich zucke zurück, als das Blut das Kopfsteinpflaster färbt. Das Krokodil läuft hindurch und hinterlässt eine Spur aus blutigen Fußabdrücken.
In der Ferne ertönt in der Nacht eine Pfeife der Wache.
Immerland ist zu einem Ort des Chaos geworden, an dem die Monarchie ein Auge zudrücken kann.
Wer regiert dieses Land eigentlich? Die Hafenmeisterin erwähnte eine Königin, aber Immerland war noch nie ein zukunftsorientiertes Königreich. Frauen regieren hier normalerweise nicht.
An der nächsten Kreuzung biegen wir links ab und einen Block weiter hängt das gedruckte Schild von The Tipping Well an einem Eisenhaken über der Tür.
Vor Jahren, bevor Roc meine Hand nahm, besuchte ich Immerland von Zeit zu Zeit, um mit den Händlern Geschäfte zu machen. Die Piraterie war auf einem Rekordhoch und die Unternehmen verloren Tag für Tag Ladungen. Es war in ihrem besten Interesse, mit einem Freibeuter wie mir zu handeln, einem, der sicher transportieren konnte, nicht weil er Halsabschneider war, sondern weil er heimlich die Schifffahrtslinien und die Piraten kontrollierte, die sie plünderten.
Es war vielleicht ein schlechter Zug, aber ich wusste, wie die Händler arbeiteten – sie machten ihr Vermögen auf Kosten ihrer Arbeiter. Keiner von ihnen hatte eine weiße Weste, auch ich nicht.
The Tipping Well liegt am Rande des Händlerviertels und ist nur zehn Gehminuten vom Ministerium der Händler entfernt. Deshalb war es ein beliebtes Ziel für Treffen. Ich bin schon oft in der Taverne gewesen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, hier nach Informationen über eine Gefangene zu suchen.
Das Krokodil nimmt einen Zug von seiner Zigarette und atmet aus. Der Rauch zieht über seine Schulter, und als wir an der dicken Holztür der Taverne ankommen, lässt er die Zigarette fallen und zerdrückt die Glut unter seinem Stiefel.
Er schaut zu mir rüber. »Bevor wir reingehen; es gibt hier ein paar Regeln, die du unbedingt befolgen musst.«
Ich sehe ihn stirnrunzelnd an. »Seit wann hältst du dich an Regeln?«
»Erstens: Benimm dich.«
»Verdammt noch mal, hast du –«
»Zweitens: Trink niemals den Wein. Egal, was passiert.«
»Warum nicht?«
»Und drittens: Sag niemals danke.«
»O bitte. Höflich sein gehört zu den guten Manieren.«
»Captain.« Er legt den Kopf schief und tadelt mich mit einem Blick, als wäre ich eine Mahlzeit, die zu laut gemeckert hat.
Hitze kribbelt in meiner Brust. »Ich schwöre bei den verdammten Göttern, ich werde –«
Er zwinkert mir zu, gibt mir einen Klaps auf den Hintern und geht hinein.
Ich werde ihn wirklich umbringen. Diesmal meine ich es ernst.
Mehr als bei allen anderen Malen zuvor.
The Tipping Well ist auch nicht mehr so, wie ich es in Erinnerung habe. Die klapprigen Holzmöbel wurden durch robuste Winterland-Eiche ersetzt, die Sitze sind mit smaragdfarbenem Leder bezogen und mit handgeschmiedeten Bronzenägeln festgetackert, die gemeißelten Köpfe glitzern wie geschliffene Diamanten.
Über den Öllaternen, die früher rauchten und stanken, hängen jetzt elektrische Lampen, deren grelles Licht durch elfenbeinfarbene Stoffschirme gedämpft wird. Und von Balken zu Balken hängen Lichterketten, die in den Schatten der gewölbten Decke schimmern.
Die Luft riecht nach gebratenem Fleisch, gezuckerten Nüssen und süßem Tabak.
