Dick verliebt - Mary Hogan - E-Book

Dick verliebt E-Book

Mary Hogan

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Beschreibung

Hayley, sechzehn, ist nett, witzig, hat ein hübsches Gesicht – und zu viele Pfunde. Und damit keine Chance auf ein Date mit dem supersüßen Drew Wyler. Kurz bevor sie sich für den Rest ihres Lebens unglücklich in ihrem Zimmer verschanzt, schicken sie ihre Eltern nach Italien. Einfach so. Um Spaß zu haben. Und Hayley entdeckt bei ihrer italienischen Familie, dass sie nicht dick ist, sondern Figur hat, dass das Leben mehr als «eine Größe für alle» bereithält – und dass es wahre Liebe gibt, unabhängig davon, was die Waage anzeigt! Ein wundervoller Roman über Schönheitswahn und Selbstwertgefühl!

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Seitenzahl: 225

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Mary Hogan

Dick verliebt

Aus dem Englischen von Sabine Bhose

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Hayley, sechzehn, ist nett, witzig, hat ein hübsches Gesicht – und zu viele Pfunde. Und damit keine Chance auf ein Date mit dem supersüßen Drew Wyler. Kurz bevor sie sich für den Rest ihres Lebens unglücklich in ihrem Zimmer verschanzt, schicken sie ihre Eltern nach Italien. Einfach so. Um Spaß zu haben. Und Hayley entdeckt bei ihrer italienischen Familie, dass sie nicht dick ist, sondern Figur hat, dass das Leben mehr als «eine Größe für alle» bereithält – und dass es wahre Liebe gibt, unabhängig davon, was die Waage anzeigt!

 

Ein wundervoller Roman über Schönheitswahn und Selbstwertgefühl!

Über Mary Hogan

Mary Hogan studierte in Berkeley und ging dann als Redakteurin und Journalistin nach Los Angeles, wo ihre Artikel in zahlreichen Frauenmagazinen erschienen. Mit ihrem Umzug nach New York schrieb sie außerdem fürs Fernsehen, unter anderem eine Episode für die NBC-Comedyserie «Work it out». Ihr größter Traum war es immer, Schriftstellerin zu werden. Veröffentlicht hat sie bereits eine Reihe Sachbücher – in Zusammenarbeit mit der Psychologin Joy Browne –, insbesondere zum Thema Beziehungen. Bei rotfuchs sind in der Reihe «Chaos, Küsse, Katastrophen» bereits erschienen: «Ein Pakt, ein Kuss und weiche Knie», «Susanna Shootingstar», «Susanna Starlight», «Susanna Backstage Queen» und «Perfect Girl».

Inhaltsübersicht

Für meinen Enzo, ...Mille grazie1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel

Für meinen Enzo, Bob

Mille grazie

an meine wundervolle Lektorin Amanda Maciel, die nie einen Vorschlag machte, der mir nicht gefiel, und mich stets «Natürlich!» denken ließ. Tausend Dank auch an Laura Langlie, die immer mit gutem Rat zur Stelle war.

Schließlich riesige gratitudine an die Bewohner des wunderschönen Assisi, für ihre herzerwärmende Gastfreundschaft und das phantastische (!) Essen. Ich kann es kaum abwarten, Assisi bald wieder einen Besuch abzustatten.

1. Kapitel

Mom kaufte mir eine Digitalwaage.

«Damit du nicht schummeln kannst», belehrte sie mich.

Ich versetzte der Waage einen leichten Tritt und starrte meine Mutter böse an.

«Große Güte, Mom», stöhnte ich auf. «Also wirklich, meine Güte.»

Was hätte ich sonst sagen sollen? Sie hatte ja völlig recht. Erst gestern schleifte ich meine rostige, alte Ikea-Waage auf der Suche nach dem vorteilhaftesten Ergebnis über den ganzen Badezimmerfußboden. Es stellte sich heraus, dass man satte fünf Pfund abziehen kann, wenn man die hintere Hälfte der Waage auf die Badematte stellt, seine Zehen vorn überstehen lässt und ordentlich schielt.

Aber jetzt hat es sich anscheinend ausgeschummelt. Die Digitalwaage lässt sich zu keinem Ergebnis bewegen, sobald sie nicht mehr auf einem spiegelglatten Untergrund steht. Vielen Dank, Mom.

Hinter verschlossener Badezimmertür gehe ich noch einmal schnell zur Toilette, kicke mir die Hausschuhe von den Füßen, lege den Bademantel ab, ziehe mir die Schlafanzughose aus und das Baumwollhemdchen über den Kopf. Ich hole tief Luft, atme kräftig aus und versuche dabei, alle Luft aus jedem einzelnen Körperteil zu pressen. Ich ziehe meine Gliedmaßen so weit wie möglich zusammen. Dann betrete ich die neue Digitalwaage.

Ich höre etwas.

Zuerst piepst es, und dann erklingt eine laute, roboterhafte Stimme.

«Einhundertund –»

Ich springe entsetzt von der Plattform. Mom hat mir eine Waage gekauft, die sprechen kann!? Hat sie völlig den Verstand verloren? Jetzt muss ich mir nicht nur die aufgedunsene, grässlich grün leuchtende Zahl ansehen, die jedes Mal anklagend aufglüht, sondern muss mir die schlechte Nachricht obendrein auch noch anhören? Was wird mir die Waage sonst noch alles an den Kopf werfen?

Rasier dir mal deine Beine, du Schlampe!

Eine Pediküre wäre auch keine schlechte Idee.

Glaubst du wirklich, dass du mit den Oberschenkeln jemals einen Freund finden wirst?

Mom kreischt durch die geschlossene Badezimmertür. «Ich rufe jetzt sofort Dr. Weinstein an!»

«Mama!», kreische ich zurück. «Kann ich denn nirgendwo ungestört sein?»

«Dein Bruder wiegt weniger als du, Hayley. Willst du wirklich mehr wiegen als ein Junge?»

«Sein Gehirn wiegt nur ein Gramm. Meins schleppt sich mit schwerem Wissen ab.»

Mom presst den Mund gegen den Türrahmen. «Ich denke doch nur an deine Gesundheit.»

Ich verdrehe die Augen und stelle das Wasser in der Dusche an.

«Wenn du so weitermachst», fährt sie durch die Türritze fort, «wiegst du bald so viel wie zwei Menschen.»

«Ich wollte schon immer eine Schwester haben», entgegne ich. Dann stelle ich mich unter die Dusche, damit das Rauschen des Wassers die Stimme meiner Mutter übertönt. Die furchtbare Anschuldigung der Waage hallt in meinem Gehirn nach. Dreißig Pfund mehr, als ich eigentlich wiegen sollte. Wenn ich doch nur größer wäre – so um die eins achtzig anstelle meiner eins fünfundsechzig! Ich kneife die Augen fest zu, während ich die ekelhafte Rundung meines Bowlingkugelbauches einseife. Meine Arme sind weich und fleischig. Selbst meine Zehen sind fett. Ich hasse mich.

Ich drehe das kalte Wasser runter und spüre, wie meine Haut zu brennen beginnt. Ich bleibe so lange unter der heißen Dusche stehen, wie ich es ertragen kann.

«Heute», sage ich laut, «werde ich brav sein. Nur Salat zum Mittag. Kein Dressing.»

Schnell wasche ich meine langen braunen Haare, komme aus der Dusche und schnappe mir sofort ein Badetuch, ehe ich mein abscheuliches rosa Spiegelbild durch den Wasserdampfnebel im Badezimmerspiegel sehen kann.

«Ja», wiederhole ich. «Heute werde ich brav sein.»

Mom steht nicht mehr vor der Tür. Zweifelsohne nervt sie Dad irgendwo. Und das ist gut so, denn ich kann jetzt auf keinen Fall einen ihrer missionarischen Vorträge über «Kontrolle durch Portionierung» ertragen. Es gibt nichts Schlimmeres als eine ehemalige Dicke, die Erleuchtung durch frisches Obst und Gemüse gefunden hat.

«Wenn ich es geschafft habe, kannst du es auch!», flötet sie ständig.

«Kannst du die Quadratwurzel aus 64 ziehen?», entgegnete ich einmal.

«Hayley …» Sie sah mich missbilligend an.

«Siehst du?», antwortete ich. «Wir können eben beide nicht alles. Es gibt Unterschiede zwischen uns beiden.»

Mom versteht es einfach nicht. Ich will ja dünn sein. Am liebsten wäre ich Amerikas nächstes Topmodel, wenn auch nur, um den anderen Magersüchtigen zu zeigen, was eine echte Zicke ist. Aber irgendwas läuft schief. Ich weiß auch nicht, woran es liegt. Vielleicht bin ich irgendwie falsch verkabelt. Mein Bedürfnis nach Nahrung ist stärker als mein Wille, mich – wortwörtlich – anzupassen.

Ich stehe vor meinem geöffneten Kleiderschrank und wühle mich entnervt durch meine Klamotten. Dann stöhne ich auf. Man kann heutzutage ein Erkundungsfahrzeug auf den Mars schicken! Warum kann dann niemand eine Jeans herstellen, in der mein Hintern nicht wie Jupiter aussieht?

2. Kapitel

Die Sonne scheint – wie immer. Schließlich ist im südlichen Kalifornien jeder Tag ein Sonnentag. Heute glühen selbst die Bürgersteige hellgelb. Jackie wartet vor ihrem Haus auf mich und ist dabei, einen Müsliriegel zu verdrücken.

«Hier», sagt sie, während sie in mein Auto einsteigt. «Ich hab dir auch einen mitgebracht.»

«Ich hab schon gefrühstückt», lüge ich.

«Wie du meinst.»

Jackie macht das Handschuhfach meiner alten Blechkiste auf und schmeißt den Riegel rein. Sie legt ihre Füße auf das Armaturenbrett, und ich fahre uns zur Schule.

«Kennst du Randy? Das Mehlauge aus meinem Graphikdesignkurs?»

Ich nicke.

«Er hat mir eine Collage in Photoshop gemailt, von einer Frau, die er aus verschiedenen Körperteilen von Supermodels zusammengebastelt hat.»

«Wie einfallsreich», erwidere ich trocken.

«Also Giseles rechte Brust, Naomis linkes Bein, Kates Bauchnabel –»

«Ich hab’s kapiert.»

Wir biegen links in den La Mesa Drive ab, dann rechts auf den Ocean Drive.

«Das abgefahrene Ding ist, dass sie völlig wahnsinnig aussieht.»

«Wer?», frage ich. «Gisele? Naomi?»

Jackie stöhnt auf. «Hörst du mir überhaupt zu, Hayley?»

«Natürlich höre ich dir zu», erwidere ich empört.

Allerdings stimmt es nicht. Jedenfalls nicht so richtig. Jackie quasselt nämlich den ganzen Tag ohne Punkt und Komma. Sie gehört zur Sorte «Morgenmensch». Ich weiß nicht so genau, welche Tageszeit auf mich zutrifft – wahrscheinlich Mitternacht. Dann ist es dunkel und so still, dass selbst Personenwaagen keinen Laut von sich geben.

«Was hast du gerade gesagt?»

Jackie und ich sind beste Freundinnen, seit Ms. Rafter uns in der sechsten Klasse als Partner im Seilklettern einteilte. Wir kamen beide nicht sehr hoch. Ich schämte mich wahnsinnig, weil ich von Anfang an der Überzeugung war, dass meine schlaffen Arme niemals mein gesamtes Körpergewicht ein dünnes Seilchen hochhieven könnten. Jackie nahm die ganze Sache wesentlich gelassener.

«Ich will Modedesignerin werden», erklärte sie. «Falls es sich hier um eine Seilkette handeln würde, hätte ich vielleicht Interesse.»

Sie zog sich halbherzig ein paar Zentimeter hoch, während ich vor Anstrengung prustete und einen hochroten Kopf bekam.

Schließlich gab ich auf und verkündete: «Vielleicht werde ich auch mal Modedesignerin.»

Wir mussten lachen. Ich mochte sie auf Anhieb, obwohl sie wie ein Scheunendrescher isst und trotzdem megadünn bleibt. Wenigstens ist sie nicht blond. Wir haben beide braune Haare. Allerdings hat Jackie zugegebenermaßen eine blonde Persönlichkeit. Und ich … Na, sagen wir mal, mir fehlen Highlights in jeder Beziehung. Jackie spaziert durchs Leben, als wäre jeder Moment ihr absolut erster. Sie geht jede Situation ganz unbefangen mit einem offenen Herzen an und stellte sogar die Anruferkennung auf ihrem Handy mit der Begründung aus, dass sie sich nicht selbst die Überraschung verderben wollte!

Ich will dagegen immer genau wissen, was mir bevorsteht. Ich wäge in jeder Situation die Vor- und Nachteile ab, während sie sich ohne Vorbehalte mitten ins Leben stürzt.

Wie zum Beispiel letzte Woche, als ich mich endlich dazu durchgerungen hatte, Drew Wyler zu fragen, ob er dieses Wochenende mit mir auf der Strandpromenade rumhängen wollte. Er antwortete: «Klar. Kommt Jackie auch?»

«Möchtest du, dass sie kommt?», fragte ich.

«Warum nicht?»

Wie benommen verbrachte ich den Rest der Woche damit, unser Gespräch zu sezieren. Wäre er etwa gern mit meiner allerbesten Freundin zusammen? Oder fand er nur, dass es lustiger ist, wenn sie mit dabei ist? Hat er bloß aus Höflichkeit gefragt, weil Jackie und ich immer zusammen auf der Promenade shoppen?

«Drew ist cool», meinte Jackie ganz lässig, als ich unseren Ausflug zu dritt vorschlug. «Aber ich dachte, du bist in ihn verknallt. Wieso willst du mich dabeihaben?»

Was hätte ich sagen sollen? Ich will es ja gar nicht. Drew will es. Oder vielleicht auch nicht?

Ich tat, als wär’s mir egal, und antwortete einfach nicht. Jackie zuckte mit den Schultern und vergaß die ganze Sache ziemlich schnell. Aber ich konnte tagelang an nichts anderes denken.

Warum ist alles immer nur so furchtbar kompliziert?

«Der springende Punkt an der Sache ist», erklärt Jackie im Auto, «dass die Körperteile der Models völlig austauschbar sind. Wie man sie auch immer mischt, das Endergebnis wird immer super aussehen. Obwohl Randy ein echter Blödmann ist, hat er damit doch eine interessante gesellschaftliche Beobachtung gemacht, findest du nicht?»

«Models sind perfekt! Die Schlagzeile der Woche!»

Jackie hebt grinsend ihren Mittelfinger. Ich muss feststellen, dass er viel dünner als meiner ist.

«Haben wir Zeit für Starbucks?», fragt sie.

Ich sehe auf meine Uhr. «Nur, wenn’s keine Schlange gibt.»

Ich biege links in den Wilshire Boulevard ein und fahre auf den Starbucks-Parkplatz, der nur drei Häuser von unserer Schule entfernt ist. Jackie steigt aus.

«Erdbeer-Frappucchino?», vergewissert sie sich.

Ich seufze. Ein Venti-Erdbeersahne-Frappucchino mit extra Schlagsahne hat siebenhundertfünfzig Kalorien. Ich hab’s nachgeguckt. Obwohl mein Magen knurrt, werde ich heute brav sein. Mein Ziel: Meine neue Badezimmerwaage soll mir nur Lob ins Ohr flüstern.

Ich kann dich kaum spüren. Wen kümmern schon rasierte Beine, wenn sie so toll in einer Hose aussehen?

«Was nun?», fragt Jackie.

«Okay», antworte ich und ziehe mein Geld aus dem Rucksack. «Aber nur einen Grande. Und ohne Schlagsahne.»

Jackie hüpft von dannen. Sobald sie außer Sichtweite ist, ziehe ich den Müsliriegel aus dem Handschuhfach und verschlinge ihn, ehe ich überhaupt weiß, was ich tue.

3. Kapitel

Die Pacific High befindet sich fünf Häuserblöcke vom Strand entfernt. Zu unserer Wohnung ist es ungefähr eine halbe Meile, und zu Jackies Haus ist es nur noch ein kleines Stückchen weiter. Wir könnten locker zu Fuß zur Schule, aber wir befinden uns in Los Angeles – genauer gesagt in Santa Monica –, und hier gehen nur Obdachlose und Hausangestellte zu Fuß.

Gerade als der letzte Schluck des kühlen Fraps meinen Hals hinunterläuft, klingelt es zur ersten Stunde.

«Tacos zum Mittagessen?», brüllt Jackie noch, während sie zu ihrer Klasse spurtet. «Heute gibt’s Fleischklops-Sandwiches in der Cafeteria.»

«Ja, okay», rufe ich ihr nach. Schließlich kann ich mir ja nur einen Salat bestellen.

Ich kämme meine Haare mit den Fingern, stelle sicher, dass ich kein Lipgloss auf den Zähnen habe, und achte darauf, dass die Taschen meiner zu engen Jeans nicht abstehen. Dann betrete ich das Klassenzimmer.

«Hey», grüßt er mich, während ich mich an den Nebentisch setze.

«Hey», erwidere ich und ziehe meinen Bauch ein.

Sein sandfarbenes Haar ist noch nicht einmal gekämmt, und er sieht trotzdem umwerfend aus. Drew Wyler und ich sind zusammen im Advanced Placement Program in Englisch. Aus diesem Grund ist mein Gehirn morgens so schwer: Liebe ist schwer – und Literatur auch. Wenn sie uns nicht gerade Shakespeare in den Rachen schieben, ist es Homer. (Und ich spreche leider nicht von Homer Simpson.) Mir ist außerdem egal, wie toll Nicole Kidman in dem Film über Virginia Woolf war: Mrs. Dalloway ist einfach unlesbar. The Great Gatsby hat mir allerdings gefallen – ich hab’s in den Sommerferien gelesen. Warum gibt es nicht mehr Literaturklassiker über gutaussehende, reiche Typen, die sich in die Frauen anderer Männer verlieben?

Ich verliebte mich gleich am ersten Tag des Advanced Placement Programs.

«Befinden wir uns etwa in der Vorhölle von Dantes Inferno?», fragte er mich und zeigte auf die Literaturliste des Halbjahres.

Ich lächelte bloß steif, denn seine offensichtliche Belesenheit hatte mir die Sprache verschlagen. Las er tatsächlich Dante? Obwohl ich schon im dritten Jahr an der Highschool bin, war dies mein erstes Jahr im AP Englisch. Hinkte ich etwa schon gleich zu Anfang hoffnungslos hinterher?

Drews dunkle Augen spähten hinter einer John-Lennon-Brille hervor. Sein welliges Haar fiel ihm über die Stirn und kringelte sich um seine Ohren. Seine Wangenknochen umrahmten sein Gesicht wie zwei perfekte Klammern.

Drew Wyler war ganz offensichtlich völlig außer Reichweite für jemanden wie mich.

Aber wie soll man seinem Herzen begreiflich machen, es nicht trotzdem zu versuchen?

«Der Lehrplan ist einfach zum Kotzen, hast du ihn schon gesehen?», fragte mich ein anderer Schüler.

Ich nickte geistesabwesend. Aber das war gelogen. Denn ich hatte nur Augen für Drew.

Ich hatte Drew Wyler letztes Jahr auf dem Campus gesehen und ein paarmal am Pier. Er hing viel mit Mädels rum, aber schien mit niemandem fest zusammen zu sein. Außerdem war es ein offenes Geheimnis, dass er nicht in Santa Monica wohnte. Sein Onkel hatte eine Wohnung auf der Marguerita Avenue, und er hatte die Adresse angegeben, um an der Pacific High aufgenommen zu werden. Angeblich wohnt er in Inglewood, das man über die Schnellstraße erreicht. Aber er behält es für sich. Denn wenn der Direktor es rauskriegen würde, würde er von der Schule fliegen.

«Ähm, um wie viel Uhr sollen wir uns Samstag treffen?», frage ich ihn leise.

«Samstag?»

Mein Herz gibt mir einen Stich. Hat er es etwa schon vergessen?

«Die Promenade?», helfe ich ihm auf die Sprünge. «Zusammen rumhängen?»

«Ach so, ja.»

Er greift unter den Tisch und zieht sein Notizbuch aus seinem Rucksack hervor.

Mein Erdbeer-Frap liegt mir wie ein kalter Stein im Magen.

«Wir könnten umsonst ins Kino», fahre ich fort und lehne mich in den Gang zwischen unseren Tischen. Ich versuche, nicht so verzweifelt zu klingen, wie ich mich fühle. «Ich hab einen Job im Cineplex.»

«Hayley?»

Ms. Antonucci, unsere Lehrerin, sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

«Ich möchte mich nur ungern in dein Intimleben einmischen», beginnt sie.

«Keine Sorge», falle ich ihr ins Wort. «Ich glaube an Enthaltsamkeit vor der Ehe.»

Die ganze Klasse lacht. Ms. Antonucci auch. Aber das einzige Lachen, das für mich zählt, ist Drews Glucksen neben mir. Wenn er lächelt, verändert sich sein ganzes Gesicht. So wie bei Ewan McGregor. Man kann einfach nicht anders als zurücklächeln, wenn man es sieht.

«Samstag um zehn», flüstert er mir zu.

4. Kapitel

«Wenn ich meine Jeans heute Abend wasche, muss ich sie morgen anziehen, damit sie am Samstag nicht zu eng sitzt. Das sind dann drei Tage hintereinander. Glaubst du, das fällt auf?»

«Was ist denn mit dem süßen Rock, den du dir gekauft hast?», fragt Jackie. Dann bestellt sie ein Schweinefleisch-Gericht bei dem knusprigen Kellner.

Jackies Antwort auf meine Frage bestätigt, was ich sowieso schon weiß. Es wird jedem auffallen. Schließlich befinden wir uns in Santa Monica. Los Angeles. Kalifornien. Narziss kann sich nicht von seinem Spiegelbild trennen. Und hier ist jeder Kellner ein Schauspieler, und jede Schauspielerin hat mindestens zwanzig Pfund Untergewicht, weil die Kamera fünfzehn Pfund drauflegt. Die Stadt befindet sich ganz in der Nähe vom Venice Beach Boardwalk und von Malibu, wo Frauen im Bikini shoppen und sich ihre Beine mit Hilfe von Lasern «rasieren». An einem ruhigen Nachmittag kann man förmlich hören, wie Körperfett durch Kanülen abgesaugt wird. In den Ferien haben sich gleich drei Mädchen an meiner Schule den Busen vergrößern lassen.

«Ich nehme den Salat», bestelle ich bei dem Typen an der Kasse. «Mit Hähnchen.»

Er händigt uns einen vibrierenden Pager aus, und wir suchen uns einen Tisch am Fenster.

«Der Rock sieht zu übertrieben aus», nehme ich das Gespräch mit Jackie erneut auf. «Ich will lässig wirken. So, als wär’s mir egal.»

«Zieh ihn mit einem zweilagigen Cami-Top und Flip-Flops an. Dann siehst du lässig und cool aus.»

Ich funkele Jackie böse an. «Ein Cami? Ich soll mich dem Jungen ärmellos zeigen, den ich am liebsten nackt sehen würde? Nie im Leben.»

«Deine Arme sind völlig okay, Hayley. Und du hast so ein hübsches Gesicht.»

Da ist er. Der Todesstoß. Da hätte sie mir gleich sagen können, dass ich eine tolle Persönlichkeit habe.

«Hallo, Küken.»

Lindsay Whittaker kommt auf dem Weg zur Salsa-Bar an unserem Tisch vorbeigewackelt. Ihr Gefolge – bestehend aus Chloe, Bethany, Lacey und noch ein Name, der mit einem i-Laut endet, den ich mir aber nie merken kann – lächelt uns so gekünstelt an, dass ich ihnen am liebsten ein Bein stellen würde. Tatsächlich schnellt mein großer Zeh leicht nach vorn. Aber nicht weit genug, als dass es absichtlich aussehen würde.

«Du siehst aber … straff aus», sage ich zu Lacey, eine (zwei?) der Brustvergrößerungen der Ferien.

«Und du wartest sicher auf deine Riesenportion Nachos, Hayley», schießt sie zurück. «Mit extra Käse?»

«Hey, Bethany», mischt sich Jackie in die Unterhaltung. «Wie fandest du den Spanisch-Test?»

«Bueno.»

«Yo, también», antwortet Jackie kichernd.

Die anderen «Is» gackern auch. Jackie gehört keiner Clique an, aber sie versteht sich mit allen gut. Ich gehöre auch keiner Clique an. Ich verstehe mich gut mit Jackie. Die Ironie, dass Jackies und mein Name beide mit einem i-Laut enden, ist mir nicht verborgen geblieben, aber ich bin nie eingeladen worden, Lindsays Gefolge beizutreten. Nicht, dass ich es wollen würde. Die sind total oberflächlich. Letztes Jahr haben sie sich alle Gutscheine von Brite Smile zu Weihnachten gewünscht. Ich wünschte mir einen Gutschein von Amazon, aber Mom schenkte mir stattdessen einen Heimtrainer.

Bzzzzz.

Der Pager leuchtet auf und vibriert. Ich rühre mich nicht von der Stelle. Ich werde auf gar keinen Fall vor den «Is» aufstehen und ihnen einen Frontalblick auf meinen Allerwertesten ermöglichen.

«Ich hol das Essen», sagt Jackie und springt auf.

Gott sei Dank habe ich Salat bestellt.

Lindsay und die anderen Girls bedienen sich an der kostenlosen Salsa-Bar. Das nennen sie ihr Mittagessen. Wenn’s hochkommt, streuen sie noch ein paar Kräuter obendrauf. Sie würden nie und nimmer Kohlehydrate zu sich nehmen. Man sollte meinen, dass die Geschäftsführung sie rausschmeißen würde, aber wenn die «Is» kommen, lassen die «Js» nicht lange auf sich warten: liebeswütige Jungs, die Burritos und Quesadillas bestellen, mit einer Extraportion Pommes und Guacamole. Gott, ich hoffe nur, Drew Wyler ist nicht mit dabei.

5. Kapitel

Anscheinend ist Drew ein Brotdosentyp. Man sollte annehmen, dass ich das wüsste, wenn man bedenkt, wie viele Millionen Stunden ich bereits damit zugebracht habe, so zu tun, als würde ich nicht den ganzen Campus nach ihm absuchen.

Heute, Freitag, beschließe ich, Privatdetektivin zu spielen und ihn in der Mittagspause zu beschatten. Ich muss sicher sein, dass er sich nicht mit irgendeiner Schnalle aus Inglewood trifft, damit ich mich morgen auf der Promenade nicht blamiere.

Ich erlaube Jackie nicht, mich zu begleiten.

«Das fällt viel zu doll auf», erkläre ich ihr.

In Wirklichkeit will ich nicht zusehen müssen, wie seine Augen aufleuchten, falls er uns bemerkt und Jackie sieht. Er soll sie nur zu Gesicht bekommen, wenn sie von Typen umringt ist, die ihn locker verprügeln könnten, was oft der Fall ist. Jackie ist mit mehreren Mitgliedern der Football-Mannschaft befreundet, weil ihr älterer Bruder Ty ein super Irgendwasback ist. Er ist kein Quarterback, so viel weiß ich zumindest. Aber er fängt den Ball oft, rennt dann im Zickzack über das Spielfeld und führt einen Freudentanz in der Endzone auf. Wenn ich mit ihm zusammen bin, stelle ich ziemlich schnell fest, dass alle anderen auch mit ihm zusammen sein wollen. Mit Jackie ist es das Gleiche. Es muss an ihren Genen liegen.

«Hier, nimm die.» Jackie gibt mir ihre Oversize-Sonnenbrille. «Drew erkennt dich vielleicht, wenn du deine trägst.»

Mit ihrer Brille auf der Nase fühle ich mich wie eine riesige Fliege, aber vielleicht hat sie ja recht.

Denn Drew hat mich tatsächlich schon mit meiner Pilotenbrillenimitation gesehen.

«Buena suerte», wünscht sie mir.

«Danke, glaube ich zumindest.» Ich hab Latein, fragt lieber gar nicht erst.

Und plötzlich taucht er auf.

Er trägt eine Jeans, den Saum hochgerollt, braune Puma und ein weißes T-Shirt. Er verlässt den Campus in Richtung Ocean Avenue. Ich hefte mich, mit Fliegenbrille, hart an seine Fersen. Augenblicklich wird mir klar, warum man es eine «heiße» Verfolgungsjagd nennt. Meine Achselhöhlen sind sofort feucht. Ich schwitze selbst am Kopf. Wer hat je von einer schwitzenden Kopfhaut gehört?

Drew geht schnell. Nicht, dass er sich zu beeilen scheint. Aber seine langen Beine machen große Schritte und drohen, mich abzuhängen. Es ist sonnig draußen (natürlich). Die Sonnenstrahlen flimmern, vom Pazifischen Ozean reflektiert, wie Schmetterlinge umher. Während ich hinter ihm herhusche, spüre ich immer wieder den kühlenden Schatten der Palmen, an denen wir vorbeikommen. Ich wünschte mir, ich hätte mich nicht für die hochhackigen Clogs entschieden. Meine nackten Füße rutschen hin und her, und meine Zehen stoßen immer wieder nach vorn. Da der Absatz aber meine Beine optisch verlängert, nehme ich gern in Kauf, dass meine Zehen völlig zusammengequetscht sind.

An der Colorado Avenue biegt Drew rechts auf den Santa Monica Pier ein. Er geht unter dem Torbogen durch und am Karussell vorbei. Als ich ihn endlich eingeholt habe, sitzt er auf einer Bank und sieht auf das Meer hinaus. Allein.

Wenn ich nicht so völlig außer Atem wäre, würde ich vor Erleichterung seufzen. So stehe ich bloß da und keuche.

«Hayley?»

Aus irgendeinem Grund, der sich wohl nur Parapsychologen erschließt, spürt Drew meine Anwesenheit und dreht sich zu mir um. Oder hat er mich an meinem Gekeuche erkannt …?

«Oh, hi, Drew», sage ich betont lässig. «Was –»

Jetzt hätte ich doch fast «was für ein Zufall» gesagt. Wie eine völlig Geistesgestörte. Als würden wir uns in einem Roman von Jane Austen befinden oder so was. Ich laufe knallrot an und stelle entsetzt fest, dass ich obendrein angefangen habe zu hecheln. «Willst du dich nicht setzen?», fragt Drew.

«Sehe ich so aus, als ob ich es nötig hätte?», blaffe ich ihn an. Dann kneife ich die Augen fest zu und frage Gott lautlos, warum ich je geboren wurde.

Drew muss lachen. «Ja, irgendwie schon ein bisschen.»

Meine Clogs hören sich wie Hufeisen an, als ich über den hölzernen Pier zu Drews Bank hinübertrampele. Ich versuche, mich in Calista Flockhart zu verwandeln, und setze mich so sanft wie möglich hin, aber es lässt sich nicht verleugnen, dass die Bank unter meinem sehr un-Calista-mäßigen Hintern nachgibt.

«Wo ist denn dein Mittagessen?», erkundigt sich Drew.

«Ich hab schon gegessen», flunkere ich.

Drew nickt, öffnet seine Tüte und nimmt ein Peanutbutter-Sandwich heraus.

«Möchtest du eine Hälfte?», bietet er mir an.

«Nein danke.»

Er nickt nochmal und beißt dann herzhaft zu. Wir sitzen zusammen – Drew kaut und sieht aufs Meer hinaus, während ich krampfhaft versuche, nicht auf sein unglaubliches Kinn zu starren –, bis mir schließlich der perfekte Satz in den Sinn kommt.

«Schönes Wetter heute!»

6. Kapitel

Ich bin so ein Esel! Ich bin der eseligste Esel aller Zeiten. Ich schreie iah im Schlaf. Das Wetter? Ich sitze hier neben einem Jungen, der Dante liest, und mache Small Talk über das schöne Wetter in Südkalifornien?

Drew antwortet nicht. Er ist zu cool, als dass er seine Zeit mit belanglosen Floskeln verschwenden würde. Er nickt nur, kaut auf seinem Sandwich und nimmt einen Schluck Snapple. Wenn ich nicht gerade wie gelähmt vor Scham wäre, würde ich jetzt in meinen zehenquetschenden Clogs zur Railing hinübertrampeln und meinen fetten Eselshintern rüberhieven.

«Hast du schon Trailers gelesen?», unterbricht er schließlich die ohrenbetäubende Stille.

«Trailers? Wie die im Kino?»

«Nö. Das ist ein ziemlich expliziter Roman über ein Kid, das eine Leiche begraben muss, nachdem seine Mutter jemanden umgelegt hat.»

«Oh», sage ich angeekelt. Na ja, wenigstens klingt es spannender als die Ilias. Obwohl: Die Idee mit dem Trojanischen Pferd war einfach genial.

«Würdest du es machen?», fragt mich Drew. «Würdest du deiner Mutter helfen, alles zu vertuschen und die Leiche zu verschachern? Oder würdest du sie bei der Polizei anschwärzen?»

Ich denke einen Augenblick nach. Die einzige Person, die meine Mutter unter Umständen umbringen würde, ist mein Vater. Und wahrscheinlich würde es sich dabei um einen schleichenden Giftmord durch Tofu handeln. Etwas, das wir in gewisser Weise schon jetzt durchstehen. Eine qualvolle, allabendliche Folter.

«Eine Portion Tofu beinhaltet sechzehn Gramm Protein!», verkündete Mom erst gestern Abend.

«Und ein Cheeseburger hat dreißig Gramm», konterte ich. Einer der wenigen Fakten, den ich mir in unserem Gesundheitskunde-Unterricht merken konnte. Das und die Tatsache, dass es tatsächlich ein weibliches Kondom gibt, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass es wirklich irgendjemand benutzt.

«Nein», antworte ich Drew. «Ich glaube nicht, dass ich eine Leiche vergraben würde.»

«Du würdest deine Mutter verpetzen?»

«Kann ich nicht einfach nichts machen? So tun, als wüsste ich von nichts?»

«Das könntest du schon», räumt er ein. «Aber dein Mitwissen würde so lange an dir nagen, bis du nur noch eine leere Hülle wärst.»