Die Abschaffung der Demokratie - Wolfgang Bittner - E-Book

Die Abschaffung der Demokratie E-Book

Wolfgang Bittner

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Beschreibung

"Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird." Kurt Tucholsky Die Wiedergeburt habgieriger Reeder als ölfressende Bakterien, der Einsatz von Nacktscannern an Flughäfen, der Dank an den US-Präsidenten für sein "Friedensengagement" oder die Einführung einer Mundsteuer für nicht gehaltene Münder – Wolfgang Bittner präsentiert in seinem neuen Buch eine große Bandbreite satirischer und polemischer Texte. Gespickt mit Hinweisen auf die fortschreitende Entsolidarisierung in der Gesellschaft und die Erosion demokratischer Verhältnisse. Mal zum Lachen oder Schmunzeln, oft mit Aha-Effekt und hin und wieder tut es richtig weh. Immer aber zeigt Bittner die Diskrepanz zwischen Ernst und Spaß, Theorie und Realität, Anspruch und Wirklichkeit auf.

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Seitenzahl: 236

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Ebook Edition

Wolfgang Bittner

Die Abschaffung der Demokratie

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-667-5

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2017

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhaltsverzeichnis

Inhalt
Satire darf alles – wenn sie es nicht darf, ist es keine Satire
I Wiedergeburt, Mr. President und der deutsche Schäferhund
Unsere Freunde, die Amerikaner: Verschwörungstheorien, Drohnen und die Schmach von Stalingrad
Die Wiedergeburt habgieriger Manager
Die Entdeckung Europas durch die Amerikaner
Die Verbrüderung der Schafe und Wölfe
Der Privatbundeskanzler
Der Blick in den Computer und ins Schlafzimmer
Vater Staat? Dass ich nicht lache!
Königliche Zeiten
Freiheit und Terror
Der Imperator und die Macht des Bösen – ein modernes Märchen
Danke, Mr. President!
Das bundestrojanische Pferd und seine Jockeys
Der Nacktscanner und die totale Sicherheit
Privatisierung – das Gebot der Stunde
Kolonie Europa oder Nach dem Euro kommt der Dollar
Fehlprogrammierte Fuzzis*
Der große Vorsitzer
Rettet die deutsche Wirtschaft! Zahlt mehr Steuern und geht shoppen!
Der deutsche Soldat und der deutsche Schäferhund
China und die USA – heimtückische Eroberungspolitik
NSA: Welch ein verbrecherischer Irrsinn!
Big Brother: Gelenkte Politik und Meinungsmache
II Monopoly, Plagiatoren und mörderische Konsequenzen
Fahrradsteuer und Briefkasten­-gebühr: Neue Steuerpläne der Bundes­regierung
Mein Monopoly oder Ich kaufe eine Straße
Helm- und Handypflicht für Fußgänger
Google Street View als Hoffnung
Unternehmensberatung für Jung­unternehmer
Kratzige Zeiten
Der Kassenpatient oder Besser reich und gesund
Hier spricht das Steueramt
Ein Nachruf für viele
Autofreundliche Bahnpolitik
Mengenlehre für Vorgesetzte
Mörderische Konsequenzen
Plagiatoren und Leichenfledderer
Lob der Wissenschaft
User mit Pensionsberechtigung
Tauschwert
Dein Freund und Helfer
Die gute Stube unserer Stadt
Ein ungeliebtes Rathausportal
II Sonnenstich, Dschungelcamp und schnelle Radler
Der neue deutsche Fernsehfilm oder Entführte Pathologentöchter in Namibia
Bärchen und seine Freunde
Seeigel, Sonnenstich und Nudel­auflauf – eine Touristenreise in den Süden
Scharf gewürzt – glücklich und willensschwach mit Pfeffer und Fluor
Ein Kuckuck im Meisennest: Hoffnungsträger der Familie
Dschungelcamp am Sonnenstrand
Touristengebiet
Bequem und schnell mit der Bahn?
Schnelle Radler oder Über­dimensionale Insekten im Geschwindigkeitsrausch
Balkonien oder zu Hause am Südseestrand
Anruf genügt: Unser Nachbar, der Terrorist
Komm mit mir ins Fleischstudio
Die Axt im Haus
Otto Normalo
Anleitung für den Umgang mit Behörden
Ungünstige Zeiten für Behörden­gänge
Betrifft: Bezuschussung – ein Subventions-Sketch
IV Der Staatsanwalt, Eifersucht und indische Trockenfliegen
Der Staatsanwalt erklärt sich für befangen
Der dritte Vogel namens Manuel
Theorie von den zwei Hälften
Freizeitvergnügen
Das Geburtstagsgeschenk
Ein Bild aus der Heimat
Mit guten Wünschen
Echt progressiv und biodynamisch
Der Schattendichter
Der Wachtmeister
Was macht der Weihnachtsmann, wenn Weihnachten vorbei ist?
Nachweis der Veröffentlichungen

Wolfgang Bittner lebt als Schriftsteller in Göttingen. Der promovierte Jurist war freier Mitarbeiter bei Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen. Bis 1974 ging er verschiedenen Berufstätigkeiten nach, u.a. als Verwaltungsbeamter und Rechtsanwalt. Von 1996 bis 1998 gehörte er dem Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks in Köln an. Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (1997 bis 2001 im Bundesvorstand) und im PEN, erhielt mehrere Auszeichnungen und Preise und hat über sechzig Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder veröffentlicht, darunter die Romane »Hellers allmähliche Heimkehr«, »Schattenriss oder Die Kur in Bad Schönenborn« und »Niemandsland« sowie das Sachbuch »Beruf: Schriftsteller«. 2014 erschien das viel beachtete Buch »Die Eroberung Europas durch die USA« (2015 dann bei Westend in erweiterter Neuauflage). Weitere Informationen unter www.wolfgangbittner.de.

Die Satire … kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.

Kurt Tucholsky

Ein wichtiges Symptom des geistigen Lebens der Kulturvölker ist die Stellung,die der Satire in ihrer Literatur zukommt.

Rosa Luxemburg

Satire darf alles – wenn sie es nicht darf, ist es keine Satire

Satire, im alten Rom als eine scharf gewürzte Opfergabe an die Götter gedacht, darf alles, wie schon der begnadete Satiriker Kurt Tucholsky festgestellt hat. »Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.« Als spezielles Genre der Literatur steht Satire in unserer Zeit rein rechtlich unter dem Kunstvorbehalt des Artikels 5 Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem es heißt: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.« Satire ist also ein Grundrecht, zugleich ist sie Notwehr und Nothilfe, Waffe und Überdruckventil. Aber Satire darf nicht alles, wenn es keine Satire ist.

Es gibt Grenzfälle. Handelt es sich um Satire, wenn jemand wie der größenwahnsinnige türkische Staatspräsident Erdogan in einem gedichtartigen Text unflätig und vulgär sexbezogen attackiert wird? Oder ist das nur die peinliche Darbietung eines spätpubertierenden Schmocks, eines Möchtegern-Satirikers? Die Frage verlangt genaugenommen keine Antwort, auch wenn darüber wochenlang diskutiert wurde und aufgrund einer Anzeige die Justiz damit beschäftigt ist.

Die Politik fordert Satire heraus, sie ist nicht erst seit heute derart fragwürdig, dass in vielen Fällen nur noch der Ausweg in Spott, Ironie, Sarkasmus und Hohn bleibt. Denn bei genauerem Hinsehen liegt der Schluss nicht allzu fern, dass uns in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit die reale Idiotie umgibt. Nehmen wir die in letzter Zeit so intensiv betriebene Aufrüstung auf Kosten des Volksvermögens gegen einen fingierten Feind. Dachten nicht die meisten Mitmenschen um die Jahrtausendwende, solche Zeiten seien vorbei? Doch nicht wenige unserer Zeitgenossen scheinen als Couch-Potatoes nichts als ihr tägliches Tittitainment zu genießen, und die Medien unterstützen sie fleißig und beflissen dabei.

Hier wäre Satire mehr denn je gefordert. Aber wo sind der Ort und das Verständnis dafür? Stattdessen gibt es Comedy. Wie es bei uns – selbst bei einigen unserer »Literaturverwalter« – um das Einfühlungsvermögen in die Satire im Tucholsky’schen Sinne steht, wurde mir schlagartig bewusst, nachdem ich 2002 meine Satire über die Wiedergeburt habgieriger Manager an eine große überregionale Tageszeitung geschickt hatte. Ich entwickele darin eine seltsam kuriose, allerdings nicht völlig absurde Reinkarnationstheorie, nach der moralisch fehlgeleitete Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in bestimmten, ihnen mit Sicherheit suspekten Lebensformen wiedergeboren werden, um ihre Sünden abzubüßen. Seinerzeit wurden Texte dieser Art wie auch Gedichte und Kurzgeschichten gelegentlich noch in den Feuilletons abgedruckt. Doch der für Literatur zuständige Chefredakteur schrieb mir zurück, dass er sich nicht entschließen könne, meinen Artikel zur Reinkarnationslehre zu veröffentlichen, ich möge mich doch an ein religiös orientiertes Blatt wenden.

Zum Satiriker wurde ich schon während meines Studiums der Rechtswissenschaft und mehr noch während meiner beruflichen Tätigkeit in der Justiz, die allerdings nur wenige Jahre andauerte. Nachdem ich feststellen musste, dass sich zwischen meinem seit frühester Kindheit ausgeprägten Rechtsempfinden und der praktizierten Rechtsprechung ein Abgrund auftat, eine Diskrepanz, die mich zutiefst beleidigte, manchmal sogar erschütterte, war mein Ausweg aus diesem Jammertal bei klarem Verstand die Satire. Ich begann bissige Hohn- und Spotttexte zu schreiben, die ich später (1975 mit steigenden Auflagen) als Rechts-Sprüche – Texte zum Thema Justiz veröffentlichte – mein Überdruckventil und der Stein im Schuh so manches Juristen und Politikers.

Bedauerlicherweise haben sich dann einige meiner Satiren nach und nach bewahrheitet. Ich schrieb über die Vorbereitung einer Maut für die Benutzung privatisierter Straßen, über den qualitativen Absturz der Kinderliteratur oder die Einführung irgendwelcher absurder Steuern und Verpflichtungen – und es dauerte nur ein, zwei Jahrzehnte, dann waren diese Absurditäten im Gespräch oder sie wurden sogar umgesetzt. Hin und wieder flog mich der Gedanke an, dass es tatsächlich Politiker und sonstige Glücksritter geben könnte, die meine Satiren lesen.

Als ich in den späten siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einer Bildungsstätte der Deutschen Bundespost vor Postbeamten und -angestellten eine Satire über die Privatisierung der Post vortrug, erntete ich schallendes Gelächter. Etwa fünfundzwanzig Jahre später war die Deutsche Post in Privathand überführt worden und das Postlerheim gab es nicht mehr.

Was geht da vor, fragte ich mich damals? Gibt es ein Sensorium für derartige Entwicklungen? Sind sie vorhersehbar, wenn man seine Antennen auf Empfang hält? Zudem unabweisbar die Fragen: Wozu Satire? Lässt sich mit Satire überhaupt etwas ändern? Wer Satire liest und versteht, weiß doch sowieso schon Bescheid. Aber bisweilen dachte ich dann, dass manche dieser Texte, die schließlich auch einen unterhaltenden Charakter haben, diesen und jene, wenn schon nicht aufrütteln, so doch wenigstens amüsieren oder bestätigen könnten. Und eine positive Seite hat die Satire auf jeden Fall, nämlich für den Satiriker: Er lässt den Dampf ab, der gefährlich angestiegen ist, und danach geht es ihm besser. Ist das etwa nichts?

IWiedergeburt, Mr. President und der deutsche Schäferhund

Unsere Freunde, die Amerikaner: Verschwörungstheorien, Drohnen und die Schmach von Stalingrad

Die Amerikaner sind unsere Freunde. Sie bewohnen zwar nur einen Teil Amerikas, werden aber so genannt, weil die Bewohner der anderen amerikanischen Staaten im Verhältnis zu ihnen völlig unbedeutend sind. Die amerikanische Wirtschaft und ihre Banken bestimmen im Einvernehmen mit ihrer Regierung, ob und wie die Wirtschaft in weiten Teilen der Welt funktioniert. Zum Beispiel regulieren sie die Kapital- und Energiemärkte und den zwischenstaatlichen Warenaustausch. An erster Stelle stehen natürlich die Erdöl- und die Waffenindustrie, zu denen die Regierungsmitglieder intensive und auch persönliche Kontakte pflegen.

Befreundet sind die Amerikaner mit Staatsoberhäuptern auf der ganzen Welt, so mit dem ukrainischen Präsidenten und Oligarchen Petro Poroschenko, den sie bei der Beseitigung seiner russophilen Landsleute unterstützen. Oder mit König Salman ibn Abd al-Aziz Al Saud von Saudi-Arabien, der seine sunnitischen Glaubensbrüder in Syrien und im Irak in ihrem beherzten Kampf gegen die irrgläubigen Schiiten mit Waffen beliefert. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gehört zu diesen Freunden, denn er bewacht verlässlich den Bosporus gegen einen Einfall der Mongolen und hält sein Land sauber von allen oppositionellen Quertreibern.

Dass dieses Amerika, das auch als USA firmiert, 19 Billionen Dollar Schulden hat und dort Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, ist selbstverständlich ein Gerücht. Und auch die Behauptung, es existiere eine kriminelle Organisation namens NSA mit Tausenden von Spitzeln, die uns und die übrige Welt ausspionieren, ist nur eine von den vielen Verschwörungstheorien unserer Gegner. Dazu gehört übrigens auch das böswillige Gerede, bei uns seien Atomraketen der USA stationiert und von Deutschland aus würden amerikanische Drohnen zur Ermordung politischer Widersacher gesteuert.

Ebenso wenig gibt es eine Spionageagentur namens CIA, die durch Farb- und Blümchen-Revolutionen Regimewechsel zum Zweck der Entstaatlichung anderer Länder vorbereitet sowie Interventionskriege anzettelt und dadurch Millionen Menschen zur Flucht zwingt. Alles nur niederträchtige Verschwörungstheorien! Schon immer ist dieses Amerika »the land of the free and the home of the brave« gewesen, ob für die gottesfürchtigen Einwanderer, die heidnischen Ureinwohner, genannt Indianer, oder die afrikanischen Zuwanderer. Eine mustergültige Demokratie! Und was für die Amerikaner gut ist, soll der ganzen Welt zugutekommen.

Unsere Freunde sind verlässlich, sie schützen uns. Vor wem, ist entsprechend der jeweiligen weltpolitischen Lage ganz verschieden. Sie unterhalten etwa tausend Militärbasen in aller Welt und sind auch sonst überall präsent. Ihre Raketen stehen an allen strategisch wichtigen Punkten. Ihre Kriegsschiffe liegen im Pazifik, im Atlantik, im Mittelmeer und sogar im Schwarzen Meer. Mit Atomsprengköpfen ausgestattete B-52-Bomber, liebevoll »Big Ugly Fat Fucker« genannt, patrouillieren entlang der Grenzen Russlands.

Jederzeit sind 40 000 Soldaten mit Kampfjets, Panzern, Artillerie und Raketen bereit, Polen, die baltischen Staaten, Bulgarien oder Rumänien wie auch uns zu verteidigen, vor wem auch immer und ob wir es wollen oder nicht. Aber wir wollen es, unsere Politiker bestehen darauf! Sie folgen bereitwillig den Anweisungen der NATO, deren oberste Befehlszentrale in Washington unsere Sicherheit gewährleistet.

Deswegen sind unsere Soldaten wieder in aller Welt aktiv. Sie dürfen sogar eine sogenannte Speerspitze von 5 000 Elitekämpfern anführen, die an vorderster Front gegen Russland stehen soll und auf die unsere Regierung stolz ist. Bekanntlich ist der deutsche Soldat ein Vorbild für Tapferkeit und Opferbereitschaft. Vielleicht gelingt es mithilfe unserer Freunde demnächst ja doch noch, die Schmach von Stalingrad zu tilgen. Freedom and democracy forever!

Die Wiedergeburt habgieriger Manager

Da ich im vergangenen Jahr nach dem Genuss von Obst und Gemüse mehrfach unter leichten Vergiftungserscheinungen litt, habe ich mich auf Anraten meines Arztes einem Laden für Bioprodukte zugewandt. Der Besitzer, ein durchaus gebildeter Mann, ist Anhänger der Reinkarnationstheorie, die für ihn in letzter Zeit zugleich zu einer Kompensationstheorie geworden ist. Jeder Mensch wird wiedergeboren, so behauptet er, und diese Wiedergeburt sorge in einem übergeordneten kosmischen Sinne für Gerechtigkeit.

Zum Beispiel würden Reeder, die ihr Geschäft mit schrottreifen Tankern bestreiten, oder Betreiber riskanter Ölförderungsanlagen als ölfressende Bakterien wiedergeboren, um ihre Sünden abzuarbeiten; Ärzte, die qualvolle Tierversuche durchführen, kämen als Laborratten wieder zur Welt, habgierige Vermieter als Nacktschnecken und Bauern, die ihre Kühe mit geraspelten Schafsleichen fütterten, als Mistkäfer. Aus Pornoproduzenten würden Filzläuse, aus Spionen Küchenschaben, betrügerische Zahnärzte kehrten als faule Zähne zurück. Das alles hört sich recht plausibel an, finde ich.

Für unfähige oder korrupte Politiker hält mein Bioladenbesitzer eine besonders reichhaltige Auswahl von Wiedergeburtsoptionen bereit, die mir ebenfalls einleuchten: Pfaue, Stinktiere, Krokodile, Haifische, Platzhirsche, Gockel, Faultiere, Krähen, Aasgeier, Hyänen und so weiter. Wer hätte da nicht sofort Gesichter vor Augen! Auch Börsenanalysten und Banker genießen nicht gerade sein Wohlwollen. Er ist der festen Überzeugung, dass sie sich als Blindschleichen und Blutegel reinkarnieren, Daytrader als Eintagsfliegen.

Mein Bioladenbesitzer ist nicht nur ein rechtschaffener Mensch mit philosophischen Ambitionen, sondern auch ein politischer Kopf. »Stellen Sie sich vor«, sagt er, »meine Altersversorgung durch Sozialversicherung und Aktienfonds, die mir staatlicherseits und von meiner Bank wärmstens empfohlen wurden, hat sich innerhalb weniger Jahre auf etwa die Hälfte reduziert. Nicht dass Sie denken, ich sei rachsüchtig, das liegt mir fern. Aber ich bin der Meinung, dass keine Handlung ohne Wirkung bleibt und jeder irgendwie für seine Handlungen und sogar seine Gedanken einzustehen hat.«

Wenn mein Bioladenbesitzer mir so seine ethisch-religiösen Vorstellungen nahebringt, wird er mir von Mal zu Mal sympathischer. Ich bewundere seine Kreativität, die ihn zu immer neuen produktiven Überlegungen führt. »Wenn unfähige Manager«, so sagt er, »schon nicht bestraft, sondern mit Bonuszahlungen oder Millionenabfindungen belohnt werden, opportunistische und sogar korrupte Politiker satte Pensionen kassieren, warum sollten sie nicht zum Ausgleich dafür in einem – womöglich mehreren! – weiteren Leben für ihre Verfehlungen sühnen müssen?«

Solche Gedanken waren mir zwar zunächst fremd, jedoch erscheinen sie mir umso sinnvoller, je mehr ich mich darauf einlasse. Auch ich habe mich in letzter Zeit immer wieder über die vielen Skandale und Ungerechtigkeiten aufgeregt, die zunehmend durch Egoismus und Habgier verursacht werden. Und ich muss gestehen, dass mich die Aussicht, es könnte für diese individuellen menschlichen Fehlleistungen einen Ausgleich geben, versöhnlich stimmt. Eigentlich könnte die Reinkarnations- und Kompensationstheorie gänzlich neue Perspektiven für unser künftiges gesellschaftliches Leben eröffnen. Allerdings gibt es auch Vorbehalte – stünde doch zu befürchten, dass die Menschheit allmählich ausstirbt.

Die Entdeckung Europas durch die Amerikaner

Als die ersten Amerikaner auf einem ihrer Beutezüge mit ihren Kanus in einen heftigen Sturm gerieten, landeten sie ganz aus Versehen an der Nordseeküste. Da dachten sie, in Asien angekommen zu sein. Deswegen nannten sie die Europäer fortan Asiaten oder Asis. Sie steckten eine Stange mit ihrer Fahne in den Schlick und beschlagnahmten das Land.

Zwar lebten dort die Ostfriesen, ein Stamm germanischen Ursprungs, doch die wurden nicht ernst genommen, denn sie waren arm und brachten nur ein paar dürftige Geschenke wie Grünkohl und Buttermilch. Bald machte unter den Ankömmlingen ein Witz die Runde: Das Wasser des Meeres zöge sich vor Schreck zurück, sobald es an der Küste angekommen sei und die Ostfriesen sehe; deshalb gäbe es nach der Flut die Ebbe.

Die Seefahrer aus Amerika, von den Ureinwohnern auch Big Bro­thers oder Aliens genannt, hatten natürlich mächtigen Hunger. Also schlachteten sie nach und nach alle Kühe, derer sie habhaft werden konnten, und verarbeiteten sie zu Hamburgern und Steaks, die schon bald in ihren McDonalds-Schnellrestaurants verkauft wurden. An der Küste ließen sie ein erstes Fort bauen, das sich in kurzer Zeit zu einer Metropole entwickelte, nach einem ihrer Häuptlinge Bush City genannt. Denn in Amerika, der Heimat der Aliens, sprach sich in Windeseile herum, dass man ein neues Land entdeckt habe, in dem es sich gut leben lasse, und daraufhin landeten fast jeden Tag neue Kanus mit Aliens an der Nordseeküste.

Auch die Bevölkerung im Landesinnern musste jetzt für die ersten Amerikaner arbeiten. Wer sich weigerte – und das waren anfangs nicht wenige –, wurde erschlagen, gefoltert oder auf einem elektrischen Stuhl hingerichtet. Die Asis, so meinten die ersten Amerikaner, seien gar keine richtigen Menschen, sondern nur unzivilisierte Wilde. Ursprünglich aßen sie nämlich weder Hamburger noch Steaks, tranken keine Coca-Cola und suchten nicht ständig nach Gold.

Gold war der Grund, weshalb die ersten Amerikaner schon bald mit ihren Kanus den Rhein hinauf in die Schweiz fuhren, die für sie Eldorado hieß. Unterwegs rotteten sie nebenbei alle aus, die sich ihnen in den Weg stellten: die Holländer, Belgier, Westfalen, Rheinländer, Hessen, Schwaben, Badenser, Württemberger, Pfälzer, Elsässer. Später gab es noch blutige Kriege mit den Bayern, die sich nicht ohne Weiteres unterwerfen und die ersten Amerikaner nicht durch ihr Land führen und mit Lebensmitteln versorgen wollten.

In der Schweiz nannten sie das Matterhorn erst einmal Mount McKinley und den Pilatus Kennedy Peak, nachdem sie den Rhein bereits in Disney River umgetauft hatten. Der Bodensee hieß nun Big Water und der Vierwaldstätter See Lake Marilyn, nach einer ihrer Berühmtheiten.

Als die ersten, die zweiten, dritten und alle folgenden Amerikaner dies alles getan und die meisten Europäer, die sie nach wie vor Asis nannten, umgebracht hatten, wenn sie nicht schon vorher an dem eingeschleppten Fieber, auch als amerikanische Krankheit bekannt, gestorben waren, widmeten sie sich umgehend den Schweizer Banken. Zuerst wurden alle Banken amerikanisiert. Anschließend wurde alles Gold nach Amerika in einen Ort namens New York abtransportiert und dann in einer Fort Knox genannten Festung eingelagert.

Dass viele goldbeladene Lastenkanus unterwegs in den Atlantikstürmen sanken oder sich verirrten, war halb so schlimm. Man hatte ja in den Schweizer Banken genug Gold gefunden, um Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte weltweit damit wuchern zu können. Außerdem entwickelte sich unter den Wucherern, die ausgesorgt hatten und nicht mehr arbeiten mussten, ein Hobby: Sie begannen nach gesunkenen Lastenkanus zu tauchen und auf der ganzen Welt nach verirrten Kanus zu fahnden.

Auf diese Weise hatten alle etwas zu tun, auch die Multimillionäre und Milliardäre, von denen es in den Vereinigten Staaten von Amerika immer mehr gab. In ganz Europa wurden nun die amerikanische Sprache, der American Way of Life, Coca-Cola sowie der Dollar eingeführt und alle trugen fortan Jeans. So begann es auch den Europäern, die jetzt Asis hießen, immer besser zu gehen. Vor allem, wenn sie Sklaven sind. Dann haben sie nämlich ein bequemes Leben: Ihre Herren müssen für sie sorgen – wenn sie es sich nicht anders überlegen.

Die Verbrüderung der Schafe und Wölfe

Einst hatten die Schafe furchtbar unter den Läusen zu leiden, wodurch es zu Krankheiten, Verängstigung und einer großen Unzufriedenheit in ihrer Herde kam. Als sie einem Wolfsrudel begegneten, schickten sie ihren Leithammel und den Ersten Minister hinüber, um Rat zu holen. Auch die Wölfe sandten Abgeordnete aus. Ort der Zusammenkunft war ein Hügel, weshalb allgemein von einem Treffen auf höchster Ebene oder Gipfeltreffen gesprochen wurde. Es fand sowohl in den Medien des Schafs- als auch des Wolfsvolkes überaus große Beachtung.

»Verzeiht, dass wir euch mit unseren Angelegenheiten behelligen«, begann der Leithammel seine Rede unter dem Blitzlichtgewitter der Reporter, »aber unser Volk befindet sich in einer schweren Krise: Wir haben Läuse im Pelz. Wir leiden unter einer Heimsuchung durch diese blutsaugenden Parasiten. Es ist schon zu Unruhen und Produktionseinbußen gekommen und wir wissen keinen Ausweg mehr.«

»Das ist ganz einfach«, sprach der Leitwolf. »Wir haben seit Langem hervorragende Mittel gegen Ungeziefer. Wenn ihr wollt, können wir uns in Zukunft um euch kümmern und mit euch leben.«

»Vielen Dank für eure Hilfsbereitschaft«, erwiderte der Leithammel. »Aber uns geht es eigentlich nur darum, von den Läusen befreit zu werden. Wir werden uns euer freundliches Angebot überlegen.«

Inzwischen waren jedoch bereits viele Schafe zu den Wölfen gezogen, auf deren Weiden es saftiges Gras zu fressen gab. Da fragte der Erste Schafsminister: »Wird denn das Gras auch für alle reichen, wenn wir uns zusammentun?«

»Nur keine Sorge«, erwiderte darauf der Wirtschaftsminister der Wölfe, »wir fressen kein Gras. Aber wo Schafe satt werden, da werden auch Wölfe satt.«

Das fanden alle einleuchtend. Zwar gab es auch Einwände, doch die wurden als abwegig und unvernünftig zurückgewiesen. Unter dem Jubel sowohl des Schafs- als auch des Wolfsvolkes schloss man einen Vereinigungsvertrag und feierte die Verbrüderung mehrere Tage lang. Die Politiker beider Völker nannten das Abkommen eine mutige Entscheidung, eine Kooperation zu beiderseitigem Vorteil und einen zukunftsweisenden Schritt in die richtige Richtung.

Auch die Medien waren voll des Lobes; man sprach von Augenmaß, von blühenden Landschaften zu beider Nutzen und davon, dass der Vernunft eine Chance gegeben worden sei. Immer noch unbelehrbare Kritiker unter den Schafen wurden davongejagt und mussten ihr Leben künftig fern der Herde fristen. Wenn sich unter den Alttieren Unmut äußerte, wurden die Vorteile der blühenden Landschaften beschworen. Ferner war bei den einen von Geduld die Rede und bei den anderen von Nüchternheit. Einige Oberhammel erhielten sogar den Friedenspreis der Wölfe und ihren höchsten Orden, den goldenen Reißzahn am Bande. Und alljährlich feierte man Anfang Oktober ein großes Fest zur Verbrüderung der Schafe und Wölfe gegen die Läuse.

Der Privatbundeskanzler

Nachdem vor Kurzem erst unter großer öffentlicher Anteilnahme ein neuer Bundespräsident gewählt wurde, der in den nächsten Jahren durch einen direkten Nachfahren aus dem Hause Hohenzollern abgelöst werden soll, steht als Nächstes die Reform der Amtsgeschäfte des Bundeskanzlers an. Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautete, sollen die Geschäfte dem sogenannten Zeitgeist entsprechend demnächst auf privater Basis geführt werden. Aus dem Kanzleramt war auf Nachfrage zu vernehmen, man verspreche sich von einer solchen Privatisierung der Staatsaufgaben ganz wesentliche Impulse. An Wahlversprechen sei dann kein einziger Gedanke mehr zu verschwenden; der Kanzler könnte sich voll auf seine Regierungsarbeit konzentrieren, weil er den Bürgern nicht mehr zu erklären brauchte, was er tut.

Weiter geplant ist im Zuge dieser Reform unseres Staatswesens – einschließlich seiner Verwaltung – noch die Privatisierung der Bundestagsmandate sowie der Minister- und Staatssekretärsposten – so war inzwischen aus der Bundeshauptstadt zu hören. Das habe den unbestreitbaren Vorteil, dass durch den Verkauf solcher Ämter, Mandate und Posten, vielleicht auch durch deren Versteigerung, erhebliche Mittel in die leere Staatskasse flössen. Endlich wäre die leidige Diäten-Diskussion vom Tisch.

Außerdem brauchten wir keine Korruptionsskandale mehr zu fürchten, denn private Politiker hätten selbstverständlich das Recht, »Beratungsgelder« in beliebiger Höhe in Empfang zu nehmen. Was zurzeit illegal und somit eigentlich strafbar ist, könnte mit einem Federstrich legalisiert werden. Kriminalpolizei, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst und Justiz, die auf diesem Gebiet oft jahrzehntelange Nachforschungen betreiben, wären spürbar entlastet (auch für diese heiklen Gefilde sind übrigens Privatisierungsabsichten im Gespräch).

Aufwendige Bundestagswahlen würden sich erübrigen, sodass die ungeheuren Wahlkampfkosten eingespart werden könnten. War bislang in der Bevölkerung eine deutliche Politikverdrossenheit zu registrieren, hat eine neuere Meinungsumfrage ergeben, dass die »Menschen draußen im Lande« erwarten, durch die geplanten Reformen von einer unzumutbaren Verantwortung befreit zu werden.

Vor allem die Fernsehzuschauer sind erleichtert, weil die ermüdende politische Berichterstattung in Zukunft entfallen könnte, sodass mehr Raum bliebe für die beliebten Shows, Krimiserien und Sexfilme, was wiederum die Möglichkeit für Werbung erweitert. Nachdem die Sendung »Der Preis ist heiß«, in der bekanntlich Kandidaten die Preise von bestimmten Waren wie Waschmaschinen, Kühlschränken und Staubsaugern erraten mussten, so überaus hohe Einschaltquoten erzielt hatte, wird die Einführung einer neuen Sendung mit dem Titel »Wie hoch ist ihr Preis?« über Politiker und Spitzenmanager erwogen. Die Verantwortlichen in den Anstalten versprechen sich für eine solche, ein wenig persönlichere Sendung noch erheblich höhere Einschaltquoten, dazu eine grundlegende Erneuerung der politischen Kultur in unserem Lande.

Zu diesem Aufbruch, der unter dem zukunftsweisenden Motto »Wir sind wir!« stehen soll, wird die geplante Reform der Verwaltung sicherlich flankierend beitragen. Nachdem bereits die Arbeitsämter durch die Umbenennung in Agenturen erheblich effektiver gestaltet wurden, ist nun im Gespräch, sämtliche Ämter – also auch Stadtverwaltungen, Finanzämter, und so weiter – nicht nur in Agenturen umzuwandeln, sondern darüber hinaus auch zu verkaufen. Natürlich werden Polizei und Bundeswehr an diesen Reformen teilhaben, zumal die Weichen in diese Richtung durch Outsourcing ohnehin schon vor Jahren gestellt worden sind.

Unsere amtierende Kanzlerin, stets darauf bedacht, in ihrem Wirken angemessen gewürdigt zu werden, wird allerdings nach ihrer Amtszeit zu ihrem Bedauern und dem ihrer Medienberater nicht als erste Privatbundeskanzlerin in die Geschichte eingehen und auch nicht weiter an der Verwaltungsreform mitwirken können. Für den Ankauf des Kanzlerpostens gibt es nämlich schon zahlreiche solvente Interessenten. Gemunkelt wird, dass sich sowohl die Scientology-Kirche als auch die Russenmafia unter den Bewerbern befinden. Die noch amtierende Bundeskanzlerin soll sich zunächst abwartend zu den Bewerbungen geäußert haben. Als glühende Demokratin – so hieß es – sei sie jedoch nach allen Seiten offen und vorurteilsfrei; sie hoffe, dass Deutschlands unerschrockenes Beispiel in Europa und der Welt Schule machen werde.

Der Blick in den Computer und ins Schlafzimmer

Der Bundesinnenminister und die Justizministerin wollen der Bevölkerung die Angst nehmen. Deswegen haben sie vor einiger Zeit das sogenannte BKA-Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus vorgelegt. Neben Online-Durchsuchungen sind jetzt allerlei weitere äußerst wirkungsvolle Maßnahmen möglich. Zum Beispiel kann das deutsche Bundeskriminalamt noch leichter als bisher Telefone anzapfen sowie Wohnungen »verwanzen«, mit Kameras ausspähen und zu diesem Zweck auch heimlich betreten und durchsuchen.

Damit wurde das BKA, das einst neben den Länderpolizeibehörden mehr als Datensammelstelle, technisches Labor und internationales Verbindungsbüro gegründet wurde, in eine moderne und schlagkräftige Staatssicherheitspolizei verwandelt. Zwar sollen die vorgesehenen Maßnahmen nur erlaubt sein, wenn Leib, Leben oder Freiheit einer Person in Gefahr oder wenn die Grundlagen des Staates bedroht sind. Aber diese Voraussetzungen liegen nach bewährter nachrichtendienstlicher Wahrnehmung des Bundesinnenministers jederzeit vor, und bei Gefahr im Verzug – was in der Praxis schnell mal der Fall ist – darf ohnehin sofort gehandelt werden, sodass für die neue deutsche BKA-Polizei ähnlich wie für das US-amerikanische FBI endlich die lästigen rechtsstaatlichen Behinderungen entfallen.

Wir werden nun also öfter als bisher durch unsere beliebte Boulevardpresse reich bebildert erfahren können, wer von den Politikern, Managern, Stars, königlichen Hoheiten und den Nachbarn im Hotelzimmer kokst, zu Hause Sexorgien feiert oder Steuern hinterzieht. Darüber hinaus wäre noch an Minikameras in der Wahlkabine zu denken, wodurch schon beim Kreuzchenmalen Wahlfälschungen ausgeschlossen werden könnten. Höheren Orts soll es sogar Überlegungen geben, wie sich Sozialämter, Jugendämter und Krankenkassen die neuen Möglichkeiten zunutze machen können und ob nicht künftig sämtliche Neubauten entsprechend ausgerüstet werden sollten. Auf diese Weise könnten erhebliche Kosten eingespart und zeitaufwendige Manipulationen und Nachforschungen vermieden werden.

Auch Demonstrationen, wie sie beispielsweise während der Studentenrevolte von 1968 und in jüngerer Zeit anlässlich des G-8-Gipfels in Heiligendamm oder wegen des Bahnhofumbaus in Stuttgart stattfanden, könnten bereits im Vorfeld ausgekundschaftet und gestoppt werden. Die Rädelsführer könnten beizeiten in Gewahrsam genommen werden, sind doch nicht selten Leib und Leben von Polizeibeamten, wenn nicht sogar die Grundlagen des Staates durch solche Quertreiber bedroht. Und durch die Ortung von Mobiltelefonen sowie eine umfangreiche und flächendeckende Fingerabdruckkartei wäre der Zugriff auf jeden Nestbeschmutzer und natürlich überhaupt auf jede Bürgerin und jeden Bürger, die schließlich nichts zu verbergen haben, zu jeder Zeit an jedem Ort gewährleistet. Erste Feldversuche fanden kürzlich bereits in Gorleben statt.

Wie aus Berliner Regierungskreisen zu erfahren war, sollen außer führenden Politikerinnen und Politikern auch hohe kirchliche Würdenträger die Einführung der neuen kriminaltechnischen Möglichkeiten befürworten, da Gläubige ohnehin unter ständiger Kontrolle von oben stehen. Wir anderen haben die Genugtuung, künftig in dem sichersten Gemeinwesen, das je auf deutschem Boden existierte, leben zu dürfen.

Vater Staat? Dass ich nicht lache!

Der Taxifahrer, der mich neulich zum Bahnhof fuhr, war 71 Jahre alt. Warum er noch arbeite, fragte ich ihn; eigentlich nur, um ein lockeres Gespräch zu beginnen. »Nicht aus Spaß am Taxifahren«, erwiderte er. Seine Altersrente nach einem arbeitsreichen Leben betrage lediglich 950 Euro, die Miete allein schon 750.

Er hatte im Laufe der Jahrzehnte 100 000 Mark für sein Alter gespart, so erzählte der Mann weiter. Daraus seien nach der Währungsumstellung 50 000 Euro geworden, auf die es kaum noch Zinsen gebe. Und der Salatkopf im Supermarkt, der vor einigen Jahren noch 99 Pfennig gekostet habe, koste jetzt 99 Cent oder sogar 1,49 Euro, das Brötchen 33 Cent statt 20 Pfennig; ganz zu schweigen von den Benzin-, Heizöl-, Gas- oder Stromkosten. Als Taxifahrer käme man auch nicht mehr auf einen grünen Zweig, weil viele Leute, die früher mit dem Taxi fuhren, dafür heute kein Geld mehr hätten.

Auf der anderen Seite gebe es manchmal Leute, die sich für ein paar hundert Euro mal eben wer weiß wohin fahren lassen. Wahrscheinlich seien das die Börsenzocker und die Manager mit ihren Wahnsinnsgehältern und Millionenboni, die sich ihres Luxuslebens auf Kosten der Bevölkerung erfreuten, zum Teil sogar mithilfe der staatlichen Rettungsschirme.