Die Amerikanische Revolution - Charlotte A. Lerg - E-Book

Die Amerikanische Revolution E-Book

Charlotte A. Lerg

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Beschreibung

Die Amerikanische Revolution war eine der größten Umwälzungen der Moderne. Begriffe und Theorien jener Zeit prägen bis heute das Selbstverständnis der USA. Dieses Buch liefert einen konzisen Überblick über die historischen Ereignisse: von den ersten Unruhen über den Unabhängigkeitskrieg bis zur Staatsgründung (ca. 1763–1793). Darüber hinaus werden die Geschehnisse kulturell eingeordnet. Problematisiert wird auch das unlösbare Spannungsverhältnis von Freiheitsstreben und Sklaverei sowie das Erbe der Revolution in der aktuellen Politik und Erinnerungskultur der Vereinigten Staaten von Amerika.

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Seitenzahl: 498

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Charlotte A. Lerg

Die Amerikanische Revolution

2., aktualisierte und ergänzte Auflage

Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen

PD Dr. Charlotte A. Lerg ist akademische Rätin für amerikanische Kulturgeschichte und transatlantische Studien an der LMU München.

 

Umschlagabbildung: Boston Tea Party von W.D. Cooper. The History of North America. London: E. Newberry, 1789. Engraving. Plate opposite p. 58. Rare Book and Special Collections Division, Library of Congress.

 

2., aktualisierte und ergänzte Auflage 2022

1. Auflage 2010

 

DOI: https//doi.org/10.36198/9783838556291

 

© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

 

utb-Nr. 3405

ISBN 978-3-8252-5629-6 (Print)

ISBN 978-3-8463-5629-6 (ePub)

Inhalt

EinleitungWelche Revolution?HistoriographieTerminologienGeschichte im BildWeiterführende Literatur zur Einleitung:1 Vor der Unabhängigkeit1.1 Die koloniale Gesellschaft 17631.2 Die Stamp Act-Unruhen1.3 Das Townshend-Programm1.4 Radikalisierung und das Boston „Massacre“1.5 Boston „Tea Party“Geschichte im BildWeiterführende Literatur zu Kapitel 1:2 Der Weg zur Unabhängigkeit2.1 Zeitfaktor2.2 Coercive Acts2.3 Der Erste Kontinentalkongress2.4 Kriegerische AuseinandersetzungenEXKURS: Dichtung und Wahrheit: Die Schlacht bei Concord2.5 Der Zweite Kontinentalkongress2.6 Die Kontinentalarmee2.7 Das diplomatische Verhältnis zu Großbritannien2.8 Kanada2.9 Das Flugblatt Common Sense2.10 UnabhängigkeitGeschichte im BildWeiterführende Literatur zu Kapitel 2:3 Der Unabhängigkeitskrieg3.1 Militärische Voraussetzungen3.2 Kampf um New York3.3 Saratoga – der große Wendepunkt3.4 Französische Hilfe3.5 Der Krieg im Süden3.6 Das Ende des Krieges3.7. Der andere Freiheitskampf: Sklaven und Freie Schwarze als SoldatenGeschichte im BildWeiterführende Literatur zu Kapitel 3:4 Nach der Unabhängigkeit4.1 Die Konföderationsartikel4.2 Die Nachkriegsgesellschaft4.3 Die VerfassungEXKURS: Geschichte und Moral: Thomas Jefferson4.4 Der RatifikationsprozessGeschichte im BildWeiterführende Literatur zu Kapitel 4:5 Freiheit? – Gleichheit? – Unabhängigkeit?5.1 Freiheit? Die Situation der Schwarzen in der RevolutionEXKURS: Mahnung und Hoffnung. Der 4. Juli im Schatten der SklavereiGeschichte im Bild5.2 Gleichheit? Die Rolle der Frauen in der Revolution5.3 Unabhängigkeit? Die Bedeutung der Revolution für die Indigene BevölkerungWeiterführende Literatur zu Kapitel 5:6 Politik und Popkultur – Die Amerikanische Revolution heuteRhetorik und RadikalitätCulture WarsLook don’t touch? Die Revolution im MuseumFilm ab! Die Revolution in Kino und FernsehenPress play! Die Revolution in Digitalen SpielenSing along! Die Revolution am BroadwayLike and share! Die Amerikanische Revolution als MemeGeschichte im BildWeiterführende Literatur zu Kapitel 6:7 Ausgewählte Literatur7.1 Deutschsprachige Werke zum Weiterlesen und Vertiefen7.2 Enzyklopädische Handbücher in englischer Sprache7.3 Standardwerke und neuere Forschung. Eine Auswahl7.4 Onlineressourcen8 Personen-, Orts- und Sachregister

Die Autorin bedankt sich bei allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie in den letzten Jahren die Thematik vertiefen konnte und über Neuentwicklungen in der Forschung zur Amerikanischen Revolution diskutieren durfte. Viele waren bereit, ihre Expertise zu teilen und durch konkrete Hinweise die Aufbereitung des Stoffes zu komplettieren und zu bereichern. Nicht zuletzt gilt auch den Studierenden Dank, die über die Jahre in zahlreichen Seminaren zu verschieden Aspekten der Amerikanischen Revolution immer wieder neue Fragen aufwarfen und so fruchtbare Denkanstöße gaben.

Einleitung

Welche Revolution?

Atlantik Der trans-atlantische Blick In EuropaEuropa und speziell auch in DeutschlandDeutschland gilt bis heute die Französische Revolution von 1789 als epochenbegründend. Entsprechend wurde die Revolution, die zur Staatsgründung der USA führte, lange in eine andere Kategorie eingeordnet und primär durch das Prisma einer Unabhängigkeitsbewegung interpretiert. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich auch in der deutschsprachigen Historiographie der Begriff der Amerikanischen Revolution etabliert.

Ende des 18. Jahrhunderts riefen die Ereignisse jenseits des AtlantiksAtlantik eine große Faszination in DeutschlandDeutschland hervor. Zwar kannte man kaum genaue Details, ein Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit aber konnte bei den von Romantik und Idealismus bewegten Deutschen nur Begeisterung entfachen. Mitte des 19. Jahrhunderts rückte die junge amerikanische Republik erneut ins deutsche Interesse. Inzwischen gab es bereits genauere wissenschaftliche Beschreibungen des Unabhängigkeitskriegs, aber der Blick in die amerikanische Geschichte war nun vorwiegend politisch motiviert. Als sich in den deutschen Staaten eine revolutionäre Dynamik abzuzeichnen begann, verwiesen die liberaleren unter den Konservativen gerne auf die Ereignisse von 1776. Für sie war es wichtig, einen Gegenpol zur Französischen Revolution von 1789 aufzuzeigen. Angesichts der Radikalisierung und der Revolutionskriege, schreckten sie vor jedem Vergleich mit dem Nachbarland zurück und suchten Alternativen. Es ist nicht zuletzt als Erbe dieser frühen Interpretation zu betrachten, dass sich im deutschen Sprachgebrauch die Terminologie von Revolution im Zusammenhang mit der amerikanischen Unabhängigkeit nur sehr zögerlich durchsetzte, und die Betonung lange auf dem Unabhängigkeitskrieg lag.

Mitte des 20. Jahrhunderts, als das Interesse der DeutschenDeutschland an der Geschichte des neuen transatlantischenAtlantik Partners erstarkte, war die Geschichtswissenschaft dort selbst gerade in einer Phase, als im Zuge des Kalten Kriegs eine bewusst gemäßigte Charakterisierung der eigenen Revolution dominierte. Die transatlantische Konvergenz dieser historischen Auslegung sowie ihre Auswirkungen bis in die Nachbardisziplinen der Geschichte, zeigt sich nicht zuletzt in Hannah ArendtsArendt, Hannah (1906-1975) 1963 im amerikanischen Exil verfassten Werk On Revolution.

Gründungsmythos Staats-gründungIn den USA hat die Amerikanische Revolution eine gesellschaftliche Bedeutung, die weit über ein rein wissenschaftliches Interesse hinausgeht. Gründungsmythen sind zentraler Bestandteil nationaler Identität; für die Vereinigten Staaten bildet die Unabhängigkeit 1776 eindeutig dieses definitorische Moment. Unzählige Mythen und Legenden, die sich um Ereignisse, Persönlichkeiten, Orte und Relikte jener Zeit ranken, gehören zum alltäglichen Leben der Amerikaner und Amerikanerinnen – in der politischen Rhetorik ebenso wie in der vielfältigen PopulärkulturPopulärkultur. Als wichtiger Teil des öffentlichen Gedächtnisses prägen sie das Selbstverständnis des Landes bis heute. Mit dieser engen Bindung des Nationalbewusstseins an die historischen Ereignisse war jedoch von Anfang an ein ständiger Kampf um Deutungshoheit verbunden, der sich bis heute in immer neu gelagerten Debatten fortsetzt. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Forschungsdebatten bietet dieser Band eine Einführung in die Ideen, Strukturen und Hintergründe der Ereignisse zwischen 1760 und 1790 und eine Erklärung des Zusammenhangs von Krieg und Revolution für die amerikanische Staatsgründung.

Historiographie

Mythisierung Geschichten über die Revolution begannen unmittelbar nach der Staatsgründung zu zirkulieren. Die Geschichtsschreibung aber war um die Wende zum 19. Jahrhundert in ihrer akademischen Form noch nicht professionalisiert. Viele dieser ersten Darstellungen –wie etwa die George-​Washington-​BiographieWashington, George (1732-1799) des Pfarrers Mason Wheems – gaben sich zwar als historische akkurat aus, waren jedoch mehr Moralparabel als Vergangenheitsanalyse. Hier wurden die „GründerväterGründerväter“, wie sie später hießen, zu unfehlbaren Halbgöttern stilisiert. Einige von ihnen hatten dieser Entwicklung selbst Vorschub geleistet und schon zu Lebzeiten an ihren Legenden gearbeitet. Für wohl keinen gilt dies so sehr, wie für Benjamin FranklinFranklin, Benjamin (1706-1790), dessen Autobiographie bis heute zum amerikanischen Kanon gehört, nicht zuletzt als einer der Urtexte der self-​made-​man-Ideologie. Aus armen Verhältnissen als Sohn eines BostonerBoston, MA Kerzenmachers hatte er sich, so das Narrativ, als Autodidakt zum Drucker und Unternehmer hochgearbeitet. Er gab mehrere Zeitungen heraus, experimentierte mit Elektrizität und publizierte zu einer Vielzahl von Themen: von ReligionReligion und Philosophie bis hin zu Ökonomie und Politik. Sein florierendes Geschäft ermöglichte ihm einen beachtlichen sozialen Aufstieg, und ab den 1740er Jahren wurde er in immer mehr öffentliche Ämter gewählt. Als ältestem Mitglied der revolutionären Elite der 1770er Jahre wurde ihm eine gewisse Sonderrolle zugestanden, in der er sich auch zu inszenieren wusste. Er war der einzige der sogenannten Founding Fathers, der alle drei Eckdokumente der Revolution unterzeichnete: die UnabhängigkeitserklärungUnabhängigkeitserklärung, den Friedensvertrag von ParisParis, Frankreich und die neue Verfassung der USA. So gelang es FranklinFranklin, Benjamin (1706-1790) in seiner Autobiographie auch, sein Leben als Allegorie auf die junge Republik selbst zu präsentieren. Aber auch andere arbeiteten aktiv an ihrem eigenen Mythos. Von Männern wie John AdamsAdams, John (1735-1826) oder George WashingtonWashington, George (1732-1799) weiß man heute, dass sie großen Wert darauf legten, welches Bild die Nachwelt von ihnen haben würde und entsprechend schon zu Lebzeiten gezielt Unterlagen sortierten und vernichteten.

Es gab aber durchaus schon kurz nach dem Ende der Revolution historische Darstellungen der Staatsgründung, die man, wenn man die damaligen historiographischen Praktiken berücksichtigt, als Vorreiter und Vorreiterinnen der heutigen Geschichtsschreibung Frühe Anfänge zu diesem Thema ansehen kann. Sie waren oft von Augenzeugen und Augenzeuginnen der Ereignisse verfasst. Thomas HutchinsonHutchinson, Thomas (1711-1780), der britische Gouverneur der Kolonie MassachusettsMassachusetts (MA) Bay in den Jahren unmittelbar vor der Unabhängigkeit, hatte schon zwei Bände zur Geschichte der Kolonien geschrieben. Er war selbst in Amerika geboren und aufgewachsen. Noch zu Beginn der Steuerunruhen wiesen seine Reaktionen einen gewissen neu-​engländischen Lokalpatriotismus auf. Letztlich erklärte er sich jedoch aus Überzeugung der Krone gegenüber loyal und ging 1773 nach LondonLondon, UK ins Exil. 1828 erschien sein letztes Buch The History of the Province of Massachusettes Bay, from 1749–1774, dass er noch vor seinem Tod 1780 vollendet hatte. Trotz seiner kaum überraschenden pro-​britischen Grundeinstellung, die klar von seinen eigenen Erlebnissen in den konfliktreichen Jahren vor dem endgültigen Bruch gefärbt war, bemühte er sich um eine möglichst ausgewogene Argumentation. In manchmal etwas sprödem Stil legte er dar, wie die Entscheidungen Londons zum Auslöser des Aufbegehrens wurden, auch wenn sie in seinen Augen weitgehend gerechtfertigt erschienen. Damit unterschied sich Hutchinson von anderen frühen Historikern aus dem loyalistischenLoyalisten Lager, wie etwa Joseph GallowayGalloway, Joseph (1731-1803) aus PennsylvaniaPennsylvania (PA), der versuchte, eine groß angelegte Verschwörung der Kolonisten nachzuweisen, die er bis zu den ersten Siedlern im 17. Jahrhundert zurückzuverfolgen suchte. Interessanterweise finden sich auch unter den frühen Geschichten aus pro-​revolutionärer Feder solche, die stärker aus der eigenen Erfahrung und mit Blick auf die unmittelbaren Ereignisse der 1760er und 1770er Jahre argumentierten, sowie solche, die eine weitschweifigere Perspektive wählten und die Unabhängigkeit als logische Folge des besonderen Charakters der Kolonien erklärten, der sich über die Jahrhunderte seit der ersten Besiedlung geformt habe.

Abb. 1:

Mercy Otis WarrenWarren, Mercy Otis (1728-1814) (ca. 1763) von John Singleton CopleyCopley, John Singleton (1738-1815) (Museum of Fine Arts, BostonBoston, MA)

Mercy Otis WarrenWarren, Mercy Otis (1728-1814) hatte schon während der Revolution mit spitzer Feder Theaterstücke und Gedichte gegen Großbritannien geschrieben. Elternhaus und Ehe ließen sie in den prominentesten Familien von MassachusettsMassachusetts (MA) verkehren. Zu Kolonialzeiten war ihr Vater John Otis Sr. der politischer Rivale HutchinsonsHutchinson, Thomas (1711-1780) um den Posten als Gouverneur gewesen. In den Revolutionsjahren waren JohnAdams, John (1735-1826) und AbigailAdams, Abigail (geb. Smith) (1744-1818) Adams regelmäßig Gäste bei den Warrens. Die History of the Rise, Progress, and Termination of the American Revolution basierte damit auf unmittelbaren Beobachtungen, und war deutlich von Otis WarrensWarren, Mercy Otis (1728-1814) Position in der Elite Neu-​EnglandsNeu-​England geprägt. Gleichzeitig stach ihr Buch durch die reflektiert weibliche Perspektive hervor, was in jener Zeit als Besonderheit gelten muß. Sie unterstrich immer wieder, wie wichtig auch die Ereignisse jenseits von Schlachtfeld und Politik waren. Ihre Argumentation blieb jedoch stark an den konkreten Ereignissen ausgerichtet, bedacht darauf, gerade die Verdienste ihres Heimatstaats herauszustellen.

David RamsayRamsay, David (1749-1815) hingegen, der manchmal als Urvater der Revolutionsgeschichte aus amerikanischer Perspektive gehandelt wird, verfolgte ein zentralistisches Interesse und hob die Einheit und die Gemeinsamkeiten der Kolonien hervor. Er attestierte den Kolonisten (seine Akteure waren alle männlich) einen tiefverwurzelten Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit, der sich in den Jahrhunderten seit der ersten Besiedlung entwickelt habe. Damit könnte Ramsays History of the American Revolution auch als eines der ersten Geschichtswerke gelten, das von einem Glauben an einen amerikanischen Exzeptionalismus getragen wurde, wie er zum Teil noch heute in der politischen Rhetorik und nationalen Geschichtsschreibung der USA aufscheint.

Für die folgende Generation von Historikern und Historikerinnen seien hier exemplarisch George BancroftBancroft, George (1800-1891) und Elizabeth ElletEllet, Elisabeth (1818-1877) genannt. In drei Bänden trug Ellet erstmals 120 Frauenprofile aus der Revolutionszeit zusammen, darunter auch Mercy Otis WarrenWarren, Mercy Otis (1728-1814). Ellet hatte bereits einige viel gelobte Gedichte, Theaterstücke und Übersetzungen publiziert, bevor sie sich der Geschichte zuwandte und ist heute vor allem für ihre Rolle in mehreren Skandalen der New YorkerNew York City Literaturszene um Edgar Allen PoePoe, Edgar Allen (1809-1849) bekannt. Für ihrer Recherchen zu The Women of the American Revolution war Ellet in den 1840er Jahren durch die USA gereist, hatte private Materialsammlungen aufgetan, die in vielen Staaten entstehenden Historical Societies konsultiert, Nachkommen interviewt und Originalschauplätze besucht. Diese Art von selbst finanzierter Forschung war zwar weiterhin nur wohlhabenderen Autoren und Autorinnen vorbehalten, verwies aber bereits auf eine neue Form von quellengestützter Geschichtsschreibung. Ellet galt jedoch in den Augen ihrer Zeit, nicht zuletzt weil sie eine Frau war, als Literatin und nicht als Historikerin.Whigs Whig Interpretation of History Anders fällt das gängige Urteil über George Bancroft aus. Er hatte von 1818 bis 1820 unter anderem in Berlin studiert, wohin er 1867 als US-​Botschafter zurückkehren sollte. Seine mehrbändige History of the United States erschien erstmals 1834 und durchlief unzählige Überarbeitungen und Neuauflagen bis 1878. Die methodischen Prinzipien Bancrofts lassen die beginnende Professionalisierung einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung erkennen. So war er beispielsweise um eine systematische Quellenkritik bemüht und konnte, dank seines transatlantischenAtlantik Netzwerks, eine umfangreiche und vielschichtige Quellenbasis konsultieren. Allerdings blieb Bancrofts Narrativ von einem unumwundenen Glauben an die Vorsehung und ihre Rolle im historischen Prozess geleitet. Er gilt damit auch als der prominenteste US-​amerikanische Vertreter der sogenannten „Whig Interpretation“ von Geschichte. Diese vor allem im anglo-​amerikanischen Raum verbreitete Auslegung des historischen Prozesses als natürliches und unaufhaltsames Fortschreiten der Freiheit führte einem meist protestantischProtestantismus geprägten, klassischen Liberalismus das Wort. In den USA ließ es sich noch dazu hervorragend mit exzeptionalistischen Tendenzen verknüpfen.

Wie schon RamsayRamsay, David (1749-1815), setzte die WhigWhigs Interpretation auf Ideen und Ideale, wie etwa Freiheit, als treibende Kraft menschlichen Handelns.ProgressivismusProgressivistische Schule Genau gegen diese Deutung wandte sich ab der Jahrhundertwende die so genannte Progressivistische Schule US-​amerikanischer Historiker und Historikerinnen. Diese Benennung verweist auf ihre Verortung in weitreichenden sozio-​kulturelle Strömungen ab ca. 1890, die für die USA unter dem Begriff Progressivismus als historische Periode gefasst werden (Age of Progressivism ca. 1890–1920). Im Kontext tiefgreifender Veränderungen durch Industrialisierung und Urbanisierung begann sich die Dynamik in der Gesellschaft zu verschieben und soziale Herausforderungen erhielten mehr Aufmerksamkeit. Für die Geschichtswissenschaft bedeutete dies neue Fragestellungen. Carl BeckerBecker, Carl L. (1873-1945), einer der bekanntesten Vertreter dieser historischen Denkschule, brachte es einprägsam auf den Punkt. Es sei nicht ausschließlich um Unabhängigkeit von England („home-​rule“) gegangen, sondern auch um demokratische Partizipation („who should rule at home“). Die neuen Untersuchungen wandten sich damit von den intellektuellen Elitendiskursen der Whig-​Tradition ab und erklärten die Ereignisse zwischen 1760 und 1790 mit materialistischen Motiven und sozialen Spannungen. Beckers Lehrer und Mentor Charles BeardBeard, Charles (1874-1948) legte mit An Economic Interpretation of the Constitution of the United States das Standardwerk dieser progressivistischen Geschichtsschreibung zur Revolution vor. Indem sie die politischen Entscheidungen der sogenannten „Gründerväter“Gründerväter auf Privatinteressen und ökonomischen Prioritäten einer gesellschaftlichen, größtenteils sklavenhaltendenSklaverei (!) Elite zurückführten, kratzten diese Publikationen auch erstmals in großem Stil an liebgewonnen Mythen und Legenden.

Romantisierung von Revolution und Gründerelite Bezeichnenderweise ließ sich fast zeitgleich mit dem entzaubernden Trend in der Geschichtswissenschaft in der Öffentlichkeit eine neue Hochphase der Romantisierung von Revolution und Gründerelite beobachten. Die heute gängige Bezeichnung „Founding Fathers“ kam erst in dieser Zeit in Gebrauch, publik gemacht in der politischen Rhetorik des Republikaners Warren HardingHarding, Warren (1865-1923), der später von 1921–1923 US-​Präsident werden sollte. Ein nicht zu unterschätzender Faktor für den populärenPopulärkultur und zum Teil gar populistischen Auftrieb, den die öffentliche Erinnerung an 1776 erfuhr, lag in einem stärker staatlich orchestrierten Patriotismus, der sich letztlich ebenfalls aus progressivistischenProgressivismus Vorstellungen speiste: Angesichts der Einwanderungswellen aus Süd-Südeuropa und OsteuropaOsteuropa sowie RusslandRussland um die Jahrhundertwende, war die anglo-​protestantische Elite darauf bedacht, im Sinne der Schmelztiegel-​Metapher eine assimilierende Integration voranzutreiben. Zu diesem Zweck wurden Amerikanisierungsprogramme aufgelegt, die neben der englischen Sprache vor allem einen historisch und religiösReligion unterfütterten Staatsbürgerpatriotismus forcieren sollten. Der GründungsmythosGründungsmythos und die ‚amerikanischen‘ Tugenden der Founding Fathers waren fester Bestandteil dieses Curriculums. Zusätzlich angeheizt wurde der Patriotismus im Zuge des Ersten Weltkriegs. Zunächst sah die Mehrheit der isolationistischen Bevölkerung eine Beteiligung an diesem in ihren Augen europäischen Konflikt skeptisch. Die Regierung unter Präsident Woodrow WilsonWilson, Woodrow (1856-1924) lancierte daher mit dem US-​amerikanischen Eintritt in den Krieg 1917 eine groß angelegte Propagandakampagne im eigenen Land, die sich auch gern historischer Idole bediente.

Imperial History Ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Revolution auch in der britischen Geschichtsschreibung Thema und nur noch sehr vereinzelt ließen sich dabei Traditionslinien zu den loyalistischenLoyalisten Interpretationen der frühen Jahre erkenne. Es ging eher um einen Perspektivwechsel. In Structure of Politics at the Accession of George III vollzog beispielsweise Lewis NamierNamier, Lewis (1888-1980) den Verlust der amerikanischen Kolonien anhand der verschiedenen Krisen an der Spitze der britischen Regierung nach. Politisch flankiert von einer Annäherung zwischen Großbritannien und den USA ab der Jahrhundertwende, war man vor allem bemüht, die Ereignisse um 1776 in das größere Narrativ des britischen Kolonialreiches einzubetten. Der US-​Amerikaner Lawrence H. GipsonGipson, Lawrence H. (1880-1971) hatte als einer der ersten Rhodes-​Stipendiaten von dem prestigereichen Austauschprogramm profitiert, das 1902 in Oxford eingerichtet worden war, um die politischen und akademischen Eliten Großbritanniens und der USA näher zusammenzubringen. Seine insgesamt 15-bändige Vorgeschichte der Unabhängigkeit, The British Empire Before the American Revolution, macht ihn bis heute zu einem der einflussreichten US-​Vertreter der sogenannten „Imperialen Tradition“. Wenn auch noch klar verankert in einer triumphalistischen und rassistischenRassismus Meistererzählung vom angelsächsischen Fortschritt, erschien die Amerikanische Revolution hier erstmals in einem internationalen, fast globalen Kontext.

Der frühe Kalte Krieg und der liberale Konsensus Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Geschichtsschreibung nicht länger allein von der US-​britischen Annäherung gekennzeichnet, sondern von der größer angelegten ideologischen Blockbildung des Kalten Kriegs. Mit The Age of the Democratic Revolutions schrieb R.R. PalmerPalmer, R[obert] R[owell] (1909-2002) 1959 die amerikanische Unabhängigkeit in die Tradition der atlantischenAtlantik – allen voran der französischen – Revolutionen ein. Nicht unähnlich der Whig-​Tradition ging es hier um einen teleologischen Weg in eine freiheitlich-​demokratische Moderne im Sinne viel beschworener westlicher Werte. Wie es der neuen geopolitischen Dynamik entsprach, erschienen die USA mit ihrer Revolution von 1776 als Vorreiter – und damit auch Vorbild – für die europäischen Nationen. Auch in der besonderen Betonung des Liberalismus als einendes Prinzip schlossen die historischen Darstellungen der späten 1940er und 1950er Jahre an frühere Interpretationsrichtungen an. Dezidiert argumentierte man gegen die progressivistischeProgressivismus Schule. Die Ereignisse wurden nicht als soziale Konflikte oder als gesellschaftsverändernde Umwälzungen porträtiert, sondern als ein gemeinsames, „konsensuales“ Streben der kolonialamerikanischen Mittelklasse aus Kaufleuten und Handwerkern nach Freiheit und Selbstbestimmung. The Liberal Tradition in America (1955), das zentrale Werk dieser sogenannten Konsens-​Periode (age of consensus), stammte von Louis HartzHartz, Louis (1919-1986) und damit aus der Feder eines Politikwissenschaftlers. Historiker wie Daniel BoorstinBoorstin, Daniel (1914-2004) oder Richard HofstadterHofstadter, Richard (1916-1970) argumentierten jedoch ebenfalls, dass es letztlich um die Bestätigung alter englischer Rechte gegangen sei, um den Erhalt und das Fortschreiben von über Jahrhunderte tradierten politischen Idealen. In dieser Auslegung erschien die Revolution tendenziell moderat, begrenzt und letztlich fast konservativ, was vor dem Hintergrund des Ideologien-​Konflikts zwischen Ost und West durchaus auch politisch motiviert war – galt es doch, sich vom radikalen marxistischen Revolutionsbegriff strengstens abzugrenzen.

Die 1960er und 1970er Jahre Mit den 1960er und 1970er Jahren entwickelte eine neue Generation von Historikern und Historikerinnen, die ihr Studium in der Regel während der Konsensus-​Periode absolviert hatte, den ideengeschichtlichen Ansatz weiter und öffnete sich in ihrer Forschung inhaltlich sowie methodisch neuen Perspektiven und Einflüssen. Zum einen stellten sie die zentrale und dominante Position des Liberalismus infrage und führten andere Denktraditionen an, allen voran den Tugendrepublikanismus, aber auch die schottische Aufklärung oder die Reformation. Zum anderen zollten sie den sozialen, materiellen und kulturellen Umständen, in denen Ideen geformt, formuliert und ausgetauscht wurden, mehr Aufmerksamkeit. Das prominenteste Werk, das die verschiedenen Strömungen zusammenführte und über 30 Jahre hinweg durch zahlreiche Wiederauflagen ging, war Bernhard Baylin’s The Ideological Origins of the American Revolution (1967). Dieser Ideologiehistorischer Interpreta-tionsansatz Interpretationsansatz, von Kritikern etwas despektierlich auch als Neo-​Whig tituliert, war Teil einer größeren methodischen Debatte innerhalb der Ideengeschichte. Entgegen der älteren Tradition, die vor allem mit Kanon-​Texten und letztlich textimmanent gearbeitet hatte, forderten Historiker wie Quentin SkinnerSkinner, Quentin (1940- ) oder J.G.A. PocockPocock, J[ohn] G[reville] A[gard] (1924- ) von der sogenannten Cambridge SchoolCambridge School, die Entwicklung von politischen Ideen historisch kontextgebunden zu verstehen und auch unbekannte Autoren und Autorinnen sowie weniger prominente Publikationsformate zu berücksichtigen. Eine ähnlich verknüpfende Logik verfolgte auch Gordon WoodWood, Gordon (1933- ). In The Radicalism of the American Revolution (1992) versuchte er durch eine Analyse der politischen Kultur der Revolutionszeit die Idee von sozialer Gleichheit – allerdings primär unter weißen Männern – stärker in den Fokus zu rücken.

Geschichte von untenDie ProtestbewegungenProtest der New LeftNew Left (Neuen Linken) ab den 1960er Jahren begannen sich in der neuen Sozialgeschichte niederzuschlagen. Befruchtet besonders von der schwarzen und indigenen Bürgerrechtsbewegung sowie von der Frauenbewegung, fragten Historiker und Historikerinnen nach Akteuren und Akteurinnen der Revolution, die in den etablierten Erzählungen bisher marginalisiert worden waren. Diese „Geschichte von unten“ schloss nicht zuletzt an die Arbeiten der ProgressivistischenProgressivismus Schule an, sodass sie zuweilen auch als Neo-​Progressivistisch bezeichnet wurde. Die ikonoklastische radikal-​demokratische Perspektive auf den GründungsmythosGründungsmythos erhielt eine Neuauflage in Howard Zinns A People’s History of the United States. 1492 – Present (1980). Race – Class – Gender Forschung zur Revolution, die sich an der Triade Race, Class und Gender orientierte, etablierte sich jedoch nur langsam. Zwar hatte Benjamin Arthur QuarlesQuarles, Benjamin Arthur (1904-1996) bereits 1961 mit The Negro in the American Revolution eine erste grundlegende Studie vorgelegt, die jedoch zunächst wenig Folgeforschung generierte. Linda KerberKerber, Linda (1940- ) veröffentlichte 1980 Women of the Republic: Intellect and Ideology in Revolutionary America, das die jüngeren Tendenzen in der Ideen- und in der Sozialgeschichte zusammenzubringen suchte. Alltagsgeschichte Zehn Jahre später edierte Laurel Thatcher UlrichUlrich, Laurel Thatcher (1938- ) in A Midwife’s Tale das Tagebuch einer Hebamme aus der Revolutionszeit und gab damit einer weiblichen Stimme jenseits der Eliten Raum. Damit lieferte Ulrich gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur damals intensiv geführten Methodendiskussion um die Alltagsgeschichte. Nicht zuletzt wirtschaftlicheÖkonomie Fragestellungen erhielten neue Aufmerksamkeit wie zum Beispiel in den Arbeiten von Timothy BreenBreen, Timothy (1942- ). Die erste wirkliche Hochphase der neuen Themen kam jedoch erst ab den 1990er Jahren etwa mit Arbeiten von Sylvia FreyFrey, Sylvia (1935-2021) oder Woody HoltonHolton, Woody (1959- ) zu Schwarzen in der Revolution oder Colin CallowaysCalloway, Colin (1953- )The American Revolution in Indian Country.

Jenseits der Chronologien von Ereignissen sowie der Biographien einzelner Akteure und Akteurinnen drehten sich die Debatten in der Forschung zur amerikanischen Unabhängigkeit seit dem 20. Jahrhundert immer wieder um einen ähnlichen Fragenkomplex: Wer oder was war die treibende Kraft? Waren es wirtschaftlicheÖkonomie Interessen oder politische Ideen? Ging die Dynamik von der kolonialen Elite oder von der breiteren Bevölkerung aus? Welche Rolle spielten marginalisierte Gruppen, und was bedeutete die Revolution für sie? Atlantik Atlantische Geschichte Die historischen Zugänge zur amerikanischen Unabhängigkeit im 21. Jahrhundert speisen sich größtenteils aus den Traditionen seit den 1960er Jahren, lassen sich aber nicht mehr zwingend einzelnen Schulen zuordnen. Viele der Neuerungen verwiesen auch auf allgemeinere Strömungen in der Geschichtswissenschaft. Die Atlantische Geschichte beispielsweise brachte durch ihr Interesse an wirtschaftlichen und ideologischen Netzwerken den SklavenhandelSklavenhandel mit neuer Vehemenz in den Fokus und hinterfragte damit gleichzeitig die freiheitliche Meistererzählung R. R. PalmersPalmer, R[obert] R[owell] (1909-2002). Zu den Themen, die ab der Jahrtausendwende neu hinzukamen, gehörte neben einer dezidiert globalen, transnationalen Perspektive, auch ein gesteigertes Interesse an der historischen Entwicklung des Erinnerns und Feierns der Revolution. Bereits Ende der 1990er Jahre hatten David Waldstreicher und Alfred F. YoungYoung, Alfred F. (1925-2012) begonnen, die Erinnerungskultur der frühen Republik zu untersuchen, während Pauline MaierMaier, Pauline (1938-2013) in American Scipture (1997) sowohl die ideengeschichtliche Genese als auch das identitätsstiftende Nachleben der UnabhängigkeitserklärungUnabhängigkeitserklärung nachvollzog.

Public History Das intensivierte Interesse an vergangenen Erinnerungskulturen hatte auch eine praktische Dimension. Mit der Professionalisierung der „public historyPublic History“ (öffentliche Geschichte) rückte die Frage ins Zentrum, welches Bild der Revolution jenseits wissenschaftlicher Diskurse in den Museen und Gedenkstätten des Landes, in FilmFilm und Fernsehen oder in den Schulen vermittelt würde. Ersten Anstoß erhielten diese Debatten schon in der Vorbereitung des 200-jährigen Jubiläums 1976. Im Schatten von Vietnamkrieg und Ölkrise waren viele skeptisch angesichts allzu opulenter und glorifizierender Pläne. Gleichzeitig begann sich die kulturpolitische Landschaft in den sogenannten „Culture Wars“ zu polarisieren. Mit besonderer Heftigkeit drehten sich diese Auseinandersetzungen um Schulcurricula und Erinnerungskultur. Diese Konflikte sind bis heute spürbar und werden in Kapitel 6 vertieft.

Parallel zu der im akademischen Diskurs verankerten Historiographie floriert in den USA ein vielseitiger Markt für populäre Geschichtsbücher (insbesondere auch zur Amerikanischen Revolution). Einzelne Historiker und Historikerinnen, wie etwa Jill Lepore, werden in beiden Sphären rezipiert, die meisten populärhistorischen Bestseller stammen jedoch von Journalisten und Journalistinnen oder professionellen Sachbuchautoren und -autorinnen. Founders Chic Founders Chic Zu bekannten Vertretern (und sie sind tatsächlich überwiegend männlich) gehören etwa David McCulloughMcCullough, David (1933- ) oder Ron ChernowChernow, Ron (1949- ). Ihre Recherchen sind zum Teil umfangreich und gewissenhaft, gleichzeitig aber geht es primär darum, eine Geschichte zu erzählen und so bleiben die oft sehr lesbaren Texte meist bei konkreten Beschreibungen und detailreichen Schilderungen. Ihnen fehlt eine kritische Reflektion über Methodik oder das Verständnis für die Bedeutung des weiteren historischen Kontextes, wie etwa die koloniale Gesellschaftsordnung oder die globalen Wechselwirkungen. Besonders Biographien wecken das Interesse der historisch interessierten Leserschaft, was schon im 19. Jahrhundert mit der Kommerzialisierung des Literaturmarktes zu beobachten war. Zum Thema Unabhängigkeit und Staatsgründung sind daher in diesem Marktsegment nach wie vor die so genannten Founding Fathers dominant. Inzwischen geht es nicht mehr so sehr darum, moralisch einwandfreie Halbgötter zu porträtieren, sondern die historischen Figuren als Menschen mit Fehlern und Eigenarten nahbar erscheinen zu lassen. An dem grundsätzlichen Narrativ, dass es sich um eine kleine Gruppe außergewöhnlicher weißer Männer handelte, ohne deren Genius die Staatsgründung nie habe gelingen können, ändert das jedoch wenig. Fast scheint die Argumentation zu sein, ihre Leistung sei letztlich noch größer einzuschätzen, bedenke man, dass WashingtonWashington, George (1732-1799), JeffersonJefferson, Thomas (1743-1826) und ihre Zeitgenossen ja ‚eigentlich auch nur Menschen‘ waren. Vereinzelt wird das Schema bewusst erweitert, wie etwa in Cokie RobertsRoberts, Cokie (1943-2019)Founding Mothers (2004), bleibt aber dennoch die prominente Folie. Viele dieser Bücher werden in anderen Medien weiterverarbeitet und aufbereitet. Auf der Grundlage von McCulloughsMcCullough, David (1933- )John-​Adams-​BiographieAdams, John (1735-1826) entstand beispielsweise eine Fernsehserie während ChernowsChernow, Ron (1949- )HamiltonHamilton, Alexander (1757-1804)-Biographie den Stoff für ein Musical bot. In einem Artikel in Newsweek prägte der Journalist Evan Thomas im Juli 2001 den Begriff des „Founders Chic“ um dieses spezielle Phänomen zwischen Wissenschaft, Mythos und PopulärkulturPopulärkultur zu fassen.

Vast Early America Heute finden sich weiterhin viele der Forschungsrichtungen, die sich in den letzen Jahrzehnten entwickelt haben. Ein besonderes Interesse besteht weiterhin in der Untersuchung bisher marginalisierter Gruppen sowie in der Einordnung der Revolution in größere Kontexte, seien sie geographisch, chronologisch oder konzeptuell. Die jüngere Forschung zeichnet sich weniger durch eine grundsätzlich neue inhaltliche Ausrichtung aus, als durch ein intensiviertes Interesse an interdisziplinärem Austausch und umfassenderen Fragestellungen – zum Teil ermöglicht dank Werkzeugen der digitaldigital history. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nutzten aber auch die digitalen Vernetzungen, um ihre Forschungsergebnisse in neuer Weise aufeinander zu beziehen. Emblematisch für diese Entwicklung steht das Konzept Vast Early America [das weit ausgedehnte frühe Amerika], ein heute fester Begriff im Forschungsdiskurs, der bezeichnenderweise als Hashtag begann (#VastEarlyAmerica).

Terminologien

Gender Wenn in den folgenden Kapiteln vor allem männliche Formen verwandt werden, geschieht dies angesichts der historischen Gegebenheiten im 18. Jahrhundert, die Frauen nur sehr begrenzt Raum als politische und militärische Akteurinnen ließen. Sie waren dennoch aktiv am Geschehen beteiligt. Wo dies der Fall war, zum Beispiel bei bestimmten ProtestaktionenProtest, wird explizit sprachlich differenziert. Die binäre Begriffsverwendung in diesem Kontext orientiert sich ebenfalls an den Zuschreibungspraktiken der Zeit, wie sie nach augenblicklicher Erkenntnislage nachzuvollziehen sind. Dies trifft keine Aussage über die realen Gender-​Identitäten der Handelnden. Die Forschung zur gelebten Erfahrung und Beteiligung von LGBTQIA+ Personen während der Revolution steht noch am Anfang.

 

Afro-​Amerikaner Für freie Schwarze und versklavteSklaverei Menschen in den Kolonien orientiert sich die Terminologie an der im Englischen üblichen Verwendung von ‚Black‘. Der Begriff „Afro-​Amerikaner“ ergibt für die Revolutionszeit nur bedingt Sinn, da sich eine amerikanische Identität erst langsam herausbildete. Darüber hinaus war ein Teil der Sklaven in jener Zeit noch in AfrikaAfrika geboren und müsste folglich entsprechend der konkreten Regionen identifiziert werden, was die Quellenlage jedoch unmöglich macht. In Kontexten ab dem 19. Jahrhundert hingegen wird im Folgenden der Begriff „Afro-​Amerikaner“ verwandt – auch wenn er, strenggenommen, erst im 20. Jahrhundert gebräuchlich wurde und zunächst politisch spezifisch war. Inzwischen kann die Bezeichnung Afro-​Amerikaner als etabliert gelten und wird regelmäßig überzeitlich verwandt.

 

Indigene Auf die in den USA übliche Nomenklatur Native Americans oder American Indians wird nicht zurückgegriffen, um die vielfältigen Gruppierungen der indigenen Bevölkerung zu beschreiben. Es fehlt an einer Direktübersetzung und darüber hinaus herrscht innerhalb der indigenen Gemeinschaften selbst Uneinigkeit über die verschiedenen Bezeichnungen. Der deutschDeutschlandsprachige Begriff ‚Indianer‘ hat zwar kulturhistorisch ein positiver konnotiertes Erbe als sein englisches Pendant, dennoch wird hier vorwiegend von Indigenen gesprochen. Vereinzelt, wo der Kontext es zulässt, wird auch die Umschreibung ‚Ureinwohnern‘ verwandt. Eine Ausnahme bilden Verweise auf zeitgenössische Terminologien (z. B. French-​and-​Indian WarFrench-​and-​Indian-​War) oder Kontexte, in denen ‚Indianer‘ als symbolische Figuren fungieren oder als zeitgenössische Stereotypen in Erscheinung treten.

 

Bezeichnungen der Konfliktparteien Es wäre historisch nicht korrekt, die Konfliktparteien pauschalisierend in Briten und Amerikaner zu unterteilen. Zum einen verstanden sich insbesondere die politisch aktiven Kolonisten noch lange selbst als Briten, zum anderen zog sich der Konflikt auch durch die koloniale Gesellschaft und teilte sie in der zeitgenössischen Terminologie in Patrioten und LoyalistenLoyalisten. Um jedoch den aufgeladenen Begriff ‚Patriot‘ zu vermeiden und eine flüssige Lesbarkeit zu gewährleisten, wird dennoch im Folgenden primär zwischen Briten und Kolonisten unterschieden; im Kontext des Krieges dann expliziter zwischen Loyalisten und Revolutionsanhängern. Die Begriffe WhigsWhigs und ToriesTories fanden sich Ende des 18. Jahrhunderts in der politischen Sprache sowohl Englands als auch Amerikas, allerdings in leicht unterschiedlicher Bedeutung. In England bezeichneten sie die politischen Gruppierungen in Westminster: Die WhigsWhigs forderten traditionell mehr Rechte für das Parlament, während die ToriesTories eher für die Autorität der Krone einstanden. In diesem Kontext wurde auch die Identifikation von Whig-Ideologie mit einem spezifisch anglo-​amerikanisch geprägten Liberalismus gängig, wie er später etwa in der Bezeichnung Whig Interpretation of History auftrat. Obgleich es überwiegend unter Whig-Premierministern zu den Steuerkonflikten der 1760er Jahre gekommen war, setzten sich vorwiegend Whig-Politiker für die Belange der Kolonien ein. Aus diesem Grund identifizierten sich viele amerikanische Kolonisten mit dieser Partei. Die Königstreuen im Konflikt mit dem Mutterland waren damit schnell als ToriesTories gebrandmarkt. Die Übernahme der Begriffe während der Revolution war vorwiegend rhetorischer Natur und simplifizierte die komplexen historischen Zusammensetzungen der englischen Parteien erheblich. Sie wird daher im Folgenden weitgehend vermieden, auch wenn sie in den Quellen prominent zu finden ist. Eine andere Whig-Partei entstand während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA. Sie war eine der ersten machtvollen politischen Parteien der frühen Republik und berief sich auf das Erbe ihrer englischen Vorläufer in der Argumentation gegen eine zu starke Exekutive – sei es ein König oder ein Präsident.

Geschichte im Bild
Abb. 2:

Parson WeemsWeems, Mason Locke (1759-1825)’ Fable (1939) von Grant WoodWood, Grant (1891-1942) (Amon Carter Museum of American Art, Fort Worth, TexasTexas (TX))

Dieses Gemälde von 1939 spielt anschaulich mit der Bedeutung und Funktionsweise von Mythen in der amerikanischen Geschichte. Seine verschiedenen Ebenen sowie der historische Hintergrund seiner Entstehung suggerieren dennoch eine gewisse Ambivalenz im Umgang mit dieser überhöhten Vergangenheit.

Der Maler Grant WoodWood, Grant (1891-1942) (1891–1942) ist wohl am bekanntesten für sein ikonisches Werk American Gothic (1930). Kunsthistorisch wird er generell den sogenannten Regionalisten zugeordnet, die zu Beginn des 20. Jahrhundert in flächigem Stil die ländlichen Regionen und die hart arbeitenden Farmer der USA, besonders des Mittleren Westens, in Szene setzten. Viele von WoodsWood, Grant (1891-1942) Bildern hatten jedoch einen ironischen, kritischen Unterton; so auch Parson WeemsWeems, Mason Locke (1759-1825)’ Fable.

Wir sehen ein im ersten Moment vielleicht etwas skurril wirkendes Bild: Im Vordergrund lädt ein Herr im Gehrock zur Betrachtung dessen ein, was er zu präsentieren scheint. Ein von ihm zur Seite gezogene Theatervorhang gibt den Blick auf eine Szene frei, in der die Natur seltsam künstlich und geordnet wirkt, wie die Requisiten eines Bühnenbildes. Alles erscheint inszeniert. Die verlängerten Linien des Hauses im Hintergrund und vor allem der Fingerzeig des Mannes im Vordergrund dirigieren die Sichtachsen. Das Licht fällt scheinwerferartig auf die zentrale Figur, ein Kinderkörper mit dem Kopf eines alten Mannes und einer Axt in der Hand. Wer genauer hinschaut, erkennt, dass es sich um dem Kopf George WashingtonsWashington, George (1732-1799) handelt, identifizierbar, weil WoodWood, Grant (1891-1942) hier das Porträt kopierte, das der Maler Gilbert StuartStuart, Gilbert (1755-1828) 1796 vom ersten US-​Präsident angefertigt hatte, und das heute auf dem Ein-​Dollar-​Schein zu finden ist.

Die Kombination aus der dargestellten Szene, dem Bildtitel und der Figur George WashingtonsWashington, George (1732-1799) wird beim zeitgenössischen amerikanischen Publikum eine eindeutige Assoziation hervorgerufen haben. Es handelte sich um eine Anspielung auf die wohl bekannteste Anekdote aus The Life of WashingtonWashington, George (1732-1799) von Parson (Mason Locke) WeemsWeems, Mason Locke (1759-1825). Erstmals 1800, ein Jahr nach WashingtonsWashington, George (1732-1799) Tod, erschienen, verkaufte sich diese angeblich authentische Biographie so gut, dass sie innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Neuauflagen erfuhr. Ab der fünften Überarbeitung, die 1809 herauskam, hatte WeemsWeems, Mason Locke (1759-1825) die Erzählung vom Kirschbaum eingefügt, um die es hier geht. Im Alter von circa sechs Jahren habe George WashingtonWashington, George (1732-1799) eine kleine Axt geschenkt bekommen und diese an den Kirschbäumen seines Vaters ausprobiert. Zur Rede gestellt aber, habe er sich sofort zu seiner Tat bekannt und hinzugefügt „I cannot tell a lie“ (Ich kann nicht lügen). Berührt und beeindruckt von solcher Aufrichtigkeit, habe Washington Sr. seinem SohnWashington, George (1732-1799) sofort verziehen und ihn mit Stolz umarmt. Die moralisch-​pädagogische Botschaft dieser „Fabel“ von Ehrlichkeit und Vergebung sprach gerade Kinder besonders an. Noch dazu unterstrich sie die damals gängige Einschätzung der sogenannten „Gründerväter“Gründerväter als intrinsisch tugendhaft. Schon als Sechsjähriger verhielt sich George WashingtonWashington, George (1732-1799) moralisch vorbildlich. Spätestens ab den 1830er Jahren wurde die Kirschbaum Episode fester Bestandteil des Schulunterrichtes, nachdem William Holmes McGuffeyMcGuffey, William Holmes (1800-1873) sie in seine weitverbreitete Lesefibel aufgenommen hatte. Auch Anfang des 20. Jahrhunderts, zu Grant WoodsWood, Grant (1891-1942) Schulzeiten, gehörte sie weiterhin zum Kanon in US-​amerikanischen Klassenzimmern, auch wenn man inzwischen wusste, dass es sich bestenfalls um eine Ausschmückung, aller Wahrscheinlichkeit nach aber um reine Erfindung handelte. So ist es bis heute. Die verlockende Idee eines Präsidenten, der nicht lügen kann, bietet schließlich auch eine dankbare Referenz in KarikaturenKarikaturen und im politischen Kommentar. Kirschen und Axt sind Elemente des populärenPopulärkulturWashington-​BildesWashington, George (1732-1799) und zu seinem Geburtstag und dem damit verknüpften President’s Day wird zuweilen Cherry Pie gereicht, obgleich der 22. Februar wahrlich nicht in die Kirschzeit fällt.

Bei einem erneuten Blick auf Grant WoodsWood, Grant (1891-1942) Gemälde erkennen wir nun auch, dass die Troddeln am Vorhang kleine Früchte sind. Der Herr im Vordergrund lässt sich als Mason Locke WeemsWeems, Mason Locke (1759-1825) identifizieren, der uns sein inszeniertes, erfundenes Moralstück darbietet. WoodWood, Grant (1891-1942) will die Konstruiertheit der Mythen um die Staatsgründung sichtbar machen und schließt damit auch an die Kritik an, die in jener Zeit von den Historikern und Historikerinnen der progressivistischenProgressivismus Schule kam. In diesem Kontext sind auch die beiden Schwarzen beachtenswert, die im Hintergrund die eigentliche Erntearbeit leisten. Mit dem Verweis auf die SklavereiSklaverei, von der George WashingtonWashington, George (1732-1799) Zeit seines Lebens als Sklavenhalter profitierte, stellt WoodWood, Grant (1891-1942) den moralischen Vorbildcharakter zusätzlich in Frage.

Das Gemälde ausschließlich als eine kreative und eindeutige Kritik an mythenverklärter Geschichte zu lesen, greift jedoch nicht weit genug. Die Auslegung wird durch den historischen Entstehungshintergrund sowie durch den Kontext des weiteren Œuvres des Künstlers verkompliziert. WoodWood, Grant (1891-1942) stand nicht jeder Form von historischer Legendenbildung kritisch gegenüber, wie zum Beispiel sein Gemälde The Midnight Ride of Paul RevereRevere, Paul (1735-1818) (1930) zeigt, mit dem er eine der anderen großen Revolutionslegenden völlig ohne ironische Brechung in Szene setzte (s. Exkurs in Kapitel 2). Allerdings handelte es sich bei Revere um einen Handwerker, einen Silberschmied, nicht um einen Plantagenbesitzer. So wie der Maler des Regionalismus die einfachen Farmleute zu Helden machte, so sollte auch die Gewichtung des Geschichtsbildes sich ändern. Diese Botschaft hatte die progressivistischeProgressivismus Historiographie mit angestoßen, sie hatte jedoch auch politische Dimensionen. Mit der WeltwirtschaftskriseÖkonomie und den Jahren der Großen Depression, sowie zusätzlich einer verehrenden Dürre, die gerade die Farmen im Westen traf, hatte sich in den USA während 1920er und 1930er Jahre eine sozialkritische und gesellschaftsreformerische Strömung entwickelt. Das Regierungsprogramm des New Deal unter dem damaligen Präsidenten FranklinFranklin, Benjamin (1706-1790) D. RooseveltRoosevelt, Franklin D. (1882-1945) setzte hier an und förderte neben Infrastrukturprojekten vor allem Künstler und Künstlerinnen, zu denen auch viele Regionalisten gehörten. Gerade diese Kulturprogramme des New Deal griffen auf ein eigenes Repertoire an historischen Legenden und Mythen zurück, die ebenfalls einen Kanon von Moralvorstellungen produzierten und bedienten.

Letztlich ließe sich auch die Frage stellen, ob WoodWood, Grant (1891-1942) die Geschichte vom Kirschbaum wirklich vollkommen verwerfen wollte, oder ob sie schlicht als „Fabel“ erkennbar werden sollte. Im Sinne eines Moralstücks hätte sie dann durchaus einen gesellschaftlichen Nutzen, solange sie nicht als historische Wahrheit missverstanden würde. Damit ist das Bild auch ein grundsätzlicher Kommentar auf die zwiespältige Rolle historischer Mythen in der Ausformung nationaler Identität.

Weiterführende Literatur zur Einleitung:

Gibson, Allan. Interpreting the Founding: Guide to the Enduring Debates Over the Origins and Foundations of the American Republic. American Political Thought. Lawrence: University Press of Kansas, 2009.

Hatten, Michael. Past and Prologue: Politics and Memory in the American Revolution. New Haven: Yale Univeristy Press, 2020.

Morgan, Gwenda. The Debate on the American Revolution. Issues in Historiography. Manchester: Manchester University Press, 2007.

Paul, Heike. The Myths That Made America an Introduction to American Studies, Bielefeld: Transcript, 2014.

Stuart, Nancy Rubin. The Muse of the Revolution: The Secret Pen of Mercy Otis Warren and the Founding of a Nation. Boston: Beacon Press, 2008.

Waldstreicher, David. “The Revolutions of Revolution Historiography: Cold War Contradance, Neo-​Imperial Waltz, or Jazz Standard?” Reviews in American History 42.1 (2014): 23–35.

Young, Alfred F., and Gregory H. Nobles. Whose American Revolution Was It? Historians Interpret the Founding. New York; London: New York University Press, 2011.

1Vor der Unabhängigkeit

Die BostonBoston, MA Tea PartyBoston Tea Party im Dezember 1773 gilt als Beginn der Amerikanischen Revolution. Um aber die Vorgänge in Boston Anfang der 1770er Jahre richtig einordnen zu können, sollte man ein Jahrzehnt weiter zurückgehen. Die Entwicklungen und Veränderungen im Verhältnis zwischen dem Mutterland und den Kolonien während dieser Zeit bewirkten, wie John AdamsAdams, John (1735-1826) sich später erinnerte, „eine Revolution in den Herzen und Köpfen“ der Menschen. In der Auseinandersetzung mit dem englischen Parlament um Souveränität und Besteuerungsrecht begannen die Bewohner der Kolonien ihre Rolle im britischen Empire genauer zu überdenken und zu definieren – immer mehr zum Ärger der Regierung in LondonLondon, UK. Gleichzeitig verlangte die Koordination von ProtestaktionenProtest eine interkoloniale Kommunikation, wie sie zuvor nur sehr vereinzelt existiert hatte, und ein spezifisch amerikanisches Selbstverständnis begann sich zu entwickeln. Unterstützend kam hinzu, dass die revolutionäre Dynamik Teile der Bevölkerung, die zuvor kaum aktiv am politischen Geschehen beteiligt gewesen waren, politisierte oder auch zuweilen unfreiwillig mit einbezog. Im Widerstand gegen den Stamp ActStamp Act [Stempelgesetz] zeigte sich erstmals, wie verschiedene Arten von Protest – die theoretischen Pamphlete, die Resolutionen der lokalen Versammlungen und die Demonstrationen in den Straßen – ineinandergriffen. Wenn die Boston Tea PartyBoston Tea Party der erste Akt der Revolution war, dann waren die Proteste gegen die Steuergesetze während der 1760er Jahre die Generalprobe.

ZEITTAFEL

1763

10. Februar

Friedensvertrag von Paris beendet den Siebenjährigen Krieg

1764

05. April

Sugar Act verabschiedet

1765

22. März

Stamp Act verabschiedet

29. Mai

Virginia Resolutions

Sommer

Proteste gegen den Stamp Act

1766

18. März

Rücknahme des Stamp Act und Verkündung des Declaratory Act

1767

02. Juni

Townshend Duties verabschiedet

1768

11. Februar

Massachusetts-​Circular

1770

05. März

Boston „Massacre“

12. März

Rücknahme der Townshend Duties

1773

10. Mai

Tea Act

12. Dezember

Boston Tea Party

1.1Die koloniale Gesellschaft 1763

Die Rivalität zwischen FrankreichFrankreich und Großbritannien hatte mit der kolonialen Perspektive seit dem 17. Jahrhundert eine neue Komponente erhalten. In EuropaEuropa ging es um Machtsicherung, um Einfluss und um ReligionReligion. In den Kolonien ging es vor allem um Handel, Rohstoffe und um Landbesitz. Nicht nur am Ärmelkanal standen sich daher die beiden damals stärksten Staaten Europas gegenüber. Sie trafen auch in der KaribikKaribik, in AfrikaAfrika, Indien und in Nordamerika aufeinander.Siebenjähriger Krieg Siebenjähriger Krieg/French-​and-​Indian War French-​and-​Indian-​War

Weil die beiden Kolonialmächte ihre Konflikte in verschiedenen Regionen der Welt austrugen, war der Siebenjährige Krieg erstmals ein Krieg von globalem Ausmaß, den einige Historiker und Historikerinnen sogar als ‚Weltkrieg‘ bezeichnen. Umstände, Auslöser und auch die Natur des Krieges bzw. der Kriege in Indien, EuropaEuropa und Nordamerika variierten allerdings beträchtlich. Die verschiedenen Schauplätze waren nur dadurch verbunden, dass die Kriegsherren und ihre grundsätzlichen Interessen dieselben waren.

Der Siebenjährige Krieg in EuropaEuropa begann 1754. Er hatte seine Wurzeln in einem Konflikt zwischen Preußen und Österreich, aber durch das verwobene System von Allianzen kämpften bald auch Briten (auf Seiten Preußens) gegen Franzosen (im Bündnis mit Österreich). Die Ereignisse, die sich parallel in Nordamerika ereigneten, gelten heute zwar als Teil des gleichen Konflikts, werden aber üblicherweise nicht als Siebenjähriger KriegSiebenjähriger Krieg bezeichnet – allein schon weil sie acht Jahre andauerten. Schon 1753 kam es zu den ersten Kriegshandlungen des sogenannten French-​and-​Indian-​WarFrench-​and-​Indian-​War. Indigene Verbündete Der Name weist bereits darauf hin, dass die Franzosen mit verschiedenen indigenen Gruppierungen Allianzen geschlossen hatten, aber auch die britische Seite hatte vor allem in der IrokesenIrokesen-Föderation und den CherokeeCherokee wichtige Verbündete. In historischer Perspektive war der Krieg, der sich vorwiegend in der Gegend rund um die großen Seen und an der heutigen Grenze zu KanadaKanada abspielte, nur der Höhepunkt einer Reihe von Auseinandersetzungen, die sich allesamt um die komplexen Verflechtungen von Siedlern – englischen wie französischen – mit den indigenen Völkern drehten. Es ging um Handelsbeziehungen, Monopolprivilegien sowie Transit- oder Nutzungsrechte und immer wieder um Landbesitz.

Folgen des Friedens von Paris 1763 Paris, FrankreichAls 1763 der Siebenjährige Krieg in EuropaEuropa beendet wurde, enthielt der in Paris unterzeichnete Friedensvertrag auch mehrere Klauseln zur Regelung der Verhältnisse jenseits des AtlantiksAtlantik. Das geschlagene FrankreichFrankreich willigte ein, alle Ansprüche auf dem nordamerikanischen Kontinent aufzugeben, und erhielt als Gegenleistung die florierenden Inseln Guadeloupe und Martinique zurück, die Großbritannien 1759 erobert hatte. Damit hatten sich die Briten in Nordamerika endgültig behauptet. Ihre indigenen Verbündeten jedoch profitierten davon nicht im Geringsten. Im Gegenteil, mit dem Abzug der Franzosen stand der aggressiven Ausbreitung durch die englischen Siedler nichts mehr im Weg. Es überrascht also nicht, dass die Kämpfe an der SiedlungsgrenzeSiedlungsgrenze sich sogar noch intensivierten. Im Mai 1763, nur wenige Monate nach dem Friedensschluss von Paris im Februar, begann eine Koalition aus verschiedenen indigenen Gruppierungen, an der Spitze die OttawaOttawa und die Algonquin, vehement Widerstand zu leisten. Der nach einem der bekanntesten indigenen Führer benannte Pontiac-​Krieg zog sich über mehr als drei Jahre hin (s. Kapitel 5).

Großbritannien in der Krise 1760, mitten im Siebenjährigen Krieg, starb der englische König George II.George II. von England (1683-1760) Mit seinem Enkel George III.George III. von England (1738-1820) bestieg ein Monarch den Thron, der seine Autorität auf besonders starke Weise konsolidieren wollte. Aufgrund des Systems der konstitutionellen Monarchie war der Machtkampf zwischen Krone und Parlament typisch für die englische Politik. George III.George III. von England (1738-1820) spielte 1762 seinem Berater John Stuart, dem 3. Grafen von ButeBute, John Stuart, 3. Graf von (1713-1792), die Position des Premierministers zu. Als enger Vertrauter der Krone an der Spitze des Parlaments und noch dazu als Schotte erregte Bute das Misstrauen nicht nur der Parlamentarier, sondern auch des englischen Volkes – selbst in den Kolonien. Bei ProtestenProtest in England, aber auch noch bei den späteren Unruhen in den Kolonien, als er schon nicht mehr Premierminister war, brannten immer wieder Strohpuppen, die Bute darstellten – manchmal zündeten die Demonstranten auch einfach einen Stiefel („boot“) an. Auf dieser Welle der Empörung gelang es dem Parlament, Bute bereits ein Jahr nach seinem Amtsantritt wieder zu vertreiben. An seine Stelle trat zum Ende des Siebenjährigen Kriegs 1763 George GrenvilleGrenville, George (1712-1770).

Die Turbulenzen an der Spitze der Regierung waren jedoch nicht das einzige Problem Großbritanniens in den 1760er Jahren. Sie waren vielmehr symptomatisch für eine tiefer liegende Krise, die in der Bevölkerung schwelte. Angesichts seiner Eingriffe in die Politik warf man George III.George III. von England (1738-1820) vor, er überschreite die Grenzen seiner Macht; eine Rhetorik von Tyrannei als Bedrohung englischer Bürgerrechte – ähnlich der, die wenige Jahre später aus den Kolonien kommen sollte – war bereits in der ersten Hälfte der 1760er Jahre in englischen Blättern wie der Wochenzeitung The North Briton des radikalen Journalisten John WilkesWilkes, John (1727-1797) in Gebrauch.

Abgesehen von den politischen und sozialen Spannungen war Großbritannien auch finanziell ernstlich in Bedrängnis geraten: Der Krieg auf vier Kontinenten war für die Briten zwar zu einem geopolitisch vorteilhaften Ende gekommen, hatte aber die Staatskassen geleert. Das Defizit hatte sich in den sieben Kriegsjahren mehr als verdoppelt. Die Bevölkerung ächzte unter der Steuerlast und es lag nahe, einen Teil dieser Bürde auf die amerikanischen Kolonien abzuwälzen, die letztendlich, so argumentierte Grenville, besonders davon profitierten, dass die Franzosen KanadaKanada hatten verlassen müssen. Auf dem amerikanischen Kontinent sah man das allerdings anders, schließlich hatten man während des Krieges bereits hohe Opfer gebracht und war nicht bereit, auch noch für die Konsequenzen zu bezahlen.

Traditionell stammte der Profit, den Großbritannien aus Amerika zog, nicht aus direkten Steuereinnahmen. Navigation Acts Das wirtschaftlicheÖkonomie Verhältnis zwischen England und seinen Kolonien wurde von den Navigation ActsNavigation Acts [Navigationsgesetzen] geregelt, die sukzessive seit dem 17. Jahrhundert erlassen worden waren. Diese speziellen Handelsbedingungen und -abkommen ermöglichten den günstigen Einkauf von Rohstoffen und garantierten einen sicheren Absatzmarkt für produzierte Güter, sodass stets mit einem klaren wirtschaftlichen Vorteil für das Mutterland gerechnet werden konnte. Als das Parlament 1765 mit dem Stamp ActStamp Act [Stempelgesetz] den Kolonien erstmals eine direkte Steuer auferlegte, sollten diese merkantilen Traditionen an Bedeutung gewinnen. Vorerst aber verfolgte Grenville eine andere Strategie.

In den Jahrzehnten zuvor war die Administration lax mit der Umsetzung der Navigationsgesetze umgegangen, da die WirtschaftsbeziehungenÖkonomie zwischen Mutterland und Kolonien zur allgemeinen Zufriedenheit funktioniert hatten. Die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts war von einer „wohlwollenden Nachlässigkeit“ (Salutary NeglectSalutary Neglect) der Britischen Regierung gegenüber ihren Kolonien in Amerika geprägt. Solange der Handel blühte, ließ man die Siedler sich weitestgehend selbst regieren, was für die Besteuerung durch lokale Versammlungen ebenso galt, wie für die Zolleinnahmen vor Ort. Grenville aber erkannte zu seinem Entsetzen, dass nachlässige Zollbeamte und findige Schmuggler die Staatskasse jährlich um fast zwei Drittel ihrer Einnahmen brachten. Sein Plan konzentrierte sich auf Melasse – die wichtigste Ware der transatlantischenAtlantik Kolonien, die von den Zuckerplantagen Jamaikas an die Destillen in Neuengland ging und dann als Rum weiterverkauft wurde. Sugar ActHier hatte sich ein reges Schmugglernetzwerk entwickelt, das die englische Regierung zu unterbinden hoffte, indem sie die Abgaben auf Melasse senkte, dafür aber weitere Güter mit Zoll belegte – die im Gesetz explizit genannten enumerated goods [aufgezählten Güter] wie Wein, Seide und Kaffee. Vor allem aber sollten die Kapazitäten für die Verfolgung von Schmugglern erhöht werden.

Neben den Neuerungen bei der Verzollung von Melasse und anderen Gütern bestimmte daher der 1764 verabschiedete Sugar ActSugar Act Sugar Act [Zuckergesetz] auch, dass Verstöße gegen die Abgaberegelungen in Zukunft von den Seegerichten der Marine entschieden werden sollten. Anders als bei den lokalen Gerichtshöfen in den Kolonien gab es in diesen Verfahren keine Geschworenen. Die Jurys in den Kolonien hatten tendenziell zu nachsichtig geurteilt, besonders, da sie von der weit verbreiteten Schmuggelei nicht selten selbst direkt oder indirekt profitierten. Mit dem Sugar ActSugar Act griff LondonLondon, UK zum ersten Mal streng durch. Die Zeiten des Salutary NeglectSalutary Neglect waren vorüber. Es dauerte eine Weile, bis den Bewohnern der Kolonien die Dimension der neuen Gesetzgebung bewusst wurde. Die einzelnen LokalversammlungenLokalversammlung legten zwar Widerspruch ein, aber es gab nur schwache interkoloniale Kooperation, und letztlich fügten sie sich. Der politisch aktive BostonerBoston, MA Anwalt James OtisOtis, James (1735-1783) blieb mit seinem ProtestpamphletProtestDie Rechte der britischen Kolonien behauptet und bewiesen eher eine Ausnahme. In seinen Ausführungen aber, warum eine Besteuerung ohne rechtmäßige Vertretung als „Tyrannei“ zu gelten habe, legte er die Grundlage für die Argumentation, die kurz darauf eine Revolution ins Rollen bringen sollte: Das verbriefte Recht darauf, durch Repräsentanten an Entscheidungen zur Steuergesetzgebung beteiligt zu sein, kurz: No taxation without representation! [Keine Besteuerung ohne Vertretung!]

1.2Die Stamp ActStamp Act-Unruhen

Nachdem der Sugar ActSugar Act schließlich doch akzeptiert worden war, ging Grenville im Jahr darauf einen Schritt weiter. Mit dem neuen Budget schlug er dem Parlament im März 1765 eine neue, zusätzliche Bestimmung für die Kolonien vor: Sein Stamp ActStamp Act, der schon wenige Wochen später verabschiedet wurde, erhob eine Gebühr für das nun verpflichtende Stempeln jeglicher Form von Papier im öffentlichen Gebrauch; von Dokumenten und Lizenzen über Zeitungen bis hin zu Spielkarten. In Großbritannien selbst existierte ein ähnliches Gesetz bereits. Papier musste offiziell gestempelt werden, bevor es zur Nutzung zugelassen war. Stamp-Act Bei der neuen Bestimmung handelte es sich also nicht mehr um einen Zoll, wie er zu der akzeptierten Praxis von Handelsbestimmungen unter den Navigationsgesetzen gehörte, sondern um eine direkte Gebühr innerhalb der Kolonien – nicht vor Ort erhoben, sondern von Westminster aus. Auch wenn für das Stempeln nur relativ geringe Summen verlangt wurden, war hier eine Grenze überschritten worden, die aus einem wirtschaftlichenÖkonomie Disput eine Frage des Prinzips machte.

Im April 1765 erreichten die neuen Bestimmungen Amerika. Sie sollten zum 1. November desselben Jahres in Kraft treten, aber so weit kam es nicht. Während der Sommermonate des Jahres 1765 wurden die Kolonien von einer Welle vielschichtiger ProtestaktionenProtest überzogen. Sie umfassten offizielle Eingaben der lokalen Versammlung an König und Parlament ebenso wie Demonstrationen und Massenaktionen, die durchaus gewalttätige Formen annehmen konnten. Der Sugar ActSugar Act hatte hauptsächlich die neuenglischen Kolonien und einige Regionen in den mittelatlantischen Gebieten betroffen, weil sich dort die Destillen befanden, die die Melasse weiterverarbeiteten. Beginn der Proteste Der Stamp ActStamp Act hingegen tangierte einen weit größeren Anteil der Bevölkerung – allen voran die Drucker. Sie waren in jener Zeit üblicherweise auch Herausgeber ihrer eigenen Zeitungen und damit Meinungsmacher.

Unter den LokalversammlungenLokalversammlung machte das House of Burgesses von VirginiaVirginia (VA) im Mai den Anfang. Patrick HenryHenry, Patrick (1736-1799) ein junger Advokat, der seinen Sitz in der Legislative von Virginia erst seit einer knappen Woche bekleidete, hielt eine der ersten seiner leidenschaftlichen Reden, die ihn berühmt machen sollten. Er brachte sieben ProtestresolutionenProtest ein, von denen die Versammlung im Anschluss an sein flammendes Plädoyer vier annahm: die moderateren Vorschläge, die das Recht auf Repräsentation und Partizipation unterstrichen. Diese Virginia Resolutions verfehlten ihren Effekt dennoch nicht. Sie wurden in Zeitungen überall in den Kolonien abgedruckt, und zwar meistens inklusive der drei radikalen Klauseln, die eigentlich keine Mehrheit gefunden hatten. Diese hatten das ausschließliche Recht der Lokalversammlungen – in diesem Fall das Virginia House of Burgesses –, Steuergesetze zu verabschieden, bewirken wollen; jedes anders erlassene Gesetz sei nicht zu befolgen, und wer es dennoch tue, zeige sich als Feind der Kolonie. Schon bald folgten andere Lokalversammlungen mit ähnlichen Erklärungen. Flugblätter erschienen, und die seit dem Sugar ActSugar Act schwelende Debatte über die Vorrechte des englischen Parlaments, die Position der Kolonien im Empire und die verbrieften Rechte englischer Bürger – auch in den Kolonien – flammte auf. Stamp Act Stamp Act Congress Im Oktober trafen sich auf Anregung von MassachusettsMassachusetts (MA) Vertreter aus neun der dreizehn Kolonien in New YorkNew York City zum sogenannten Stamp Act Congress. In einer 14 Punkte umfassenden offiziellen Erklärung betonten sie ihre Treue gegenüber Krone und Parlament, forderten aber gleichzeitig vehement die unverzügliche Rücknahme des Stamp ActStamp Act. Ihre Argumentation war klar: Die Steuer sei unrechtmäßig, weil die Kolonien mangels einer angemessenen Vertretung in Westminster nicht darüber hätten abstimmen können. Neu war, dass dieses Schreiben erstmals darlegte, dass aufgrund der Entfernung eine solche angemessene Vertretung in LondonLondon, UK gar nicht möglich sei und aus dieser Feststellung wiederum folgte, dass nur den Lokalversammlungen das exklusive Recht zukommen könne, Steuern zu erheben.

In BostonBoston, MA begann sich eine Vereinigung zu formen, die zu einer treibenden Kraft des revolutionären Prozesses werden sollte. Sie ging aus einem Zusammenschluss gut verdienender Handwerker und Kaufleute hervor, die sich die Loyal NineLoyal Nine nannten. Die Zahl der Mitglieder, vorwiegend aus der städtischen Mittelschicht, wuchs schnell an, und bald operierte ein teils verdecktes Netzwerk aus Clubs auch außerhalb Bostons in ganz MassachusettsMassachusetts (MA) und darüber hinaus. Sons of Liberty Sons of Liberty Sie nannten sich Sons of LibertySons of Liberty [Söhne der Freiheit] – ein Name, der aus der Rede des englischen Parlamentariers Isaac BarréBarré, Isaac (1726-1802) übernommen war, der die Kolonisten in seinen leidenschaftlichen Plädoyers gegen die Steuergesetzgebung so tituliert hatte. Zwar gab es keine übergeordnete Dachorganisation – dafür war die Infrastruktur nicht gegeben und die Bewegung zu jung und improvisiert –, trotzdem trug die Verbindung der Sons of LibertySons of Liberty untereinander zu einer besseren Vernetzung der Kolonien insgesamt bei. Einige bemühten sich sogar, in den ländlichen Gegenden Mitglieder zu motivieren, im Allgemeinen aber blieb es ein urbanes Phänomen.

Männer wie Samuel AdamsAdams, Samuel (1722-1803), Paul RevereRevere, Paul (1735-1818) und James OtisOtis, James (1735-1783), die sich an der Spitze der Sons of LibertySons of Liberty engagierten, hatten erkannt, wie wichtig es war, die Menschen auf die Straßen zu bringen. Protest Protest-​Kultur Sie konnten dabei auf eine Protest-​Kultur zurückgreifen, die sich seit dem 17. Jahrhundert in England entwickelt hatte und auch in den Kolonien weitergeführt wurde. Emblematisch waren etwa die Veranstaltungen am 5. November, die an den 1605 vereitelten Anschlag des KatholikenKatholizismus Guy Fawkes auf das englische Parlament und König James I. erinnerten. Dieser Tag, auch als ‚Pope Day‘ bekannt, war zu einem regelrechten Schauspiel des Antikatholizismus geworden. Strohpuppen, die Guy Fawkes – manchmal auch den Papst – darstellten, wurden durch die Straßen getragen, verhöhnt und anschließend zeremoniell verbrannt. Gerade das Verbrennen symbolischer Strohpuppen war ein beliebtes Mittel derer, die politische keine Stimme hatten, ihre Meinung kundzutun. Aktionen dieser Art wurden auch durch die Sons of LibertySons of Liberty angestoßen. Diese hatten sich jedoch zwei Aufgaben gesetzt, die nur bis zu einem gewissen Punkt miteinander vereinbar waren: Einerseits ging es darum, die unteren Schichten in die Bewegung einzubinden, andererseits aber die Kontrolle zu behalten. Sie wussten, dass die meist bessergestellten Herren der LokalversammlungenLokalversammlung sich von radikale Gewaltaktionen unweigerlich abgestoßen fühlen würden und angesichts der Tatsache, dass nicht nur weiße Arbeiter und Handwerker durch die Straßen zogen, und dass noch dazu Frauen an den Aktionen beteiligt waren, lief man Gefahr, das Bild eines rebellierenden Pöbels nur zu bestätigen. Es galt also Vorsicht walten zu lassen, um die Einheit des Widerstandes nicht zu gefährden. In BostonBoston, MA, das sich in den folgenden Jahren zu einem der revolutionären Zentren entwickeln sollte, geriet Mitte August 1765 ein Protestmarsch außer Kontrolle.

Übergriffe auf Steuereintreiber Andrew OliverOliver, Andrew (1815-1889), designiert für das Amt des Steuereintreibers, hatte sich bereits zuvor viele Feinde unter den BostonerBoston, MA Hafenarbeitern und Handwerkern gemacht. Unzählige Immobilien in der Stadt sowie seine guten Beziehungen zum königlichen Statthalter Thomas HutchinsonHutchinson, Thomas (1711-1780) und direkt nach LondonLondon, UK hatten ihm zu beachtlichem Reichtum verholfen. Er war in den Kolonien geboren, und so wurde ihm sein enges Verhältnis zu England von vielen Gegnern des Stamp ActStamp Acts als Verrat ausgelegt. Er bekleidete darüber hinaus mehrere profitable Ämter in der lokalen Verwaltung und hatte somit auch politisch großen Einfluss. Am 14. August wurde eine OliverOliver, Andrew (1815-1889) darstellende Strohpuppe an einem großen Baum im Zentrum Bostons aufgeknüpft. Im Laufe des Tages versammelte sich eine Menschenmenge, die die Puppe abschnitt und in einem inszenierten Trauerzug zu OliversOliver, Andrew (1815-1889) erst kürzlich für die Steueradministration errichtetem Gebäude am Kai zog. Nachdem sie die Backsteinkonstruktion in kürzester Zeit niedergerissen hatten, schichteten sie in den Trümmern einen Scheiterhaufen auf, und unter lauten Bravo-​Rufen wurde Andrew OliversOliver, Andrew (1815-1889) Abbild aus Stroh verbrannt. Inzwischen hatte sich die Stimmung so aufgeheizt, dass sich die Menge auf der Suche nach einem neuen Ziel in die Richtung des herrschaftlichen Wohnhauses der OliversOliver, Andrew (1815-1889) bewegte. Sich und seine Familie hatte der Verfemte in Sicherheit bringen können, aber sein Anwesen wurde völlig verwüstet. Statthalter Hutchinsons Versuch, die lokale MilizMilizen zum Eingreifen zu bewegen, war zwecklos – viele von ihnen waren auf der anderen Seite dabei. Tags darauf zitierte man OliverOliver, Andrew (1815-1889) vor ein provisorisches Schiedsgericht und legte ihm nahe – im Lichte der Vorgänge der vergangenen Nacht –, von seinem Posten als Steuerbeamter der Krone zurückzutreten. OliverOliver, Andrew (1815-1889) fügte sich.

Wieder waren es die Zeitungen, die diese Vorgänge über die Grenzen von MassachusettsMassachusetts (MA) hinaus bekannt machten, und in den folgenden Wochen ereignete sich Ähnliches auch in anderen Kolonien. In AnnapolisAnnapolis, MD in MarylandMaryland (MD) wurde das Lagerhaus des Zolls angezündet, in New YorkNew York City die prunkvolle Kutsche des Gouverneurs. Auch in den südlichen Kolonien wurden die Häuser der für das Eintreiben der Stempelsteuer designierten königlichen Vertreter verwüstet. Als das Gesetz am 1. November in Kraft treten sollte, hatten diese fast alle ihre Posten mehr oder minder freiwillig aufgegeben. Nur in GeorgiaGeorgia (GA) trat der Stempelbeamte seinen Dienst an – jedoch auch nur für einige Tage. Die Bestimmungen aus LondonLondon, UK konnten nicht umgesetzt und ausgeführt werden. Damit war ein wichtiges Ziel der ProtesteProtest