Die Antariksa-Saga VI - Alexander Merow - E-Book

Die Antariksa-Saga VI E-Book

Alexander Merow

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Beschreibung

Richtenhof wurde von den Orks überrannt und steht in Flammen. Grimzhags gewaltige Armee stößt ins Herz des Imperiums von Leevland vor, während Irmynar nach Westen flieht und versucht, ein Heer aus Verzweifelten um sich zu scharen. Die von Grimzhag angeführten Orks fiebern dem großen Finale des heiligen Krieges gegen Arasigs Nachfahren entgegen, doch der orkische Herrscher befürchtet, dass dieser Feldzug sein Weltreich zu Fall bringen könnte. Als Irmynar von Richtenhof einen ersten Sieg erringt und plötzlich immer mehr Menschen unter seinem Banner zusammenströmen, spitzt sich die Situation zu. Leevlands Schicksal steht auf Messers Schneide...

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Inhalt

Richtenhof in Flammen

Der Eishauch des Winters

Die letzten Tage des Weisen

Kampf am Treberufer

Das rostige Reich

Alles strahlet hell und schön

Palastintrigen

Der Ehrenmann

Verhandeln?

Teutheim

Asenburgs Mauern

Es wird enden

Ein Riss in der Mauer

Der Siedepunkt des Hasses

Freunde gehen, Verrat bleibt

Warten auf das Ende

Wie Schuppen von den Augen

Der Zorn des Erwachten

Irmynar der Schatten

Sklave seiner selbst

Goffrukks Gunst

Epilog

„Die Welt ist im Wandel. So sehr wie seit Jahrtausenden nicht mehr. Die Orkrasse, die lange Zeit in schwarzer Bedeutungslosigkeit versunken war und ihre einstige Macht längst vergessen hatte, hat sich unter einem Kriegsherrn mit bemerkenswerten Talenten erneut erhoben, um Anspruch auf die Länder Antariksas zu erheben.

Wir, die Caythegani, nicht weniger vergessen von der Welt, verharren noch immer in den eisigen Höhlen von Vaughmay, die unsere Vorfahren einst als Zufluchtsorte gewählt hatten. Die Zivilisation, die sie errichtet haben, existiert nach wie vor und ist stärker denn je. Wir alle fiebern dem Ende der gegenwärtigen Welt entgegen wie noch keine Elbengeneration zuvor.

Während ich diese Zeilen für die Nachwelt niederschreibe, erbeben unsere Städte unter den Marschtritten tausender Krieger. Die Götter haben mir, Thehindrel aus der altehrwürdigen `dey Calchath Sippe, die Gunst erwiesen, den Ansturm auf Galathol miterleben zu dürfen. Mehr kann sich kein Angehöriger unseres Volkes wünschen.

Für mich besteht kein Zweifel an unserem kommenden Sieg über die, die die elbische Art vergiftet und verraten haben. Bald bringen wir ihnen die Blutrache unserer sterbenden Rasse, auf dass sie wieder auferstehen möge.

Immer wieder muss ich dabei an König Grimzhag denken. Ich bin nicht so naiv zu denken, dass die Grünhäute so etwas wie unsere „Freunde“ werden könnten, doch muss ich ihrem König Respekt zollen. Grimzhag von den Mazauk ist jene Art von Anführer, die zerfallene Reiche wieder zu Imperien schmieden. Er ist die Art von Kriegsherr, der weise und grausam zugleich ist, um ein höheres Ziel zu erreichen. Wir Caythegani sind durch Jahrhunderte der Not und des Schmerzes geformt worden, so dass unser Denken eher dem der Orks als dem unserer dekadenten Artgenossen auf Galathol gleicht.

Wenn es uns gelingt, den Lebenswillen der elbischen Art neu zu entfachen und die Verräter im Inneren zu vernichten, dann werden wir eines Tages mit den Orks um die Weltherrschaft ringen.

Menschen, Zwerge, Creex - ihre Zivilisationen werden zwischen uns zerrieben werden. Die Zukunft Antariksas, das prophezeie ich, wird ein Krieg zwischen Orks und Elben sein, der ganze Kontinente erschüttern und generationenlang toben wird.

Bei den Göttern, so möge es sein, denn der Starke allein hat das Recht, sich die Welt zu nehmen. Wehe dem Narren, der dieses Gebot vergessen hat.“

(Kriegsmeister Thehindrel `dey Calchath avis Landir. Nachfahre des geehrten Gründers Taerail `dey Calchath)

Richtenhof in Flammen

Mit hämmerndem Herzen hielt Irmynar die Fackel hoch, um die ihn einhüllende Finsternis zurückzudrängen. Über sich hörte er das Poltern eisenbeschlagener Orkstiefel, das gutturale Gebrüll der Invasoren und dazwischen die panischen Schreie der Sterbenden. Richtenhof war gefallen, die Grünhäute hatten das Stadttor zerschmettert und die Mauern überwunden.

„Dieser Gang führt unter dem Wirthenberg her. Er führt in die Freiheit. Einfach immer geradeaus gehen. Einfach gehen!“, wisperte sich der junge Fürst zu.

Irmynar war allein in dem kaum einen Meter breiten Schlauch, der schon vor langer Zeit von seinen Ahnen als Fluchtweg aus der Stadt gegraben worden war. Wurzeln, die durch die Decke des alten Ganges gebrochen waren, peitschten ihm ins Gesicht. Er stieß mit dem Ellbogen gegen einen moosüberwucherten Stein und riss sich dabei die Haut auf.

Die Fackel verteilte kleine Funken auf dem Boden. Loghars Sohn stieß einen Fluch aus, während er zugleich hoffte, dass der Durchgang nicht plötzlich zusammenstürzte und ihn für immer unter der fürstlichen Residenz begrub.

Unbeirrt stolperte Irmynar weiter durch den modrig riechenden Stollen, den ansonsten bloß Ratten, Spinnen und Würmer ihr Zuhause nannten. Vor vielen Jahren hatte ihm sein Vater einmal diesen Fluchtweg gezeigt. Allerdings hatte sich damals auch Loghar geweigert, ihn bis ganz zum Ende zu durchqueren. Aus gutem Grund, wie Irmynar jetzt erkannte, denn der von angefaulten Balken gestützte Stollen kam ihm wie ein Pfad in die Abgründe der Hölle vor.

An der Oberfläche tobten die Orks, die Richtenhof Zerstörung und Tod brachten. Lange hatte sie Irmynar mit seinen Männern aufgehalten; fast zwei Monate hatten sie mit dem Mut der Verzweiflung gekämpft, doch war die feindliche Übermacht am Ende zu groß gewesen.

Gerne hätte der junge Fürst noch weiteren Bürgern seiner Stadt durch diesen Gang zur Flucht verholfen, doch war es dafür längst zu spät. Außerdem war dieser enge Durchgang kaum für eine einzige Person geeignet. Irmynar kämpfte gegen die klaustrophobische Panik an, die ihm immer wieder die Kehle zu drückte, während er sich durch eine kaum passierbare Engstelle quetschte. Immer tiefer drang er in den schwarzen Fluchttunnel vor. Die dünner werdende Luft, das Getöse der Orks und die Gedanken an das überall in den Ritzen lauernde Ungeziefer ignorierend.

Laut seinem Vater führte dieser Gang unter der Burgmauer hindurch bis in den Crangenwald, was noch ein weiter Weg war.

Hektisch griffen die Flammenfinger der Fackel um sich. Wenn sie erlosch, kam dies einem Todesurteil gleich. Irmynar kämpfte sich eisern weiter vorwärts; er stolperte über eine Wurzel, fand jedoch an der feuchtkalten Wand des Ganges Halt.

„Großer Arasig, bitte lass mich hier unten nicht verrecken! Bitte hilf mir!“, flehte er in seiner Todesfurcht.

Sollte ihn dieser Tunnel tatsächlich sicher zurück an die Oberfläche führen und er dort nicht von einem Haufen blutgieriger Orks empfangen werden, so wollte Irmynar seinen Kampf gegen die Eindringlinge fortsetzen und ein Heer aus Freiwilligen um sich scharen. Das gelobte er vor sich selbst, genau wie vor den Göttern, von denen er hoffte, dass sie ihm in diesem Augenblick zuhörten.

Grimzhag blieb wachsam, als er von seinem Gnogg sprang und den Schild hochriss. Viele der Fachwerkhäuser entlang der Stadtmauer standen in Flammen, dichte Rauchschwaden breiteten sich in alle Richtungen aus. Die kurze Nase des Orkherrschers verzog sich widerspenstig, als der beißende Brandgeruch in sie zu kriechen begann.

Zugrakk, der beste Freund des orkischen Eroberers, stand grimmig hinter ihm; in der einen Klaue hielt er einen Streitkolben und in der anderen ein Schwert. Um die beiden herum rannten Orks und Goblins mit lautem Geschrei durch die verwüsteten Straßen der gefallenen Stadt.

Sie traten Türen ein, erschlugen ängstlich schreiende Menschen und stürzten sich auf alles, was es wert war, geplündert zu werden.

Seinen Tumalführern hatte Grimzhag den Befehl gegeben, ihre Krieger davon abzuhalten, wahllose Massaker in den Straßen der gefallenen Stadt anzurichten. Doch jetzt, wo die Mauern von Richtenhof endlich überwunden waren und das Stadttor zerbrochen in den Angeln hing, entwickelte das blutige Chaos ein Eigenleben, das auch der Mazaukhäuptling nur noch schwer kontrollieren konnte.

„Worauf wartest du?“, röhrte Zugrakk vom Ende der Straße, die auf das Haupttor zuführte. Er schwang seinen Streitkolben, Grimzhag konnte seine Kampfeslust geradezu schmecken.

Vorsichtig setzte der König einen Fuß vor den anderen.

Er brummte leise, da sein rechtes Bein schmerzte. Beim Kampf auf den Mauern hatte ihm ein Mensch mit einem Streithammer auf den Oberschenkelpanzer geschlagen.

Es war keine ernsthafte Verletzung, da die Rüstung die Wucht des Schlages abgehalten hatte, doch waren die Schmerzen nachhaltig.

Grimzhag blieb nach wie vor wachsam, er sah sich pausenlos nach allen Seiten um. Vielleicht lauerte doch noch irgendwo in einem der Häuser ein todesmutiger Mensch, der ihm einen Pfeil in den Rücken jagen wollte, auch wenn er anschließend von Orkklingen zerhackt wurde.

Was war mit dem blonden Anführer der Menschen? Hatte er die Stadt bereits verlassen oder verbarg er sich noch in einem der vielen Fachwerkhäuser?

Grimzhag fletschte die Zähne, er ärgerte sich über die Tatsache, dass die Belagerung der ostmärkischen Hauptstadt derart viel Zeit in Anspruch genommen hatte. Ganz egal, wie laut seine Krieger heute ihre Siegesrufe brüllten, es änderte nichts daran, dass Richtenhof seinen gesamten Feldzugsplan durchkreuzt hatte.

„Wo ist er?“, knurrte Grimzhag, während er langsam auf Zugrakk zuging.

Hinter dem Orkherrscher verteilten sich mehrere Grauaugen in schweren Rüstungen. Sie schauten hinauf zu den Häuserdächern, wobei die Spitzen ihrer Langspieße in alle Richtungen zeigten.

Auf dem Straßenpflaster lagen erschlagene Menschen in roten Blutlachen. Männer, Frauen und Kinder, manche regelrecht zertrampelt, kaum mehr als verstümmelte Körper.

Die Einwohner von Richtenhof hatten das Stadttor bis zuletzt verbissen verteidigt. Oben auf den Wehrgängen entlang der Stadtmauer drängten sich die Leichen der Soldaten zusammen. Grimzhag konnte nicht anders, als den Mut der Leevländer zu bewundern. Auch wenn sie offenbar von jenem Krieger angeführt wurden, der seinen Sprössling Kulghor getötet hatte.

„Wen wir ihn finden, dann bringen wir ihn sofort zu Euch, mächtiger Eroberer“, versprach ein grauäugiger Leibwächter. Grimzhag drehte sich mit einem Brummen um und blickte ihn an.

„Ja, ich weiß! Allerdings habe ich das Gefühl, dass der Menschling bereits aus der Stadt geflohen ist.“

„Glaubt Ihr das wirklich, Wütender?“, wunderte sich der bullige Orksoldat.

Grimzhag stampfte bekräftigend auf. „Mein Bauchgefühl sagt es mir.“

„Aber wo soll er hin? Unsere Horde hat die gesamte Stadt eingeschlossen. Da kann nicht einmal mehr eine Ratte rauskriechen“, mischte sich ein zweites Grauauge ein.

Als Antwort erhielt er ein Verneinungswürgen seines Königs. „Natürlich weiß ich es nicht. Dennoch ist es ein Gefühl, das ich habe.“

„Natürlich, Wütender.“

In diesem Moment kam Zugrakk herbeigelaufen. Er verzog das Maul.

„Was ist denn jetzt? Willst du nicht auch ein paar Menschlinge abstechen? Heute ist doch der große Tag.“

„Der große Tag...“, wiederholte Grimzhag genervt die Augen verdrehend.

„Oder nicht?“ Zugrakk glotzte ihn blöd an.

„Das Abstechen überlasse ich gerne dir. Mir reicht es, dass diese Stadt endlich gefallen ist. Sie hat uns viel zu viel Zeit gekostet.“

„Wegen diesem Menschling mit dem gelben Haarwuchs!“, ereiferte sich Zugrakk und deutete mit dem Streitkolben auf das Ende der Torstraße.

„Unser allmächtiger König glaubt, dass der feindliche Krieger aus der Stadt geflohen ist“, bemerkte ein Grauauge. Zugrakk stieß ein langgezogenes Grollen aus.

„Was?“

„Ja, das denke ich tatsächlich“, fügte Grimzhag ganz zum Ärger seines heißblütigen Gefährten hinzu.

„Aber gegen den wollte ich kämpfen, wenn ich ihn erwische. Ork gegen Menschling“, schimpfte Zugrakk lautstark.

„Das hätte ich ohnehin nicht erlaubt. Was ist, wenn dich dieser Irmynar erschlägt? Immerhin ist er ein sehr guter Kämpfer“, meinte Grimzhag.

Zugrakk, der in der Horde einen Ruf zu verlieren hatte, lachte abfällig und zeigte dabei die Fangzähne.

„Der mich töten? Pah! Den reiß ich mit bloßen Klauen in Stücke! Ich bin Zugrakk, der Held von Yang-Weig, der härteste und brutalste...“

„Es reicht jetzt, Snaghirn!“ Grimzhag hob die Klaue und sein Freund verstummte. Ein paar der Leibwächter unterdrückten ein Orkgrinsen.

Zugrakk war es allerdings aufgefallen, dass sie die Mäuler verzogen hatten. Er schnellte herum und starrte sie zornig an.

„Was? Hat einer von euch was zu sagen?“, schnauzte er die Grauaugen an.

„Beruhige dich wieder!“, ging Grimzhag dazwischen und fasste Zugrakk an der Schulter. „Dieser Irmynar ist aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Stadt geflohen.“

„Sein Glück, ich hätte ihn zerfetzt!“, grollte Zugrakk, wobei er den Streitkolben und das Schwert enttäuscht zu Boden warf.

Grimzhag hatte indes einen nachdenklichen Blick aufgesetzt. Er stieß ein leises Brummen aus. Anschließend sagte er: „Ich bin mir allerdings sicher, dass wir Irmynar wiedersehen werden.“

Schmutzverklebt und völlig erschöpft wuchtete Irmynar den letzten Felsbrocken aus dem Weg. Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als das Tageslicht durch ein Gewirr aus Zweigen brach. Endlich hatte er es bis zum Ende des langen Tunnels geschafft.

Gerade noch rechtzeitig, denn auch die letzte Ersatzfackel, deren verkohlter Rest hinter ihm in der Erde steckte, hatte ihren Dienst versagt.

Irmynar zwängte sich durch einen engen Spalt, riss dorniges Gestrüpp herunter und lugte an ein paar verwitterten Steinen vorbei. Dann zog er sich nach oben und kroch einige Meter durch das Gras. Mit einem ekelschwangeren Zischen wischte er einen Tausendfüßler von seinem Handrücken, der es sich dort hatte bequem machen wollen.

„Der Crangenwald!“, keuchte er.

Irmynar hatte es tatsächlich geschafft, aus Richtenhof zu entkommen. Doch die Freude des blonden Fürsten währte nur kurz. Nachdem er sich hinter einen breiten Eichenstamm gehockt hatte, schaute er in Richtung der Stadtmauern, hinter denen schwarzer Qualm nach oben stieg.

Kehliges Orkgebrüll schallte zu ihm herüber.

Grimzhags Horde war gewaltig. Auch im Wald befanden sich Krieger der Grünhäute, Behutsam verbarg sich Irmynar zwischen ein paar Greifnadelbüschen und wartete. Eisiger Wind schnitt durch seine Kleidung, Schneematsch umringte seine Lederstiefel und drohte, sie mit kalter Nässe zu füllen.

Irgendwo ganz in der Nähe vernahm Irmynar fremdartiges Gerede; er schob ein paar Zweige zur Seite, betrachtete für einen kurzen Augenblick seine mit blutigen Schrammen übersäten Unterarme und lauschte dann wieder den lauter werdenden Stimmen.

Schließlich machte der Fürst in etwa fünfzig Metern Entfernung zwei Goblins aus, die auf einem umgestürzten Baumstamm saßen und vor sich hin schwatzten. Eine der seltsamen Kreaturen stützte sich auf einen langen Spieß mit einer schnabelförmigen Klinge.

„Verflucht!“, flüsterte Irmynar und fasste den Entschluss, im Schutz der Büsche zu verharren und die Fremden erst einmal zu beobachten.

Er tastete nach dem Dolch an seinem Gürtel, der einzigen Waffe, die er mit durch den Fluchttunnel genommen hatte. Mit einem leisen Schaben glitt die Klinge aus der Scheide; Irmynar strich mit den Fingerkuppen über den scharfen Stahl. Behutsam bewegte er sich daraufhin in Richtung der beiden Goblins und starrte auf ihre Rücken; die Grünhäute redeten laut durcheinander. Einer stieß einen Laut aus, der eine gewisse Ähnlichkeit mit menschlichem Gelächter hatte.

Im nächsten Moment knackte ein Ast unter Irmynars Fußspitze, der junge Fürst zuckte panisch zusammen. Er drehte sich nach allen Seiten um und spähte durch das Dickicht. Glücklicherweise hatten die zwei Goblins das Geräusch nicht wahrgenommen.

„Besser nicht!“, hauchte Irmynar und betrachtete die Atemwölkchen, die vor seinem Mund in die kalte Winterluft aufstiegen.

Er lies den Dolch sinken, anschließend schlich er in Richtung einer großen Knorrfichte, deren dunkles Geäst Schutz vor feindlichen Blicken versprach. Es war zu riskant, die beiden Goblins anzugreifen, auch wenn er gute Chancen hatte, sie mit ein paar gezielten Stichen ins Jenseits zu befördern.

Wie zur Bestätigung seiner Gedanken röhrte irgendwo ein Ork durch den Wald. Irmynar erschrak und kroch unter die Fichte, wo er hoffte, in Sicherheit zu sein.

Eine breitschultrige Gestalt mit einer gewaltigen Axt in den Klauen stapfte durch das Unterholz. Sie brüllte etwas in Richtung der beiden Goblins, die sich verdutzt umdrehten. Offenbar befanden sich im Crangenwald weitaus mehr Grünhäute als Irmynar zunächst angenommen hatte.

Er fluchte bitterlich. Schließlich beschloss er, im Schutze des Dickichts zu bleiben, bis die Nacht einbrach. Dies bedeutete allerdings, dass er nicht nur reglos in der Kälte zittern, sondern auch dem Untergang seiner Heimatstadt zusehen musste. In der Ferne ertönte das Siegesgeschrei der Feinde, der Geruch von verbranntem Holz stach Ir - mynar in die Nase. Zornerfüllt biss er die Zähne zusammen.

„Mich kriegen sie nicht!“, fauchte Loghars Sohn, der die Verteidiger von Richtenhof bis zuletzt angeführt hatte.

„Irgendwann komme ich mit einem Heer zurück und dann werden diese Monster bezahlen.“

Langsamen Schrittes ging Grimzhag auf die Menschen zu. Sein Oberschenkel schmerzte noch immer dort, wo er von dem Streithammer getroffen worden war. Der Orkkönig versuchte, nicht zu humpeln und keine Schwäche zu zeigen, doch gelang es ihm kaum.

Die überlebenden Menschen, die die Grünhäute auf dem großen Markplatz von Richtenhof zusammengetrieben hatten, waren traurige Gestalten. Schmutzige Lumpen hingen von ihren abgemagerten Leibern herab wie braune Herbstblätter. Ängstlich starrten sie in Richtung der Orks, die sie am Ende doch überwunden hatten.

„Was machen wir jetzt mit ihnen, Ehrwürdiger? Es macht nicht viel Sinn, Feinde in unserem Rücken am Leben zu lassen“, meinte ein grauäugiger Tumalführer, der bereits im Manchinkrieg an Grimzhags Seite Blut vergossen hatte.

Grimzhag jedoch würgte verneinend. Er winkte den Tumalführer zu sich heran und sah ihm in die Augen.

„Überlass die Entscheidung mir, Umprax.“

Der Mazaukhäuptling trug heute seine beste Rüstung. Ein spitz zulaufender Helm mit verzierten Wangenschützern und einem schwarzen Haarbusch bedeckte seinen Kopf.

Wuchtige Schulterpanzer, die gut zu einer manchinischen Lamellenrüstung gepasst hätten, ließen Grimzhag noch breiter und stärker wirken. Schrammen, Beulen, Kratzer und winzige Rostflecken bedeckten die Eisensegmente des Panzers; schon lange sah der kunstvoll geschmiedete Körperschutz nicht mehr so erhaben aus wie noch vor einigen Sonnenzyklen. Grimzhag hatte bereits am anderen Ende der Welt in dieser Rüstung gekämpft. Nun stand er in ihr im Herzen der Stadt Richtenhof, umgeben von zertrümmerten Häusern und ausgehungerten Menschen.

Wieder war eine Stadt von ihm erobert worden. Doch im Falle von Richtenhof, dessen tapfere Bewohner die Orks lange an ihrem Vormarsch nach Westen gehindert hatten, war es bloß ein Pyrrhussieg.

Die noch lebenden Leevländer winselten nicht um Gnade. Sie schwiegen bloß und sahen zu den Orks herüber.

Nicht einmal die Frauen bettelten um das Leben ihrer Jungen. Sie hielten ihre Säuglinge eingewickelt in dreckige Fetzen in den Händen und warteten mit versteinerten Gesichtern auf das Unvermeidliche.

„Willst du wirklich nicht so vorgehen wie in Manchin?

Ich meine, was sollen wir denn mit denen anfangen?“, meinte Zugrakk.

„Es geht mir nicht darum, sinnlos Blut zu vergießen“, antwortete ihm Grimzhag. Er hielt sich den Oberschenkel und verzog das Gesicht.

Der König der Mazauk humpelte noch ein wenig näher in Richtung der Menschenmasse. Die Leevländer begannen zu tuscheln, nicht wenige blickten Grimzhag mit trotzigem Hass in den Augen an.

Schließlich folgte dem Kriegsherrn ein Geistesbegabter, der die Sprache der Westmenschen beherrschte. Er stellte sich neben Grimzhag und wartete auf die Ansprache seines Gebieters.

„Wir lassen sie gehen. Die Menschlinge, die diesen Kampf überlebt haben, sollen nicht getötet werden. Sage ihnen, dass ich mit meinen Soldaten wieder aus Leevland abziehen werde, wenn mir Kaiser Nukywin den Frieden zusichert“, erklärte Grimzhag dem Orkdenker, der daraufhin verdutzt brummte und die Worte seines Königs in die Sprache der Leevländer übersetzte.

Wenig später ging ein erstauntes Raunen durch die Reihen der Lumpengestalten, die auf dem Marktplatz ihres Schicksals harrten.

Grimzhag kam noch etwas näher. Interessiert beäugte er die vielen Menschen, die sich, daran gab es keinen Zweifel, äußerst tapfer geschlagen hatten. Eine Leevländerin mit verfilztem Haar und eingefallenen Wangen schaute ihn beinahe herausfordernd an. An ihrer einen Hand hing ein kleines Menschenkind mit bleichem, schmutzigem Gesicht. Im anderen Arm hielt die Frau ein in eine Decke gewickeltes Junges, das gerade erst geschlüpft war. Es quiekte erbärmlich und strampelte mit winzigen Füßchen unter dem Stoff.

„Ein Wort von mir und sie sterben alle“, dachte Grimzhag. Er drehte sich zu seinem Gefolge um und spürte den kalten Hass, den die anderen Orks auf Arasigs Nachfahren empfanden.

Dann trat ein Mensch mit schlohweißem Haar und schmalen Gesicht aus der Gruppe heraus. Er rief etwas in Grimzhags Richtung. Dieser drehte den Kopf, während der Geistesbegabte die Worte des Leevländers ins Orkische übersetzte.

„Er fragt, ob sie wirklich gehen dürfen, Wütender“, sagte der Orkdenker.

Grimzhag äußerte ein zustimmendes Brummen. Er hob die Klaue und deutete auf das Stadttor im Osten.

„Geht!“, sagte er auf Leevländisch.

Für eine Weile sahen ihn die Menschen ungläubig an.

Dann setzten sie sich nach und nach in Bewegung, um als schweigende Prozession halbtoter Geister durch die verwüsteten Straßen ihrer Heimatstadt zu marschieren.

Mit zusammengepressten Lippen schaute ihnen Grimzhag nach. Trotz seines Befehls, die einfachen Bürger von Richtenhof nicht niederzumetzeln, hatten seine Krieger nach dem Fall der Stadt mit der üblichen Blutgier in den Gassen gewütet.

Nichtsdestotrotz hatten diese Menschen das Gemetzel überlebt, so dass sie Grimzhag nun ziehen lassen konnte.

Allerdings zweifelte er daran, dass dies von seinen Feinden als Zeichen seiner Großherzigkeit erkannt werden würde. Im Grunde würde es nichts an dem jahrhundertealten Hass zwischen Mensch und Ork ändern, ob er die Gefangenen erschlagen oder gehen ließ.

Lediglich er selbst fühlte sich ein wenig besser. Jetzt, wo er dabei zusah, wie die elenden Kreaturen aus den Ruinen ihrer Stadt davonschlichen. Die Tumalführer der Horde hatten hingegen kaum Verständnis für die Milde ihres Kriegsherrn.

„Wo ist dieser Irmynar hin?“, ging es Grimzhag kurz darauf wieder durch den Kopf. Dieser Gegner war weitaus wichtiger als die kleine Schar verhungerter Bürger, die er hatte entkommen lassen.

Murrende Krieger, aufgebrauchte Vorräte, ausbleibender Nachschub - außerdem noch Eisregen, der sich nach und nach in Schnee verwandelte. Grimzhag verzog das Maul, als sich die Gedanken an das elbische Heer in Manchin unter seine ohnehin schon übermächtigen Sorgen mischten.

Die Stadt Richtenhof, die den Vormarsch der Horde gefährlich lange aufgehalten hatte, lag hinter dem Kriegsherrn aus der Steppe in Trümmern, doch bis Asenburg war es noch ein weiter Weg. Die Menschen leisteten deutlich mehr Widerstand, als es Grimzhag zu Beginn dieses Feldzuges erwartet hatte; sie krallten sich verbissen in ihren Heimatboden, den sie lieber tot bedecken wollten, als ihn den Orks zu überlassen.

Als nächstes musste die Stadt Siegenwald fallen; ihr Besitz entschied über die Kontrolle des Yper, über den die Schiffe der Menschen Nahrung nach Westen transportierten.

Artux Horde belagerte Thraufurt, die Hauptstadt der Provinz Strahland, während Baudroggs Armee recht ziellos durch das Land Swytien im Süden von Leevland zog, um zu plündern und zu verwüsten.

Tief im Inneren hatte Grimzhag diesen Kriegszug von Anfang an abgelehnt, denn die bösen Vorahnungen hatten ihn nie verlassen. Aber das Schicksal hatte ihm keine andere Wahl gewährt, als gegen Leevland auszurücken.

Oder war er einfach zu schwach gewesen? Hatte er sich von der grenzenlosen Kriegseuphorie seiner Rasse mitreißen lassen?

Jedenfalls saß Grimzhag nun in einer Jurte im kalten Osten von Leevland und der Winter nahte. Die Siegesgewissheit der einfachen Orkkrieger hatte bereits ein wenig nachgelassen, während sich die Verluste häuften und der Mangel zu regieren begann.

All die Rückschläge ließen Grimzhags Zorn auflodern; er war übellaunig und drohte in seinem Hass auf die Menschen zu versinken. Die roten Nebel der Wut trübten sein Urteilsvermögen. Immer wieder musste er sich zur Sachlichkeit zwingen.

Elben und aufständische Manchinen bedrohten seine Macht am anderen Ende der Welt. Mittlerweile hatten auch orkische Boten die Hiobsbotschaft des mysteriösen Nidmethes bestätigt, was die Situation nicht besser machte.

Manchin war durch Fushangs Tod und das Auftauchen der elbischen Armee zu einem gewaltigen Brandherd der Rebellion geworden. Eine Katastrophe, die alles vernichten konnte, was Grimzhag für sein Volk aufgebaut hatte.

Welche Rolle die Caythegani spielten, die den Enlaytheth angeblich in tödlicher Feindschaft gegenüberstanden, wusste Grimzhag noch immer nicht. Vielleicht war alles bloß ein Schwindel der Galatholelben, dachte er, denn von einem Volk der Caythegani hatte er noch niemals etwas gehört.

Allerdings war Antariksa groß. Und wer kannte schon jedes Volk auf der Welt? Nicht einmal ein Eroberer wie Grimzhag der Mazauk, der seine Krieger schon durch so viele Länder geführt hatte, kannte jeden Winkel des Erdkreises.

Das Schlimmste war, dass Grimzhag diese Dinge nicht berechnen konnte. Da er nicht genug wusste, konnte er nicht planen, was ihn geradezu in den Wahnsinn trieb. Inzwischen kündigte sich schon der Winter an. Jeden Tag ergoss sich ein neuer Eisregen aus dem stets wolkenverhangenen Himmel über der Ostmark.

Die Illusion eines schnellen Vormarsches nach Asenburg war längst in Grimzhags Kopf zerplatzt. Allein der Marsch über das Felssäulengebirge hatte bereits viel wertvolle Zeit in Anspruch genommen. Anschließend hatte der hartnäckige Widerstand der Richtenhofer noch mehr Tage und Wochen gefressen.

Also mussten sie nun in Leevland überwintern, dachte Grimzhag verbittert. Genau das hatte er von Anfang an vermeiden wollen.

Hätte er doch auf seine innere Stimme gehört, hätte er doch einfach auf diesen verrückten Krieg gegen Arasigs Nachfahren verzichtet. Sollten die einfachen Orks doch denken, was sie wollten; auch wenn sie diesen sinnlosen Feldzug, der alles Aufgebaute gefährdete, als heilig ansahen.

Er hätte es besser wissen müssen, ging Grimzhag mit sich ins Gericht. Wenn es einen Ork gab, der genügend Weitsicht besaß, dann er. Warum hatte er sich nur auf diesen Wahnsinn eingelassen?

Der Eishauch des Winters

Mürrisch hielt Grimzhag die Klaue in den kalten Wind. Seine Nase zuckte und er stieß ein langgezogenes Knurren aus, als ein Tropfen, hart wie ein kleines Steinchen, aus dem grauen Wolkenmeer herabstürzte und seinen Daumen traf. Der nächste Eisregenschauer stand unmittelbar bevor.

In einiger Entfernung berannten seine Kriegerscharen die Mauern von Phythey, einer Stadt im Osten der Provinz Moorkmark. Verbittert sah ihnen Grimzhag bei ihren wütenden Sturmangriffen zu. Phythey einzunehmen, bedeutete, den Widerstand der Menschen in diesem Teil von Leevland endgültig zu zerschlagen; das hoffte der Orkkönig zumindest.

„Vermutlich wird es bald schneien“, mutmaßte ein noch junger Rottenführer, der sich neben Grimzhag gestellt hatte. Dieser fuhr augenblicklich herum und packte den überraschten Ork an der Kehle.

„Was?“ schnaubte er.

„Schnee...ich meinte nur...“, keuchte der Untergebene, dem die Augen aus den Höhlen quollen.

„Tatsächlich? Glaubst du, ich weiß das nicht selbst, du vorlaute Snagschnauze?“

„Ich bitte um Vergebung, mächtiger Brüller“, keuchte der Rottenführer im Gegenzug.

Um Grimzhag herum standen schweigende Orks. Seit dem Tag, an dem ihm vom Aufstand in Manchin berichtet worden war, war Grimzhag ein Nervenbündel. Inzwischen fuhr er bei jeder Kleinigkeit aus der Haut. Schließlich ließ er den verängstigten Adelskrieger wieder los, bevor dieser noch einen Ton von sich geben konnte. Einen Herzschlag später zerriss kehliges Gebrüll die unangenehme Stille, die sich wie ein fauliger Dunst rund um den Kriegsherrn ausgebreitet hatte.

„Woooah!“, schalte es aus Richtung der Stadtmauern von Phythey. Der Rammbock hatte das Haupttor niedergerissen. Kampfeswütige Grünhäute strömten kurz darauf hindurch und das Gemetzel in den Straßen begann.

„Na, endlich!“, war alles, was Grimzhag in diesem Moment über die Lippen kam.

„Phythey hat keine zehn Tage standgehalten“, merkte Zugrakk an, in der Hoffnung, seinem Freund etwas bessere Laune zu verschaffen.

Grimzhag schob die Augenbrauenwülste nach unten, seine Euphorie hielt sich weiterhin in Grenzen.

„Dafür hat uns Richtenhof bereits viel zu lange aufgehalten. Dieser Zeitverlust ist nicht wieder gut zu machen.

Außerdem ist es Baudrogg noch immer nicht gelungen, zu uns zu stoßen. Ich hätte ihm niemals das Kommando über zehn Tumala geben dürfen.“

Grimzhags zorniger Monolog ging im Jubelgeschrei der Krieger unter; das gewaltige Heerlager rund um Phythey erbebte. Die Aussicht auf Beute und Gewalt machte die Orks glücklich, wenigstens für den Moment.

Bald würde Artux mit seinem Heer zu ihm stoßen, dachte der Mazaukhäuptling. Doch was zählte dies alles, wenn der Feind am anderen Ende des Erdkreises sein Imperium angriff und er ohnmächtig dabei zusehen musste?

„Ich werde jetzt mal zur Tat schreiten“, meinte Zugrakk, der mit den Fingerkuppen erwartungsvoll über die scharfen Stacheln seines Streitkolben strich und sehnsuchtsvoll seinen Artgenossen nachblickte, die bereits in die gefallene Stadt stürmten.

„Ja, mach nur!“, brummte Grimzhag. Noch im gleichen Moment rannte Zugrakk mit lautem Kriegsgeheul los.

Die Mauern von Phythey waren überwunden, das war besser als nichts, doch bis Asenburg war es noch ein weiter Weg. Außerdem würde das Land bald unter einer Schneedecke versinken, dachte Grimzhag, was ihm ein unangenehmes Ziehen in den Eingeweiden bescherte.

Inzwischen hatten heftige Schneefälle eingesetzt und ganz Leevland war in eine einzige, weiße Winterlandschaft verwandelt worden, in der eisige Stürme und bitterkalte Nächte regierten. Genau wie die von Grimzhag geführte Orkhorde litten auch die beiden anderen Armeen unter dem Wintereinbruch. Die Krieger kamen nur noch langsam voran und quälten sich mühsam durch endlos erscheinende Wälder und gefrorene Sümpfe.

Artux war es gelungen, den vereisten Craal im Osten der Provinz Rathien mit seiner Horde zu überqueren. Dabei waren jedoch zahlreiche Krieger, Gnoggs und Proviantkarren in die eisigen Fluten gestürzt. Kleine Scharen von Zwergen und Menschen hatten die Nachhut der Horde in tiefer Nacht überfallen und für noch mehr Verwirrung gesorgt.

Dennoch lag der gefährliche Fluss nun hinter Artux und seiner Armee, so dass sie sich weiter durch Rathien kämpfen konnte. Ein Kontakt zu Grimzhag war indes so gut wie unmöglich, denn der harte Winter und die überall in den Wäldern lauernden Menschentrupps machten es den berittenen Orkspähern unmöglich, weite Strecken zurückzulegen.

Auch Artux, der Häuptling der Agram, den Grimzhag seit vielen Sonnenzyklen als engen Freund und Mitstreiter schätzte, hatte längst begriffen, dass der Feldzug gegen die Leevländer ganz anders verlaufen würde, als sie es damals in Chaar-Ziggrath geplant hatten.

Der schnelle Wintereinbruch hatte die vorwärts marschierenden Horden nicht nur sehr verlangsamt und ihre Schlagkraft gehemmt, sondern auch die Versorgung mit Nachschub völlig zusammenbrechen lassen. Artux erschien Asenburg, Leevlands legendäre Hauptstadt, inzwischen so weit entfernt wie die nördlichen Eiswüsten am Rande des Erdkreises. Der „schnelle Vorstoß“ mit dreißig Tumala, der Leevland blitzartig zu Fall bringen sollte, war nur noch eine verblasste Illusion, die in den furchtbaren Schneestürmen des Winters versunken war.

Die Leevländer selbst waren entweder nach Westen geflüchtet oder hatten sich hinter den Mauern befestigter Städte verborgen - samt sämtlicher Vorräte. Somit gab es für die orkischen Spähtrupps kaum noch etwas zu plündern, was die Versorgungssituation der Horde dramatisch verschlechterte.

Abgesehen davon wuchs der Widerstandsgeist der Leevländer mit jedem verstreichenden Tag und die Überfälle auf versprengte Orkscharen oder die Nachhut des riesigen Heereszuges nahmen zu. Hinter all dem, das hatte Artux mittlerweile erfahren, stand weniger der Kaiser der Menschen, sondern ein junger Fürst namens Irmynar.

Während Nukywin in Asenburg tatenlos auf seinem Thron saß und die meisten Fürsten des Imperiums bloß ihre eigenen Burgen schützen wollten, zog Irmynar von Richtenhof unermüdlich durch die Lande, um die wehrwilligen Männer unter seinem Befehl zu vereinen.

Ein Mann, der die Herzen der einfachen Leute wieder mit Mut und Trotz erfüllte, war schlimmer als so manche feindliche Armee. Das wusste nicht nur Grimzhag, sondern auch sein Stellvertreter Artux.

Damals war es Prinz Song-Han gewesen, der die Manchinen mit neu entfachter Kampfeswut auf das Schlachtfeld geführt und den Orks beinahe den Sieg geraubt hatte.

Hier in Leevland, am anderen Ende der Welt, begann Fürst Irmynar allmählich eine ähnliche Rolle zu spielen.

Mochten die Knochen der mächtigen Ritter Leevlands auch auf dem Crombfeld liegen, so gab es noch tausende ausgehungerte Bauern und Bürger, die den grünhäutigen Invasoren mit Hass und purer Verzweiflung entgegentraten. Allein war jeder von ihnen klein und schwach, doch unter dem Befehl eines entschlossenen Anführers konnten auch sie gefährlich werden.

So marschierten die Orkhorden über schneebedeckte Felder und durch eisige Stürme. Sie froren in ihren Feldlagern und nicht wenige von ihnen verfluchten inzwischen diesen Feldzug, auch wenn ihn die Schamanen als heiligen Krieg anpriesen.

Die Götter mochten vom Wirbel der Seelen aus bei diesem Krieg voller Erwartung zusehen, doch die einfache Grünhaut hungerte und zitterte bloß in den unbarmherzigen Winternächten.

Irmynar beugte den Oberkörper etwas nach vorne, um der Wärme des Kaminfeuers näher zu sein. Draußen wirbelten die Schneeflocken vor den Fensterläden, der kalte Wind heulte unablässig, seit die Abenddämmerung eingesetzt hatte. Thelinda legte die Hand auf Irmynars Schulter, doch dieser stieß ein unwilliges Brummen aus. Dann wandte ihr Irmynar den Blick zu, in den Augen des blonden Fürsten spiegelten sich Leid und Hoffnungslosigkeit.

„Danke den Göttern, dass du noch am Leben bist“, sagte sie in einem halbherzigen Versuch, die düstere Stimmung ihres Mannes aufzuhellen.

„Ja, ich lebe noch, um diese Orkbrut weiter zu bekämpfen. Richtig!“, spie Irmynar hasserfüllt in das Halbdunkel.

„Nein, du lebst...“, setzte Thelinda an, doch wich sie vor dem grimmigen Starren ihres Gatten zurück.

„Grimzhag hat Richtenhof in ein Grab verwandelt. Meine Heimatstadt, die gesamte Ostmark ist von den Orks verwüstet worden und dafür werde ich diese Unholde bezahlen lassen. Wenn ich dabei sterbe, dann soll es so sein, aber vorher nehme ich noch eine Menge von ihnen mit.“

Thelinda ließ ein Kopfschütteln folgen. Irmynars Fanatismus behagte ihr nicht. Allerdings bestand wenig Aussicht, dass sie ihn umstimmen konnte.

„Vielleicht wäre es besser, wenn wir uns an einem sicheren Ort verstecken und warten, bis der Sturm vorübergezogen ist“, bemerkte die schöne Adlige kurz darauf an.

„Grimzhag und seine Horden werden nicht von alleine verschwinden. Dieser Dämon kann nur mit dem Schwert aufgehalten werden“, grollte Irmynar, dem Richtenhofs Untergang noch immer den Schlaf raubte.

„Was bisher nicht geglückt ist“, wagte Thelinda hinzuzufügen.

Ein paar Herzschläge später sprang Irmynar auf, er schleuderte die Wolldecke, in die er sich gehüllt hatte, wutschnaubend zu Boten.

„Was meinst du damit? Haben wir in Richtenhof etwa nicht tapfer genug gekämpft?“

„Nein, das wollte ich nicht sagen. Bitte beruhige dich, Irmynar.“

„Es war ein wahres Meer von Orks, das unsere Mauern umspült hat. Es ist ein Wunder, dass wir sie überhaupt so lange aufgehalten haben!“, schrie Irmynar außer sich.

„Beruhige dich!“, fauchte Thelinda, die seinen Wutausbruch nicht einfach hinnehmen wollte. „Ich will bloß nicht deinen Tod beweinen müssen, das ist alles.“

Es dauerte eine Weile, bis Irmynar die Fassung wiedererlangt hatte. Er hob die Wolldecke vom Boden auf, warf sie sich über die Schultern und sank auf dem Stuhl vor dem Kamin zusammen.

„Tut mir leid“, murmelte er und griff nach Thelindas Hand. Sie schenkte ihm ein Lächeln.

„Die Zerstörung von Richtenhof geht mir genauso zu Herzen. Die Götter mögen die Orks für alles verfluchen, was sie unserem Volk antun.“

„Dennoch werde ich bald wieder aufbrechen und die Eindringlinge bekämpfen. Wenn niemand mehr den Mut hat, sich Grimzhag entgegenzustellen, dann werde ich es eben selbst tun“, sagte Irmynar.

Seine Frau nickte. „Wenn das deine Entscheidung ist, Liebster.“

„Es ist meine Entscheidung. Ich werde König Grimzhag eines Tages töten oder bei dem Versuch sterben“, gelobte Loghars Sohn und blickte in die tanzenden Flammen.

Kaiser Nukywin saß auf seinem Thron und bemühte sich, seine jugendliche Unsicherheit hinter einer ernsten Maske zu verbergen. Ein Unterfangen, das kaum von Erfolg gekrönt war; doch galt dies nicht allein für den Sohn des gefallenen Carolus, sondern auch für die ihn umgebenden Würdenträger und Adeligen, die heute am Asenburger Hof erschienen waren.

Eine elbische Gesandtschaft aus Galathol näherte sich dem Thronpodest im Herzen des Saales. Die Gesichter der Enlaytheth blieben dabei starr, Menschen vermochten in ihnen ebenso wenig zu lesen wie in einem verschlossenen Folianten.

Schließlich trat der Führer der Abordnung, ein silberhaariger Enlaytheth in einer azurblauen Robe, vor den leevländischen Imperator und sagte: „Der ehrwürdige Carond und die Plaithes des Hohen Konzils von Varnasse begrüßen das Volk von Leevland und seinen Imperator.“

„Willkommen in Asenburg!“, gab Nukywin zurück.

Der Elb nickte nach Menschenart, dann fuhr er fort:

„Wir sind heute zu Euch gekommen, um Euch eine erfreuliche Kunde zu überbringen, Kaiser der Menschen.“

Ein Tuscheln wanderte durch den versammelten Hofstaat, der den Weg zu Nukywins Thronpodest zu beiden Seiten flankierte. Elben waren inzwischen selbst in Asenburg ein seltener Anblick, da ihre Zahl in den letzten Jahrhunderten immer weiter zurückgegangen war.

„Erfreuliche Nachrichten hören wir umso lieber, seit Grimzhags Horden unser Imperium heimsuchen“, antwortete der Kaiser.

Der Elb lächelte. „Fast fünfzigtausend Soldaten aus Galathol sind in Manchin an Land gegangen. Es wird bald zu einem Aufstand südlich des Jadeflusses kommen, denn die Manchinen haben einen neuen Herrscher, der willens ist, den Grünhäuten die Stirn zu bieten.“

Nukywin glotzte die Enlaytheth fragend an, um ihn herum wisperten seine Berater. Das Wort „Manchin“ klang sagenhaft in den Ohren der Leevländer. Kaum einer von ihnen hatte bisher überhaupt gewusst, dass es einen Jadefluss gab.

„Der...der Jadefluss! Aha!“, sagte der Imperator nach einem Augenblick des Schweigens.

„Wir möchten Euch nicht mit Einzelheiten langweilen, da Ihr die Zusammenhänge ohnehin nicht begreift“, meinte der Elb nüchtern. „Allerdings wird der Aufstand in Manchin Grimzhag hier in Leevland in Bedrängnis bringen.“

„Dann gibt es das goldene Land tatsächlich!“, stieß eine noch junge Hofdame irgendwo im Pulk der Anwesenden aus. Sie wurde unverzüglich von einem älteren Herrn gerügt.

Nukywin krallte sich an den Armlehnen seines Thrones fest, der Elb in der blauen Robe hob die Hand.

„Die Orks haben ihre Position in Nordmanchin noch nicht völlig gefestigt, aber die Zeit drängt, Imperator Nukywin. Daher musste Galathol jetzt handeln. Wir haben alles an Soldaten entsandt, was unsere Rasse noch aufbieten kann, aber wir sind zuversichtlich, dass wir die Grünhäute mit Hilfe der Manchinen im Osten besiegen können. Wenn Kaifeng zurückerobert worden ist, wird Grimzhag seine Macht am anderen Ende der Welt verlieren“, erklärte der elbische Gesandte, um daraufhin noch mehr ungläubige Blicke auf sich zu ziehen.

„Kaifeng...“, murmelte Nukywin.

„Die einstige Hauptstadt des manchinischen Imperiums“, ergänzte der Enlaytheth.

„Verstehe!“ Der leevländische Kaiser kratzte sich mit einem Gesichtsausdruck, der das Gegenteil vermuten ließ, am Hinterkopf.

„Das sind gute Neuigkeiten, nicht wahr?“ Die Mundwinkel des Elbs zuckten leicht nach oben, als er ein menschliches Lächeln imitierte.

Nukywin räusperte sich verlegen. „Ja, sehr erfreulich. Wir alle hoffen, dass Kaicheng zurückerobert werden kann.

Natürlich!“

„Kaifeng, Kaiser Nukywin.“

„Kaifeng am Jadefluss - richtig!“

Der elbische Bote zischte maßregelnd. „Kaifeng liegt nicht am Jadefluss.“

„Wo es auch immer liegt. Wir hoffen, dass die Orks den Kampf verlieren“, sagte Nukywin, dem die Überforderung ins Gesicht geschrieben stand.

Die Ringe unter den Augen des Weisen waren tief und dunkel, ein Keuchen kroch über Cuglakks gesprungene Lippen. Der alte Schamane war dem Tode nahe; Grimzhag musste kein Heilkundiger sein, um dies zu erkennen.

„Der angeblich so weise Gnoggschädel aus Roughfort hat im entscheidenden Moment versagt.“

Cuglakk keuchte und würgte; sein Goblindiener streichelte ihm den knochigen Rücken.

„Ich weiß, was Ihr sagen wollt, Denkmeister“, antwortete Grimzhag. Der Orkkönig blickte sich verstohlen in seiner Jurte um, doch bis auf Cuglakk und seinen Snag war niemand da.

Draußen, jenseits der graubraunen Zeltwände, fegte der Wind heulend über das Land. Es war still im Lager der Horde; ungewöhnlich still für Orkverhältnisse. Niemand brüllte oder sang mit rauer Stimme ein Kriegslied. Lediglich der Wind, der durch jede Ritze des Zeltes mit seinen Eisfingern griff, leierte ein monotones Lied herunter.

„Er ist kein Kriegsherr, nur ein greiser, verschrumpelter Schamane. Ja, ja, Cuglakk hätte den großen Grimzhag nicht falsch beraten sollen.“

„Alle haben auf mich eingeredet, auch Soork. Arasigs Nachfahren müssen bezahlen, sagten sie wieder und wieder. Dieser elende, unauslöschliche Wahn! Am Ende habe sogar ich mich ihm gebeugt“, gab Grimzhag zerknirscht zu.

„Dieser uralte Hass lebt in uns allen. Auch der alte Weise wollte Rache für die großartige Zivilisation unserer Vorfahren, die Arasig und seine Ritter ausgelöscht haben. Ja, er muss es zugeben, er ist auch nicht frei von dieser giftigen Rachsucht, der angebliche Weise.“

Grimzhag tätschelte Cuglakks runzligen Schädel mit der Klaue.

„Wenn wir alles wüssten, dann wären wir Götter, aber wir sind einfache Orks und machen Fehler“, sagte er versöhnlich.

„Jetzt sterbe ich in Leevland in Eis, Schnee und Regen.

Wie passend!“, krächzte Cuglakk atemlos.

„Aber Gebieter, Ihr werdet noch lange leben und glücklich nach Roughfort zurückkehren“, wandte der Goblin ein.

„Ha!“, schnaufte Cuglakk. „Der glaubt noch immer daran, dass der Weise diesen Sonnenzyklus überleben wird.

Aber das wird nichts mehr. Meine Organe werden hart und erkalten, ich spüre es. Der Seelenwirbel ruft nach mir, kann`s nicht mehr länger leugnen.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, mein alter Freund“, brummte Grimzhag hilflos.

„Ach, es ist doch längst alles gesagt. Cuglakk entblößte die gelblichen Ruinen seiner Fangzähnen und wischte sich einen Sabbertropfen von der Lippe.

„Manchin darf nicht fallen. Dort brechen sie mir das Genick“, knurrte Grimzhag, denn dieser grausige Gedanke ließ nicht von ihm ab.

Cuglakk sah zu ihm auf. „Der Weise ist bloß noch ein Leichnam, er kann niemandem mehr helfen.“

„Aber, Herr!“, stieß der Goblin aus.

„Schweig, kleiner Snag! Alles geht bald ohne den alten Besserwisser weiter, aber ich bin sicher, dass Grimzhag am Ende doch siegt.“

„Ich nicht! Ich habe Angst vor der Zukunft. Alles zerrinnt zwischen meinen Fingern, ich kann es nicht erhalten, mein Reich...“, bekannte dieser.

„Doch, er wird auch diesen letzten Kampf gewinnen.

Cuglakk glaubt an ihn, die Faust des Goffrukk.“

„Aufbauende Worte, vielleicht besser als nichts“, meinte Grimzhag ins Leere starrend.

„Der Glaube versetzt Berge. Glauben soll er an sich selbst wie der einfache Ork an ihn glaubt“, sagte Cuglakk um Luft ringend mit einem langgezogenen Röcheln.

Dann sank der Weise in sich zusammen, er lies die dürren Arme herunterhängen.

„Es ist besser, wenn ich ihn zurück in sein Zelt bringe. Er muss sich erholen“, sagte der Goblin und fasste den greisen Schamanen an der Schulter.

„Ja, wirklich besser. Kriege keine Luft mehr, kann nicht mehr sprechen“, japste Cuglakk.

Grimzhag sah dem Weisen betrübt nach, als dieser kraftlos aus seiner Jurte humpelte. Sein alter Gefährte würde nicht mehr lange in dieser Welt verweilen, dachte er.

Cuglakks Tod stand unmittelbar bevor.

Schließlich war es Artux gelungen, auch den Mersh unter großen Mühen zu überqueren. Der breite Strom, der sich durch den Südwesten von Leevland schlängelte, hatte den grauäugigen Hordenführer zahlreiche Krieger gekostet; ebenso die gefährlichen Sümpfe entlang des Ufers und die heimtückischen Angriffe menschlicher Bogenschützen, die im Schilf oder in den umliegenden Wäldern gelauert hatten. Umso tiefer die Horde nach Leevland eindrang, umso schwerer wurde die Versorgung mit Nachschub.

Trotz des Falls von Kazhad Mekral - oder gerade deshalb - griffen die Khuz orkische Trupps, die das Felssäulengebirge zu überqueren versuchten, um die gewaltige Horde im Westen mit Nahrungsmitteln und Ausrüstungsgegenständen aller Art zu beliefern, unablässig an.

Die meisten Leevländer waren vor Artux Horde indes nach Westen geflüchtet; die Bewohner der größeren Städte hatten sich hinter ihren hohen Mauern verbarrikadiert, nachdem sie alles Essbare eingesammelt hatten.

Zunächst waren die Menschen jedoch nicht in der Lage, den Eindringlingen ernsthaften Widerstand entgegenzusetzen. Doch die leevländischen Wälder und Sümpfe bereiteten den Orks weitaus mehr Probleme als gelegentliche Hinterhalte oder versteckte Bogenschützen. Auch Artux wusste, dass der ewige Hunger irgendwann der ärgste Feind seiner Krieger werden würde. Noch reichen die Vorräte mehr oder weniger aus, doch war es nur eine Frage der Zeit, bis die riesige Armee unter einem chronischen Mangel an Nahrungsmitteln litt.

Zudem war es äußerst schwierig, sich in Leevlands Wäldern zurechtzufinden oder gar Kontakt mit den anderen beiden Horden zu halten. Artux Ziel war es, sein Heer auf Dauer mit der von Grimzhag angeführten Streitmacht zu vereinen, damit der entscheidende Schlag gemeinsam gegen Asenburg geführt werden konnte. Doch all dies hatte sich in der Theorie einfacher angehört, als es tatsächlich war. Selbst König Grimzhag hatte nicht alle Unwägbarkeiten dieses Feldzuges voraussehen können.

So marschierten die Orks über schlammige Waldpfade in Richtung der Stadt Lasenwall, die es als nächstes einzunehmen galt. Fast unablässig warf sich ein eisiger Regen auf die Kriegerkolonnen und selbst der dümmste Goblin konnte sich ausmalen, dass der Weg nach Asenburg noch ein endlos erscheinender Marsch durch die Hölle werden würde.

Hungernd musste die Horde in Feindesland lagern, eingehüllt in Eis und Schnee. Zehntausende Grünhäute, denen die Mägen knurrten, waren jedoch noch weitaus gefährlicher als sie es sonst waren. Plünderungen und Verwüstungen warteten prophetischen Ansagen gleich in den kommenden Monaten auf die Leevländer, deren Widerstandsgeist Irymnar von Richtenhof zu erwecken versuchte.

Die Orkhorde, die von Baudrogg geführt wurde, kam indes noch langsamer voran und litt schon jetzt unter schweren Disziplinproblemen. Die Krieger der verschiedenen Stämme aus den Dunklen Landen und dem Felssäulengebirge verstanden sich oft genug nicht, was bereits zu einer Reihe von blutigen Auseinandersetzungen geführt hatte. Baudrogg aus Morkfort war kein sonderlich guter Anführer und seit seiner schweren Verwundung im Manchinkrieg bloß noch ein Schatten seiner selbst. Mühsam schlängelten sich seine Orkrotten durch Swytien, wo sie eine Schneise der Zerstörung hinter sich zurück ließen.

Bei Born, im Nordwesten des Grenzlandes, wurde Baudroggs Horde von mehreren tausend Swytiern und Zwergen angegriffen und tagelang aufgehalten.

Alles verlief mittlerweile vollkommen anders, als es sich Grimzhag und seine Berater vorgestellt hatten. Die drei riesigen Armeen, die Leevland wie eiserne Hämmer zermalmen sollten, erwiesen sich als schwer zu kontrollierende Raubtiere, die der bevorstehende Hunger noch wütender machte. Doch gab es längst kein Zurück mehr. Der Krieg gegen die Menschen des Westens tobte und allein Asenburgs Fall verhieß den Sieg. Bis zur legendären Hauptstadt des alten Feindes war es allerdings noch ein weiter Weg.

Die letzten Tage des Weisen

„Größter, stärkster und mächtigster aller Kriegsherren“, zählte der Goblin auf und machte eine Vielzahl von Demutsgesten.

Grimzhag kratzte sich am Kopf. „Ja?“

„Cuglakk, mein Herr und Gebieter, er ist zusammengebrochen. Zwei Orks haben ihn in sein Zelt getragen“, erklärte der Gehilfe des alten Schamanen.

Soork und Zugrakk, die neben Grimzhag standen, sahen einander mit vielsagenden Blicken an. Dass es mit Cuglakk zu Ende ging, war ihnen nicht verborgen geblieben.

„Er kann kaum mehr sprechen. Bei Shubbuku, was soll bloß ohne den Weisen aus der Welt werden?“, lamentierte der Goblin und warf seine dürren Arme in die Luft.

„Ich hatte ihn gewarnt. Dieser Feldzug war Gift für ihn“, meinte Grimzhag.

„Andererseits ist Cuglakk über zweihundert Sonnenzyklen alt“, sagte Soork, den eine gewisse Hassliebe mit dem exzentrischen Orkdenker verband.

Grimzhag schob den tieftraurigen Goblin aus dem Weg und verließ seine Jurte, um das Zelt des Weisen aufzusuchen. Soork und Zugrakk folgten ihm. Dann kam auch Cuglakks Diener, der völlig außer sich war. Ohne den Schamanen aus Roughfort hätte sein Leben keinen Sinn mehr, hörte Grimzhag den Goblin jammern.

Wer würde ihm in Zukunft die Welt erklären? Wer würde ihm Anweisungen geben oder ihn liebevoll mit dem Stock schlagen?

„Die Welt geht vor die Gnoggs ohne ihn!“

Flüchtig drehte sich Grimzhag um. Der Goblindiener lag im Gras und wälzte sich voller Gram.

Wenig später hatte Grimzhag das Zelt des greisen Geistesbegabten erreicht. Er schob einen Ledervorhang zur Seite und wurde von zwei besorgt dreinschauenden Orks und Cuglakks lautem Röcheln begrüßt.

Der Weise ruderte mit den Armen, die Augen quollen ihm aus den Höhlen, ein langgezogenes „Argh!“ sprang aus seinem fast zahnlosen Maul heraus.

„Alle sind da, wenn sich der Alte abmacht“, krächzte Cuglakk.

Grimzhag eilte zu ihm und ergriff seine knochige Klaue.

„Weiser, mein lieber Freund, ich werde persönlich dafür sorgen, dass es Euch bald wieder besser geht.“

„Ach, das ist doch Unsinn. Cuglakk will schon lange nicht mehr. Im Wirbel der Seelen geht es bald weiter, muss mich vorbereiten. Bin aber sehr erschöpft.“

Soork stellte sich neben das Krankenlager des Alten.