Alarvail II - Alexander Merow - E-Book

Alarvail II E-Book

Alexander Merow

0,0

Beschreibung

Unglaubliche Heldentaten haben den kometenhaften Aufstieg von Alarvail `dey Veryor begründet. Doch der Waise, der aus dem Nichts kam, strebt nach mehr. Als ihn das Hohe Konzil von Varnasse schließlich als Heerführer nach Shaamay schickt, um gegen die dortigen Wüstenmenschen Krieg zu führen, brennt Alarvail vor Tatendrang, denn die Sudlaner hatten einst seine Heimatstadt zerstört und seine Eltern getötet. So wird der Krieg gegen die Menschen von Shaamay zu Alarvails persönlichem Rachefeldzug. Tief in der Wüste jedoch warten vergessene Schrecken und blutiger Wahnsinn auf ihn...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 416

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Geboren für den Kampf

Der Held der Enlaytheth

Brüchige Siege

Unaufhaltsamer Aufstieg

Der verhasste Feind

Halmaths verfluchte Söhne

Blut und Sand

Dein Tod heißt Alarvail

Im Blutrausch der Erkenntnis

Zurück in die Heimat

Der Zenit ist erreicht

Ruhm für den Helden

Jaryrion

Der unnahbare Kriegsherr

Hunger in Enrasse

Feuer der Rebellion

Die Furcht der Plaithes

Verschiedene Ziele

Es ist Zeit zu handeln

Die Flotte sticht in See

Flucht nach Abyssal

Die Herren der Tiefe

Geboren für den Kampf

Gedankenverloren beugte sich Alarvail `dey Veryor herab und nahm einem toten Menschen eine bizarr aussehende Standarte aus den erstarrten Händen. Der erschlagene Feind, dessen schwarzer Bart mit Schmutz und Blut verkrustet war, umklammerte noch immer das Banner seines Stammes, einen mit Wutrunen verzierten Widderschädel. Seine Augen starrten glasig ins Leere, doch sein verzerrter Mund wirkte unverändert grimmig.

Alarvails gepanzerter Stiefel erhob sich aus braunem Morast, der elbische Kriegsmeister mit dem weißblonden Haar wiegte die Standarte ruhig in den Händen. Für einen Moment sah Alarvail den Widderkopf schweigend an, wobei ihn der bleiche Schädel seinerseits aus dunklen Augenlöchern zu betrachten schien.

Der gesamte Wald lag voller toter Barbaren; sie bedeckten den Boden zwischen umgeknickten Sträuchern und knorrigen Baumstämmen. Wortlos ging Alarvail weiter, wobei er die erbeutete Standarte hinter sich her zog.

„Ehrwürdiger Shairan, nach dieser vernichtenden Niederlage werden die noch aufsässigen Menschenstämme ihren Widerstand gegen uns aufgeben“, bemerkte ein elbischer Offizier in einer schweren Schuppenrüstung.

Ohne eine Miene zu verziehen, drückte ihm Alarvail den Widderschädel in die Hand, um daraufhin zu erwidern: „Das Stammestotem der Caldynier soll uns als Trophäe erhalten bleiben. Ansonsten hoffe ich, dass unser Feldzug mit dieser Schlacht endlich ein Ende gefunden hat.“

Der andere Elb nahm seinen Spitzhelm vom Kopf, rotblondes Haar fiel ihm über seine Schulterpanzer und den mit Eisenschuppen bedeckten Rücken. Die Mandelaugen des Enlaytheth hatten sich verdunkelt, Alarvail erkannte Erleichterung im Blick seines Gegenübers.

„Die Caldynier haben nach diesem Gemetzel kaum noch Krieger. Sie werden so schnell kein neues Heer mehr aufstellen können“, meinte der Cremeth.

Alarvail machte eine Geste der Zustimmung. Nach einem weiteren Augenblick des stillen Sinnierens sprach er: „Den Caldyniern bleibt nur noch die Unterwerfung. Ich werde sie vor Galathol das Knie beugen lassen und sie zu unseren Vasallen machen.“

Der andere Elb lächelte. „Damit verlieren die Zwerge ihren wichtigsten Verbündeten in Erewaith. Unser Sieg ist diesmal noch glorreicher als die vorausgegangenen. Ihr seid auf dem Weg zum Caradon, Ehrwürdiger.“

„Noch führt Caranthir `dey Umeres das Reichsheer von Galathol an“, antwortete Alarvail bescheiden, obwohl er wusste, dass ihn dieser Triumph in die obersten Ränge der Kriegsmeisterhierarchie katapultieren würde.

Taerail, Alarvails bester und zugleich einziger Freund, tänzelte über die vielen Leichen, die überall verstreut zwischen den Büschen lagen. Der adelige Ulres wirkte erschöpft, aber zufrieden. Unzählige kleine Blutspritzer bedeckten seinen Brustpanzer, genau wie seine Unterarmschienen.

„Den stinkenden Khuz bleibt nur noch ihr Gebirge. Mit diesem Sieg hast du ihre Verbündeten endgültig zu Boden geschlagen, Alarvail.“

„Wir alle haben diesen Krieg gewonnen“, schwächte dieser die Lobeshymne seines Gefährten ab. Müde lehnte er sich gegen einen Baumstamm und stöhnte auf.

„Ich weiß, du willst dich irgendwo aufwärmen. Genau wie ich“, meinte Taerail und erlaubte sich ein erschöpftes Lächeln.

Alarvail brummte zustimmend. „Diese nassen und schlammigen Wälder voller Wilder sind entsetzlich. Noch schlimmer ist aber, dass wir so viele von diesen Halbtieren abschlachten müssen, bis sie sich endlich Galathol unterwerfen. Wie auch immer, ein heißes Bad wäre genau das Richtige.“

„Vielleicht in Gesellschaft einer jungen Elbin. Wir sollten zurück in eine unserer Kolonien reiten und dieses Dreckloch von einem Wald seinen stinkenden Bewohnern überlassen“, sagte Taerail. Er stieß mit der Stiefelspitze gegen den blutüberströmten Schädel eines gefallenen Menschen, dessen Schädel die Tödlichkeit einer geschärften Elbenklinge kennengelernt hatte.

Müde aufstöhnend rieb sich Alarvail das blutleere Gesicht. Seine Augen blickten trüb durch das dunkelgrüne Dickicht. Sie hatten eine große Schar rebellischer Barbaren bis in die Tiefen dieses Waldes verfolgt und sie hier niedergemetzelt. So taten sie es seit Monaten im Auftrag des Hohen Konzils in Varnasse. Die vornehmen Plaithes und ihr Carond, die in prunküberhäuften Hallen tagten und die elbischen Soldaten quer durch die Länder Antariksas scheuchten, konnten sich nicht einmal im Ansatz vorstellen, was es bedeutete, in den verregneten Wäldern von Erewaith gegen wilde Menschenhorden zu kämpfen.

„Ich brauche keine junge Elbin. Mich interessiert allein Luthien“, gab Alarvail nach einem Augenblick des stummen Sinnierens zurück. Taerails Kopf zuckte zurück, der Hochgeborene zischte abfällig.

„Jetzt geht dieses Gerede schon wieder los. Sei froh, dass du noch lebst. Auch du bist nicht unverwundbar, Wüstenelb. Und vergiss endlich diese verrückte Sarielpriesterin. Sie verschwendet längst keinen Gedanken mehr an dich. Also mache nicht den Fehler, noch einen an sie zu verschwenden.“

„Lass uns zurück ins Lager gehen, Taerail. Mit diesem Sieg haben wir das Rückgrat unseres Feindes endgültig zerschmettert. Es wird Zeit, etwas anderes zu tun, als immer nur diese Waldtrallaith zu erschlagen. Das wird auf Dauer langweilig.“

Alarvail verzog den Mund nachdem er den vielen toten Menschen um sich herum einen letzten Blick geschenkt hatte.

Ein weiterer Sieg, dachte er. Ein weiterer Sieg, den er mit nüchterner Selbstverständlichkeit hinnahm. Alarvail `dey Veryor siegte immer, wenn er ein Schlachtfeld betrat. Das wusste inzwischen jeder, der unter seinem Kommando kämpfte.

„Von Manchin bis Erewaith, von Marcaley bis zum Felssäulengebirge. Wir kämpfen an jedem Ort des Erdkreises“, murmelte Alarvail, während er seinen Becher gedankenverloren zum Mund führte.

Taerail reagierte mit einem Laut der Zustimmung, antwortete jedoch nicht. Sein Freund, der es inzwischen zu einem bei vielen Kriegern verehrten Helden gebracht hatte, fuhr fort, nachdem er einen weiteren Schluck Wein genossen hatte.

„Und doch zerfällt unsere Zivilisation im Inneren. Die Enlaytheth haben zu wenig Nachkommen, sie sind lethargisch geworden, lebensmüde, seelenkrank.“

„Die übliche Leier des Alarvail `dey Veryor.“ Taerail lächelte erschöpft. Auch der Adelssohn aus Inthaleeth hatte in den letzten Jahren eine Menge Leid und Entbehrungen ertragen müssen.

„Ich weiß, es ist ja alles nicht zu ändern. Ich weiß, wir sind nur Diener und sollen gefälligst die Befehle des Konzils befolgen, um eines Tages perfekte Kriegskünstler zu sein - und dann sterben wir irgendwann irgendwo.“

„Einen so rasanten Aufstieg, wie du ihn hingelegt hast, hat zuvor noch kein Elb vorweisen können. Gerade du hast doch den geringsten Grund, dich ständig zu beschweren. Andere Kriegsmeister warten endlose Jahre darauf, ein Shairan zu werden“, meinte Taerail.

Für eine Weile betrachtete Alarvail wortlos die sie umgebende Pracht der Hauptstraße im Zentrum von Enrasse. Weiße Säulen, durchsetzt mit schwarzen Maserungen und umschlungen von rotbraunen Greifranken trugen das Vordach der Weinstube, in der die beiden Gefährten an einem Tisch saßen. Weißgewandete Elben zogen an dem Gasthaus vorbei; ab und zu schenkte einer der Kolonisten Alarvail und Taerail einen flüchtigen Blick.

„Darf ich dem ehrwürdigen Shairan noch einen Weinkrug bringen?“, fragte ein noch junger, blassgesichtigter Elb mit einem Tablett in der Hand. Er sah Alarvail bewundernd an. Irgendwann bemerkte er auch Taerail; er gewährte ihm ein Höflichkeitslächeln.

„Ja, sehr gerne, ich denke, dass wir noch ein wenig in diesem gemütlichen Gasthaus bleiben“, gab Alarvail zurück. Der Elb mit dem Tablett verbeugte sich, dann verschwand er im Eingang des Hauses.

„Du bist trotz all deiner Triumphe nicht arrogant, Alarvail, das macht dich bei den Kriegern so beliebt. Selbst die neuen Rekruten verehren dich bereits“, sagte Taerail leicht überspitzt.

„In der Tat, ich wälze mich im Balsam des Heldenruhmes.“

„Also hast du jetzt das, was du von Anfang an gewollt hast.“

„Vielleicht...“, erwiderte Alarvail. „Vielleicht laufe ich aber auch bloß einem Trugbild nach. Was nützt einem Volk ein großer Held, wenn es am Ende doch stirbt?“ Taerail zischte. Alarvails Pessimismus war manchmal kaum zu ertragen.

„Die Khuz sind besiegt, die rebellischen Menschenstämme geschlagen. Wir haben unsere Macht in Erewaith zurückerobert. Was bei den Göttern willst du denn noch, Wüstenelb?“

„Unsere angebliche Macht steht auf tönernen Füßen. Unserem Heer fehlt der Nachwuchs und die Zivilisation der Enlaytheth versinkt geradezu in Dekadenz“, hielt der weißblonde Shairan dagegen.

„Ich habe dir doch schon oft genug gesagt, dass du Recht hast, Alarvail, doch sind wir nur die ausführende Hand der Plaithes. Allen voran ranghohe Kriegsmeister wie du.“

„Lassen wir das Klagen. Genießen wir lieber den blutig gewonnen Frieden. Möge er eine Weile andauern, bis die nächsten Barbaren aus ihren Wäldern kriechen, um uns den Krieg zu erklären.“

Mit einem Blick, der eine tiefsitzende innere Müdigkeit offenbarte, prostete Alarvail seinem einzigen Freund zu. Taerail hob ebenfalls seinen Becher, er lächelte zufrieden, auch wenn ihm der Sarkasmus in Alarvails Worten nicht verborgen geblieben war.

Wer mit dem Schiff die Küsten Erewaiths entlang fuhr, der traf auf eine Vielzahl großer und kleiner Elbensiedlungen. Schon vor langer Zeit waren die Enlaytheth über das Meer gekommen, um die fruchtbaren Küstenlandstriche des fremden Erdteils zu besiedeln. Besonders viele alte Kolonien befanden sich im Süden Erewaiths, wo auch die Menschen von Tyrtessos, Kelyrien und Sayone einst ihre Reiche gegründet hatten.

Die größten und bedeutendsten Elbenstädte in Erewaith waren Enrasse, Heira und Ilhalith im Süden und Parleeth an der nördlichen Küste, wobei besonders Enrasse aufgrund seiner Lage am Golf von Tyrtessos eine besondere Rolle zukam. Nirgendwo sonst lebten Elben und Menschen so dicht und zugleich harmonisch nebeneinander wie hier. Enrasse, von den Tyrtessai ehrfürchtig als das „Juwel am Meer“ bezeichnet, war alt und wundervoll. Ein Symbol der Überlegenheit elbischer Kultur und Architektur, das die Jahrhunderte überdauert hatte.

Allerdings hatte die Invasion der Orks von Korrog die Metropole arg in Mitleidenschaft gezogen, obwohl sich Enrasse nach dem Abzug der Grünhäute und dem Sieg über die Zwergenkoalition ein wenig von den Verheerungen des Krieges erholt hatte.

Das galatholische Heer lagerte seit Jahren rund um Enrasse. Von hier aus war es wieder und wieder nach Norden und Osten gezogen, um den Krieg gegen die mit den Zwergen des Felssäulengebirges verbündeten Menschenstämme fortzusetzen.

Snorri VII., das Oberhaupt der elbenfeindlichen Koalition, war bereits vor über zwanzig Jahren getötet worden. Alarvail hatte ihn mit eigener Hand erschlagen. Allerdings hatte dies nicht dazu geführt, dass die Zwerge und ihre Verbündeten aufgegeben hatten. Im Gegenteil, sie hatten den Kampf danach mit noch größerer Verbissenheit fortgesetzt, auch wenn es ihnen an einem fähigen Führer gemangelt hatte.

Mehr als zwanzig Jahre Krieg lagen hinter Alarvail und seinen Mitstreitern. Immer wieder waren sie gegen die Menschenstämme im Osten von Erewaith angetreten, um sie blutig niederzuwerfen. Tausende Barbaren waren vernichtet worden, doch der Feind hatte lange Stand gehalten. Viel länger, als es sich die hohen Herren in Varnasse zu Beginn dieses Krieges erträumt hatten. Doch nun konnten sie nicht mehr. Zu viele ihrer Söhne waren gefallen, ganze Stämme beinahe gänzlich ausgelöscht worden. Der zermürbende Krieg war endlich vorbei. Zumindest sah es so aus.

Die Siege waren errungen, der Ruhm der elbischen Waffen erstrahlte in ganz Erewaith. Jene, die töricht genug gewesen waren, Galathols Macht herauszufordern, hatten mit ihrem Blut bezahlt und waren vernichtend geschlagen worden. Nun verlangten der Carond und die Mitglieder des Hohen Konzils jene Kriegsmeister zu sehen, die all die Triumphe möglich gemacht hatten. Alarvail `dey Veryor, von dem inzwischen tausende Elbenkrieger sprachen, war einer von ihnen, wobei sein Ansehen das der älteren Offiziere bereits überragte, denn in den Jahren des Krieges, die hinter dem aufstrebenden Shairan lagen, hatte er nicht nur Heldentaten auf dem Schlachtfeld vollbracht, sondern auch bewiesen, dass er ein geradezu genialer Heerführer war.

Wo die von Alarvail geführten Truppen auf den Feind getroffen waren, da hatten sie stets glorreiche Siege davongetragen. Wo erfahrene Kriegsmeister versagt hatten, da hatte Alarvails Wagemut das Schlachtenglück oft noch im letzten Moment zu Gunsten der Elben gewendet.

Als die Kriegsmeister des Reichsheeres, unter ihnen auch Caranthir `dey Umeres, ein Offizier, der seit fast hundertfünfzig Jahren die Soldatenrüstung trug, ihr Schiff bestiegen, war auch Alarvail an ihrer Seite.

Allerdings war dem jungen Shairan Caranthirs Neid nicht verborgen geblieben; wusste er doch genau, dass ihm der Caradon seinen Ruhm missgönnte und er sich in seiner Gegenwart stets zwingen musste, freundlich zu wirken.

Sethmethes, der Feldherr, der das elbische Heer nach dem Debakel von Enrasse einst quer durch die Wälder von Erewaith geführt hatte, war kurz nach der Schlacht von Parleeth am Lebenskrampf gestorben.

Die übrigen Kriegsmeister teilten sich in jene, die Alarvail grenzenlos bewunderten, und solche, die ihm offen oder auch insgeheim voller Eifersucht gegenüber standen.

Schließlich machten sich die elbischen Offiziere, die die Feldzüge in Erewaith siegreich beendet hatten, auf den Weg zurück nach Galathol, eskortiert von drei weiteren Kriegsschiffen.

Auf sie warteten das Lob des Carond und der Plaithes, genau wie die Schönheit der heimatlichen Gefilde und die süße Zerstreuung in den Straßen von Varnasse.

Als Ulres durfte auch Taerail `dey Calchath seinen ranghöheren Freund nach Galathol begleiten, was für den Adelssohn aus Inthaleeth eine besondere Freude war. Er hatte mit seiner Kriegerschar, unter Alarvails Kommando stehend, die blutigen Feldzüge im Osten von Erewaith ebenso durchgestanden wie der weißblonde Shairan, den mittlerweile so viele als Helden verehrten.

Taerail sehnte sich nach Jahren in Schlamm, Nässe und Blut nach den grünen Küsten Galathols, die Frieden und Geborgenheit verhießen.

„Und dann diese felltragenden Trallaith mit den großen Äxten. Die rannten aus dem Dickicht heraus, brüllten wie eine Horde von Verrückten und wollten unsere Bogenschützen angreifen. Ich dachte schon, dass sie es bis zu dem Hügel schaffen und dort unsere Schützen in Stücke reißen, als Alarvails Speerträger plötzlich in ihrem Rücken standen und selbst zum Gegenangriff übergingen...“ Alarvail lachte, er schlug Ylrail, einem Ulres, der unter seinem direkten Befehl stand, freundschaftlich auf die Schulter.

„Ich weiß, immerhin war ich dabei!“

„Ich ebenfalls falls es euch entgangen ist. An diesem Tag habe ich drei von diesen wahnsinnigen Axtschwingern erledigt“, fügte Taerail hinzu.

Während sich das Schiff seinen Weg durch die azurblauen Wogen der galatholischen Küstengewässer bahnte, erzählten sich die Kriegsmeister ihre Geschichten. Jetzt, wo die düsteren Wälder am Fuße des Felssäulengebirges nur noch eine unangenehme Erinnerung waren, konnten sie deutlich unbeschwerter über die Feldzüge sprechen, die hinter ihnen lagen.

Mehr als zwanzig Jahre Krieg! Eine endlos erscheinende Aneinanderreihung von Gewaltmärschen, eisigen Wintern und verlustreichen Scharmützeln.

„Den Göttern sei Dank, dass dieser Alptraum endlich vorüber ist“, sagte Alarvail erleichtert.

„Wenn wir in Galathol ankommen, dann werden uns die Schwätzer bestimmt kurz loben und uns dann sofort in die Dschungel von Kurast schicken. Oder nach Manchin oder sonstwohin“, meinte Ylrail.

„Hör bloß auf!“ Alarvail zischte abweisend, als ihm bewusst wurde, dass dieser sogar richtig liegen könnte.

So viele Kriege hatten die Enlaytheth seit langer Zeit nicht mehr ausfechten müssen. Eine Tatsache, die nicht nur die einfachen Soldaten zermürbte, sondern auch die Kriegsmeister verzweifeln ließ.

Trotz aller Siege waren Abertausende von Soldaten gefallen, weshalb es zunehmend schwieriger wurde, neue Rekruten für die Armee zu finden. Kaum ein Elb meldete sich noch freiwillig zum Heeresdienst, seit sich herumgesprochen hatte, dass zahlreiche junge Krieger nicht mehr nach Hause zurückgekehrt waren. Außerdem stand über allem die ewige Frage: Wofür?

Waren all die Feldzüge - angeblich nur zum Wohle des elbischen Volkes - tatsächlich notwendig gewesen?

Alarvail versuchte, die ständigen Zweifel, die ihn mit jedem weiteren Jahr mehr einsponnen, hartnäckig zu verdrängen, doch fiel es ihm immer schwerer.

Außerdem wusste er, dass es seinen Kameraden nicht anders erging. Er saß im Schneidersitz am Bug der Drachenklaue, des prunkvollen Flagschiffs der elbischen Kriegsflotte, die einst nach Erewaith aufgebrochen war, um den niederen Völkern den Frieden zu bringen. Ein kräftiger Wind ließ Alarvails Haare tanzen, er hatte die Augen geschlossen und genoss die kühle Meeresluft, die seine Wangen streichelte. Taerail und Ylrail standen im Hintergrund und unterhielten sich noch immer über irgendwelche Kämpfe gegen die Barbaren; Alarvail jedoch wollte für sich sein und überhörte das Geschwätz der beiden.

Schließlich bat auch Taerail den Ulres, endlich das Thema zu wechseln. Der Adelige ging zum Bug und warf einen Blick in das kristallklare Wasser unter sich.

„Ein Schwarm Sonnenrücken!“, rief er Alarvail zu, während er sich über die Reling beugte und auf ein paar grell-gelbe Fische zeigte, die vor dem Schiff aus den schäumenden Fluten schnellten und dann wieder abtauchten.

„Oh Galathol, du Paradies des Erdenkreises“, zitierte Ylrail ein altes Heimatgedicht, wobei er Alarvail endgültig aus seiner Meditation riss. Der Waise öffnete die Augen und wandte den Blick zuerst dem Ulres und dann Taerail zu. Lächelnd lehnte der Adelssohn an der Reling.

„Ein Paradies mit faulem Kern“, kam es Alarvail in den Sinn, doch beschloss er, seine Gedanken nicht auszusprechen, um seinen Gefährten nicht die Laune zu verderben.

Von Enrasse und Parleeth aus hatte das elbische Heer im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Vorstößen in Richtung des Felssäulengebirges gemacht, um die barbarischen Menschenstämme, die die von König Snorri ins Leben gerufene Zwergenkoalition unterstützt hatten, niederzuwerfen. Die Folge war ein zäher Kleinkrieg in verregneten Wäldern gewesen, der nicht nur Alarvail, sondern auch jeden anderen Krieger an den Rand der Erschöpfung gebracht hatte.

Doch nun war endlich alles vorbei. Das hoffte nicht nur Alarvail. Das von König Snorri VII. ins Leben gerufene Bündnis war zerbrochen und die zwergentreuen Menschen besiegt. Die Kriegsmeister Galathols konnten nach einer gefühlten Ewigkeit des zermürbenden Kampfes wieder nach Galathol zurückkehren, wo sie auf den Lohn für ihre Siege hofften.

Mit aufgeblähten Segeln bahnten sich die schlanken Elbenschiffe ihren Weg durch die sonnendurchflutete Schönheit vor Galathols Ostküste. Der wolkenlose Himmel, der sich gleich einem Gewölbedach über dem Schiff ausdehnte, lud Alarvail zum Träumen ein. Er schloss die Augen, labte sich an den warmen Sonnenstrahlen, die sein Gesicht liebkosten, und ließ seinen Geist hinauf in die Höhe steigen, wo er gleich einem Adler über die Wellen glitt.

Neben ihm hockte Taerail auf einer hölzernen Bank; er ließ den kühlen Wind durch seine Haare fahren und lächelte dabei glücklich in sich hinein. Auch für den Adeligen aus Inthaleeth waren die vergangen Jahre eine entbehrungsreiche Zeit gewesen. Taerail war nicht weniger froh, dass der Feldzug gegen die Stämme der Wälder vorbei war.

Inzwischen waren die Verluste in den Reihen des Reichsheeres derart hoch, dass das Hohe Konzil enorme Schwierigkeiten hatte, neue Kriegsfreiwillige zu finden. Das Debakel von Enrasse hatte sich als Wunde erwiesen, die trotz aller Siege über die rebellischen Khuz und ihre menschlichen Unterstützer nicht mehr heilen wollte.

Hatte Galathols Militärmacht die Welt für lange Zeit in Atem gehalten, so zeigte die elbische Herrschaft inzwischen überall Risse. Dem Volk der Enlaytheth mangelte es vor allem an Nachwuchs, aber auch an der Disziplin und Entschlossenheit der Vorfahren. Doch diese Dinge blendete Alarvail auf der wundervollen Fahrt über das Meer aus und ließ den Gedanken, dass vielleicht alles umsonst gewesen sein könnte, nicht wieder aufkommen. Der junge Shairan hatte die hellen Sandstrände der großen Insel vermisst, genau wie die von frischem Gras bewachsenen Steilküsten; die unbeschreibliche Pracht der Städte, die Wunder der Baukunst, die perfekte Anmut der elbischen Frauen. Fern und blass waren jene Dinge im düsteren Erewaith gewesen, wo sich Schlamm und Blut auf dem Waldboden vermischt hatten.

Als sich Alarvail zu seinem Freund Taerail umdrehte, saß dieser noch immer mit geschlossenen Augen auf der Bank und genoss den sanften Wind, der über das Deck streifte. Irgendwann tauchten die Konturen steiler Küstenhänge und hoher Gebäude aus weißem Stein am Horizont auf; Alarvail lächelte gelöst, während seine Augen dunkler wurden und tiefe Zufriedenheit verkündeten.

Galathols Schönheit versprach Hoffnung für die Zukunft, dachte der Shairan und vergaß für einen Augenblick all seine Sorgen. Es war so schön, wieder zu Hause zu sein. Es war so schön, noch unter den Lebenden zu weilen. Freudig riss Alarvail die Arme in die Höhe. Sein Jubelschrei schreckte Taerail auf. Kurz darauf erhob sich der Adelige von seinem Platz, stellte sich neben Alarvail und schenkte Galathols Gestanden einen sehnsuchtsvollen Blick.

Als ranghoher Kriegsmeister und Held Galathols stand Alarvail ein besonders prunkvolles Gemach zu, wenn er in der Drachenfeste seinen Dienst verrichtete. Achteckige Säulen aus knochenfarbenem Stein, über und über mit Goldbeschlägen verziert, wuchsen neben ihm in die Höhe. Sie trugen ein kleines Kuppeldach, das durch ein Deckengemälde in ein grandioses Kunstwerk verwandelt worden war. Viele namhafte Kriegsmeister hatten bereits in diesen Räumen residiert und nun war es an Alarvail, es ihnen gleich zu tun.

Draußen jenseits der massiven Eingangstür aus dunklem Eichenholz war es still, kein Laut war mehr auf dem Gang zu hören, denn es war mitten in der Nacht und die gesamte Drachenfeste schlief - bis auf Alarvail, der nachdenklich am Fenster stand und mit dem Kinn auf den Handrücken gestützt in die blauschwarze Nacht hinausblickte.

Wie immer rauschte das Meer auf seine sanfte und beruhigende Art in der Ferne, doch das änderte nichts an dem schweren Herzen, das in Alarvails Brust lag.

Ruhm und Ehre waren ihm seit dem Tag, an dem er Galathol betreten hatte, zuteil geworden. Überall war er für seine unglaublichen Heldentaten gelobt und bewundert worden. Trotzdem war Alarvail nicht glücklich, obwohl bereits so viel in Erfüllung gegangen war, was er sich in seinen Träumen ausgemalt hatte.

„Luthien!“

Alarvail verzog den Mund, er schalt sich im Stillen einen elenden Narren. Mehr als auf die Lobpreisungen der Plaithes hatte er auf die Anwesenheit der schönen Seelenseherin gehofft. Ungezählte Male hatte sich Alarvail vorgestellt, wie ihn Luthien als geliebte Gefährtin auf seinen Feldzügen begleitete; dabei hatte ihn die blonde Priesterin mit Sicherheit längst vergessen. Und was noch schlimmer war: Alarvail stand für alles, was sie aus tiefster Seele ablehnte. Dennoch konnte er nicht aufhören, an sie zu denken.

Schöne Elbinnen mochte es unter den Enlaytheth mehr als genug geben, doch keine von ihnen besaß die Anmut, das Lächeln, die wundervollen, wie in Stein gemeißelten Gesichtszüge. Ab und zu wurde sich Alarvail seiner Besessenheit bewusst, um sie daraufhin wieder zu ignorieren. Im Laufe der Jahre war sein Drang, Luthien `dey Elain eines Tages zu seiner Lebenspartnerin zu machen, immer größer geworden. Wenn es überhaupt eine Elbin für ihn gab, dann konnte es nur die schöne Seelenseherin aus Varnasse sein.

Allerdings hatte sich die Priesterin bereits vor langer Zeit dafür entschieden, ihr Leben dem Sarielkult zu weihen. Weiterhin wusste Alarvail nach wie vor so gut wie nichts über Luthien, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er kannte weder die Sippe, aus der sie stammte, noch die Stadt, aus der sie ursprünglich kam. Doch welche Rolle spielten diese Nebensächlichkeiten, wenn die Liebesentscheidung schon längst getroffen war?

Luthien war die Elbin, mit der Alarvail den Rest seines Lebens verbringen wollte. Dieser Gedanke hatte sich tief im Kopf des jungen Shairans eingenistet und ließ sich nicht mehr entfernen.

Ebenso wie das gesamte elbische Volk, musste auch die wundervolle Luthien gerettet werden. Und wer konnte ein besserer Retter sein, als der aufstrebende Kriegsmeister Alarvail `dey Veryor, dessen heldenhafter Tatendrang auch in tiefster Nacht nicht ruhte.

„Sie ist bestimmt noch in dem gleichen Tempel wie damals“, wisperte Alarvail vor sich hin. „Ich muss sie finden, muss sie sehen...“

Wütend schlug er mit der flachen Hand auf den Fenstersims.

„Niemals! Ich werde sie nicht den Sarielpriestern überlassen! Ich will sie haben! Eines Tages muss sie mein sein!“

Der Held der Enlaytheth

Mit eingezogenem Kopf hockte Taerail vor Alarvail im Gras und starrte nachdenklich auf das Spielbrett. Seit über drei Stunden saßen die beiden Freunde im Lichtschauerwald unter einer großen Korkeiche und vergnügten sich mit dem beliebtesten Strategiespiel der Elben.

„Farmoinil“ wurde es genannt, was auf Altelbisch so viel wie „Vorherrschaft“ bedeutete.

„Es ist frustrierend gegen dich zu spielen, Wüstenelb“, stöhnte Taerail, sich aufgeregt durch die Haare streichend.

„Du wirst meinen Orkhäuptling blockieren müssen, sonst ist dein Anführer gleich Geschichte“, antwortete Alarvail mit einem schadenfrohen Schmunzeln im Gesicht.

„Ja, das weiß ich selbst. Gut, ich blockiere mit dem Speerkrieger“, murmelte Taerail zerknirscht.

Alarvail deutete auf eine Brennsteinfigur von der Größe eines Daumens; sie stellte einen Elb mit Spitzhelm dar. Dieser rückte über ein sechseckiges Feld vor und stellte sich direkt vor einen Ork mit weit aufgerissenem Maul und gewaltigen Fangzähnen.

„Ich benutze meinen letzten Machtpunkt und bewege den Goblin hier drei Felder vor. Der greift deinen Speerkrieger an“, sagte Alarvail ruhig, während Taerail verzweifelte.

„Damit ist der Speerkrieger im Nahkampf gebunden! Verdammt, das war mir klar!“, fauchte er.

Erwartungsgemäß gelang es dem Goblin nicht, den Elbenkämpfer auszuschalten, doch sein Angriff reichte aus, um diesen abzulenken, so dass der Orkhäuptling seinerseits vorrücken und die Blockade auflösen konnte.

„Ich zaubere mit dem Seelenseher...“, setzte Taerail an, doch Alarvail unterbrach ihn mit einem leisen Räuspern. Mit freudig verfärbten Augen musterte er den Adelssohn.

„Denk daran, die magische Kopfnuss meines Orkschamanen wirkt noch immer. Dein Magier kann in dieser Runde noch nichts machen, Taerail.“

„Schon gut! Du hast gewonnen! Ich gebe auf!“

Für einen Moment sah es so aus, als wollte der Edelgeborene aus Inthaleeth sämtliche Figuren mit dem Ellbogen vom Spielbrett fegen, doch dann unterdrückte er seinen Zorn. Alarvail war im Laufe der Jahre zu einem Meister des Farmoinil-Spiels geworden, so dass es keine Schande war, eine knappe Niederlage gegen ihn zu erleiden.

„Trotzdem ein spannendes Gefecht. Du hast dich gut geschlagen, mein Lieber.“ Alarvail reichte dem Verlierer die Hand, dieser grinste gequält.

Nachdem Taerail das Spielbrett zusammengeklappt und in seinem Rucksack verstaut hatte, hielt er sich den schmerzenden Nacken. Schließlich lehnte er sich an den graubraunen Stamm der Korkeiche.

„Wir sollten unsere Zeit hier nicht mit Farmoinil verschwenden. Immerhin sind wir mitten in Varnasse, nach so langer Zeit. Mich zieht es eher in Richtung dieser vielen schönen Elbinnen, die hier überall herumlaufen“, sagte Taerail.

„Eine Elbin und irgendwas, was mir die Sinne vernebelt. Danach ist mir.“

„Wir sollten nach etwas Reichstengel Ausschau halten, Wüstenelb.“

„Oder wir stellen uns in einem der Sarieltempel neben eine Kohlenpfanne, in der sie Beulenfarn verbrennen.

Dann sind wir irgendwann auch schön benebelt und hören die Götter singen.“

Taerial verdrehte die Augen. „Und ich dachte, jetzt kommt wieder eine deiner Schwärmereien für diese Luthien.“

„Was sie wohl macht?“, sagte Alarvail mehr oder weniger zu sich selbst.

„Vergiss diese Verrückte! Jeder Gedanke an sie bereitet dir doch bloß Kummer.“

„Sie ist keine Verrückte, sie ist bloß verblendet“, gab Alarvail hastig zurück.

„Du kennst meine Meinung, Wüstenelb, aber lassen wir das. Hier in Varnasse gibt es mehr als genug Schönheiten, die darauf warten, ein paar edle Helden wie uns kennenzulernen. Also lass uns nicht länger herumsitzen und uns lieber auf die Suche nach etwas süßer Zerstreuung machen. Nach all den Jahren im Dreck haben wir uns die doch mehr als verdient, oder nicht?“

Ein kaum vernehmbares Brummen kam aus Alarvails halboffenem Mund. Taerail konnte die Gedanken seines Freundes leicht erraten.

„Nein, wir suchen Luthien nicht in irgendeinem Sarieltempel auf. Ich zumindest nicht“, gab er daraufhin zurück.

„Schon gut, hatte ich auch nicht vor“, murrte Alarvail. Taerail hob die Hand, das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen. Der Adelssohn wusste, dass sein Gefährte in Bezug auf die Seelenseherin einen Hang zur Besessenheit entwickelt hatte. Luthien stand, als verklärtes Zerrbild der idealisierten Elbin, inmitten von Alarvails einsamen Verstand.

Schließlich erhob sich Taerail aus dem Gras und drückte sich den Rücken durch. Er packte das Farmoinil-Spiel-brett wortlos in einen Leinensack, dann fasste er Alarvail an der Schulter.

„Komm schon, Wüstenelb, die größte und schönste Stadt der Welt wartet schon sehnsüchtig auf dich.“

Alarvail verzog den Mund. Irgendwie hatte das Thema „Luthien“ seine gute Laune wieder verflüchtigt.

„Gut, lass uns hier verschwinden und in die Innenstadt gehen“, murmelte er mit gedankenverlorenem Blick.

Eine weiße Hand mit langen Fingern tanzte vor Celarions Augen durch die Luft. Seine Gesprächspartnerin, eine elbische Adelige im reifen Alter von zweihundertachtzig Jahren, lächelte vieldeutig, während sie ihren Weinkelch mit der anderen Hand auf einem Abstelltisch platzierte.

„Der unaufhaltsame Shairan, der überall die Wilden besiegt. Ja, von diesem Alarvail habe ich bereits gehört, mein lieber Celarion. Das ist der, der dieses Rhinophantenuntier ganz allein erlegt hat, nicht wahr?“

Das Oberhaupt der Sarielgläubigen im Hohen Konzil von Varnasse äußerte einen Laut der Zustimmung.

„Genau der! Ein junger Held wie aus den alten Sagen“, amüsierte sich der Plaithes.

„Davon gibt es heutzutage leider viel zu wenige. Elbensöhne, die noch etwas wagen und dabei auch noch gewinnen“, meinte die Adelige mit freudig verfärbten Augen.

„Er wird im Heer noch eine große Karriere machen, wenn er sich nicht vorher erschlagen lässt“, fügte einer von Celarions Freunden, der dem Gespräch gelauscht hatte, mit einer gewissen Schalkhaftigkeit hinzu.

„Nein, er sollte noch eine Weile leben. Das wäre definitiv besser für unsere Streitkräfte“, sagte Celarion.

„Wir haben uns neulich noch im Garten über diesen Alarvail unterhalten. Meine Freundinnen aus Tharesse und ich waren von dem Thema ganz angetan. So ein junger Held kann sicherlich auch die Elbinnen der Hauptstadt erfreuen, nicht wahr?“, scherzte die Adelige, deren Augen blaugrün aufleuchteten.

„Welche Gedanken Ihr wohl wieder habt, werte Ythiliee? Bei allem, was ich gehört habe, scheint unser kleiner Held allerdings eher so eine Art Asket zu sein“, erwiderte Celarion.

„Hach! Eine schreckliche Vorstellung! Und ich dachte schon, dass Ihr den jungen Eroberer einmal mit zu einer unserer Feiern nimmt. Aber zuerst bekomme ich ihn, damit das klar ist.“ Die elbische Hochgeborene strich sich durch ihr kastanienbraunes Haar, verzog den Mund und griff nach ihrem Weinkelch, um einen gehörigen Schluck zu nehmen.

Celarion stieß ein sehr leises Zischen aus, während er zu seinem Freund herüber lugte. Allmählich sprach der Alkohol aus der in die Jahre gekommenen Elbin, die zugleich die Gattin eines einflussreichen Hirans war.

„Vielleicht sollte Alarvail doch besser für uns kämpfen, als die weibliche Elbheit zu beglücken“, fügte der neben Celarion stehende Sarielgläubige hinzu.

„Spielverderber seid ihr Politiker alle! Pah!“, gab die Adelige mit gespielter Empörung zurück.

Wenig später torkelte die Elbin mit leicht erröteten Wangen in Richtung eines Pulk laut schwatzender Gäste. Celarion sah ihr ohne größeres Interesse nach, dann blickte er zu seinen Begleitern herüber und nickte.

Einen Moment später kam bereits die nächste Elbin auf ihn zu. Sie war noch sehr jung und außergewöhnlich schön. Ein strahlender Stirnreif hielt ihre weißblonden Haare zurück. Augen, grün wie Smaragde, richteten sich auf Celarion. Der Plaithes lächelte vergnügt.

„Lyseyneth, ich habe schon auf dich gewartet“, sagte er erfreut.

„Der mächtige Anführer der Sarielgläubigen. Ich bin hocherfreut“, gab die Elbin zurück und schwang ihre schlanken Arme, während sie sich theatralisch verbeugte.

„Was gibt es Neues in der Welt, werter Celarion?“

„Was es Neues in der Welt gibt, meine wundervolle Lyseyneth? Nun, draußen in der Welt passiert doch immer etwas“, sagte Celarion und strich mit den Fingerkuppen über den Unterarm der langbeinigen Schönheit. Diese kicherte mädchenhaft und ihre rosafarbenen Lippen zuckten nach oben.

„Politik eben. Nichts für den heutigen Abend“, fügte einer von Celarions engsten Getreuen hinzu.

Ein gefangener Zwerg, um dessen Hals sich ein dicker Eisenring schlang, kam zu Celarion herüber. Der Sklave ser vierte Getränke in dieser wundervollen Nacht, in der Lust und Rausch ihre Schatten vorauswarfen. Der Khuz, der stumpfsinnig ins Nichts starrte, hob ein Silbertablett, auf dem eine Vielzahl zierlicher Weinkelche standen. Celarion musterte ihn schweigend und dezent naserümpfend.

„Sie stinken penetrant, diese Erdwichte“, meinte er zur Erheiterung der ihn umgebenden Elben. „Ganz egal, wie oft man sie wäscht, der Geruch von altem Gestein umgibt sie doch.“

Lyseyneth schenkte dem Khuzsklaven ein Lächeln, das vor Abfälligkeit überquoll. Der Zwerg verneigte sich stumm, dann trottete er mit seinem Tablett davon.

„Ich finde diese groben Kleinwüchsigen nicht sehr interessant“, sagte sie dann.

Celarion faltete die Hände. Er blickte verschmitzt zu der schönen Elbin herüber, deren langes Seidenkleid sanft über den Marmorboden der Festhalle schwebte, wenn sie sich bewegte. Lyseyneth neigte den Kopf ein wenig zur Seite, ihre grünen Mandelaugen wurden ein wenig dunkler, was entspannte Freude verriet.

„Dieser Khuz wurde direkt aus Erewaith nach Galathol gebracht. Unsere Soldaten haben viele Zwerge gefangen“, erklärte Celarion.

Lyseyneth lächelte. „Der Krieg in Erewaith, ein leidiges Thema. Es heißt, dass Alarvail `dey Veryor ihn ganz alleine gewonnen hat.“

„Alarvail `dey Veryor, dieser Elb ist ein wahres Kuriosum. Er kam aus dem Nichts. Ein Waise, wie man sagt. Aus einer unbedeutenden Kolonie in Shaamay. Aber er kämpft wie ein junger Gott“, ergänzte Coradan, einer von Celarions politischen Beratern, mit sichtbarer Begeisterung.

Auch Lyseyneths Interesse schien geweckt worden zu sein. Sie ging einen Schritt auf Celarion zu und fragte: „Habt Ihr ihm schon gegenübergestanden, diesem furchtlosen Alarvail? Sagt doch, werter Plaithes, wie ist er so?“ Celarion räusperte sich. Für einen Augenblick erschien er verdutzt aufgrund der Tatsache, dass sich seine schöne Gesprächspartnerin offenkundig mehr für den gerüchtebeladenen Kriegsmeister als für ihn interessierte.

„Wie ist er so? Furchteinflössend? So wie ein Raubtier?“, drängte Lyseyneth.

Der Kopf der sarieltreuen Fraktion verzog den Mund.

„Er ist in erster Linie pflichtbewusst, unser lieber Alar vail. Eigentlich finde ich ihn eher langweilig. Er kennt nur das Kämpfen, sonst aber nicht viel.“

„Meine Freundinnen in Varnasse zerreißen sich ihre Münder. Alle reden derzeit über Alarvail `dey Veryor, den großen Helden. Allerdings scheint er sich nicht für das andere Geschlecht zu interessieren. Ist das wahr, Celarion?“, säuselte Lyseyneth.

„Ich weiß nicht, welche weiblichen Bekanntschaften Alarvail `dey Veryor hat. Aber das ist mir auch gleich, solange er Siege für Galathol erringt. Mehr will das Hohe Konzil nicht.“

„Stimmt es, dass Alarvails Haar so weißblond wie ein Sonnenstrahl ist? Er soll sehr gut aussehen. Wie schade, dass ich ihn noch nicht persönlich kennenlernen durfte. Vielleicht sollte ich mich zur Armee melden, dann kann mir Alarvail Befehle geben. Oh, eine Vorstellung, die mich sehr beflügelt, wenn ich ehrlich bin.“ Lyseyneth kicherte verhalten und hielt sich die Hand vor den Mund.

Ein paar von Celarions Begleitern schmunzelten ebenfalls; der Kopf der Sarieltreuen jedoch war kaum mehr erheitert, da Lyseyneths Aufmerksamkeit eindeutig auf den mystischen Kriegsmeister und weniger auf ihn gerichtet war.

Nachdenklich sah Celarion hinauf zu den Rippenbögen an der Kuppeldecke der gewaltigen Gelagehalle, die sich im Herzen der Hauptstadt befand. Ein dämmeriges Licht hatte sich zwischen reich verzierten Säulen und Trauben wohlhabender Gäste ausgebreitet. Der dezente Duft verbrannter Beulenfarnblüten schwängerte die Luft.

„Gautma, meine beste Freundin, hat unvorstellbare Fantasien im Bezug auf den großen, großen Helden Alarvail. Sie wäre einem Treffen mit dem edlen Kriegsmeister nicht abgeneigt und würde sogar gut dafür bezahlen. Ich würde mich dann rein zufällig dazugesellen“, neckte Lyseyneth den einflussreichen Plaithes. Sie berührte ihn beiläufig an der Schulter.

„Alarvail `dey Veryor hat leider dringende Aufgaben zu erfüllen. Er arbeitet für mich. Für das Hohe Konzil, meine ich“, gab Celarion etwas verschnupft zurück.

„Ach, für den heldenhaften Waisen würde auch ich gerne arbeiten, mein Lieber“, stieß Lyseyneth aufgeregt aus.

„Bei den Göttern, ich sollte jetzt besser schweigen und meine geschmacklosen Gedanken für mich behalten.“ Celarion hob die Hand. „Es ist nicht Alarvails Aufgabe, Galathols Elbinnen zu unzüchtigen Tagträumen hinzurei‑ ßen, sondern die Feinde des Caronds zu vernichten. Daher müsst Ihr wohl mit mir heute Abend vorlieb nehmen.“

Lyseyneth kicherte schrill. „Naja, die Plaithes sind ja auch Helden. Helden des Mundes sozusagen. Besser als nichts. In der Tat.“

Ein giftiges Grinsen flog aus Celarions Gesicht in Richtung der vorlauten Elbendame. Seine Augen erhellten sich für die Zeit eines Wimpernschlages.

„Alarvail der Held!”, zischelte sich Celarion selbst zu, während ihn Lyseyneth fragend ansah. „Alarvail der Narr. Das passt besser. Ohne Elben wie mich ist er ein Nichts.“

„Ehrwürdiger und großer Shairan Alarvail `dey Veryor, dieses Zeug öffnet ein Portal in die höchsten Höhen der Anderswelt“, lallte Taerail, dessen Augen so blau waren wie die Tiefen des Großen Ozeans.

Sein heldenhafter Freund glotzte fragend durch eine grauweiße Nebelwolke. Dann sagte Alarvail etwas, das nur er selbst verstehen konnte.

Taerail kicherte. Er räkelte sich auf einer Liege, die an der Wand stand, wie ein vollgefressener Hund.

Währenddessen kam eine halbnackte Elbin zu den beiden herüber; sie sah Alarvail an und musterte ihn interessiert.

„Entschuldigt...“, setzte sie an.

„Ja?“ Alarvail wirkte verwirrt. Das Grauwurzelheu, das er soeben geraucht hatte, ließ seinen Körper aufglühen.

„Seid Ihr der Shairan?“, wollte die Elbin wissen.

„Welcher genau?“

„Alarvail `dey Veryor, der Krieger, der...“

Benommen kroch Taerail von seiner Liege, er lachte laut auf. Dann rief er: „Er ist es tatsächlich. Unser größter Held, der Schrecken der Trallaith!“

„Lass gut sein, Adelsspross, es muss nicht gleich die ganze Rauchhöhle mitbekommen“, sagte Alarvail genervt.

Derweil ließ sich die Elbin neben ihm nieder, sie richtete ihr hauchdünnes Kleid, das ihren makellos schönen Körper kaum bedeckte.

„Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Shairan Alarvail. Ich habe bereits so viele Geschichten über Euch gehört. Mein Name ist übrigens Parthanee.“

„Angenehm!“ Alarvail reichte der Fremden die Hand. Im Hintergrund erhoben sich drei weitere Elbinnen von ihren Plätzen, langsam näherten sie sich. Taerail begann ebenso benebelt wie vielsagend zu grinsen. Er fasste sich in den Schritt.

„Das sind meine Freundinnen. Wir kommen oft in diese Höhle. Dass wir hier jedoch Alarvail `dey Veryor treffen, hätten wir uns niemals träumen lassen“, sagte Parthanee.

„Auch ich brauche von Zeit zu Zeit etwas Zerstreuung. Das Heldentum ist auf Dauer sehr anstrengend“, gab Alarvail mit einem Schmunzeln zurück.

Die drei anderen Elbinnen hatten sich hinter Parthanee gestellt und lächelten ihm zu. Sie waren schön und jung. Zudem konnte sich der Waise denken, dass sie nicht bloß gekommen waren, um sich mit ihm über das Kriegerleben zu unterhalten.

„Ich bin übrigens auch ein Ulres. Das ist hoffentlich nicht nichts“, scherzte Taerail.

„Der ist auch total süß, oder?“, vernahm Alarvail das Getuschel einer noch jungen Elbin mit rotblondem Haar.

Inzwischen schielten auch die anderen Gäste der Rauchhöhle in Richtung des Shairan, über den schon ganz Varnasse sprach. Alarvail war sein Ruhm dennoch unangenehm. Für einen Moment fühlte er sich wie ein Bartkatzer, der in einem Käfig ausgestellt wurde.

„Ihr beide könnt uns vier haben. Na, was sagt ihr?“, meinte Parthanee, die Hand einer Freundin ergreifend.

„Ich bin definitiv einverstanden!“, stieß Taerail aus. „Der Wüstenelb auch, nicht wahr?“

„Äh...sicher!“, gab Alarvail zurück.

„Wüstenelb!“, wiederholte eine von Parthanees Begleiterinnen. „Der arme Waise, der Galathols größter Held wurde. Eine faszinierende Geschichte.“

„Wir können uns dort hinten lieben“, erklärte ihre Nachbarin und deutete auf einen lilafarbenen Vorhang, hinter dem sich ein weiterer Raum befand.

Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, streiften sich die Elbinnen die Kleider vom Leib. Taerail quollen die Augen aus dem Schädel; Alarvail jedoch war ein wenig überfordert. Daraufhin schritten die Schönheiten durch den Grauwurzelrauch in Richtung des Vorhangs.

„Bei den Göttern, worauf wartest du denn? Komm schon!“, drängte Taerail voller Tatendrang.

„Kommt, mächtiger Shairan, Ihr werdet es nicht bereuen“, säuselte Parthanee durch die berauschenden Nebel.

Nachdem Alarvail ein paar Tage die vielgesichtigen Schönheiten der elbischen Hauptstadt genossen hatte, kehrte er zur Drachenfeste zurück, um sich wieder seinen Aufgaben als Kriegsmeister zu widmen. Sein Freund Taerail hatte sich indes nach Inthaleeth aufgemacht, um seinen Eltern einen Besuch abzustatten. Der Adelige hatte seinen Vater und seine Mutter seit Jahren nicht mehr gesehen und ihnen lediglich Briefe geschrieben, doch hielt sich seine Euphorie in Grenzen.

Taerail `dey Calchath, der Sohn aus bestem Hause, war nach wie vor bloß ein Ulres - unter dem Kommando eines Elben, der keine hohe Geburt vorweisen konnte. Seine Eltern würden ihn ausfragen, verhören und am Ende wieder einmal mit Vorwürfen überschütten, hatte Taerail am Tag vor seinem Aufbruch nach Inthaleeth gesagt. Vater und Mutter wären nie zufrieden mit ihm. Ganz gleich, was er auch vollbrachte.

Dass der Hochgeborene aus dem Nordwesten Galathols nicht das beste Verhältnis zu seinen Eltern hatte, wusste Alarvail seit Jahren. Manchmal hasste Taerail seinen Vater regelrecht, während die Gefühle für seine Mutter einem pausenlosen Wechsel aus Zu- und Abneigung unterworfen waren.

Alarvail wünschte sich seit dem Tag, an dem die Wüstenräuber seine Heimatstadt Caralith ausgelöscht hatten, hingegen nichts mehr, als noch einmal in die Augen seiner Eltern blicken zu dürfen. Sein Gefährte Taerail war indes froh, wenn er sich möglichst weit weg von den seinen aufhielt.

So taten die beiden Freunde, was von ihnen verlangt wurde. Wie sie es seit Jahren taten, wie es sich für Kriegsmeister gehörte.

Taerail besuchte seine Eltern, um Bericht zu erstatten, während sich Alarvail gewissenhaft um alles kümmerte, was ein Shairan in Friedenszeiten zu erledigen hatte.

Als Taerail wieder zur Drachenfeste zurückkehrte und Alarvail in seinem Quartier aufsuchte, war er niedergeschlagen. Sein Vater hätte ihn gedemütigt, berichtete er. Anstatt sich zu freuen, seinen Sohn lebend wieder zu sehen, hatte er ihn bloß mit Vorwürfen überhäuft.

Alarvail hatte Schwierigkeiten, das Denken der hochgeborenen Enlaytheth zu verstehen. Tiefsitzende Standesdünkel und eine unauslöschliche Überheblichkeit schienen in den Adelskreisen Galathols normal zu sein. Jedenfalls war Taerail derart geknickt gewesen, nachdem er aus Inthaleeth zurückgekehrt war, dass er tagelang geschwiegen hatte.

Alarvail war indes wieder so einsam und in seine Arbeit vertieft wie eh und je. Irgendwie war alles beim Alten geblieben, dachte der Waise mit einem Hauch von Zynismus. Trotz zwanzig Jahren Krieg, trotz all der Siege und all dem Geschwätz der Plaithes.

„Die ersten Elben lebten einst auf der paradiesischen Welt Ishabal, wo sie die Schönheit in all ihrer Pracht umgeben hatte. Doch eines Tages kam eine bösartige Rasse aus der schwarzen Leere jenseits der Welten und fiel mit Ingrimm über das Elbenvolk von Ishabal her. Städte brannten und fliegende Schiffe verdunkelten den Himmel über dem Paradies.

Nach einem langen und grausamen Krieg unterwarfen die fremden Eindringlinge die Elben von Ishabal, stahlen ihnen ihre Welt und verschleppten die Überlebenden des Krieges nach Antariksa, wo sie sie als Sklaven zum Aufbau ihrer Stadt Wartrakk benötigten.

Unerbittlich und ohne Hoffnung war das Leben der ersten Elben unter den Peitschen ihrer Feinde, die sich Grushloggs nannten und aus denen die Rasse der Orks hervorgehen sollte. Viele Zyklen mussten die Kinder der Sterne leiden, bis sich endlich die passende Gelegenheit zur Rebellion bot und Wartrakk unter dem Lärm blutiger Aufstände erbebte.

Da die Grushloggs zugleich auch mit der Rasse der Menschen um Antariksa kämpften, waren viele ihrer Krieger nicht mehr in Wartrakk geblieben, um auf die elbischen Sklaven aufzupassen. So erhoben sich die Kinder der Sterne voller Zorn und schlugen ihre Peiniger nieder, während jenseits der Mauern von Wartrakk Grushloggs und Menschen kämpften. Doch nur wenigen Elbenfamilien gelang es, aus der Stadt der Grushloggs zu entkommen. Sie irrten nach Westen, zogen durch fremde Länder und marschierten über schneebedeckte Gipfel, wo sie auf die Menschen trafen, die sich gegen den Ansturm der Grushloggs zu verteidigen versuchten.

Aber die Menschen gedachten nicht, ihnen zu helfen, denn sie sorgten sich einzig um ihre eigene Stadt, die den Namen Malgolan trug und vor deren Mauern die Horden der Grushloggs lagen.

So zogen die Elben verzweifelt weiter durch düstere Wälder, in denen gefährliche Kreaturen lebten, bis sie schließlich das Ende des Landes erreichten und am Ufer eines gewaltigen Meeres standen.

Da hinter ihnen noch immer der Krieg wütete, fassten sie den Entschluss, Flöße zu bauen und hinaus auf das offene Meer zu schwimmen, in der Hoffnung, irgendwo einen sicheren Ort zu finden. Zuvor hatte ihnen der Anführer der Menschen erzählt, dass es draußen im Ozean eine fruchtbare Insel gäbe, die ihnen eine Heimat sein könnte. Letztendlich ging die kleine Elbenschar das Wagnis ein, stieg auf ihre Flöße und machte sich auf den Weg zu der geheimnisvollen Insel.

Gefährlich und entbehrungsreich war die Überfahrt, doch während in der Ferne der Krieg zwischen Grushloggs und Menschen seinen Höhepunkt erreichte und sowohl Wartrakk, als auch Malgolan von Stürmen aus Feuer verzehrt wurden, erreichten die Elben endlich die Gestade einer Insel, der sie den Namen Galathol gaben.

Das neu entdeckte Eiland war wunderschön, fruchtbar und einladend, so dass die Elben sofort eine Siedlung an der Küste errichteten und ihre neue Heimat zu erkunden begannen. In Galathols blühenden Laubwäldern trafen sie auf primitive Kreaturen, die sich Creex nannten. Sie waren den Neuankömmlingen gegenüber feindlich eingestellt, so dass ein heftiger Kampf entbrannte, der mit der Ausrottung der Ureinwohner Galathols endete.

Schließlich wurde die Insel zur Heimat des elbischen Volkes und mit der Zeit wurden die Kinder der Sterne zahlreicher, so dass ihre erste Zivilisation erblühen konnte. Weit draußen im Meer; geschützt vor den Blicken der Grushloggs und Menschen, die einander fast völlig vernichtet hatten...“

Alarvail beugte sich herab, um ein paar Sandrankenblätter zur Seite zu schieben, die ihm die Sicht auf die uralte Inschrift nahmen. Moos war vom Waldboden über den gesprungenen, grauweißen Stein gekrochen, so dass der eingravierte Text nur noch schwer zu entziffern war. Der Schrein des ersten Caronds stand schon seit sehr langer Zeit an diesem einsamen Ort, vergessen von den Elben der Gegenwart, die kein Interesse mehr an Helden und großen Kriegern hatten.

Das Zwitschern eines Wippvogels irgendwo in den Baumkronen war das einzige Geräusch, das Alarvail umgab. Stumm und einsam ragte der Kriegsschrein vor ihm in die Höhe, die Statue von Teryrion dem Unbesiegten blickte mit leeren Augen auf den Wanderer und seinen Begleiter herab. Alarvail betrachtete seinerseits den Elbenherrscher, der einst ganz Galathol in seine Gewalt gebracht hatte. Er trug eckige Schulterpanzer und die klassische Schuppenrüstung der alten Zeit. Zwei dunkle Augenhöhlen blickten unter dem Rand eines Spitzhelms in die Ewigkeit.

„Prüfe mich ruhig, Teryrion. Auch ich bin ein echter Krieger, genau wie du“, dachte Alarvail, das zerfallene Standbild musternd.

Neben der Statue lag der abgebrochene Arm des sagenhaften Königs im Gras. Er war offenbar schon vor langer Zeit abgefallen, sinnierte der junge Shairan, der mit seinem einzigen Freund in die Tiefen des Waldes geritten war, um den vergessenen Schrein zu sehen.

Die Krieger der alten Epochen waren nur noch verblasste Erinnerungen. Das einsam vor sich hin zerbröckelnde Standbild zeigte den Geist der gegenwärtigen Enlaytheth in aller Deutlichkeit. Trauer ergriff Alarvails Herz, er drehte sich Taerail zu.

„Ich kann deine Gedanken erraten, da es auch die meinen sind“, sagte der Adelssohn ein wenig melancholisch.

„Unser Volk hat seine Wurzeln vergessen. Nur so konnten die Enlaytheth zu jenen armseligen Gestalten werden, die sie heute sind“, gab Alarvail zurück.

„Er steht einsam und allein in den Tiefen des Ulthenwaldes. Glaube kaum, dass allzu viele Wanderer noch auf diesen alten Schrein treffen. Eine Schande ist das“, sagte Taerail.

„Sind wir nicht genau wie Teryrion?“

„Wie meinst du das jetzt wieder, Wüstenelb?“

„Einsame Krieger, ebenso von den Elben der Gegenwart vergessen wie der alte Herrscher.“

„Von dir schwärmen sie doch.“ Taerail verzog den Mund zu einem schwachen Lächeln.

„Ja, wie sie von einem exotischen Tier schwärmen, das man in einem Käfig ausstellt und eine Weile anglotzt, bis man kein Interesse mehr daran hat.“

„Wie auch immer, Alarvail, wir sollten vor Einbruch der Dunkelheit zur Drachenfeste zurückkehren. Ich will nicht durch den Ulthenwald irren müssen“, erwiderte Taerail ein wenig müde.

„Es war aufbauend, einmal den Schrein des Teryrion mit eigenen Augen zu sehen.“

„Aufbauend? Diesen Haufen verwitterter Steine fand ich eher deprimierend“, brummte Taerail. „Lass uns verschwinden, bevor die Nacht anbricht. Wir haben noch einen langen Ritt vor uns.“

Alarvail warf einen letzten Blick auf das Standbild des ersten Elbenfürsten, der Galathol unter seiner Herrschaft vereint hatte.

„Es tut mir leid, dass wir die Einzigen sind, die sich noch an dich erinnern, ehrwürdiger Teryrion. Was würdest du von den Enlaytheth der Gegenwart halten, wenn du sie heute sehen könntest?“

Brüchige Siege

Als Alarvail den Fuß über die Schwelle setzte und in das Rund der gewaltigen Halle eintrat, wanderte sein Blick über die in die Höhe wachsenden Sitzreihen der Plaithes, die ihm das Gefühl vermittelten, das Innere eines Trichters betreten zu haben.

Nur ein paar Dutzend Meter von ihm entfernt saß der neue Carond des Inselreiches: Nolduhel `dey Raymenil, der jugendliche Nachfolger des kürzlich verstorbenen Saylarond. Erhöht im Zentrum eines Podestes aus rotwei‑ ßem Furchenmarmor hockte er auf seinem Thron. Der Monarch, der seit gerade einmal sechsundfünfzig Jahren auf Erden weilte, sah sich die Kriegsmeister einen Augenblick lang mit einer Mischung aus Neugier und Verunsicherung an. Dann lächelte er freundlich.

Kurz darauf nahmen die elbischen Heerführer auf mit barocken Verzierungen überhäuften Stühlen aus Rhinophantenbein im Halbkreis Platz.

Nolduhel erhob sich, er kam auf sie zu und verneigte sich als Zeichen der Anerkennung. Auf Alarvail machte der Carond einen höchst unbeholfenen Eindruck.

„Ganz Galathol dankt den Helden der Feldzüge in Erewaith. Stets waren meine Gedanken bei den tapferen Soldaten, die ihr Leben für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt haben. Eine besonders Rolle bei unseren triumphalen Siegen haben jedoch die Kriegsmeister gespielt, von denen mir unglaubliche Heldentaten berichtet wurden.“ Die neben dem Carond stehenden Berater tuschelten, einer der in lange Gewänder gehüllten Elben deutete auf Alarvail. Nachdem Nolduhel seine Ansprache beendet hatte, übergab er das Wort an die Plaithes, die schon darauf zu warteten, ihre Ansichten zum Besten zu geben. Nicht zuletzt, um ihre politischen Rivalen zu beeindrucken.

Nach etwa einer Stunde begann Alarvails Rücken zu schmerzen; gerade war ein Plaithes mit seiner Ansprache fertig geworden, in der er Galathols Führungsrolle in der Welt unterstrichen hatte. Der Angehörige der „Naturphilosophischen Sternspiritisten“, einer der kleineren Fraktionen im Hohen Konzil von Varnasse, wurde von einem Königstreuen abgelöst, der eine Rede hielt, die fast zwei Stunden dauerte.

Als der Plaithes endlich fertig war, wünschte sich Alarvail in das schmutzigste Feldlager zurück, wo er zumindest unter seinesgleichen war.

Celarion `dey Mangre, der Kopf der größten und einflussreichsten politischen Gruppierung in dieser Versammlung, war der dritte Redner, der den heimgekehrten Kriegsmeistern seine Weisheiten präsentieren wollte.

Alarvail lächelte dem weizenblonden Plaithes höflich zu; Celarion schenkte ihm ebenfalls einen Blick aus dunkelblauen Mandelaugen, der Zufriedenheit verriet. Dann wartete er erst einmal. Die vielen Plaithes, die die Ränge der Konzilshalle bevölkerten, sahen ihn erwartungsvoll an; ebenso der Carond, der ganz den Sarieltreuen verschrieben war und unter Celarions direktem Einfluss stand.

„Die Menschen haben sogenannte „Engel“. Heilige Lichtwesen, die ihnen als Schutzpatronen dienen, ihre Seelen nach dem Tod im Jenseits empfangen und ihnen in der Not helfend zur Seite stehen. Diese Wesen sind Geistführer, aber auch Beschützer vor dem Bösen.

Natürlich ist diese Vorstellung aus elbischer Sicht recht naiv, da sie nicht an die Komplexität unserer Spiritualität heranreicht, doch ist gerade diese Einfachheit auch ansprechend, wie ich meine. Ein Beschützer, ein himmlischer Freund mit flammendem Schwert, der überall das Gute verteidigt. Ja, mir gefällt diese Vorstellung eines heiligen Soldaten, der mit reinem Herzen streitet.“

„Glauben die Trallaithvölker Erewaiths nicht auch an finstere Kriegsgötter wie Korhas?“, höhnte ein Konzilsredner aus dem Hintergrund, was ein kurzes, meckerndes Gelächter durch die Reihen der Plaithes fahren ließ.

Celarion ignorierte den Zwischenruf. „Wenn in Antariksa jemand einem Engel gleichkommt, dann ist es ein elbischer Krieger, der gleich einem Lichtwesen in die Finsternis gesandt wird, um Frieden, Schutz und Gerechtigkeit zu bringen, wo zuvor nur Chaos getobt hat.“

„Sariel, wenn du uns Elben tatsächlich helfen willst, dann komm jetzt von deiner Wolke und fege diese Schwatzbude vom Antlitz der Erde“, sagte Alarvail so leise zu sich selbst, dass keiner der anderen Kriegsmeister seine Worte vernehmen konnte.