URALTES GRAUEN - Alexander Merow - E-Book

URALTES GRAUEN E-Book

Alexander Merow

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Professor Ferdinand von Gardlitz von seiner Hindukusch-Expedition nach Berlin zurückkehrt, brennt er darauf, der Welt seine sensationellen Funde zu präsentieren. Doch die Reaktionen der anderen Archäologen sind anders als erwartet: Statt Ruhm erntet der eigensinnige Forscher lediglich Hohn und Spott. Gebrandmarkt als Narr steht von Gardlitz bald vor den Trümmern seiner Karriere. In seiner Verzweiflung setzt er alles auf eine Karte. Gemeinsam mit seinem Sohn Carl und einer Gruppe zwielichtiger Seeleute macht er sich auf die waghalsige Suche nach einem Ort, an dem sich uralte Legenden und finsterer Wahnsinn begegnen... Der Horror-Roman URALTES GRAUEN des deutschen Fantasy- und Science-Fiction-Autors Alexander Merow ist eine ebenso spannende wie mitreißende Melange aus Abenteuer-Geschichte und Hommage an Howard Phillips Lovecraft.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

ALEXANDER MEROW

 

 

Uraltes Grauen

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

URALTES GRAUEN 

Prolog 

1. Die Gipfel des Hindukusch 

2. Das Loch im Boden 

3. Freud und Leid des Archäologen 

4. Die Hoffnung auf Ruhm 

5. Private Brüche 

6. Persona non grata 

7. Familie im Chaos 

8. Maler 

9. Ins Exil geschickt 

10. Neue Kuriositäten 

11. Entehrt und allein 

12. Die Seereise 

13. Blaue Weiten, ferne Länder 

14. Zermürbende Irrfahrt 

15. Nicht von Menschenhand 

16. Groteske Gemäuer 

17. Vergessene Hallen 

18. Grausige Erbauer 

19. Die Brut aus schwarzen Tiefen 

Impressum

 

Copyright 2023 © by Alexander Merow/Signum-Verlag.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Als Professor Ferdinand von Gardlitz von seiner Hindukusch-Expedition nach Berlin zurückkehrt, brennt er darauf, der Welt seine sensationellen Funde zu präsentieren. Doch die Reaktionen der anderen Archäologen sind anders als erwartet: Statt Ruhm erntet der eigensinnige Forscher lediglich Hohn und Spott.

Gebrandmarkt als Narr steht von Gardlitz bald vor den Trümmern seiner Karriere. In seiner Verzweiflung setzt er alles auf eine Karte. Gemeinsam mit seinem Sohn Carl und einer Gruppe zwielichtiger Seeleute macht er sich auf die waghalsige Suche nach einem Ort, an dem sich uralte Legenden und finsterer Wahnsinn begegnen...

 

Der Horror-Roman Uraltes Grauen des deutschen Fantasy- und Science-Fiction-Autors Alexander Merow ist eine ebenso spannende wie mitreißende Melange aus Abenteuer-Geschichte und Hommage an Howard Phillips Lovecraft.

 

  URALTES GRAUEN

 

 

 

 

 

  Prolog

 

 

»Wir brachen mit der Lucia auf, doch erreichten wir die Neue Welt nicht. Ein furchtbarer Sturm schleuderte uns hinaus aufs offene Meer und wir trieben wie von einer teuflischen Macht geführt in unbekannte Gewässer. Es wurde zu einer Fahrt in den Wahnsinn, die eine gefühlte Ewigkeit dauerte und damit endete, dass sich die Mitglieder meiner Mannschaft gegenseitig erschlugen und sich sogar das Fleisch von den Knochen rissen.

Dort draußen auf dem Meer befanden wir uns am Rande der Welt. Jenseits der verwunschenen Wasser wartete bereits die Hölle auf uns. Was wirklich war und was uns der Teufel selbst in die Köpfe gepflanzt hatte, wussten wir am Ende nicht mehr zu unterscheiden.

Dann jedoch entdeckten wir diese Insel. Sie ragte aus den blauen Fluten als Überrest eines von Gott verfluchten Landes. Ruinen aus dunklem Gestein übersäten das Eiland am Rande der Hölle. Sie waren nicht von Menschenhänden errichtet worden wie wir sahen. Bosheit lauerte seit endlosen Zeiten in den zyklopischen Quadern, die von dämonischen Kreaturen aufeinander geschichtet worden waren. Steinerne Fratzen, die höllische Abscheulichkeiten zeigten, starrten von flechtenbedeckten Wänden auf uns herab, als wir durch den Dschungel marschierten.

Heute sind meine Erinnerungen verschwommen. Immer wieder werden sie von alptraumhaften Visionen aus den Tiefen meines Verstandes vergiftet. Wir sahen die Erbauer dieser Ruinen mit eigenen Augen. Es waren die Kinder der Hölle selbst. Sie leben dort draußen auf einer vergessenen Insel. Unser Gott, der uns Menschen erschaffen hat, kann unmöglich auch sie erschaffen haben. Nein, ihr Vater kann nur der Teufel sein. Seine Brut schlurft über den Grund des Ozeans. Das haben mir meine Träume offenbart. Dort draußen hört Gott uns nicht schreien, er ist taub für unser Flehen, denn selbst er fürchtet das, was dort in den Tiefen lauert...«

 

(Aus dem Verhörprotokoll des Armando de Bustillo, Kapitän der Lucia. Verbrannt von der spanischen Inquisition im Jahre 1582 wegen blasphemischer Hetzreden)

 

 

 

 

  1. Die Gipfel des Hindukusch

 

 

Professor Ferdinand Gottlieb von Gardlitz betrachtete die nebelverhangenen Berggipfel, die um ihn herum in den Himmel wuchsen, und stieß dabei ein leises Seufzen aus. Ein Gefühl allgemeiner Erschöpfung und eine tiefsitzende Enttäuschung quälten den Archäologen, der in den Hindukusch gekommen war, um ein uraltes Mysterium aufzudecken. Vorausgesetzt natürlich, es gab selbiges überhaupt irgendwo in der trockenen Erde des afghanischen Hochlandes, fügte Ferdinand in Gedanken hinzu.

Seit drei Wochen schon wühlten sich fünf Dutzend Hilfsarbeiter, die man in den umliegenden Bergdörfern und in den Straßen von Kabul angeworben hatte, durch den Boden am Fuße eines Berges, den die Einheimischen einst nach dem persischen Sagenhelden Rostam benannt hatten.

Ferdinand blickte sich um und betrachtete die Grabenden, die in tiefen Löchern hockten und sich lautstark in ihrer fremden Sprache unterhielten. Dann sah er wieder hinauf zu den braunen Felswänden des Rostam-Berges, die sich machtvoll und trotzig vor dem Lager des Archäologen aufbauten.

»Was ist los? Wieder nachdenklich?«, hörte Ferdinand eine vertraute Stimme hinter sich. Er drehte sich um und lächelte verhalten. Carl Albert von Gardlitz, sein einziger Sohn, der ihn bei dieser Expedition nach Afghanistan begleitet hatte, klopfte ihm auf die Schulter.

»Kopf hoch, Papa!«

»Du hast gut reden, mein Lieber. Bisher haben wir bloß ein paar Eimer Staub gefunden. Nicht einmal einen Mauerrest oder einen zerbrochenen Tonkrug. Langsam glauben sogar die Afghanen, dass ich sie auf eine falsche Fährte geschickt habe«, antwortete der Professor kopfschüttelnd.

Carl, sein zwanzig Jahre alter Sohn, der ihm schon manch graues Sorgenhaar beschert hatte, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann schnappte er sich eine Feldflasche und trank einen Schluck Wasser.

»Heinrich Schliemann hat auch nicht so schnell aufgegeben, Papa. Wenn der Kerl Troja finden konnte, dann wirst du doch auch dieses Borna ausbuddeln können, oder?«

»Deine Scherze können mich heute nicht aufheitern, Junge. Abgesehen davon hatte Schliemann ganz andere Voraussetzungen als ich. Er bewegte sich auf sicherem Terrain, um es einmal so auszudrücken. Hier aber geht es um eine Epoche, die noch weit außerhalb der gewöhnlichen Geschichtsschreibung liegt. Falls du mir folgen kannst, Carl Albert.«

»Einigermaßen zumindest, Herr Professor!«

»Gib mir auch mal einen Schluck, Junge.« Ferdinand von Gardlitz griff nach der Feldflasche und labte sich an dem Wasser, das seinen aufgeheizten Körper für einen Moment abkühlte. Anschließend drückte er Carl die Flasche wieder in die Hand, drehte sich um und begann durch das Lager zu schreiten, um den Hilfsarbeitern beim Graben zuzusehen.

Sobald die glühende Mittagssonne verschwunden war, wollte der Professor auch selbst wieder zur Schaufel greifen, um den Afghanen zu helfen. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen, die sich bei Ausgrabungen niemals selbst körperlich betätigten, war sich von Gardlitz nicht zu schade, auch in ein Loch zu steigen und das Gleiche zu tun wie die angeheuerten Fremden. Außerdem machte das bei den Einheimischen einen guten Eindruck und das Wohlwollen der Bergbewohner war gerade in dieser Region, in der wilde Afghanenstämme und britische Kolonialinteressen schon oft blutig aneinander geraten waren, von großer Bedeutung.

Bisher jedoch mochten die angeworbenen Helfer dem deutschen Professor und seinem Sohn freundlich gesinnt. Von Gardlitz hoffte, dass es auch in Zukunft dabei blieb.

In diesem zerklüfteten Hochland hielten sich selbst die machthungrigen Briten mit ihren Vorstößen zurück, denn der Hindukusch war ein ebenso gefährlicher wie geheimnisvoller Ort.

»No found!«, rief ein Afghane mit schmutzigem Turban und verfilztem Bart aus einer der Gruben, als er den Professor am Rand stehen sah. Der Mann grinste und entblößte ein paar faule Zahnstümpfe; Ferdinand nickte ihm wortlos zu. Dann ging er zum nächsten Loch, wo sich drei der Helfer schnaufend und stöhnend durch die staubige Erde kämpften.

Von Gardlitz hatte diese Expedition fast ganz allein organisiert und nur wenig Hilfe von der Berliner Humboldt-Universität erhalten. Zwar hatte sich das Institut an den Kosten der Forschungsreise nach Afghanistan beteiligt, doch hatte man von Gardlitz ansonsten völlig sich selbst überlassen. Somit fehlten auch weitere Archäologen und Historiker, die dem Professor hätten zur Seite stehen können. Aber dies war nichts, was Ferdinand sonderlich traurig stimmte. Im Grunde war es sogar gut, dachte der Professor, dass er hier im Gebirge nicht auch noch mit seinen besserwisserischen Kollegen aus der Archäologenfachschaft debattieren musste und sich ganz auf seine Ausgrabungen konzentrieren konnte.

Lediglich sein Sohn Carl, zwei deutsche Bergführer und ein abenteuerlustiger Schweizer namens Ludger, den von Gardlitz in Kabul angeworben hatte, begleiteten den Professor durch das Gebirge. Ansonsten gab es nur noch die Afghanen, die – das hoffte von Gardlitz jedenfalls – dafür sorgten, dass sich die fremden Europäer am Fuße des »Koh-e-Hawz-e-Rostam« sicher bewegen konnten.

Ferdinand schreckte aus seiner Grübelei auf, als lautes Gelächter aus einem der Gruben herausschallte. Er runzelte die Stirn und zog seine dünnen, dunklen Augenbrauen nach oben. Ein schwarzbärtiger Afghane kletterte aus dem Loch und hielt einen Knochen in der Hand. Er rief seinen Landsleuten etwas zu und diese lachten ebenfalls brüllend durcheinander. Dann sprang der Gehilfe wieder in die Grube, um weiter zu graben. »Ein Tierknochen! Sehr witzig!«, murmelte von Gardlitz so leise, dass nur er selbst es hören konnte.

Diese Expedition würde ihn vor der gesamten Archäologengemeinschaft der Humboldt-Universität furchtbar blamieren.

»Von Harden wird mir den Kopf waschen, wenn ich wieder zurück nach Berlin komme. Mein Gott, wie konnte ich nur so dumm sein und mich auf diese Reise ins Nirgendwo einlassen? Du bist ein Träumer, ein Schwachkopf, Ferdinand. Und diesmal wirst du dein Gesicht auf ewig verlieren«, zischte von Gardlitz.

Seine Frau Charlotte hatte ihm völlig zu Recht von der gefährlichen Reise ins afghanische Hochland abgeraten. Außerdem hatte er mit dieser sinnlosen Expedition nicht nur sich selbst, sondern auch seinen einzigen Sohn in Gefahr gebracht. Was wäre, wenn ihnen ihre afghanischen Helfer morgen einfach die Kehlen durchschneiden, ihr Geld stehlen und sie hier oben im Gebirge liegen lassen würden? Niemand würde jemals wieder etwas von einem Professor von Gardlitz und seinen Begleitern hören. Diesen bärtigen Gestalten konnte man nicht trauen, rumorte es im Kopf des Archäologen. Die wenigen Gewehre, die sie zu ihrem Schutz mitgenommen hatten, würden ihnen gegen eine Horde wilder Bergbewohner kaum helfen können. »Wahnsinn! Dummheit! Arroganz!«, ging von Gardlitz mit sich ins Gericht und ballte die Fäuste in den Taschen. Am liebsten hätte er sich selbst ins Gesicht geschlagen. Wütend machte er auf dem Absatz kehrt und ließ die Gehilfen weiter graben. Er ging zu Carl zurück, der noch immer mit der Feldflasche in der Hand da stand und seinen Vater nachdenklich beäugte.

»Nimm es nicht so schwer, Papa. Archäologie ist immer auch Glückssache. Das hast du selbst gesagt«, merkte Carl an.

Ferdinand presste die Lippen zusammen. Am liebsten hätte er gegen eine der Proviantkisten getreten, die überall neben den kleinen Zelten standen. Zwar war der Professor aus Berlin für gewöhnlich ein beherrschter und nicht zu Wutausbrüchen neigender Zeitgenosse, doch das Gefühl, dass er die süffisanten Bemerkungen seiner Historikerkollegen bereits im Geiste hören konnte, brachte ihn an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Sie würden hier oben niemals Hinweise auf eine vorzeitliche Stadt finden – mochten sie auch noch so eifrig den Boden durchwühlen.

»Als die Atlanter aus dem Norden kamen, die Stämme von Sward unterwarfen und sie mit dem Lichte ihrer Kultur erleuchteten, gründeten sie eine Stadt namens Borna am Fuße des Rostam-Berges. Hier errichteten ihre Baumeister hohe Mauern, welche die Leute von Sward in Ehrfurcht vor den Eroberern erzittern ließen und ihnen zugleich auch Schutz gaben vor den wilden Völkern des Gebirges und jenen, die noch immer in den tiefen Höhlen lebten und danach strebten, ihr verlorenes Reich zurück zu gewinnen.

Es war Fürst Aihnar der Rote, der Borna in der Zeit der Ausdehnung gründete. Im Namen des Herrschers über die Länder des Nordens und die weiten Meere des Erdkreises.«

Mit verkniffenem Gesicht schleuderte von Gardlitz die Buchseite, auf der diese Zeilen standen, auf den Holztisch in der Mitte seines Zeltes. Sein Sohn Carl und ein stämmiger Mann namens Rudolf, einer der deutschen Reisebegleiter aus Kabul, schauten zu ihm herüber.

»Im Grunde habe ich unsere Expedition in den Hindukusch ausschließlich aufgrund dieser mysteriösen Zeilen begonnen. Jener kurze und nicht sonderlich aussagekräftige Quellentext aus einem alten Buch von 1843 ist alles, was ich habe. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammt diese Inschrift aus der Zeit Kyros des Großen, doch bezieht sich ihr Inhalt auf eine uns unbekannte, längst vergangene Epoche«, sagte Ferdinand, während er ins Leere blickte.

»Wie gesagt, die ganze Sache ist von Anfang an eine Gratwanderung gewesen«, gab Carl zurück.

»Ich habe der archäologischen Gemeinschaft der Berliner Universität etwas vorgelogen, als ich den feinen Herren erzählt habe, dass ich nach den Spuren der ersten Indogermanenstämme im afghanischen Hochland graben lasse«, fuhr sein Vater mit einem zynischen Lächeln fort. »Professor von Harden ist von Anfang an skeptisch gewesen, doch habe ich so lange auf ihn eingeredet, bis er die Expedition am Ende genehmigt hat. Unter Vorbehalt natürlich, wie er ausdrücklich nachgeschoben hat.«

»Nun, jetzt sind wir hier, Papa. Und vielleicht finden wir diese mysteriöse Stadt ja doch noch.«

»Selbst wenn wir in diesen Bergen etwas finden würden, woran ich mittlerweile die größten Zweifel hege, werde ich Mühe haben, die Relikte in einen sinnvollen historischen Kontext einzuordnen. Sollte es hier tatsächlich eine Stadt gegeben haben, dann ist sie vermutlich noch sehr viel älter als die Stadt Ur oder die Pyramiden in Ägypten. Sie wäre ein Überbleibsel aus einem Zeitalter, von dem nur noch Legenden künden. Zudem wäre es eine wissenschaftliche Sensation, die diese starrköpfigen Einfaltspinsel von der Archäologenfachschaft niemals anerkennen würden. Wie auch immer, ich hätte in Berlin bleiben und mich auf mein schnödes Tagwerk als Historiker konzentrieren sollen. Einfach brav das dozieren, was allgemein als erwiesen gilt. Damit hätte ich mir eine Menge Ärger und Spott erspart.«

»Sein Sie mir nicht böse, Herr Professor, aber hier gibt es nichts. Das sagt mir mein Gefühl«, fügte Rudolf hinzu, um sich daraufhin einen nicht sonderlich freundlichen Blick von Carl einzuhandeln. Doch das störte den Bergführer mit dem rotblonden Stoppelbart und dem sonnengegerbten Gesicht wenig.

»Sie bekommen ihr Geld so oder so, Herr Faber. Das ist alles, was Sie zu interessieren braucht!«, brummelte Ferdinand von Gardlitz zurück.

»Die Stimmung unter unseren afghanischen Helfern wird jedenfalls nicht besser, wenn sie noch länger sinnlos vor sich hin graben müssen. Glauben Sie mir, Herr Professor, diese Kerle sind verdammt launisch. Ich bin nicht das erste Mal in diesem Gebirge. Glücklicherweise sind wir Deutsche, also Europäer, die die Afghanen leiden können. Mit einer Gruppe von Engländern wäre ich hingegen nicht in diese Berge gezogen, das kann ich Ihnen versichern«, knurrte Rudolf.

»Wenn man sich aufmacht, eine antike Ruinenstadt zu suchen, dann ist es leider nicht immer gewährleistet, dass man sie auch findet«, stöhnte Ferdinand.

Der deutsche Archäologe, der vor einigen Tagen das fünfundvierzigste Lebensjahr erreicht hatte, strich sich mit seiner mit Schwielen übersäten Hand durch sein feines, dunkelbraunes Haar. Ferdinands Blick ruhte auf Carl, dann sah er wieder den Bergführer mit dem rotblonden Stoppelbart an. Die blaugrauen Augen des Professors funkelten für einen kurzen Moment auf, Zorn brodelte in den Eingeweiden des Archäologen, der sich in erster Linie über seine eigene Naivität ärgerte.

»Ich werde die Afghanen im Auge behalten. Ein paar von ihnen kenne ich einigermaßen. So lange sie ihre Münzen bekommen, werden sie friedlich bleiben. Davon gehe ich zumindest aus«, meinte Rudolf trocken.

»Das Geld reicht aus, um euch alle zu bezahlen«, antwortete Carl ein wenig ungehalten.

Rudolf, der Bergführer, hob die Hand. »Weißt du, mein Junge, ich bin wesentlich geduldiger als diese Wilden aus den Bergen. Sie verstehen nicht einmal, warum irgendwelche Europäer hier den Boden durchwühlen, um alte Stadtmauern freizulegen. Aber so lange sie ihr Geld kriegen, werden sie freundlich bleiben. Die dort draußen sind noch die netten Bergbewohner, Carl. Die nicht so netten hast du noch gar nicht kennengelernt.«

»Ihre Schauergeschichten über englische Kolonialsoldaten, die mit aufgeschlitzten Hälsen in den Schluchten des Hindukusch gefunden wurden, kennen wir inzwischen, Herr Faber.«

»Es liegt mir fern, Ihnen Angst zu machen, aber in diesem Gebirge hausen primitive Stämme, die auf Fremde nicht gut zu sprechen sind«, meinte Rudolf und zog ein kleines Döschen voller Kautabak aus seiner Westentasche.

»Demnach war es eine gewaltige Torheit, an diesen Ort zu kommen«, murmelte von Gardlitz, das alte Geschichtsbuch noch einmal in die Hand nehmend.

»Wir befinden uns zwar am Fuße des Rostam-Berges, doch gibt es hier keine antiken Ruinen. Finden Sie sich endlich damit ab«, gab der Bergführer aus Kabul mit ernster Miene zurück.

»Ebenso wie die wesentlich später gekommenen Indogermanen-Stämme, welche von Europa bis nach Persien, Indien und Nordchina gewandert sind, müssen auch die in dem Quellentext erwähnten Atlanter ihr Reich von Norden aus immer weiter ausgedehnt haben. Allem Anschein nach sind es die Vorfahren jener Indogermanen-Völker gewesen, über die wir inzwischen wesentlich mehr wissen und deren Wanderungsbewegungen bereits einigermaßen rekonstruiert werden können.

Die Gretchenfrage ist hier also: Wie weit reichen die in der Inschrift aus dem alten Persien beschriebenen Ereignisse in die Vergangenheit zurück?«

Carl nippte an einer staubverschmierten Schnapsflasche. Eine der letzten, die Vater und Sohn noch besaßen. Der breitschultrige Bursche mit dem dunkelblonden Haar, der vom Aussehen her stark nach seiner Mutter kam, rang sich ein zynisches Grinsen ab.

»Ich bin kein Fachmann auf dem Gebiet der Archäologie, Papa. Diese Frage kann ich dir also leider nicht beantworten. Außerdem weiß ich auch nicht, welche Stämme wann durch dieses Gebirge gezogen sind. Das wissen höchstens deine werten Kollegen an der Universität.«

»Die Kollegen!«, stieß Ferdinand abfällig aus. »Der gewöhnliche Wasserbüffel ist weniger borniert wie einer dieser Historiker. Brotgelehrte sind das! Allesamt! Lieber bin ich ganz allein in diesen Bergen. Gib mir bitte auch mal einen Schluck Schnaps, Junge.«

»Natürlich, Herr Professor! Bitte sehr!«

»Sehr witzig! Hör bloß auf, deinen armen Vater zu foppen. Ich brauche etwas, um meine Nerven zu beruhigen. Ein wenig Alkohol ist ja sogar gesund, wie man sagt.«

»Wer sagt das? Die Säufer, die im Wedding auf den Gehsteigen liegen?«

»Für deine niveaulosen Anekdoten habe ich heute Abend nichts übrig, Carl Albert«, erwiderte Ferdinand. Er kippte einen gehörigen Schwall lauwarmen Schnaps herunter. »Wir besaufen uns in unserem Zelt. Wenn das Mama sehen könnte.« Carl schmunzelte.

»Mit Besaufen hat das nichts zu tun, mein lieber Junge. Dein armer Vater versucht bloß nach ein paar anstrengenden Tagen ein wenig innere Ruhe zu finden. Und Mama wirst du nichts davon sagen, das versteht sich hoffentlich von selbst.«

»Wenn du hier nichts findest, dann wird sie sehr enttäuscht sein«, meinte Carl.

»Mama war dagegen, dass ich dich mitnehme, aber du wolltest mich ja unter allen Umständen nach Afghanistan begleiten. Falls ich mit leeren Händen zurück nach Deutschland komme, wird mich nicht nur das Historikerkollegium der Universität verspotten, sondern auch deine Mutter. Aber das ist eine Sache zwischen mir und ihr.«

Die Schnapsflasche gluckste, als Carl sie sich an den Mund hielt und kräftig nachkippte. Anschließend wanderte die Flasche wieder in die Hände seines Vaters. Es herrschte eine Weile eine angespannte Stille in dem kleinen Zelt, das nur von einer in der Ecke stehenden Laterne erhellt wurde.

»Für mich bleibst du der größte Historiker überhaupt, Papa. Was du alles über Geschichte weißt. Da können sich andere mal eine Scheibe von abschneiden«, meinte Carl.

»Leider zählen bei einer solchen Expedition nur Ergebnisse und reale Funde. Aber nett, dass du versuchst, mich aufzuheitern.«

Die nächste halbe Stunde verging, ohne dass Vater oder Sohn ein Wort wechselten. Ferdinand dachte an seine Frau und ihr enttäuschtes Gesicht, wenn er diese Forschungsreise in den Sand setzte.

Da Ferdinands Aufstieg als Historiker seit Jahren auf sich warten ließ, hätte diese Expedition alles verändern können. Eine Niederlage jedoch würde die allgemeine Frustration – nicht zuletzt Ferdinands eigene – nur noch weiter vergrößern. Und Charlotte, sie würde ihn mit Vorwürfen überhäufen und auf ihre ganz spezielle Art tagelang nörgeln; vielleicht war dies noch unangenehmer als der Hohn der Kollegen an der Universität.

»Ist das wirklich die letzte Flasche? Haben wir keinen verdammten Alkohol mehr irgendwo in einer dieser verdammten Kisten?«, lallte von Gardlitz, dem der Schnaps plötzlich mit aller Wucht durch die Blutbahn wirbelte.

»Nö! Das ist leider alles«, gab Carl benebelt zurück.

»Verflucht! Na, dann legt sich dein Vater jetzt schlafen. Bei allen Historikern, die am Arsch der Welt Städte ausgraben, ich bin besoffen. 'tschuldigung, mein Kleiner, dass ich dir das zumuten muss.«

»Wünsche eine gute Nacht, Herr Professor!« Carl torkelte durch das Zelt und fiel neben seinem Schlafsack auf den Boden. Sein Vater brummte, dann deckte er sich mit einer Wolldecke zu, um schon im nächsten Moment laut schnarchend ins Land der Träume einzukehren.

Eine ganze Horde kreischender Bergbewohner, Männer mit staubverklebten Fratzen und verfilzten Bärten, stach auf die Hirnfurchen des unglücklichen Professors ein. Ferdinand von Gardlitz zuckte zusammen, als er sich vorstellte, wie die mörderischen Gesellen die Klingen ihrer rostigen Säbel in seinen Schädel bohrten. So jedenfalls fühlte es sich an, nachdem er die Augen zur Mittagsstunde aufgemacht hatte.

Unbarmherzig brannte die Sonne durch den graubraunen Stoff über Ferdinands Kopf; das Zelt hatte sich inzwischen aufgeheizt wie eine Sauna. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen richtete sich von Gardlitz auf, hielt sich den Kopf und stieß einen langgezogenen Klagelaut aus.

»Bei allen Göttern der Geschichte, was ist denn bloß passiert?«

»Er ist wach!«, kam es aus einer halbdunklen Ecke des Zeltes.

Ferdinand drehte den Kopf. In der gleichen Sekunde kroch eine furchtbare Übelkeit seine Speiseröhre hinauf. »Was ist denn? Wie spät ist es?«, stammelte der Archäologe.

Das schmale, aristokratisch anmutende Gesicht des Historikers war kreidebleich und blutleer. Ferdinand kämpfte gegen die immer größer werdende Übelkeit. »Ich hole seinen Sohn!«, sagte die Gestalt aus der Zeltecke. Es war Ludger, der Bergführer aus der Schweiz, den sie vor einigen Wochen in Kabul angeheuert hatten. Der Mann erhob sich von einer Holzkiste und trat aus dem Zelt heraus. Neben ihm blieb Rudolf zurück. Nachdenklich kratzte sich der vierschrötige Helfer am Kinn, wobei er den Anführer dieser Expedition, der sich in der letzten Nacht in einer Unmenge von Schnaps ertränkt hatte, musterte. Kurz darauf kam Carl in das Zelt hineingestürmt.

»Papa, endlich! Du siehst ja furchtbar aus!«

»Ich fühle mich noch viel furchtbarer! Was habe ich denn bloß gemacht?«

»Naja...«, brummte Carl verlegen und blickte zu Rudolf herüber.

»Warum habe ich nur dieses widerliche Zeug in mich hinein gekippt? Das darf doch alles nicht wahr sein!«, jammerte von Gardlitz.

»Ich hätte dich aufhalten sollen, aber irgendwie hat es auch mich überkommen, Papa. Jetzt ist auf jeden Fall nichts mehr da. Von dem Schnaps, meine ich.«

»Wie spät ist es denn?«, wollte Ferdinand wissen.

»Um die Mittagsstunde, Herr Professor. Die Afghanen sitzen schon eine Weile draußen in der Sonne und warten auf Ihre Anweisungen«, erklärte Rudolf.

Ferdinand von Gardlitz fuchtelte mit der Hand herum. Er schleuderte die Wolldecke von sich, kroch über den Boden und suchte seine Unterhose.

»Graben! Die sollen einfach weitergraben!«

»Ja, das habe ich unseren Helfern bereits gesagt, Papa. Alles gut! Lass dich nur einmal kurz bei den Afghanen sehen. Danach kannst du ja wieder ins Zelt gehen.«

»Ich habe gestern Nacht jede Disziplin verloren! Oh, Gott, ist das peinlich! Es tut mir wirklich leid! Eine Katastrophe! Welchen Eindruck sollen unsere Helfer denn jetzt von deutschen Archäologen haben? Immerhin repräsentierte ich die Berliner Humboldt-Universität. Eigentlich kann ich mir so etwas nicht erlauben. Muss die Kontrolle über meinen Alkoholkonsum verloren haben.«

»Da könnte etwas dran sein, Herr Professor«, merkte der Schweizer an, der sich mittlerweile wieder auf der Holzkiste niedergelassen hatte. Der blonde Mann unterdrückte ein Grinsen.

»Der gute Ruf deutscher Historiker in aller Welt ist im Augenblick unser geringstes Problem. Gehen Sie einfach kurz zu den Afghanen raus und lassen Sie sich sehen. Die wollen nur ein wenig umgarnt werden, dann graben sie auch weiter«, meinte Ludger.

Es dauerte noch eine Weile, bis sich Ferdinand von Gardlitz angezogen hatte. Dunkle Bartstoppeln bedeckten seine schweißdurchtränkten Wangen; der Archäologe besprenkelte sein bleiches Gesicht mit ein wenig Wasser aus einem Holzeimer und ließ dabei eine ganze Klagelitanei erklingen.

»Mein Gott, wie konnte ich das nur tun? Der Teufel Alkohol hat mich geritten! Oh, nein!«

Carl sah seinem Vater schweigend zu. Abwechselnd runzelte er die Stirn oder zog die Augenbrauen nach oben.

Schließlich krabbelte Ferdinand aus dem Zelt heraus und ging durch das kleine Lager am Fuße des Rostam-Berges. Als die Afghanen ihn erblickten, lachten sie durcheinander und schnatterten in ihrer unverständlichen Sprache herum. Ferdinand hatte den Eindruck, als ob ihn die Fremden auslachten, doch vielleicht schätzte er die Mentalität der Helfer auch falsch ein.

Schließlich hob der Professor die Hand zum Gruß; die meisten der Afghanen nickten, wobei ein breites Grinsen ihre bärtigen Gesichter überzog. Als Ferdinand Carls Hand auf der Schulter spürte, drehte er sich um.

»Ich habe gestern auch zu viel getrunken. Allerdings hast du noch eine weitere Flasche ganz alleine geleert. Eine zweite war nämlich noch da, hatte mich auch gewundert. Kannst du dich denn an gar nichts mehr erinnern? Du bist noch einmal mitten in der Nacht aufgewacht und hast die Kisten nach Schnaps durchwühlt. Himmel, du warst völlig im Selbstmitleid versunken, Papa. So etwas ist nie gut.«

»Dazu hatte ich auch allen Grund, Junge. Und jetzt habe ich mich auch hier noch blamiert. Die Götter sind gegen mich, das weiß ich jetzt.«

 

 

 

 

  2. Das Loch im Boden

 

 

Bohrende Kopfschmerzen und ein allgegenwärtiger Brechreiz waren Ferdinands Begleiter durch diesen furchtbaren Tag gewesen. Erbarmungslos hatte die Sonne vom Himmel gebrannt und kein Mitleid mit dem verkaterten Archäologen und seinem Gefolge gezeigt. Inzwischen senkten sich wieder die Schatten der Abenddämmerung über die bläulichen Gipfel des Hindukusch, deren blasse Konturen sich am Horizont abzeichneten.

Die Afghanen hatten mehrere Stunden lang gegraben und bis auf den Professor, der froh war, wenn er sich nicht übergeben musste, hatten ihnen die Europäer bei der Arbeit geholfen.

Insgesamt hatte sich jedoch nichts geändert, die Expedition ins Hochland blieb weiterhin ein grandioser Fehlschlag. Hier oben gab es nicht die geringsten Anzeichen, dass am Fuße des Rostam-Berges jemals eine Stadt existiert hatte. Wer auch immer die Geschichte über Borna verfasst hatte, war wohl doch nur ein frecher Lügner gewesen, sinnierte Ferdinand enttäuscht. Vor seinem geistigen Auge sah sich der Archäologe schon durch die hohen Hallen der Berliner Universität schlurfen – als vom Schicksal geschlagenen Mann mit hängenden Schultern und gesenktem Haupt, dem Spott seiner Kollegen ausgeliefert.

Vor allem das Oberhaupt der historischen Fachschaft, Professor Adalbert von Harden, welcher Ferdinand von Gardlitz nicht sonderlich leiden konnte, würde wohl seine Freude daran haben, den gescheiterten Forscher vor aller Augen zu demütigen.

 

Verehrter Herr Professor von Gardlitz,

im Namen der gesamten Archäologenfachschaft der Berliner Humboldt-Universität wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Expedition ins afghanische Hochland. Wir alle wünschen uns, dass Sie unserer Fakultät ein reichhaltiges Sammelsurium archäologischer Fundstücke von großem wissenschaftlichem Wert überreichen können, wenn Sie wieder zurück in Deutschland sind. Expeditionen sind stets kostspielige Angelegenheiten für den wissenschaftlichen Betrieb, das wissen Sie ebenso gut wie wir. Somit trägt auch jeder Archäologe eine gewaltige Verantwortung, was seine Forschungsarbeit betrifft. Nicht nur, um unserem Berufsstand alle Ehre zu machen, sondern auch, um aufgebotene Geldmittel gewissenhaft zu verwenden. Wie bereits erwähnt, wünschen Ihnen Ihre werten Mithistoriker den größten Erfolg in den wilden Bergen des Hindukusch.

 

Mit allerbesten Grüßen

Ihr Prof. Adalbert Wolfgang von Harden

 

Mit einem abfälligen Zischen zerknüllte Ferdinand den ungeliebten Brief, den ihm von Harden zu Beginn seiner Reise noch am Berliner Bahnhof in die Hand gedrückt hatte. Dieser arrogante Kerl wünschte ihm eine Menge, aber sicherlich keinen Erfolg, dachte Ferdinand verbittert.

In den letzten Tagen hatte der Professor das Schriftstück wieder und wieder gelesen; abends, allein an dem kleinen Tisch in der Mitte seines Zeltes sitzend.

Wütend nahm von Gardlitz ein Feuerzeug aus der Hosentasche und übergab den sarkastischen Brief seines Rivalen den orangeroten Flammen, deren kurzer Schein sich mit dem einer Leuchte vereinte.

»Du bist kein zweiter Heinrich Schliemann, du Trottel! Du bist nur ein erfolgloser Akademiker, der auf dem besten Wege ist, sich als Historiker endgültig ins Abseits zu stellen«, schimpfte sich Ferdinand selbst aus.

Professor Adalbert Wolfgang von Harden würde ihm einen Strick aus der Tatsache drehen, dass er mit dieser idiotischen Expedition wertvolle Geldmittel der Universität verschwendet hatte. Der Vorsitzende der Archäologenfachschaft war in der Vergangenheit bereits mehrfach mit seinem jüngeren Kollegen aneinander geraten, da er eine vollkommen andere Geschichtssicht als von Gardlitz vertrat. Somit wartete dieser zynische Brotgelehrte nur darauf, ihn endlich ausbooten zu können, sorgte sich Ferdinand, während es draußen immer dunkler und kälter wurde.

»Eine gescheiterte Forschungsreise wie diese wird von Harden genau das geben, was er braucht, um mich bloß zu stellen. Die Götter sind gegen mich, das ist das Problem.«

Ferdinands flache Hand klatschte auf die Tischplatte. Eine zerbeulte Blechtasse kullerte den Rand herunter und landete scheppernd auf dem Boden. Wieder begann Ferdinand in einem trüben Morast des Selbstmitleides zu versinken. Doch in dieser Nacht kam ihm der Schnaps nicht mehr zu Hilfe, denn die letzte Flasche hatte er bereits geleert. Der Professor kroch in seinen Schlafsack und wartete darauf, dass sich Carl, der draußen vor dem Zelt noch mit Rudolf plauderte, ebenfalls schlafen legte. Doch Ferdinand konnte sich nicht beruhigen. Er lag bis zum Morgengrauen wach und sorgte sich um seine Zukunft.

»Die Afghanen sind ein äußerst lautes Volk«, meinte Carl. »Die Wüstenvölker Arabiens sind noch wesentlich lauter«, fügte Rudolf hinzu. Ferdinand fand, dass ihm die ruhige und besonnene Art der Deutschen wesentlich besser gefiele.

»Berliner Großschnauzen sind allerdings die Ausnahme«, merkte Carl lachend an.

»Zumindest die Berliner aus dem Arbeitermilieu, denen es an akademischer Bildung und Anstand fehlt«, grenzte sein Vater die Sache ein.

»Ihr Preußen habt ohnehin `ne Schraube locker«, scherzte Rudolf, der ursprünglich aus Freiburg stammte. »Und nicht nur eine!«, antwortete Carl, der sich selbst stolz zu jenen Berliner Großschnauzen zählte, die am liebsten immer das letzte Wort behielten. Eine Tatsache, die seinen Eltern überhaupt nicht gefiel.

Die drei Deutschen hatten das Lager heute verlassen und waren in die nahegelegene Stadt Tscharikar gereist, um Vorräte für die Grabungstruppe zu besorgen. Jetzt saßen sie, während in der Ferne die Sonne hinter den Berggipfeln unterging, an einem Tisch vor einer Lehmhütte. Jeder der Männer hatte eine Teetasse in der Hand, diese Nacht würden sie in Tscharikar verbringen und erst wieder in den Morgenstunden ins Ausgrabungslager zurückkehren. Nachts war das Reisen auf den engen Bergstraßen viel zu gefährlich.

Zahlreiche Augenpaare sahen immer wieder zu den drei Deutschen herüber. Allerdings waren die Blicke der Afghanen gleichgültig bis freundlich, die Bergbewohner tuschelten, Kinder zeigten auf die fremden Europäer, manchmal grüßte einer der Einheimischen auch. Doch auch der Frieden in den Straßen der kleinen Bergstadt Tscharikar konnte nur trügerischer Schein sein, warnte Rudolf. Die Afghanen des Gebirges waren eigensinnige Gesellen, die nicht alle gut auf Europäer zu sprechen waren. Vor allem aber hassten sie die Soldaten des British Empire, gegen die sie bereits einen blutigen Guerillakrieg geführt hatten.

»Interessant, sieh mal den dort drüben!«, sagte Ferdinand und deutete auf einen Afghanen mit heller Haut und braunen Haaren.

»Durch dieses Gebirge sind im Laufe der Jahrtausende viele verschiedene Völker und Stämme gezogen. Es gibt nicht nur dunkle Afghanen, sondern auch gelegentlich welche mit hellen Augen und sogar blonden Haaren«, meinte Rudolf.

»Der Mann dort drüben sieht sehr europäisch aus. In einigen Regionen des Hindukusch findet man noch ganze Stämme, die vermutlich direkte Nachfahren indogermanischer Völker sind«, dozierte Ferdinand. »Die müssten uns Preußen doch mögen, immerhin sind wir verwandt.«

»Der Professor kennt sich aus. Die Angelsachsen mögen aber auch diese Afghanen nicht. Verwandtschaft hin oder her.« Rudolf schmunzelte.

Eine junge Frau kam an ihren Tisch und trug einen dampfenden Teekessel. Ferdinand ließ sich seine Tasse auffüllen. Er betrachtete die untergehende Sonne, die die Berglandschaft in eine orangerote Märchenwelt verwandelte. Für einen Moment vergaß der Professor seine Sorgen und entspannte sich. Ferdinand von Gardlitz schloss die Augen, er dachte an nichts.

Das gesamte Lager stand Kopf. Die afghanischen Helfer redeten mit enormer Leidenschaft auf Professor von Gardlitz ein und der sachliche Deutsche kam kaum dazu, Luft zu holen.

»A hole! A dark hole!«, riefen die Bergbewohner, während sie den Archäologen und seine Begleiter zu einer kleinen Öffnung führten, unter der sich unzweifelhaft ein größerer Hohlraum befand.

Schon kam Rudolf mit einem Seil herbeigelaufen. Er ließ es in die lichtlose Schwärze herab, welche wie eine offene Wunde im Boden klaffte. Ferdinand von Gardlitz klatschte in die Hände, seine Wangen wurden rot und frisch. Eine wundervolle Zuversicht kam aus den Tiefen seines Herzens hinauf an die Oberfläche, wo sie alles wie ein Gestirn erhellte.

»Vielleicht sind mir die Götter doch besser gesonnen, als es zunächst den Anschein gehabt hat«, dachte der Professor, während sich alle rund um die Öffnung versammelten.

Nachdem sein Sohn Carl als Erster in das dunkle Loch herabgestiegen war, ließ sich auch der Professor an dem Seil herunter. Es ging etwa dreieinhalb Meter in die Tiefe.

Eine unangenehme Kälte griff aus der Finsternis nach den Eindringlingen, die neugierig in die unterirdische Düsternis vorstießen.

»Jetzt müsste man bloß einen großen Stein über die Öffnung schieben, um uns für immer in diesem Gewölbe einzusperren. Dem Tode geweiht - in dieser finsteren Kälte...«, ging es Ferdinand von Gardlitz durch den Kopf als er den Boden mit den Stiefelspitzen berührte. Der Professor kam auf, seine Handflächen trafen die feuchte, lehmige Erde.

»Carl?«

Ferdinand erblickte die schmutzigen Stiefel seines Sohnes. Er atmete auf.

»Alles klar, mein Junge?«

»Ja, natürlich, Papa. Es ist bloß ein Loch. Dunkel und kalt zwar, doch gibt es sicherlich weitaus Schlimmeres.«

Hastig nahm der Professor eine Öllampe aus dem Rucksack auf seinem Rücken und entzündete sie. Indes folgte von oben ein noch sehr junger Afghane. Er rief seinen Landsleuten, die rund um die Öffnung standen und interessiert in die Tiefe blickten, etwas in seiner Sprache zu.

»Very dark! Very dark!«, meinte der Bergbewohner, als er neben Ferdinand auf den Boden sprang.

»In der Tat! Das ist uns bereits aufgefallen«, hörte der Professor seinen Sohn Carl im Hintergrund brummen. »This seems to be a room of a bigger building«, erklärte von Gardlitz dem verdutzt dreinschauenden Afghanen, dessen Englischkenntnisse recht überschaubar waren. Der gelbliche Schein der Öllampe wanderte über das misstrauische Gesicht des bärtigen Mannes. Ferdinand von Gardlitz drehte sich im Kreis; er versuchte, die Größe des Gewölbes zu bestimmen.

»Drei mal fünf Meter!«, schätzte er, nachdem der Lichtschein die gegenüberliegenden Wände gestreift hatte.

Vorsichtig setzte Ferdinand einen Fuß vor den anderen, Carl folgte ihm. Zwei weitere Afghanen und Rudolf, der Bergführer, kletterten hinter ihnen das Seil herab. Der rotblonde Deutsche hatte ebenfalls eine Lampe bei sich, so dass eine zusätzliche Lichtquelle im Kampf gegen die uralte Finsternis zu Hilfe kam.

Ferdinand von Gardlitz ging zu einer der Wände, streckte die Hand aus und seine Fingerkuppen glitten über gewaltige, megalithische Steinquader. Die Stirn des Archäologen legte sich in Falten, während er bereits damit begann, die historische Epoche, aus der diese Mauerreste stammten, zu bestimmen.

»Unglaublich!«, sagte er leise zu sich selbst.

»Sehen Sie mal, Herr Professor!«, hörte Ferdinand den deutschen Fremdenführer neben sich rufen.

Einer der Afghanen begann plötzlich aufgeregt in seiner fremdartigen Sprache zu sprechen. Carl verdrehte die Augen, er wandte sich zu dem Mann um. Sein Vater tat es ihm gleich. Der Bergbewohner deutete auf die Wand. Rudolf, der deutsche Bergführer aus Kabul, hob seine Lampe an und erleuchtete die Stelle, auf die der Afghane zeigte. In einen der mächtigen Quader waren etwa ein Dutzend Schriftzeichen hineingeritzt worden. Ferdinand von Gardlitz schob die Augenbrauen nach oben, er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.

»Das ist Borna! Es muss Borna sein!«, stieß er aus. »Und was sind das für Schriftzeichen? So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen«, sagte Carl.

»Wir benötigen einen Fotoapparat! Wir müssen diesen Raum ausleuchten und dann Fotos machen! Ja, Fotos!«, rief Ferdinand mit der Begeisterung eines erfolgreichen Entdeckers. »Ich bin mir sicher, dass dieser Raum zu der sagenhaften Stadt Borna gehört, die in dem altpersischen Quellentext erwähnt wird.«

Rudolf räusperte sich. Beinahe mäßigend hob er seine großen Hände und stellte sich vor den Professor aus Berlin.

»Bisher haben wir bloß ein unterirdisches Gewölbe gefunden, Herr von Gardlitz. Einen dunklen, viereckigen Raum. Vielleicht befindet sich außerhalb dieses Lochs auch überhaupt nichts mehr.«

Ferdinand sah den Fremdenführer mit dem rotblonden Vollbart für einen Moment nachdenklich an. Seine Augen leuchteten in der Düsternis auf, dann riss er dem deutschen Begleiter die Lampe aus der Hand, um anschließend die Wand herunter zu leuchten. Es dauerte nicht lange, da erklang ein leises Scheppern. Der Professor war mit der Stiefelspitze gegen einen metallischen Gegenstand gestoßen. Er beugte sich herunter und seine Finger zogen ein tellerförmiges Etwas aus dem kalten Lehm. Carl hatte sich derweil hinter seinen Vater gestellt, neugierig lugte er ihm über die Schulter.

»Was hast du denn da?«

»Faszinierend!«, war alles, was in diesem Moment über Ferdinands Lippen kam.

»Sieh dir das an!«

Carl ergriff einen Teller aus Metall. Er betrachtete den Gegenstand und stellte erstaunt fest, dass auf ihm kaum Spuren der Verwitterung zu erkennen waren. Lediglich ein paar Rostpünktchen und winzige Schrammen zierten die grauweiße Oberfläche. Das eigentlich Interessante aber war das Bild, welches der unbekannte Hersteller des Tellers in das Metall eingraviert hatte.

»Ein Mammut! Das ist eindeutig ein Mammut!«, sagte Rudolf zu Carl.

»Ein Mann...ein Krieger mit einem langen Speer reitet auf einem Mammut. Und er kämpft gegen drei Menschen.

Komisch aussehende Menschen...«, sagte von Gardlitz.

»Verdammt komisch aussehende Menschen!«, fand Carl. Die afghanischen Helfer, welche sich zu beiden Seiten des deutschen Professors postiert hatten, wurden auf einmal laut. Sie tippten von Gardlitz auf die Schulter.

»Demons! This is demons! Demons of the mountains!«, erklärte der junge Bergbewohner, wobei er aufgeregt zu gestikulieren begann.

»No good! No good!«, fügte sein neben ihm stehender Stammesgenosse hinzu.

Ferdinand von Gardlitz erkannte Furcht in den von struppigem Bartwuchs überwucherten Gesichtern der Afghanen. Verdutzt ging er einen Schritt zurück.

»Demons?«

»Vermutlich ein Ammenmärchen dieser primitiven Bergstämme«, flüsterte Carl in das Ohr seines Vaters.

»Wir nehmen den Teller mit. Ich muss ihn genau untersuchen. Ein Mammutreiter, ganz eindeutig, das ist sensationell. Vielleicht haben wir hier ja ein Puzzlestück gefunden, das uns den Weg zu einem gewaltigen Bild eröffnet. Ein Bild von der Frühzeit der Menschheit und unbekannten Reichen, die längst vergessen sind«, ereiferte sich der Professor.

»Für mich sehen die Krieger, die den Mammutreiter angreifen, eher wie aufrecht gehende Reptilien aus, fast wie Schlangenmenschen oder so etwas Ähnliches. Naja, künstlerische Freiheit eben«, merkte Rudolf lachend an. Währenddessen wurde das Stimmengewirr rund um das Loch, welches die afghanischen Helfer in die Decke des unterirdischen Raumes geschlagen hatten, immer lauter und eindringlicher. Zwei weitere Afghanen hangelten sich an dem Seil herunter, sie rannten auf die Lichtkegel der Lampen zu und stellten sich neben den Professor aus Deutschland.

»Wer auch immer diesen Teller angefertigt hat, hat ein außerordentliches Verständnis für die Anatomie von Menschen und Tieren gehabt. Eine künstlerisch hochwertige Arbeit, wie ich anmerken muss. Dieser Gegenstand kommt auf jeden Fall mit nach Berlin. Allein die Tatsache, dass er aus Metall ist, stellt unsere bisherigen Geschichtstheorien schon auf den Kopf. Ich hoffe, dass wir hier noch weitere Relikte finden können.« Ferdinand drehte sich im Kreis, die Lampe erhoben, so dass der Lichtschein erneut über graubraune Steinquader wanderte. Gegenüber befand sich eine viereckige Öffnung, in der vor langer Zeit einmal eine hölzerne Tür gehangen haben musste. Doch davon war nichts mehr übrig. Große Geröllbrocken verschütteten den Ausgang des Raumes. Sie wegzuräumen, würde einen enormen Aufwand erfordern, dachte der Professor. Tief im Inneren war sich von Gardlitz jedoch bereits sicher, einen archäologisch bedeutsamen Fund vor sich zu haben. Dieses seit Urzeiten verschüttete Gewölbe, jener in kalter Erde begrabene Raum war ohne Zweifel ein Teil eines größeren Gebäudekomplexes. Er gehörte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer vorzeitlichen Stadt, von der der Ausgrabungstrupp heute ein winziges Stück freigelegt hatte.

Was mochte sich noch unter der staubigen, ausgedörrten Erde am Fuße des Rostam-Berges verbergen? Vielleicht die Antworten auf ungezählte Fragen, die Professor Ferdinand von Gardlitz schon seit so vielen Jahren beschäftigten?

»Das hier ist viel mehr als Troja. Viel mehr!«, sagte der Archäologe kaum hörbar zu sich selbst. Der dunkelhaarige Forscher war sich plötzlich sicher, eine archäologische Sensation entdeckt zu haben.

Voller Enthusiasmus hatten Ferdinand von Gardlitz, sein Sohn Carl und die anderen Mitglieder der Ausgrabungstruppe ihre Hacken und Schaufeln geschwungen bis die Abenddämmerung eingesetzt und die Dunkelheit das Weiterarbeiten verhindert hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---