Die Arboritos Band 2 - Ylvie Wolf - E-Book

Die Arboritos Band 2 E-Book

Ylvie Wolf

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Beschreibung

Die Arboritos – das sind Fabia, Kion und Tamo. Die drei eichelgroßen Arbolde erleben viele Abenteuer auf dem verbotenen Waldboden und in den Baumstädten! So ein Käfermist! Fabia schwirrt der Kopf: In der Schule läuft alles schief und Tamo verhält sich wie ein beleidigter Gockel. Als wäre das nicht genug, vergiftet sie versehentlich ihren Vater. Eine Biologin ist die Einzige, die das Heilmittel kennt, doch die ist nach einem Brand in ihrem Heimatbaum verschwunden. Ihre Tochter Maggie macht sich gemeinsam mit den Arboritos auf die gefährliche Reise über den Waldboden, um sie zu finden. Die Natur legt ihnen immer wieder Kiesel in den Weg und die Zeit läuft ihnen davon. Es ist zum Blattläuse melken! Band 2 der fantastischen Kinderbuchserie für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren.

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Ylvie Wolf

Die Arboritos

Band 2: Die Suche nach dem Heilmittel

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

Impressum

Copyright © 2023 Ylvie Wolf

Umschlag und Innenillustrationen: Ylvie Wolf

Verantwortlich für den Inhalt: Ylvie Wolf, Görlitzer Str. 2b, 51381 Leverkusen, [email protected]

 

 

 

 

 

Ylvie Wolf

 

Die Arboritos

 

Band 2: Die Suche nach dem Heilmittel

 

 

 

 

 

Für Oliver und Fabian

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Kontaktaufnahme

Stürme

Bekanntschaften

Ankunft

Annäherung

Picknick

Albtraum

Eselsohren

Die Schauderlichtung

Käferstein

Wurmy

Alles im Fluss

Maxi

Nächtliches Abenteuer

Höhenflug

Gerettet?

Das Heilmittel

Seltsame Kaja

Glossar

Redewendungen und ihre Bedeutung

Danksagung

 

 

 

Kontaktaufnahme

 

»Schließt die Augen und versucht, mit eurem Nagekäfer Kontakt aufzunehmen.«

Fabia runzelte die Stirn. Mit einem letzten Blick in die Facettenaugen des Käfers befolgte sie Frau Mückes Auftrag. Um sich herum nahm sie das Rascheln der Kleider und das Kichern ihrer Klassenkameraden wahr. Stuhlbeine schrammten über den Boden.

Sie ermahnte sich zur Achtsamkeit, auch wenn es ihr schwerfiel. Immerhin übten sie das jetzt schon eine Stunde lang. Den meisten war es bereits gelungen, mit ihrem Käfer zu kommunizieren. Nur ihr nicht, war ja klar.

Konzentration! Sie zuckte mit den Fühlern, spürte ihr Umfeld und fand den Käfer. So weit, so gut. Sie stupste ihn sanft mental an. Er reagierte nicht, doch sie fühlte, dass er Hunger hatte und ansonsten nicht viel im Sinn. Seine Aufmerksamkeit galt dem trockenen Holzstück auf dem Tisch, an dem er genüsslich kaute.

Ein weiteres Kichern ertönte, gefolgt von einem Flüstern.

Fabia zwang sich dazu, die Augen geschlossen zu halten, doch fiel es ihr immer schwerer. Eindeutig Kaja, die dort tuschelte. Bestimmt lästerte sie wieder. Fabia ballte die Hände zu Fäusten und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Käfer. Nach einem weiteren Anstupser unterbrach der sein Mittagessen – hatte er sie bemerkt?

»Wie sie guckt, als hätte sie in einen Sauerampfer gebissen.«

Sie riss die Augen auf und wandte sich um. Kaja schaute sie feixend an, strich sich die unverschämt langen, blonden Haare in den Nacken. Ihre Freundinnen gackerten.

Fabia wollte dagegenhalten, als Frau Mücke zu ihr trat.

»Alles in Ordnung? Kommst du gut voran?«

Sie ignorierte Kajas Gekicher und sah zu ihrer Klassenlehrerin auf. Zeitgleich verspürte sie tatsächlich einen sauren Geschmack nach Ampfer im Mund. Lügen hasste sie, petzen jedoch auch. »Alles gut.«

Einfach nicht beachten, ermahnte sie sich. Sie beugte sich über den Käfer und streichelte seinen behaarten Körper. Ein Seufzen entwich ihr. »Irgendwann schaff ich das, du wirst schon sehen.«

Als Antwort biss er herzhaft ins Holz und ließ sie links liegen. Sie packte schlecht gelaunt die Schulsachen zusammen. Heute würde sie es nicht mehr hinbekommen, da konnte sie es auch sein lassen. Es verblieben eh nur noch wenige Minuten bis zum Ende der Stunde.

Frau Mücke zuckte mit den Fühlern. Sogleich krabbelten die Nagekäfer in den hinteren Teil des Klassenraums, um dort noch mehr Futter vorzufinden.

Während sie sich darauf stürzten, als hätten sie nicht gerade erst eine Stunde lang vor sich hin gemümmelt, wandte sich Frau Mücke an die Klasse. »So, ihr Lieben, das war doch eine gelungene letzte Stunde für einen Freitag. Übt fleißig weiter. Auf dem Heimweg könnt ihr mit den Tieren des Krabbelzugs Kontakt aufnehmen.«

Die Schüler scharrten mit den Füßen. Fabia rutschte auf dem Stuhl nach vorn.

»Die Sommergoldhähnchen machen sich bald auf den Weg in den Süden, vielleicht trefft ihr eines, dann könnt ihr ihm einen guten Flug wünschen. Und jetzt raus mit euch!«

Stühlerücken und Geplapper übertönten beinah ihre letzten Worte.

Fabia wippte auf den Fußballen, während sie auf Kion und Tamo wartete, die hinten im Raum in ein Gespräch vertieft waren.

Leider hieß das auch, dass Kaja in aller Seelenruhe weiter über sie reden konnte. Natürlich gab sie sich keine Mühe, dies leise zu tun. »Schon bitter, wenn man es nicht schafft, einen doofen Käfer anzu-sprechen.«

Ihre Freundinnen gackerten.

Fabia verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich mit betont gelangweilter Miene Kaja zu. »Dafür traue ich mich, mit Arbolden zu reden, die ich nett finde.«

Prompt lief Kaja rot an, ihr Blick huschte nach hinten zu den Jungs. Tamos hellblonde Haare standen wild vom Kopf ab, er sah aus wie frisch aus dem Bett gekrochen. So, wie er mit den Armen herumfuchtelte, erzählte er eine seiner absurden Geschichten. Fabias Blick fiel auf ihren Zwillingsbruder und sie lächelte. Kion lauschte gebannt Tamos Worten, auf seinem Gesicht eine kindliche Neugier, die so gar nicht zu seinen dreizehn Jahren passen wollte.

In dem Moment traten die beiden auf die Gruppe zu, Tamo wie immer mit breitem Grinsen. »Na, habt ihr fleißig mit eurem Käferchen geplaudert?«

Zu Fabias Vergnügen konnte Kaja daraufhin bloß nicken. Ihr Kopf hatte die Farbe eines Fliegenpilzes angenommen, es fehlten nur noch die weißen Punkte.

»Dann bis morgen.« Tamo hob die Hand und wandte sich an Fabia. »Bereit?«

Auch sie grinste. »Für dich immer.«

Unter Kions verständnislosen Blick strahlte sie Kaja an. »Und dir einen tollen Tag!«

Deren Gesicht bekam doch noch Flecken. Sie sah aus, als ob sie jeden Augenblick zu schreien oder heulen anfangen würde. Zufrieden folgte Fabia den Jungs in den Flur hinaus, den ein Leuchtpilz erhellte.

»Musste das sein?«, fragte Kion sie so leise, dass Tamo nichts mitbekam.

Sie flitschte dem Helmling mit dem Finger gegen den Hut, woraufhin er flackerte. »Aber so was von.«

»Du bist in letzter Zeit ganz schön grantig, nicht nur zu Kaja. Auch zu allen anderen. Ist dir das eigentlich aufgefallen?«

Unfähig, es zurückzuhalten, sagte sie härter als beabsichtigt: »Ist halt alles Ameisendreck. Kaja ist 'ne blöde Gans, die ersten Klassenarbeiten habe ich in den Sand gesetzt und du hängst nur noch mit Tamo rum.« Ohne auf eine Antwort zu warten, drängte sie sich am Leuchtpilz vorbei und eilte den Gang entlang.

Sie verließen den Baum, kühle Luft schlug ihnen entgegen. Im aufkommenden Herbstwindschwankte der Wohnbaum genau wie Fabias Gefühle. Ihr Bruder hatte recht. Kajas erneute Sticheleien und sein Kommentar zeigten, wie einsam sie war. Seit Wochen fühlte sie sich wie ein welkes Stück Salat, das nicht mal gut genug für eine Nacktschnecke war.

Natürlich hatte es eine Weile gedauert, bis Papas Rufwiederhergestellt worden war. So etwas geschah nicht von heute auf morgen. Andauernd betonte er, wie enorm ihm Kion und Fabia geholfen hatten. Klar, sie hatten die Diebe gefasst, die seine Forschungspapiere gestohlen hatten. Vorher waren sie die Außenseiter der Klasse gewesen.

Was hatte sich seitdem geändert? Tamo war ihr Freund, klar. Und Kion wurde mittlerweile sogar auf Geburtstage eingeladen. Aber sie selbst?

Sie seufzte. Oftmals kam sie sich vor wie das fünfte Rad am Wagen. In der Klasse gab es kein Mädchen, das sich mit ihr treffen wollte. Alle hatten schon eine beste Freundin.

Darüber hinaus wollte sich keine mit Kaja anlegen.

Mit schweren Schritten erklomm sie die Spindeltreppe hinauf zum Krabbelzug. Ihr Blick wanderte in die Ferne. Von hier oben konnte sie den Erdboden vage erkennen. Die Bäume hatten ihre herbstlich getönten Blätter zu großen Teilen abgeworfen. Trostlos segelte ein Buchenblatt an ihr vorbei. Die Baumkrone weit über ihr wirkte verletzt und traurig ohne ihr schützendes Dach.

»Hoffentlich geht es Papa besser.«

Kions Worte rissen sie aus den Gedanken. Sogleich traf sie ein Schwall Schuldgefühle, sie taumelte. Wie hatte sie das verdrängen können?

Ehe sie etwas sagen konnte, wandte sich Tamo ihnen zu. »Wissen die Ärzte inzwischen, was er hat?«

Sie schüttelte den Kopf. »Sie untersuchen jetzt, ob er vielleicht was Falsches gegessen hat.« Auch wenn sie daran zweifelte. Sie hatten dasselbe gegessen, oder? Papa ging es seit einer Woche schlecht und niemand wusste, was los war. Zum Blattläuse melken!

 

 

 

 

Zu Hause wartete Mama. Sie wirkte bedrückt. »Wir müssen etwas besprechen.«

Fabia schluckte und wechselte einen Blick mit ihrem Bruder.

Im Wohnzimmer herrschte Stille, von nebenan erklang ein krächzendes Husten. Es tat Fabia in der Seele weh, sie hoffte auf gute Neuigkeiten.

Mama setzte sich in den Sessel und strich eine Strähne aus ihrer Stirn. »Papa geht es schlechter. Er scheint etwas Giftiges gegessen zu haben. Leider kennen sich unsere Ärzte damit nicht aus.«

»Gift?« Kions Stimme zitterte.

»Sie haben eine Blutprobe nach Käferstein geschickt. Dort wohnt eine berühmte Biologin, die viel über Gifte weiß. Wir hoffen, sie kann uns sagen, wie Papa gesund wird.«

Jeder Satz legte sich wie Blei auf Fabias Körper, sie konnte kaum atmen. Immer wieder huschten die Wörter wie Ameisen durch ihren Kopf.

»Womit hat er sich denn vergiftet?« Kion rutschte auf dem Sofa hin und her.

Mama zuckte mit den Fühlern. »Das wissen wir erst, wenn wir das Ergebnis der Untersuchung haben.« Sie erhob sich vom Sessel, drückte ihren Rücken durch. »Ich muss wieder arbeiten. Da Papa ausfällt, schiebe ich ein paar Extraschichten.«

Die Eingangstür fiel ins Schloss und hinterließ eine dröhnende Leere. Auch aus dem Schlafzimmer drang kein Laut. Fabia hielt nichts mehr auf dem Sofa. Sie sprang auf, eilte nach nebenan und trat ans Bett. Hinter sich spürte sie Kion. Im dämmrigen Licht des Leuchtpilzes versuchte sie, etwas zu erkennen.

Papa lag mit geschlossenen Augen unter der Tagesdecke. Die stickige Luft legte sich wie eine Pollenschicht auf sie.

»Papa?«

Er blinzelte. »Schultag rum? Was gab es denn Spannendes?«

Sie sah, wie anstrengend das Sprechen für ihn war. Er atmete schwer und bewegte sich sonst nicht.

»Wir lernen jetzt, mit Nagekäfern zu kommunizieren. Ist echt schwierig.«

Ein Lächeln breitete sich auf seinem müden Gesicht aus. »Bald weißt du sicher, wie der Hase läuft. Ich ha–« Ein Hustenkrampf packte ihn. Er krümmte sich, drehte den Kopf zur Seite.

Sie biss sich auf die Unterlippe, ihre Augen brannten. »Papa?«, flüsterte sie, nachdem er sich beruhigt hatte.

»Ich sollte noch ein bisschen schlafen. Seid so lieb und gönnt mir etwas Ruhe.«

Sie stolperte aus dem Schlafzimmer und ließ sich auf ihr eigenes Bett fallen. Tränen liefen über ihr Gesicht, sie schniefte.

Kion nahm sie in den Arm, sie klammerte sich an ihn. »Er muss wieder gesund werden.« Sie spürte ihn nicken.

Eine Weile saß sie da, bis die Tränen getrocknet waren. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so große Sorgen um ein Familienmitglied gehabt zu haben.

Traurig aß sie mit Kion ein Brot und ging früh ins Bett – ein schmerzhaftes Pochen hinter der Stirn plagte sie. Doch dauerte es ewig, bis in ihrem Kopf kein Chaos mehr herrschte und sie einschlafen konnte. Ihr letzter Gedanke galt Papa und dass es ihm am nächsten Morgen einfach besser gehen musste.

 

Das war nicht der Fall. Das gesamte Wochenende über nagte die Angst an ihr, nachts konnte sie kaum schlafen. Als sie sich am Sonntagmorgen zum Frühstück schleppte, saß Mama am Tisch – in ihrer zitternden Hand ein Brief.

»Mama?« Die Angst griff nach Fabias Herz und drückte erbarmungslos zu. Als Mama nicht antwortete, brannten ihre Augen erneut.

Kion nahm den Brief und überflog ihn. »Die Biologin macht sich sofort auf den Weg, ein Heilmittel zu besorgen. Wenn Papa es nicht bald bekommt, geht das Gift auf die Organe über und …« Er sprach nicht weiter, sondern nahm Mama, über deren Wangen Tränen rannen, in den Arm.

Auch wenn Fabia von Fühler bis Fuß zitterte, schnappte sie sich den Brief. Sie musste ihn mehrmals lesen, um wirklich zu verstehen, was dort stand. Doch so oft sie die Worte las, eines war klar: Sie hatte Papa vergiftet.

 

 

 

 

Stürme

»Es ist alles meine Schuld!« Fabia starrte auf ihre zittrigen Finger. Sie bekam kaum mit, wo sie sich befand.

Tamo saß neben ihr. »Das weißt du doch überhaupt nicht.«

Sie schnaubte. »Ich habe die Kartoffel geschält und nicht richtig aufgepasst. Dabei weiß doch jedes Arboldkind, dass man die grünen Stellen nicht mitessen darf.«

Und warum hatte sie nicht aufgepasst? Weil sie über die blöde Situation in der Schule nachgedacht hatte. Über nicht vorhandene Freundinnen, Noten, Klassenarbeiten.

Weder Tamo noch der Rummel auf dem Markt konnten sie ablenken, auch Kion sagte weniger als sonst. Mit dem Gefühl, ein Ameisenhügel drücke sie zu Boden, schleppte sie sich nach Hause.

Sie betrat hinter Kion die Wohnung und zog sich unendlich langsam die Schuhe aus. Die Jacke hängte sie ordentlich auf einen Bügel. Den Rucksack brachte sie in ihr Zimmer, anstatt ihn wie sonst in eine Ecke im Flur zu pfeffern. Es half alles nichts. Sie musste sich dem stellen, wovor sie sich seit heute Morgen fürchtete: Papa in die Augen sehen und beichten, was sie getan hatte.

In der Küche sah sie Mama und Kion am Tisch sitzen und schlich an ihnen vorbei. Sie gaben ihr die Schuld, das spürte sie. Warum sonst sprach Kion den ganzen Tag nicht mit ihr?

Das Schlafzimmer lag abgedunkelt vor ihr. Im Licht des alten Helmlings konnte sie Papas Umrisse erkennen. Sie trat näher. »Hallo.«

Zuerst dachte sie, er schliefe, dann sah sie seine gelben Augen im Licht kurz aufblitzen. Er schwieg.

Eiskalt lief es ihr den Rücken hinab. Er wusste es! Wie er sie hassen musste! Sie wollte einen Schritt zurückweichen, zwang sich aber dazu, stehenzubleiben. »Ich … ich muss mit dir reden.«

Sie räusperte sich, um den Frosch im Hals loszuwerden. »Die ganze Sache mit deiner Krankheit. Es tut mir leid, alles ist meine Schuld. Ich hätte die Kartoffel besser schneiden müssen, ich hab nicht drauf geachtet. Das war dumm von mir, ich … ich …«

»Fabia.«

Seine Stimme ließ sie verstummen.

»Bitte lass dir keinen Floh ins Ohr setzen, alles wird gut. Du weißt doch: Unkraut vergeht nicht. Ich alter Holzkopf hab bisher alles überstanden.« Sein Lachen klang unbeholfen, als ob er die eigenen Worte nicht glaubte. »Mir ist etwas schwindelig. Ich fühl mich, als hätte mich ein Stock umgenietet. Lass mich bitte ausruhen.«

Der letzte Satz traf sie wie eine Ohrfeige. Er warf sie raus. Natürlich – nichts anderes hatte sie verdient. Mit brennenden Augen schlurfte sie aus dem Raum. In der Küche sackte sie auf einem Stuhl zusammen, starrte auf die Maserung der Tischplatte.

»Bist du jetzt fertig?« Kion saß mit verschränkten Armen vor ihr.

»Was meinst du?« Sie klang weinerlich.

Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Na, mit der Jammerei. Und deinem Selbstmitleid.«

Das saß. So hatte er noch nie mit ihr gesprochen. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«

Er schnaubte. »Das frage ich dich.«

Mit zitternder Stimme sagte sie: »Falls du es nicht gemerkt hast – ich habe Papa vergiftet. Er hat mich gerade aus dem Zimmer geworfen. Du und Mama gebt mir doch auch die Schuld dafür.«

Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wenn überhaupt, ist es meine, also spiel dich hier nicht so auf!«

Erstaunt starrte sie ihm hinterher, als er aus dem Zimmer rauschte. Sie hörte die Haustüre zuknallen, bevor sie sich einen Reim auf das Gespräch machen konnte.

Mama kehrte zurück in die Küche, im Arm ein Stück Salatblatt. »Was ist los? Wo ist Kion hin?«

Fabia zuckte mit den Schultern und gab seine Worte wieder. »Dabei ist doch klar, dass ich schuld bin.« Die Wut auf ihren Bruder war verraucht, sie fühlte sich ausgelaugt und tieftraurig.

Mama seufzte und setzte sich an den Tisch. »Ach, kleiner Floh. Selbst wenn du die Schale nicht vollständig abgeschnitten hast, hast du es ja nicht mit Absicht getan. Außerdem wusstest du nicht, wie viel Papa davon essen würde. Mach dich bitte nicht verrückt.«

Fabia wischte sich über die Augen. Kaum zu glauben, sie fühlte sich besser. »Aber wieso ist Kion dann so sauer?«

»Weil er der felsenfesten Überzeugung ist, dass es seine Schuld ist – er hat die Kartoffelscheibe eingekauft. Bitte vertrag dich mit ihm.«

Ihr schwirrte der Kopf, als sie ihrem Bruder folgte. An der frischen Luft fühlte sie sich besser. Sie stieg die Spindeltreppe hinab, die Hand fuhr die Baumrinde entlang. Nach einer halben Runde um den Baum herum gelangte sie an das hölzerne Gitter, das den Weg versperrte, weil die Treppe weiter unten nicht gesichert war. Es war, wie sie vermutet hatte. Kion saß mit dem Rücken an den Stamm gelehnt und starrte hinab zum Waldboden. Hierher verdrückten sie sich öfter, wenn sie mit Mama und Papa Streit hatten.

»Hey.« Sie ließ sich neben ihn fallen. Ein frischer Wind zerzauste ihre Haare. Ihre Wohnbuche wiegte sich sachte hin und her.

Er warf kleine Steinchen hinab auf den Erdboden. Es dauerte eine Weile, bis er sie ansah.

Sofort erkannte sie, wie auch er sich quälte.

»Es tut mir leid«, murmelte er.

Sie zwang sich zu einem Lächeln. »In letzter Zeit ist alles so kompliziert.« Ehe sie sich's versah, erzählte sie ihm alles, was sie beschäftigte. Von Noten, Kaja und Freundinnen.

»Ganz schön heftig, so für eine einzelne Person.« Er kratzte sich den Fühler.

Sie lachte. »Papa würde sagen, das nennt man wohl die Pubertät.« Der Gedanke an ihn schmerzte. »Er muss wieder gesund werden.«

»Das wird er, ganz bestimmt.« Kion zögerte. »Stört es dich wirklich, wenn ich so viel mit Tamo mache?«

»Entengrütze. Es freut mich, dass ihr beste Freunde seid. Bin nur neidisch, dass ich keine Freundin hab.«

»Du findest sicher auch bald eine, mach dir keinen Kopf.« Mit einem Ächzen stand er auf und hielt ihr die Hand hin. »Komm, bevor wir in den Sturm geraten. Tamo sagte, es wird das Unwetter des Jahrhunderts.«

Sie ließ sich auf die Beine ziehen. »Er übertreibt mal wieder maßlos.«

 

 

 

 

Der Sturm kam heftiger, als sie es für möglich gehalten hatte. Selbst auf den unteren Ebenen knarzte und knirschte der Baum, der Stamm wiegte sich hin und her. Mitten in der Nacht kroch Fabia zu Kion, der auf seinem Moos lag und an die Decke starrte. An ihn gekuschelt fielen ihr schließlich die Augen zu.

Am nächsten Morgen fühlte sie sich, als sei ihr eine Eichel auf den Kopf gefallen. Sie schälte sich aus dem Bett.

Kion gähnte. »Du wackelst wie der Baum heute Nacht.«

Als Antwort zeigte sie ihm den Stinkefinger.

Leider kam genau in dem Moment Mama herein. Ihre Fühler zuckten. »Fabia! Das will ich nicht noch mal sehen. Kommt schnell in die Küche, es ist was passiert.«

Fabias Herz hüpfte. War etwas mit Papa? Mit einem Haargummi in der Hand ging sie in die Küche und atmete auf. Er saß am Tisch und studierte die Waldzeitung. Sein Gesicht war blass, er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Wie so oft lag seine Hand am Kinn.

»Geht’s dir besser?« Voller Zuversicht setzte sie sich neben ihn.

»Hab es im Bett nicht mehr ausgehalten«, sagte er mit matter Stimme. »Leg mich gleich wieder hin.«

Doch alles beim Alten. Sie stocherte in ihrem Pudding herum und schob ihn von sich. Stattdessen begann sie, sich ihre Haare nach hinten zu binden.

Kion ließ sich auf seinen Stuhl fallen. »Was ist denn los?«

Papa legte seufzend die Zeitung auf die Tischplatte. »Heute Nacht ist der Blitz in einen Baum in der Nähe eingeschlagen. Die Stadt Käferstein liegt direkt daneben und musste evakuiert werden; das Feuer ist auf den Baum übergegangen.«

Sie erstarrte vor Schreck mitten in der Bewegung, ein paar Strähnen lösten sich aus dem halbfertigen Zopf. Trotz des Haargummis zwischen den Zähnen bekam sie die Worte raus: »Das ist ja furchtbar!«

Mama setzte sich zu ihnen an den Tisch, ihr Gesicht von Falten durchfurcht. »Da sagst du was. Es brennen einige Äste und Zweige. Ich weiß nicht, ob das Feuer komplett gelöscht werden kann.«

»Aber was ist mit den Bürgern?« Kion trommelte mit den Fingerkuppen auf dem Tisch.

Papa klopfte mit dem Knöchel auf die Zeitung. Auch diese Geste wirkte kraftlos. »Die suchen vorerst eine neue Bleibe. Sie werden von Hornreitern und Falken-Fliegern begleitet und sollten im Gänsemarsch innerhalb der nächsten Tage eintreffen.«

Erstaunt nahm Fabia das Haargummi aus dem Mund und flocht den Zopf zu Ende. »Sie kommen hierher? Können wir nicht auch jemanden aufnehmen? Wir haben doch genug Platz und könnten den Leuten helfen!« Sie sah zu Papa. »Oh, ne. Dumme Idee. Du brauchst ja Ruhe.«

Kion mischte sich ein. »Käferstein? Kommt da nicht die Biologin her, die dein Heilmittel sucht? Dann kann sie ja bei uns wohnen und dich gleichzeitig heilen.«

Papa lächelte. »Das war tatsächlich auch unser Gedanke. Wir wollten euch erst fragen, ob ihr einverstanden seid.«

»Das wäre super! Papa wird wieder gesund und wir helfen den Käfersteinern.« Sie spürte, wie ihr trotz der ernsten Lage ein Kiesel vom Herzen fiel.

»Ich finde es toll, dass ihr das vorschlagt.« Mama streichelte ihr über die Haare. Dem Zopf entschlüpfte eine Strähne und fiel ihr ins Gesicht.

Sie strich sie hinters Ohr. »Natürlich.«

Nach diesem Gespräch schmeckte auch endlich das Frühstück wieder.

 

 

 

 

Unterwegs zur Schule bemerkten sie die angespannte Stimmung unter den Arbolden, denen sie begegneten. Sie überquerten Verbindungsäste und die Hängebrücke, um auf die mittlere Eiche zu gelangen.

Auf dem Marktplatz tummelten sich mehr Frühaufsteher als sonst, alle in Gespräche vertieft.

Wie jeden Morgen wartete Tamo auf sie. Er lächelte, zwischen seinen Augenbrauen hatte sich jedoch eine kleine Falte gebildet. »Ihr habt es auch schon gehört?«

Sie liefen über den breiten Ast, der sie zum Krabbelzug brachte.

Kion nickte. »Unsere Eltern wollen Arbolde bei uns aufnehmen. Und Papa wird bald wieder gesund.« Er erzählte von der Biologin und dem Heilmittel.

»Klasse!«

Fabia folgte den beiden und sah sich um. Zwei ältere Arboldinnen diskutierten lautstark, die Worte drangen durch das morgendliche Gezwitscher der Vögel bis zu ihr.

»Das wird wie damals! Weißt du noch, als es in Biotopia diese Insektenplage gegeben hat und alle zu uns gekommen sind? Haben auf den Ästen herumgelungert und gebettelt.« Die Frau machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter und wedelte mit einer Papiertüte in der Hand herum. »Und wir – die immer ehrenhaft für alles gearbeitet haben – mussten sogar Essen an sie abtreten! Pff, also wenn das jetzt wieder so wird, wandere ich auf meine alten Tage noch aus.«

Fabia stemmte die Fäuste in die Seiten. In ihrem Inneren kribbelte es unangenehm, als würde eine Horde Flöhe Mambo tanzen. »Dann wäre es vermutlich das Beste, wenn Sie schon einmal Ihre Sachen packen gehen.«

Die Frau, die so gewettert hatte, schaute sie merklich verwirrt an. »Bitte?«

Fabia deutete auf die Tüte. »Sie wissen schon, dass der Kuchen dort von Herrn Distelbeck kommt? Und der ist genau bei besagter Plage hergekommen und geblieben. Jetzt ist er der beste Bäcker der Stadt. Aber natürlich, erst mal meckern.«

Tamo legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Was Fabia gerade versucht, Ihnen zu sagen, ist: Es wird schon nicht so schrecklich werden. Und wenn doch, melde ich mich freiwillig, um Sie zum Mäuse-Express zu führen und dabei vor den bösen Arbolden zu beschützen.«

Ohne auf ihren stummen Protest zu achten, schob er Fabia vor sich her; sie entfernten sich von den weiterhin glotzenden Arboldinnen. Bis sie einen Käfer vom Krabbelzug bestiegen hatten und sich den Baum emportragen ließen, schwiegen sie.

»So etwas wird uns jetzt noch häufiger begegnen«, sagte Kion mit gerunzelter Stirn und stieg von seinem Hornkäfer ab. »Manche haben Angst vor Veränderung.«

Fabia schnaubte. »Trotzdem müssen sie ja nicht so blöde daherreden.«

Sie sog die frische Luft ein und beobachtete ein Rotkehlchen, das einen Ast entlanghopste. Bald verrauchte ihre Wut, Sorge breitete sich aus. Würden die Fremden auf Ablehnung treffen?

»Wir nehmen niemanden auf.«

Auch wenn Tamos Stimme gelangweilt klang, wusste Fabia, wie er es meinte. Wenn es jemanden gab, der am liebsten alle Arbolde aufgenommen hätte, dann Tamos Familie. Sie war die hilfsbereiteste Truppe ganz Buchenhains, wie sie fand. Sie hatten einfach keinen Platz! Und seine Mutter war zu krank, um sich neben Tamo, Thanos und Freya um eine weitere Person zu kümmern.

 

 

Bekanntschaften

 

Die Klasse entschied, für die Käfersteiner Lebensmittel und Kleidungsstücke zu sammeln. So machten sich die Arboritos am nächsten Nachmittag auf den Weg.

»Und wir klopfen jetzt einfach überall an?« Kion klang nervös.

Fabia konnte es nachvollziehen. Auch ihr war mulmig zumute, wenn sie an die zwei älteren Damen vom Vortag dachte. Dabei war sie normalerweise nicht auf den Mund gefallen. Dem rasenden Herzen zum Trotz reckte sie das Kinn und deutete auf den ersten Wohnblock. »Das klappt schon! Kommt.«

Wäre ja gelacht, wenn ihre Sammelaktion scheiterte, noch bevor sie begann. Sie marschierte in den Gang und blieb vor einer Wohnung stehen. Mit zusammengebissenen Zähnen klopfte sie, wippte auf und ab. Endlich hörte sie Schritte; die Tür öffnete sich.

Ein Arbold mit weißen Haaren und einer Brille auf der Nase sah sie stirnrunzelnd an. »Ja?«

Sie schluckte und setzte ein Lächeln auf. »Hallo, wir kommen von der Baumschule und sammeln für die bald ankommenden Arbolde Sachen.«

»Sachen?« Er verengte die Augen zu Schlitzen.

Hektisch suchte sie nach den passenden Worten. »Ja, genau. Zum Beispiel Kleidung. Wenn Sie noch alte Sachen haben, die Sie nicht brauchen, die könnten wir mitnehmen.

---ENDE DER LESEPROBE---