Die besten Ärzte - Sammelband 57 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 57 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1822: Wenn ein Arzt sich irrt
Notärztin Andrea Bergen 1301: Noch einmal neu beginnen ...
Dr. Stefan Frank 2255: Mit dir durch dick und dünn
Dr. Karsten Fabian 198: Wenke und der Vagabund
Der Notarzt 304: Atempause

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 548

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Katrin Kastell Marina Anders Stefan Frank Sybille Nordmann Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 57

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014/2016/2017 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © LDprod / Shutterstock

ISBN: 978-3-7517-4666-3

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Die besten Ärzte - Sammelband 57

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Chefarzt Dr. Holl 1822

Wenn ein Arzt sich irrt

Die Notärztin 1301

Noch einmal neu beginnen …

Dr. Stefan Frank 2255

Mit dir durch dick und dünn

Dr. Karsten Fabian - Folge 198

Die wichtigsten Bewohner Altenhagens

Wenke und der Vagabund

Der Notarzt 304

Atempause

Guide

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Contents

Wenn ein Arzt sich irrt

Völlig übermüdet tritt der Chirurg an den OP-Tisch

Von Katrin Kastell

Beruflich könnte es für Dr. Markus Preußer kaum besser laufen. Dr. Holl und seine Kollegen schätzen den zuverlässigen, kompetenten Chirurgen sehr.

Markus’ Liebesleben hingegen ist die reinste Katastrophe. Glaubte er gerade noch, in der quirligen Leonie die Frau fürs Leben gefunden zu haben, so kommt es schon nach kurzer Zeit immer häufiger zu heftigen Streitereien zwischen ihnen. Die nächtelangen Auseinandersetzungen zerren an Markus’ Nerven und an seinen Kräften.

Müde und erschöpft tritt er seinen Dienst an, und obwohl er merkt, dass er fast im Stehen einschläft und sich nicht konzentrieren kann, setzt er kurz darauf bei einer äußerst riskanten Operation den ersten Schnitt …

„Und natürlich war er feige und hat den Wünschen seiner Frau nachgegeben – wie immer! Meine Wünsche zählen überhaupt nichts bei ihm“, klagte Dr. Tina Bruckner niedergeschlagen.

Man sah ihr an, dass sie viel geweint haben musste, und aus jedem ihrer Worte klang heraus, wie aufgebracht sie war.

„Er hat mir versprochen, dass er meinen Geburtstag dieses Jahr mit mir feiert. Dreiunddreißig – eine Schnapszahl –, das wollte er sich nicht entgehen lassen. Wir haben doch noch nie einen Geburtstag zusammen gefeiert … Er hatte es mir versprochen.“

In der Chirurgischen Abteilung der Berling-Klinik in München herrschte gerade Ruhe. Es war kurz nach Mitternacht an einem Sonntagabend. Die Notaufnahme hatte keinen Patienten angemeldet, und für die beiden Bereitschaftsärzte wäre es eine gute Gelegenheit gewesen, sich ein wenig hinzulegen.

„Tina, er ist nun einmal verheiratet. Du wusstest das, als du dich auf eine Affäre mit ihm eingelassen hast“, wiederholte Dr. Markus Preußer, was er in den letzten drei Jahren oft gesagt hatte, um sie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, wenn der Kummer gar zu groß wurde.

„Ja! Schon gut! Ich bin schuld. Meine Erwartungen sind überzogen, und ich sollte mich von ihm trennen, wenn ich nicht mit den Brosamen zufrieden bin, die er mir hin und wieder zuwirft. Das hast du mir jetzt wirklich oft genug vorgebetet. Kannst du nicht einfach einmal Anteil nehmen?“, warf die Assistenzärztin der Chirurgie ihrem Kollegen und bestem Freund seit den Studienjahren verärgert vor.

Er zuckte die Schultern und schwieg. Schönreden konnte er nicht, was er sah. Tina war dabei, sich vor Liebeskummer kaputt zu machen.

„Es war doch mein Geburtstag! Ich habe ein fünfgängiges Menü gekocht und alles für einen romantischen Abend vorbereitet. Ich habe mir sogar ein neues Kleid gekauft, weil an diesem Abend alles perfekt sein sollte. Und dann lässt er mich über eine Stunde warten, bevor er mich irgendwann nach einundzwanzig Uhr anruft und mir sagt, dass er leider doch nicht kommen kann.“

Sie schnaubte abfällig. Irgendwann war ihr Katzenjammer in Wut umgeschlagen, und damit ging es ihr schon besser.

„Seine Frau hatte wieder ihre Migräne. Ist das fair? Die Migräne hatte sie doch bestimmt auch schon am Nachmittag, oder? Und warum muss er zu Hause sein, nur weil sie mit Kopfweh im Bett liegt? Was ist das überhaupt für eine dämliche Ausrede? Ich meine, er sagt doch, dass sie nebeneinanderher leben und keinen Anteil mehr aneinander nehmen. Und plötzlich interessiert ihn ihre Migräne? Blödsinn!“

„Was willst du von mir hören? Dass er ein Schwein ist und dich nicht verdient hat? Gerne doch! Er ist ein Schwein, und du vergeudest deine Zeit damit, auf ihn zu warten. Aber Tina, dazu zwingt er dich nicht. Du tust es aus freien Stücken. Was er mit dir macht, ist gemein, aber du lässt es mit dir machen. Entschuldige, aber so sehe ich das!“, blieb Markus Preußer hart.

Seit drei Jahren hörte er sich nun all die Geschichten an, die im Grunde nur eine einzige Botschaft hatten: Tina war entsetzlich unglücklich und einsam in ihrer Beziehung zu Professor Martin Steiner, der ein privates, äußerst kostspieliges und unter Prominenten beliebtes Sanatorium in München leitete. Markus sah, wie seine Freundin litt, und allmählich ging ihm die Geduld aus.

„Ist ja schon gut! Du musst mich nicht auch noch in den Boden rammen! Das hat Martin gestern Abend getan“, beschwerte sie sich, und ihre Augen schimmerten feucht.

„Bloß nicht weinen!“, flehte er und hob in gespielter Panik beide Hände. „Weinende Frauen brechen mein zartes Herz. Sag mir, was ich sagen soll! Ich tue alles, aber setze die ultimative Tränenwaffe nicht gegen mich ein! Frieden!“

„Idiot!“, schimpfte sie, musste aber grinsen.

„Viel besser! Prügeln darfst du mich, nur weinen, das darfst du nicht! Tina, es ist nicht meine Absicht, dir auch noch wehzutun, aber bedauern will und kann ich dich nicht. Du entscheidest über dein Leben, und wenn du es damit verbringen willst, auf einen Mann zu warten, der dir seit Jahren falsche Versprechungen macht, dann musst du das wohl.“

Ernst sah er sie an. Was hätte er dafür gegeben, wenn ihre Gefühle ihm gegolten hätten. Wie gerne hätte er sie auf Händen getragen und alles dafür getan, sie zum Lächeln zu bringen.

Dieser verlogene Professor erzählte ihr das Märchen von der schrecklich unglücklichen Ehe lange genug und sprach immer wieder von Scheidung, ohne die geringsten Anstalten zu machen.

Der Mann benutzte sie nur, aber solange Tina das nicht selbst einsehen wollte, hatte es keinen Sinn, mit ihr darüber zu reden. Es hätte unter Umständen ihre Freundschaft gekostet, wenn er ihr klar und deutlich sagte, was er von dem Mann hielt, in den sie verliebt war.

„Du bist eine tolle Frau. Du bist talentiert, klug, witzig, liebevoll, warmherzig und einfach großartig. Das alles bist du und noch vieles mehr. Ich kann mir keine Frau vorstellen, mit der ich lieber zusammen wäre. Mit dir kann man Pferde stehlen. Du bist eine Frau, mit der man eine Familie gründen und sich etwas aufbauen möchte“, wagte er sich weiter vor, als es zwischen ihnen üblich war.

Unbehaglich rutschte sie auf ihrem Stuhl herum. Das war es ganz gewiss nicht, was sie von ihm hören wollte.

„Die Welt und das Leben stehen dir offen, und du kannst alles haben, wenn du nur willst. Schau dich um! Greif zu und lass dir nicht mehr wehtun! Aber es liegt nun einmal ganz allein bei dir, was du aus deinem Leben machst“, fügte er mit großer Wärme in der Stimme an, ohne noch deutlicher zu werden.

„Diese tolle Frau muss sich jetzt dringend im Bereitschaftszimmer ein wenig hinlegen“, erwiderte sie mit leiser Ironie. „Ich habe letzte Nacht mit Heulen verbracht. Anscheinend bin ich eine Masochistin und möchte heulen und schniefen. Seltsame Vorlieben, die ich da hege … Gott sei Dank haben wir heute eine ruhige Nacht!“

„Dann leg dich hin! Ich rufe dich nur, wenn es nicht anders geht“, meinte er freundschaftlich und akzeptierte ihre dezente Zurückweisung, wie er es immer tat. Die Tatsache, dass er seit dem Studium verliebt in sie war, war ein offenes Geheimnis zwischen ihnen.

„Markus, ich habe dich verdammt gern. Ohne dich wäre ich verloren. Du bist ein guter Freund, der einzige, den ich habe und …“

„Hinlegen! Schlafen! Kusch! Kusch! Gute Freunde dürfen den anderen manchmal scheuchen“, trieb er sie freundschaftlich aus dem Ärzteaufenthaltsraum. An diesem Punkt gab es nichts zwischen ihnen zu reden.

Sie ging und drehte sich in der Tür noch einmal nach ihm um. In dieser unverblümten Deutlichkeit sprach er seine Gefühle für sie so gut wie nie aus, und das brachte sie etwas durcheinander. Markus wollte sie unter keinen Umständen verlieren, auch wenn sie ihn leider nur als guten Freund sehen konnte und nicht als mehr.

„Gefühle lassen sich nicht steuern. Sie sind, wie sie sind. Na ja, man muss sie zulassen und irgendwie damit klarkommen. Ich wünschte, ich wäre Martin nie begegnet, aber …“

„… du machst das schon, Tina! Früher oder später gelingt es dir, dich von ihm zu lösen“, machte er ihr Mut und nahm wieder voll und ganz die Rolle des Freundes ein, um sie zu beruhigen.

„Glaubst du das wirklich, oder sagst du es nur, damit ich mich ein wenig besser fühle?“

„Ich bin überzeugt davon!“

Sie lächelten sich an, und leises Bedauern schwang mit. Ob Tina es nun schaffte oder nicht, für Markus bestand wenig Hoffnung, dass ihre Liebe irgendwann ihm gelten würde. Traurig überdachte er die vergangenen Jahre und traf für sich eine Entscheidung.

Tina war eine wunderbare Frau, und er hoffte, dass sie immer seine beste Freundin und Vertraute bleiben würde. Wenn er allerdings in einer Beziehung leben wollte, dann musste er endlich ernsthaft damit beginnen, andere Frauen kennenzulernen und in Betracht zu ziehen.

Es war an der Zeit, diesen aussichtslosen Kampf aufzugeben. Auf seine geduldige Weise tat er nichts anderes als das, was er Tina vorwarf. Er verbrachte sein Leben damit, auf etwas zu warten, was kaum je geschehen würde. Er vergeudete seine Zeit.

Als er später in die Umkleide ging und sich aus dem sterilen Bereich ausschleuste, um sich auch ein wenig hinzulegen, stand er lange vor dem Spiegel und sah sich an. Es war immer leichter, das Schöne und Besondere in einem anderen Menschen zu sehen, als es in sich selbst zu suchen und zu finden. Hatte er Chancen bei Frauen?

Ihm war klar, dass er rein äußerlich ein durchaus attraktiver Mann war. Bisher hatte sein Aussehen ihn nur wenig interessiert. Als Arzt und Chirurg hatte er ein gewisses Ansehen in der Öffentlichkeit. Sein Verdienst war nicht üppig, aber im Vergleich zu vielen anderen recht gut und ausreichend, um eine Familie zu versorgen. Das waren doch alles Pluspunkte, oder?

„Du hast etwas zu bieten, mein Großer!“, teilte er seinem Spiegelbild mit, aber an der skeptischen Miene, die ihm entgegensah, konnte er erkennen, wie wenig Eindruck er auf sich selbst machte.

Tina kannte ihn in allen Lebenslagen. Sie hatte miterlebt, wie er während der Prüfungen fast zusammengeklappt war, hatte ihn in heiteren und schlimmen Lebenslagen erlebt. Vor ihr musste er nicht mehr scheinen, als er zu sein glaubte. Niemand kannte ihn besser als sie, und sie wollte ihn nicht. Warum? Was war unzulänglich an ihm? Warum konnte sie ihn nicht lieben?

„Verdammt! Verdammt! Verdammt!“, schimpfte er vor sich hin, weil seine Gedanken die gewohnten Bahnen gehen wollten, anstatt sich neu zu orientieren.

„Das klingt gar nicht gut. Hatten Sie eine schlimme Nacht?“, fragte da eine Stimme, und Markus fuhr erschrocken herum.

„Wo kommen Sie denn her?“, fuhr er Dr. Stefan Holl, den Leiter der Berling-Klinik, in seinem Schreck aggressiv an.

„Ursprünglich aus einem Kreissaal“, antwortete der Gynäkologe gelassen. „Dann mussten wir leider doch in den OP, und es wurde ganz schön dramatisch, aber jetzt sind der neue Erdenbürger und seine Mutter gesund und munter, und ich kann endlich heim und ins Bett. Offiziell fängt mein Dienst in fünf Stunden wieder an.“

Markus wusste nicht, wie er reagieren sollte, und sah seinen Chef verlegen an.

„Entschuldigen Sie, ich dachte, Sie hätten mich bemerkt, sonst hätte ich mich dezenter bemerkbar gemacht“, half ihm Stefan Holl, der große Stücke auf den jungen Chirurgen hielt.

„Ich war tief in Gedanken. Entschuldigen Sie!“ Markus spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Sein Humor setzte sich durch, und er fand die Situation schon wieder komisch. Hatte sein Chef ihn etwa vor dem Spiegel posieren sehen? So konnte man sich auch bleibend ins Gedächtnis bringen.

„Es war bisher eine ruhige Nacht, und ich habe beschlossen, mich aufs Ohr zu hauen. Wir haben ein Uhr und vielleicht kommt nichts …“, weiter kam er nicht, denn da setzte sein Piper ein und rief ihn an die Arbeit zurück in die Chirurgische Abteilung, die er noch nicht einmal verlassen hatte.

„Tja, das war es mit der Ruhe!“

„Ich hätte gleich im Ärztezimmer bleiben sollen“, kommentierte Markus trocken.

Es war zu einem schweren Autounfall auf der A8 gekommen mit zahlreichen Schwerverletzten. Nicht nur Markus stand bis zum Morgen im OP, sondern auch Tina, Dr. Holl und die Kollegen, die Rufdienst hatten. Man konnte eben nie wissen, wie sich eine Nacht entwickelte.

***

In den kommenden Monaten entdeckte Markus den Casanova in sich. Er verabredete sich mit jeder Frau, die ihm gefiel und die seine Einladung annahm. Hinterher ging er die Abende getreulich mit Tina durch. Sie war seine Agentin in Sachen Liebe, und die beiden hatten großen Spaß.

Für ihre Freundschaft war Markus auf Freiersfüßen ein Gewinn. Es gab keine Spannungen mehr zwischen ihnen. Tina war heilfroh, dass er sich von der fixen Idee gelöst hatte, dass doch noch mehr aus ihrer Freundschaft werden könnte. Sie genoss es, seine abendlichen Verabredungen später mit ihm durchzugehen.

„Und wie war es gestern? Auf einer Skala von eins bis zehn?“, begrüßte sie ihn an einem Sonntagnachmittag. Es war Januar geworden, und draußen schneite es. Sie hatten dienstfrei und sich zum Kaffee bei Tina verabredet. Anschließend wollten sie zusammen zu einem Eishockeyspiel gehen.

Tina hatte die Karten von ihrem Professor als Weihnachtsgeschenk überreicht bekommen und war nahe daran gewesen, sie zu verbrennen. Er war ein Sponsor der Heimmannschaft. Mit Sicherheit hatte er all seine geschäftlichen Weihnachtsgrüße über Stadionkarten abgewickelt. Dass er auch sie mit Karten bedachte, war vielsagend.

Liebloser hätte er seine Geliebte nicht beschenken können. Vor allem, da er sofort klarstellte, dass er selbst mit seiner Frau zu den Spielen ging und in einer Loge saß.

„Du magst doch Eishockey. Ich dachte, es wäre einmal etwas anderes für dich, aber …“, hatte er sich lahm entschuldigt, als ihr vor Enttäuschung die Tränen gekommen waren, und er war nur kurz geblieben. Lief eine Begegnung einmal nicht nach seinem Sinn, hatte er es immer eilig, wieder nach Hause zu kommen.

Manchmal fragte sich Tina, was sie an ihm mochte. Die Antwort war nicht leicht, und überzeugend klang sie nicht einmal in ihren eigenen Ohren, aber an ihren Gefühlen änderte es dennoch nichts. Sie wartete weiter.

„Ich hätte diese Karten vor seinen Augen zerreißen sollen“, empörte sie sich, als sie es Markus erzählt hatte. „Er weiß nicht einmal, dass ich von Eishockey keine Ahnung habe und mich höchstens für Eiskunstlauf etwas erwärmen kann. Was weiß der Mann überhaupt von mir? Nichts! Ich werde sie verfeuern. Genau, das mache ich mit ihnen!“

Markus war es gelungen, sie zu beschwichtigen. Am Ende hatten sie beschlossen, sich gemeinsam einen schönen Abend im Stadion zu machen und dem Professor zu zeigen, dass es Tina auch ohne ihn wunderbar ging.

„Wir winken hoch in seine Loge, und dann gebe ich dir einen schmatzenden Kuss, um sein Blut etwas in Wallung zu bringen. Ist das eine Idee? Eifersucht kann Wunder wirken – fast so effektiv wie ein guter Einlauf“, hatte Markus vorgeschlagen.

„Du bist zwar keine große Hilfe, aber danke für den Versuch! Eishockey, wir kommen! Hast du eine Ahnung davon?“

„Ich? Ich interessiere mich nicht einmal für Fußball, und wenn ich den Fernseher überhaupt einschalte, dann ist es ganz bestimmt nicht der Sportkanal. Tut mir leid!“

Sie hatten gelacht. Da keiner von ihnen das Geringste von Eishockey verstand oder zuvor einmal in einem großen Sportstadion gewesen war, freuten sie sich inzwischen auf die neue Erfahrung und waren neugierig.

„Sag! Hast du gestern Abend die Frau fürs Leben gefunden? Sie hörte sich wie eine glatte Zehn an, als du von ihr erzählt hast“, fragte Tina noch einmal, als sie sich nach der obligatorischen Umarmung an den Kaffeetisch setzten.

„Dafür bietet die Skala keine Zahlen“, antwortete er vielsagend und schenkte ihnen ein.

„Du machst es spannend. So toll?“

„Eher so skurril. Das wirst du mir nicht glauben! Auf den Abend habe ich mich wirklich gefreut, und dann reden wir nur über ihren geschiedenen Mann. Ich hatte keine Ahnung, dass sie schon einmal verheiratet gewesen war. Und was hat dieser böse, böse Typ, der seine Frau schrecklich vernachlässigt hat und immer nur an seinen Beruf dachte, wohl für einen Beruf?“

„War er unter Umständen Arzt?“, riet Tina belustigt.

„Treffer! Und was für ein Arzt, um es zu präzisieren?“

„Chirurg?“

„Hundert Punkte! Als sie mich gefragt hat, womit ich mir meine Brötchen verdiene, war ich versucht zu lügen, aber du kennst mich. Ich bin eine ehrliche Seele.“

„Wie hat sie reagiert? Hat sie dich am Tisch sitzen lassen?“, riet Tina belustigt.

„Da noch nicht. Sie fand es symbolisch tiefsinnig und von Tragweite oder so. Dann ließ sie durchblicken, dass ich ganz ein Süßer bin. Jawohl! Falls du das noch nicht gewusst hast: Ich bin zwar Chirurg, aber ein süßer Chirurg und kein Lump wie der Rest meines Berufsstandes!“

„Schön für dich! Und was hielt sie von Chirurginnen?“

„Tut mir leid, wie konnten das Thema nicht mehr vertiefen, weil mir ein Fauxpas unterlaufen ist. Ich fand die Frage witzig, ob ihr ein Chirurg nicht gereicht hat. Sie wiederum fand diese Frage geschmacklos und überhaupt nicht witzig und ist laut geworden. Ich bin nur knapp einer Ohrfeige entgangen.“

„Du Armer!“, kicherte Tina und stellte sich die Szene lebhaft vor.

„Der Kellner war von ihrem spektakulären Abgang angetan und hat mich nicht aus den Augen gelassen, bis die Rechnung beglichen war. Ich glaube, er dachte, es sei ein billiger Trick zur Zechprellerei.“

„Was man so alles auf sich nimmt, um im Hafen der Ehe einzulaufen. Du bist mein Held, und die Frau hatte keinen Humor“, tröstete Tina ihn noch immer kichernd.

„Danke, das tut gut! Zumindest eine Frau, die mich versteht. Kann es sein, dass es gerade keine vernünftigen Frauen auf dem Markt gibt, weil ich in einem ungünstigen Alter bin?“, wollte er wissen.

„Wo hast du denn diesen Unsinn her?“

„Von Doktor Schneider. Er hat mir geraten, noch ein paar Jahre zu warten, bis die erste Welle der glücklich Geschiedenen auf den Markt schwappt. Mit Mitte dreißig sind seiner Erfahrung nach die meisten noch im Hafen der Ehe. Anfang vierzig sind sie dann dankbar, wenn sie noch einmal eine Chance bekommen, und schauen nicht mehr so genau hin.“

„Klingt nach einem Spezialisten. Wie alt ist er eigentlich?“

„Mitte vierzig und gerade zum zweiten Mal geschieden.“

Sie lachten.

„Nein, im Ernst, ich habe mich jetzt mit so vielen Frauen getroffen, und es war manchmal wirklich nett, aber nie mehr. Wie kann das sein? Bin ich zu anspruchsvoll?“ Markus fragte sich tatsächlich, ob er die Suche nicht beenden sollte. Keine der Frauen war wie Tina, und auf die Dauer fand er es anstrengend, immer denselben Smalltalk zu führen, über dieselben Scherze zu lachen und aufmerksam zu bleiben.

„Irgendwann stößt du auf die eine, und dann ist es das. Geduld gehört dazu. Du willst doch eine Gefährtin für den Rest deines Lebens finden. Die wachsen nun einmal nicht auf den Bäumen“, beruhigte ihn Tina.

„War das so bei dir und deinem Professor?“, spöttelte er.

„Giftspritze! Nur kein Neid, mein Guter! Du findest auch noch den Menschen, der dir das Herz aus dem Leib reißt, es gut salzt und pfeffert und dann in den Müll wirft, weil er keinen Hunger hat. Liebe ist kein Honigschlecken und nur etwas für die ganz Mutigen, das steht fest“, entgegnete Tina.

„Vielleicht bist du die falsche Beraterin für mein zukünftiges Liebesleben“, überlegte er. „Ich habe an eine nette, schöne und zur Abwechslung geradezu langweilig harmonische und glückliche Beziehung gedacht. In den wesentlichen Dingen bin ich ein Langweiler und brauche keine Spannung. Du weißt doch, ich lese das Ende eines Krimis immer zuerst.“

„In diesem Fall musst du dich überraschen lassen. Gewöhne dich lieber gleich daran, den ganzen Krimi zu lesen, Seite für Seite! Was steht denn für nächste Woche auf dem Programm? Du hast Frühdienst und lauter freie Abende. Gibt es schon Verabredungen? Nicht lockerlassen! Man muss etwas für sein Glück tun. Von nichts kommt nichts“, motivierte sie ihn fröhlich.

„Am Dienstagabend speise ich mit einer Krankenschwester von der Intensiv. Schwester Carmen“, erzählte er.

„Das ist die Kleine, Lebhafte, die immer lacht und zu Scherzen aufgelegt ist, oder?“, fragte Tina. Als Chirurgen hatten sie täglich auf der Intensivstation zu tun, wenn sie nach ihren Patienten sahen oder beurteilen mussten, ob ein weiterer Eingriff erforderlich und möglich war.

„Genau! Ich fand sie immer besonders nett. Wir gehen zum Italiener.“

„Hm“, reagierte Tina verhalten.

„Was ist? Passt sie nicht zu mir? Bin ich zu ruhig und fade für ein Temperamentbündel wie sie?“

„Quatsch! Ich finde es nur immer schwierig, wenn man etwas mit Kollegen beginnt. Geht es gut, ist es eine feine Sache. Sie kennt deinen Beruf und wird dir nicht wegen Dingen Vorwürfe machen, die sich nun einmal nicht ändern lassen. Aber was ist, wenn es schiefgeht?“

Markus zuckte die Achseln. Was sollte bei einem harmlosen Abendessen schon schiefgehen, und weiter dachte er eigentlich nicht.

„Stell dir vor, ihr kommt zusammen, und nach ein paar Wochen zeigt sich, dass es leider doch nicht passt! Was dann? Ihr müsstet weiterhin miteinander arbeiten und könnt euch nicht aus dem Weg gehen. Für mich wäre das zu kompliziert“, gab Tina zu bedenken.

„Jetzt wird mir einiges klar. Deshalb kam ich nie für dich infrage. Dabei hätte ich auf der Stelle die Klinik für dich gewechselt. Du hättest nur einen Ton sagen müssen!“, spottete er.

„Idiot!“

„Danke, wenn wir jetzt nicht losgehen, dann fängt das Spiel ohne uns an.“

***

Markus war noch nie im Zentrum eines derart infernalischen Lärms gesessen. Er wusste nicht, ob er sich die Ohren zuhalten und fliehen oder aus vollem Hals mitschreien sollte. Was unten auf der Eisfläche geschah, bekam er kaum mit, weil ihn das Verhalten der Fans zu sehr faszinierte.

„Das ist eine ganz eigene Welt. Irre!“, brüllte er Tina ins Ohr, damit sie ihn verstand. Es war faszinierend, diese absolute Begeisterung mitzuerleben, aber auch ein wenig beängstigend, fand er.

Sie nickte, war aber nicht bei der Sache. Unruhig schweifte ihr Blick an den Logen entlang. Es war klar, wen sie suchte.

„Hast du gedacht, du siehst ihn im Trubel eines Spieles und bei so vielen Menschen?“

„Nein! Natürlich nicht!“ Enttäuscht riss sie ihre Augen von den Logen los.

„Tina, und selbst wenn. Er hat dir doch gesagt, dass er mit seiner Frau zu den Spielen geht“, erinnerte Markus sie. Er war sich nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, die Karten nicht zu verbrennen. Erst jetzt ging ihm auf, wie seltsam es für Tina sein musste, dass ihr Geliebter irgendwo ganz in der Nähe dem Spiel mit seiner Frau folgte.

„Sollen wir gehen?“, bot er an.

„Unsinn! Ein Mal muss man so etwas erlebt haben, wenn ich mir auch relativ sicher bin, dass für mich ein Mal reicht. Es ist mir zu laut und zu emotional aufgeladen. Bei so etwas bekomme ich Atemnot“, schrie Tina zurück, und Markus konnte sich den Inhalt grob zusammenreimen, weil er nur jedes zweite Wort verstand.

Er nickte, um zu signalisieren, dass es ihm ähnlich ging. Ein wenig besorgt wegen Tina sah er das Spiel bis zur ersten Halbzeit an und fand es gar nicht so übel. In der Pause blieben die meisten mehr oder weniger auf ihren Plätzen und organisierten sich nur etwas zu trinken und zu essen.

Tina zog für Markus und sich los, um ein Getränk zu holen, während er gelangweilt dem Pausenprogramm auf dem Eis zusah. Junge Frauen von auserlesener Schönheit schwebten in bunten Kostümen über das Eis. Sie führten eine Art Eistanz auf. Es war nett, aber nicht umwerfend.

Da blieb Markus’ Blick an einer der Tänzerinnen hängen. Ihr fehlte es eindeutig am rechten Rhythmusgefühl, und Schlittschuhe hatte sie wohl auch nicht oft an den Füßen. Unter den anderen wirkte sie unbeholfen, fast tollpatschig, aber das war es nicht, was ihn fesselte. Er hatte noch nie eine so schöne Frau gesehen.

Ihr langes, gelocktes blondes Haar umwehte sie wie ein Schleier. Sie schien nicht von dieser Welt zu sein. Markus konnte nicht anders. Er ging die Tribüne ganz nach unten, um sie von Nahem zu sehen. Große blaue Augen, ein zartes Elfengesicht und eine zierliche, zerbrechliche Figur. Sie war bezaubernd, und sie verzauberte ihn.

„Alter Tor!“, wies er sich zurecht und zwang sich nach ein paar Minuten, wieder nach oben zu gehen. „Sie ist doch noch ein Kind!“

Die Tänzerin konnte seiner Schätzung nach höchstens Mitte zwanzig sein. Dennoch tat es irgendwie eigentümlich weh, dass er sie nie wiedersehen würde. Alles in ihm zog es zu ihr hin, obwohl er nichts von ihr wusste bis auf die Tatsache, dass sie kein musikalisches Gehör haben konnte.

So etwas war ihm noch nie passiert, und er war geradezu benommen, als er seinen Platz wieder einnahm. Die Frauensuche hatte bisher großen Spaß gemacht, aber wenn er ehrlich zu sich war, hatte er den eigentlichen Grund längst aus den Augen verloren.

Es war ein heiteres Spiel, das Tina und er spielten, und es hatte ihrer Freundschaft eine neue Leichtigkeit und Heiterkeit gegeben. Markus hatte im Grunde gar nicht mehr die Absicht, eine andere zu finden. Es war nun einmal Tina und nur Tina, die sein Herz berührte.

Vielleicht waren sie dazu verdammt, ihr Leben in dieser unbefriedigenden Dreiecksbeziehung zu verbringen. Langsam fand er sich damit ab, gefangen zu sein und nicht entfliehen zu können. Tina liebte ihren Professor, den sie nicht haben konnte, und er liebte Tina, die er nicht haben konnte.

Das Leben konnte von schrägem Humor sein. Die Elfe dort unten auf dem Eis würde daran überhaupt nichts ändern. Er musste aufpassen, dass er nicht die Kontrolle über sich verlor und sich in Scheinwelten flüchtete. Es hatte immer Konsequenzen, wenn man vor sich selbst davonlief, und für ihn wurde es Zeit stehen zu bleiben.

Markus sehnte sich danach, einen Menschen an seiner Seite zu haben und eine lebendige Beziehung aufzubauen. Er wollte irgendwann eine Frau haben und zwei oder drei Kinder. So hatte er sich sein Leben immer vorgestellt. Inzwischen war er sechsunddreißig, hatte sich beruflich gut platziert und war so weit, die nächsten Schritte zu tun.

Und es waren nicht nur diese Zukunftspläne, die er nur schwer aufgeben konnte. Er vermisste es, abends noch ein paar Worte mit einem vertrauten Menschen zu wechseln. Er vermisste es, gemeinsame Urlaubspläne zu schmieden, zu kuscheln, zu lachen und zusammenzustehen, wenn es eng wurde. Er war einsam.

Ausgerechnet die Elfe ließ ihm all das zu Bewusstsein kommen. Das heitere Spiel, das Tina und er spielten, mochte ihn von seinen eigentlichen Wünschen ablenken, aber sie waren real. Irgendwann würde es sich rächen, wenn er weiterhin die Augen davor verschloss.

Er liebte Tina und verbrachte gerne seine Freizeit mit ihr, aber er wollte mehr. Es musste ihm gelingen, sich etwas von ihr zu lösen, um den Blick frei zu haben für seine eigenen Bedürfnisse, so leid ihm das auch tat. Er hatte keine Ahnung, wie ihm das gelingen sollte, aber ihm war klar, dass er sich etwas aus dieser Freundschaft zurückziehen musste, wenn er seinen Weg finden wollte.

Tina stand unterdessen in einer endlos langen Menschenschlange an, um etwas zu trinken zu erbeuten. Sie hatte es aufgegeben, nach Martin Ausschau zu halten. Markus hatte recht, in einem vollen Eisstadion würde sie ihn kaum irgendwo entdecken, und das war vermutlich auch gut so.

Damit hatte sie sich eben schweren Herzens abgefunden, als sie ihn mit seiner Frau keine zehn Meter entfernt vorbeigehen sah. Die beiden lachten sich an und schienen zu scherzen. Sie wirkten vertraut und alles andere als entfremdet. Nichts von dem, was er ihr erzählte, konnte stimmen.

Was Tina sah, war ein Paar, das seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet war und sich noch immer nahestand. Martin lachte seine Frau auf eine warme, vertraute Weise an, die Tina so gut von ihm kannte. So lachte er, wenn er entspannt und zufrieden war.

Tina lief es eiskalt über den Rücken. Erst in diesem Moment erkannte sie, dass er ein falsches Spiel mit ihr spielte. Martin hatte nie ernsthaft erwogen, sich scheiden zu lassen. Er war seiner Frau untreu, aber er würde sie nie verlassen, denn bei ihr war er zu Hause.

Es war, als ob sich ein Abgrund vor ihren Füßen öffnen würde, und Tina versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen, um nicht hineinzufallen und in ihrem eigenen Schmerz zu ertrinken. Sie wollte das nicht mehr sehen, aber sie konnte den Blick nicht von dem Paar wenden.

Professor Martin Steiner bemerkte seine Geliebte nicht und spürte auch nicht ihre fassungslosen Blicke. Seine Mannschaft lag in Führung und würde das Spiel aller Voraussicht nach gewinnen. Es war ein herrlicher Abend, und er hatte längst vergessen, dass er Tina Karten für eben dieses Spiel geschenkt hatte.

Zärtlich legte er einen Arm um seine Frau, die sich an ihn schmiegte und zufrieden lächelte. Ihr Mann nahm sich selten Zeit für sie, und manchmal war sie einsam, aber sie liebte ihn. Martin hatte nun einmal eine verantwortungsvolle und schwere Aufgabe als Leiter seiner Klinik.

Sie tat alles, um ihn dabei zu unterstützen, und machte ihm nie Vorwürfe – egal, wie oft er abends später kam. Seine Affären begleiteten sie durch den größten Teil ihres gemeinsamen Lebens. Es hatte immer andere gegeben, und es tat ihr weh, aber sie verlor keinen Ton darüber. Letztendlich gehörte er ihr und kam immer wieder zu ihr nach Hause. Das zählte.

Tina konnte all das sehen. Es war, als ob sie die Gefühle der anderen lesen konnte. Das erste Mal fühlte sie sich schuldig. Eleonore Schneider hatte es nicht verdient, auf diese Weise von ihrem Mann hintergangen zu werden – und von ihr.

Martin hatte Tina schließlich nicht gezwungen, seine Geliebte zu werden. Er hatte um sie geworben, sie für eine Weile mit Geschenken und Aufmerksamkeiten überschüttet, bis sie seinem Drängen nachgegeben hatte. Seitdem sie zusammen waren, kam er immer dienstagabends zu ihr, und Geschenke brachte er so gut wie keine mehr mit.

„Ich bin eine Dienstagsvergnügung“, begriff sie. „Er hat in mir nie etwas anderes gesehen.“ Die Scham war kaum zu ertragen. Wie hatte sie das zulassen können? Wie hatte sie sich dafür hergeben können?

Der Professor und seine Frau verschwanden aus ihrem Blickfeld, und Tina wusste, dass dieser kurze Moment alles veränderte. Sie konnte nicht mehr mit Martin zusammen sein. Bisher hatte sie sich etwas vormachen können, aber nun war sie nur noch eine Betrügerin.

Unendlich traurig kehrte sie ohne Getränke zu Markus zurück. Sie hatte völlig vergessen, warum sie in dieser Schlange inmitten all der Menschen stand. Alles, was sie wollte, war nach Hause fahren und weinen, bis sie keine Tränen mehr hatte.

„Können wir gehen?“, fragte sie Markus, der sie nicht gleich bemerkte und selbstverloren hinunter aufs Eis sah. Erschrocken fuhr er zu ihr herum.

„Was hast du gesagt?“ Es war, als ob er aus einem Traum erwachen würde.

„Ich möchte nicht bleiben. Mir ist es zu laut. Gehen wir?“, fragte sie noch einmal.

„Mich würde schon interessieren, wie das Spiel ausgeht. Ist es schlimm, wenn wir bis zum Ende bleiben?“

Tina schluckte die Tränen hinunter und schüttelte tapfer den Kopf. Warum sollte sie auch noch Markus den Sonntagabend verderben?

„Dann bleiben wir eben“, gab sie traurig nach.

„Ist alles mit dir in Ordnung?“ Markus fiel auf, wie bleich sie geworden war.

„Es ist zu laut und … Ich habe ihn gesehen – mit seiner Frau. Markus, es war alles gelogen, absolut alles. Er wird sich nie scheiden lassen, und das hatte er auch nie vor. Ich war eine nette Abwechslung für ihn, mehr nicht.“ Nun weinte sie doch.

Markus nahm sie in den Arm. Er hatte sie in den letzten drei Jahren so oft ähnlich frustriert gesehen. Ihm war nicht klar, dass es diesmal anders war. Wie immer tröstete er sie. Noch einmal warf er einen sehnsüchtigen Blick hinunter auf die Eisfläche, aber da tanzte keine Elfe mehr. Das Spiel würde bald weitergehen.

„Wir gehen!“, bestimmte er und zog Tina mit sich auf die Beine.

„Aber du wolltest doch wissen, wie es ausgeht. Ich schaffe das, Markus! Ehrlich!“, wehrte sie schwach ab.

„Das kommt im Internet, wenn ich es wissen will. Wir verschwinden hier und genehmigen uns ein Glas Rotwein bei dir. Es war eine schlechte Idee hierherzukommen. Entschuldige!“

„Du konntest das doch nicht wissen. Danke!“ Tina hakte sich bei ihm unter und war sehr froh, dass es ihn gab. Markus hatte sie nie angelogen. Er war aufrecht und ehrlich, und er war immer für sie da gewesen, wenn sie ihn brauchte.

„Danke, Markus!“, sagte sie noch einmal und nahm ihn das erste Mal auf eine völlig andere Weise wahr. Markus war ein guter Mann.

Er hörte nicht den Unterschied in ihrer Stimme, sondern lotste sie vorsichtig durch die Menge und aus dem Stadion hinaus.

***

In Gedanken war Markus bei der Elfe und träumte davon, sich in ihren großen blauen Augen zu verlieren, während er Tina freundschaftlich hinausbrachte. Ob es wohl eine Möglichkeit gab, ihren Namen herauszubekommen? Ob er sie vielleicht doch einmal wiedersehen würde? Er wünschte es sich sehr.

„Passen Sie doch auf!“, blaffte ihn da eine hohe Frauenstimme wütend an. Er war leicht mit dem Ellenbogen an die Frau gestoßen, die Tina und ihn gerade von hinten überholte und genau wie sie dem Ausgang zustrebte.

„Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht gesehen! Ich …“ Markus blieb das Wort in der Kehle stecken. Es war die Elfe. Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, was sie noch jünger aussehen ließ. Um ihren Hals war ein dicker Schal gewickelt, sodass man fast nur ihre Augen sehen konnte.

„Sie sind es?“, stammelte er und himmelte sie an.

„Warum glotzen Sie so?“, fauchte sie, und wilde Wut ging von ihr aus. „Ich kenne Sie nicht, oder?“

„Nein! Leider nicht! Ich bin Doktor Markus Preußer“, stellte er sich viel zu förmlich vor. „Ich habe Sie tanzen sehen. Sie … Sie waren unglaublich. Sie waren einfach toll und …“, stotterte er und wusste nicht weiter.

Ihr Zorn machte ihn hilflos. Bestimmt wurde sie von vielen Männern auf diese Weise angesprochen und fühlte sich belästigt. Er benahm sich wie ein Trottel, und die ganze Übung im Umgang mit Frauen, die er sich in den vergangenen Monaten erworben hatte, nutzte nichts.

„Finden Sie wirklich?“ Ihre Stimme klang viel weniger schrill, und ihr Blick wurde deutlich freundlicher. „Die haben mich aus dem Team geworfen. Können Sie sich das vorstellen? Die sagen, ich mache ihnen die ganze Show kaputt. Das ist doch gemein! Ich watschle nicht wie eine Ente mit Arthrose über das Eis, oder?“

„Ich habe nur Sie tanzen sehen. Keine war so gut wie Sie. Die sind doch nur eifersüchtig, weil sie Ihnen nicht das Wasser reichen können“, log Markus, und die Lüge ging ihm leicht von den Lippen. Schließlich hatte er in der Tat nur sie gesehen, auch wenn es nicht an ihren tänzerischen Qualitäten lag.

„Ehrlich?“ Sie strahlte über das ganze Gesicht, aber dann wurde ihre Miene wieder düster. „Meine Agentin wird ärgerlich auf mich sein. Ich habe in den letzten Monaten zu viele Jobs vermasselt, aber ich kann doch nichts dafür, wenn die anderen jedes Mal neidisch auf mich sind und mich rausekeln. Ich brauche unbedingt gleich wieder eine Stelle“, jammerte sie.

„Dann sind Sie Tänzerin?“, wollte er wissen, und sie gingen nebeneinanderher, als ob sie bereits zusammengehören würden.

Tina war vergessen und folgte ihnen verwundert mit einem Schritt Abstand, ohne ganz zu begreifen, wie ihr geschah. Markus hatte sich einfach von ihr gelöst und sie hinter sich zurückgelassen. Es war ein eigentümlich schmerzliches Gefühl, das sie durchströmte, aber sie führte es hauptsächlich noch auf ihren anstehenden Abschied von Martin zurück.

Warum sollte sie auch auf Markus eifersüchtig sein? Sie waren schließlich nur Freunde, und wenn ihm einmal eine Frau gefiel, gab es keinen Grund, auf Tina Rücksicht zu nehmen. Obwohl sie sich das klarmachte, war sie irgendwie sauer, dass er sie so einfach für eine andere stehen ließ.

„Ich bin Model, aber im Moment muss ich jedes Engagement nehmen, das ich kriegen kann. Als Anfängerin darf man nicht wählerisch sein, und der Winter ist immer härter als der Rest vom Jahr“, erzählte die Elfe.

Sie schüttelte sich, um die letzte Verärgerung und Sorge abzustreifen, dann strahlte sie wieder.

„Das schaffe ich schon. Ich weiß, dass ich gut bin und dass ich es ganz nach oben schaffe! Ich bin erst fünfundzwanzig und habe noch Zeit“, erklärte sie mit Überzeugung.

„Dann schaffen Sie das auch!“ Markus lächelte sie an. Wie unbeschreiblich schön sie war! Er hätte alles dafür gegeben, immer weiter so neben ihr hergehen zu können, aber der Weg zur Tiefgarage bog ab, in der sein Wagen parkte, und die Elfe musste offensichtlich in die entgegengesetzte Richtung.

Unschlüssig blieben sie stehen und sahen sich an. Sie schien auf etwas zu warten. Er wartete auch, ohne zu wissen, auf was. Die Spannung wurde lastend, und Tina ging genervt weiter, um Klarheit zu schaffen. Markus merkte es nicht einmal und blieb stehen.

„Sie sind nett. Sollen wir einmal zusammen einen Kaffee trinken?“, schlug da die Elfe von sich aus vor, als von ihm nichts kam.

Markus schluckte. Es musste doch Engel geben, die dafür sorgten, dass Wunder wahr wurden. Er war sich nicht ganz sicher, ob ihm das gerade wirklich passierte. Am liebsten hätte er sich in den Arm gezwickt, wie er es als Junge immer getan hatte, um zu testen, ob er wach war oder schlief.

„Wir müssen auch nicht … Das war nur so eine spontane Idee. Dann …“ Sein Zögern dauerte ihr zu lange. Sie nahm es als Ablehnung und wollte schon davongehen, ohne sonderlich bekümmert zu wirken.

„Gerne! Sehr gerne! Ich rufe Sie an, aber ich brauche Ihre Nummer. Ich …“, brachte er mühsam heraus und fühlte sich noch einmal wie ein Teenager, weil er vor Aufregung gar nicht wusste, was er tun sollte.

„Geben Sie mir Ihre Hand!“, sagte sie fröhlich und zückte einen Stift.

Er tat es und sah fassungslos zu, wie sie ihm ihre Nummer mit einem permanenten Filzschreiber auf den Handrücken schrieb.

„So können Sie meine Nummer nicht verlieren. Ist doch besser als so ein Zettel, oder? Bis irgendwann!“, rief sie dann und ging bester Laune davon. Seine bewundernden Worte waren genau das gewesen, was sie gebraucht hatte, um den Rauswurf aus der Truppe zu verschmerzen.

Markus blieb stehen und sah ihr traumverloren nach. Er hatte ihre Nummer und durfte sie anrufen! Dieses Glück war kaum zu fassen.

„Wie heißen Sie?“, rief er ihr hinterher, als ihm aufging, dass er nicht einmal ihren Namen kannte.

„Leonie.“

„Ich heiße Markus!“

„Ich weiß, Doktor Markus Preußer“, rief sie lachend über die Schulter zurück und winkte. Er konnte noch eine Weile ihr glockenhelles Lachen hören.

„Was war das denn?“, wollte Tina wissen, nachdem sie ihm eine Minute gelassen hatte, um Goldlöckchen nachzusehen, wie sie die junge Frau getauft hatte.

Markus hatte vollkommen vergessen, dass sie da war, und sah sie verwirrt an.

„Hallo, Erde an Doktor Preußer! Erde an Doktor Preußer! Es gibt mich noch“, spottete Tina.

„Das ist die Frau, die ich heiraten werde!“, sagte Markus. „Sie ist es und keine andere!“

Tina verstand die Welt nicht mehr. Wo war der nüchterne Verstandesmensch geblieben?

„Markus, sie ist noch sehr jung, oder?“, fragte sie vorsichtig.

„Fünfundzwanzig. Das muss doch kein Hinderungsgrund sein. Mit sechsunddreißig bin ich doch noch kein Methusalem, oder?“, hielt er heftig dagegen.

„Natürlich nicht, aber du hast einiges an Lebenserfahrung mehr auf dem Buckel. Was weißt du über dieses Mädchen, außer dass es hübsch ist? Du kennst nicht …“

„Hübsch nennst du das? Tina, sie ist geradezu überirdisch schön“, schwärmte er.

„Das ist wie so vieles Geschmackssache, aber mit ihrem Aussehen kannst du dich nicht unterhalten. Du weißt nichts über ihren Charakter, ihre Interessen und Vorlieben. Du weißt überhaupt nichts über sie.“

„Das werde ich alles mit der Zeit herausfinden. Ich freue mich darauf, sie kennenzulernen, aber ich bin mir meiner Sache sicher. Sie ist es“, beharrte er. „Solch eine Schönheit kann nicht nur äußerlich sein! Sie ist ein ganz besonderer Mensch, das weiß ich.“

„Markus, das ist doch bescheuert. Hörst du dir gerade eigentlich zu? Schöne Menschen müssen toll sein? Seit wann das denn? Hey, du …“

„Was ist los mit dir? Du hast doch immer gesagt, dass man gegen Gefühle nicht ankann und dass man sie annehmen muss. Du hast gesagt, dass du zu deinem Professor halten wirst, solange du lebst, weil er ganz einfach der Richtige ist. Das sind alles deine Worte, Tina. Warum willst du mir nicht gönnen, dass auch ich die Richtige gefunden habe? Kann so etwas etwa nur dir passieren?“, hielt er aggressiv dagegen und funkelte sie wütend an.

Sie hatten das Auto in der Tiefgarage erreicht, aber er öffnete die Zentralverriegelung nicht, sondern blieb an der Tür stehen. Ihm war, als ob Tina ihm sein Glück nicht gönnte, und das fand er gemein. Bevor sie das nicht ausdiskutiert hatten, wollte er nicht nach Hause fahren.

„Mein Professor war eine Mogelpackung und hat mich drei Jahre meines Lebens gekostet. Vielleicht möchte ich dich einfach nur davor bewahren, denselben Fehler zu machen“, antwortete Tina leise und wusste, dass sie verloren hatte. Er konnte und würde so wenig auf sie hören, wie sie auf ihn gehört hatte.

„Leonie ist anders. Sie ist besonders. Das spüre ich. Tina, ich bin so aufgeregt und weiß gar nicht, wohin mit meiner Freude. Gerade von dir habe ich erwartet, dass du dich mit mir freust, anstatt zu unken, wenn ich mich einmal verliebe“, warf er ihr vor.

„Ich freue mich doch auch mit dir, wenn das so ist, Markus!“, beteuerte sie.

„Gut! Dann berätst du mich auch weiterhin?“, wollte er wissen.

„Klar doch!“

„Kann ich sie gleich morgen anrufen, oder ist das zu früh? Muss ich ein oder zwei Tage verstreichen lassen? Was meinst du?“, fragte er, als sie in den Wagen stiegen.

„Es würde nicht schaden, wenn du dir ein wenig Zeit lässt, dich zu beruhigen, bevor du anrufst“, meinte Tina und hoffte, dass sein Verstand sich noch rechtzeitig zurückmeldete, bevor er Unsinn baute. Goldlöckchen war eindeutig nichts für ihn. Er brauchte eine Partnerin, die ihm auf Augenhöhe begegnen konnte, und kein halbes Kind, das noch lange nicht erwachsen war.

Markus war sonst immer bedacht und tendierte nicht zu Gefühlsausbrüchen. Sonst war immer er es, der die Frauen, mit denen er sich traf, mit wenigen Worten analysieren konnte. Meistens traf er dabei erstaunlich ins Schwarze. Was sah er nur in Goldlöckchen?

Tina erschien die junge Frau beim ersten Eindruck etwas flatterhaft, unreif und unbedacht. Die Sache mit dem Filzstift fand sie übergriffig und unangemessen. Markus würde ganz schön schrubben müssen, bevor er das nächste Mal einen OP betrat.

„Du hast recht, sonst erschrecke ich sie noch.“ Er nickte zustimmend. „Ich muss ein paar Tage warten.“ Seine Miene zeigte, wie schwer ihm das fallen würde.

Sonst baust du den Unsinn deines Lebens , dachte Tina, schwieg aber wohlweislich. Im Moment war er für Argumente nicht zugänglich.

Gleich am anderen Nachmittag, sobald er aus der Klinik nach Hause kam, griff Markus zum Telefon. Er konnte nicht länger warten und brannte vor Ungeduld. Er musste dieses glockenhelle Lachen wieder hören, nach dem er bereits süchtig war.

***

Professor Martin Steiner mochte sein Leben. Er liebte es, in seiner Klinik die Reichsten und Prominentesten zu begrüßen, die dort Heilung von Leiden suchten, die zum größten Teil aus einem anstrengenden Leben in der Öffentlichkeit resultierten – zu wenig Schlaf, zu viel Alkohol und kaum Intimsphäre. Auf Dauer blieb dabei kaum jemand an Leib und Seele heil.

Diskretion und luxuriöse Ruhe waren in seinem Sanatorium oberstes Gebot. Es ging mehr um Erholung als um medizinische Versorgung. Bei alldem erfuhr der Professor so einiges, was ansonsten kaum jemand wusste. Es tat ihm gut, eine Art Geheimnisträger zu sein. Seine Position gab ihm ein Gefühl von Macht und Einfluss im politischen und kulturellen Bereich.

Durch die Heirat mit seiner Frau, die aus einer extrem reichen Unternehmerfamilie stammte, hatte er sich finanziell als junger Arzt für immer saniert und an die Spitze der Münchner Gesellschaft geheiratet.

Eleonore war angenehm und eine wahre Dame. Sie erwartete nichts Unmögliches und verstand es, schweigend über Dinge hinwegzugehen, die ihr nicht gefielen.

Er schätzte sie, und sofern er in der Lage war, jemanden zu mögen außer sich selbst, hatte er mit den Jahren gelernt, sie zu lieben. Natürlich setzte er dabei voraus, dass sich ihr Leben um ihn zu drehen hatte und dass sie keine Anforderungen an ihn stellen durfte. In beidem kam sie ihm bereitwillig entgegen.

Und seine Dienstage mit Tina empfand der Professor als ungeheuer entspannend. Sie war mit ihrer leidenschaftlichen Liebe zu ihm ein wahrer Jungbrunnen, obgleich er sie hin und wieder etwas anstrengend fand. Zum Glück ließ sie sich immer wieder leicht beruhigen und vertrösten, wenn sie ihre dollen fünf Minuten hatte, wie er es für sich nannte.

Tina war eine von zahlreichen Geliebten, die er im Lauf seines Lebens gehabt hatte. Drei Jahre war er nur mit wenigen von ihnen zusammen gewesen, weil sie ihm vorher langweilig geworden waren. Da Tina eine Medizinerin und dazu auch noch Chirurgin war, konnte er mit ihr über so ziemlich alles sprechen, was ihn interessierte.

Das wertete die Begegnungen mit ihr für ihn ungemein auf. Er hatte eigentlich nicht vor, sich in der nächsten Zeit nach einer anderen Geliebten umzutun. Das Werben um eine neue Frau war jedes Mal wieder nett, aber es kostete auch Zeit, und davon hatte er gerade wenig.

Als er am Dienstagabend ihre Tür aufschloss, ahnte er nichts Böses. Er hatte eine Flasche Champagner dabei und freute sich auf ein unbeschwertes Schäferstündchen. Weihnachten und Neujahr, die kritischen Phasen für jede Affäre, waren überstanden, und ihre letzte Begegnung war sehr schön gewesen.

„Hallo, mein Schatz!“ Wie immer wollte er sie gleich an sich ziehen und küssen, aber sie wich ihm aus. Kein gutes Zeichen, anscheinend war ihr wieder einmal eine Laus über die Leber gelaufen. Das sah er schon daran, dass sie nur eine Jeans und einen einfachen Pullover trug. Sie hatte sich nicht wie sonst für ihn zurechtgemacht.

„Ich wollte nur kurz hereinschauen und Hallo sagen, muss aber gleich wieder gehen“, improvisierte er, weil er keine Lust hatte, mit ihr zu streiten. Am besten ließ er sie einmal wieder zwei, drei Wochen schmoren und meldete sich nicht bei ihr. Das half eigentlich immer und brachte sie wieder auf den Teppich.

„Das trifft sich wunderbar, Martin. Ich habe auch keine Lust, viel zu reden. Leg deinen Schlüssel auf die Kommode da und komm nie wieder!“, sagte sie ungewöhnlich kühl und beherrscht.

So war er noch nie abserviert worden. Noch regte er sich nicht auf, denn er war sicher, sie beruhigen zu können. Vermutlich ging es wieder um das leidige Thema seiner Scheidung. Das nervte, aber wenn sie das nun einmal brauchte, sollte sie die Dosis Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft haben, die es nie geben würde.

„Tina, was ist los? Das meinst du doch nicht ernst. Letzte Woche war noch alles zwischen uns in bester Ordnung. Was habe ich angestellt? Hätte ich anrufen sollen? Ich hatte wirklich keine Zeit. In der Klinik war die Hölle los. Und falls es mit der Scheidung zu tun hat, das kann ich nicht über den Zaun brechen. Du weißt das doch! Ich möchte doch auch mit dir zusammen sein, nur mit dir, aber …“

„Martin, sind dir diese Lügen denn nie peinlich? Hattest du nie auch nur einen Funken Respekt vor mir oder vor dir oder deiner Frau? Ich habe euch am Sonntag im Stadion gesehen“, unterbrach ihn Tina angewidert. Er war einfach unglaublich. Wie hatte sie das zuvor nicht sehen können?

„Du magst Eishockey? Warum hast du mir das nicht gesagt? Ich hätte dir Karten besorgen können“, versuchte er das Thema zu wechseln und leistete sich den nächsten Fauxpas.

„Das hast du, Martin. Du hast mir die Karten zu Weihnachten geschenkt. Herzlichen Dank! Es war eine Offenbarung für mich. Was war ich dumm! Unglaublich! Liebe macht tatsächlich blind. Geh einfach! Verschwinde aus meinem Leben und wage es nicht, noch einmal etwas von dir hören zu lassen!“, explodierte sie.

Allmählich wurde er wütend. So ließ er sich von niemandem abkanzeln. Was bildete sie sich ein? Wer war sie eigentlich? Wenn er wollte, konnte er ihre Karriere mit ein paar Anrufen beenden und sie auf die Straße befördern. Falls sie sich nicht in Acht nahm, war er versucht, genau das zu tun. War sie bei dem Ganzen etwa nicht auf ihre Kosten gekommen?

„Was soll das? Gut, ich besuche die Spiele mit meiner Frau. Sie mag Eishockey genau wie ich. Habe ich je behauptet, dass wir nie zusammen vor die Tür gehen? Warum spielst du dich derart auf?“, knurrte er.

„Du hast mich immer nur angelogen, Martin. Kannst du nicht einmal zum Abschied ehrlich sein? Deine Frau liebt dich. Das konnte ich sehen, und von Entfremdung oder Scheidungsgedanken kann bei euch keine Rede sein.“

Tiefer Schmerz sprach gegen ihren Willen aus ihrer Stimme.

„Du hattest nie vor, mich zu heiraten. Drei Jahre, drei ganze Jahre habe ich dir alles geglaubt, was du mir erzählt hast. Warum all die Lügen? War das denn nötig? Es macht alles, was wir geteilt haben, im Nachhinein irgendwie armselig.“

Mit in die Seiten gestemmten Armen stand Tina vor ihm und erwartete eine Antwort. In ihren Augen schimmerten Tränen. Dieser Mann war die Liebe ihres Lebens gewesen. Sie hatte ihm vertraut und hätte alles für ihn getan. Was machte das aus ihr, wenn so ein Mensch sie derart täuschen konnte? Wie sollte sie sich selbst und ihrem eigenen Urteil jemals wieder vertrauen?

„Weil du genau das hören wolltest, genau wie die anderen“, sagte er kalt und ließ jede Maske fallen. „Ihr seid doch alle gleich! Ihr braucht die großen Gefühle, Liebe vom Feinsten, das große Drama, aber dabei geht es einfach nur um guten Sex und ein wenig Spaß. Hättest du dich auf mich eingelassen, wenn ich dir gesagt hätte, dass ich nur eine neue Geliebte suchte? Hättest du?“, wollte er höhnisch wissen.

„Natürlich nicht!“, ereiferte sie sich. „Ich hätte mich nie dafür hergegeben, deine Frau derart zu betrügen!“

„Nein, das hättest du nicht! Aber es war überhaupt kein Problem für dich, ihr den Mann gleich ganz wegnehmen zu wollen. Ist das besser? Du hättest billigend in Kauf genommen, dass ich mich scheiden lasse, und damit eine Familie auseinandergerissen“, warf er ihr vor.

„Du hast gesagt, eure Beziehung würde nur noch auf dem Papier bestehen und dass da keine Gefühle mehr wären“, rechtfertigte sich Tina und spürte selbst, wie lahm das klang. Es machte keinen wirklichen Unterschied, aber das erkannte sie erst nun, wo der Gefühlstaumel sich gelegt hatte und sie klar denken konnte.

„Wir sind verheiratet, und sie ist meine Frau. Ist es kein Betrug, nur, weil ich behaupte, unglücklich mit ihr zu sein? Hat es dich auch nur im Geringsten interessiert, wie es ihr dabei gegangen wäre, von mir verlassen zu werden? Soweit ich mich erinnere, hast du nie nach ihr gefragt.“

Er hielt ihr einen hässlichen Spiegel vor, in dem sie ihr Gesicht nur noch als Fratze erkennen konnte.

„Tina, mit der moralischen Keule kannst du mir nicht kommen. Ich habe dir erzählt, was du hören wolltest. Wir hatten Spaß und eine gute Zeit zusammen. Ich bedauere, dass es vorbei ist, aber wenn du das nun einmal so möchtest, dann sagen wir eben Lebewohl“, verdrehte er die Tatsachen, wie es ihm gefiel.

Tina sah ihn sprachlos an. Was hatte sie nur an diesem Mann finden können? Er war erbärmlich, und er hatte sie auf eine Weise manipuliert, die sie entsetzte. Sie hasste sich förmlich selbst dafür, so tief gesunken zu sein.

„Bitte geh!“

„Gerne! Ich hätte mich ohnehin demnächst neu umgesehen. Du wirst mir zu alt. Es war nett mit dir, Tina.“ Mit diesen verächtlichen Worten legte er ihren Wohnungsschlüssel auf die Kommode und ging.

Schluchzend brach Tina zusammen und krümmte sich vor seelischer Pein am Boden. Unter anderen Umständen hätte sie Markus angerufen und ihn gebeten vorbeizukommen. An diesem Abend musste sie mit ihrem Kummer alleine fertig werden. Sie ahnte, dass sie sich daran würde gewöhnen müssen.

Tina wusste, dass Markus sich zum Abendessen mit Goldlöckchen traf. Er hatte seine Verabredung mit Schwester Carmen abgesagt. In seinem Kopf war nur noch Platz für Gedanken an Leonie. Es war, als ob er unter einem Bann oder einem Fluch stünde.

Wann immer Tina im Verlauf des Kliniktages für ein paar Minuten mit ihm zusammenstand, sprach er über nichts anderes. Leonie war zu seinem einzigen Thema geworden. Markus hatte nicht einmal mitbekommen, dass es Tina diesmal ernst damit war, sich von ihrem Professor zu trennen. Er fragte nicht mehr nach ihr, und wenn sie ansetzte etwas zu erzählen, brach sie bald ab, weil sie merkte, dass er nicht zuhörte.

„Glaubst du, der Italiener ist gut für das erste Treffen? Ich sollte mich leger in Jeans und Pullover kleiden, oder? Wie ist das heute bei den jungen Leuten? Glaubst du, ich bin ihr zu steif? Glaubst du …“

Tina fragte sich, ob sie ihm mit Martin genauso auf die Nerven gegangen war, wie er es mit Leonie bereits tat, bevor sie auch nur ein einziges Mal zusammen ausgegangen waren. Sie bemühte sich redlich, seine Fragen zu beantworten und ihm eine gute Freundin zu sein, aber es war ein hartes Brot.

***

Markus hatte mit Leonie ausgemacht, sie zu Hause abzuholen. Als er in das Viertel von München fuhr, in dem sie wohnte, war er betroffen. Man sah die Armut, die hier herrschte. Die Häuser waren schlecht renoviert, auf den Straßen sah es trist und trostlos aus, und trotz der Kälte und des Schnees, der in dicken Flocken fiel, lungerten überall junge Leute herum, die nichts mit sich anzufangen wussten.

Er schwor sich, alles zu tun, damit seine Leonie nicht mehr lange in so einem Umfeld lebte. Überhaupt nahm er sich vor, sie für all das zu entschädigen, was sie anscheinend nie gehabt hatte.

Was für Eltern ließen es zu, dass ihre Tochter an so einem Ort alleine lebte? Er ahnte, dass ihre Kindheit alles andere als behütet gewesen sein musste, und empfand tiefes Mitgefühl.

Am Telefon hatte sie viel gekichert und mit ihm geflirtet. Es war ein schönes Gespräch gewesen, aber nun, als er vor ihrer Tür parkte, fragte er sich, wie der Abend wohl verlaufen würde. Im Grunde wusste er tatsächlich nichts von ihr. Worüber konnte er mit ihr reden? Welche Themen konnte er anschneiden, ohne sie in Verlegenheit zu bringen?

Er wurde unruhig, und ihm war flau im Magen, als er den obersten, nicht beschrifteten Klingelknopf drückte, wie sie es ihm geheißen hatte. Lange passierte gar nichts, und er dachte schon, sie habe die Verabredung vergessen.

„Hallo, Markus! Ich bin noch nicht fertig. Komm doch hoch und trink noch einen Tee! Es dauert nicht lange“, flötete da ihr Stimmchen, und sein Herz schlug schneller. Sie war wie eine Droge für ihn, die unmittelbar ins Blut schoss.

Leonies Zimmer lag unter dem Dach im sechsten Stock, und am Fahrstuhl hing ein Schild: Außer Betrieb! Man sah, dass dieses Schild schon lange dort hängen musste. Wer in diesem Haus wohnte, musste fit sein, soviel stand fest.

Frohes Mutes startete Markus den Aufstieg, und als er im vierten Stock angekommen war, blieb er schwer atmend stehen. Ihm war das erste Mal an diesem bitterkalten Tag warm.

„Nur noch zwei Stockwerke! Das schaffst du auch noch!“, redete er sich zu und kletterte weiter das alte Holztreppenhaus nach oben.

Im sechsten Stock japste er nur noch und hatte Seitenstechen. Anscheinend lagen hier oben eigentlich keine Wohnungen mehr, und es handelte sich um den Zugang zu den Speicherräumen des Mietshauses. Eine schlichte Holztür stand weit offen und hieß ihn willkommen.

„Lebst du noch? Die Treppen sind mein Trainingsprogramm. Ein Model muss fit bleiben. Ist das nicht praktisch? Andere müssen dafür in ein Sportstudio“, rief Leonie aus dem Badezimmer. Sie war scheinbar eine Künstlerin darin, in allem etwas Positives zu sehen. „Bin gleich bei dir! Mach es dir gemütlich!“

Mit großen Augen sah sich Markus derweil ungestört in ihrem Reich um. So etwas hatte er noch nie gesehen. Wie konnte ein Mensch so viele Dinge in einem Raum und einem kleinen Flur unterbringen? Es lag einfach alles voll. Hüte, Kleider, Mäntel hingen an Schränken, lagen über Stühlen und dem Sessel verstreut.

Der Fußboden war mit Schuhen, Bücherstapeln, Unmengen an Zeitschriften und Kartons übersät, sodass man genau schauen musste, wo man einen Fuß hinsetzen konnte. An den Wänden hing Fotografie an Fotografie, und die meisten davon zeigten Leonie. Es herrschte absolutes Chaos.

Markus war sehr ordnungsliebend, und sogar in seinen Schränken war alles nach Farbe und Größe sortiert, aber dies war Leonies Welt, und er fühlte sich eigentümlich wohl.

Auf einer Weinkiste, die als Tisch genutzt wurde und vor einem aus alten Matratzen improvisierten Sofa stand, waren mehrere Kerzen angezündet, die den Raum in ein warmes Schummerlicht tauchten, das von einer einsamen, schwachen Glühbirne, die in einem Eck nackt von der Decke hing, nur etwas verstärkt wurde.

Der Raum war vielleicht zwanzig Quadratmeter groß, aber da er derart vollgestopft war, wirkte er wie eine Besenkammer. Es gab zwei Dachfenster, auf denen dicht der Schnee lag.

Markus blieb in der Mitte des Zimmers stehen, weil er keinen Platz fand, auf den er sich hätte so einfach setzen können, ohne ihre Sachen wegzuräumen. Geduldig wartete er gute zwanzig Minuten.

Ein Eck war mit einem Vorhang abgetrennt, der allerdings nicht zugezogen war. Dort lag eine Matratze auf dem Boden. Auch sie war mit Decken und Kleidern bedeckt. Leonie konnte den Begriff Ordnung noch nie gehört haben. Die Spinnweben und Staubmäuse, die überall zu finden waren, ließen es zweifelhaft erscheinen, ob sie je putzte.

Ihr Badezimmer war ein Holzverschlag hinten im Zimmer. Dort hörte er sie eifrig hantieren. Es war nicht wirklich angenehm warm im Raum. Markus konnte nicht genau sagen, aus welcher Richtung ein kalter Zug kam. Eigentlich zog es aus allen Ecken. Das Dach war nicht gut isoliert.

Wie konnte ein Vermieter für so etwas Miete verlangen? Es war eine Unverschämtheit, einem Menschen zuzumuten, unter solchen Bedingungen zu hausen. Eine Küche oder eine Kochstelle gab es anscheinend nicht. Irgendwo stand eine Mikrowelle auf einem Brett, das behelfsmäßig an die Wand gedübelt worden war, und daneben stapelten sich schmutzige Teller und leere Behältnisse aus Alufolie.

„Hier bin ich!“, flötete es, und die Kälte war vergessen. Leonie strahlte über das ganze Gesicht, als sie aus dem Verschlag trat. Sie trug einen kunterbunten, dicken Winterpullover über einer schwarzen Hose und sah einfach umwerfend aus.

„Du bist wunderschön“, sagte Markus andächtig und konnte den Blick nicht von ihr wenden.

Da drehte sie sich lachend ein paarmal um sich selbst, und nichts als Freude und Glück gingen von dem farbenfrohen, zierlichen Kreisel aus. Dann schlang sie spielerisch die Arme um ihn und gab ihm einen Kuss auf beide Wangen.

„Du bist so lieb! Danke! Sollen wir noch einen Tee trinken, bevor wir uns hinaus in die Kälte trauen?“, fragte sie und suchte den Boden nach ihren Winterstiefeln ab.

Markus entdeckte einen Wasserkocher neben der Mikrowelle und daneben eine Teekanne und Tassen, die schon benutzt waren. Bei aller Faszination ging er das Risiko lieber nicht ein, aus einer dieser Tassen bewirtet zu werden.

„Lass uns lieber gleich gehen, damit der Tisch, den ich reserviert habe, nicht an andere Gäste weitergegeben wird.“

Zusammen stiegen sie das dämmrige Treppenhaus nach unten. Die alten Holzstufen knarzten, und es roch sehr muffig. Kinderplärren drang hinter den meisten Türen hervor.

„Wohnst du gerne hier?“, fragte Markus und hätte sich auf die Zunge beißen mögen. In so einem Haus wohnte man nicht, weil man es sich ausgesucht hatte, sondern weil jede andere Miete unerschwinglich war.

„Es ist in Ordnung für mich. Das Dachzimmer ist doch romantisch, oder?“, fragte sie zurück und sah ihn ein wenig herausfordernd an. Sie schien es schon gewohnt, dass ihre Besucher etwas an ihrem Zuhause auszusetzen fanden.

„Sehr romantisch“, stimmte er ihr sofort zu und wurde mit einem dankbaren Lächeln belohnt. Im Stillen fügte er aber noch primitiv und unzumutbar an, hütete sich aber, es laut auszusprechen.