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Tom ist fünfzehn Jahre alt, als er feststellt das seine Welt mehr enthält als nur seine kleine Schule in der er sich tag ein, tag aus langweilt. Hinter dieser Welt gibt es noch eine andere Welt, eine Welt. Er wird schließlich von seinem einzigen Freund, Arthur, dem Hausmeister seiner Schule gerettet. Dieser stellt sich aber bald als König Arthur heraus, und ist ein Ritter der Zeit. Die Ritter der Zeit sind ein Uralter Orden die sich für den Erhalt der Zeit verpflichtet haben. Als sich die Dinge zuspitzen ist es an Tom und den Rittern der Zeit die Welt und die Zeit zu retten.
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Seitenzahl: 485
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Die Bewacher der Zeit
JUGENDROMAN
Oliver Bart
Kennen Sie das Gefühl etwas ganz Besonderes zu sein? Ein wenig speziell vielleicht?
Wenn sie anderen Menschen begegnen, werden sie dann auch oft schräg angesehen?
Wissen sie wie es ist sich einfach anders zu fühlen?
Gut, dann denken sie genau wie ich. In meiner Wahrnehmung war ich eigentlich immer nur ich. Thomas Edis. Von meinen Freunden kurz Tom genannt.
Nicht das ich viele Freunde hatte, nein das konnte man nun wirklich nicht behaupten.
Wie die meisten Kinder meines Alters ging ich noch zur Schule. Ich besuchte die neunte Klasse einer Realschule, und schlug mich mehr schlecht als Recht durch.
Um ehrlich zu sein war ich kein besonders guter Schüler, was auch ein wenig an meiner Nervosität lag.
Sobald es ernst wurde bekam ich es mit der Angst zu tun. Mein Puls begann zu rasen, Schweiß trat aus allen Poren, und die Welt um mich herum schien auf seltsame Art und Weise zu flimmern.
Wenn ich zum Beispiel an die Tafel gerufen wurde begann der Horror, der meist erst dann endete als ich Atemnot bekam und mich unter dem Gelächter der übrigen Klasse wieder auf meinen Platz setzen durfte.
Wissen Sie wie schwer das für einen fünfzehnjährigen ist nicht einmal drei Wörter nacheinander rauszubringen ohne Angst zu haben direkt zu ersticken?
Das macht einen schon fertig.
Das und die Tatsache dass ich ansonsten ein totaler Nerd war, minderten natürlich meine Chancen viele Freunde zu finden. Genau genommen gab es da nur zwei.
Chiara, ein hübsches junges Mädchen das in meiner Straße wohnte und ebenfalls auf meine Schule ging, und Arthur, der griesgrämige alte Hausmeister.
Chiara war ein paar Klassen über mir, und so sah ich sie auch nur selten.
Oft saß ich in den Pausen, oder nach dem Unterricht alleine in einer Ecke und folgte meiner einen Leidenschaft, die fast schon eine Passion geworden war.
Der Natur, oder der Naturwissenschaft. Ich konnte stundenlang die Lichtbrechung der Sonnenstrahlen in einem Regentropfen beobachten, oder dem Wehen des Windes lauschen.
Meist war es dann Chiara die mich dann fand und mir mitteilte dass mein Zug schon abgefahren war, und ob ich nicht mit ihr nach Hause wolle.
Oder aber Arthur fand mich, und teilte mir mit dass der Unterricht schon seit einer Ewigkeit begonnen hatte.
Kurz und knapp gesagt: Ich war ein Loser, wenn es schon jemals einen gegeben hatte.
Doch das alles sollte sich schlagartig ändern.
Manchmal liege ich nachts noch lange wach, und denke, während ich an meine Zimmerdecke mit den Sternbildern sehe, an diese Zeit zurück.
Ich überlege mir was meine Klassenkameraden jetzt wohl sagen würden wenn sie mich sehen könnten.
Dann ertappe ich mich dabei wie mir ein kleines Lächeln über die Lippen läuft und ich schlafe wohlig ein.
Obwohl zwischen damals und heute nur knapp sechs Monate vergangen waren, erscheint es mir als lägen mehrere Jahre dazwischen, aber Zeit ist relativ, würde mein Freund Albert jetzt wohl sagen, und er hat recht.
Die Zeit ist dehnbar und formbar, aber vor allem eines. Sie ist für jeden anders.
Eine Woche kann wie im Flug vergehen, aber eine Stunde sich auch wie einen Monat anfühlen, und wenn man wie ich die Zeit manipulieren kann wird es wirklich kompliziert.
Mein Name ist Tom, und ich bin ein Bewacher der Zeit.
Alles begann als ganz normaler Schultag vor nicht einmal drei Monaten.
Wie jeden Morgen wachte ich unter lautem Summen meines Smartphone Weckers schon einige Minuten bevor meine Mutter mein Zimmer betrat auf.
Schlaftrunken griff ich nach dem Gerät und brachte es mit einer Wischbewegung über das Display zum Verstummen.
Es war der dreizehnte Juni. Vier Wochen vor meinem Geburtstag. Das Display des Handys zeigte sechs Uhr und zwei-und-dreißig Minuten an. Ich lächelte.
Seit jeher hatte ich eine Schwäche für seltsame Uhrzeiten.
Zwölf Uhr elf. Zwei Minuten nach fünfzehn Uhr. Oder fünf nach drei.
Je ausgefallener die Uhrzeit war, desto glücklicher war ich.
Eigentlich seltsam denke ich manchmal, da ich ansonsten eher ein Freund von Symmetrien bin.
Ob dies an einem Tick liegt, oder ob ich ganz einfach nur ein Faible für ordentliche Zahlenreihen habe kann ich bis heute nicht exakt sagen. Es würde auch nichts daran ändern.
So sortierte ich schon als Kind die vollen und leeren Sprudelflaschen bei uns zuhause so, dass sie in irgendeiner Form einen Sinn ergaben.
Ich versuchte auch immer eine gleiche Anzahl bestimmter Dinge zu essen.
Drei Rote Gummibärchen, drei Grüne, drei Gelbe, drei Weiße, drei Rote.
An diesem Morgen schwang ich meine Beine aus dem Bett und streckte mich ausgiebig, als meine Mutter die Tür öffnete, und zu mir herein spähte.
“Guten Mor… Oh du bist ja schon wach” sagte sie, was ich mit einem lauten Gähnen quittierte.
Sie schaltete das Deckenlicht an, und ich bewegte mich tapsend zu meiner Kommode.
Ich spürte ihren Blick auf meinem Rücken gerichtet, während sie jede meiner Bewegungen verfolgte. Leise schloss sie wieder die Tür und ging die Stufen hinunter in die Küche um das Frühstück vorzubereiten.
Ich folgte ihr wenige Minuten später, und setzte mich zu ihr an den Frühstückstisch.
Ich aß eine Schüssel Cornflakes mit Milch, und trank einen Orangensaft dazu.
Meine Mutter, die mir wie üblich gegenüber saß hatte einen Becher Kaffee in der Hand.
“Und freust du dich heute auf die Schule” begann sie einen Versuch der Konversation.
“Hm…” gab ich einsilbig zurück. In Wirklichkeit war es mir eins.
Es gab in der Schule nicht viel was ich wirklich mochte.
Ich war nicht sonderlich beliebt, wurde aber auch nicht übermäßig gehänselt. Ich war kein toller Sportler, und ein Frauenschwarm war ich erst recht nicht.
Mit meinen eins fünf-und-sechzig gehörte ich eher zu den kleineren meiner Klasse, und mein Haar das mir strohig am Kopf klebte sah auch nicht besonders attraktiv aus.
Einzig die Naturwissenschaften hatten es mir angetan.
Mathematik, Biologie, Chemie und vor allem die Physik.
Meine Mutter schien entweder mit dieser knappen Antwort zufrieden zu sein, oder gab den Ansatz einer Konversation schlichtweg auf. Jedenfalls machte sie keinerlei weitere Anstalten um mit mir, ihrem einzigen Kind ins Gespräch zu kommen.
Sie trank einen weiteren Schluck Kaffee und sah dann auf die Uhr an der Wand.
“Oh je Tom, schon so spät” sagte sie urplötzlich und verschüttete beinahe den Rest ihres Bechers, bevor sie ihn doch in einem Schluck leerte.
Sie hastete an mir vorbei in Richtung Badezimmer, und rief mir noch hinterher dass sie sich beeilen müsse.
Ich trank meine Müslischale, die ohne nur noch aus gesüßter Milch bestand aus, und stellte die Schale in die Spüle.
Sekunden später flog meine Zahnbürste förmlich durch meinen Mund während meine Mutter sich die Wimpern tuschte.
In unserem kleinen Reihenhaus gab es nur ein Badezimmer, und so teilten wir uns das kleine Waschbecken.
Die Organisation die für diesen Ablauf notwendig war, war einfach seit Jahren einstudiert, so dass es reibungslos funktionierte.
Augenblicke später verließen wir beide das Haus.
Meine Mutter wand sich nach rechts in Richtung der U-Bahn Haltestellen, ich ging nach links zu den Busbahnhöfen.
In der ersten Stunde hatte ich eine Freistunde und verbrachte die Zeit, anders als meine Klassenkameraden die sich wild grölend auf dem Schulhof tummelten, alleine auf der Treppe zum ersten Stock sitzend.
Da Chiara sich im Unterricht befand, sie hatte keine Freistunde und Artur auch nirgends zu sehen war, höchstwahrscheinlich reparierte er irgendeinen defekten Stuhl, oder ein defektes Pult, hatte ich Zeit meiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen.
Der Naturwissenschaft.
Es hatte mittlerweile zu regnen angefangen, und ich versuchte die Regentropfen an den Fenstern auf meinem Block zu skizzieren und den wahrscheinlichsten Lauf der Rinnsale vorher zu sagen beziehungsweise zu berechnen.
Alles eine Frage der Wahrscheinlichkeit, pflegte ich immer zu sagen wenn ich Artur oder Chiara davon erzählte und sie nur unverständlich den Kopf schütteln.
Für mich war es schön zu sehen wie sich manche Annahmen bewahrheiteten, und andere nicht. Das ließ mir den unerschütterlichen Glauben an das Zufällige im Universum bewahren.
Ich beobachtete also wie die Regentropfen auf die Scheibe trafen, und wie sie langsam an ihr hinab glitten.
Manche schlossen sich zusammen und bildeten dann einen breiteren Strom, andere versuchten es eine Zeit lang alleine.
Jemand rief meinen Namen und riss mich dadurch aus meine Gedanken.
“Tom” rief diese Stimme. Die Stimme war mir unbekannt, und doch faszinierte mich ihr lieblicher Gesang mit dem sie meinen Namen aussprach.
“Thomas. Komm zu mir” flötete die Stimmer erneut, und diesmal hatte ich keine andere Wahl als ihr zu folgen.
Ich schloss meinen Block und verstaute ihn in meinem Rucksack.
“Tom. Komm zu mir” hörte ich wieder diese wunderschöne Stimme. Ich sah mich kurz nach ihrem Ursprung um, konnte ihn aber nicht entdecken.
Lediglich die Richtung aus der die Stimme kam konnte ich grob einschätzen.
Sie kam von unten. Aus dem Keller. Er überlegte kurz, aber dort unten befanden sich eigentlich nur die Heizungsräume und einige Abstellflächen für ausgediente Möbel.
Ich hatte Artur einmal hierher gefolgt als dieser etwas aus seinem “Lager” genommen hatte.
Normalerweise verirrten sich keine Schüler hierher.
“Och Tom, komm doch zu mir” sagte diese Stimme Glockenhelle Stimme erneut, und diesmal klang sie reizvoller als zuvor.
Die Stimme war eindeutig das eine junge Mädchen, und irgendetwas an ihr beruhigte ihn aus eine nie dagewesene Art und Weise.
Heute denke ich, es war ihr melodischer Klang. Fast wie bei einem Liebeslied, das mich so anzog.
“Komm doch zu mir Tom” flirtete die Stimme erneut, und diesmal konnte ich nicht anders.
Wie hypnotisierte folgte ich ihre Aufforderung und ging in den Keller hinab.
Hier unten war es sehr dunkel, und ich brauchte einen Moment um mich zu orientieren.
Der Keller war zwar für die Schüler nicht verboten, allerdings verirrten sich nur wenige hier herunter, schließlich gab es hier unten nichts zu entdecken außer Spinnweben und alten Möbeln. Doch an diesem Tag war es irgendwie anders.
Die Treppe endete an einem kurzen Flur von dem ein Gang nach rechts und zwei Türen nach links ab gingen.
Hinter der einen verbarg sich die Werkstatt des Hausmeisters, Arthurs Werkstatt, hinter der anderen lag die Heizung, das zeigten die schwarzen Lettern auf der Stahltür an.
Aus Arturs Werkstatt konnte ich laute Geräusche hören. Er war sicherlich wieder irgendetwas am Reparieren. Ich hörte lautes Zischen, und dann Hammerschläge immer unterbrochen von lauter Radiomusik.
Für einen Moment kämpfte ich mit dem Gedanken an seine Tür zu klopfen, und ihn nach der lieblichen Stimme zu fragen.
Vielleicht hatte er das Mädchen gesehen das hier runter gelaufen war.
Es musste doch sicherlich hier vorbeigekommen sein, doch als ihre liebliche Stimmer erneut erklang war der Gedanke wie weggeblasen.
“Na komm schon Tom. Worauf wartest du denn?”
Plötzlich drängte sich ein anderer Gedanke an die Oberfläche.
Niemand außer mir sollte diese Stimme hören. Niemand außer mir sollte dieses Mädchen finden.
Wie mir später bewusst war empfand ich in diesem Moment Neid.
Niemand außer mir… dachte ich.
“Tom. So komm doch zu mir” ertönte die Stimme erneut, und ich setzte mich sofort in Bewegung.
Ich machte mir keinerlei Gedanken mehr. Alles was ich wollte war den Ursprung der Stimme zu finden.
Mit hastigen Schritten folgte ich dem kleinen Flur.
Hier wurde das Licht deutlich schlechter.
Die vielen Neonlampen die im Laufe der Jahre fast überall Einzug gehalten hatten, waren noch nicht bis in die Tiefen des Gemäuers vorgedrungen.
Mehrere einfache Glühlampen erhellten die Gänge, und warfen lange Schatten.
Ich war nun schon mehrere Meter gegangen ohne auch nur ein weiteres Wort von der mysteriösen Stimme zu hören. Langsam begann ich zu glauben alles das ich mir alles nur eingebildet hatte, und wollte gerade kehrt machen als die Stimme wieder meinen Namen rief.
Diesmal nur sehr viel näher.
“Komm schon Tom. Du bist fast da” sagte die Stimme und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.
Also hatte ich sie mir doch nicht nur eingebildet, dachte ich befriedigt.
Ich folgte ihr noch um eine letzte Kurve dann sah ich den Ursprung der Stimme. Ich sah Sie.
Ein junges Mädchen, etwas in meinem Alter saß ganz am Ende eines schmalen Gangs auf einem kleinen Stapel Kartons.
Rückblickend fragte ich mich schon was das Mädchen in diesem Teil der Schule zu suchen hatte, oder warum ich sie nicht schon einmal in der Schule gesehen hatte, aber in diesem Moment spielten diese Gedanken keinerlei Rolle.
Sie war Jung, blond, und mit unglaublich langen Beinen die in engen Röhrenjeans steckten.
Sie hatte die Beine leicht schräg abgeknickt was sie fast wie ein perfektes Paar erscheinen ließ.
Das junge Mädchen lächelte mich an, während ich langsam näher zu ihr trat. Sie hatte tolle Zähne. So strahlend weiß. Beinahe etwas unwirklich. Für einen Moment erinnerte sie mich an die Models aus den Zahnpasta Werbungen, aber dieser Gedanke war schnell verschwunden.
“Da bist du ja endlich” sagte sie und streckte eine Hand nach mir aus.
“Na komm schon. Komm zu mir” flirtete sie, erneut mit diesem Zahnpasta Lächeln.
Mein Hals war wie ausgetrocknet. Selbst wenn ich etwas sagen gewollt hätte, wäre sicherlich nicht viel mehr als ein heiseres Krächzen heraus gekommen.
“Komm zu mir” sagte sie erneut und wedelte mit den schlanken Fingern ihrer linken Hand in meine Richtung. Ich streckte ebenfalls meine Finger nach ihr aus. Mein Herz schlug schneller, und aus meine Drüsen sprühten die Hormone nur so heraus.
Ich merkte wie sich etwas in meiner Hose regte, und erörterte augenblicklich.
Was soll ich sagen, ich begehrte sie.
Egal was sie von mir verlangte, ich würde es tun.
Dann fiel mein Blick auf etwas leicht oberhalb ihres rechten Ohres. Ich sah hin, und entdeckte eine Person am Ende des Gangs. Die Person trug eine dunkle Kapuze die den oberen Teil ihres Gesichts verdeckte. Nur ihre zu einem breiten Grinsen gebleckten Zähne waren sichtbar.
Wer war das? dachte ich verwirrt, und blieb stehen.
Misstrauisch starrte ich auf die Person und merkte nicht wie das Mädchen mit dem unbeschreiblichen Lächeln ihre Finger immer weiter nach mir ausstreckte.
“Komm zu mir Tom. Vergiss ihn. Hier zähle nur ich” sagte das blonde Mädchen und etwas tief in mir drin wollte dass sie Recht hatte.
Ich wollte das blonde Mädchen mit dem Zahnpasta Lächeln. Den anderen Kerl hatte ich schon wieder vergessen.
Ich streckte also die Finger nach ihr aus, und gerade als unsere Fingerspitzen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren, spürte ich einen harten Griff an meiner Jacke und wurde fast augenblicklich schnell nach hinten gezogen.
Verdutzt und auch ein wenig enttäuscht taumelte ich rückwärts ohne recht zu verstehen wie dies möglich war.
Ich bekam gerade noch mit wie ein scharfes Messer durch die Luft zischte und mich nur um Millimeter verfehlte.
Das Messer befand sich in der freien Hand des blonden Mädchens
Voll Entsetzen starrte ich auf die Klinge. Ich hatte sie die ganze Zeit nicht bemerkt. Und noch etwas anderes hatte ich nicht bemerkt.
Das vorhin noch so hübsche Gesicht mit den blonden Haaren, und den makellosen, weißen Zähnen hatte sich zu einer grotesken Maske verzerrt.
Sie fletschte die Zähne und ließ dabei eine Reihe rasiermesserscharfer, kleiner Dolche sehen. Ihr ganzer Mund schien daraus zu bestehen, und ihr heißer Atem stank nach Abfall und Verwesung.
Was war denn hier los? fragte ich mich unwillkürlich.
“Komm her Tom” fauchte sie nun und schwang ihr Messer erneut bedrohlich durch die Luft.
Ich fiel hart auf den Hosenboden und spürte dass eine Person hinter mir stand.
Ich sah auf, und erkannte das bärtige, alte Gesicht von Artur der mich missmutig ansah.
Er hatte wie meistens einen blauen Overall an, und trug eine blaue Baseball Kappe auf seinem blassen Gesicht. Seine sonst so gütigen Augen funkelten mich misstrauisch an.
Er schien sauer auf mich zu sein. Aber was hatte ich denn getan?
“Was hast du hier unten zu suchen Thomas” fragte er mich und schien das junge Mädchen das immer noch mit ihrem Messer durch die Luft schnitt gar nicht recht zu registrieren.
“Ich.. ich” setzte ich an, aber was wollte ich eigentlich erklären? Verstand es doch selbst nicht richtig. Warum war ich dieser Stimme nur gefolgt? Ich konnte mich an keinen plausiblen Grund erinnern. Also tat ich das was mit in diesem Moment am plausibelsten erschien. Ich zuckte mit den Achseln.
“Ich weiß auch nicht. Wie, oder Warum?” versuchte ich mich zu erklären, brach dann aber ab. Zu vieles konnte ich mir nicht recht erklären.
“Na ist ja gerade nochmal gut gegangen” sagte Arthur und lächelte gequält.
Was? dachte ich bei mir, wagte es aber nicht ihn zu unterbrechen.
Mein Blick huschte zu der Person am Ende des Flurs, aber sie war verschwunden, oder war sie überhaupt je da gewesen?
Eine andere Frage quälte mich noch viel mehr. Sah Arthur dieses, dieses...ja was denn überhaupt. Egal, sah er es nicht? Dieses Ding.
Sah er diese total verrückte Braut, die ein Messer nach mir schwang und böse Verwünschungen gegen mich ausstieß nicht?
“Vor denen musst du dich in Acht nehmen” sagte er und deutete auf das Wesen, das vormals ein recht hübsches Mädchen gewesen war, das nun wirklich nicht mehr viel Ähnlichkeit mit einem jungen Mädchen hatte.
Erleichtert dass Artur sie auch sah, atmete ich tief aus. Für einen Moment hatte ich geglaubt verrückt zu sein, aber… aber Moment mal, wenn er sie sehen konnte, und sie dann real war, was stimmte dann nicht mit ihr… oder mit dem Ding, oder was auch immer das war.
“Wie? Was?” fragte ich und verstand immer noch überhaupt nichts. Artur reichte mir eine Hand und zog mich auf die Beine.
Meine Knie zitterten immer noch ein wenig, aber ich dachte dass ich das schon hinbekommen würde. Noch immer musste ich wie besessen auf das Ding schauen, das noch vor wenigen Minuten ein wunderschönes, wenn auch etwas fremdes Mädchen gewesen war.
Artur musste meinen Blick aufgefangen haben, denn er drehte sich auch für einen Moment in ihre Richtung um. Er sah das Geschöpf, das immer noch wie festgewurzelt auf den kleinen Kartons saß, und lächelte.
“Vor der brauchst du jetzt keine Angst mehr zu haben, ” sagte er und nickte mir freundlich zu.
“Das ist eine Sirene” sagte er und deutete mit einem Kopfnicken in ihre Richtung. “Früher hat sie Seefahrer mit ihrer hübschen Stimme in den Tod gelockt, und ich gehe davon aus dass sie dasselbe mit dir vorhatte.”
Die Sirene zuckte noch einmal mit ihrem Messer durch die Luft, und ich duckte mich weg.
“Keine Angst, nachdem du einmal ihr wahres Gesicht gesehen hast bist du immun gegen ihren Gesang, und außerdem kommt sie von ihrem Felsen, bzw. von den Kartons jetzt eh nicht mehr runter.
Sirenen können ihren Felsen nicht verlassen, deshalb müssen sie ihre Opfer zu sich hin locken, um sie zu fressen.”
Zu fressen, dachte ich und obwohl ich es nicht laut aussprach schien Artur meinen Gesichtsausdruck richtig zu deuten.
“Keine Angst, jedenfalls nicht vor ihr.
Dass gerade jetzt eine Sirene auftaucht bedeutet nichts Gutes” sagte er und nahm mich bei der Hand.
“Aber wie kommt es dass sie gerade hier ist. Ich meine. Ich hab sie noch nie zuvor gesehen. Wo kam sie auf einmal her?” wollte ich wissen, aber Artur ging darauf nicht ein.
Stattdessen ging er vorweg den kleinen Flur entlang zurück.
“Ich werde dir alles erklären wenn die Zeit dazu da ist, aber im Moment ist dafür keine Zeit, was schon irgendwie seltsam ist” sagte er und grinste dabei.
Ich verstand weiterhin nichts. Weder warum er grinste, noch woher die Sirene, oder wie das Mädchen dort hinten hieß, herkam.
Es dauerte nicht lange und vom Ende des Gangs hörte ich laute, tumultartige Geräusche.
“Artur...” sagte ich unsicher während wir weiter den Gang zurückgingen.
Erst jetzt wurde mir bewusst wie weit ich wohl in den Keller hinab gestiegen sein musste.
Wir waren schon fast zehn Minuten unterwegs, und noch immer konnte ich nicht das Ende des Gangs erkennen.
Wieder ertönte ein lautes Scheppern, gefolgt von einem noch viel lauteren Geräusch.
Es hörte sich an wie zerberstendes Metall.
“Artur...” sagte ich und versuchte mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.
Mein Freund, der Hausmeister reagierte darauf indem er mich noch fester am Handgelenk fasste und schneller die Flure entlang führte.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit bogen wir um eine letzte Ecke und ich konnte die von mir bekannten Türen wieder sehen.
Die zu Arthurs Werkstatt, und die zu dem Heizungsraum.
Das tumultartige Geräusch hatte etwas nachgelassen, aber das schien Artur eher zu beunruhigen.
Vor seiner Werkstatt angekommen ließ er meine Hand los und sah mir fest in die Augen.
Geistesabwesend rieb ich mir mein Handgelenk. Es schmerzte leicht. Erst jetzt merkte ich wie fest sein Griff gewesen war.
“Warte hier” sagte er und riss die Tür zu seinem Büro auf bevor er sich nochmal zu mir umdrehte.
“Egal was passiert, du wartest hier, okay?”
Was war auf einmal mit ihm los. Er war doch sonst nicht so streng zu mir. Was sollte das?
“Hast du verstanden?”
“Ja, ist schon gut. Ich bin ja kein kleines Kind mehr” sagte ich, und im nächsten Moment war er verschwunden.
Nun stand ich also da. Vor der Werkstatt des Hausmeisters.
Meine Stunde musste doch bestimmt schon angefangen haben, dachte ich.
Ob jemand wohl schon nach mir gefragt hatte?
Vielleicht sollte ich mal in das Klassenzimmer gucken gehen? überlegte ich.
Nein, ich hatte es Artur versprochen, erinnerte mich eine innere Stimme.
Das Poltern wurde wieder lauter. Und auch das andere Geräusch, jetzt hörte es sich mehr wie ein reißendes, metallisches Geräusch an.
Unsicher klopfte ich gegen die Werkstatttür.
“Arthur...” sagte ich unsicher und spähte den Gang hinab. Noch einmal das Polternde gefolgt von dem reißenden Geräusch. Diesmal wesentlich näher, und auch um ein vielfaches Lauter.
“Artur…” sagte ich nun deutlich lauter, und ich klopfte auch energischer an die Tür.
“Ja ich komme gleich” hörte ich gedämpft seine Stimme.
Es klapperte hinter der Tür, und irgendetwas Schweres, Metallenes fiel zu Boden.
In meinem gesamten Schullalltag hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht wie wohl die Werkstatt eines Hausmeisters aussehen würde, aber jetzt überlegte ich was sich alles darin befinden könnte. Es klapperte erneut, und wieder hörte ich wie Metall zu Boden fiel.
Ich hörte wie mehrere Stapel umher geworfen wurden, und Kartons oder Kisten ausgeschüttet wurden.
Er sucht etwas, sagte diese Innere Stimme in meinem Kopf. Und wenn er es nicht bald finden würde, bekäme ich ein richtiges Problem.
Vom Ende des Flurs wurde es seltsam hell, und einige Kartons, und ich sah wie Stühle durch die Luft flogen laut polternd und klappernd um die Ecke gewirbelt wurden.
Sie prallten von der gegenüberliegenden Wand ab und zerbarsten.
Da hatte Arthur aber später mächtig zu tun, dachte mein überforderter Verstand.
Was dann folgte verschlug mir mit einem Mal den Atem. Eine riesige, schuppige Gestalt zwängte sich um die Ecke des schmalen Flurs entlang.
Ihr massiger, schuppiger Körper zwängte sich den Gang entlang. Mit ihrem Rücken zertrümmerte sie einige Deckenlampen wodurch ein Teil des hintern Flurs nun im Dunkeln lag.
Ich traute meinen Augen nicht. Jede meiner Gehirnwindungen sagte mir dass das vollkommen unmöglich war, und dennoch bog ein riesiger, braun-roter, schuppiger Drache um die Ecke herum und begann laut zu brüllen.
Das war es also. Das Geräusch das ich fälschlicherweise für etwas Metallisches gehalten hatte war das brüllen eines Drachens gewesen.
Manchmal wünschte man sich doch Unrecht zu haben.
“Arthur” rief ich und klopfte erneut feste mit der rechten Hand gegen die Tür zu seinem Büro. Nichts geschah.
“ARTHUUUUUR!” schrie ich nun förmlich während das Drachenähnliche Wesen näher kam.
Es war nun vollkommen um die Ecke herum gekommen, und ich konnte sehen wie die klauen besetzten Pfoten auf dem Betonboden kratzen, während die breiten Flügel an der Decke streiften.
Wieder öffnete es kurz sein Maul und schrie aus voller Kehle. Das Blut schien mir in den Adern zu gefrieren.
Wie angewurzelt schaute ich dem Schauspiel zu während das Wesen sich mir immer mehr näherte.
Nun öffnete der Drachen sein Maul und ein langer heißer Feuerschwall kam daraus hervor.
Egal was ich Artur versprochen hatte, das war zu viel.
Ich löste mich aus meiner Starre und hechtete gerade noch zur Seite bevor die Flammen über meinen Kopf hinweg schossen.
Ich rappelte mich auf, und griff nach meinem Rucksack.
In Windeseile war ich den Beinen und hechtete die Treppen hinauf.
Gerade in dem Moment als der Drache das Ende des Gangs erreicht hatte, und zu mir empor starrte flog die Tür zum Hausmeister Büro auf, und Artur kam heraus.
Jedenfalls dachte ich dass es Artur war, allerdings sah er ganz anders aus als ich ihn kannte.
Statt seines blauen Overalls trug er nun ein langes, weißes Gewand mit breitem, rotem Kreuz auf der Brust. Auch hatte er seine Basecap gegen einen metallenen Helm eingetauscht.
In seiner rechten Hand, in der er normalerweise einen Besen schwang hielt er nun ein riesiges, silbrig glänzendes Schwert, und in der linken Hand hielt er schützend ein großes metallenes Schild gegen den Feueratem des Drachen in die Höhe.
Er duckte sich unter dem Feueratem des Drachen hinweg und sah zu mir auf.
“Lauf Junge. Ich werde hiermit schon fertig” rief er mir in dem lauten Getöse zu.
Geschah das hier wirklich dachte ich für einen Moment benommen und sah fasziniert auf die fantastische Szenerie hinab.
“Lauf endlich!” schrie Arthur endlich, und als der Drachen eine Pranke hinab segeln ließ, und ihn damit zur Seite schleuderte folgte ich seinem Rat.
Ich hechtete mehrere Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinauf, und wandte mich nach rechts.
Das Ziel war die Ausgangstür des Schulgebäudes die nur wenige Meter vor mir lag. Hinter mir hörte ich wild polternd wie der Drache mir folgte, und auf seinem Weg hinauf einiges Mobiliar zerstörte.
Ich hörte wie etliche Lampen herausgerissen wurden, und wie Glas zersplitterte.
Der Drache sah mich, und spie erneut seinen feurigen Atem hinter mir her.
Zum Glück hatte ich eine kleine Entfernung zwischen uns gebracht, und er konnte mir nichts anhaben, dennoch wurde die Luft um uns herum plötzlich erschreckend heiß.
Seltsamerweise dachte ich in diesem Moment wie gut dass wir Arthur haben. Der kann hinterher wieder alles reparieren.
Aber würde er das wirklich tun?
War er immer noch Hausmeister? Sein seltsamer Auftritt nur Sekunden zuvor ließ mich daran zweifeln.
Ich stürmte weiter auf die Tür ins freie zu, als ich für einen Moment stoppte, denn was ich dort sah ließ mich erneut an meiner geistigen Gesundheit zweifeln.
Dort wo eigentlich der Schulhof sein sollte, erstreckte sich eine Kilometerweite Ebene.
Grünes Gras, statt tristen grauen Betons. Bäume statt Holzbänke.
Lediglich das brüllen des Drachen hinter mir spornte mich an nicht zu lange zu zögern.
Egal was dort draußen war, es war sicherlich allemal besser als der Drache hier drin, also stieß ich die Türen weit auf, und wurde fast augenblicklich von der gleißend hellen Sonne geblendet.
Ich hörte Hufgetrappel hinter mir, wagte jedoch nicht zurück zu blicken, zu groß war meine Angst vor dem Drachen der mich verfolgte.
Ich spürte wie etwas näher kam, und bekam es langsam mit der Angst zu tun, als ich plötzlich in die Höhe gehoben wurde und mich wenig später auf dem galoppierenden Rücken eines Pferdes wieder fand.
“Wie? Was?” war alles was ich herausbrachte während ich mich an Arthurs Rücken klammerte.
Ich hab wirklich keine Ahnung mehr wie lange wir dahin ritten, aber irgendwann merkte ich wie wir langsamer wurden und ich klammerte mich nur noch fester an den Rücken meines Vordermanns und hielt die Augen fest geschlossen.
“Hey” sagte er ruhig, und versuchte sich nach mir umzudrehen, aber ich hielt mich weiter krampfhaft an ihm fest. Immer noch sah ihn nur schwärze. Ich befürchtete wenn ich meine Augen öffnete, würde ich wieder den Drachen sehen, und das wäre das letzte was ich zu Gesicht bekommen würde.
“Hey, lass mal ein bisschen locker Tom” sagte er und strich mir mit einer Hand über den Arm um mich etwas zu beruhigen.
“Ich… ich kann nicht” stammelte ich immer noch krampfhaft an ihn klammernd.
“Aber du musst” sagte Artur. “Sonst fallen wir gleich beide runter” fügte er hinzu, und ich merkte dass er es ernst meinte. Wenn ich mich nicht beruhigte würden wir gleich beide herunter fallen.
Rückwirkend kann ich nicht sagen was mich wirklich dazu brachte meine Umklammerung zu lockern. Ob es sein gutes Zureden, oder einfach die Erwähnung meines Namens war, jedenfalls half es etwas. Ich lockerte meinen Griff um seine Taille und öffnete einen Spalt breit meine Augen.
“So ist es besser” sagte er. Mittlerweile war das Pferd ganz zum Stehen gekommen, das erkannte ich mittlerweile.
Panisch sah ich mich um. “Warum sind wir denn stehen geblieben?” fragte ich entsetzt.
“Der Drache, das Ding wird uns doch gleich fressen” stammelte ich voll panischer Angst, und sah wie wild um mich.
Artur lachte nur milde auf, und strich mir nun über den Rücken.
“Keine Angst meine Junge. Drachen sind zwar sehr gefährliche Wesen, aber sie laufen nicht sehr gerne. Wir haben sie längst abgehängt.”
Umständlich stieg ich von dem Rücken des Pferdes ab. Das heißt ich fiel mehr als das ich wirklich abstieg. Als nächstes sah mich um.
Von meiner Schule war keine Spur mehr zu sehen. Auch das Schulgelände war verschwunden.
Wo waren wir? Ich konnte mich an keinen Ort in meiner Stadt erinnern der dieser Umgebung auch nur im Entferntesten ähnelte.
Um uns herum befand sich die größte Grünfläche die ich je in meinem Leben gesehen hatte.
Wir standen auf einem staubigen Pfad und überall wo ich hinsah war es nur grün.
Vor uns erstreckte sich der gesamte Horizont in satten grünen Farbton.
Zur rechten Seite konnte ich weit entfernt Wälder erkennen, auf der anderen Seite sah ich schwach ein paar Häuser, nicht viel mehr als ein halbes Dutzend.
Ich drehte mich um. Nichts. Nichts außer weiter grüner Landschaft.
Artur stieg um einiges eleganter aus seinem Sattel und landete neben mir.
Er reichte mir die Hand und half mir auf die Füße.
Jetzt, da ich etwas zur Ruhe kam betrachtete ich meinen Freund das erste Mal von oben bis unten. Strahlend stand er da in seiner Verkleidung. Er trug etwas was ich normalerweise nur aus alten Filmen kannte.
Es war eine Art Kettenhemd, und darüber trug er ein weißes Bettlaken mit rotem Kreuz auf der Brust. Zu allem Überfluss saß auf seinem Kopf, der normalerweise selten etwas anderes als seine schmutzige Baseball Kappe trug, ein metallener Helm.
Doch das alles war in diesem Moment erst mal nebensächlich, also schob ich es beiseite.
“Artur. Wo sind wir?” fragte ich ihn und wies auf die weite Landschaft.
Er schien mich gar nicht recht verstanden zu haben, und stand weiter mit in die Hüften gestützten Händen neben mir.
“Arthur?” fragte ich vorsichtig, weil ich schon Angst hatte er wäre irgendwie weggetreten, aber da irrte ich mich.
“Du stellst die falsche Frage Tom” sagte er ruhig ohne mich anzusehen, dann atmete er tief ein, und legte mir eine Hand auf die Schulter.
“Die richtige Frage müsste lauten: Wann sind wir?”
Wir gingen still schweigend in Richtung der kleinen Siedlung hinüber. Artur hielt sein weißes Pferd locker am Zügel, und es trottete gelangweilt hinter uns her.
Immer wieder sah ich mich ungläubig nach allen Seiten um.
Zuerst hatte ich seine Frage nicht richtig verstanden. Danach für einen Scherz gehalten.
Was sollte das bedeuten? Wann sind wir? zermartere ich mir mein Hirn.
Klar, die Gegend wisch stark von der Umgebung ab die ich eigentlich erwartete hatte, aber...
Innerlich weigerte sich ein Teil von mir die Frage zu verstehen, ja sogar die Frage nach der Frage zuzulassen.
Jener Teil meines Hirns, der Rational denkende Teil, glaubte nicht an so etwas wie Zeitreisen, oder was auch immer hier vor sich ging.
Andererseits waren die Anzeichen für eine deutliche Veränderung unübersehbar.
Die Landschaft, so grün und unverbraucht.
Kaum Spuren moderner Zivilisation, wenn man von den spärlichen Hütten mal absah.
Und dann war ja noch die Sache mit dem Drachen.
Wobei? überlegte ich. Der ist ja in meiner Schule aufgetaucht.
“Also?” fragte Arthur nach einer gefühlten Ewigkeit, während ich immer noch in Gedanken über die ganze Situation nachdachte.
“Also was?” fragte ich ihn zurück. Mir war seine anfängliche Frage mittlerweile schon ganz in Vergessenheit geraten.
“Hast du über die Frage nachgedacht?” sagte er und schenkte mir zugleich ein gütiges, ruhiges Lächeln.
Ich brauchte einen Moment bis ich sprach.
Später erzählte er mir mal dass man manchmal die Zahnräder in meinem Kopf klicken hören könnte.
“Ehrlich gesagt kommt mir hier einiges bekannt vor, aber…” sagte ich zaghaft, und blickte auf die Felder und Wiesen um uns herum.
“...um ehrlich zu sein, glaube ich nicht mehr das wir im Jahr 2019 sind” sagte ich ruhig.
Obwohl meine Worte im Kopf wenig Sinn ergaben spürte ich tief in mir drinnen eine Gewissheit.
“Da glaubst du schon mal richtig” gab Arthur zurück und lächelte mich aufmunternd an.
Wieder sah ich mich unsicher um.
“Das bedeutet aber jetzt…” sagte ich nachdenklich und sah ihn wieder fragend an.
Artur machte mit der freien Hand eine kreisende Bewegung die “nur weiter” zu bedeuten schien.
Wieder sah ich mich um.
Tja, was bedeutete es denn konkret?
Gab es Zeitreisen außerhalb der Comic und Fantasy Literatur? fragte meine innere Stimme.
Wenn man mich ein paar Minuten früher gefragt hätte, hätte ich jeden augenblicklich für Verrückt erklärt, aber…
“wir sind immer noch in unsere Stadt. Nur existiert sie noch nicht?” fragte ich unsicher.
Arthur lächelte nachsichtig.
“Na ja. Sie existiert schon” sagte er bedächtig und wies auf die kleine Hütten Ansammlung wenige Meter von uns entfernt.
“Nur nicht so wie du sie vielleicht kennst. Das dort vorne. Das ist sie” sagte er, dann korrigierte er sich noch einmal. “Na ja. Also das wird sie einmal werden.”
Mit weit offenen Augen sah ich ihn verwundert an.
Wir erreichten die ersten Hütten nur wenige Minuten später.
Fasziniert sah ich mir die aus einfachsten Steinen aufeinander gestapelten Häuser an.
Die Meisten Dächer waren mit Stroh bedeckt und Türen schienen auch nur die wenigsten zu besitzen.
Wir gingen die Hauptstraße, die nur aus fest gestampfter Erde bestand hinein und folgten ihr.
Je weiter wir in die Stadt, die später mal meine Heimatstadt werden sollte, vor drangen, umso mehr wurde mir bewusst dass wir wohl einen ganz schön großen Satz in der Zeit gemacht haben mussten.
Überall sah ich Menschen in abgetragenen Lumpen, und schmutzigen Gewändern.
Ich selbst kam mir in meiner Jeans, meinen Turnschuhen und dem Sweater seltsam unpassend vor.
“Bleib dicht bei mir Tom” sagte er und schob mich ein wenig hinter sich. Sein Helm und seine Rüstung verbargen mich beinahe komplett.
So abgeschirmt passierten wir die wenigen Häuser.
Arthur wollte nicht dass wir zu viel Aufmerksamkeit auf uns lenkten.
Langsam stieg die Straße an, und ich begann leise zu keuchen.
Ich konnte mir nur ausmalen wie es für Arthur war, der noch so viel Metall zusätzlich an seinem Körper trug.
Aber er ging aufrecht wie eh und je den Weg entlang. Unser Ziel war eine kleine Festung auf einer Erhöhung.
In meiner Zeit waren von der Festung nur noch wenig mehr als ein paar Steine übrig geblieben.
Nicht viel mehr als eine oder eine halbe steinerne Wand. Doch hier, im jetzt, ragte die Festung wie ein Wolkenkratzer in einer leeren Landschaft heraus.
Warnend und drohend zugleich hob sich das Bauwerk ehrfurchtgebietend von der umliegenden Gegend ab.
Im Geschichtsunterricht an meiner Schule glaubte ich mal etwas über dieses Gemäuer gehört zu haben, wenn ich mich recht erinnere hatten wir die Ruinen in der Grundschule auch einmal besucht, aber die Festung nun in der Blüte ihrer Zeit zu sehen war nochmal etwas völlig anderes.
Mein Verstand war immer noch damit beschäftigt alles zu verarbeiten als Arthur mich unsanft auf die Seite zog.
Vier berittene Männer kamen aus dem großen Haupttor heraus gestürmt und hätten mich um ein Haar nieder gemäht.
Sie schossen in wildem Galopp an uns vorbei und würdigten uns dabei keines Blickes.
Mir fiel auf dass einer der Männer meinem Begleiter verblüffend ähnlich sah.
An der Spitze war ein Junger Mann geritten, vielleicht Mitte Zwanzig. Sein blondes Haar wehte wild hinter ihm her.
Er sah beinahe wie eine jüngere Version meines ehemaligen Hausmeisters aus.
Aus den Augenwinkeln sah ich wie auch Arthur den Männern wehmütig hinterher sah.
“Wer war das?” fragte ich neugierig, aber Arthur gab keine Antwort sondern sah den Männern weiter still hinterher.
“Arthur?” fragte ich wieder, diesmal etwas lauter. Erst jetzt schien er sich an mich zu erinnern und sah zu mir hinab.
“Ach… niemand” sagte er hastig. “Das war niemand. Zumindest niemand wichtiges.”
Er zog sein Pferd am Zügel und wir betraten nebeneinander gehend die Burg.
Wenige Minuten später hatten wir sein Pferd abgestellt, es wurde in einer der nahegelegenen Stallungen von seinem Sattel befreit, und sicher auch getränkt und gefüttert nahm ich mal an, während wir uns dem Haupthaus näherten.
Während ich mit meinen Sneakers selbst auf dem Kopfsteinpflaster wenig Mühe hatte mich fortzubewegen klapperte und schepperte Arthur neben mir und erinnerte mich an den Blechmann aus der Zauberer von Oz. Einen der Lieblingsfilme meiner Mutter, den ich mir meist an regnerischen Sonntagnachmittagen zusammen mit ihr anschauen musste.
“Was ist?” fragte Arthur als wir schon den halben Weg von den Stallungen bis zu dem großen Hauptgebäude zurückgelegt hatten.
“Ich weiß gar nicht was du meinst” gab ich ehrlich zurück. Erst jetzt viel mir auf das ich wohl ein breites Grinsen auf dem Gesicht trug.
Einige wenige Männer und Frauen, meist in schmutzigen Gewändern gehüllt, nicht ganz so armselig und schmutzig wie die Gewänder außerhalb der Burg, aber beinahe, sahen uns misstrauisch an.
“Hör auf zu grinsen” zischte mich Arthur an, doch als ich immer noch nicht aufhören konnte riss er abermals an meinem Arm und zog mich in einen kleinen Unterstand zur Seite.
“Hey, was soll das?” fragte ich als er anfing meine Schuhe und meine Hose mit Schmutz zu beschmieren.
Er sah sich kurz um, und zog dann ein langes Lumpen Gewand aus einer übelriechenden Ecke hervor und hielt es mir hin.
“Hier zieh das über” sagte er kurz und sah sich um ob uns andere Leute sahen.
Allerdings waren wir durch einen Wagen, und ein paar Strohballen vor den ohnehin nur wenigen Leuten verdeckt.
“Häh? Was? Nein, das zieh ich nicht an. Und war zum Teufel hast du mit meinen Klamotten gemacht?” fragte ich nun etwas ungehalten. Empört betrachtete ich die Flecken auf meiner Hose und meinen Schuhen.
Ich malte mir bereits aus was meine Mutter zu diesen vollkommen verdreckten Kleidungsstücken sagen würde.
“Wir haben jetzt keine Zeit Tom” sagte er ungehalten. Du fällst durch deine Art sowieso schon genug auf.”
Ich sah ihm verständnislos in die Augen. “Was meinst du mit meiner Art? Was soll denn daran nicht stimmen?”
“Na zum ersten” sagte er und begann aufzuzählen. “Du sprichst mich mit dem Vornamen an. Das tut hier niemand. Schon gar kein kleiner Junge” sagte er und hielt einen Finger in die Höhe.
“Zweitens sehen deine Kleidung und deine Schuhe viel zu Modern und zu gut aus” sagte er und hielt einen weiteren Finger in die Höhe.
“Solange wir hier sind muss ich dich verstecken” sagte er. “Der Drache vorhin war nicht das schlimmste was uns hier droht” sagte er und sah sich abermals nach etwaigen Zuhörern um.
“Wir müssen immer noch auf der Hut sein Also bitte Tom, mach was ich dir sage, und zieh da an” sagte Arthur und hielt mir die Lumpen hin.
Ich roch kurz an dem mit dargebotenen Stück Stoff, es stank fürchterlich, aber ich zwängte mich dann doch hinein.
“Ach so, und Kinder in dieser Zeit Lachen nicht. Und Grinsen tun sie auch nicht” fügte er mit Blick auf mein neuerlich aufflackerndes Lächeln hinzu.
“Versuch dich zusammen zu reißen während ich daran arbeite wie wir schnellstmöglich wieder von hier wegkommen Tom” sagte er und sah auf die Apparatur auf seiner Brust.
Neu eingekleidet setzten wir unseren Weg in Richtung des Hauptgebäudes fort.
Zunächst fiel es mir schwer durch den bestialischen Gestand der jetzt von mir ausging überhaupt etwas zu atmen. Arthur hatte es nicht dabei belassen nur meine Kleidung zu beschmutzen, sondern auch noch meine Wangen und meine Stirn mit Dreck verschönert.
Für einen kurzen Moment hatte ich ernsthaft darüber nachgedacht ob ich wissen wollte woraus dieser Dreck auf dem Boden bestand.
Aber ich entschied mich dagegen. Manchmal musste man einfach nicht alles Wissen.
Zu meinem Glück, wenn man von Glück überhaupt sprechen konnte, ließ der Gestank nach ein paar Minuten etwas nach. Arthur erzählte mir später dass der Geruch keineswegs nachgelassen hatte, und das ich immer noch wie ein verendetes Wiesel riechen würde, aber da ich ohnehin nichts daran ändern konnte, entschied sich der Körper dafür den Gestank zu ignorieren oder auszublenden.
Im Grunde genommen war es mir einerlei.
Wir erreichten das Hauptgebäude und gingen durch einen steinernen Durchgang und passierten eine massive Tür mit dunklen Metallbeschlägen.
Im Jahr 2019 hätte solch eine Tür sicherlich in ein Museum gehört dachte ich, und musste direkt darauf ein Grinsen unterdrücken.
Wenn man genau bedachte, überlegte ich gehörte hier alles in ein Museum. Wenn man es noch genauer nehmen wollte auch Arthur und ich. Zumindest in der jetzigen Aufmachung.
Wir betraten einen großen Eingangsbereich von dem verschiedene Treppen nach oben und hinab weiter führten.
Zu meiner Rechten sah ich einen großen Saal der Menschen leer zu sein schien.
Auf der anderen Seite war ein Raum hinter einer ebenso massiven Tür verborgen.
“Wow” sagte ich ehrfürchtig und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Die Fenster über uns, und an den Seiten des großen Saals rechts von uns warfen buntes Licht durch die vielen Buntglasfenster hinein, und durchfluteten den Raum mit diesem Zauber.
“Kannst du wohl sagen” murmelte Arthur stolz. Tom sah zu ihm auf, und erkannte dass er ein breites Grinsen zur Schau trug.
Dann, mit einer weit ausladenden Geste sagte er: “Willkommen in meinem Zuhause. Meinem richtigen Zuhause.”
“Hört, hört, euer Zuhause verehrter Gemahl?”
Eine weibliche Stimme drang von den vor uns liegenden Treppenstufen herab.
Instinktiv wandte ich meinen Blick in diese Richtung. Dort, knappe fünf Meter von uns entfernt stand eine wunderschöne Frau in gold-gelben Gewand und schaute zu uns hinunter.
Aber in ihrem Blick lag etwas Geheimnisvolles.
War sie amüsiert? überlegte ich, fand aber direkt dass es das nicht ganz traf.
Wenn man es von ihrem Standpunkt betrachtete konnte man das vielleicht sogar verstehen.
Ein ältere Mann, in einem Bettlaken gehüllt, und ich in diesem Kartoffelsack. Wir mussten beide stinken, und erbärmlich aussehen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl das es ihr darum nicht ging.
Langsam kam die Frau die Treppenstufen hinab. Ihr langes, kastanienbraunes Haar hatte sie zu einem langen Zopf geflochten, der ihr locker über die Schulter hing.
“Guinevere” sagte Arthur fast tonlos und starrte sie an.
Ich sah ihren misstrauischen Blick und gab ihm einen kurzen Rempler der mir fast mehr weh tat als ihm. Woraus bestand der Kerl? Eisen?
Dennoch schien der Rempler den gewünschten Effekt zu haben. Artur wandte sich kurz mir zu und dann wieder der schönen Frau.
“Guinevere, eure atemberaubende Schönheit hat mit mir gerade genau jenes gemacht.
Es hat mir den Atem und auch die Stimme verschlagen.
Ihr verzeiht einem alten Mann doch?” sagte er und trat einige Schritte auf sie zu. Sie reichte ihm ihre Hand, und er küsste sie sanft.
Sie schien ihm verziehen zu haben.
“Ich denke das hier ist mehr mein Heim, als das eure” sagte sie, “so selten wie ihr hier erscheint”
Artur machte eine entschuldigende Geste in der er den Kopf leicht schräg stellte und sie anlächelte.
“Und wer ist dieser Stallbursche den ihr mir hier hereingebracht habt liebster Gemahl?”
Sie wies mit einem angeekelten Finger in meine Richtung, und wieder brauchte Artur etwas bis er verstand was sie sagte.
Es war beinahe so als ob er wirklich von ihr so fasziniert und abgelenkt war dass er ihr nicht zuhörte.
“Ach so” sagte er schließlich als er ihrem Finger folgte und mich sah.
“Ähm…”sagte er nachdenklich. Dieser kühne Junge hat mir geholfen gegen den Drachen zu bestehen.
Bei der Erwähnung des Wortes Drachen blickte sie beinahe erschrocken rein.
“Ich habe ihn mit hinauf genommen um ihm zur Belohnung an meiner Tafel speisen zu lassen”
Sie zog wieder verächtlich eine Augenbraue hoch, und Artur versuchte sie schnell wieder zu beruhigen.
“Er ist nur ein armer Bauer, und morgen ist er wieder weg. Ich wollte ihm vor dem Mahl noch Merlin vorstellen”
Merlin? überlegte ich. Den Namen hatte ich einmal gehört, aber wo?
“Dem Zauberer?” fragte sie beiläufig, und wieder konnte ich die Geringschätzung in ihrer Stimme hören. Anscheinend hielt sie nicht so viele Stücke auf ihn.
Der Zauberer? dachte ich verwundert. Meinte Arthur das ernst? fragte mein erschöpfter Verstand, der langsam aber sicher überfordert war.
Aber so etwas wie Zauberei gibt es doch nicht, protestierte mein Hirn. Zumindest ein kleiner Teil meines Hirns.
Aber eigentlich sollte es Drachen auch nicht geben, hielt ein anderer Teil meines Verstandes dagegen.
Ein anderer wandte ein dass es auch Frauen die einen mit ihrer Stimme verzaubern und umbringen nicht gab, und schon gar keine Drachen.
“Ja genau” sagte Arthur und riss mich wieder ins hier und jetzt zurück.
Arthur schien von ihrer Gehässigkeit nichts gemerkt zu haben, jedenfalls sprach er mit vollkommen ruhiger Stimme weiter.
“Habt ihr ihn vielleicht gesehen meine Liebe?” fragte er und ließ die Frau dabei nicht einen Moment aus den Augen.
Guinevere blickte immer noch geringschätzig auf mich herab, allerdings konnte ich es ihr auch nicht verdenken.
Ich wusste wie ich roch, und konnte mir vorstellen wie ich aussah.
“Ich denke er wird sich, wie üblich in den Katakomben aufhalten, mein liebster Gemahl” und jetzt war ich mir ganz sicher was die Verachtung in ihrer Stimme betraf.
“Vielen Dank” sagte Arthur rasch, und winkte mir zu.
“Komm rasch” sagte er und wandte sich dann nach rechts zu den Katakomben.
Ich konnte ihre Blicke noch auf meinem Rücken spüren, selbst als wir schon längst außer Sicht waren.
Wir gingen eine steinerne Treppe hinab die mehrere Biegungen machte, und immer tiefer führte.
Der Flur wurde schmaler, und ein beklemmendes Gefühl machte sich in meiner Brust breit.
“Wer war das?” fragte ich als wir eine weitere Biegung passierten.
Der Weg wurde zuerst von schmalen Fenstern, später von noch schmaleren Öffnungen im Mauerwerk, und schließlich nur noch von Fackeln beleuchtete.
Arthur blickte nervös über seine Schulter, dann wandte er sich wieder an mich
“Wen meinst du?” fragte er als wir uns einer großen Tür näherten.
“Na die Frau vorhin” sagte ich. Noch immer sah er sich über seine Schulter hinweg um.
Arthur wirkte seltsamerweise nervös.
“Ist alles in Ordnung?”
“Was? Ja, selbstverständlich” sagte er kurz. “Das war übrigens Guinevere. Meine Frau” sagte er nicht ohne Stolz in seiner Stimme.
Wir folgten dem Gang bis zu seinem Ende, und gelangten an eine kleine Tür.
Die Tür war wie die anderen Türen auch aus schwerem Holz mit massiven Beschlägen ausgeführt. Mir fiel auf dass sie keinerlei Schlüsselloch besaß. Allerdings war ein großer Türklopfer in Form eines großen Vogels angebracht.
Ich überlegte einen Moment ob es ein Adler sein könnte, war mir aber nicht sicher.
Arthur blieb vor der Tür stehen und sah sich nochmals um.
Dann klopfte er dreimal gegen die Tür.
“Wie lautete das Zauberwort” hörte ich eine leise, fast schon schrille Stimme krächzen.
Ich war mir zunächst nicht sicher woher die Stimme kam.
Kam sie wirklich von drinnen? überlegte ich und war mir meiner Sache nicht mehr so sicher.
Dafür war sie eigentlich zu leise.
Aber hier war sonst niemand außer uns.
“Oh.. man” sagte Arthur und verdrehte die Augen. “Ist das wirklich nötig?” fragte er, doch ich war mir sicher dass es eigentlich als rein rhetorische Frage gemeint war.
“Falsches Zauberwort” antwortete die Stimme und verstummte dann.
Arthur atmete tief durch und sah mich kurz an.
“Er ist ein verrückter alter Kauz. Aber das war er eigentlich schon immer”
Ich hatte keine Ahnung von wem er sprach, schließlich waren wir hier alleine, also nickte ich nur zustimmend.
Arthur ließ die Schultern sinken und klopfte erneut dreimal. Diesmal verzichtete er darauf sich umzusehen.
Scheinbar war er zu der Überzeugung gekommen dass uns niemand gefolgt war.
Wieder kam die schrille, leicht krächzende Stimme.
Noch immer hatte ich keine Ahnung woher sie kam. Es klang als käme sie direkt.
“Wie lautet das Zauberwort?” krächzte der Türklopfer.
Ich traute meinen Augen nicht. Mitten in seinem Schnabel hielt der Adler, jetzt war ich mir ziemlich sicher dass es ein Adler war, einen großen messing-farbenen Ring.
Und dieser Schnabel öffnete und schloss sich bei jedem Wort.
“Merlinus maxime magus” sagte er leicht genervt und blickte dann wieder mich an.
Außerstande auch nur irgendwas zu sagen, oder meine Gefühle anderweitig zu zeigen, starrte ich zurück.
“Das ist richtig” krächzte der sprechende Türklopfer. Fast augenblicklich hörten wir wie riesige Riegel zurückgezogen, und schwere Ketten hinter der Tür klirrten.
Dann, nach einer schier endlosen Sekunde sprang die Tür einen schmalen Spalt weit auf.
Arthur trat an die Tür heran und drückte sie auf.
“Merlin?” fragte er in den Raum hinein.
Ich folgte ihm zögerlich.
Der Raum, war das seltsamste was ich in meinem Leben je gesehen hatte. Überall standen kleine Violen, und Flaschen herum.
Ich sah ein Schneidbrett und ein Messer mit kunstvoll verziertem Griff, sowie eine Messingwaage mit feinen Gewichten.
Die Luft roch erdig, und feucht. Beinahe so wie nach dreitägigen Regen, und doch waren da noch andere Gerüche. Kräuter, und Gewürze.
Ich musste unwillkürlich an die Pfefferminzbonbons meiner Mutter denken.
Der Boden bestand auch aus fest gestampfter Erde, und vor den kleinen Fenstern hingen bunte Gläser.
Es war kalt. Mein Atem bildete kleine Wölkchen vor meinem Mund.
“Merlin” erkundigte Artur sich erneut und ging weiter in den Raum hinein. Ich folgte ihm.
Was sollte ich auch sonst tun. Viele Optionen blieben mir schließlich nicht.
In einer Ecke sah ich ein kleines Feuer in einem Kamin brennen. Darüber hing ein großer Schmiedeeiserner Topf indem eine grünliche Flüssigkeit brodelte. Von hier sah sie wie dickflüssige Erbsensuppe aus, aber ich bezweifelte irgendwie das es sich wirklich darum handelte.
Die Flüssigkeit war mir egal, aber das Feuer nahm ich gerne an. Ich trotte langsam hinüber, wobei ich mir die Gegenstände auf einem kleinen Tisch genauer ansah.
Hier lagen weitere Werkzeuge und Kräuter. Einige kamen mir bekannt vor, andere nicht. Einige Gegenstände hatten seltsam anmutende Formen, andere abstrakte Farben.
“Wo steckt der Kerl bloß” fragte Artur, und ich hatte das Gefühl das er mehr mit sich selbst sprach, als mit mir.
“Tom, rühr bitte nichts an, bis Merlin oder ich wieder da sind, okay?” fragte er erneut, und diesmal war ich mir sicher dass er mit mir sprach.
“Öhm, ja. Geht klar” sagte ich kurz. Zu fasziniert war ich von den Apparaturen auf dem kleinen Tisch.
“Aber wo gehst du hin?” fragte ich als es plötzlich einen lauten Knall gab, und die Tür wieder ins Schloss geworfen wurde.
Erschrocken drehte ich mich um, und sah wie von Zauberhand Schlösser zuschnappen, und Ketten durch die Luft segeln und die Tür verschlossen.
Ich lief auf die Tür zu, und zog an der Tür. Nichts.
Ich zerrte an den Ketten, aber sie bewegten sich nicht einen Millimeter.
Ich versuchte an der Türklinke zu drehen, aber auch dort tat sich nichts.
Er hatte mich eingesperrt, dämmerte es mir. Verdammt, warum hatte Artur das nur gemacht, grübelte ich vor mich hin.
Welchen Grund sollte er dafür haben.
Okay, ich war fremd hier. In einem fremden Haus, in einer fremden Zeit. Vielleicht wollte er mich beschützen. Aber wovor?
Ich beschloss das Beste aus der Situation zu machen und mich hier noch etwas umzusehen.
Was sollte ich auch sonst in der Zwischenzeit anstellen. Wenn er mich schon hier einsperrte musste es doch zumindest hier sicher für mich sein.
Also machte ich mich auf die Suche nach Interessanten Gegenständen. Ich schlenderte in eine Ecke auf der seltsame Papierrollen lagen. Ich zog aufs Geratewohl eine heraus, und ging mit ihr zu einem niedrigen Tisch. Ich entrollte das Papier, und stellte fest dass es ein seltsames Rezept für irgendeinen Heiltrank zu sein schien.
Die meisten Wörter konnte ich nur schwer entziffern, einige fehlten sogar gänzlich und waren durch Zeichnungen der entsprechenden Gegenstände ersetze worden.
Dort waren Bilder die ich als Gänseblümchen kannte, was aber auch Kamille sein konnte.
Oder auf einem anderen war das Zeichen für ½ und daneben das Bild eines Froschs oder einer Kröte.
Um ehrlich zu sein, wollte ich gar nicht wissen in welches Rezept ein halber Frosch reingehörte.
Sorgsam rollte ich das Papier wieder zusammen, und legte es beiseite.
Erst jetzt bemerkte ich dass neben mir ein kompliziertes Gerät aus Zeigern und Zahnrädern, und einem Stundenglas lag.
Wie ich erkennen konnte war das Glas gerissen, und feiner, pudriger Sand rieselte langsam heraus.
Ich griff nach dem Sand, und rieb ihn zwischen meinen Fingern hin und her.
Er fühlte sich gut an, fast wie rieselnde Seide. Was war das nur?
Und was war das für eine seltsame Apparatur? überlegte ich.
Plötzlich schreckte ich auf.
Ein Vogel, mit seltsam bläulich schimmerndem Gefieder flog durchs offene Fenster herein, drehte eine Runde über dem kerzenbesetzten Leuchter in der Mitte des Raums, und setzte sich dann seelenruhig auf das Ende des Tischs und pickte ein paar Körner auf die jemand wohl dort vergessen hatte.
“Husch, husch” rief ich, sprang auf, und wollte den Vogel vertreiben. Dabei stieß ich mit dem Bein gegen die Tischkante.
Der Tisch wackelte kaum, aber es reichte aus um das Stundenglas mit dem seltsam pudrigen Sand in Bewegung zu versetzen.
Noch bevor ich genau erkannte was geschah segelte es schon über den Rand des Tischs.
Ich griff danach und bekam die Apparatur mitsamt dem Stundenglas gerade noch zu packen, bevor es auf dem Boden zerschellte.
Eine kleine Sandwolke blieb in der Luft hängen, und bildete einen bläulichen, beinahe undurchsichtigen Vorhang. Wie tausend kleiner Sterne hingen die feinen Sandkörnchen glitzernd und funkelnd in der Luft.
Und was ich dann sah ließ mir meine Kinnlade buchstäblich hinunter sausen.
Die einzelnen Körner, die der kleine bläulich schimmernde Vogel mühsam aufgepickt hatte, flogen nun erneut aus seinem Schnabel, und landeten auf der Tischplatte.
Anschließend erhob sich der Vogel rückwärts in die Lüfte, drehte rückwärts fliegend eine Kurve um den Kerzen Leuchter, und flog, wiederum rückwärts aus dem Fenster.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf diese Szene.
Wie konnte das sein? fragte ich mich. Ein Vogel konnte nicht rückwärts fliegen.
Das war vollkommen unmöglich. Absolut ausgeschlossen.
Sicherlich, es gab Kolibris im brasilianischen Urwald, die konnten auf der Stelle fliegen, aber auch sie konnten nicht derart schnell und präzise rückwärts Fliegen.
Ich blickte hinunter und sah auf meine Uhr. Wieder traute ich meinen Augen nicht.
Die Zeiger auf meiner Armbanduhr liefen rückwärts. Zwar nur die Sekunden Zeiger, aber auch das war eigentlich unmöglich.
Was ging hier vor sich?
Der durch den herabgefallenen Sand entstandene Nebel löste sich allmählich wieder auf, und ich konnte wieder besser sehen.
Es zwitscherte, und der kleine Vogel flog wieder vorwärts durch das offene Fenster herein. Er vollzog abermals eine Runde um den Kronleuchter und landete ebenso elegant wie nur Minuten zuvor auf dem Tisch und begann einzelne Körner aufzupicken.
Jetzt viel mir erst auf, das die Körner auch wieder vollzählig waren.
Die Szene ähnelte der vorherigen derart stark das ich nicht an einen Zufall glauben konnte.
Aber hatte dies mit diesem seltsamen Pulver zu tun der auf dem Boden verstreut lag?
Ich beschloss das Ganze auf die Probe zu stellen.
Langsam, beinahe wie in Zeitlupe bückte ich mich zu dem zerbrochenen Stundenglas hinab. Oder zu dem was davon noch übrig war.
Die Apparatur an der das Glas befestigt war, schien für mich noch intakt zu sein, aber das Glas war an der unteren Seite gebrochen, und der feine Sand hatte sich über den Boden verteilt.
Mit beinahe tauben Fingern berührte ich das Glas und dann die fein puderigen Überreste darin. Noch immer hatte ich das Gefühl eher ein Stück Seide zu berühren als körnigen Sand.
“Au” sagte ich plötzlich und zog meine Hand ruckartig zurück.
Ich betrachtete den Finger aus der Nähe und sah eine leicht gezackte kleine Wunde auf der Spitze meines Zeigefingers.
Dunkel rotes Blut heraus quoll wie rote Erdbeergelee langsam daraus hervor.
Fasziniert betrachtete ich meinen Finger und den roten Lebenssaft, der nun meinen Finger hinab rann, als mir plötzlich eine Idee kam.
Ich bückte mich, und nahm ein wenig von dem weichen Sand zwischen Daumen und Zeigefinger meiner gesunden Hand.
Nachdenklich hielt ich den Sand dicht vor meine Augen und betrachtete ihn. Es waren nicht mehr als ein paar Körner, vielleicht zehn Gramm, vielleicht auch nur fünf.
“Ich muss verrückt sein” murmelte ich, dann lies ich vorsichtig den Sand auf die verletzt Fingerkuppe rieseln.
Wie schon zuvor bei dem kleinen rückwärts fliegenden Vogel, begann das Blut nun auch wieder meinen Finger wieder hinauf zu fließen.
Ein einzelner Tropfen der zu Boden gefallen war, flog nun auch beinahe wie von Zauberhand hinauf, und in die Wunde zurück.
Die Wunde verschloss sich wieder, und kein Blut war mehr zu sehen.
“Wow” war alles was mir dazu einfiel.
Plötzlich stellte ich fest dass ich Hunger hatte. Mir knurrte regelrecht der Magen.
Kein Wunder, dachte ich. Wie lange war es her dass ich das Haus verlassen hatte?
Ich konnte mich nicht erinnern. Neugierig betrachtete ich die wenigen Krümel die der Vogel übrig gelassen hatte.
Ich bückte mich erneut nach dem Zaubersand, diesmal darauf bedacht mich nicht noch einmal zu verletzen, und hob eine weiter kleine Menge auf.
“Was du wohl mal gewesen warst” fragte ich die Überreste der Krümel. Sie gaben mir natürlich keine Antwort, aber ich war sicher dass ich das in Kürze herausfinden würde.
Ich rieselte einige wenige Körner auf die Krümel, und versuchte dabei so viele wie möglich zu treffen. Dabei starrte ich in neugieriger Erwartung mit weit aufgerissenen Augen auf die Holzplatte.
Und tatsächlich die Krümel rotteten sich zusammen einige andere Schienen sich aus dem Nichts zu materialisieren. Ich kam mir vor wie die Brüder in dem alten Märchen mit dem Zaubertisch auf dem wie aus dem Nichts Speisen jeglicher Art entstehen konnten.
Ganz so einfach war es bei mir zwar nicht, aber immerhin.
Wenige Augenblicke später lag ein dampfender Leib frisch gebackenen Brots vor mir.
Auf der Oberfläche war noch eine Mehl decke zu sehen, die der Bäcker wohl beim Backen darauf gestreut hatte.
Es sah sehr lecker aus, und duftete noch besser. Gierig nahm ich es in die Hand, und riss ein Stück davon ab.
Genau wie ich erwartet hatte, war es knusprig von außen, und weich von innen.
Ich verschlang ein großes Stück und wollte mir gerade ein weiteres Genehmigen, als mir auffiel das ich großen Durst hatte.
Hm… überlegte ich. Woher sollte ich nun etwas zu trinken bekommen.
Zu Hause wäre ich einfach an den Kühlschrank gegangen, aber hier gab es weit und breit keinen Kühlschrank. Und auch keinen Wasserhahn. Ich war zu Hause auch nicht immer wählerisch.
Aber ich entdeckte einen leeren Becher. Ich spähte vorsichtig hinein, schließlich wollte ich keine Frosch Innereien herbei zaubern.
Es war eine klare Flüssigkeit. Vorsichtig stellte ich den Becher vor mich auf den Tisch, und betrachtet ihn nachdenklich.
“Wenn jeder diesen Sand hätte, gäbe es keine Hungersnot mehr. Niemand müsste mehr leiden” murmelte ich und beschloss genau das Arthur zu sagen wenn er wiederkam.
Ich hob eine Hand voll von dem Staub auf, und betrachtete den Becher noch einmal.
Schließlich zuckte ich mit den Schultern und ließ eine kleine Menge davon auf den Becher rieseln. Ich hatte wesentlich weniger genommen als bei dem Brot, aber auch ein wenig mehr als bei meinem verwundeten Finger.
Wie aus dem nichts erschien jetzt auch wieder eine klare Flüssigkeit nur wenige Zentimeter über dem Becherrand, und füllte ihn beinahe voll.
Mit beinahe ausgetrockneter Kehle griff ich nach dem Becher. Er war nun wesentlich schwerer als zuvor. Ich roch daran. Der Geruch erinnerte mich an Kirchen. Tiefe, rote Kirchen voll Frucht und einem süßen Versprechen.
Gerade in dem Moment als ich den Becher an mein Gesicht hob, wurden die Schlösser zurückgezogen, und die metallenen Ketten flogen durch die Lüfte.
Das Schloss wurde gedreht, und die Tür schwang langsam nach innen auf.
“Tom” hörte ich die bekannte Stimme meines Freundes Arthur, aber wer die Tür hin eintrat war nicht Artur. Ein alter Mann, mit langem Haar und noch längerem weißen Bart betrat das Zimmer.
Er starrte mich an, sah den Becher und fing lauthals zu kreischen an.
Der Becher neigte sich vor, und die Flüssigkeit schwappte über den Rand.
Genau in diesem Moment, als die klare Flüssigkeit meine Lippen erreichten, wusste ich dass ich einen Fehler begangen hatte.
Wie ein loderndes Feuer breitete sich ein Schmerz in meinem Mund aus, obwohl sich nur sehr wenige Tropfen in meinem Mund befanden.
Ich schleuderte den Becher von mir, wobei er klappernd und scheppernd auf den Tisch fiel.