Die Botin-Krieger von Milgrom - Oliver Henke - E-Book

Die Botin-Krieger von Milgrom E-Book

Oliver Henke

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Beschreibung

Im fünften Band der Abenteuer im Random-Universum verschlägt es Teile der famosen Dragon-Crew unfreiwillig auf den Planeten Milgrom, mitten hinein ins feindliche Tamarin-Imperium. Während ihre Freunde von Loop-Noor aus fieberhaft an einer geheimen Rettungsmission feilen, wird die Truppe um Kommandeur Keniatta unversehens mit den Lebensumständen im Reich seiner Nichte, der Tamarin-Kaiserin, konfrontiert. Dort ist deren Wille absolutes Gesetz. Offen wagt es niemand, dagegen aufzubegehren. Jedoch wächst in der menschlichen Bevölkerung zusehens der Unmut.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Random Universum –Die Botin-Krieger von Milgrom

Oliver Henke

Phantastische Erzählungen

Impressum

Von Oliver Henke sind außerdem diese Erzählbände erhältlich:

Abenteuer im Random-Universum

ISBN 978-3-83010-938-9

Abenteuer im Random-Universum: Sirenen der Finsternis

ISBN 978-3-89950-388-3

Abenteuer im Random-Universum: Kampf um die Zukunft

ISBN 978-3-89950-536-8

Random-Universum: Die Kinder des DAN

ISBN 978-3-86991-673-6

Mehr Informationen, Leseproben und ein ausführliches Lexikon auf:

www.randomuniversum.de

1. Auflage 2017Oliver Henke, „Random Universum – Die Botin-Krieger von Milgrom“

Texte: © Copyright by Oliver Henke, Leuschnerstr. 97, 34134 Kassel

Layout und Satz: Linus Keutzer

Umschlaggestaltung: Linus Keutzer

Umschlagillustration: Dirk Schulz

Innenillustration Tamarin-Kaiserin: Sven Papenbrock

Innenillustration Mandolohn, Tamarin-Tempel, Festung Prokunin, Stadtplan von Random: Knut Oschmann

Innenillustration Schwertfisch: Oliver Henke

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Pui Ling

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Für Pui Ling

1. Abenteuer

Prolog

Testflug des Grauens

Im Bann des Tamarin-Feuers

Mut gegen Macht

2. Abenteuer

Prolog

Liebe in Zeiten der Tamarin

Blutige Tränen

Bittere Wahrheiten

3. Abenteuer

Prolog

Die Macht des Schreckens

Terra incognita

Auf Messers Schneide

Ankündigung

Über Oliver Henke

Anhang/Lexikon

1. Abenteuer

Carpe diem!

Prolog

„Ein Regime, das seinen Untertanen die Würde raubt, kann nicht ewig bestehen!“

An dieser corelianischen Weisheit können auf Dauer weder rigider Zwang, noch plumpe Bestechungen etwas ändern. Denn symbolisch betrachtet entspricht der menschliche Freiheitsdrang einem besonders zähen Pflänzchen, dessen Saat, wenn sie erst einmal aufgegangen, nur schwer wieder zu vertilgen ist. Aber genau das verkörpert aus Sicht der zwanghaft ordnungsliebenden Tamarin-Kaiserin unkrauthaften Wildwuchs, welchen sie absolut nicht in ihrem streng reglementierten Reich haben will!

Es ist an ihren mechanischen Untergebenen dafür zu sorgen, dass Emanzipation und Liberalismus gar nicht erst aufkeimen! Geführt wird jenes Maschinenheer von den kaiserlichen Legatinnen1, Corelianerinnen, die schon von Hause aus nicht viel mit reaktionärem Gedankengut anfangen können.

Man sollte also meinen, es brauche Ereignisse epischen Ausmaßes, um eine absolute Diktatur, wie sie das Imperium Tamarinum zweifellos verkörpert, in ihren Grundfesten zu erschüttern. Jedoch wird das folgende Abenteuer belegen, das manchmal schon ein Wimpernschlag des Schicksals genügt, um ungeahnte Wirkungen zu entfalten …

1 Von Tamarin-Kaiserin Sabine gemäß Prioritätsbefehl S 166/A geschaffener und durch den Codex Imperiale (Prioritätsbefehl R I/12) definierter, von Hominiden bekleideter Hofrang. Momentan nur weibliche Legaten. Zur Amtstracht einer Legatin gehört ein bis zu den Knien reichender Umhang in individueller Wappenfarbe, der von zwei Schnallen mit achteckigem Schild gehalten wird, sowie Handschuhe. Ihre hohe Stellung, lässt sich schon daran ablesen, dass sie ausschließlich von der Tamarin-Kaiserin persönlich ernannt oder entlassen werden können und ihr direkt unterstellt sind. Folglich gehören die Legatinnen zur obersten Machtelite des Tamarin-Imperiums.

Testflug des Grauens

Trübe erscheint die Aussicht, welche sich den Offizieren der A. R. S. Dragon2 momentan bietet – dies gleich in doppelter Beziehung. Zum einen vernebelt ein Partikelsturm die Sicht durch die großen Scheiben des Offizierskasinos auf Raumbasis Mobile 5. Dadurch bleibt der sonst Trost spendende Anblick des orange schimmernden Begleitsterns weitgehend verborgen.

Allein mit diesem zeitlich begrenzten Phänomen könnten die Männer entspannt leben, wenn nicht zum anderen noch ein Wandel Ihrer gewohnten Arbeit ins Haus stehen würde. Bei dem Versuch, Anu-Kets Handlanger, Piratenkapitän Arab, dingfest zu machen, ist die A. R. S. Dragon durch den Beschuss von Safie-Rahs Schwertfisch erheblich beschädigt worden. Zwar leisteten die Mechaniker von Hippies Cousin Tatar Hindalla ganze Arbeit,3 doch reicht das den Ingenieuren der Sternenflotte keineswegs. Der zuständige Werftleiter von Mobile 5 hatte beim Anblick der Dragon die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und eine Generalinspektion des Schiffes angeordnet. Das Resultat fiel aus dem Blickwinkel der Dragon-Crew niederschmetternd aus: Ihr Gefährt muss generalüberholt werden. Dieser Vorgang dürfte mindestens ein Vierteljahr dauern. Da die Besatzung in diesem Zeitraum vom medizinischen Dienst nicht krankgeschrieben wurde, wird man den Männern zwangsläufig andere Arbeiten zuteilen.

Nun sitzt man also im Kasino zusammen, ein Getränk vor sich und harrt der Dinge, die da kommen werden. Es ist ungewohnt still. Jeder hängt schweigend seinen eigenen Gedanken nach und erwartet insgeheim das Eintreffen der neuen Marschbefehle. Der draußen tobende Partikelsturm drückt noch zusätzlich auf die Gemüter – Bon Jour Tristesse.

Schließlich erlöst der Ruf von Keniattas Kommunikator die Kameraden aus ihrer melancholischen Stimmung. Deprimierte Blicke der Freunde begleiten den Aufbruch Keniattas, der sich bei seinem direkten Vorgesetzten, Minor Grande4 Conja, melden soll.

Doch statt, wie erwartet, die neuen Marschbefehle für seine Crew zu erhalten, wird Keniatta angewiesen, sich auf dem Landgut Sandino einzufinden. Dies liegt auf dem gleichnamigen Mond und gilt als elitärer Treffpunkt für hochgestellte Persönlichkeiten. Hier, in äußerst angenehmer Umgebung, beraten die obersten Granden5 der Allianz6 Sternenflotte7, von ISD8 und MSD9 sowie des Nerunats10 absolut ungestört und abhörsicher. Normale Sterbliche, sprich niedere Dienstgrade, werden für gewöhnlich nicht dorthin vorgelassen.

Umso argwöhnischer ist Keniatta, als er nach seiner Ankunft auf Sandino die Raumfähre verlässt und sich dem Portal der Landeplattform nähert. Vor seinen Augen breitet sich die Architektur nach Art riesiger Schirmpilze aus, auf deren Oberflächen sich die verschiedenen Teile des Landguts Sandino verteilen. Die Stiele der Konstruktion ragen aus einer dichten Wolkendecke heraus und recken sich den wärmenden Sonnenstrahlen des benachbarten Fixsterns entgegen. Eine mechanische Vorrichtung justiert die verschiedenen Gebäudekomplexe stets so, dass sie nie im Schatten liegen. Feine Wasserstoffpartikel, welche die obere Atmosphäre schwängern, zaubern zudem immer wieder Regenbögen ans Firmament, was der Anlage zusätzliche Anmut verleiht.

Freilich kam Keniatta nicht hierher, um Urlaubsträumen nachzuhängen. Am zentralen Empfang teilt man ihm militärisch korrekt mit, er möge auf Terrasse 21 warten. Im angrenzenden Konferenzraum tagt zurzeit eine Kommission. Keniatta befürchtet schon, man werde ihn gleich vorladen, um Rechenschaft für zurückliegende Taten abzulegen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss er eingestehen, dass bei den letzten Einsätzen der A. R. S. Dragon nicht alles absolut gesetzeskonform verlief. Daher schießt dem Kommandeur11 blitzartig die Querfrage durch den Kopf, wer an welchem Aspekt welcher der zurückliegenden Missionen möglicherweise Anstoß genommen haben könnte? Vielleicht doch die Tamarin-Kaiserin in Sachen Sonnenstein von Sacramon? Hat Nermin diesbezüglich wirklich sämtliche Spuren des tollkühnen Raubzuges nach Theugoll sorgfältig verwischt?12

Alles andere wäre wirklich unangenehm. Leise Skrupel beginnen, an Keniattas Nervenkostüm zu nagen. Gerade das Faktum, nicht darüber im Bilde zu sein, was ihn gleich erwarten wird, macht den sonst so besonnen und souverän erscheinenden Kommandeur innerlich mürbe. Selbst der angebotene Saft will ihm nicht recht munden, obwohl das Getränk über alle Maßen delikat ist.

Nach fast einer Stunde Wartezeit öffnen sich endlich die Türen des Konferenzraumes. Tief durchatmend setzt Keniatta sein Glas ab, steht auf und richtet sich die Uniform. Dabei verfolgt sein unruhiger Blick, wie zahlreiche hohe Offiziere den Saal verlassen. Keiner nimmt Notiz von ihm, bis Major Grande13 Taurus als einer der Letzten die Terrasse betritt. Er grüßt kernig zu Keniatta herüber und setzt dann sein Gespräch mit einem anderen Granden fort.

Weitere Minuten vergehen, ehe Taurus lächelnd auf seinen Untergebenen zu kommt. „Seien Sie gegrüßt, Kommandeur! Wollen wir nicht ein paar Schritte gehen?“ Der Major Grande streckt den Arm aus und verweist galant auf eine breite Treppe, die zu einer tiefer gelegenen Gartenterrasse führt. Es ist gerade die gnädig zur Schau gestellte Liebenswürdigkeit seines Gesprächspartners, welche Keniattas Misstrauen schürt.

Gemächlichen Schrittes flanieren die beiden Offiziere die gepflegten Wege entlang, die von Gewächsen unterschiedlichster Statur gesäumt werden. Aufgelockert werden die Allegorien durch verschiedenfarbige Plasmabrunnen.

Nachdem man die einleitende, eher belanglose Konversation hinter sich gebracht hat, kommt Taurus, wie es seine Art ist, glattweg auf den eigentlichen Anlass für sein Treffen mit Keniatta zu sprechen: „Wie mir der Werftleiter von Mobile 5 unlängst übermittelte, gingen Sie offenbar nicht allzu pfleglich mit dem Ihnen von der Sternenflotte anvertrauten Equipment um. Deshalb fehlt Ihnen zurzeit ein fliegender Untersatz, Kommandeur, was übrigens auch Ihre Crew beschäftigungslos macht.“

Keniatta schmunzelt nur verschämt und wartet weiter auf die Pointe seines Chefs.

Dieser fährt fort: „Jeden anderen würde ich bei einem derartigen Materialverschleiß entweder hochkant aus der Sternenflotte werfen oder strafversetzen, dass er nie mehr froh wird! Freilich verkörpert die Crew der A. R. S. Dragon unbestritten so ziemlich das Fähigste, was der MSD momentan im Offizierskorps hat. Daher lassen wir das mit Ihrem Schiff einstweilen auf sich beruhen und wenden uns stattdessen Ihren neuen Aufgaben zu.“ Taurus greift in seine Mappe, holt eine biegsame Platine14 heraus und reicht sie seinem Gesprächspartner herüber. Sogleich nimmt Keniatta das Dokument in Augenschein, welches als Hologramm über der Platine zu leuchten beginnt.

Dazu führt sein Vorgesetzter aus: „Es geht um >Projekt IR 55<. Die Verantwortlichkeit für die Durchführung liegt bei Sektion 17.“

Keniatta hebt den Kopf und wirft ein: „Sektion 17 sagen Sie? Das experimentelle Ingenieurwesen? Also geht es hier um eine Neuentwicklung.“

„Sehr richtig, Kommandeur“, nickt Taurus. „Wie Ihnen Agent Reuten unlängst vermittelte,15 hat die Sternenflotte verschiedene Konzepte angestoßen, um der latenten Bedrohung durch das Imperium Tamarinum16 wirksam begegnen zu können. In diesem Fall geht es um den Testlauf eines absolut neuartigen Antriebssystems. Wenn dies verlässlich realisiert werden kann, wären unsere Schiffe in der Lage, im Hyperraum mit doppelter Geschwindigkeit zu operieren! Dadurch ergibt sich zusätzlich noch ein Tarneffekt. Dieser ist zwar beileibe nicht so tadellos, wie bei corelianischen Schwertfischen, jedoch verfügt die kaiserliche Marine17 des Tamarin-Imperiums unseres Wissens über nichts Vergleichbares.“

„Eine Tarnvorrichtung?“, horcht Keniatta auf. „Sich mit doppelter Geschwindigkeit fortbewegen? Aber das wäre …“

„Sprechen Sie es getrost aus Kommandeur“, unterbricht ihn sein Gegenüber. „Sensationell! Doch wo sich strahlende Erfolge am Horizont abzeichnen, ist auch die Dunkelheit nicht fern. Will sagen, je weiter >Projekt IR 55< seiner Vollendung entgegengeht, häufen sich unerklärliche Zwischenfälle. Diese sind eindeutig nicht natürlichen Ursprungs, weshalb wir leider von der Einmischung feindlicher Mächte ausgehen müssen.“

Taurus unterbricht seinen Monolog und lässt den Blick über eine ausgedehnte Blumenrabatte schweifen.

Keniatta nutzt diese Pause für eine Nachfrage: „Feindliche Mächte? Das klingt mir ein bisschen zu universell. Gibt es denn keine konkreteren Hinweise?“

„Leider nicht. Ich wünschte es enger fassen zu können, besonders weil in zwei Migdols18 der Jungfernflug der A. R. S. Serpil ansteht. Dies ist bislang der einzige Prototyp, den man mit dem neuen IR-55-Antrieb ausgestattet hat. Sie und zwei Ihrer Offiziere werden mit an Bord sein, um für den MSD alles im Auge zu behalten. Ihre restliche Crew darf es sich derweil im Kontrollzentrum bequem machen und den Flug von hier aus mit überwachen. Melden Sie alles, was obskur erscheint! Unsere neue Technik ist zu erlesen und kostbar, um sie zu verlieren. Sei es durch Raub oder Sabotage! Ich verlasse mich auf Sie! Nach Abschluss der Mission erwarte ich Ihren umfassenden Bericht. Je weniger da drin steht, umso besser! Viel Glück, Kommandeur!“ Taurus grüßt militärisch und macht ohne weiteres Wort auf dem Absatz kehrt.

Keniatta grüßt ebenfalls und murmelt: „Verstehe.“ Langsam dämmert ihm, worum es seinen Vorgesetzten geht. Denen ist nicht etwa daran gelegen, entscheidende Details vorenthalten zu bekommen, sondern dass unterwegs möglichst nichts Erwähnenswertes passieren möge! Offenbar ist der Generalstab diesbezüglich in ernster Sorge.

Dergleichen liest auch Krümel zwischen den Zeilen des neuen Missionsbefehls heraus, den Keniatta später am Tag seinen Kameraden präsentiert. Dieser besagt, Krümel und Munster verbleiben im Kontrollzentrum auf Wendikott19. Hingegen sollen sich Keniatta, Steinbach und Hippie an Bord der A. R. S. Serpil einfinden. Viel Zeit zur Vorbereitung bleibt den Kameraden allerdings nicht, denn bereits am nächsten Morgen soll es losgehen.

Als die A. R. S. Dragon tags drauf Wendikott erreicht, können die Offiziere von Bord ihres Schiffes aus einen ersten Blick auf das beige im Licht des benachbarten Fixsterns strahlende Testobjekt werfen. Das Design der A. R. S. Serpil gleicht zwei übereinanderliegenden spitz geformten Steinen. Zwischen Ober- und Unterseite verläuft ein durchgehendes silbriges Band, welches die Triebwerke verkörpert. Fenster sind keine zu erkennen. Auch fehlt jegliche Bewaffnung, da es sich hierbei um einen Prototyp handelt. Die Landebuchten für Raumfähren befinden sich jeweils oben und unten am abgerundeten Heck. So etwas Windschnittiges ist selbst dem versierten Hippie noch nicht untergekommen. Es interessiert ihn, wie dieses ultramoderne Gefährt von innen aussieht. Steinbachs Bauchgefühl ist da schon kritischer eingestellt. Irgendetwas stimmt mit dem Schiff nicht, so glaubt er, aber ohne seine düsteren Ahnungen in konkrete Worte fassen zu können. Munster, der öfters wie auf glühenden Kohlen sitzt, lässt sich all zu leicht von seinen Gefühlsaufwallungen närrisch machen. Hingegen hält sich Krümels Aufregung diesmal in erstaunlich überschaubaren Grenzen, weshalb er die Angelegenheit eher begeisterungslos in Angriff nimmt. Eigentlich geht ihm bei technischen Neuerungen ja das Herz auf, denkt Keniatta, der kurz Gelegenheit hat, die differenzierte Stimmungslage seiner Mannschaft aus der Distanz zu analysieren. Auch er ist sich noch nicht darüber im Klaren, was ihn an Bord der A. R. S. Serpil erwarten wird.

Nach ihrer Landung auf Wendikott heißt es gemäß gültigem Marschbefehl für die Kameraden nun Abschied zu nehmen. Krümel und Munster salutieren vor dem kommandierenden Granden des Hauptkontrollraums. Keniatta muss sich mit seinen Leuten in Landebucht 451 A melden. Vor Ort warten weitere Offiziere, Techniker, Ingenieure und zivile Beobachter. Man macht sich miteinander bekannt, wobei Hippie wieder einmal besonders misstrauisch beäugt wird. Allerdings lässt Keniatta keinen Zweifel an Gewissenhaftigkeit und Integrität seines cordischen20 Crewmitglieds, was das Eis Schritt für Schritt brechen lässt. Gemeinsam setzt die Abteilung zur A. R. S. Serpil über.

Der erste Eindruck des neuen Superschiffs enttäuscht zunächst etwas. Steinbach riecht es viel zu fabrikneu, zu steril, was ihn an ein Regalschiff der kaiserlichen Marine des Tamarin-Imperiums erinnert. An dieser Stelle verlässt Hippie die Runde. Sinnvollerweise soll sein Platz während des Fluges im Maschinenraum sein. Keniatta und Steinbach schlagen den Weg zur Brücke ein. Kommandant der A. R. S. Serpil ist ein Minor Grande Namens Puma Soroca. Ihm steht ein ganzer Stab erfahrener Offiziere zur Seite. Zumindest vermitteln die Herrschaften bei ihrer Geschäftigkeit diesen Eindruck, wie Steinbach voll Argwohn Keniatta zuraunt. Letzterer registrierte gleichfalls die Anspannung des ihn umgebenden Personals, was vor einem so wichtigen Ereignis, wie dem Jungfernflug jedoch völlig alltäglich ist.

Auch Hippie bleibt aufmerksam. Seine Anwesenheit im Maschinenraum ist dem dortigen Befehlshaber, einem wohlbeleibten Magnus Minor21 namens Wimperge ein Dorn im Auge, doch kann er gegen den vonoben befohlenen Einsatz des cordischen Offiziers nichts machen. Seine Verachtung ist Hippie auf jeden Fall sicher, was dieser auf Schritt und Tritt zu spüren bekommt.

Gerade betrachtet der Corde die Anzeigen des Hauptschirms, da fährt ihn Wimperge auch schon von der Seite an: „Fassen Sie ja nichts an! Davon haben Leute wie Sie keine Ahnung! Dies ist komplizierte, geradezu einzigartige Technik!“

Hippie, der bissige Anspielungen dieser Art gewohnt ist und daher einzuordnen weiß, entgegnet spitzfindig: „Dacull bewahre mich davor! Die Galaxis sei mein Zeuge: Ich bin nur hier, um zu lernen.“

Überrascht von der provokanten Rückantwort, schnaubt Wimperge: „Das will ich Ihnen auch geraten haben, sonst bringe ich Sie vors Kriegsgericht!“ Dann neigt er sich bedächtig nach rechts zur Seite und raunt mit vorgehaltener Hand einem Untergebenen zu, er solle den Corden ja im Auge behalten.

Da kommt von der Brücke der Befehl, die Startsequenz einzuleiten. Intensiven Blicks verfolgt Magnus Minor Wimperge die Prozedur. Zur Sicherheit, da er abergläubisch ist, faltet er vorsorglich die Hände, versucht das aber krampfhaft hinter seinem breiten Kreuz zu verstecken.

„Bereit zum Abdocken! Andockklammern lösen! Fahrt aufnehmen! Halbe Kraft voraus! Steigern auf Sprunggeschwindigkeit! Springen wenn bereit! Kommando freigegeben!“, befiehlt Minor Grande Soroca auf der Brücke.

Gemächlich, mit sanftem Rauschen fahren daraufhin die Triebwerke hoch. Es folgt ein kaum merklicher Ruck und das Schiff löst sich von der Andockvorrichtung der Positionsboje. Nun schwebt die A. R. S. Serpil einen Moment frei im Raum, bevor das mit unterschwelliger Arroganz vorgetragene Kommando eines Offiziers den Steuermann anweist, zu beschleunigen. Wie befohlen wird die Geschwindigkeit gemächlich immer weiter gesteigert, bis das Schiff in den Hyperraum springt. Erst ab diesem Punkt wird es wirklich interessant, denn dann soll der neuartige Antrieb dazu geschaltet werden.

Hippie kann sich nur aus der Distanz ein Bild machen. Ihm will zunächst nicht einleuchten, auf welcher Gesetzmäßigkeit das Beschleunigungssystem basiert. Schließlich fasst sich einer der Offiziere ein Herz und klärt ihn auf. Interessiert verfolgt der Corde das technisch versierte Referat seines Kollegen. Theoretisch klingt alles recht verständlich, doch konnte dergleichen in der Praxis noch nie zuvor realisiert werden. Über riskante Experimente kam man nach Hippies Wissen bislang noch nicht hinaus. Deshalb möchte der Corde erfahren, wie die Ingenieure die Instabilität des als Trägerelement gewählten Plasmas in den Griff bekommen haben. Die schlichte Gegenrede seines Gegenübers verblüfft und erschreckt zugleich. Derart gewagte Feldversuche würde nicht mal ein experimentierfreudiger Maschinenwart wie Hippie wagen.

Umso aufmerksamer verfolgt dieser die Anzeigen der Kontrollgeräte, was ein anderer Offizier erheiternd findet: „Als ich zum ersten Mal davon hörte, wollte ich auch nicht glauben, dass so etwas funktioniert. Aber das tut es.“

Langsam wendet Hippie sein Antlitz nach rechts, woraufhin der Offizier lächelnd seine Hand ausstreckt: „Minor I. Grades22 Rumen Ristock, Sektion 17.“

„Minor III. Grades23 Ungnat Havannadalshunkurt, A. R. S. Dragon“, erwidert der Corde die Geste und schlägt ein.

Sein neuer Bekannter lacht: „Entspannen Sie sich. Was soll schon schief gehen? Das ist doch nur ein Testflug.“

„Eben drum!“, brummt Hippie und wendet sich wieder den Anzeigen des Hauptschirms zu, abermals misstrauisch von Wimperge aus dem Hintergrund beäugt.

Zunächst scheint es in der Tat keinen Anlass für Besorgnis zu geben. Alles geht glatt. Die Maschine schnurrt wie geschmiert, die A. R. S. Serpil gleitet geschmeidig durch den Hyperraum.

Auf der Brücke trifft soeben die Meldung ein, dass alle Systeme einsatzbereit sind und die Raumkontrolle grünes Licht für Phase 2 gegeben habe. Minor Grande Soroca, der gerade Keniatta begrüßt hat, wendet sich daraufhin dem zentralen Monitor zu. Einen Moment betrachtet er gedankenverloren die verwirrende Anzahl der virtuellen Anzeigen. Dann holt er tief Luft und nickt seinem ersten Offizier zu. Durch diese schlichte Geste des glatt rasierten Kommandanten wird die eigentliche Mission IR 55 gestartet.

„Warum ist Krümel nicht hier?“, murrt Steinbach. „Für den wäre der ganze Technikquark das reinste Entzücken.“

„Taurus wird schon wissen, warum er dich und nicht Krümel auf die Serpil befohlen hat. Bleib weiter achtsam“, flüstert Keniatta zurück.

Von lockerem Reisevergnügen ist auch ihr cordischer Kamerad weit entfernt. Gerade ertönt die Erfolgsmeldung: „Koordinatenpunkt D/54 erreicht“.

Aus den Augenwinkeln beobachtet Hippie Minor Ristock. Dieser hat die Arme auf den Rücken gelegt und schaut bemüht desinteressiert drein. Dann holt er geruhsam eine Hand hervor und fährt unmerklich über eines der Sensorfelder in seiner Nähe. Dieser Aktion misst Hippie kein b esonderes Gewicht bei. Den unaufhaltsam voranschreitenden Veränderungen der Energiekurven dafür umso mehr. Schließlich bittet er nicht Ristock, sondern seinen ersten Gesprächspartner von vorhin um Auskunft.

Dieser versteht zunächst nicht, worauf der Corde hinaus will, weshalb Hippie deutlicher wird: „Schauen Sie auf die sekundäre Energieebene. Sehe ich das falsch oder sollten beide Kurven nicht möglichst homogen verlaufen? Die untere Krümmung erreicht in Kürze den oberen Kumulationspunkt. Wenn der Energiefluss dann nicht zurückgeführt wird, kommt es zu einer Überschneidung, was einen Kurzschluss im Eindämmungsfeld nach sich zieht. Bei einem Flug im Hyperraum wäre das Resultat unberechenbar!“

Der Kollege hört genau zu und kontrolliert dabei die Anzeigen. Dann räuspert er sich: „Bitte entschuldigen Sie mich“, und geht zu seinem Vorgesetzten herüber.

Auf Hippies Beobachtung hingewiesen, reagiert Wimperge zunächst grantig, doch bleibt sein Untergebener dabei: „Grat! Bei allem Respekt, aber der Corde hat recht! Sehen Sie hier. Der Energieverlauf ist negativ! Wir müssen drosseln oder am besten ganz abbrechen!“

Missmutig fährt Wimperge über die Schaltfläche vor sich. Je mehr Detailinformationen er abruft, umso bedrohlicher zeichnet sich das prognostizierte Szenario ab. Schließlich informiert Wimperge seine Vorgesetzten auf der Brücke. Mit sichtlichem Befremden nimmt Minor Grande Soroca den Bericht aus dem Maschinenraum zur Kenntnis. Er zögert noch, die Mission vorzeitig zu beenden. Der erschallende Schiffsalarm nimmt ihm diese Entscheidung jedoch schlagartig ab.

„Testflug sofort abbrechen!“, befiehlt Soroca. „IR 55 herunterfahren und Normalmodus herstellen!“

Wimperge befolgt die Anweisung, doch reagiert der Antrieb nicht. Die Energiekurve steigt und steigt. Obendrein droht sich das zur Eindämmung gedachte Plasma aufzulösen, exakt, wie Hippie es befürchtet hatte. Alle Versuche der Ingenieure dies zu verhindern scheitern. Dabei tut sich auch noch ein weiteres Problem auf: Anstatt zu reagieren, fahren sämtliche Computer schlagartig herunter.

Jetzt ist schnelles Handeln gefragt. Deshalb wartet Hippie weder auf das Einverständnis noch die Aufforderung vonseiten Wimperges. Unerschrocken schiebt er einen Offizier beiseite und ruft: „Kreuzschaltung von A nach B! Sofort!“

Sein Gegenüber springt auf die Anweisung an und macht mit. „Die Sekundärsysteme reagieren“, schreit der Offizier. „Zugriff auf die Primärsysteme weiterhin unmöglich! Energiefluss verlangsamt! Steigt aber weiter!“

Hippie fährt über die Sensoren, was verschiedene Reaktionen des Kontrollsystems hervorruft, nur die ersehnte Abschaltung nicht. Unaufhaltsam erhöht sich die Geschwindigkeit der A. R. S. Serpil. Anscheinend vermag nichts und niemand die entfesselte Kraft zu stoppen. Auf der Brücke verfolgt man ebenso angespannt die sich konstant verschärfende Lage. Während die Lichtblitze der Sterne in immer kürzeren Abständen über den Hauptmonitor huschen, sucht man fieberhaft nach einer Lösung des Problems.

Die ernüchternde Feststellung, welche der erste Offizier seinem Kommandanten zuruft, lautet: „Navigation, Richtungskontrolle und stellare Kalibrierung sind ausgefallen. Keines der Hauptkontrollsysteme ist mehr funktionsfähig! Das komplette Primärsystem ist heruntergefahren!“

Minor Grande Soroca bedient still seine Konsole. Nach außen versucht er Besonnenheit auszustrahlen, doch verraten dem genauen Beobachter seine zitternden Hände, was wirklich in ihm vorgeht. Keniatta hört, wie Soroca grübelt: „Aber das ist völlig unmöglich!“

Keniatta möchte nicht nur tatenlos zuschauen, wie das Schiff in den sicheren Untergang rast. Unzählige Gedanken, Kombinationen, Eventualitäten schießen durch seinen Kopf. Wie sagte Taurus doch gleich?

„Je weiter Projekt IR 55 seiner Vollendung entgegengeht, häufen sich plötzlich unerklärliche Zwischenfälle. Diese sind eindeutig nicht natürlichen Ursprungs, weshalb wir leider von der Einmischung feindlicher Mächte ausgehen müssen.“

Deshalb erwägt Keniatta sogar die Möglichkeit, ein Computervirus könne für das alles hier verantwortlich sein. Dann käme am ehesten noch Random24 als Initiator infrage. Aber selbst wenn er damit richtig läge, würde diese Einsicht absolut nichts zur Rettung des Schiffes beitragen.

Schließlich fasst Minor Grande Soroca einen Entschluss: „Notfallprotokoll N 2/44 initiieren!“

Sein erster Offizier hakt nach: „Sie wollen das Energiemodul absprengen? Das ist bei dieser Geschwindigkeit viel zu riskant!“

„Wir haben keine Wahl!“, mischt sich Keniatta ein. „Tun Sie es! Andere Optionen bleiben uns nicht mehr!“

Der erste Offizier nickt und wendet sich den vor ihm sitzenden Kameraden zu. Gemeinsam versucht man, das Kommando auszuführen.

Steinbach schaut auf die Anzeigen eines Seitenmonitors und nuschelt: „Einmal ziellos durchs All karriolen. Hurra! Das war immer schon mein Wunsch. Mir bleibt mal wieder nichts erspart. Los! Komm schon, blödes Ding!“ Er schlägt gegen das modisch designte Schaltpult vor sich und murrt: „Gibt es hier denn keinen manuellen Auslöser, Nothebel oder sonst was?“

Soroca verneint. Auf der hochmodernen A. R. S. Serpil funktionieren alle Systeme weitgehend automatisch, das heißt, sie sind ausschließlich elektronisch zu bedienen.

„Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass die Elektronik in Notsituationen meist als Erstes den Geist aufgibt. An dieses kleine aber entscheidende Detail hat offenbar keiner der verantwortlichen Konstrukteure gedacht“, nörgelt Steinbach.

Leider bewahrheitet sich diese Feststellung schon wenig später. Zwar ließ sich Notfallprotokoll N 2/44 initiieren, doch wird der Befehl vom Computersystem nur unvollständig ausgeführt. Die Energiemodule lösen sich zu langsam, was zu stotternden Vorwärtsbewegungen führt und das Schiff vollends aus seiner Flugbahn schleudert. Zugleich fällt die Gravitationskontrolle aus, was die gesamte Mannschaft schlagartig der Schwerelosigkeit des Weltalls aussetzt. Nach einem weiteren unkontrollierten Schlenker kommt es im Maschinenraum zu folgenschweren Kurzschlüssen in den Steuereinheiten. Hippie weiß genau, was das bedeutet. Entsprechend unverblümt ruft er in seinen Kommunikator: „Keniatta, hörst du mich? Wir müssen sofort raus hier! Egal wie! Sofort!“

Es ist jedoch Steinbach, der auf Hippies Warnung anspringt. Ohne das Urteil seines Kameraden infrage zu stellen, hangelt er sich zu Keniatta herüber, der vehement mit Minor Grande Soroca diskutiert. Für protokollarische Feinheiten ist jetzt nicht die Zeit, weshalb Steinbach glattweg dazwischen geht: „Wenn Hippie sagt, wir müssen raus, dann ist es vorbei und wir müssen raus!“ Seine Worte werden vom umgebenden Geräuschpegel beinahe verschluckt.

Keniatta hat verstanden und mahnt seinen fragend dreinschauenden Vorgesetzten: „Grat! Das System ist definitiv außer Kontrolle! Empfehle sofortige Evakuierung!“

Soroca zögert und wendet sich dann wieder seiner Konsole zu. In gebückter Pose versucht er dem Hexenkessel um sich herum Herr zu werden, weshalb seine Aussprache entsprechend ärgerlich klingt: „Die A. R. S. Serpil ist zu kostbar, als das wir sie kurzerhand aufgeben!“

„Niemand will das Schiff einfach so aufgeben. Trotzdem: jedes Leben an Bord ist wertvoller, als dieses Wunderwerk der Technik!“, hält Keniatta dagegen.

„Wir müssen erst aus dem Hyperraum raus, sonst verglühen die Rettungskapseln durch den Sog der Antriebswelle …“, mahnt Soroca.

Ein ohrenbetäubender Knall beendet urplötzlich die Diskussion der beiden Führungsoffiziere. Eine schwere Explosion erschüttert das ganze Schiff, infolgedessen Teile der rechten Triebwerke abreißen. Die Serpil wirbelt unkontrolliert herum. Die Bordstabilisatoren können das nicht mehr kompensieren, weshalb alles durcheinanderfliegt. Gut hat es, wer entweder angeschnallt war oder seine Position so stabilisieren konnte, dass er nun festen Halt findet. Schweiß und die Blässe lähmenden Entsetzens zieren die Gesichter jener Männer, die noch auf ihren Posten sind – unter ihnen Hippie. Der Corde will immer noch nicht aufgeben und kämpft bis zur letzten Sekunde hartnäckig um die Rettung der Serpil. Unterstützt von zwei Offizieren, gelingt es ihm wenigstens das schwungvolle Trudeln des Schiffes abzustellen. Die rasant nahende Katastrophe vermögen sie jedoch nicht mehr abzuwenden.

Wie hypnotisiert starrt Wimperge auf die ihn hochrot anleuchtende Platine vor sich. „Ich will noch nicht zugrunde gehen“, hauchend vernimmt er den rückwärtig aufkeimenden Schall berstenden Metalls. Es zischt, kracht und scheppert grässlich. Schlagartig erlöschen sämtliche noch verbliebenen Lichter. Das aufkommende Milieu hat etwas von düsterer Endzeitstimmung.

Wie viele Crewmitglieder gestorben oder verletzt sind, lässt sich nicht mehr feststellen, weil die Kommandostruktur zusammengebrochen ist. Auf der Brücke geht endgültig alles drunter und drüber. Keniatta haben die urplötzlich losbrechenden Zentrifugalkräfte zu Boden gerissen und ihn unmittelbar zwischen zwei Sessel gepresst. Diese haben den aus seiner Verankerung gerissenen Hauptmonitor abgefangen. Hingegen hatte Minor Grande Soroca, der zur anderen Seite purzelte, Pech. Er liegt erschlagen unter der Kante des Bildschirms. Steinbach schleuderte es durch die geöffnete Schiebetür in den Korridor hinaus. Dort polterte er wie eine Flipperkugel hin und her, was ihm jede Menge schmerzhafte Prellungen einbrachte, glücklicherweise aber keine Brüche. Obendrein gab es hier draußen im leeren Flur keine Gegenstände, die sich lösen und so zu tödlichen Geschossen mutieren konnten.

Keuchend hangelt sich Steinbach mit entschlossenem Gesichtsausdruck zurück zur Brücke. Übersät mit Schürfwunden hält er nach Keniatta Ausschau und findet ihn schließlich bewusstlos aber relativ unversehrt. Ruppig zieht Steinbach seinen Freund zunächst zwischen den Sesseln hervor und rüttelt ihn so lange, bis dieser erwacht. Sichtlich benommen schüttelt der Kommandeur sein Haupt und reibt sich die Augen. Dann richtet er sich auf und schaut sich, einmal schwerelos um die eigene Achse drehend, um. Die wenigen nicht zerstörten Anzeigen geben verzerrte wirre Bilder wieder. Das Licht flackert sporadisch. Von den Führungsoffizieren scheint keiner mehr dienstfähig, weshalb Keniatta über die plötzlich wieder funktionierende Bordsprechanlage eigenmächtig die sofortige Evakuierung des Schiffes anordnet.

Im schwer zerstörten Maschinenraum dringt Keniattas Stimme durch die kalte Finsternis und hat dabei Mühe, das Gewirr an Klängen und Warnhinweisen zu übertönen. Gerade rappelt sich Hippie unter Teilen der Deckenverkleidung hervor. Blut läuft aus einer Wunde am Oberarm über seine Hand, mit der er sich an einer der beschädigten Konsolen entlang hangelt. Überdies macht ihm eine ausgekugelte Schulter zu schaffen, doch beißt er die Zähne zusammen und renkt die Sache selbst wieder ein. Ein gezielter Schwung mit dem Oberkörper gegen die Konsole vor sich genügt. Kaum das der bestialische Schmerz nachlässt, dringt Stöhnen an sein Ohr. Es ist Wimperge, der halb benommen und von seinem Schaltpult aufgespießt im Raum schwebt. Ein wahrhaft gespenstischer Anblick. Wer von den übrigen Offizieren noch halbwegs bewegungsfähig ist, flieht auf eigene Faust von Bord der Serpil ins All. Nur wenige nehmen sich verwundeter Kameraden an. So auch Hippie. Er löst den schwerverletzten Wimperge behutsam vom Schaltpult. Gemeinsam driften beide zur Flügeltür hinaus. Glücklicherweise sind die tonnenschweren Schutztore aus der Führung gesprungen, wodurch in der Mitte eine dreieckige Öffnung entstanden ist. Die Korpulenz des Magnus Minor gestaltet seine Bergung jedoch recht schweißtreibend. Nur gerade so passt er durch den Spalt im geborstenen Schott. Dennoch gibt Hippie nicht auf. Zwar selbst verletzt zerrt er Wimperge bis zum benachbarten Deck mit den Rettungskapseln. Außer ihnen ist niemand hier. Gerade will er den Verwundeten in eine stabile Lage bringen, da packt ihn dieser an der Schulter: „Nein! Ich schaffe das nicht!“

„Keine Widerrede sonst bringe ich Sie vors Kriegsgericht!“, schnaubt Hippie.

„Bitte geben Sie das meiner Frau!“ Hastig reißt Wimperge seine Kette vom Hals und stopft sie zitternd in Hippies Hände. Der Corde betrachtet das Teil und nickt. Durch ein letztes gequältes Lächeln bedankt sich Wimperge. „Sie sind ein verdammt guter Offizier …“, hauchend verdreht er die Augen, bäumt sich zappelnd auf und stirbt. Hippie schließt durch eine Handbewegung die Lider des gefallenen Kameraden, atmet tief durch, während weitere Explosionen den unmittelbar bevorstehenden Untergang der A. R. S. Serpil ankündigen.

Zwei Decks höher haben sich auch Keniatta und Steinbach zu den Rettungskapseln durchschlagen können. Es herrscht mittlerweile Anarchie. Vier Männer kämpfen um die Plätze in der letzten verbliebenen Rettungskapsel. Diese bietet jedoch nur Platz für zwei Personen. Normalerweise wäre mehr als genug Rettungskapazität vorhanden gewesen. Beispielsweise gab es Beiboote, die bis zu dreißig Personen aufnehmen könnten. Leider starteten panische Zeitgenossen diese Gefährte vorzeitig, obwohl diese nur mit wenigen Menschen besetzt waren. Dadurch haben die verbliebenen Besatzungsmitglieder ein ernstes Problem. Im allgemeinen Überlebenskampf ist sich jeder selbst der Nächste, weshalb Keniattas Schlichtungsversuch handgreiflich endet. Das Erscheinen eines weiteren Offiziers sorgt nur kurz für Frieden. Mit gezogener Waffe erzwingt er Zugang zur Rettungskapsel. Ihr Aufbegehren bezahlen zwei seiner Kameraden mit dem Leben. Sie werden von ihm eiskalt über den Haufen geschossen. Steinbach hebt die Arme und auch Keniatta deutet seine Kapitulation an.

Der Bewaffnete brüllt: „Los, weg da!“, und feuert noch einmal. Bedächtig, mit dem Rücken zur Wand, seine vier verbliebenen Kontrahenten nicht aus den Augen lassend, setzt er seinen Weg fort.

Das angespannte Schweigen der Männer wird vom Zischen und Krachen des sich unaufhaltsam auflösenden Schiffes untermalt. Schweiß und Blut rinnt über die Gesichter aus deren Augen blanke Todesangst, aber auch Entschlusskraft sprechen. Der menschliche Überlebenswille ist nicht so einfach zu brechen. Ein dumpfes Rumoren aus dem Hintergrund lässt nichts Gutes erahnen. Steinbach und Keniatta werfen sich noch übereinstimmende Blicke zu, als ein Donnerschlag den Gang erschüttert. Die Wand gegenüber den Rettungskapseln zerberstet. Zischend schießen mehrere Energieleitungen heraus. Keniatta kann sich noch gerade so zur Seite drehen. Dafür erwischt es die beiden Kameraden neben ihm tödlich. Auch der Bewaffnete wird durch die Ereignisse gegen die Einstiegsluke der Rettungskapsel geschleudert. Steinbach stößt sich mit den Beinen an der gegenüberliegenden Wand ab und fliegt voll Schwung zu ihm herüber. Sogleich versucht er, die Waffe an sich zu bringen. Ein heftiges Ringen beginnt, bei dem es wenig zimperlich zugeht, da Steinbachs Kontrahent ein stämmiger Bursche ist. Erst Keniattas Schlag auf dessen Hinterkopf streckt ihn unwiderruflich nieder. Trotz seines Fehlverhaltens will der Kommandeur den Kameraden nicht zurücklassen.

„Lass gut sein“, widerspricht Steinbach. „Ich glaube, der hat‘s hinter sich.“ Er verweist auf das Blut, welches aus Mund und Ohren des Niedergestreckten fließt.

Keniatta fühlt dessen Puls, was durch weitere Explosionen unterbrochen wird.

„Schluss damit!“, platzt Steinbach der Kragen. „Raus hier! Sonst wirst du Brita garantiert nie wiedersehen!“ und zieht seinen Jugendfreund resolut am Arm in die geöffnete Rettungskapsel. Unter Mühen gelingt die Startsequenz. Blitzartig wird die Hülse vom Schiff abgesprengt. Alles dreht sich. Das Licht flimmert hypnotisch. Den Passagieren wird schon bald flau im Magen, dann rabenschwarz vor Augen. Beide sind mit sich und ihren Gedanken absolut allein. So als ob sie mental in ein schwarzes Loch stürzen, untauglich noch irgendeine Handlung auszuführen. Werden sie das gewagte Fluchtmanöver überleben? Schließlich ist es äußerst gefährlich ein Schiff zu verlassen, während der Hyperantrieb noch läuft. Die dann auf eine Rettungskapsel einwirkenden Kräfte steigen ins Unvorstellbare. Zwar sind die robusten Hülsen durchaus für derartige Manöver konstruiert, wurden aber noch nie unter solchen extremen Bedingungen getestet. Folglich stehen die Überlebenschancen der Kameraden, positiv gedacht, maximal bei fünfzig zu fünfzig. Das ist ihnen durchaus bewusst, doch verdrängt jeder diese Sachlage.

Der Raumüberwachung sind die Geschehnisse an Bord der A. R. S. Serpil erwartungsgemäß nicht verborgen geblieben. Fieberhaft versucht man mehr zu erfahren, doch bricht der Funkkontakt exakt in dem Moment zusammen, als das Schiff außer Kontrolle zu geraten scheint. Es bleibt nur die Verarbeitung des schematisch übermittelten Datenstromes. Dieser reißt nicht ab, da der Navigationscomputer bis zuletzt weiter sendet. Krümel verfolgt die Anzeigen der Hauptmonitore äußerst angespannt.

Munster, der nicht so versiert im Lesen solcher Informationen ist, ahnt, dass etwas nicht stimmt und erkundigt sich furchtsam: „Was geht da ab?“

„Ich habe keinen blassen Schimmer“, gesteht Krümel. „Aber es ist nicht erfreulich. Der Kumulationspunkt liegt viel zu hoch ...“

Noch ehe er den Satz beenden kann, geschieht das Unfassbare: Ein greller Lichtblitz erhellt einen der Monitore, sämtliche Anzeigen kollabieren. Nun versiegt auch der Datenstrom schlagartig. Hastiges Raunen schwirrt durch den Saal. Nach einer Schrecksekunde folgen hektische Meldungen und Befehle. Munster versteht gar nichts mehr. Dann werden plötzlich die großen Monitore abgeschaltet.

„Meine Herren!“, ertönt die Stimme des kommandierenden Granden über die Lautsprecher. „Es ist soeben zu einer unbekannten Störung im Datenfluss gekommen, deren Ursache indifferent bleibt. Alle Personen, deren Sicherheitseinstufung niedriger als Klasse vier ist, werden gebeten, den Raum sofort zu verlassen!“

Munster fragt Krümel: „Was soll das denn jetzt?“

„Woher soll ich das wissen? Aber irgendetwas stinkt hier gewaltig. Komm mit.“

Wie befohlen, verlassen beide Offiziere den Kommandobereich. Ohne Umweg steuert Krümel den benachbarten Kontrollraum an. Er besetzt eine der freien Konsolen. Ohne um Erlaubnis zu ersuchen, beginnt er sogleich mit der Arbeit. Munster schaut ihm erwartungsvoll aber ahnungslos über die Schulter.

Schnell findet Krümel Zugang zu den gesuchten Daten. Nur die erhofften Antworten lassen auf sich warten: „Es kam bei Koordinatenpunkt 34/6 zu einer Überreaktion des Schiffsreaktors. Möglicherweise ist das als Trägerelement verwendete Plasma kollabiert. … Komisch. Das gesamte Primärsystem ist komplett heruntergefahren.“

„Wie bitte?“, erschrickt Munster. „Sind die lebensmüde?“

„Natürlich nicht!“, wehrt Krümel ab, der bereits die nächste Meldung auf dem Monitor erscheinen lässt. Diese verschlägt ihm glatt die Sprache. Erst Munsters ungeduldiger Hieb gegen die Schulter bricht sein Schweigen: „Oh nein! Wenn die Aufzeichnungen stimmen, dann ist die A. R. S. Serpil eben explodiert!“

„Das meinst du doch nicht ernst!?“

„Leider lassen die Daten keine andere Schlussfolgerung zu. Gleich drei Raumbasen und zwei Schiffe der Sternenflotte haben unabhängig voneinander eine Explosion im Hyperraum registriert. Immerhin gibt es differenzierte Energieanzeigen. Das heißt, Rettungskapseln müssen das Schiff verlassen haben. … Warte, hier kommt gerade eine weitere Meldung rein, eine Alphaorder des Oberkommandos. Die Führungsgranden stufen die Mission IR 55 als absolute Verschlusssache ein. Die A. R. S. Serpil gilt als verschollen. Ursache unbekannt. Weder nach dem Verbleib des Schiffes, noch etwaigen Überlebenden soll gesucht werden.“

Für Munster ist das völlig inakzeptabel. Er wird nicht tatenlos zusehen, wie seinen Freunden in den Rettungskapseln allmählich der Lebensodem ausgeht, doch können die Kameraden vor Ort nichts ausrichten. Sie werden lediglich angewiesen, bis auf Weiteres in ihren Quartieren zu warten. Von dort startet Munster einen weiteren Anlauf. Leider haben seine direkten Vorgesetzten vom MSD andere Prioritäten und mauern. Selbst Minor Grande Conja ist aus unerklärlichen Gründen nicht zu sprechen. Als letzte Option bringt Munster schließlich Nermin ins Spiel. Sie kann nicht nur unbehelligt in das Sicura25-System des Tamarin-Imperiums eindringen, sondern auch mühelos sämtliche Sicherheitssysteme der Allianz knacken.26 Nach kurzem Zögern stimmt Krümel diesem Vorschlag zu. Eine bessere Lösung fällt auch ihm momentan nicht ein, weshalb er das geheime Signal für eine Kontaktaufnahme mit Nermin sendet.

Eigentlich stellt es für die Kameraden keine wirkliche Überraschung dar, dass ihre Freundin bereits über die Geschehnisse informiert ist. Insgeheim überwacht sie aus der Entfernung schon seit Längerem sämtliche Aktivitäten der Dragon-Crew: „Unsere Jungs stecken diesmal in wirklich ernsten Schwierigkeiten. Mehr weiß ich im Moment leider auch nicht, aber Santana wird sich darum kümmern. Aus den Daten, welche du mir übermittelt hast, Krümel, lässt sich was machen.“

„Bitte beeilt euch!“, fleht Munster.

„Bin schon unterwegs“, quiekt Santana. Es folgt ein surrender Laut und sie ist, sinnbildlich gesprochen, weg.

Nermin beruhigt: „Keine Panik! Wir arbeiten an dem Problem. Wartet ab, bis wir uns wieder melden. Das wird schon!“

Krümel kann gerade noch seinen Dank aussprechen, da ist die Verbindung auch schon beendet. Jetzt bleibt naturgemäß nur abzuwarten, auch wenn es schwerfällt.

In dieser Situation kommt Krümel mit dem Druck weit besser zurecht, als Munster. Kein Wunder steht hier nicht nur das Leben seiner Kameraden auf dem Spiel, sondern obendrein das seines Cousins! Von fiebriger Unruhe getrieben, wie ein Tiger im Käfig, streift der Corde unstet im Raum umher. Sein Verhalten beginnt allmählich auch an Krümels Nerven zu nagen. Schließlich reicht es ihm und er fordert seinen Freund taktvoll aber eindringlich dazu auf, sich in sein eigenes Quartier zu gesellen. Sobald es etwas Neues zu melden gibt, wird ihn Krümel sofort informieren. Nur ungern folgt Munster dem Drängen und geht.

Tief durchatmend verriegelt Krümel die Schiebetür. Seltsames Vakuum erfüllt auf einmal seinen Kopf. Der rastlose Ehrgeiz, aufkommende Komplikationen um jeden Preis meistern zu wollen, welcher sonst den Rätselkönig der A. R. S. Dragon emsig vorantreibt, ist urplötzlich wie weggeblasen. Es scheint fast so, als habe irgendjemand einen kleinen Schalter in seinem Kopf umgelegt und den Strom abgeschaltet. Statt zur Computerkonsole zieht es ihn aus unerklärlichen Gründen hin zum Bett. Eigentlich will der Offizier hellwach sein, weiter an einem möglichen Rettungsplan für seine verschollenen Kameraden arbeiten, doch beschwert bleierne Müdigkeit seine Augenlider. Er kann weder erklären wieso, noch warum ausgerechnet jetzt. Dass ihn gerade eine Dosis Betäubungsgas niederstreckt, ahnt der Offizier nicht. So sehr er sich auch dagegen sträubt und krampfhaft darum bemüht ist munter zu bleiben, es gelingt ihm nicht.

„Ob es Munster wohl genauso geht?“, überlegt Krümel noch und rollt sich behutsam zur Seite. Dann überkommt ihn bereits tiefer, tiefer Schlaf.

Wie lange der Offizier im Land der Träume weilte, ahnt er nicht, als ihn die penetrante Melodie der Türglocke uncharmant wiedererweckt. Noch ganz benommen, sich intensiv die Augen reibend, schlurft Krümel schweren Schrittes zum Eingang. Er vermutet Munster sei der Störenfried, der entweder eine Heidenangst oder brandneue Informationen hat. Doch weit gefehlt. Die sich mit sanftem Schnaufen öffnende Schiebetür gibt den Blick auf fünf Herren frei. Alle tragen hellgraue Uniformen, was sie unmissverständlich als Mitglieder des ISD identifiziert. Krümel weiß nicht, was dieser Aufmarsch vor seinem Quartier zu bedeuten hat.

Die eher barsch, als formell korrekt klingende Anrede des Kommandoagenten wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet: „Minette, Jean-François, Minor III. Grades der Sternenflotte. Navigationsoffizier der A. R. S. Dragon?“

Der Angesprochene bestätigt durch erstauntes Nicken. Er ist immer noch benommen, weshalb Aufnahmefähigkeit und Konzentration eingeschränkt sind.

Das ficht den Kommandoagenten des ISD nicht an: „Sie werden mit uns kommen!“

Kaum ausgesprochen treten zwei seiner Begleiter vor und greifen Krümels Oberarme. Durch diese Aktion wird der Offizier schlagartig wieder hellwach. Er ist sich keiner Schuld bewusst und weigert sich, ohne nähere Aufklärung zu gehorchen: „Moment mal. Hände weg! Um was geht es eigentlich?“

„Das werden Sie noch früh genug erfahren!“

Mit dieser kargen Antwort seines Gegenüber gibt sich Krümel jedoch nicht zufrieden: „Zum einen bin ich Mitglied des MSD und darf nur durch Angehörige dieses Dienstes verhört werden! Zum anderen habe ich ein Recht zu erfahren, was man mir vorwirft!“

Der Kommandoagent verzieht teilnahmslos das Gesicht und erklärt lakonisch: „Also bitte. Gemäß Paragraf 9076/6 der Ausführungsverordnung zur Abwendung interner Bedrohungen ist der ISD berechtigt, jederzeit Personen ohne Rücksicht auf deren Rang oder gesellschaftliche Stellung zu Befragungen vorzuladen. Insbesondere gilt dies bei akuter Gefahrenlage. Diese wurde gemäß ISD-Alphaorder 32789 in vorliegender Angelegenheit gesondert festgestellt. Zugleich sind wir befugt, die Order unter Einsatz aller zur Verfügung stehender Mittel umzusetzen. Aus reiner Höflichkeit unter Kollegen fordere ich Sie letztmalig auf, unseren Anweisungen Folge zu leisten oder wir werden Gewalt anwenden! Haben Sie das verstanden, Minor Minette?“

Oh ja, Krümel hat es kapiert! Widerstand ist sinnlos, denn die vier begleitenden Sicherheitsagenten wirken von ihrem Körperbau her gut durchtrainiert. Die machen keine Kompromisse. Ebenso ihr Kommandoagent, der sogar die Hand an der Waffe platziert hat. Mit diesem Quintett ist wirklich nicht zu spaßen! Krümel beugt sich notgedrungen der Gewalt, hat aber auch seinen Schneid.

„Schon gut! Ich werde gehorchen“, verspricht er. „Bitte erlauben Sie, dass ich zuvor wenigstens meine Uniformjacke hole, damit ich korrekt gekleidet zum Verhör erscheine, wie es sich für einen Offizier der Allianz-Sternenflotte gehört.“

Der Kommandoagent nickt, woraufhin seine Untergebenen Krümels Arme loslassen. Dieser begibt sich wieder in sein Quartier und streift sich wie angekündigt seine Jacke über. Gewaltsames Aufbegehren ist nicht seine Sache. Das wäre eher etwas für Steinbach oder Hippie. Dennoch hat Krümel keine besondere Eile, den Anweisungen der Agenten zu folgen und bringt seinen Protest quasi durch eine Art Bummelstreik zum Ausdruck. Dadurch kann er zwar etwas Zeit schinden, was aber seine missliche Lage kaum verbessert.

Vor die Tür seines Quartiers zurückgekehrt, wird Krümel als Nächstes mit der Aufforderung konfrontiert, seinen Kommunikator abzugeben. Hätte er zuvor den Versuch unternommen, diesen zu benutzen, wären die Sicherheitsagenten gezielt eingeschritten. Ohne Widerworte händigt Krümel den verlangten Gegenstand aus. Im Gegenzug für seine Kooperationsbereitschaft verzichtet der Kommandoagent darauf, ihm Handschellen anlegen zu lassen. Abermals aus Höflichkeit unter Kollegen, wie er herablassend zu verstehen gibt.

Dann führt man Krümel auch schon ab. Zwei Sicherheitsagenten vor sich, zwei hinter sich, der Kommandoagent voran, strebt die Schar um den arretierten Sternenflottenoffizier konsequent der zentralen Liftanlage zu, die sich vier Ecken weiter befindet. Stumm wie Fische harrt man der Fahrstühle, die da kommen werden. Die frostige Stimmung treibt Krümels Puls massiv an. Innerlich versucht er krampfhaft, sich eine Strategie zu Recht zu legen, mit der er das nachfolgende Verhör schadlos überstehen könnte. So wie neulich Keniatta, treibt auch Krümel die berechtigte Sorge vor jenen Themen um, mit denen man ihn gleich konfrontieren dürfte.

Ein melodiöser Ton, gefolgt von den sich schwerfällig öffnenden Fahrstuhltüren unterbricht seine Gedankengänge. Gemächlich setzt sich der Tross wieder in Bewegung. Doch da geschieht etwas völlig Unerwartetes. Der Kommandoagent blickt auf und stutzt, denn er erkennt ein Individuum, das einer Spinne gleich alle Viere von sich gestreckt, unterhalb der Decke der Fahrstuhlkabine verharrt. Noch ehe der Kommandoagent sein Staunen überwinden kann, schwingt sich der Fremde wieselflink herab. Sogleich trifft die vordersten Sicherheitsagenten je ein Fußtritt gegen die Köpfe, der sie unsanft zu Boden befördert. Auch Krümel traut seinen Augen kaum, denn der Angreifer ist kein anderer als Cass-Aij. Sicher landet der Corelianer unmittelbar neben ihm und geht sogleich auf die noch stehenden Sicherheitsagenten los. Ein herber Faustkampf entbrennt. Den ersten Sicherheitsagenten boxt Cass-Aij nach einem flinken Handgemenge um, den Zweiten, von hinten angreifenden, schmettert er mittels eines aus der Drehung heraus vollführten Fußtritts gegen die Seitenwand. Der Kommandoagent zieht seine Waffe, kommt aber nicht zum Schuss, weil ihn Krümel reaktionsschnell anrempelt und so im Fahrstuhl zu Fall bringt.

Inzwischen sind die ersten beiden Sicherheitsagenten wieder auferstanden und liefern sich einen ebenso rasanten, wie schmerzhaft brutalen Schlagabtausch mit Cass-Aij. Die Zwei halten etliches aus, weshalb sich der Corelianer richtig ins Zeug legen muss. Letztendlich entscheidet dessen körperliche Überlegenheit den Kampf. Seiner Beweglichkeit, knallharten Schlägen und Tritten haben die menschlichen Kontrahenten auf Dauer nichts entgegenzusetzen. Dafür begehrt jetzt der Kommandoagent wieder auf, indem er blindwütig drauflos feuernd aus dem Lift gestürmt kommt. Bevor ihn Cass-Aij entwaffnen kann, verletzt er diesen an der Schulter. Kein Laut kommt über die Lippen des Daminos27, der unbeirrt den Kampf fortsetzt. Ein Faustschlag ins Gesicht, gefolgt von einem Stoß gegen den Oberkörper setzt den Kommandoagenten endgültig außer Gefecht. Er bricht bewusstlos zusammen, nachdem ihm Krümel zu guter Letzt noch eins von hinten übergezogen hat.

Da trifft der Nachbarfahrstuhl ein. Die aussteigenden Offiziere wollen ebenfalls eingreifen, doch springt sie Cass-Aij geradewegs an und befördert die ganze Horde unsanft zurück in den Lift. Krümel langt um die Ecke und betätigt den Sensor, welcher den Fahrstuhl zu einer anderen Ebene beordert. Nach dessen Abfahrt herrscht gespenstische Stille auf dem Gang.

Zu gern würde Krümel erfahren, was Cass-Aijs rabiater Auftritt zu bedeuten hat. Dieser erklärt knapp: „Dao-Lin schickt mich. Du bist hier nicht mehr sicher und musst deshalb sofort mit mir nach Loop-Noor28 kommen!“

„Ach, ja? Und wieso?“, staunt Krümel. „Was ist mit Munster?“

„Um den wird sich gerade gekümmert. Er hatte ähnliche Probleme wie du. Vertrau mir! In Loop-Noor wirst du alles erfahren. Jetzt komm, wir haben es eilig!“ Cass-Aij fasst seinen Schützling am Arm. Keine drei Schritte weiter ertönt auch schon der sterile Stationsalarm, wie Krümel auf Cass-Aijs fragenden Blick mahnt. Letzterer seufzt nur: „Min-Khai“, und startet durch.

Sein menschlicher Begleiter weiß sofort, was Sache ist, vermag mit dem forsch voraneilenden Corelianer aber kaum Schritt zu halten.

Gemeinsam flüchten beide über die zweite Liftanlage fünfundzwanzig Ebenen tiefer und fahren zum zentralen Hangardeck. Dabei werden sie immer wieder vom Sicherheitspersonal aufgehalten, doch gelingt es Cass-Aij trotz seiner Schulterverletzung, welche ihm der Kommandoagent zufügte, alle potenziellen Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Am Zielpunkt angekommen müssen die Kameraden feststellen, dass dort mächtig was los ist. Krümel kommt es so vor, als ob eine ganze Armee Sicherheitsleute gegen Heerschaaren von Gegnern kämpft, doch ist es nur eine ungestüme Corelianerin, welche den Sicherheitsdienst von Wendikott zu beschäftigen scheint. Munster hat ganz in ihrer Nähe hinter einem Stapel Kisten kleinlaut Deckung gesucht. Seine Hände sind auf den Rücken gefesselt, was seine Bewegungsfreiheit nachhaltig einschränkt.

Genau, wie Cass-Aij vermutete, bekam auch der Corde zuvor unangenehmen Besuch von Agenten des ISD. Freilich traten diese Kollegen bei Weitem nicht so taktvoll auf, wie bei Krümel. Munster wurde von ihnen entwaffnet, seines Kommunikators beraubt und wie ein Verbrecher in Handschellen gelegt. Unterwegs zum Verhör schlug dann überraschend Min-Khai zu und befreite den völlig perplexen Corden. Allerdings wich sie im Anschluss keinem Gefecht aus und ging recht stürmisch zu Werke, weshalb ihre Aktion länger dauerte und weit mehr Staub aufwirbelte, als Cass-Aijs vergleichsweise dezentes Eingreifen.

Gerade erblickt die impulsive Corelianerin ihren Gefährten: „Warum hat das so lange gedauert?“

„Wir sind aufgehalten worden“, entschuldigt sich Cass-Aij und feuert mehrere Salven auf die Gegner. Deren Verluste werden zwar dank der doppelten corelianischen Schießkünste immer höher, zugleich steigt die Zahl der Angreifer aber auch stetig an. Folglich sollte man möglichst rasch das Weite suchen. Die Schwertfische ruhen getarnt am hintersten Ende der weiten Halle.

Krümel hilft Munster aufzustehen. Der fragt: „Waren sie etwa auch bei dir?“

„Oh ja! Da stinkt was, wenn Dao-Lin extra Min-Khai und Cass-Aij für eine tollkühne Befreiungsaktion hier herschickt. Vorwärts!“

Auf Krümels Kommando hin schnellen beide auf und hasten durch ein Gewitter aus flirrenden Laserblitzen zu den Schwertfischen, deren glasige Umrisse schemenhaft erkennbar sind. Als sie ihre Schützlinge in Sicherheit wissen, folgen ihnen die beiden Corelianer. Alle Versuche vonseiten der Sternenflotte die Schwertfische am Starten zu hindern scheitern. Nachdem diese erst einmal draußen im Weltall schweben, macht sie ihre Wundertarnung absolut unauffindbar. Sehr zum Verdruss der befehlshabenden Granden bleibt auch die umgehend eingeleitete Großraumfahndung ergebnislos.

Dass es zwei Corelianern gelang, praktisch unerkannt und beinahe ungehindert im stark gesicherten Wendikott einzudringen sowie quasi im Alleingang das gesamte Wachpersonal aufzumischen, sorgt auf allen militärischen Kommandoebenen für erhebliches Aufsehen. Deckt der Zwischenfall doch die Schwachstellen, allen voran die offensichtliche Verwundbarkeit, des Systems auf. Besonders innerhalb der eigentlich für die Abwehr solcher Gefahren verantwortlichen Sicherheitsorgane, MSD und ISD, zieht das Geschehen weite Kreise. Die müssen nämlich zur eigenen Schande eingestehen, keinen blassen Schimmer zu haben, ob es sich bei den Angreifern um einfache Daminos oder Legatinnen der Tamarin-Kaiserin handelte, was aus Sicht der Allianz besonders fatal wäre!

Völlig ungestört können die perfekt getarnten Schwertfische derweil die Grenze zum Corelian-Sektor überqueren und zur Landung in Loop-Noor ansetzen. Im Innenhof der Residenz werden die Ankömmlinge bereits von der Hausherrin erwartet. Muna29 Monti hat Erfrischungen parat. Diese interessieren die beiden Sternenflottenoffiziere jedoch weit weniger, als endlich über den Anlass für das unerwartete Eingreifen der Corelianer aufgeklärt zu werden.

Dao-Lin zeigt Verständnis und bittet um Nachsicht: „Es ist eine Situation eingetreten, die schnelles Handeln erforderte, weshalb wir euch vorab leider nicht mehr warnen konnten. Dennoch geschah alles nur, um euch und unsere neue Allianz des Lichtes30 vor Schaden zu bewahren.“ Die Kriegerprinzessin verneigt sich.

Krümel spricht seinen Dank aus, möchte jetzt aber erst recht die ganze Wahrheit wissen.

Wieder aufgerichtet erklärt Dao-Lin: „Sie kann es euch viel besser begreiflich machen“, und zeigt mit ausgestrecktem Arm zum rechter Hand gelegenen Torbogen.

Auf dieses Zeichen hin lüftet Muna Monti den Vorhang, welcher jenen Durchgang verhüllte. Dahinter wartet Nermin. Sie trägt in der rechten Hand eine ovale Schale, die mit einer Safran schimmernden Platine bedeckt ist. Über deren polierter Oberfläche leuchtet die Miniaturausgabe von Santana. Als auch noch Arite aus dem Halbschatten des Durchgangs tritt, ist die Verblüffung der Offiziere vollkommen. Und dennoch: Das Trio hier in Loop-Noor anzutreffen, bedeutet gewiss nichts Gutes.

Behutsam setzt Nermin die Schale auf dem Rand des zentralen Wasserbeckens ab. Sogleich beugt sich Santana nach unten und beginnt neugierig die nähere Umgebung zu beschnuppern.

Munster fragt arglos: „Wer hat dir Nervensäge denn Ausgang bewilligt?“

Postwendend wütet Santana zurück: „Wusstest du eigentlich, dass dreiviertel aller Flaschengeister unter Depressionen leiden sollen? Ständig in einer Konserve eingesperrt zu sein! Na ich kann dir was husten! Dann wärst du Knalltüte auch heilfroh, mal was anderes zu erspähen als immer nur Datenströme, bestehend aus endlosen sterilen Zahlenreihen!“ Sie ballt die Hand zur Faust und droht damit in Richtung Munster. Dabei führt sich das holografische Schwein unwirsch wie Rumpelstilzchen auf, weshalb seinem Gebaren eine gewisse Komik anhaftet.

Auch Krümel kann sich einen kurzen Lacher kaum verkneifen, wirft danach aber sogleich ein: „Ich freue mich, euch drei putzmunter wiederzusehen. Doch sagt, was macht ihr überhaupt hier?“

Zu gern hätte Santana, die dank Munsters unbedarfter Bemerkung mächtig auf Krawall gebürstet ist, erneut drauflos gewettert. Sie wird aber durch eine Geste von Arite schon im Ansatz daran gehindert. Beleidigt verschränkt das Hologramm die Arme, reckt hochmütig den Schweinerüssel empor, wobei seine wallende Mähne spleenig zurückwogt, und brabbelt im Flüsterton sauertöpfisch vor sich hin.

Nachdem das geklärt ist, macht Nermin räuspernd auf sich aufmerksam: „Jetzt mal ernsthaft. In der letzten Zeit ist einiges in Bewegung geraten. Konkret hat unsere gemeinsame Aktion zur Rettung der erkrankten Munas weit mehr Furore gemacht, als uns allen lieb sein sollte. Dies erstaunlicherweise weniger aufseiten der kaiserlichen Sicura als des ISD! Die Herren Agenten haben sämtliche Missionsberichte der Dragon in ihre Bestandteile zerlegt und auf Ungereimtheiten durchsiebt. Dabei stießen sie auf verschiedene Begleitumstände, die ihrer Meinung nach noch intensiver durchleuchtet werden müssten. Dazu zählen beispielsweise Arites Einsatz auf Korniport31 oder alles, was mit der Rettung der Munas zusammenhängt. Stichwort: Sonnenstein von Sacramon!32

Das allein wäre kein Manko, denn die Schwachmaten vom ISD habe ich lässig im Griff. Freilich hat deren dilettantisches Wühlen im Datensumpf unnötigerweise jede Menge Staub aufgewirbelt, was postwendend das Interesse der Sicura geweckt hat. Da die Geheime Staatspolizei des Tamarin-Imperiums mit ungleich mehr Ausdauer und Zielstrebigkeit ermittelt, besteht für uns leider die akute Gefahr enttarnt und lokalisiert zu werden. Deshalb erschien es mir klüger, die Heilige Symbiose von Corelian kurzfristig um Asyl zu ersuchen.“

Dao-Lin nickt: „Was in Zeiten höchster Bedrängnis gelobt wurde, gilt auch heute: Ihr drei steht unter dem besonderen Schutz der Heiligen Symbiose von Corelian und seid jederzeit willkommen. Wir alle befinden uns abgrundtief in eurer Schuld.“ Die Kriegerprinzessin senkt abermals den Kopf. Die anwesenden Dringos, Munas und Corelianer tun es ihr gleich.

Wie dankbar die Dissidenten sind, erkennt man schon daran, dass sich alle vor Dao-Lin verneigen. Sogar die exzentrische Santana verhält sich in diesem Moment auffallend devot. Munster fällt auf, das insbesondere Min-Khai sich schwer damit tut, Arite, einen Impero33, in Loop-Noor willkommen zu heißen. Doch sind Min-Khais Befindlichkeiten nicht maßgeblich.

Nach den allgemeinen Demutsbezeugungen fährt Nermin fort: „Insbesondere was die Beschaffung des Sonnensteins von Sacramon angeht, vermutet der ISD, dass sich die Dragon-Crew unbekannter Hilfsquellen bedient. Um diese zu enttarnen, haben euch die Agenten permanent überwacht. Als ihr unser Erkennungssignal gesendet habt, schlugen sie zu. Ich musste um jeden Preis verhindern, dass die euch in die Mangel nehmen. Glaubt mir, was der ISD weiß, erfährt früher oder später auch die Sicura! Deshalb musstet ihr schnellstens aus der Schusslinie verschwinden.“

Krümel bedankt sich für Nermins Fürsorge, gibt dann aber zu bedenken: „Deine Argumentation klingt zwar einleuchtend, doch wird die Allianz den Überfall der Corelianer nicht so einfach zu den Akten legen. Das hat garantiert noch ein ernstes Nachspiel! Abgesehen davon möchten wir irgendwann zu unseren Familien zurückkehren. Spätestens dann werden uns die Agenten des ISD erneut zum Verhör bitten.“

„Keine Sorge“, schmunzelt Nermin. „Momentan vermutet der ISD kaiserliche Legatinnen hinter dem Überfall auf Wendikott. Bis die ihre Ansicht ändern, habe ich die Angelegenheit datentechnisch bereinigt. Im Platzieren falscher Fährten, Verdrehen von Fakten und Erfinden plausibler Ausreden sind Santana und ich Meister. Doch dafür benötigen wir ein wenig Zeit, die wir durch eure Entführung gewonnen haben.“

Jetzt wirft Munster ein: „So weit so gut, aber viel wichtiger ist doch, was sich auf der A. R. S. Serpil zugetragen hat!“

„Aufgrund der eben beschriebenen Lage musste ich zunächst unsere unerkannte Flucht arrangieren“, gesteht Nermin. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, weitere Nachforschungen anzustellen. Unseren bisherigen Analysen zufolge muss die Serpil definitiv explodiert sein, doch konnten zuvor mindestens drei Rettungskapseln das Schiff verlassen. Santana wird sich gleich um weitere Informationen kümmern. … Nicht wahr, Santana?“

Doch anstatt zu gehorchen und sofort in Aktion zu treten, verschränkt das holografische Schwein abermals eingeschnappt die Arme, dreht seinen Gesprächspartnern demonstrativ den Rücken zu und brummelt: „Ja, ja, ja. Ist doch immer dasselbe. Santana tu dies, Santana tu das. Keiner fragt, ob es mir gerade in den Kram passt. Ich habe in Kürze einen Termin bei der Pediküre. Vielleicht könnte ich danach bis zum Beginn meiner Gymnastikstunde etwas Zeit erübrigen.“

Munster wirft sich in seiner Verzweiflung vor dem Hologramm auf die Knie: „Bitte verzeih mir, wenn ich dich vorhin verletzt haben sollte, aber ich glaube fest daran, dass unsere Kameraden noch am Leben sind! Ganz allein irgendwo da draußen. Verzweifelt. Möglicherweise verwundet. Wahrscheinlich ist der Gedanke an uns ihre einzige Hoffnung, die sie nicht aufgeben lässt! Keiner von ihnen würde zögern, dich zu retten, wenn du in Gefahr geraten solltest. Sie sind mehr als nur Freunde!“

Gemächlich dreht sich Santana wieder um. Dreimal ihren Schweinerüssel rümpfend grunzt sie: „Verschone mich mit deiner emotionalen Inkontinenz. Ich geh ja schon. Meine Pediküre kann warten. Außerdem vermag ich keinen ausgewachsenen Corden flennen zu sehen. Ich bin dann mal weg und melde mich später am Migdol zurück.“ Kaum ausgesprochen verabschiedet sich das Hologramm in einem safranfarbenen Lichtblitz. Zugleich erlischt das Leuchten ihrer Platine oberhalb der Schale.

Achselzuckend kommentiert Nermin: „Jetzt können wir nur abwarten, was Santanas Recherche ans Licht bringt. Dazu muss sie sich im wahrsten Sinn des Wortes quer durch die geheimen Datenbanken von Sternenflotte und ISD schnüffeln. Erst wenn das erledigt ist, kann über das weitere Vorgehen beratschlagt werden. Denn ohne gesicherte Fakten wäre eine Rettungsmission sinnlos, geradezu töricht.“

Jeder, sogar Min-Khai, macht sich insgeheim Sorgen, wie es den verschollenen Freunden inzwischen ergangen ist. Dass diese eventuell schon nicht mehr am Leben sind, will niemand glauben. Was die Freunde im fernen Loop-Noor nicht ahnen können: Glücklicherweise bewahrheitete sich Nermins Urteil, die Dragon-Crew besitze wie kaum jemand sonst ein besonderes Talent zum Überleben.

Nach chaotischem Flug steuert eine der zuvor erwähnten Rettungskapseln der havarierten A. R. S. Serpil auf einen Türkis schimmernden Himmelskörper zu. Mit schrillem Heulen dringt der Flugkörper in die Atmosphäre des Planeten ein, einen feurigen Schweif hinter sich her ziehend. Wenige Augenblicke später rauscht das Objekt quer durch einen Forst riesiger Farne. Davon abgebremst schlägt es schließlich mit dumpfem Knall im morastigen Untergrund ein. Schlick und Pflanzenteile spritzen auf. Danach senkt sich wieder natürliche Stille über den Ort des Einschlags. Jede Menge Nebel von kondensierendem Wasserstoff verhüllt das überhitzte Gebilde. Langsam, fast unmerklich, beginnt es der sumpfige Untergrund zu verschlingen. Ächzen und Stöhnen sind zu vernehmen. Dies stammt vom Außenschott, welches sich beim Aufprall verzogen hat und für die Insassen daher nur noch unter größten Mühen zu öffnen ist.

Es dauert etwas, bis der Ausstieg des rundlichen Objekts endlich entriegelt werden kann. Krachend kippt die Luke gegen die Außenhülle. Aus dem sich auftuenden Loch schauen zwei sichtlich erschöpfte Offiziere der Allianz-Sternenflotte, die erst Atem schöpfen müssen, ehe sie die nähere Umgebung erkunden können.

„Hast du eine Ahnung, wo wir hier sind?“, erkundigt sich Steinbach schnaufend.

Keniatta verneint: „Sämtliche Systeme der Serpil sind vor der Katastrophe völlig durchgedreht. Wir könnten überall gelandet sein. Komm, auf! Lass es uns herausfinden.“

Mutig ergreift der Kommandeur die Initiative und schwingt sich kühn aus der Kapsel. Vorsichtig setzt er einen Fuß auf den morastigen Erdboden. Prompt sackt sein Stiefel bis über den Spann ein. Steinbach hadert zwar mit der Vorsehung, folgt ihm aber bald darauf. Nun tasten sich die Offiziere auf der Suche nach festem Land bedächtig voran. Dieses wird erst nach einhundert Metern in Form eines sanften Hügels erreicht, der von gigantischen Farnen überwuchert ist. Gezeichnet von den Strapazen der zurückliegenden Ereignisse, lassen sich die Kameraden erst einmal auf Moospolstern nieder. Diese sind zwar klamm, erscheinen aber immer noch bequemer, als die absolut kompfortlos ausgestattete Rettungskapsel.

Steinbach, der das Herz stets auf der Zunge trägt, macht aus seinem Verdruss keinen Hehl. Während sein Auge über das umgebende Terrain schweift, murrt er: „Na prima! Wie es scheint, haben wir ja wieder mal voll in die Jauche gepackt. Hätten wir nicht ausnahmsweise in einem Ferienressort notlanden können? Blauer Horizont, weißer Badestrand, hübsche Mädels, angenehme Temperaturen? Ach, das ist doch totaler Mist hier!“

Gemeint ist die urige Sumpflandschaft, welche in allen Himmelsrichtungen flach wie ein Brett bis zum Horizont reicht, unterbrochen lediglich durch eingesprenkelte Haine aus gigantischen Farngewächsen, die sich, Oasen gleich, quer über das ansonsten monotone Panorama verteilen. Es nieselt unmerklich. Wenigstens ist das Klima hier subtropisch schwül. Auch dämmert es bereits.

Keniatta sinniert: „Immerhin sind wir noch am Leben. Hätte für uns auch viel schlimmer ausgehen können. Denk doch nur mal ans eisige Theugoll und diesen abartigen Tamarin-Teenager!34 Freilich würde bereits ein Tümpel aus flüssigem Methan völlig ausreichen, um uns für die Ewigkeit einzufrieren. Oder ein Planet, auf dem es geschmolzenes Eisen regnet. Da wären wir längst verdampft.“

Steinbach unterbricht den Monolog seines Jugendfreundes und zeigt nach vorn: „Ich fürchte, es ist schlimmer!“ Zum einen versinkt gerade ihre Rettungskapsel mit gemächlichem Gurgeln auf Nimmerwiedersehen im Flachmoor, zum anderen lärmt lautstarkes Grollen aus der Ferne herüber und übertönt sonor den vorherrschenden Geräuschpegel. Seiner Modulation nach muss es eindeutig von einem sehr großen, äußerst aggressiven Tier stammen, weshalb Steinbach bissig kombiniert: „Was soll‘s? Wenigstens ist es keiner dieser ekelhaften Schleimpilze, mit denen wir neulich im Fiona-System Bekanntschaft gemacht haben.35 Die krakeelen nämlich nicht, sondern morden beinahe geräuschlos!“

„Beruhigend. Aber wie sollen wir ohne den Peilsender der Rettungskapsel von der Sternenflotte gefunden werden?“ Keniatta wendet sich ratlos der anderen Seite zu.

Noch während er darüber nachdenkt, wird sein Grübeln urplötzlich durch einen seltsamen Laut unterbrochen, der so gar nicht zum natürlichen Klangspektrum des Planeten passen will. Irgend so ein leises Summen oder eher kaum hörbares Surren flirrt durch den Äther. Es scheint stetig näher zu kommen. Fragend schaut sich der Kommandeur um und erblickt in einiger Entfernung einen mild bläulichen Lichtschein. Dieser stammt von einem fliegenden Objekt, welches gerade um ein etwas weiter entfernt liegendes Wäldchen biegt. Eilends zieht Keniatta seinen Freund am Ärmel und legt einen Finger auf den Mund. Steinbach versteht zwar nicht, was los ist, geht aber gleichfalls in Deckung. Fest gegen den moosbewachsenen Untergrund gepresst, verharren die Offiziere lautlos.

Unerbittlich kommt das Flugobjekt näher, emsig die Umgebung prüfend. Zwischen ihm und den Offizieren befindet sich lediglich kräftiges Buschwerk aus sacht im Wind wogenden Farnen. Warum auch immer, die Sonde registriert die beiden Menschen dahinter nicht, sondern schwebt weiter Richtung Sumpfland. Dadurch erkennen die Freunde im schwindenden Tageslicht, dass es sich um eine Kugel von gut einem Meter Durchmesser handelt, aus deren Vorderseite ein blauer Lichtstrahl dringt. Durch multiple Sensorfächer, die sich in unterschiedlichen Farben manifestieren, tastet die fliegende Sphäre intensiv die vormalige Absturzstelle der Rettungskapsel ab. Letztere ist jedoch längst von meterdickem mineralreichem Moder bedeckt, weshalb alle Bemühungen der Sonde ergebnislos bleiben. Es dauert, bis die Maschine aufgibt. „Wob! Wob!“, verkündend setzt sie ihren Weg durch das endlos scheinende Ried fort.

Nachdem der Stahlball endlich außer Sichtweite ist, schnauft Steinbach: „Na, glaubst du mir jetzt, dass es schlimmer ist? Täuscht mich meine Wahrnehmung oder war das Gebilde eben nicht eine dieser fliegenden Killerkugeln, die wir von Nionott her kennen?36 Jetzt gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, wir sind auf einen neutralen Planeten geplumpst, den zufällig