DIE CORSARIN 2 - Erec von Astolat - E-Book

DIE CORSARIN 2 E-Book

Erec von Astolat

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Beschreibung

Nachdem Washington vor dem Verrat gewarnt werden konnte und man auf Albany die Vorräte aufgefrischt hat, will Estrella ihre Schwester Lucia zurück nach San Luca Bay bringen – eine gefährliche Reise um das Kap Horn in den Pazifik nimmt ihren Lauf. Dabei gerät die SILVER STAR in eine Falle von Sklavenjägern. Zwar kann der Angriff abgewehrt werden, aber Lucia wird während des Kampfes verschleppt. Estrella und Helen nehmen die Verfolgung auf, verlieren in einem Sturm aber die Fährte. Der Zufall jedoch weist eine Spur nach Paris, an den Hof des Königs. Steckt Marie-Jeanne Dubarry, die Mätresse Louis XV. dahinter? Eine vom König gegengezeichnete Depesche der Dubarry führt die Corsarin auf Lucias Spur und in ein haarsträubendes Abenteuer.

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Seitenzahl: 247

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DIE CORSARIN

Band 2

DIE DEPESCHE

DES KÖNIGS

von

Inhalt

IMPRESSUM

Zuletzt erschienen:

Vorschau:

IMPRESSUM

DIE CORSARIN

Herausgeber:

ROMANTRUHE-Buchversand.

Cover: Shutterstock.

Satz und Konvertierung:

DigitalART, Bergheim.

© 2019 Romantruhe.

Alle Rechte vorbehalten.

Die Personen und Begebenheiten der

Romanhandlung sind frei erfunden;

Ähnlichkeiten mit lebenden oder

verstorbenen Personen sowie mit tatsächlichen

Ereignissen sind unbeabsichtigt.

Abdruck, auch auszugsweise,

Vervielfältigung und Reproduktion sowie

Speichern auf digitalen Medien zum

Zwecke der Veräußerung sind untersagt.

Internet: www.romantruhe.de

Kontakt:[email protected]

Produced in Germany.

Die Corsarin ist auch

Zuletzt erschienen:

Band 1: Estrellas Rache

Band 2: Die Depesche des Königs

In Vorbereitung:

Band 3: Der Degen der Freiheit

Band 4: Die schwarze Dschunke

Band 5: Die Spiegel von Versailles

Band 6: Das Siegel der Zarin

Band 7:

Albany. Vier Monate nach den bisher geschilderten Ereignissen.

Das Stadthaus zeigte sich bis zum letzten Platz gefüllt. Vorn auf einer bühnenartigen Plattform stand Estrella Avilla de Aragon.

»Ich bin froh, dass diese Insel bisher nicht wieder von unseren Feinden entdeckt worden ist«, erklang ihre Stimme laut und deutlich bis in den hintersten Winkel des Saales. »Trotzdem dürft ihr in eurer Sorgfalt nicht nachlassen. Dieser Unterschlupf, meine Freunde, ist der einzig sichere Ort für euch.«

Zustimmendes Gemurmel drang an das Ohr der Corsarin.

Sie fuhr fort: »Jaques Desny hat bisher als Ortsvorsteher, nach den Ereignissen damals, sein Amt hervorragend ausgefüllt. Doch heute hat er mich gebeten, ihn davon zu entbinden. Er fühlt sich zu alt für diese Verantwortung.«

Protestrufe wurden angestimmt. Estrella hob die Arme.

»Wir sollten Jaques Entschluss respektieren. Er wird seinem Nachfolger immer beratend zur Seite stehen.«

Sie winkte den alten Mann zu sich auf die Bühne. Mit leicht gebeugtem Gang stieg er die schmalen Holzstufen hinauf. Die Augen in seinem von den Wintern des Lebens zerfurchten Gesicht blickten wach und intelligent auf die Menge.

»Hört zu, Leute«, sprach er mit kräftiger Stimme. »Ich bin jetzt vierundachtzig Jahre alt. Kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Aber Zeit, das Ruder an jüngere Leute zu übergeben. Ich denke, ich habe auch die richtige Person für meine Nachfolge ausgesucht. Jemand mit viel Verstand und großem Verantwortungsgefühl. Jemand, der das Herz auf dem rechten Fleck hat.«

Er machte eine Pause und schaute über die Köpfe der Bewohner von Albany hinweg. Dann erstrahlte sein Gesicht in einem Lächeln. »Als Nachfolge, meine Freunde, empfehle ich euch Francoise Vernelle.«

Einige Sekunden der Verblüffung senkten sich über den Saal. Dann schwoll das Gemurmel an. Endlich rief einer der Männer: »Eine Frau soll in Albany bestimmen? Unmöglich!«

»Ach ja?«, kam es von Jaques Desny. »Seit Langem bestimmt schon eine Frau über die Insel. Ohne sie gäbe es unsere Heimat überhaupt nicht. Oder haltet ihr Estrella für einen Elefanten?« Er kicherte und das steckte die Leute an.

Dann kamen die Zustimmungsrufe.

Die Corsarin war in den Saal hinunter gegangen und kehrte nun mit einer zierlichen, schwarzhaarigen Frau zurück. Doch wer ihr in die Augen sah, der erkannte sogleich, dass sie Durchsetzungsvermögen ausstrahlten.

»Hiermit setze ich Kraft meiner Autorität Francoise als meine Stellvertreterin und Ortsvorsteherin dieser Gemeinde ein«, rief die Corsarin.

Damit war die Diskussion abgeschlossen.

Als die Dämmerung einbrach, wurden auf dem Platz vor dem Stadthaus Feuer entzündet. Alles traf sich zu Musik, Tanz und gutem Essen.

Irgendwann in der Nacht nahm die Corsarin Helen beiseite.

»Lass die SILVER STAR klar machen. Bei Sonnenaufgang laufen wir aus. Es soll aber von den Bewohnern hier keiner merken.«

Auf Helens fragenden Blick bemerkte sie leise: »Ich hasse diese Abschiede.«

»Die Leute lieben dich, Estrella. Du bist für sie so etwas wie eine Göttin.«

Die Corsarin nickte. »Eben deshalb! Auch ich liebe diese Menschen hier. Daher möchte ich ohne Aufsehen verschwinden. Es gibt viel zu tun auf dem Meer.«

Mit diesen Worten verschwand sie in der Menge, wo sie gleich wieder von vielen Frauen und Männern umringt wurde.

Helen sandte ihrer Schwester ein stilles Lächeln hinterher. Dann machte sie sich auf den Weg zum Schiff. Dort traf sie den alten Sam. Der hielt nicht viel von der Feierei.

»Mögen sie Estrella die Füße küssen«, hatte er vorher gesagt. »Ich will von dem Trubel nichts wissen.«

Als er nun Helen sah, stand er von dem alten Fass auf, auf dem er gesessen hatte.

»Ist was passiert?«

Helen verneinte. »Estrella will bei Sonnenaufgang auslaufen. Ohne Brimborium!«

Der Erste grinste. »Sieht dem Mädel wieder mal ähnlich. Sie mag diesen Tumult um ihre Person nicht. Außerdem zieht es sie wieder aufs Meer. Sie lechzt danach, verfluchte Inglis und Franzmänner auf den Grund zu jagen.«

Er legte Helen den Arm um die Schulter. »Dann werden wir unsere gute Lady hier mal klar machen!«

Als die Sonne aufging, befand sich die SILVER STAR auf dem Meer.

Helen stand am Bug und ließ sich den Wind um die Ohren wehen. Die Corsarin hatte selbst das Ruder übernommen. Es trieb sie zu den Schiffsrouten der Engländer. Dort wollte sie zuschlagen. Wie ein Phantom.

So wie früher!

Der halbe Tag verging. Nur zweimal meldete der Ausguck im Krähennest ein anderes Schiff. Doch die Corsarin winkte jedes Mal ab. »Es ist zu weit.«

Erst gegen den späten Nachmittag zu tat sich etwas, was die Aufmerksamkeit Estrellas an sich zog.

Sie stand zusammen mit Helen im vorderen Bereich der Steuerbord-Reling, als der Ruf »Schiff voraus!« ertönte.

Sie zog Helen mit sich. »Komm! Das sehen wir uns an!«

Da sie keine Stiefel trugen, konnten sie ohne Verzug den Mast entern. Durch das Fernrohr erkannten sie ein großes Schiff.

Helen setzte verblüfft das Glas ab. »Das gibt’s doch nicht …«

»Hm«, kam es mehr grunzend von der Corsarin. »Eine französische Strafgaleere. Vermutlich auf dem Weg zu den südamerikanischen Plantagen.«

Sie stellte das Fernrohr schärfer ein. Bald konnte sie die Flagge gut erkennen.

»Sehen wir es uns von der Nähe an?«, wollte Helen wissen.

Estrella wirkte etwas unschlüssig. »Na ja, mal sehen, wen man vielleicht davon gebrauchen kann. Möglicherweise haben wir einen Haufen stinkender, dreckiger Mörder am Hals, die wir nicht wieder loswerden.«

Helen fuhr sich mit den Schneidezähnen über die Unterlippe. »Die Galeere ist nicht besonders bewaffnet. Wir schauen, was wir brauchen können. Kettet die Aufseher mit an die Ruder und lasst sie weiter fahren.«

Estrella schätzte die Entfernung ab. »Etwa zwei Meilen. Wenn sie keinen Ausguck im Mast haben, können wir uns noch anschleichen.«

Sie rutschte zum Deck herunter.

»Mr. Bush, wir nehmen uns die Galeere vor. Schlagen Sie einen Bogen nach Steuerbord. Wir müssen dann im spitzen Winkel auf sie zulaufen. Der Franzose läuft auf die Ausläufer der Möweninsel zu. Wir fahren südlich hinter den Inseln vorbei, bleiben so gedeckt und packen ihn uns dann.«

Bush lachte. »Der Plan gefällt mir. Aye, aye, Lady Captain!«

Hart am Wind glitt die SILVER STAR auf die Inselgruppe zu. Außer Sichtweite der Galeere.

»Mr. Bush!«, rief Estrella. »Lassen Sie volle Leinwand setzen. Jede Unterhose – wir brauchen mehr Fahrt!«

»It’s clear!«, rief der Erste zurück und jagte seine Jungs in die Wanten.

Helen blickte auf den Griff ihres Degens. »Ich denke, dass dieser Schiffstyp sechs Mörser an jeder Seite aufzuweisen hat.«

Die Corsarin warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Unser Zusammentreffen scheint ein wahrer Glücksgriff des Schicksals gewesen zu sein.«

Helen lachte und fuhr ihr mit der Hand über den Oberarm. »Vielleicht hat unsere Mutter aus dem Jenseits nachgeholfen.«

Estrella verzog das Gesicht zu einer abweisenden Grimasse. »An solchen Unsinn glaube ich nun wirklich nicht!«

Helen legte den Kopf schief. »An das Jenseits oder das Schicksal?«

Estrella machte eine ausholende Armgestik. »An beides nicht.«

»Hast du nie darüber nachgedacht, dass bestimmte Dinge, die wie zufällig erscheinen, später einen tieferen Sinn ergeben haben?«

»Hm …« Estrella blickte über die weite Meeresfläche. »Schon«, kam es zögernd. »Aber …« Sie winkte ab. »Quatsch! Das ist was für alte Kirchenweiber!«

»Weshalb so verbittert?«, wollte ihre Schwester wissen. »Das kann nicht nur an deinem Erlebnis in England liegen.«

»Nein!«, kam es unwirsch zurück. »Die Ermordung meiner Eltern … und noch andere Dinge spielen eine Rolle dabei. Vieles geschah unter dem Deckmantel des Glaubens und der Kirche.« Sie wandte sich ab. »Ich möchte jetzt nicht darüber reden.« Damit richtete sie ihren Schritt zum Aufgang des Oberdecks.

Eine dunkle Wolkenwand zog von Westen auf. Bush machte Helen darauf aufmerksam.

»Das kommt uns zugute, Sam. So eine Galeere hat dann enorme Probleme, weil nicht gleichmäßig gerudert werden kann. Die Wellen lenken die Ruder aus der Bahn. Also muss der Kapitän die Fahrt verlangsamen.«

Der Alte lächelte. »Du kennst dich wirklich aus, Mädel. Du und Estrella, wenn ihr zusammenhaltet, seid ihr unschlagbar.«

Helen umarmte den Alten und drückte ihm einen Kuss auf seine bartstoppelige Wange.

»Schiff an Backbord voraus!«, rief der Ausguck.

Tatsächlich tauchte da die französische Galeere hinter einem Felsvorsprung auf. Die Corsarin sprang die Treppe des Oberdecks herab und rief ihre Befehle.

Inzwischen frischte der Wind enorm auf und der Himmel verdunkelte sich. Die ersten Blitze zuckten.

Die SILVER STAR näherte sich der Galeere.

»Kanonen klar machen! Pistolen laden!«, schallte Estrellas Stimme über das Deck.

Jetzt hatte man sie gesehen. Hektisches Getriebe zeigte sich an Deck des Franzosen.

Helen kicherte. »Aufgeregte Leute. Sie wissen nicht, wie sie uns einordnen sollen.«

Estrella stieß sarkastisch hervor: »Gleich werden sie es wissen. Rote Flagge!«

Als das blutrote Banner oben knatterte, vernahm man Schreckensrufe von der Galeere. In aller Eile wurden dort die Kanonen für den Einsatz bereit gemacht. Doch da donnerte die Stimme der Corsarin: »Breitseite kurz über die Wasserlinie!«

Die SILVER STAR schwankte nach Steuerbord. Die Detonation der zwölf Geschütze drohte die Trommelfelle zu sprengen. Eine gewaltige Rauchwolke breitete sich über der Galeere aus.

»Scharf Backbord!«, schrie Estrella.

Der Rauch verzog sich. Die Spitze des Corsarenschiffes rammte den Franzosen.

»Entern!«

Überlaut, für jeden hörbar schallte es von der SILVER STAR.

*

»Das ist ja eine hübsche Bagage!«

Die Corsarin hatte sich vor den verängstigt schlotternden Franzosen aufgebaut. »Jetzt pisst mir nicht vor Schreck hier aufs Deck.«

Helen und Sam Busch hielten die Besatzung mit ihren Pistolen in Schach. Ein Teil der SILVER STAR-Mannschaft durchsuchte die Galeere. Plötzlich kam Pietro, der zweite Bootsmann, aufgeregt zu seinem Lady-Captain.

»Da unten … da …«, begann er stotternd.

Estrella schaute den kleinen Spanier amüsiert an. »Was ist da unten, Pietro? Hast du den Klabautermann gesehen?«

Der Mann schüttelte mit großen Augen den Kopf.

Helen machte sich bereits auf den Weg zum unteren Decksbereich. Als sie die schmale Treppe hinuntersprang – den Degen abwehrbereit – kamen die Ruderbänke rasch in ihr Blickfeld. Sie hörte das Rasseln von Ketten.

Dann blieb sie wie angewachsen stehen. Vor Erstaunen klappte ihr der Mund auf.

»Heiliger Dionysos …«, entrann es ihr.

»Was gibt …?« Estrella, die ihr gefolgt war, verhielt mitten im Reden. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf das, was sie sah, aber nicht zu glauben vermochte.

Auf den Ruderbänken verteilt auf zwei Halbdecks saßen schmutzig, verschwitzt und angekettet etwa dreißig Menschen. Verstörte Blicke unter verfilztem Haar trafen die Corsarin und ihren Commodore.

»Frauen«, kam es wie ein vom Winde verwehter Hauch von Helens Lippen.

Die Corsarin räusperte sich. »Bei Neptun!«, kam es kratzig über ihre Stimmbänder.

Estrella und Helen schritten über einen schmalen Steg, der die einzelnen Gefangenendecks trennte. Ihre Lippen pressten sich zusammen, als sie auf den völlig nackten Körpern die verkrusteten und teils auch frischen Peitschenstriemen sahen.

»Mierda!«, zischte die Corsarin. »Französische Bastarde!«

Helen beugte sich zu einer Frau hinunter, der die pechschwarzen Haare wirr und verknotet bis ins Gesicht fielen. Zwischen den Strähnen blitzten dunkle, feurige Augen.

»Weshalb bist du auf diesem Schiff?«, fragte sie mit leiser, weicher Stimme.

Die Gefangene hob ein wenig den Kopf. Ihre vom Rudern schwieligen und an manchen Stellen wunden Hände zuckten leicht in den Ketten.

»Ich bin anderer Ansicht gewesen als der Bischof von Ruon«, kam es monoton.

Helen stutzte einen Moment ob dieser Antwort, dann machte sie: »Aha.«

Estrella hatte ihre Sprache noch nicht wiedergefunden. Man merkte der sonst hartgesottenen, nicht gerade zimperlichen Corsarin an, dass sie diese Situation überforderte.

Sie ließ die leicht flackernden Augen über die Menge der Gefangenen schweifen. Aus vielen Ecken trafen sie flehende und auch hoffnungsvolle Blicke.

Auf der Treppe vernahm man schwere Schritte. Es war Sam Bush. Stocksteif blieb er plötzlich stehen.

»Deibel!«, stieß er hervor und strich sich verdattert über den Bart.

Estrellas Rücken straffte sich.

»Mr. Bush, lassen Sie die Frauen auf die SILVER STAR bringen. Dann lassen Sie den Kapitän auspeitschen und versenken den verdammten Kahn.«

In dieser Anweisung spiegelte sich Estrellas gesamter Hass wieder.

Noch völlig verstört blickten die Galeerensträflinge zu, wie zwei Stunden später – nach zwei weiteren Breitseiten aus den Kanonen des Corsarenschiffes – die Galeere gurgelnd in den Fluten versank.

Einige Franzosen, die schwimmend versuchten, aus dem Sog des untergehenden Wracks herauszukommen, wurden von Estrella ignoriert.

»Volle Leinwand, Mr. Bush!«, kam es von der Corsarin. »Kurs Süd!«

Die SILVER STAR drehte sich in den Wind und nahm Fahrt auf.

Helen kümmerte sich um die Frauen. Der Bootsmann übernahm die Aufgabe, die Ketten zu entfernen. Wunde Hand- und Fußgelenke zeigten sich als Zeugen vergangenen Martyriums.

Die Frauen wurden in drei Gruppen aufgeteilt, und als das Schiff einige Meilen zurückgelegt hatte, ließ Helen die Segel reffen.

In den Wanten und an der Reling verteilte der Erste einige Männer mit Musketen. Sie sollten auf Haie achten. Dann forderte Helen die Frauen auf, jeweils eine Gruppe nach der anderen im Meer zu baden.

»Aber entfernt euch nicht vom Schiff. Wir haben unruhige See. Wenn sich auch das Gewitter wieder verzogen hat, bleibt es gefährlich.«

Am frühen Abend türmten sich neue pechschwarze Wolkenbänke auf und der Horizont leuchtete unter zahlreichen bizarren Blitzen.

Auf Befehl Estrellas war im Bauch des Schiffes ein Bereich notdürftig als Unterkunft eingerichtet worden, sodass die befreiten Frauen ordentlich schlafen konnten. Der Wundarzt kümmerte sich um die geschundenen Körper.

Helen sprach mit dem Segelmacher. Der schnitt aus einem alten Focksegel Streifen, sodass die Frauen sich wenigstens rockähnliche Kleidungsstücke fertigen konnten.

Der Smutje tat sein Bestes, um den Befreiten eine einigermaßen brauchbare Mahlzeit zu bereiten.

Gegen die Mitte der Nacht setzte schweres Wetter ein. Die SILVER STAR rollte.

»Hoffentlich kotzt uns unten keiner die Bude voll«, knurrte Estrella. Helen schaute sie leicht schelmisch an. »Dann kannst du mit denjenigen ja dieselbe Rosskur veranstalten wie mit mir damals.«

Die Corsarin lachte hart. »Es hat doch gewirkt, Schwesterherz.«

Um Mitternacht kreischte der Sturm förmlich in der Takelage. Die Geister des Meeres schienen Reigen zu tanzen.

Bush ließ bis auf drei Segel die Leinwand entfernen. Zwei Leute mussten das Steuer halten.

Helen klammerte sich in der Kajüte an einem Balken fest, während Estrella die Seekarte bei flackerndem Talglicht studierte.

»Wir müssen diese kleine Insel hier in zwei Stunden erreichen können«, rief sie durch das Sturmbrausen. »Dort existieren zwei kleine Buchten, die uns Schutz geben können.«

»All right!«, rief Helen und zog ihre Stiefel aus. Estrella, die das sah, fragte: »Was gibt das?«

»Ich will an Deck und barfuß habe ich in der Nässe mehr Halt.«

Die Corsarin pfiff durch die Zähne. »Nicht schlecht überlegt.«

Sie warf ebenfalls ihre Stiefel weg und dann betraten sie das Deck. Sogleich ergriff sie der Sturm.

Es knarrte und wimmerte in der Takelage. Sam Bush hatte sich an der Reling festgebunden. Immer wieder schwappten die Wogen über die Planken. Zwei Rudergänger stemmten sich in das Doppelrad.

Eine Taurolle rutschte in affenartiger Geschwindigkeit über das Deck – Estrella konnte eben noch darüber hinweg springen. Helen stürzte und wurde von einer anrollenden Welle erfasst. Sie schrie auf. Unaufhaltsam trieb es sie nach Steuerbord. Mit entsetzten Augen verfolgte die Corsarin die Rutschpartie. Helen musste unweigerlich von Bord gespült werden.

»Helen!«

Estrellas ganze Verzweiflung legte sich in ihren Schrei.

Die Genannte ruderte wild mit den Armen.

Da!

Sie fand Halt an einem Haken. Er diente normalerweise dazu, Entertaue zu befestigen. Ihre Finger krallten sich in die Öse. Sie glaubte, die ganze Hand würde ihr abgerissen. Blut quoll zwischen den einzelnen Fingergliedern hervor.

Da legte sich die SILVER STAR nach Backbord über. Helen wurde zurück auf den Mast zu geschleudert. Schmerzhaft schlug sie mit dem Kopf an. Völlig benommen suchte sie neuen Halt auf dem Deck, als das Schiff zurückschwankte.

Da stand die Corsarin bereits neben ihr, ergriff ihren linken Arm und hielt sich selbst an einem Haken fest, der aus dem Mast ragte. Mit äußerster Anstrengung gelang es ihr, sich beide mit einem Tau zu sichern.

»Uff!«, machte Estrella. »Das war knapp!«

Helen warf ihr einen warmen, dankbaren Blick zu.

»Jetzt hast du mir das Leben gerettet«, kam es über Helens Lippen, halb vom Sturm fortgerissen.

Trotz der Situation lächelte die Corsarin. »Ich werde meine Schwester doch nicht zu den Haien schicken.«

»Mr. Busch!«, schrie sie dann. »Wir brauchen mehr Leinwand!«

Der Alte schaute durch den Nässeschleier zu seinem Captain herüber. Hatte er das richtig verstanden? Die Masten ächzten doch jetzt schon.

»Captain?«, kam es denn auch zweifelnd zurück.

»Mehr Leinwand, Mr. Bush«, wiederholte die Corsarin. Sie stemmte sich mit beiden Beinen gegen die Schieflage des Schiffes. »Der Sturm wird härter. Wir müssen Shackle Island erreichen, bevor der Hurrikan uns erwischt!«

Tatsächlich zeigte sich die SILVER STAR eingehüllt in pechschwarze, scheinbar pulsierende Wolken. Jeder Seemann konnte diese Zeichen deuten.

»Aye, Captain!«, kam es vom Ersten. Dann versuchte er, über das auf- und abschwankende Deck zu seinen Männern zu gelangen.

Da trat völlige Stille ein.

Kein Windhauch. Kein Regen. Das Schiff schien zu verharren.

Die Corsarin blickte zum Himmel hoch. Ein weites, dunkelblaues Loch war zu sehen. Sterne blinkten hindurch.

Auch Helen wusste, was das bedeutete.

»Gott, steh uns bei«, flüsterte sie.

Estrella wandte hektisch den Kopf. »Mr. Bush! Schicken Sie Leute auf die Masten. Viertel Leinwand! Es wird einen mächtigen Stoß geben. Sobald das Schiff sich wieder in die Wagerechte pendelt, will ich alles an Leinwand, was dieses verfluchte Schiff besitzt!«

Bush öffnete stumm wie ein Fisch auf dem Trockenen den Mund.

»Tun Sie es einfach!«, herrschte die Corsarin ihn an.

Da kam wieder Leben in den Ersten.

»Was hast du vor?«, flüsterte Helen.

Estrellas Wangenmuskeln malten. Dann presste sie hervor: »Unseren Arsch retten!«

Dann kam es ohne Vorwarnung.

Die Segel blähten sich – strafften sich.

Das Schiff legte sich nach Backbord. Es neigte sich um 45 Grad … 50 Grad … die Spitzen der Rahen berührten das Wasser.

Zwei Männer in den Wanten gerieten in Panik und stürzten ins Meer. Helen und Estrella klammerten sich unter Aufbietung all ihrer Kräfte an die Steuerbordreling. Ihre Füße schwebten über dem Deck. Der Rumpf knarrte und ächzte.

Dann, unendlich nervenzerreißend träge, richtete sich die SILVER STAR wieder auf.

»Volle Leinwand!« Die Corsarin kreischte es.

Der Sturm griff voll zu! Zwei Focksegel zerbarsten mit einem hellen Knall. Es glich einem Pistolenschuss.

»Voller Einschlag Steuerbord!«, schrie Estrella. Sie stieß sich von der Reling ab und raste zum Steuer. Gemeinsam mit den beiden Steuerleuten stemmte sie sich in das mächtige Ruderrad.

Die Todeswelle näherte sich. Es klang wie der ferne Weltuntergang, entfaltete sich zu einem drohenden Donnern, entwickelte sich zum Getöse und wie von einer riesigen Faust gepackt stemmte sich das Schiff steil in die Höhe. Seile rissen und schleuderten Katapulten gleich über das Deck. Ein unvorsichtiger Seemann wurde getroffen. Wie eine reife Melone platzte sein Schädel auf …

*

Die sanften Wellen benetzten Helens Füße.

Estrella hatte ihre Kleidung abgelegt. In zweihundert Yards Entfernung lag ganz ruhig die SILVER STAR. Sam Bush und seine Jungs waren mit den Reparaturen der Sturmschäden beschäftigt. Es grenzte an ein Wunder, dass sie einigermaßen heil die Bucht von Shackle Island erreicht hatten.

Leise rollte die milde Brandung an den Sandstrand. Die Corsarin hob die Arme weit zum Himmel und rief enthusiastisch aus: »Oh Neptun! Oh Astarte! Gibt mir die Kraft, die verfluchten Engländer von diesem Globus zu jagen!«

Helen kicherte. Sie kam auf ihre Schwester zu und meinte: »Nur die Engländer? Dein Hass bezog sich doch auch auf die Franzosen.«

Scharf zog Estrella die würzige Meeresluft durch die Nase ein. »Richtig, aber die Engländer sind meine Grundfeinde!«

»Es gibt so wunderbare Flecken Erde wie dieses hier … Hast du nie darüber nachgedacht, irgendwo vor Anker zu gehen?«

Die Mundwinkel der Corsarin zogen sich verächtlich nach unten. »Bin ich ein altes Weib, das mit einem Strickstrumpf vor ihrer Hütte sitzt? Erst, wenn die amerikanischen Siedler frei sind, unabhängig sind, werde ich ruhen.«

Helen wollte etwas erwidern, als Lärm von der SILVER STAR herüberdrang.

Estrellas Kopf zuckte in die Richtung.

»Was ist da los?«

Helen ergriff ihre Stiefel und lief los. »Wir werden es erfahren!«

Sie beeilten sich, das Schiff zu erreichen. Es lag etwa fünfzig Yards vom Strand entfernt. Die beiden Frauen bestiegen das Beiboot und ruderten los.

An Bord empfing sie ein groteskes Bild.

Zwei der Frauen, die sie von der Galeere befreit hatten, lieferten sich einen Ringkampf. Den Gesichtsausdrücken nach hatte wohl keine von ihnen Skrupel, die andere umzubringen. Sie hatten ihre provisorisch geschneiderten Röcke verloren. Ihre Körper glänzten vom Schweiß.

Die umstehenden Männer und Frauen feuerten die beiden Kontrahentinnen an.

Gemütlich an die Reling gelehnt, seine Pfeife schmauchend stand Sam Bush.

Als er seinen Lady-Captain und den Commodore sah, nahm er Haltung an.

Estrella zupfte ihre Bluse zurecht und baute sich vor dem Ersten Offizier auf. »Was geht hier vor, Mr. Bush?«, kam es messerscharf.

»Sorry, Captain. Eine Meinungsverschiedenheit.«

Estrellas Augen begannen unterschwellig zu glimmen. »Sie sind nicht in der Lage, so eine Keilerei zu unterbinden? Ich bin enttäuscht, Mr. Bush.«

Sie zog ihre Pistole aus dem Gürtel, spannte den verzierten Hahn und …

Die Detonation des Schusses ließ alle an Bord zusammenzucken.

Alle Augen waren nun auf die Corsarin gerichtet. Die beiden Kampfhähne ließen voneinander ab.

Estrella ging zu ihnen hinüber und blickte auf die verschwitzten und verkratzten nackten Leiber.

Dann winkte sie ihren Ersten heran.

»Mr. Bush, die beiden Damen brauchen dringend eine Abkühlung. Bindet sie für zwei Stunden am Ruderblatt fest. Hoffen wir, dass kein Hai sich in die Bucht verirrt.« Damit verschwand sie in ihrer Kajüte.

Helen grinste. »Viel Spaß«, kam es über ihre Lippen, dann enterte sie das Oberdeck.

Dort inspizierte sie die Reparaturarbeiten. Die Seeleute hatten ausgezeichnete Arbeit geleistet. Sie wusste, dass Estrella danach lechzte, wieder auszulaufen.

Helen prüfte den Wind. Er wehte sanft von Süd. Sie hoffte, dass es bis zum Abend auffrischen würde. Ihr Blick glitt den Hauptmast hinauf. Kurz entschlossen stellte sie ihre Stiefel ab und sprang in die Wanten. Wie ein Eichhörnchen turnte sie hinauf, ergriff ein loses Seil und schwang sich zum Hauptmast hinüber. In kürzester Zeit hatte sie die oberste Rahe des Mittelmastes erreicht. Sie zückte das Fernrohr und suchte den Horizont vor der Bucht ab.

Als sie den Blick nach Osten wandte, hielt sie inne. Sie erkannte zwei Schiffe. Es schienen Corvetten zu sein. Die Nationalität konnte sie nicht ausmachen. Was sie aber beunruhigte, war die Tatsache, dass sie auf Shackle Island zuhielten.

Sie machte es sich auf der Rahe einigermaßen bequem und beobachtete die Schiffe. Als die Schiffsglocke anzeigte, dass etwa eine halbe Stunde vergangen war, hatte Helen keinerlei Zweifel mehr. Die beiden Corvetten hielten genau Kurs auf die Bucht.

Helen ließ sich in Windeseile auf das Deck hinab und rannte zur Kajüte. Dort stieß sie beinahe mit ihrer Schwester zusammen. Diese sah sie mit erstaunten Augen an.

»Ist dir ein Meeresgeist begegnet?«, fragte sie leicht spöttisch.

Helen schüttelte den Kopf. »Das wäre kein Problem. Aber wir bekommen Besuch. Zwei Corvetten. Dem Bugaufbau nach Engländer. Sie laufen genau auf die Bucht, wenn sie nicht innerhalb der nächsten halben Stunde den Kurs ändern.«

Estrellas Zähne malten. Sie richtete ihre Augen unwillkürlich zur Einfahrt der Bucht. »Mierda!«, murmelte sie. »Wenn das stimmt, sitzen wir in einer Falle. Wir können das Schiff kaum drehen, um ihnen Breitseiten zu verpassen.«

»Zum Auslaufen reicht die Zeit nicht«, bemerkte Helen.

Estrella knetete nervös ihre Finger. »Wenn sie uns erkennen, können sie uns ganz genüsslich zusammenschießen, ohne dass wir auch nur die Spur einer Chance besitzen.«

Helen wirbelte herum. »Mr. Bush!«

»Commodore?« Der Erste eilte heran.

»Holen Sie die beiden …«, sie deutete nach hinten, »… Damen aus dem Wasser. Dann …« Sie entwickelte ihm ihren Plan. Nur kurz huschte ungläubiges Staunen über seine Züge, dann lachte er auf und bemerkte: »Das könnte ein Spaß werden.«

Auf der SILVER STAR entwickelte sich emsige Tätigkeit. Estrella hantierte in der Kajüte. Auf dem Hauptmast wurde die dänische Flagge gesetzt.

Zwei Stunden später liefen die beiden Corvetten gemächlich, hintereinander, mit nur zum Viertel stehender Leinwand in die Bucht ein.

Am Bug der Schiffe sammelten sich Männer in roten Röcken. Kein Zweifel, es handelte sich um Engländer.

Sam Bush zupfte seinen grünen, mit blitzenden silbernen Knöpfen versehenen Gehrock zurecht, prüfte den Sitz seines Dreispitzes und lehnte sich dann – gemütlich seine alte Pfeife schmauchend – an die Steuerbord-Reling.

Die restliche Besatzung stand oder saß einigermaßen adrett an Deck und schien den auf einem Schiff ab und zu notwendigen Beschäftigungen nachzugehen.

Niemand kümmerte sich großartig um die beiden ankommenden Schiffe.

Die Kapitäne der Corvetten ließen die Anker werfen. Dann wurde ein Beiboot zu Wasser gelassen. Der Kommandant des ersten Schiffes und fünf Soldaten ruderten zur SILVER STAR herüber.

Sam Bush schaute ihnen entgegen.

Als das Ruderboot noch etwa vier Yards von dem Corsarenschiff entfernt war, rief der Engländer: »Sir! Wir sind von seiner Majestät Schiff, des Königs von England. Ich bitte an Bord kommen zu dürfen.«

»Gibt es dazu einen besonderen Grund?«, kam es in leicht gebrochenem Englisch zurück.

»Ich möchte mit Ihnen sprechen. Es gibt zurzeit viele Unsicherheiten in dieser Gegend.«

Sam Bush richtete sich auf. »So? Gibt es das? Sie haben doch Kanonen. Soviel ich weiß, ist mein König in keinen Krieg mit England verwickelt.«

»Richtig! Deshalb würde ich Sie gerne kennenlernen. Von Kapitän zu Kapitän.«

Der Alte auf dem Corsarenschiff machte eine einladende Handbewegung. »Kommt an Bord und lasst uns einen ordentlichen Tropfen Rum genießen.«

Der Engländer lachte. »Das ist ein Wort, Sir.«

Estrella setzte das Fernrohr ab. »Sam hätte Komödiant werden sollen.«

Sie und Helen lagen in guter Deckung auf einem Hang. Mit ihnen – gleichfalls gut versteckt – zehn Männer und die Frauen von der Galeere.

»Wenn ihr nicht wieder an die Franzosen ausgeliefert werden wollt«, hatte Helen ihnen eindringlich geraten, »dann haltet euch in Deckung und vor allem den Mund.«

Der englische Kapitän ging an Bord des Corsaren. Die Soldaten in ihrem Ruderboot entfernten sich ein Stück von dem Schiff.

Estrella war es aber nicht entgangen, dass sich vier Leute mit Musketen in die Takelage der zweiten Corvette begeben hatten.

»Man geht auf Nummer sicher«, brummte sie.

Plötzlich drückte Helen ihr den Kopf tief in den Dünensand. Sie hatte oben im Krähennest eines der Corvetten einen Soldaten mit einem Fernrohr gesehen. Der richtete das Gerät soeben genau auf den Dünenkegel, auf dem sich die Freibeuter versteckt hielten.

»Volle Deckung!«, zischte Helen vernehmlich. »Keiner bewegt seinen Hintern!«

Etwa zehn Minuten blieben sie in voller Deckung, dann richtete sich Helen vorsichtig auf. Der Ausguck widmete sich der anderen Buchtseite.

»Noch mal gut gegangen«, flüsterte Helen. Estrella kam ebenfalls mit dem Kopf hoch und rieb sich etwas Sand aus der Nase.

Unten auf der SILVER STAR saßen Bush und der Engländer auf einer dicken Taurolle beisammen und prosteten sich zu.

Die Engländer auf den Corvetten schienen nun bemerkt zu haben, dass ihnen von dem Dänen keine Gefahr drohte. Sie machten es sich auf den Decks gemütlich.

»Ihr werdet noch eine Überraschung erleben«, feixte Estrella.

Kurz vor der totalen Dämmerung verließ der englische Kapitän bester Laune seinen Gastgeber.

Nachdem die letzten grauen Strahlen des Tages der Nacht gewichen waren, setzten Helen und Estrella ihren Plan um. Sie winkten sechs von den Französinnen zu sich.

Matt schimmerten Schiffslampen über die Weite der Bucht, als acht Schatten Phantomen gleich ins Wasser glitten.

»Du meinst, dieses Teufelszeug funktioniert?«, hatte die Corsarin kurz vorher noch ihre Schwester gefragt.

»Eine Mischung aus Magnesiumpulver und griechischem Feuer. Mein Vater hat es schon erfolgreich angewendet«, hatte Helen nur geantwortet.

»Es wird nass.«

Helen hatte gegrinst. »Es funktioniert nur nass.«

Obwohl nun der Mond sich ganz sachte über den Ausläufern der gegenüberliegenden Buchtseite erhob, konnten die nackten Schwimmerinnen nur von einem geschulten Auge als vage Schatten erkannt werden.

Sam Bush sah sie wohl. Doch die sorglosen Engländer hielten es nicht einmal für nötig, den Ausguck zu besetzen.

Als die Schwimmerinnen die halbe Strecke zwischen den Corvetten und dem Strand zurückgelegt hatten, teilten sie sich in zwei Gruppen. Eine führte Estrella, die andere Helen.

Unhörbar näherten sie sich den beiden Schiffen vom Heck her. Von den Decks vernahm man grölenden Gesang. Kein Zweifel – die Engländer ergaben sich dem Gott des Trunkes.

Am Steuerruder angekommen gab Estrella ihren Frauen ein Zeichen, zu den beiden Rumpfseiten des Schiffes zu schwimmen. Genau dasselbe passierte bei der anderen Corvette.

Das ganze Unternehmen nahm vielleicht fünfundvierzig Minuten in Anspruch, dann lagen alle Schwimmerinnen wieder in ihrem Dünenversteck.

»Bei Neptun«, stieß die Corsarin hervor. »Du glaubst wirklich, dass es funktioniert?«

»Keine Sorge«, kam es von Helen. Jetzt muss nur Sam reagieren.

Die Scheibe des fast vollen Mondes war höher gestiegen. In ihrer Mitte zeichnete sich wie ein Scherenschnitt eine gezackte Felskuppe ab.

Da begann sich die SILVER STAR unmerklich, aber doch zu drehen. Ohne dass die Engländer es mitbekommen hatten, war es der Besatzung des Corsarenschiffes gelungen, die beiden Anker zu lichten.

Nun manövrierte Bush mit zwei Focksegeln das Schiff so, dass die Backbordseite auf die Corvetten zeigte.

Von ihrem Versteck aus sahen Estrella und Helen das Glühen der Lunten. Die Kanoniere machten sich bereit.

Immer höher stieg der Mond.

Da flammte es bei der einen Corvette am Heck kurz auf.

Die Beobachter auf der Düne hielten unwillkürlich den Atem an.

Da! Die nächste kleine, unscheinbare Flamme.

Dort am Heck des anderen Schiffes auch.

»Ihr Geister des Meeres«, flüsterte die Corsarin.

Was folgte, vollzog sich blitzschnell. Ein gewaltiger Blitz an den Ruderblättern der Kriegsschiffe, eine Rauchwolke von Steuerbord, die beiden Schiffe schienen zu schwanken, dann loderte es an allen Seiten und am Heck.

Die Engländer wurden aufmerksam. Einige Männer rannten zur Reling.