DIE CORSARIN 5 - Erec von Astolat - E-Book

DIE CORSARIN 5 E-Book

Erec von Astolat

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Beschreibung

In einer Hafenspelunke von Marseille will Estrella einen Informanten treffen. Jemand, der ihren Vater kannte und vielleicht Aufschluss über das Geheimnis des Medaillons geben kann. Sie erkennt, dass der Inhalt dieses Schmuckstückes zwei Königreiche stürzen kann. Die Lösung könnte in Versailles liegen – bei Madame Pompadour … Ein Weg voller Gefahren. Verrat, Folterkammer und Kerker bedrohen Estrella Avilla de Aragon bei ihrer Ermittlung. Was sie aber dann erfährt, ist ungeheuerlich.

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DIE CORSARIN

Band 5

DIESPIEGELVONVERSAILLES

von

Inhalt

IMPRESSUM

Zuletzt erschienen:

Vorschau:

IMPRESSUM

DIE CORSARIN

Herausgeber:

ROMANTRUHE-Buchversand.

Cover: Shutterstock.

Satz und Konvertierung:

DigitalART, Bergheim.

© 2019 Romantruhe.

Alle Rechte vorbehalten.

Die Personen und Begebenheiten der

Romanhandlung sind frei erfunden;

Ähnlichkeiten mit lebenden oder

verstorbenen Personen sowie mit tatsächlichen

Ereignissen sind unbeabsichtigt.

Abdruck, auch auszugsweise,

Vervielfältigung und Reproduktion sowie

Speichern auf digitalen Medien zum

Zwecke der Veräußerung sind untersagt.

Internet: www.romantruhe.de

Kontakt:[email protected]

Produced in Germany.

Die Corsarin ist auch

Zuletzt erschienen:

Band 1: Estrellas Rache

Band 2: Die Depesche des Königs

Band 3: Der Degen der Freiheit

Band 4: Die schwarze Dschunke

Band 5: Die Spiegel von Versailles

In Vorbereitung:

Band 6: Das Siegel der Zarin

Band 7:

»Feinste Ware! Direkt aus Jamaica!«

Estrella machte zwei Schritte zurück. Der muffige Atem des wieselhaften Händlers wehte ihr direkt entgegen.

»Kein Bedarf«, knurrte sie nur und drängte sich vorbei in die enge Gasse. Die Spelunke von Old Mo war nicht das, was man als erste Adresse bezeichnen mochte. Doch dort traf man Leute, die vielleicht nützlich sein würden. Monoton hallten die Schritte ihrer Stiefel auf dem rauen Pflaster wider. Stimmengewirr und Gelächter erklangen am Ende des schmalen Durchgangs.

Blitzschnell drückte sie sich in einen Hauseingang. Gerade rechtzeitig hatte sie der Schwadron königlicher Wachen ausweichen können. Sie wusste, sie spielte ein gefährliches Spiel.

»Mr. Bush, lassen Sie die dänische Flagge am Royalmast hochgezogen. Und geben Sie der SILVER STAR einen etwas anderen Anstrich. Jedes Kind erkennt uns inzwischen auf zehn Meilen.«

Die Anweisung hatte sie vor weniger als einer Stunde an ihren Ersten Offizier weitergegeben.

Bush hatte gegrinst. »Hätte da schon eine Idee. Wie wär’s mit malteser Farben?«

Die Ordensschiffe hatten zurzeit einen Freibrief sowohl in französischen als auch in englischen Gewässern. Estrella war einverstanden.

Innerlich schüttelte sie es jedoch, wenn sie daran dachte, dass man sie auf Malta um ein Haar gekreuzigt hätte.

Die Gegend wurde immer einsamer. Nur ab und zu drang der milchige Schein einer Laterne durch den aufkommenden Frühdunst. Es würde nebelig werden. Gut für mich, dachte die Corsarin. So würde sie weniger auffallen. Unwillkürlich umkrampfte die Corsarin mit der linken Hand den Degengriff. Zwei Hübschlerinnen{i} staksten auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf der Suche nach Freiern herum. Estrella ekelte es, wenn sie an gewisse ungewaschene Körperteile des hier verkehrenden Gesindels dachte. Die Dirnen taten ihr leid. Sie selbst würde sich lieber erschießen, als so tief zu sinken, dass sie ihr Geld mit ihrem Körper verdienen musste.

Da! Waren da nicht Schritte hinter ihr? Sie wirbelte herum.

Ein Schatten? Dort!

Sie atmete scharf aus.

Nein! Sie sah schon Gespenster. Aber sie rechnete mit allem. Das Kopfgeld auf sie war wieder einmal heraufgesetzt worden. Was sie einerseits mit diebischer Genugtuung erfüllte, andererseits jedoch auch doppelt vorsichtig werden ließ. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass viele Menschen für Geld selbst ihre Mutter ans Messer liefern würden.

Außerdem wusste sie, dass der Geheimdienst der Vaubernier hier sehr aktiv war.

Die Vaubernier, durchzuckte es sie. Was wollte diese Frau? Sie jagte die Corsarin, aber anderseits hatte sie ihr mehrmals das Leben gerettet. Wollte sie Estrella Louis als eine lebendige Gefangene zum Triumph liefern?

Mierda! Wieder dieses Schleichen!

Wie eine rettende Oase tauchte aus dem feuchten Nebel die rötliche Lampe von Old Mo auf.

Dumpf hallten ihre Schritte von den gewölbten Wänden, als sie die steilen Steinstufen zu dem Kellerlokal hinablief.

Dicker Tabakdunst und grölender Lärm besoffener Seeleute drangen ihr entgegen. Sie blieb kurz stehen.

Dort hinten, der schlaksige Bursche … gehörte der nicht zu Le Langudocs Garde? War besser, wenn er sie nicht sah. Sie drückte den Hut tief in die Stirn und war dankbar, dass es hier nicht sehr hell war.

Sie bahnte sich einen Weg zum Tresen. Immer wachsam, nicht von einem alten Feind ein Messer zwischen den Rippen zu spüren.

»Wenn du hier an Land gehst, spielst du mit deinem Leben«, hatte Helen sie noch gewarnt.

Wie immer, wenn Estrella eine der billigen Kaschemmen betrat, in der sie ihre Erkundigungen einzuholen pflegte, tränten ihre Augen von dem dicken Rauch, der die Menschen in der Kneipe schemenhaft erscheinen ließ. Der intensive Geruch nach Gebratenem mischte sich mit dem beißenden Gestank nach Schnaps und Schweiß, während sie den schmalen Raum durchmaß. Die Holzplanken an Boden und Wänden hatten schon bessere Tage gesehen. Sie hatten im Laufe der Jahre zahlreiche Schlägereien und andere Missgeschicke über sich ergehen lassen müssen und erinnerten an einen Schweizer Käse. Estrella blieb an einem kleinen Loch im Boden hängen und stolperte. Reflexartig griff sie nach dem nächstbesten Arm, um den Fall abzufangen.

Die Gestalten hier sind ja noch gruseliger als in La Rochelle, dachte Estrella, während sie dem jungen Mann ins Gesicht sah, den sie so unsanft als Stütze missbraucht hatte. Eine Augenklappe verunzierte sein jugendhaftes Gesicht. Grimmig blickte er auf die Corsarin herab. Dort war die Spur des geheimnisvollen Dokumentes im Sande verlaufen. Aber es gab einen Hinweis auf Marseille.

»Himmel!«, hatte Sam Bush gestöhnt. »Die ganze Küste entlang und dann zurück ins Mittelmeer …«

Doch Estrella ließ sich nicht beirren. Jetzt war sie hier.

»T’schuldigung«, meinte sie und quetschte sich an ihm vorbei.

Am Tresen angekommen rief sie nach dem Wirt.

»Hey Mo, lass mal deinen Besten rüberwachsen«, begrüßte sie den rotbäckigen Mittvierziger.

»Na, wenn das nicht meine kleine Südländerin ist! Was verschlägt dich in unsere Stadt? Bestimmt nicht die gute Luft, oder?«

»Nein.« Estrella lachte und nahm das randvolle Glas mit Rum entgegen. »Geschäfte. Übrigens hoffe ich, dass du mir helfen kannst, raunte sie ihm zu. Der Ruf eines anderen Gastes unterbrach ihre Unterhaltung. Die Corsarin, die mit dem Vorsatz hergekommen war, ein paar Erkundigungen einzuholen, die hoffentlich nützlich sein würden, drehte sich um. Lässig lehnte sie am Tresen und beobachtete das Treiben in der Kneipe. So entging ihr nicht der Blick eines kleinen Mannes, dessen spitzes Gesicht ihm das Aussehen einer Ratte verlieh. Betont gleichgültig kam der Mann auf Estrella zu. Sich neben sie lehnend flüsterte er: »Du bist die Corsarin, nicht wahr?«

Estrellas Hand zuckte zum Dolch. Der Kleine lachte. »Lass stecken, ich kannte deinen Vater. Bin auf seinem Schiff gefahren. Ja, damals, was waren das noch Zeiten!« Er warf einen Blick über die Schulter.

»Ich weiß, was du suchst. Und auch, wo du es wahrscheinlich findest. Du musst bei Hofe suchen. Und achte auf die Spiegel.«

Ehe Estrella etwas erwidern konnte, war der Kleine in der Menge verschwunden. Die Corsarin kippte ihren Drink herunter und sah den Wirt mit gerunzelten Augenbrauen an.

»Wer zum Teufel war das denn?«, fragte sie dann rau.

Der Wirt zuckte die Achseln. »Kommt schon mal her. Ein kleiner Ganove. Er durfte schon zweimal vor Gericht die Hose runterziehen und bekam die berühmten Fünfzig auf den Nackten.«

»Aha«, machte die Corsarin nur. »Gib mir noch einen!«

Nachdem sie den zweiten Drink gekippt hatte, verließ sie die Kaschemme. Sie blickte sich um. Kaum jemand auf der Straße, was durchaus nicht ungewöhnlich war, heute aber eine Vorahnung in ihr weckte, die nichts Gutes verhieß. Mit geschärften Sinnen schlich sie durch die nur spärlich von Petroleumfunzeln beleuchtete Gasse, durch die sie schon zuvor gelaufen war. Das Gefühl, beobachtet zu werden, verstärkte sich mit jedem Schritt. Sie blieb stehen und lauschte. Nichts. Dennoch zog sie den Degen. Außer dem leise vom Ende der Gasse aus einer Kellerbar tönenden Grölen von ein paar besoffenen Seeleuten war es ruhig.

Ich hör schon die Flöhe husten, dachte sie und ging weiter. Die Silhouette der SILVER STAR leuchtete aus der Ferne herüber. Den Lichtern zufolge waren die Seeleute noch an Deck beschäftigt.

Nicht gerade unauffällig, dachte sie weiter, als ihr der Lärm der feiernden Mannschaft mit dem Wind zugetragen wurde.

Bush sollte sich einen anderen Anlegeplatz suchen, ging es ihr durch den Kopf. Malteserflagge hin oder her, die SILVER STAR ist zu bekannt.

Während sie weiter langsam ausschritt, wiederholte sie im Geiste die Worte des Fremden wieder und wieder.

Versailles also! Dort musste sie hin. Was würde sie erwarten? Wonach sollte sie suchen? Achte auf die Spiegel! Was in aller Welt hatte das zu bedeuten? In Gedanken versunken betrat sie die Planke zu ihrem Schiff. Das ungute Gefühl, welches sie noch in der Gasse beschäftigt hatte, war vergessen.

*

Estrella gab ihrem Pferd die Sporen. Erde wirbelte auf, als die Hufe des Tieres über den Boden pflügten. Nebel hüllte die Landschaft in ein milchiges Kleid. Bald würde die Sonne aufgehen. Bis dahin wollte die Corsarin im sicheren Schutz von Sainte Trinité sein, dem Frauenkloster in Cean. Sie fluchte leise vor sich hin, denn das Donnern der Hufe hinter ihr nahm eher zu statt ab.

»Verdammt sei sie«, zischte die Corsarin und dachte an Jeanne de Vaubernier, die ihr, wie sie meinte, die Soldaten auf den Hals gehetzt hatte. Bereits in Le Havre hatte sie das Gefühl, beschattet zu werden. Trotz ihrer Maskerade war sie von einem ihr nur zu gut bekannten Informanten der Vaubernier – Monsieur Laurac – erkannt worden. Estrella hatte keine Zeit verloren. Mit Agathes Hilfe war sie durch den Hinterhof eines Gasthauses geschlichen und hatte sich zwei Pferde geborgt. Ihr Verschwinden blieb nicht lange unentdeckt. So kam es, dass sie nun mit wehendem Haar vor einem halben Dutzend Soldaten floh, die ihr dicht auf den Fersen waren.

Sie trieb ihren Braunen noch mehr an. Schaum troff aus dem Maul des Tieres. Sie schlugen einen scharfen Haken. Noch wenige Yards und sie hätten den schützenden Wald erreicht. Neben sich hörte die Corsarin das Schnaufen von Agathes Reittier. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass ihre Gefährtin genauso flach am Pferdekörper klebte wie sie selbst. Sie tauschten einen kurzen Blick.

Estrella deutete auf den Wald.

»Wir werden zu Fuß weiter müssen, wenn wir in Deckung bleiben wollen.«

Die Corsarin blickte sich um. Die Soldaten preschten über die Ebene, ihren entschlossenen Blick auf die Corsarin gerichtet.

Schon hatten die Frauen das Unterholz erreicht und jagten über den schmalen Pfad, der in den Waldboden getreten war. Zwielicht umfing sie, je tiefer sie in den Wald vordrangen. Hinter sich hörten Estrella und Agathe die Soldaten. Per Handzeichen bedeutete Estrella ihrer Gefährtin, abzusitzen. Lautlos glitten die Frauen aus ihren Sätteln. Die Corsarin tätschelte den Hals des Braunen. Flüsternd meinte sie: »Wir schlagen uns durch die Büsche. Je weiter wir vom Weg fortkommen, desto besser. Zieh deine Jacke aus, sie ist zu auffällig.« Agathe tat wie geheißen. Seufzend ließ sie den mit Stickereien verzierten Umhang zu Boden gleiten.

»Schade, ich hab ihn erst vor Kurzem gekauft«, meinte sie bedauernd.

Schon waren die roten Jacken der Soldaten im Schatten der Bäume zu erkennen.

»Nichts wie weg«, raunte Estrella und sprang über einen umgestürzten Baumstamm. So leise wie möglich schlängelten sich die Frauen durch das dichte Blattwerk. Dünne Äste schlugen in ihre Gesichter und hinterließen rote Striemen. Ihre Füße flogen nur so über den Waldboden. Estrellas Muskeln arbeiteten auf Hochtouren. Hier springend, da ausweichend jagte sie mit Agathe tiefer in den Wald.

»Das sind wahre Kletten«, keuchte Agathe, als sie über die Schulter blickend nach hinten spähte. Zurrend peitschte ein Schuss an ihr vorbei und bohrte sich in einen Baumstamm nur wenige Meter von ihr entfernt.

»Die meinen es verdammt ernst«, hechelte Estrella. »Wenn sie sich nicht abhängen lassen, müssen wir eben kämpfen.«

»Estrella, nicht weniger als sechs Männer verfolgen uns.«

»Na, siehst du, ist doch ein Kinderspiel«, erwiderte die Corsarin mit einem angedeuteten Grinsen auf den Lippen. »Auf jede von uns drei Männer. Die tun mir jetzt schon leid.«

Agathe schüttelte den Kopf. »Du bist unverbesserlich. Wenn du schon so wagemutige Reden schwingst, dann lass es uns hier und jetzt austragen. So können sie wenigstens ihre Musketen nicht benutzen.«

»Gut mitgedacht, meine Liebe.« Estrella blickte sich um. »Dieser Ort bietet sich geradezu an. Platz genug für unsere Entermesser, zu wenig, um die Degen kreuzen zu können.« Sie machte eine halbrunde Handbewegung. Rings um die Corsarinnen wuchsen die Bäume meterhoch, gesäumt von sperrigen Büschen. Ein zaghafter Sonnenstrahl stahl sich durch das dichte Blätterdach und zauberte Lichtreflexe auf das schwarz schimmernde Haar der Corsarin.

Ein Knacken im Geäst verriet den Frauen, dass die Soldaten in unmittelbarer Nähe waren. Schon blitzte es rot zwischen den Bäumen auf. Estrella zog ihr Kurzmesser und holte aus. Zurrend schoss die Waffe durch die Luft – scheinbar ins Nichts. Ein kurzer Schmerzenslaut zeigte, dass die Spitze des Messers ihr Ziel gefunden hatte. Einen Lidschlag später schoss der erste Soldat auf die beiden Frauen zu. Den Degen gezückt stürzte sich der Mann auf Estrella. Diese wich dem Hieb geschickt aus. Sich über die Schulter abrollend zog die Corsarin ihr Entermesser und ließ die scharfe Klinge über die Wade des Angreifers fahren. Ohne auf dessen Reaktion zu warten, setzte sie nach und hieb dem Angreifer die Faust ins Gesicht. Blut spritzte aus der gebrochenen Nase. Aus dem Augenwinkel erkannte Estrella, dass ein Kompagnon sich von hinten auf sie werfen wollte. Geschickt drehte sie sich um die eigene Achse und ging in Kampfposition. Das Klirren von Waffen mischte sich mit dem Keuchen des Atems, als die Frauen sich mit einer Gewandtheit zur Wehr setzten, die kaum ein Mann ihnen zugetraut hatte. Agathe, die ihrerseits einen Mann niedergestreckt hatte, hängte sich mit einem Arm in einen herunterhängenden Ast. Mit den Füßen Schwung holend stieß die blonde Frau sich am Baumstamm ab und ließ die Hacken an die Kehle des Angreifers schnellen. Gurgelnd ging der Soldat zu Boden.

»Zwei noch«, rief Estrella und ging in Kampfposition. Agathe tat es ihr gleich. Funken stoben von den Waffen, die die Soldaten mit aller Gewalt gegen die Corsarinnen einsetzten. Doch die jahrelange Übung, die Estrella an Bord der SILVER STAR und Agathe aus ihren Jugendzeiten erworben hatten, ließen die Bemühungen der Soldaten erfolglos bleiben. Binnen weniger Minuten lagen die rot gekleideten Männer stöhnend am Boden.

Estrella hob einen Degen auf und setzte die Spitze der Waffe an die Kehle des jungen Soldaten, der zu ihren Füßen lag. Angst rang gegen Wut im Gesicht des Mannes. Ein süffisantes Lächeln stahl sich auf die Züge der Corsarin.

»Nun, ihr starken Recken«, begann sie ironisch. »Wer von euch verrät mir nun, in wessen Auftrag ihr hinter uns her seid?«

Stille. Ganz langsam zog Estrella eine schmale, blutige Furche in den Hals des Soldaten.

»Nun?«, meinte sie mit einer Freundlichkeit in der Stimme, die den Männern die Gefahr noch verdeutlichte. Forschend blickte die Corsarin sich um.

»Ich meine, Agathe, dass wir andere Seiten aufziehen müssen.« Sie deutete auf einen jungen Kerl, der kaum älter als 17 sein konnte. »Fessel alle bis auf diesen hier«, meinte sie. Agathe tat wie geheißen. Wenig später saßen fünf der Soldaten sicher verschnürt an einen Baum gefesselt. Der übrig Gebliebene blickte mit entschlossenem Blick auf die Corsarin. Sein Adamsapfel hüpfte bei jedem Atemzug auf und ab, die blonden Haare standen wirr vom Kopf ab.

»Aus mir kriegst du nichts raus, du verlotterte Piratenbraut.«

»Das hat bisher noch jeder gesagt. In den ersten Minuten zumindest. Aber lass dir gesagt sein«, sie strich zart über seine Wange und machte an seinem Nacken halt, »früher oder später habe ich immer herausbekommen, was ich wissen wollte.« Damit riss sie den Kopf des jungen Mannes grob nach hinten. Seine Augen traten hervor. Doch die Entschlossenheit wich nicht aus dem Gesicht des Soldaten.

»Nun denn, schreiten wir zur Tat«, meinte Estrella und zückte ihr Entermesser.

»Nein! Nein!«, heulte der junge Mann auf. Das Blitzen der scharfen Klinge hatte seinen Mut binnen weniger Sekunden schwinden lassen. Estrella blickte ihm ruhig ins Gesicht.

»Hast du uns doch etwas zu sagen?«

Gehetzt blickte der junge Soldat zu seinen Kameraden. Der Anführer schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. Tränen rannen dem jungen Mann die Wangen hinab. Er wusste, was dieses Negieren zu sagen hatte. Er war Soldat und als solcher verpflichtet, seinem Herren bis in den Tod zu Diensten zu sein. Es wäre unehrenhaft, wenn er sich dem stummen Befehl des Schweigens widersetzen würde. Also kniff er die Lippen zusammen und versuchte, der Corsarin mutig ins Gesicht zu blicken.

»Nein, ich habe nichts zu sagen«, erwiderte er mit leise zitternder Stimme.

»Das werden wir sehen«, meinte Estrella und näherte sich ihm.

Wenig später lag auch der Junge gefesselt neben seinen Kameraden. Trotz der Angst, die dem Soldaten die Kehle zugeschnürt hatte, war kein Wort über seine Lippen gekommen. Nach einem scharfen Seitenblick und einem beschwichtigenden Schulterdrücken Agathes hatte Estrella davon abgesehen, ihre gefürchtete Verhörtechnik anzuwenden. Und wenn sie ehrlich war, so hätte sie es auch gar nicht gewollt. Es hatte schon zu viele Opfer gegeben in dem Kampf, der das Land umfangen hielt.

»Und jetzt? Wir können sie doch nicht einfach hier lassen.«

»Willst du sie auf deinem Rücken mit uns tragen? Also wirklich, Agathe. Manchmal bist du zu naiv. Erinnere dich, dass wir uns noch immer im Krieg befinden. Glaubst du, die Soldaten hätten mit uns Gnade walten lassen? Nein. Vielmehr glaube ich, dass sie mit Freuden den ersten Stein auf uns werfen würden, wenn wir erst dem Scharfrichter überstellt worden wären. Also komm endlich. Für zimperliches Gehabe ist keine Zeit.« Damit wandte sich Estrella ab und schritt davon.

»Wenn wir Glück haben, sind die Pferde noch an Ort und Stelle. Ansonsten kannst du dir eines der sechs Soldatenrösser aussuchen.«

*

Der Tag neigte sich dem Ende zu, als Agathe und Estrella vor sich die Silhouette des Klosters Sainte Trinité erblickten. Mit einem tiefen Seufzer atmete Agathe aus.

»Endlich. Mir tut der Hintern weh vom stundenlangen Reiten. Ich möchte nichts weiter als ein warmes Essen und ein Bett. Und sei es noch so hart gepolstert.«

Estrella lachte leise. »Dein zartes Hinterteil sollte sich schnellstmöglich an den Sattel gewöhnen, wenn du nicht den ganzen Weg laufen willst. Obwohl – dann jammerst du bestimmt über deine schmerzenden Füßchen, nicht wahr?«

Agathe blickte empört. »Na, hör mal. Du tust ja so, als wäre ich der Jammerlappen schlechthin. Wer von uns beiden hat denn vor ein paar Monaten wie ein Häuflein Elend da gesessen und über schmerzende Knochen geklagt?«

»Das, meine Liebe, ist äußerst unfair und überhaupt kein Vergleich. Immerhin habe ich mich in Gefangenschaft befunden. Und da geht man nicht gerade zimperlich mit einer Corsarin um, auch, wenn ein hohes Kopfgeld auf mich angesetzt wurde. Ich möchte wissen, wie du dich fühlst, wenn du tagelang auf dem nackten Steinboden einer kleinen Zelle kauerst und die Ratten an deinen Zehen knabbern.«

Agathe schaute zerknirscht drein. »Tut mir leid. Das war ein blöder Vergleich.«

Während sie noch eine Weile weiter stritten, näherten sie sich dem Kloster. Es stand auf einem kleinen Hügel, umgeben von einer weitläufigen Umzäunung, hinter der sich schmale Felder und vereinzelte Gemüsebeete befanden. Obwohl der Abend dämmerte, sahen sie die Nonnen geschäftig in den Gärten jäten und gießen.

»Die Abendandacht müsste bald beginnen. Wir sollten warten, bis die Beterei vorbei ist«, sinnierte Estrella.

»Du solltest dich nicht so abwertend über die Andacht auslassen, Estrella. Auch ich bin gläubig erzogen worden und habe, bis ich von dir auf die SILVER STAR verschleppt wurde, regelmäßig die Messe besucht.«

»Ach, und später nicht mehr? Am Beten hat dich doch keiner gehindert, oder?«

Agathe blickte ihre Gefährtin säuerlich an. »Mit auf dem Rücken gefesselten Händen und an der Decke hängend fällt das Beten ziemlich schwer.« Die Spitze saß. Estrella hatte Agathe von einem englischen Handelsschiff verschleppt und als ihre Sklavin an Bord der SILVER STAR geholt. Bevor sie jedoch ihren Sklavendienst angetreten hatte, musste sie das harte Leben an Bord und Estrellas Groll gegen die Engländer mehr als einmal am eigenen Leib erleben.

Sie hörten die Glocke läuten und beobachteten, wie die Schwestern geschäftig ins Kloster eilten. Bald war der Hof menschenleer. Schaufeln und Körbe standen herrenlos in den Beeten. Ein paar vorwitzige Krähen wagten sich heran und pickten die gerade eingepflanzten Samen aus der lockeren Erde. Die windschiefe Vogelscheuche, die inmitten des Gemüses stand, schien sie nicht im Geringsten zu stören.

Eine Viertelstunde später hatten die Frauen das Portal erreicht. Estrella schwang sich aus dem Sattel und auch Agathe ließ sich stöhnend und äußerst undamenhaft aus dem Sattel fallen. Mit verzerrtem Gesicht rieb sie sich das Gesäß. Ein Seitenblick auf die spöttisch grinsende Corsarin ließ sie innehalten.

»Ich sag ja gar nichts«, murrte Agathe. Noch immer lächelnd betätigte Estrella den Türklopfer. Dumpf dröhnte das Geräusch von Metall auf Holz durch die Mauern. Nichts geschah. Estrella klopfte erneut, diesmal mit mehr Kraft.

Kurz darauf öffnete sich der schmale Ausguck in dem Holztor und ein im Habit verborgenes Gesicht spähte hinaus.

»Wer seid Ihr?«

»Estrella Avilla de Aragon und Agathe McArthur erbitten Obdach.«

Der Ausguck schloss sich und die Tür wurde langsam geöffnet. Eine zierliche Gestalt hieß die beiden Frauen einzutreten.

»Tretet ein. Viel haben wir nicht zu bieten, aber eine Schüssel Suppe und eine Pritsche für Reisende geben wir Euch gern. Ich bin Schwester Lucienne. Folgt mir bitte.«

Tippelnd übernahm die junge Nonne die Führung. Das Licht im Innern des Klosters war fahl. Estrella blinzelte, um ihre Augen an das Halbdunkel der Gänge zu gewöhnen. Sie bogen um zahlreiche Ecken, liefen Stufen hinauf und wieder hinunter und gelangten schließlich auf einen langen Flur. Von Fackeln beleuchtet zählte die Corsarin acht Türen an jeder Seite. Am Ende des Ganges hielt die Nonne an einer Pforte. Mit quietschenden Angeln öffnete sie die Tür und gab den Blick frei auf einen schmalen Raum.

»Hier könnt Ihr schlafen. Nebenan kann Eure Gefährtin Quartier beziehen.«

Estrella nickte kurz und trat ein. Sie blickte sich in dem spärlichen Raum um. An den nackten Steinwänden hing ein großes Holzkreuz über einer schmalen Koje. Ein klappriger Stuhl und ein kleiner Schemel, auf dem ein Krug mit frischem Wasser sowie ein Nachttopf standen, bildeten die komplette Möblierung. Seufzend warf sie ihren Umhang auf das Bett und krempelte die Ärmel ihrer Bluse hoch. Dann beugte sie sich über die Schüssel und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Es tat gut, sich den Staub der Reise von der Haut zu waschen. Sie benetzte sich Hände und Arme, dann rückte sie ihre Kleidung zurecht. Sittsam knöpfte sie den obersten Knopf ihrer Bluse zu. Sie wollte keinen Anlass zu unerwünschten Blicken geben, indem sie zu offenherzig ihren Körper zur Schau stellte. Ihre Hand glitt ein letztes Mal über das schmale Medaillon, welches sie an einem Lederband um den Hals trug. Dann verließ sie ihr Quartier und ging ein paar Schritte den Gang hinunter zu Agathes Unterkunft. Nach einem gemurmelten »Herein« öffnete sie die Holztür. Agathe grinste sie breit an, als die Corsarin eintrat.

»Ich sterbe vor Hunger. Hoffentlich haben die guten Frauen hier einen Happen für uns übrig. Sonst schleiche ich in den Hof und schlachte eigenhändig eines der fetten Hühner, die ich gesehen habe.«

»Schwester Lucienne hat mir schon gesagt, dass wir uns frisch machen und dann in die Halle kommen sollen. Also keine Sorge, du wirst schon nicht verhungern«, erwiderte Estrella.

Gemeinsam schritten sie den langen Flur entlang, bogen um die Ecke und strebten die grob behauene Treppe hinunter. Der Duft nach Brühe und Brot kitzelte in ihrer Nase. Höflich warteten sie in der Tür zum Esszimmer auf die Einladung, hineinzukommen. Lucienne lächelte seicht und wies mit der Hand auf zwei freie Stühle.

»Nehmt Platz und esst mit uns.«

Estrella tat wie geheißen. Mit interessiertem Blick musterte sie den Raum. Kunstvolle Malereien zierten die Decke und ein paar ausgesuchte Gemälde schmückten die Steinwände. Einen kleinen Tribut an den Luxus bildete zudem ein Wandteppich, der in leuchtenden Farben von der Decke bis zum Boden die Wand vor Kopf einnahm.

»Was für eine wundervolle Arbeit«, lobte die Corsarin und wies auf den Teppich. Kunstvolle Szenen aus der Bibel waren in so feinen Stichen ausgeführt, dass das Gemälde täuschend echt aussah.

»Ein Geschenk der Marquise Lafaillete aus dem letzen Jahrhundert. Die arme Frau kam bis aufs Skelett abgemagert an unsere Pforte und bat um Obdach. Die damalige Mutter Oberin nahm sich ihrer an. Die arme Marquise war mit Müh und Not ihrem Mann entronnen, der sie auf Geheiß seiner Geliebten zu vergiften versuchte.«

»Wie erschütternd«, meinte Agathe.

»Nun«, mischte sich die Äbtissin ins Gespräch, »in den gehobenen Kreisen ist Giftmord ein Kavaliersdelikt. Eine unauffällige Möglichkeit, die Person loszuwerden, die einem im Wege ist. Und absolut verabscheuungswürdig.« Zur Bestätigung verzogen sich ihre Mundwinkel nach unten.

»Mir kam zu Ohren, dass die höheren Kreise gut auf ihre Gesundheit achten müssen. Nur zu schnell verlieren sie ihr Leben an ihre Feinde. Ich meine, dass ich gut auf die Gesellschaft dieser reichen Leute verzichten kann.«

»Wohl gesprochen, meine Liebe«, meinte die Äbtissin zu Agathe. Ihr prüfender Blick wanderte zu Estrella.

»Euer Gesicht kommt mir so bekannt vor. Sagt, habt Ihr Verwandte in Frankreich?«

Estrella schüttelte den Kopf. »Nein. Das nicht. Wir sind auf der Durchreise.«

»Wohin soll’s denn gehen?«, fragte Lucienne neugierig. Sogleich fing sie sich einen mahnenden Blick der Oberin ein.

»Wir wollen einen alten Freund in Paris besuchen. Ich besitze etwas, dass ich gerne von ihm in Augenschein nehmen lassen würde.«

Die Oberin nickte. »Ich verstehe.« Ihr vielsagender Blick blieb an Estrellas Ausschnitt hängen.

»Nun, greift zu. Ihr müsst hungrig sein.«

Damit war die Unterhaltung erst einmal beendet und die kleine Gruppe Frauen beugte sich über ihre Teller.

Gefräßiges Schweigen, dachte Estrella mit einem Anflug von Ironie.

Wenig später verabschiedeten sich die Gäste und strebten den kleinen Garten an, der in dem gepflegten Innenhof angelegt war. Agathe rieb sich zufrieden den Bauch.

»Das tat gut«, erklärte sie. »Hast du gemerkt, wie die Äbtissin dich ab und an gemustert hat?«

»Hm, ja. Ist mir nicht entgangen.«

»Vielleicht hättest du das Amulett nicht erwähnen sollen«, sinnierte Agathe.

»Hab ich ja auch nicht. Die Oberin scheint etwas zu ahnen. Und außerdem – das war schon richtig so. Was meinst du, warum ich darauf bestanden habe, in einem Kloster zu nächtigen? Bestimmt nicht, weil ich so gottesfürchtig bin.«

»Oh«, machte Agathe lahm. »Was genau versprichst du dir denn von unserem Aufenthalt?«

»Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Aber ich hoffe, dass die Äbtissin ein wenig Licht ins Dunkel der Geschichte um das Amulett bringen kann.«

»Warum gerade sie?«, fragte Agathe interessiert.

»Wenn ich mich nicht irre, haben wir es hier mit Madame Sevilla zu tun. Und die war die Tochter eines entfernten Onkels.«

»Ich dachte, sie heißt Madame Perac?«

»Namen kann man ändern«, erwiderte die Corsarin vage.

»Was macht dich so sicher, dass sie vertrauenswürdig ist?«

Estrella zögerte. »Im Grunde kann ich mir dessen nicht sicher sein. Aber sie hat meine Eltern während ihrer Kämpfe unterstützt, wo sie nur konnte. Als es dem Ende zuging, zog sie es vor, die Anonymität des Klosters zu wählen, anstatt im Kerker zu schmoren. Eine weise Entscheidung, wenn du mich fragst.«

Das Auftauchen von Schwester Lucienne beendete die Unterhaltung.

»Die Mutter Äbtissin bittet Euch zu sich«, sprach sie Estrella an. Diese nickte ihrer Freundin kaum merklich, aber höchst zufrieden zu.

Wenig später saß sie auf einem bequemen Sessel im Arbeitszimmer der Klostervorsteherin.

»Es ist lange her, mein Kind.«

Estrella schwieg erwartungsvoll.

»Unterbrecht mich, wenn ich falsch liege, aber du bist die Tochter von Albany, nicht wahr?«

»Und Ihr seid Madame Sevilla«, schloss Estrella.

Die andere nickte. »Es ist so lange her«, erwiderte die Äbtissin leise. »Es tut mir so leid, was mit deinen Eltern geschehen ist.«

»Man kann die Vergangenheit nicht rückgängig machen.«

»Nein. Wohl aber die Zukunft beeinflussen.«

»Was meint Ihr?«

»Das Medaillon. Zeig es mir bitte.«

»Ich dachte mir schon, dass Ihr wisst, was ich bei mir trage.«

Estrella zog das Lederband über ihren Kopf und hielt der Äbtissin das Schmuckstück hin. »Was wisst Ihr darüber?«

»Nicht allzu viel. Nur, dass dein Vater das Amulett vor vielen Jahren von einem chinesischen Piraten bekommen hat. Es ist eine Art Schlüssel. Einst enthielt es eine Botschaft. Über ein geheimes Dokument, welches für Frankreich von großer Bedeutung sein sollte.«

»Wisst Ihr, was darin stand?«, fragte Estrella.

»Nein. Als dein Vater das Amulett bekam, war die Botschaft bereits verschwunden. Niemand weiß, wer sie entwendet haben könnte. Schließlich war das Schmuckstück all die Jahre unter Verschluss.«

»Seltsam. Ich frage mich, wer mutig genug war, in die Festung des Chinesen einzudringen. Es muss wirklich wichtig gewesen sein. Die Grausamkeit der asiatischen Piraten ist legendär. Keiner würde freiwillig sein Leben aufs Spiel setzen, indem er etwas stielt, was den Chinesen gehört. Der Tod wäre noch das Gnädigste, was dem Dieb widerfahren könnte.«

»Und dennoch ist es geschehen.«

»Ja«, meinte Estrella gedehnt. »Es muss eine ausnehmend gerissene Person gewesen sein. Nur wenige sind zu solchen Taten imstande.« Nachdenklich schwieg sie.

»Es war der Wunsch deiner Eltern, dass du das Amulett einmal bekommst. Was heißt, dass es deine Aufgabe ist, das Rätsel zu lösen.«

»Deshalb bin ich hier. In Frankreich. Wo sonst soll der Hinweis versteckt sein? Die Frage ist nur: Wo soll ich suchen?«

Die Äbtissin nickte langsam. »Ich weiß es nicht mit Sicherheit. Aber ich erinnere mich, dass vor Jahren unter vorgehaltener Hand von einem unsäglichen Skandal bei Hofe gemunkelt wurde. Irgendeine Erpressungsgeschichte. Wer auch immer damals aktiv war, er hat seinen Trumpf nie ausgespielt.«

»Das ist doch ein guter Ansatzpunkt.«

»So gut wie jeder andere auch.«

*

Agathe hatte die Pferde gesattelt und wartete geduldig im Innenhof. Es war noch früh am Morgen, als Estrella an der Seite der Äbtissin auf sie zukam. Wortlos nahm sie die Zügel entgegen. Sie war im Begriff aufzusitzen, als sich die Hand der Äbtissin auf ihre Schulter legte.

»Ich werde euch in meine Gebete einschließen. Passt auf euch auf. Die Intrigen in Versailles sind mit den Jahren noch raffinierter geworden. Vertraut niemandem. Haltet euch im Hintergrund und unterschätzt nicht die Höflinge. Auf den ersten Blick scheinen es oberflächliche Emporkömmlinge zu sein. Aber hinter der Fassade sieht es ganz anders aus. Wenn ihr auf Probleme stoßt, wisst ihr, an wen ihr euch wenden müsst«, schloss sie.

»Ich danke Euch für die Gastfreundschaft. Ihr habt mir einen großen Gefallen erwiesen. Ich hoffe, dass mein Geheimnis bei Euch sicher ist.«

»Ich schwöre auf die Ehre deiner Eltern«, erwiderte die Äbtissin feierlich. Dann wandte sie sich ab und ging gemessenen Schrittes durch die geöffnete Pforte zurück ins Kloster.

»Die Nacht scheint ja einiges an Licht ins Dunkel gebracht zu haben.«

Estrella blickte ihre Gefährtin an. »Das kannst du laut sagen. Ich erzähle es dir später. Bis Paris haben wir noch ein ganzes Stück Weg zurückzulegen.«

Die Hufe der Pferde hallten über den Hof, als die Frauen aufbrachen.

Die Sonne zog ihre Bahn, während Estrella und Agathe die staubige Straße entlang ritten. Dann und wann begegneten sie einer Kutsche oder einem Bauernfuhrwerk, welches beladen mit Heu dem heimatlichen Hof entgegen strebte. Sie gönnten sich nur kurze Pausen, um ein wenig Brot mit Käse zu essen. Die Landschaft bot, flach, wie sie war, wenig Deckung, sodass die beiden Frauen die beiden breitkrempigen Strohhüte, die sie einer Bauersfrau abgekauft hatten, tief ins Gesicht zogen.

»Weißt du was, Estrella? Mir tut es richtig gut, mal wieder an Land unterwegs zu sein. Die grünen Wiesen und Felder Frankreichs und die Gastfreundschaft der Leute haben mir sehr gefehlt.«

»Ich wusste, dass in dir mehr Landratte steckt, als du zugibst«, neckte die Corsarin. »Gestern noch hast du gestöhnt, dass dein zartes Hinterteil vom Pferderücken ganz platt gedrückt wird.« Agathe knuffe Estrella lachend in den Arm.

»Ich hab doch gewusst, dass du dir meinen Hintern genauer betrachtet hast!«, erwiderte sie triumphierend.

»Keine falschen Hoffnungen, meine Liebe.«

»Och«, machte Agathe enttäuscht und trabte voran.

Sie wichen an den Wegrand aus, als eine reich verzierte Kutsche mit geschlossenen Vorhängen an ihnen vorbeizog. Die schwarzen Troddeln am Stoffbehang schwankten seicht hin und her. Ein goldverziertes Wappen prangte an der Wagentür.

Das Wappen der Langudocs, erkannte Estrella. Sicher ist Monsieur unterwegs nach Le Havre, um seine Schiffsladung in Augenschein zu nehmen. Sie grinste schief. Der gut situierte Adlige würde sich wundern. Entweder hatte er noch nichts von dem Seeüberfall mitbekommen oder aber er eilte zum Hafen, um den Schaden zu begutachten, den die Corsaren der SILVER STAR ihm vor wenigen Wochen zugefügt hatten. Wenn er wüsste, dass der Lady-Captain des Schiffes, welches ihn um seine Ladung geprellt hat, gerade seelenruhig an ihm vorbei geritten ist …

»Leg einen Schritt zu, Schwester. Wir müssen vor Anbruch der Dunkelheit eine Schlafstatt gefunden haben.«

Sie gab ihrem Pferd die Sporen. Seufzend blickte Agathe der Corsarin nach. Das lange schwarze Haar wehte unter dem Hut. Der geschmeidige Körper Estrellas bewegte sich in absoluter Harmonie mit dem Reittier.

»Ach, Estrella«, hauchte sie und setzte der Corsarin nach.

Eine Stunde später erreichten sie ein kleines Dorf.

Sie machten am erstbesten Bauernhof halt und saßen ab. Ein struppiger Hund lief ihnen bellend entgegen und sprang an Estrella hoch. Sein magerer Körper bebte vor Freude, die Neuankömmlinge begrüßen zu können.

»Na, du bist mir ein wahrer Wachhund«, schnurrte Estrella und ging in die Hocke, um das schmutzige Fell des Hundes zu streicheln. Hechelnd versuchte dieser, ihr das Gesicht abzulecken. Lachend drehte Estrella sich weg und erhob sich. Vom Lärm angelockt erschien eine dickliche Frau in der Tür. Sie hielt einen Säugling auf dem Arm. An ihrem Rockzipfel hing ein kleiner Junge, nicht weniger struppig als der Hund. Seine Nase triefte und er zog schüchtern den Schnodder hoch, der ihm unaufhörlich aus den Nasenlöchern lief.

»Was führt euch her?«, fragte die Frau misstrauisch.

»Wir sind müde von der Reise und würden gern in deiner Scheune übernachten«, antwortete die Corsarin in fließendem Französisch.

Die Frau machte ein abwehrendes Gesicht, woraufhin die Corsarin ihre Geldkatze zog.

»Wir können bezahlen.« Sofort änderte sich der Gesichtsausdruck der Frau. Sie machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf.

»Kommt hinein. Ich habe gerade frisches Brot gebacken. Einen Teller Suppe und etwas Fleisch kann ich sicherlich auch entbehren.«

Dankbar traten die Frauen in die schmale Stube. Agathe ließ sich auf die grob gezimmerte Holzbank fallen und blickte sich um. Kräuter hingen ordentlich zum Trocknen von der Decke. Auf der kleinen Kochstelle brutzelte das Essen und verströmte einen verlockenden Duft.

»Ich danke dir«, meinte Estrella und nahm die Holzschüssel mit dünner Suppe entgegen.

»Es ist nicht ungefährlich für zwei junge Frauen, allein zu reisen. Wo sind eure Bediensteten?«

»Wir haben unsere Magd und ihren Jungen in Le Havre zurückgelassen. Man hat uns des größten Teils unserer Habe beraubt und wir konnten es uns nicht mehr leisten, zwei weitere Mäuler durchzufüttern«, antwortete Estrella geistesgegenwärtig.

Damit gab die Frau sich zufrieden. Vorsichtig legte sie ihren Säugling in die hölzerne Wiege und setzte sich zu den beiden Frauen an den Tisch.

»Es ist traurig, dass man als Frau keinen Schritt allein tun kann, ohne sich hinter jeder Ecke einer Gefahr erwehren zu müssen. Vor allem, wenn man so ansehnlich ist wie ihr zwei.«

Estrella gab ihr Recht und erwiderte: »Leider bleibt uns keine Wahl. Wir sind auf dem Weg zu meinem Onkel in Paris. Er wird uns hoffentlich aufnehmen und mir und meiner Schwester Schutz gewähren, bis mein Mann in ein paar Monaten zu uns stoßen kann. Er ist Kaufmann und zurzeit auf See. Wir wollen uns im Juni in Paris treffen.«

»Er muss weit herumkommen, dein Gatte«, meinte die Bäuerin träumerisch. »Ich bin noch nie weiter als ein paar Meilen von diesem Hof fort gewesen. Wir haben kein Geld, um die Märkte in den größeren Städten zu besuchen. Die Steuern fressen uns auf. Wir haben kaum genug, um uns selbst zu versorgen. Bis vor zwei Jahren kam unser Lehnsherr für unsere Steuern auf. Er war ein guter Mann. Seit er in den Krieg gezogen ist, sieht es anders aus. Sein Bruder ist aus anderem Holz geschnitzt. Verschwendungssüchtig und von brutaler Natur.«

»Das tut mir leid.«

»Wir einfachen Leute können da nichts machen. Wir können froh sein, dass er uns nicht vom Hof jagt.«

»Es ist furchtbar, der Willkür der Herrschaften ausgeliefert zu sein«, erwiderte Agathe empört. Sie selbst kannte die Nöte, seinen Zahlungen nicht nachkommen zu können nur zu gut. Mit Schaudern erinnerte sie sich daran, dass ihr Vater, der Spielsucht verfallen, seine Tochter an einen feisten Kaufmann verkauft hatte. Nie würde sie ihm diese Entscheidung verzeihen. Doch so bitter ihr Schicksal ihr damals erschien, manchmal konnte sie es kaum begreifen, dass sie nun, ein knappes Jahr später, nicht nur in der Corsarin eine neue Familie gefunden hatte, sondern auch Eigenschaften an sich entdeckt hatte, die sie nie für möglich gehalten hätte. Mit nicht wenig Genugtuung hatte sie beobachtet, dass sie an Resolutheit und – was sie noch faszinierender fand – an Wirkung auf die Männer gewonnen hatte. Der Wermutstropfen jedoch war, dass sie weniger den Männern als vielmehr einer gewissen weiblichen Person zugetan war, die ihre Gefühle, wie sie wusste, nicht erwiderte.

Das Geschrei des Jungen riss sie aus ihren Gedanken.

»Papa!«, rief er aus und stürmte mit seinem watscheligen, bewindelten Hinterteil auf die Tür zu. Ein schmächtiger Mann mit Dreitagebart stand im Eingang und musterte den Besuch.

»Guten Abend«, brummte er und schaute seine Frau an. Diese beeilte sich, die beiden Frauen vorzustellen.

Ein kurzes Nicken musste als Antwort seiner Zustimmung reichen, denn er schnappte sich eine Schüssel Brühe und zog sich in den Hof zurück.

»Er ist in Sorge. Schon morgen will der Steuereintreiber uns erneut aufsuchen, um uns zu schröpfen.« Seufzend wandte sie sich um.

Estrella zuckte die Achseln. Wenn sie könnte, würde sie der Frau Geld da lassen. Aber sie brauchten jede Münze für ihre eigenen Pläne.

Es war Zeit, sich zurückzuziehen. Im Stall roch es angenehm nach Vieh und Stroh. Fliegen umschwirrten ihre Köpfe, als sie behände die schmale Stiege erklommen, die in den oberen Teil des Schobers führte. Gesättigt und müde vom Ritt ließ sich Estrella ins Stroh fallen. Lächelnd sog sie den bäuerlichen Duft ein. Agathe tat es ihr gleich und rückte nah an die Gefährtin heran.

»Wir sollten uns gegenseitig wärmen. Es wird kalt heute Nacht«, meinte sie und schmiegte sich an die Corsarin. Diese versteifte sich kurz, ließ die Freundin aber gewähren.

Sie wurden geweckt, noch bevor der Morgen dämmerte. Die hagere Gestalt des Bauern zeichnete sich im Zwielicht ab, während er sich daran machte, die magere Kuh zu melken. Gähnend streckte sich die Corsarin.

Ihr Morgengruß wurde knapp erwidert, dann war der Bauer auch schon verschwunden.

»Wenn wir schon so unsanft aus den Träumen gerissen wurden, können wir uns auch am Bach waschen und weiter ziehen.«

Während Estrella ihr Haar mit den Fingern entwirrte und das Stroh aus den dunklen Strähnen zog, kletterte Agathe die Stiege hinab und sah nach den Pferden. Sie tätschelte den Hals ihres Brauen und wartete auf die Corsarin. Gemeinsam gingen sie über das taufeuchte Gras der Weide auf den Bach zu. Das Wasser erfrischte ihre Sinne, sodass sie wach und mit vom kalten Wasser geröteter Haut ins Haus traten.

Die Bäuerin empfing sie bereits mit einer Schale Milch und einem kleinen Stück Brot. In einem dünnen Tuch hatte sie das restliche Brot und etwas Käse verpackt, welches sie mit einem Lächeln auf den Tisch stellte.

»Ich habe etwas Wegzehrung für euch zusammengestellt. Es ist nicht viel, aber bis zum Abend dürftet ihr damit hinkommen.«

Warm lächelte Estrella zurück. »Ich danke dir. Ich weiß es zu schätzen, dass du von dem Wenigen, was ihr entbehren könnt, noch an uns denkst.«

Sie griff an ihren Gürtel und entnahm der Geldkatze ein paar Silbermünzen, die sie der Frau in die Hand drückte.

»Für die Umstände, die wir euch gemacht haben«

Entrüstet schob die Frau das Geld zurück. »Das ist doch nicht nötig. Wir kommen schon zurecht. Ich kann das nicht annehmen.« Estrella zuckte mit den Schultern und nahm die Münzen wieder entgegen. Noch einmal dankte sie der Frau und schritt durch die schmale Tür in den Hof. Dort blickte sie sich noch einmal verstohlen um und legte die Münzen auf die Holzbank neben der Tür.

»Lass uns aufbrechen.«

*

Zur selben Zeit huschte eine verhüllte Gestalt durch die Gassen von Paris. In einen schwarzen Umhang gehüllt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, klopfte eine zarte Hand an die Tür des heruntergekommenen Hauses. Ein Mann öffnete, das verschlagene Gesicht zu einem Grinsen verzogen. Mit hochgezogener Augenbraue musterte er die Frau, die mit einer Maske das Gesicht verhüllend, seinem Blick trotzig standhielt.

»Ihr kommt spät«, begrüßte er sie. »Madame wartet schon seit Stunden auf Euch.«