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Diesem Buch liegt die These zugrunde, dass es sich bei der Covid-19-Katastrophe um ein beispielloses Systemversagen, konkret: eine fundamentale Krise des Denkens und damit einhergehend um ein völlig unzureichendes Verständnis bezüglich des Phänomens der Komplexität handelt, was sich schon vor der Katastrophe längst angedeutet hat. Aufmerksame Denker unterschiedlicher Disziplinen, allen voran der französische Philosoph Jean Baudrillard, haben schon Jahrzehnte vor der Corona-Katastrophe auf eine "Pathologie des Denkens" in postmodernen techno-kapitalistischen Gesellschaften hingewiesen und vor den damit verbundenen Gefahren eindrücklich gewarnt. Bedauerlicherweise sind sie im Lärm und der Partylaune einer dem Digitalisierungswahn anheimgefallenen Gesellschaft sowie der dadurch ausgelösten Drift in die "Hyperrealität" völlig untergegangen. Ihnen soll zur Erinnerung das Wort gebühren, um zu zeigen, dass es sich bei der Covid-Pandemie um eine "Bedeutungsepidemie" handelt, die - wie kaum eine andere Krise zuvor - für uns alle eine geradezu leibhaftig erfahrbare, insofern dramatische Botschaft bereithält: dass wir im Umgang mit den anstehenden Mega-Herausforderungen nur mithilfe eines radikalen (Um-)Denkens werden bestehen können.
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Seitenzahl: 343
Veröffentlichungsjahr: 2020
Manfred Pollanz
DieCovid-Prophezeihungen
Autopsie eines angekündigtenSystemzusammenbruchs undPlädoyer für ein radikales (Um-)Denkenzur Überwindung vonKomplexitätsvergessenheit
Copyright: © 2020 Manfred Pollanz
Umschlag & Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-347-06802-5 (Paperback)
978-3-347-06803-2 (Hardcover)
978-3-347-06804-9 (e-Book)
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Dieses Buch widme ich Andreas Hagemann, meinem Hausarzt, einem liebenswürdigen und bescheidenen Menschen, der stets mit Leidenschaft und unermüdlichem persönlichen Einsatz, mit Freude und Gewissenhaftigkeit seinen Arztberuf ausübte und am 27. April 2020 im Alter von 61 Jahren an den Folgen einer Covid-19-Infektion gestorben ist.
Inhalt
1. Die "Covid-Prophezeihungen" oder – Ein (fast) perfektes Verbrechen: Wenn eine simulierte Coronavirus-Pandemie zur bitteren Realität wird…
2. Covid-Pandemie und Shutdown verursachen ein "Übermaß an Realität": Der "Baudrillard-Moment"
3. Shutdown oder: "The Machine Stops"
4. Autopsie und Pathologie des Denkens so far – Anamnese und Befunde
5. Diagnose – Das "abhandengekommene Denken" oder: die verhängnisvolle Blindheit gegenüber der Komplexität anthropogener Probleme
6. "Therapieansätze" für eine Realität from now on
Quellenangaben im Detail
Fußnoten
„O dieses Tier, das es nicht gibt.
Sie wußtens nicht und haben jeden Falls
- sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,
bis in des stillen Blickes Licht – geliebt
Zwar war es nicht. Doch weil sie's liebten, ward
ein reines Tier. Sie ließen immer Raum.
Und in dem Raume, klar und ausgespart,
erhob es leicht sein Haupt und brauchte kaum
zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,
nur immer mit der Möglichkeit, es sei.
Und sie gab solche Stärke an das Tier,
daß es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.
Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei -
und war im Silber-Spiegel und in ihr.”
- Sonette an Orpheus -
(Rainer Maria Rilke)
Die „Covid-Prophezeiungen”
Häufig ist die Prophezeiung die Hauptursache für das prophezeite Ereignis.
Thomas Hobbes,Behemoth oder das lange Parlament,Fischer, Frankfurt a.M. 1991
Wenn die Welt in ein Delirium verfällt, muß man der Welt auch mit einem wahnsinnigen Blick entgegentreten.
Jean Baudrillard,Die scheinbare Auferstehung der Geschichte als Anfang vom Ende,Frankfurter Rundschau vom 10. April 1993
Nicht konservative, sondern antizipatorische Vermutungen lenken die Forschung.
Paul Feyerabend,Erkenntnis für freie Menschen,Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1979
Das Bedenklichste ist, daß wir noch nicht denken; immer noch nicht, obgleich der Weltzustand fortgesetzt bedenklicher wird.
Martin Heidegger,Was heißt denken?Reclam, Ditzingen 2019, 4. Auflage
Je mehr die Krise fortschreitet, desto mehr schreitet die Unfähigkeit fort, die Krise zu denken.
Edgar Morin,Die sieben Fundamente des Wissens für eine Erziehung der Zukunft,Reinhold Krämer Verlag, Hamburg 2001, 2. Auflage 2015
Doch das Hauptanliegen dieses Buches ist Diagnose. Denn die Diagnose geht der Heilung voraus, und wir können nichts tun, bevor wir uns des Problems deutlich bewußt werden.
Alvin Toffler,Der Zukunftsschock,Scherz Verlag, Bern München Wien, 3. Auflage 1971
1. Die "Covid-Prophezeihungen" oder – Ein (fast) perfektes Verbrechen: Wenn eine simulierte Coronavirus-Pandemie zur bitteren Realität wird…
„Ein mühseliger und strapazierender Unsinn ist es, dicke Bücher zu verfassen; auf fünfhundert Seiten einen Gedanken auszuwalzen, dessen vollkommen ausreichende mündliche Darlegung wenige Minuten beansprucht. Ein besseres Verfahren ist es, so zu tun, als gäbe es diese Bücher bereits, und ein Résumé, einen Kommentar vorzulegen. ”
(Jorge Luis Borges, Vorwort zu "Fiktionen")
Wir wollen uns daher nicht einreihen in die unüberschaubare Flut an Kommentaren, Analysen und Narrativen zur Corona-Krise, die schon im Moment des Schreibens, ja genau genommen schon im Zeitpunkt des Artikulierens der zur Niederschrift anstehenden Gedanken von der ungeheuerlichen Dynamik des Geschehens überholt sind.
Und, wir brauchen nicht einmal dem Verfahren des großartigen argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges folgen, also so zu tun, als ob es diese Beschreibungen schon längst gäbe. Es gab sie tatsächlich schon längst, z.B. in Gestalt des "Berichts zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012" mit dem die Bundesregierung am 03.01.2013 den Deutschen Bundestag unterrichtete:
"Das vorliegende Szenario beschreibt ein außergewöhnliches Seuchengeschehen, das auf der Verbreitung eines neuartigen Virus basiert. Dem Szenario ist der zwar hypothetische Erreger "Modi-SARS" zu Grunde gelegt (…) und der sehr eng an das SARS-Virus angelehnt ist. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Erreger mit neuartigen Eigenschaften, die ein schwerwiegendes Seuchenereignis auslösen, plötzlich auftreten können (z.B. SARS-Coronavirus [CoV], H5N1-Influenzavirus (…). Ein aktuelles Beispiel für einen neu auftretenden Erreger ist ein Coronavirus(„novel Coronavirus”), welches nicht eng mit SARS-CoV verwandt ist. Dieses Virus wurde seit Sommer 2012 bei sechs Patienten nachgewiesen, von denen zwei verstorben sind.1,1
Beschreibung des Ereignisses:
"Das hypothetische Modi-SARS-Virus ist mit dem natürlichen SARS-CoV in fast allen Eigenschaften identisch. Die Inkubationszeit (…) beträgt meist drei bis fünf Tage, kann sich aber in einem Zeitraum von zwei bis 14 Tagen bewegen. Fast alle Infizierten erkranken auch. Die Symptome sind Fieber und trockener Husten (…). Die Letalität (Anteil der Erkrankten, die als Folge der Infektion sterben) ist mit 10% der Erkrankten hoch, jedoch in verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich stark ausgeprägt. Kinder und Jugendliche haben in der Regel leichtere Krankheitsverläufe mit Letalität von rund 1%, während die Letalität bei über 65-Jährigen bei 50% liegt. Die Dauer der Erkrankung unterscheidet sich ebenfalls in Abhängigkeit vom Alter der Patienten; jüngere Patienten haben die Infektion oft schon nach einer Woche überwunden, während schwerer erkrankte, ältere Patienten rund drei Wochen im Krankenhaus versorgt werden müssen, auch Behandlungsbedarf von bis zu 60 Tagen wurde für SARS-CoV beschrieben (…) Die Übertragung erfolgt hauptsächlich über Tröpfcheninfektion, da das Virus aber auf unbelebten Oberflächen einige Tage infektiös bleiben kann, ist auch eine Schmierinfektion möglich. Mit Auftreten der ersten Symptome sind die infizierten Personen ansteckend. Dies ist der einzige Unterschied in der Übertragbarkeit zwischen dem hypothetischen Modi-SARS und dem SARS-CoV – der natürlich vorkommende Erreger kann erst von Mensch zu Mensch übertragen werden, wenn eine Person bereits deutliche Krankheitssymptome zeigt. Zur Behandlung stehen keine Medikamente zur Verfügung (…). Ein Impfstoff steht ebenfalls für die ersten drei Jahre nicht zur Verfügung. Neben Einhaltung von Hygienemaßnahmen können Schutzmaßnahmen in dem Sinne also ausschließlich durch AbsonderungErkrankter bzw. Ansteckungsverdächtiger, sowie den Einsatz von Schutzausrüstung wie Schutzmasken, Schutzbrillen und Handschuhen getroffen werden. Absonderung, Isolierung und Quarantäne sind aber nur von begrenzter Wirksamkeit, da schon bei Beginn der Symptomatik einer sehr ausgeprägte Infektiösität besteht. Die Infektionskrankheit breitet sich sporadisch und in Clustern aus. Eine Übertragung findet insbesondere über Haushaltskontakte und im Krankenhausumfeld, aber auch in öffentlichen Transportmitteln, am Arbeitsplatz und in der Freizeit statt. ”2
Wo passiert das Ereignis?/Welches Gebiet ist durch das Ereignis betroffen?
"Das Ereignis tritt global auf (hauptsächlich Asien, Nordamerika, Europa). (…) … bei einem natürlichen „echten” Ausbruchsgeschehen wäre mit geografischen Unterschieden zu rechnen, deren Komplexität hier nicht abgebildet werden kann. "3
Warum hat man bei der "Modi-SARS"-Simulation einen SARS- ähnlichen Virus zugrunde gelegt?
"Die Wahl eines SARS-ähnlichen Virus begründet sich auch damit, dass die natürliche Variante 2003 sehr unterschiedliche Gesundheitssysteme schnell an seine Grenzen gebracht hat. "4
Wann passiert das Ereignis?
"Das Ereignis beginnt im Februar in Asien, wird dort allerdings erst einige Wochen später in seiner Dimension/Bedeutung erkannt. "5
Welche Geschehnisse führen zu diesem Ereignis?/Wodurch wird das Ereignis ausgelöst?
"Der Erreger stammt aus Südostasien, wo der bei Wildtieren vorkommende Erreger über Märkte auf den Menschen übertragen wurde. Da die Tiere selbst nicht erkranken, war nicht erkennbar, dass eine Infektionsgefahr bestand. "6
Im weiteren Verlauf der Pandemie-Simulation wird bis ins Detail und mit zum Teil kaum fassbarer Übereinstimmung die gegenwärtige Situation quasi vorweggenommen. Allein die Mortalitätsrate, die mit 10% angenommen wurde, hat sich bislang glücklicherweise als zu hoch herausgestellt.
Als vorläufiges "Résumé" können wir daher festhalten:
Die Covid-19-Pandemie hat also schon längst stattgefunden ("perfectum"), als Simulation in der Theorie.
Dass man es zuließ, dass sie nun zur bitteren Realität wurde, ist ein Verbrechen. Nicht irgendein Verbrechen, sondern das perfekte Verbrechen. Die Perfektion des Verbrechens liegt darin, dass wir alle zugleich Täter und Opfer sind. Natürlich ist das perfekte Verbrechen nicht wirklich perfekt, denn dann ließe es sich ja nicht rekonstruieren. Doch dafür ist es umso verbrecherischer:
Es geht um nichts weniger als um die Ermordung der Realität so far, um Tod und Schicksal vieler Menschen, die der Pandemie und ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen zum Opfer fallen.
2. Covid-Pandemie und Shutdown verursachen ein "Übermaß an Realität": Der "Baudrillard-Moment"
„Das Gewisse der Maske, ihre Deutlichkeit, ist von Ungewissem geladen“
(Elias Canetti, Die Befristeten)
Ein Opfer wie die Realität stirbt nicht von einem Tag auf den anderen.
Schon in den 1970er Jahren hat der französische Philosoph, Soziologe und radikale Denker Jean Baudrillard den "Todeskampf des Realen" beschrieben und warnend das Dämmern der Epoche der "Simulation" beschworen, den Eintritt in eine Hyperrealität, in der sich virtuelle und reale Wirklichkeit untrennbar miteinander vermischen, von Adrian Lobe vor dem Hintergrund der Covid-Pandemie wie folgt beschrieben:
"Auch heute erreichen uns die Ereignisse des Pandemiegeschehens über Computermodelle und Simulationen, wobei man gar nicht weiß, was sich in einer globalen Gesellschaft schneller verbreitet: das Virus oder die (Des-)Information darüber. Alles rast, und doch steht alles still – das ist das Gefühl, das einen dieser Tage beschlich. Die Paradoxie, auf die Baudrillard hinweist, ist jene, dass gerade die moderne Gesellschaft wegen der Mobilität und Beschleunigung "in ihrem Innersten, in ihren Zielbestimmungen immobil geworden (ist)"– sie dreht sich immer schneller um die eigene Achse, verliert aber in einem Anfall von kollektivem Schwindel die eigenen Ziele aus den Augen. "7
Es bedurfte erst einer beispiellosen Pandemie, um das wahre Ausmaß des Verbrechens, der "Ermordung" der Realität, vollends deutlich werden zu lassen. Mit dem Shutdown erfolgt die Ablösung der bisherigen Realität ("Realität so far") durch eine für uns alle völlig neue Realität ("Realität from now on").
Die Corona-Pandemie wird so zum "Baudrillard-Moment": Simulation und Wirklichkeit fallen zusammen. Wir erleben eine "Verwüstung des Realen", eine völlig irreal anmutende Wirklichkeit, in der mit einem Schlag nichts mehr so ist wie zuvor. Doch bei genauer Betrachtung stellt sich heraus, dass wir in Wirklichkeit mit einem "Übermaß an Realität" konfrontiert sind, wie Baudrillard bereits vor Jahrzehnten hellseherisch diagnostiziert hat:
"Wir leben in der Illusion, das Reale sei es, was uns am meisten fehlt; doch im Gegenteil: die Realität hat ihren Gipfel erreicht. Vor lauter technischer Performanz haben wir einen solchen Grad an Realität erreicht, daß man sogar von einem Übermaß an Realität sprechen kann, das uns weitaus verängstigter und verwirrter zurückläßt als der Mangel an Realität, den wir wenigstens durch Utopie und Phantasiewelten kompensieren konnten. Zum Übermaß an Realität dagegen gibt es weder Kompensation noch Alternative. Negation, Überschreitung sind nicht mehr möglich, denn wir befinden uns schon jenseits. Keine negative Energie aus der Kluft zwischen dem Idealen und dem Realen mehr – nur eine Überreaktion aufgrund der Unterkühlung des Idealen und des Realen, aufgrund der totalen Positivität des Realen. "8
Ein Übermaß an technischer Performanz hat uns ein Übermaß an Realität beschert und so blieb als Antwort auf die zunehmende Steigerung der Realität durch die Covid-19-Pandemie letztlich nur die Überreaktion des Shutdowns als Ausweg übrig – die "Ermordung der Realität".
Im vorliegenden Band geht es um den Versuch einer "institutionellen Autopsie" am Leichnam der Realität so far. Wir sind der Auffassung, dass eine Autopsie im medizinischen Sinne den Kern unserer Intuition auf den Punkt bringen kann:
Eine situationsbedingte Analyse eines komplexen Systems unter Stress, um dessen innere Logik und seine strukturellen Schwächen deutlich werden zu lassen. Eine institutionelle Autopsie beruht auf der Überlegung, dass das hochdynamische und wechselseitige Zusammenspiel zwischen Institutionen und individuellen und kollektiven Handlungen in Zeiten der "Normalität" für eine rein analytische Vorgehensweise zu komplex erscheint. Insofern nutzen wir den Shutdown als Zusammenbruch eines Gesamtsystems bzw. seiner Subsysteme und sehen darin eine Möglichkeit, das komplexe Set an institutionellen Arrangements einer postmodernen techno-kapitalistischen Gesellschaft und dessen Verwundbarkeit/Anfälligkeit für außergewöhnliche Krisen (Katastrophen) zu sezieren und so sichtbar zu machen.
Unserer Untersuchung liegt die Vermutung zugrunde, dass es sich bei der Covid-19-Katastrophe um ein beispielloses Systemversagen, konkret: eine fundamentale Krise des Denkens und damit einhergehend um ein völlig unzureichendes Verständnis bezüglich komplexer Probleme handelt, was sich schon lange vor der Katastrophe andeutete, aber durch das aktuelle Geschehen nun vollends zum Vorschein kommt, ja regelrecht greifbar wird, wie die Ausführungen des Philosophen Markus Gabriel in einem Interview mit der NZZ zeigen:
"Bald laufen alle Menschen mit Masken herum, aber in Wahrheit erleben wir die grosse Demaskierung: Alle Behauptungen, Berechnungen, Manöver, Dynamiken, Abläufe sind in der Krise sichtbar geworden. Dafür brauchte es den sozusagen unsichtbaren Hauch eines Virus, das wie ein Gespenst herumspukt und uns im Wahn technokratischer Unverwundbarkeit unerwartet getroffen hat. "9
Der vorliegende Band gliedert sich in zwei Teile: einer Beschreibung der Autopsie und Pathologie des Denkens so far mit entsprechenden "Befunden" und einer hypothetischen Antizipation der Realität from now on mit entsprechenden "Thesen" (Therapieansätze).
Doch beginnen wollen wir mit dem "Shutdown", einem vorher nie dagewesenen abrupten und völligen Stillstand von Öffentlichkeit.
3. Shutdown oder: "The Machine Stops"
„Der Wahnsinn, dem wir alle verfallen waren, wurde endlich unterbrochen“
(Leila Shïmani, frz. Schriftstellerin)
"Eine peinigende Vorstellung: daß von einem bestimmten Zeitpunkt ab die Geschichte nicht mehr wirklich war"
(Elias Canetti, Die Provinz des Menschen)
Man mag es kaum glauben, aber auch der Shutdown wurde schon längst beschrieben, und zwar vor mehr als 100 Jahren (!), konkret im Jahr 1909, als Science-Fiction-Kurzgeschichte mit dem Originaltitel "The Machine stops", verfasst von E.M. Forster, deren Inhalt wir kurz wiedergeben wollen:10
Die meisten Menschen sind nicht mehr in der Lage, auf der Oberfläche der Erde zu leben. Jedes Individuum lebt unterirdisch in Isolation in einem standardisierten Raum, der alle körperlichen und spirituellen Bedürfnisse durch eine omnipotente, globale Maschine befriedigt. Reisen sind erlaubt, aber unpopulär und selten nötig. Kommuniziert wird über eine Skype-ähnliche Technologie, über die die Menschen ihre einzige Tätigkeit abwickeln: den Austausch (sharing) von Ideen und dem, was als Wissen (knowledge) gilt.
Die beiden Protagonisten, Vashti und ihr Sohn Kuno, leben an entgegengesetzten Enden der Welt. Vashti ist zufrieden mit ihrem Leben, das wie das der meisten Menschen darin besteht, endlos Ideen aus zweiter Hand zu entwickeln und zu diskutieren. Kuno hingegen ist ein Rebell und sinnesorientiert. Er überredet die zögernde Vashti, die mit unwillkommener persönlicher Interaktion verbundene Reise zu seinem Raum auf sich zu nehmen. Dort erzählt er ihr von seiner Ernüchterung mit der mechanisierten, keimfreien Welt. (…) Während die Zeit vergeht kommt es zu zwei wichtigen Entwicklungen. Die Atemmasken, die Besuche der äußeren Welt ermöglichen, werden nicht mehr bereitgestellt. Die meisten begrüßen dies, weil sie skeptisch und ängstlich gegenüber Erfahrungen aus erster Hand und jenen sind, die diese Erfahrungen suchen.
Zum zweiten nimmt die Maschine einen göttlichen Status ein und wird verehrt. Die Menschen vergessen, dass die Maschine menschengemacht ist, und behandeln sie als mythische Entität, deren Bedürfnisse ihre eigenen verdrängen. Wer die Göttlichkeit der Maschine bestreitet, gilt als „unmaschinell” und wird mit Heimatlosigkeit bestraft. Der Korrekturapparat, der die Maschine wartet, versagt, aber Besorgnis darüber wird von der Hand gewiesen, da die Maschine als omnipotent gilt.
Kuno wird in einen Raum in Vashtis Nähe verlegt und glaubt, dass die Maschine zu versagen beginnt. Kryptisch teilt er ihr mit: „Nicht mehr lange, und die MASCHINE steht still.”
Vashti lebt ihr Leben weiter, aber Defekte machen sich bemerkbar. Zunächst nehmen die Menschen den Verfall als Marotte der Maschine hin, der sie nun vollständig unterwürfig und dienstbar sind, doch die Verschlimmerung schreitet voran, da das Wissen um die Reparatur der Maschine verloren gegangen ist.
Am Ende kollabiert die Maschine apokalyptisch und reißt die Zivilisation mit sich. Kuno gelangt in Vashtis zerstörten Raum, und bevor sie hinscheiden, erkennen sie, dass die Verbindung des Menschen zum wirklichen Leben das ist, was wahrlich von Bedeutung ist. Nur die verbliebenen Oberflächen-Menschen können die Menschheit wiedererstehen lassen und eine Wiederholung des Irrtums der Maschine verhindern.
In der F.A.Z. vom 27. Mai 2020 berichtet Thomas Thiel über einen "Shutdown der Rechensysteme":
"Als systemrelevant gelten, je nach Kontext, nicht nur Supermärkte und große Banken, sondern auch Supercomputer. Ohne deren Rechenleistungen läuft heute in zentralen Bereichen der Forschung nicht mehr viel. Man stelle sich also vor, die leistungsfähigsten Forschungsrechner in Deutschland wären außer Betrieb. Genau das ist geschehen. Vor zwei Wochen wurden die drei größten deutschen Rechner, der Hawk in Stuttgart, der Supermuc in Garching und der Juwels in Jülich von einem Hackerangriff komplett lahmgelegt. Weitere Angriffe trafen Hochleistungsrechner an den Universitäten in Dresden, Karlsruhe und Freiburg, die seither ebenfalls „down” sind. (…) So hat die Wissenschaft mit zwei Arten von Viren zu kämpfen. Während Digitalisierung im einen Fall als Lösung präsentiert wird, ist sie im anderen Fall die Achillesferse."
4. Autopsie und Pathologie des Denkens so far – Anamnese und Befunde
„Versuchen wir doch, uns ein wenig diesen ganzen Lärm aus dem Hirn zu spülen “
(Jacques Lacan, Die Ethik der Psychoanalyse)
„Erarbeitet euch stattdessen, was ich denke, was Enicharmon dachte, was Urizen dachte, was Gutsch dachte, was HoYang dachte, was ChiBo-Sing dachte, was Lafcadio Hearn dachte, was Carlyle, dachte, was Mirabeau über die Französische Revolution gesagt hat“
(E.M. Forster, Die Maschine steht still)
Bei unserer Autopsie des Denkens so far werden wir uns einer Reihe von aufmerksamen Denkern unterschiedlicher Disziplinen quasi als "Pathologen" bedienen, die schon lange vor der Corona-Katastrophe auf die Pathologie des Denkens in postmodernen techno-kapitalistischen Gesellschaften hingewiesen und vor den damit verbundenen Gefahren eindrücklich gewarnt haben. Bedauerlicherweise sind sie im Lärm einer dem Digitalisierungswahn anheimgefallenen Gesellschaft so far und einer dadurch ausgelösten Drift in die Hyperrealität völlig untergegangen. Aber ihre "Laborbefunde" sind allesamt dokumentiert, wie wir nachfolgend sehen werden.
Befund Nr. 1: Die Covid-Pandemie als "Bedeutungsepidemie": Viralität als zwangsläufige und natürliche Folge einer "Hoch-Entropie-Kultur": Die "Rifkin-Prophezeiung"
„It is an epidemic of meanings“
(Paula A. Treichler, How to have Theory in an Epidemic)
„…wir müssen es im Kopf behalten, dass überintegrierte Systeme ihren eigenen Untergang erzeugen und Viren sind ein Mittel dazu“
(Jean Baudrillard, Virustheorie)
„This is a dramatic shortcoming of our education system, as without some understanding of what entropy means it is essentially impossible to comprehend what is going on in the environment… “
(Guy Deutscher, The Entropy Crisis)
„ Wenn wir fortfahren, die Wahrheit des Entropiegesetzes zu ignorieren und die Rolle, die es für die Festlegung des allgemeinen Kontextes, in dem sich unsere physische Welt entfaltet, spielt, werden wir das nur unter dem Risiko unserer eigenen Auslöschung tun können“
(Jeremy Rifkin, Entropie. Ein neues Weltbild)
Covid-19 ist nicht nur (Über-)Träger einer potenziell lebensgefährlichen Virusinfektion, sondern auch Träger von Information. Das Auftreten eines neuartigen Erregers, nicht vorhandene Impfstoffe und die damit auftretenden multiplen, für unsere Generation größtenteils neuartigen Folgeprobleme, stellen insofern einen informationellen Super-GAU dar. Wer die Covid-Pandemie lediglich als globale Gesundheitskrise wahrnimmt und die "Lösung" des Problems ausschließlich in der Entwicklung eines Impfstoffes sieht, springt zu kurz, wie wir im Folgenden zeigen wollen.
In einem Gespräch mit Julia Emcke äußert der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl folgende, in der F.A.S. vom 26. April 2020 wiedergegebene These:
"Es fehlt das Eingeständnis, dass sich die gegenwärtige Situation nicht auf eine Generalformel bringen lässt."11
Unseres Erachtens scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein:
Es fehlt die Einsicht, dass sich die gegenwärtige Situation sehr wohl auf eine Generalformel bringen lässt, namentlich im thermodynamischen Phänomen der "Entropie".
In seinem Buch "Entropie. Ein neues Weltbild" aus dem Jahr 1982 erläutert Jeremy Rifkin dieses universale Naturprinzip wie folgt:
"Das Entropiegesetz wird als führendes Paradigma über den nächsten Abschnitt unserer Geschichte bestimmen. Albert Einstein bezeichnete es als das Hauptgesetz der gesamten Wissenschaft; Sir Arthur Eddington hielt es für das oberste metaphysische Gesetz des gesamten Universums. Das Entropiegesetz ist gleich dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Der Erste Hauptsatz besagt, daß der Betrag der gesamten Materie und Energie des Universums konstant ist und daß ihm weder etwas hinzugefügt noch genommen werden kann. Nur die Erscheinungsform kann sich ändern, nicht aber die Essenz. Der Zweite Hauptsatz stellt fest, daß Materie und Energie nur in eine Richtung verändert werden können, nämlich von einer nutzbaren Form in eine nichtnutzbare, von einer verfügbaren in eine nichtverfügbare, von einer geordneten in eine ungeordnete. (…) Wann und wo immer auf der Erde oder im Universum eine geordnete Struktur geschaffen wird, geschieht dies nach dem Entropiegesetz auf Kosten einer größeren Unordnung in der jeweiligen Umgebung."12
Stark vereinfacht könnte man sagen, dass Unordnung wesentlich wahrscheinlicher ist als Ordnung, was mit unserer täglichen Erfahrung auch tatsächlich übereinstimmt: Wenn wir nämlich die Dinge sich selbst überlassen, machen sie keine Anstalten, sich zu geordneten Strukturen zu formieren – im Gegenteil – wenn wir nicht mittels Organisation, soll heißen: Einsatz von Energie, eingreifen und wieder Ordnung schaffen, nimmt die Unordnung immer weiter zu.
Wie Rifkin bereits vor 40 Jahren in drastischen Worten vorweggenommen hat, haben wir statt einer geordneten Welt, in Wirklichkeit eine Hoch-Entropie-Kultur geschaffen, die das Ausmaß an Unordnung und Anfälligkeit für Schocks und Katastrophen immer deutlicher zum Vorschein bringt und es immer schwieriger werden lässt, Ordnung aufrechtzuerhalten, und teurer, Ordnung durch intelligente Re-Organisation weiterzuentwickeln:
"In einer hochentropischen Kultur ist alles darauf ausgerichtet, einen hohen Energiezufluß zu erhalten und auszubauen, er allein dazu dient, materiellen Überfluß zu schaffen. (…) Wir haben »Realität« auf das reduziert, was man messen, quantifizieren und testen kann. Wir verleugnen Qualität, Geist und Metaphysisches. Wir sind in einen Dualismus verfallen, der unseren Geist vom Körper, unseren Körper von der uns »umgebenden« Welt trennt. Wir haben materiellen Fortschritt, Effizienz und Spezialisierung über alle anderen Werte gestellt. Dabei haben wir die Familie zerstört, die Gemeinschaft, die Tradition. Alle moralischen Zielsetzungen haben wir vernachlässigt, abgesehen von unserem unerschütterlichen Glauben an unsere Allmacht und unseren Anspruch, auf dieser Erde unbegrenzt das zu tun, was uns vorteilhaft erscheint. Jetzt fallen unser Weltbild und unser Sozialsystem genau dem Prozeß zum Opfer, der zu ihrer Entstehung führte. Wohin wir auch blicken, die Entropie unserer Welt nimmt erschütternde Ausmaße an. Inmitten dieses wachsenden Chaos kämpfen wir nur noch um unsere Selbsterhaltung. "13
Auch wenn es die meisten Zeitgenossen nicht wahrhaben wollen, weil sie sich schon viel zu sehr an die "Annehmlichkeiten" technologischen Fortschritts gewöhnt haben: Technologiekonzerne wie Microsoft, Google, Facebook, Amazon usw. haben in nur wenigen Jahren eine dramatische Zunahme von "Ordnung" in die Welt gebracht, aber gleichzeitig auch eine noch dramatischere Erhöhung der Unordnung unserer Umgebung bewirkt, die schon vor der Corona-Pandemie allenthalben sichtbar geworden ist. Am deutlichsten lässt sich dies anhand des "Overtourism" festmachen: Ordnungs- und Buchungsmaschinen in Union mit Billigairlines degradieren Lebensräume zu sogenannten "Erlebnisdestinationen", zu Party- und Konsumzonen, die in kürzester Zeit über Jahrhunderte gewachsene kulturelle Strukturen nachhaltig zerstören; kurzum: sie bewirken für die Einheimischen eine unverantwortliche, unzumutbare und mutmaßlich irreversible Verunstaltung ihres Lebensmittelpunkts.
In Ihrer Arbeit "Das Virus als Medium" schreibt die Kulturwissenschaftlerin Susanne Ristow:
"Kulturen der Verunreinigung entstehen dort, wo die Gefahr der Kolonialisierung der Lebenswelt durch systemische, technische, bürokratische und ökonomische Imperative, die sich im Zuge der Komplexitätssteigerung verselbständigt haben, überhand nehmen und lebensfeindlich, also statisch werden. "14
Für Ristow ist das Virus als "Medium der Aneignung und Subversion" insofern auch ein Mittel, die systembedingten Muster und Verhaltensweisen einer Gesellschaft aufzubrechen, Fehlentwicklungen sichtbar zu machen und dadurch überhaupt neue Formen kultureller Ordnung zu ermöglichen.
Da unser Leben und Wohlbefinden elementar von Ordnung ("Negentropie") anhängig ist, wird es immer schwieriger für uns aus einer ungeordneten entropischen Umgebung noch genügend Ordnung zu absorbieren. Das Leben wird dann immer anstrengender, weil unser täglicher Energieeinsatz im Umgang mit diesen Problemen immer weiter zunimmt und zudem auch noch größtenteils zerstreut wird ("Dissipation"). Der Entropiepreis, den wir für diese "Entwicklung" bezahlen müssen, wird also täglich größer. Insofern unterliegen wir einem grandiosen Irrtum, wenn wir glauben, die Dienste der Technologiekonzerne würden uns quasi "kostenlos" zur Verfügung stehen. Das Entropiegesetz lehrt uns vielmehr, dass es auf dieser Welt buchstäblich nichts umsonst gibt, nicht einmal eine Beobachtung, daher auch der Aphorismus, den jeder von uns kennt: "Alles hat seinen Preis".
Gemäß der vom deutschen Thermodynamiker Rolf Landauer im Jahr 1961 entwickelten "Masse-Energie-Informations-Äquivalenz-These" unterliegt auch Information der Tendenz zu Unordnung. Information ("Negentropie") verhält sich demgemäß umgekehrt proportional zur Entropie. In seinem Paper "The Information Catastrophe" vertritt der englische Mathematiker Melvin Vopson die höchst beunruhigende These, dass wir mit unserer exponentiell steigenden Datenproduktion schnurstracks und sehenden Auges auf eine "Informationskatastrophe" zusteuern, wo sämtliche Materie und Energie unserer Erde vollständig in Information umgewandelt sein werden, die Ökosphäre sozusagen in einer singulären "Infosphäre" der Simulation aufgeht:
"In this context, assuming the planetary power limitations are solved, one could envisage a future world mostly computer simulated and dominated by digital bites and computer code. "15
Was Jean Baudrillard schon in den 1970er Jahren mit seiner Simulationstheorie vorweggenommen hat, scheint nun also auch mathematisch bestätigt worden zu sein.
Wer vor diesem Hintergrund Daten zum "Öl des 21. Jahrhunderts" hochstilisiert und so einer völlig entfesselten Datenproduktion (Big Data) Vorschub leistet, hängt augenscheinlich einer naiven, aber unter energetischen Aspekten hochgefährlichen, ja geradezu absurden Formel an: Je mehr Daten (=Öl!) wir produzieren bzw. verbrauchen, umso besser für uns alle. Tatsächlich müsste eine derartige "Öl-Analogie" eher einen inversen Weckruf bei uns auslösen, indem wir Daten, wie Öl, als hochgradig umweltbelastende Emissionsverursacher interpretierten. Thermodynamisch betrachtet führt Big Data zu einer dramatischen Beschleunigung und Zunahme der Entropie in unserer Umwelt. M.a.W.: Big Data schafft nicht mehr Ordnung, sondern – im Gegenteil – eine dramatische Zunahme der Unordnung. Was wir daher brauchen, ist nicht Big Data, sondern vielmehr "Smart Information". Dies allerdings setzt statt Rechnen eben einen Denkprozess voraus. Nur über komplexes Denken werden smarte Technologien möglich, die zurecht das Attribut "innovativ" verdienen, weil diese sich dadurch auszeichnen, den Entropieprozess zu verlangsamen statt ihn weiter wie besessen zu beschleunigen.
Höchst aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen Henry Adams, der schon im frühen 20. Jahrhundert den Standpunkt vertrat, dass selbst der menschliche Verstand, der unaufhörlich Daten sammelt und speichert, dem Entropieprozess unterworfen sei. In einem Essay stellt Adams "die kühne Behauptung auf, die Entwicklung des menschlichen Denkens sei im Laufe der Zeiten in derselben Richtung verlaufen wie jede andere Aktivität auch; nämlich in Richtung auf einen immer komplexeren und höher dissipierten Zustand. (…) und kam zu dem Schluß, daß jedes weitere Ergebnis menschlichen Denkens mehr Unordnung, einen höheren Energiedurchfluß und, konsequenterweise, eine größere Dissipation von Energie aufwies. "16
In seiner Glosse "Digitale Endzeit" in der F.A.Z. vom 12. August 2020 bringt Joachim Müller-Jung diese Erkenntnisse treffend auf den Punkt:
"Der Informationshunger frisst zuerst unseren Verstand und dann den ganzen Planeten. "
Im Umgang mit einer möglichen Pandemie haben wir uns in der Realität so far verhängnisvollerweise mehr auf unseren Intellekt als auf unseren Instinkt verlassen. Unsere geistige Entwicklung so far wurde immer mehr von einer ständig komplizierter werdenden Energie- und Technologieumgebung absorbiert, was unsere natürlichen Instinkte mehr und mehr verkümmern hat lassen.
Die US-amerikanischen Kulturwissenschaftlerin Paula Treichler hat im Kontext von HIV/AIDS den Begriff der "Bedeutungsepidemie" geprägt.17 Es liegt geradezu auf der Hand, dass die Covid-Pandemie weitaus mehr ist als ein pathologisches Phänomen: Sie gibt uns nämlich zu bedenken, dass entropische "Viralität" zum bestimmenden Paradigma des 21. Jahrhunderts geworden ist. Neben dem biologischen Virus sind wir auch "Medienviren" und "Datenviren" ausgesetzt. Schon 1995 hat der US-amerikanische Medientheoretiker Douglas Rushkoff drei verschiedene Typen von Aufmerksamkeit erzeugenden "Medienviren" unterschieden, die sich als äußerst wirksame Marketingstrategien einsetzen lassen: "1. „mit Bedacht geplante und lancierte” (beispielsweise gezielte Verbreitung eines Produkts oder einer Ideologie bzw. Propaganda), 2. „Domino-Viren” (beispielsweise Diskussionen über AIDS), 3. „völlig selbsterzeugte Viren” (beispielsweise Affären oder öffentliche Prügeleien von Prominenten)."18 Je länger die Aufmerksamkeit andauert, desto mehr Zeit hat das Virus, uns seine Botschaft einzutrichtern.
Jean Baudrillard sieht in seiner Ende der 1980er Jahre formulierten "Virustheorie"19 in der Gefährdung durch Viren einen systemimmanenten, entropischen "Gegenstoß gegen einen überorganisierten Zustand der Dinge:
"Viren sind nicht akzident, sind nicht plötzliche akzidentielle Prozesse. Sie sind überall in dem logischen und überlogischen Prozeß der heutigen Systeme vorhanden. "20
Für Baudrillard ist "Viralität" die zwangsläufige "Kettenreaktion" einer Aufhebung sämtlicher Grenzen ("Orbitalisation"):
"In dem Moment, wo alles seine Singularität hatte, jeder in seiner Kultur, jeder in seiner symbolischen Welt usw. war, sobald alles orbitalisiert wird und ins Leere, in den leeren Raum projiziert wird, sobald alles in seine kleinsten Elemente zergliedert wird, dann wird diese Kettenreaktion möglich, weil durch diesen Sturz ins Identische, durch die Identifikation und Orbitalisation diese Viralität entstehen kann. Sonst kann der Virus nicht entstehen, wenn organische Körper existieren, wenn organische Kulturen existieren, dann gibt es, könnte man sagen, eine Naturimmunitätdes organischen oder des sozialen Körpers. Doch das verschwindet, und es verschwindet sehr schnell durch die technische Projektion. (…) Es herrscht eine weltliche Unverantwortlichkeit der Elemente, der Dinge und der Körper gegeneinander, und dann kann diese Dimension entstehen. "21
Die Öffnung in die völlige Grenzenlosigkeit der Netze und Netzwerke bringt in dieser Interpretation nicht etwa mehr Freiheit mit sich, sondern Gleichgültigkeit und Unverantwortlichkeit. Das Modell viraler Interaktion lässt nach Baudrillard nicht etwa eine Vielfalt an Informationen zu, sondern befördert Kommunikation "des Gleichen mit dem Gleichen", so dass Kommunikation selbst ein "viraler Prozeß" wird, den der Publizist Adrian Lobe wie folgt charakterisiert:
"Das Virus stört die Kommunikation, begründet aber gleichsam eine neue kommunikative Ordnung, indem seine Signale priorisiert werden. Mitteilung setzt Teilung voraus. Nun ist ein Virus kein Bakterium, das sich durch Zellteilung vermehrt. Vielmehr nutzt es die zelluläre Maschinerie des Wirts als propagandistische Produktionsanlage, um nach seinem Bauplan millionenfache Kopien seines Erbgutes zu fabrizieren. Viren sind so gesehen sehr erfolgreiche Kommunikationssysteme, effizienter als jede Druckerpresse, denen es durch massenhafte Reproduktion nicht nur gelingt, im menschlichen Organismus die Agenda zu setzen, sondern auch im Informationssystem der Weltöffentlichkeit – gerade weil das hypermediale Virus den Menschen als Medium instrumentalisiert. Vielleicht ist diese Rekombinatorik auch eine Art Mimikry der zunehmend digitalen und programmierten Gesellschaft – was bedeuten würde, dass die infektiösen Agenten smarter sind als wir Menschen. Und vielleicht ist das Virus auch das radikalste Medium, weil es schon gar kein Dazwischen gibt. "22
Das Medium vermischt sich sozusagen mit der Botschaft, so dass beide tendenziell nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind, mit äußerst beunruhigenden Konsequenzen für den Kommunikationsprozess, wie Thomas Kramer in seiner Arbeit "Technokratie als Entmaterialisierung der Welt" schreibt:
"Die Implosion von Medium und Botschaft zugunsten des Mediums hat auch zur Folge, daß sich die ehedem getrennten Terme von Sender um Empfänger in einem Universum wechselseitiger Manipulation auflösen. Diese, von Baudrillard als „phatisch” gekennzeichnete Kommunikation zersetzt nicht nur jede Machtinstanz, sondern zerstört auch allen Inhalt."23
Wie weit Baudrillard mit seinen Überlegungen seiner Zeit voraus war, belegt eine aktuelle Untersuchung von Kathleen M. Carley am Center for Informed Democracy & Social Cybersecurity der Carnegie Mellon University. Sie zeigt, dass parallel zur Covid-19-Pandemie auch eine Epidemie von Algorithmen-gesteuerten Beiträgen ("Bots") in sozialen Medien stattfindet. Bei einer Analyse von 200 Millionen Twitter-Nachrichten zum Thema Covid-19 identifizierte Carley mit ihrem Forscherteam 100 unterschiedliche Arten von "Fake News" über Covid-19, wie ein Artikel der Plattform heise.de ausführt:
"Bots sammelten damit reichlich Follower und machten dann 82 Prozent der wichtigsten Retweeter und 62 Prozent der wichtigsten 1.000 aus. Der Grad des Einflusses wurde sowohl anhand der Zahl der Follower selbst als auch der Follower dieser Follower ermittelt. Nach Twitter untersucht das Carnegie-Team jetzt auch Facebook, Reddit und YouTube, um herauszufinden, wie sich Desinformation auf verschiedenen Plattformen ausbreitet. Bereits im aktuellen frühen Stadium dieser Arbeit zeigen sich überraschende Muster. So stammen viele der falsch informierenden Geschichten von normalen Webseiten oder Blogs und werden dann in sozialen Medien multipliziert. Für unterschiedliche Arten von Geschichten gibt es außerdem unterschiedliche Herkunftsmuster. Behauptungen, bei dem Virus handele es sich um eine Biowaffe, stammen zum Beispiel oftvon "black news"-Seiten, die gezielt falsche Informationen verbreiten und oft von außerhalb der USA operieren. Rufe nach dem Ende von Corona-Beschränkungen dagegen gehen zumeist von heimischen Blogs oder Facebook-Seiten aus. "24
Baudrillard hat auf das Destabilisierung-Potenzial von Viren schon vor Jahrzehnten (!) hingewiesen:
"Dann handelt es sich also nicht mehr um Subversion oder Insurrektion usw., sondern um Destabilisierung. DESTABILISIERUNG ist einfach der Effekt von Viren (…). Die heutigen Systeme destabilisieren sich von sich selbst, wie die Ökonomie, das wissen wir. Sobald sie orbitalisiert werden, werden sie ganz autonom und funktionieren für sich, an und für sich, und da sind sie unvermittelt destabilisiert. (…) dieser Zustand der Destabilisierung ist es, wo alles möglich ist, alle Katastrophen möglich sind.(…) Heute, glaube ich, gibt es ein Durcheinander, das ist die Konsequenz dieser Viralitäten… "25
Interessanterweise interpretiert Baudrillard die subversiven Systemstörungen als Events, die aus dem System selbst hervorgehen. Es kommt zu einer "objektalen Revanche": Die Systeme wehren sich gegen Überorganisation, Kontrolle und fortschreitende Integration. Baudrillards Metapher der "viralen Kettenreaktion" impliziert einen autonom ablaufenden, sich selbst organisierenden Prozess, der schnell größere Dimensionen annehmen und außer Kontrolle geraten kann. Diese "Rache der Dinge", das Aufbegehren der Systeme gegen die Einflussnahme durch den Menschen markiert eine Entlarvung der Utopie absoluter Kalkulier- und Beherrschbarkeit bei der es sich in Wahrheit um eine dystopisch anmutende Degradation handelt. Integration ist ja nicht zuletzt – wie Robert Anderson in seiner Arbeit "Reduction of Variants as a Measure of Cultural Integration"26 aus dem Jahr 1960 erkannt hat – kulturell gleichbedeutend mit einer Reduktion von Freiheitsgraden, also genau das, was wir gegenwärtig erleben.
Mit der Covid-Pandemie wird uns all dies nicht nur buchstäblich vor Augen geführt, sondern zudem auch unmittelbar physisch (also im wahrsten Sinne des Wortes: leibhaftig) vermittelt. Die Pandemie macht nun vollends sichtbar, dass wir uns tatsächlich inmitten einer Metakrise ("Entropiekrise") befinden, in einer Art "Zwischenzeit", wie Baudrillard vermutet:
"Wir sind in der Zwischenzeit, wir sind in einer seltsamen Zeit, wo das Spiel ganz ausgespielt ist, (…). Doch vielleicht kommt ein anderes Spiel mit anderen Spielregeln, das aber haben wir noch nicht erfunden. "27
Antonio Gramscis These von Krisen als "Interregnum"28 erweist sich mithin auch in der gegenwärtigen Pandemie-Situation als durchaus zutreffend: Das Alte (Realität so far) stirbt, aber das Neue (Realität from now on) kann noch nicht zur Welt kommen.
Viren machen nach Baudrillard das sichtbar, was für unser Vorstellungsvermögen bislang im Verborgenen gewirkt hat. Es eröffnet sich für uns quasi ein neuer Raum, der paradoxerweise gleichzeitig ein "Nichtraum" ist, weil es ihm an räumlichen Orientierungsmerkmalen (oben/unten, links/rechts, Eingang/Ausgang, usw.) fehlt: Ein Übergang in eine bildlose, weil immaterielle "vierte Dimension", die Netzwerk-Strukturen aufweist und Phänomene wie Viralität, Anschlussfähigkeit und Interfaces (Schnittstellen) sowie thermodynamische Prinzipien zu den bestimmenden Größen einer Realität from now on werden lässt. In unserem Denken und Vorstellen sind wir größtenteils noch in der "mechanistischen Dimension" unterwegs, in einer Welt der "Materalitäten und Sichtbarkeiten". Daher, so die Vermutung Baudrillards, hätten wir auch kein Abwehrmittel gegen Viren:
"Vielleicht sind wir nun zur vierten Generation gekommen, das ist die der Viren. Die Viren bewegen sich, sagen wir, in der vierten Dimension. Man weiß nicht mehr, in welchem Raum sie sich bewegen, wir habenalso keine Abwehrmittel gegen sie, weil sie nicht frontal angreifen können. Wir können uns nicht verteidigen, auch nicht theoretisch verteidigen gegen sie, (…), also wir wissen nicht in welcher Dimension wir uns verteidigen können. "29
Adrian Lobe zieht hieraus folgende Schlussfolgerung:
"Es ist erstaunlich, dass ein Virus das fertigbringt, wozu selbst totalitäre Systeme nicht in der Lage waren: einen Umbau der Gesellschaft. Man hat wohl keine unterkomplexe Vorstellung sozialer Systeme, wenn man konstatiert, dass die kommunikative Macht von Viren nahezu unbegrenzt ist. Viren sind das vielleicht bedeutsamste Massenmedium unserer Zeit. Wenn das Medium die Botschaft ist, dann ist die Botschaft niederschmetternd: dass es gegen Viralität keinen Impfstoff geben kann. "30
Viren sind Interfaces, sie sind wie alle Schnittstellen auf Anschlussfähigkeit angewiesen. Interfaces lassen sich als eine Art "Black Box" vorstellen: Sie verbergen die dahinterliegende unsichtbare Welt der Komplexität.
Statt Komplexität weiter zu verstecken, sie sozusagen in die "Peripherie" zu verlagern, sollten wir uns daher schleunigst an die Arbeit machen und sie endlich ins Zentrum unseres Denkens und Handelns stellen. Der Zugang zu komplexem Denken ist dabei untrennbar mit dem Naturprinzip der Entropie verbunden, das viel stärker in unser Bewusstsein rücken muss, wie der israelische Wissenschaftler Guy Deutscher in seinem Buch "The Entropy Crisis" fordert:
"In elementary and even high schools, a great deal of time is spent teaching students the basic notions of force, energy andpower, but the word "entropy" is often not even pronounced. (…) This is a dramatic shortcoming of our education system, as without some understanding of what entropy means it is essentially impossible to comprehend what is going on in the environment and to make the right decisions for its defense. "31
Die Covid-Pandemie und die damit verbundenen massiven Einschränkungen in unserem Alltag lassen uns das Phänomen der Entropie regelrecht am eigenen Körper spüren. Die gegenwärtige Unordnung verlangt von uns allen erhebliche körperliche und mentale Anstrengungen und damit den Einsatz von Energie. Insofern wird deutlich, dass es sich bei der Corona-Krise im Kern um eine Entropiekrise handelt.
Befund Nr. 2: Eine "Covid-Pandemie mit Ansage": Die "Zheng-Li Shi – Prophezeiung" vom 2. März 2019
„Thus, it is highly likely that future SARS- or MERS-like coronavirus outbreaks will originate from bats, and there is an increased probability that this will occur in China“
(Zheng-Li Shi et.al., Bat Coronavirus in China)
In seiner Kolumne vom 15. April 2020 schreibt der Publizist Wolfram Weimer:
"Zu den Merkwürdigkeiten der jetzigen Pandemie zählt dabei ein Artikel, der genau vor einem Jahr in Wissenschaftsmagazinen erschienen ist. Darin prophezeit eben jene Zhen-Li Shi zusammen mit ihrem Virologenkollegen Peng Zhou, dass von Fledermäusen übertragene Coronaviren alsbald in China mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut eine Infektionswelle in Gang setzen würden. Das Publikationsdatum dieser – verblüffend hellseherischen Warnung – ist der 2. März 2019. "32
In jahrzehntelanger Forschungsarbeit baute die chinesische Virologin Zheng-Li Shi vom Nationalen Labor für biologische Sicherheit in Wuhan/China eine der weltweit größten Datenbanken mit Fledermausviren auf:
"Diese Datenbank ermöglichte es ihr schon Ende Dezember sofort nachdem Ausbruch genau zu prognostizieren, dass das neue, aggressive Coronavirus der direkte Abkömmling eines Wildstammes war, den sie aus dem Kot einer Fledermaus in der Provinz Yunnan selber gezüchtet und der 96 Prozent der Gene gemeinsam hatte. Ihre Arbeit gab der Forschungsgemeinschaft rasch wissenschaftliche Einblicke zum Verständnis des Ursprungs des neuen Virus. Schon am 7. Januar 2020 hatte das Institut in Wuhan deshalb das vollständig definierte Genom des verursachenden Virus an die Welt weitergegeben, damit so schnell wie möglich weltweit Test-Kits entwickelt, eine Impfung erforscht und Antikörper hergestellt werden können. "33
Das wissenschaftliche Paper von Zheng-Li Shi und ihren Kollegen liest sich dabei wie ein Horrorroman á la Steven King:
Es beschreibt in aller Detailliert- und Eindringlichkeit, welche tickende Zeitbombe eine von unzähligen, über diverse Fledermaus-Arten auf den Menschen potenziell übertragbare Coronaviren-Infektion tatsächlich schon seit vielen Jahren darstellt. Man wundert sich nach dem Studium des Papers geradezu, wieso es nicht schon früher zu einer katastrophalen Pandemie gekommen ist.
"Weshalb gerade China?", fragt die Forscherin in dem Paper, und gibt sich selbst die Antwort:
Es gab bereits zwei Covid-Ausbrüche in China. Daher sei es dringlich, die Gründe zu studieren, um künftige Ausbrüche zu vermeiden. China verfügt über das drittgrößte Territorium und die größte Bevölkerung weltweit. Dies erzeugt große Biodiversität bezüglich Fledermäusen und durch sie erzeugte Viren. Die Mehrzahl der "Covids" finden sich in China. Die meisten Fledermäuse leben in der unmittelbaren Umgebung von Menschen, was eine potenzielle Übertragung von Tier auf Mensch begünstigt. Zudem führt die chinesische Esskultur, die dem Verzehr lebend geschlachteter Tiere eine höhere Nährstoffanreicherung zuschreibt, zu einer Erhöhung des Risikos einer viralen Übertragung, weshalb im Ergebnis konstatiert werden muss:
"It is generally believed that bat-born CoVs will re-emerge to cause the next outbreak. In this regard, China is a likely hotspot. The challenge is to predict when and where, so that we can try our best to prevent such outbreaks. "34
Die Wissenschaftlerin führt sogar Faktoren an, die einen zeitnahen Ausbruch einer Covid-Pandemie begünstigen bzw. regelrecht erwarten (!) ließen:
"Firstly, bats host a large number of highly diverse CoVs. It is known that CoV genomes regularly undergo recombination during infection, and a rich pool can facilitate this process. Secondly, bat species are widely distributed and live close to humans. Thirdly, the viruses are pathogenetic and transmissible. In this context, SADS-CoV and SARS-CoV out-breaks in China are not unexpected. "35
In ihrer Schlussfolgerung verweist Zheng-Li darauf, dass vieles freilich noch völlig unklar sei:
So z.B. die unbekannte Pathogenesis einer Vielzahl an von Fledermäusen ausgehenden Viren, die gar nie isoliert wurden, bis auf diejenigen, die schon frühere Ausbrüche erzeugt haben. Auch seien die Übertragungswege nicht geklärt, sowie die Frage, warum Fledermäuse längerfristig Coronaviren aufweisen, ohne klinische Krankheitssymptome zu zeigen. Es sei noch ein langer Weg bis wir die Verbindung zwischen Fledermäusen und Coronaviren wirklich verstanden haben… "36
Und für die Wissenschaft ist es sicher auch noch ein langer Weg hin zur Klärung der Frage, wann und wo die Covid-19-Pandemie tatsächlich ihren Ausgang genommen hat. Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass das Virus schon im Herbst 2019 grassierte und möglicherweise gar nicht in Wuhan seinen Ursprung fand, wie ein Beitrag von Paul-Anton Förster in der SZ vom 8. Mai 2020 zeigt:
"Ein Team aus Genetikern und Archäologen aus Cambrigde, Münster und Kiel um die Brüder Peter und Michael Forster hat durch die Analyse von Veränderungen im Erbgut des Erregers versucht, den Ursprung und die Verbreitung des neuartigen Coronavirus nachzuvollziehen. In einer sogenannten phylogenetischen Netzwerkanalyse von 160 vollständigen menschlichen Sars-Cov-2-Genomen, die vom Beginn des Ausbruchs Ende 2019 bis März 2020 in einer international zugänglichen Datenbank dokumentiert sind, fanden die Forscher drei verschiedene Stränge des Virus, die sie als A, B und C bezeichnet haben.