Die DDR-Spionage des BND - Ronny Heidenreich - E-Book

Die DDR-Spionage des BND E-Book

Ronny Heidenreich

0,0
29,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die DDR-Spionage gilt gemeinhin als das Aushängeschild des Bundesnachrichtendienstes. Seine nun erstmals gründlich ausgewerteten Unterlagen zeigen, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften. Denn nach einem kurzen Höhenflug geriet die DDR-Aufklärung des BND im Vergleich zu den anderen westlichen und westdeutschen Diensten deutlich ins Hintertreffen – schon vor dem Mauerbau. Mehr noch: Dem KGB gelang es, die BND-Berichterstattung an die Bundesregierung an entscheidenden Stellen zu manipulieren. Ronny Heidenreich untersucht Praxis und Ertrag der Pullacher DDR-Spionage und zeigt, wie der BND seine Schwächen gegenüber der Öffentlichkeit und den eigenen Mitarbeitern mit inszenierten Erfolgen überdeckte.
(Band 11 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 1349

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Veröffentlichungen der Unabhängigen

Historikerkommission zur

Erforschung der Geschichte des

Bundesnachrichtendienstes

1945–1968

Herausgegeben von Jost Dülffer,

Klaus-Dietmar Henke, Wolfgang

Krieger und Rolf-Dieter Müller

BAND 11

In der Forschungsreihe zur Geschichte des BND sind bisher erschienen:

BAND 1

Christoph Rass: Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes.

Von den Anfängen bis 1968

BAND 2

Gerhard Sälter: Phantome des Kalten Krieges.

Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes »Rote Kapelle«

BAND 3

Ronny Heidenreich, Daniela Münkel, Elke Stadelmann-Wenz:

Geheimdienstkrieg in Deutschland. Die Konfrontation von DDR-Staatssicherheit und Organisation Gehlen 1953

BAND 4

Sabrina Nowack: Sicherheitsrisiko NS-Belastung.

Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er-Jahren

BAND 5

Armin Müller: Wellenkrieg.

Agentenfunk und Funkaufklärung des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968

BAND 6

Agilolf Keßelring: Die Organisation Gehlen und die Neuformierung des Militärs in der Bundesrepublik.

BAND 7

Rolf-Dieter Müller: Reinhard Gehlen. Die Biografie.

Band 1: 1902–1950, Band 2: 1950–1979

BAND 8

Jost Dülffer: Geheimdienst in der Krise.

Der BND in den 1960er-Jahren

BAND 9

Thomas Wolf: Die Entstehung des BND.

Aufbau, Finanzierung, Kontrolle

BAND 10

Klaus-Dietmar Henke: Geheime Dienste.

Die politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen 1946–1953

Ronny Heidenreich

Die DDR-Spionage des BND

Von den Anfängen bis zum Mauerbau

Ch. Links Verlag, Berlin

Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung der an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden im Juli 2019 verteidigten Dissertation. Gutachter: Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke, TU Dresden, Prof. Dr. Daniela Münkel, Leibniz Universität Hannover.

Editorischer Hinweis:

Stellen, an denen einzelne Informationen durch den Bundesnachrichtendienst nicht freigegeben wurden, sind durch Schwärzungen kenntlich gemacht.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, November 2019

entspricht der 1. Druckauflage vom Oktober 2019

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Umschlagentwurf: Stephanie Raubach, Berlin

Lektorat: Dr. Daniel Bussenius, Berlin

ISBN 978-3-96289-024-7

eISBN 978-3-86284-466-1

Inhalt

Vorbemerkung

Einleitung

Geheimdienste im Kalten Krieg

Geheimdienste im geteilten Deutschland

Forschungen zur Geschichte des BND

Aufbau

Quellen

I.Der lange Weg nach Osten

1.Ein Geheimdienst entsteht

Personen und Strukturen

Verpasster Anfang

2.Der Sprung nach Osten

Ein »Feld-, Wald- und Wiesen-Dienst«

Im Visier westlicher Dienste: die sowjetischen Truppen in der SBZ

Anfänge der Wirtschaftsspionage

Spionage in der Praxis

Einbrüche: Der Kreis um Walter Kammer

3.Das Krisenjahr 1948

Ein sowjetisches Täuschungsmanöver?

Im Visier der sowjetischen Spionageabwehr

Krisenmanagement

Berlinblockade und Übergabe an die CIA

4.Spionage im Gründungsjahr der DDR

Neuausrichtung der DDR-Spionage

Operation »Baldur« und das Deutschlandtreffen der FDJ 1950

II.DDR-Spionage zwischen Koreakrieg und Staatssicherheitsaktionen

1.Koreakrisen

Das Jupiter-Pogramm

Auf Erfolgskurs

2.Pullach gegen die Kasernierte Volkspolizei

Operationen in der DDR

Die Gründung der Kasernierten Volkspolizei

Operationen im Westen

3.Neue Wege in der Militäraufklärung

Anwerbung von sowjetischem Militärpersonal

Vorwarnung, Funk und Stay behind

4.Wirtschaftsspionage in den 1950er Jahren

Agentenrekrutierung im Wirtschafts- und Staatsapparat

Wirtschaftliche Störmaßnahmen

Fluchtverleitung

5.Die Organisation Gehlen im Geheimdienstdschungel

Vernetzung mit alliierten Diensten

Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit

Die Ostbüros der Parteien

6.Volksaufstand vom 17. Juni 1953

7.Im Kreuzfeuer der Staatssicherheit

»Konzentrierte Schläge«

Krisenmanagement

Schadensbegrenzung

DDR-Spionage unter veränderten Vorzeichen

Atempausen: Übernahmen vom FDP-Ostbüro und der RIAS-Informationsabteilung

III.Als Bundesnachrichtendienst in der DDR

1.Neuverortung der DDR-Spionage

Militärspionage im Auftrag des Verteidigungsministeriums

Juniorpartner der Alliierten

2.Pullach gegen die NVA

Operationen in der DDR

Deserteursbefragungen

3.Wirtschaftsspionage des BND

Beziehungen zum Wirtschaftsministerium

Agentenrekrutierung in der DDR

Westaufklärung

4.Die Mauer in Sicht

5.Raus aus der DDR: Flüchtlingsbefragungen

Notaufnahme oder Befragungswesen

Die Hauptstelle für Befragungswesen

»Konspiratives Befragungswesen«

6.Die DDR und die anderen westdeutschen Geheimdienste

Das Gesamtdeutsche Ministerium

Das Bundesamt für Verfassungsschutz

Auflösung von KgU und UfJ

Das Ostbüro der SPD

7.Spionage gegen das Ministerium für Staatssicherheit

Umorientierung 1953/54

Das MfS im Visier des BND

Überläuferbefragungen

Propagandakampagnen

8.Die Politische Ostaufklärung des BND

Die Anfänge der politischen Ostaufklärung

Der Fall Elli Barczatis

Ein Geheimdienst im Geheimdienst: Der Strategische Dienst

Die Netzwerke des Thomas Sessler

Die Apparate des Kurt Weiß

Spitzenquellen: Günter Hofé und Willi Leisner

Kontrahenten: Die politische Auswertung

Imagepflege und Propaganda: Topspione in den Medien

IV.Mauerbau

»Aus Moskau wird berichtet«

Logistische und militärische Vorbereitungen

Erklärungsnöte

V.Ausblick bis 1968

Folgen des Felfe-Verrates

Spione auf Reisen

BND und Fluchthilfe

Operationen im Westen

DDR-Berichterstattung in der Endphase der Ära Gehlen

Schlussbetrachtung

Agentenrekrutierung

Im Westen

Informationsmanagement

Einflussinstrument

BND, DDR und die deutsche Teilung

Anhang

Abkürzungen, Chiffren und Tarnbezeichnungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Archive

2. Websites

3. Zeitungen und Zeitschriften

4. Gedruckte Quellen

5. Zeitgenössische Schriften

6. Memoiren und Erinnerungsschriften

7. Forschungsliteratur

Ortsregister

Personenregister

Dank

Der Autor

Vorbemerkung

Die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968

Die Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968 (UHK) wurde im Frühjahr 2011 berufen und sechs Jahre mit insgesamt 2,2 Millionen Euro aus Bundesmitteln finanziert. Die Kommission sowie ihre zeitweilig zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen zuallererst gedankt sei, hatten im Bundeskanzleramt und im Bundesnachrichtendienst freien Zugang zu allen derzeit noch klassifizierten und bisher bekannt gewordenen Akten des Untersuchungszeitraums. Nach vorbereitenden »Studien« (www.uhk-bnd.de) legt sie ihre Forschungsergebnisse nun in mehreren Monografien vor. Die UHK hatte sich verpflichtet, die Manuskripte durch eine Überprüfung seitens des BND auf heute noch relevante Sicherheitsbelange freigeben zu lassen. Dabei ist sie bei keiner historisch bedeutsamen Information einen unvertretbaren Kompromiss eingegangen.

Das Forschungsprojekt zur Geschichte des BND unterscheidet sich von ähnlichen Vorhaben insofern, als es sich nicht auf die Analyse der personellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten zur NS-Zeit beschränkt, sondern eine breit gefächerte Geschichte des geheimen Nachrichtendienstes aus unterschiedlichen Perspektiven bietet. Eine Bedingung der Vereinbarung mit dem BND war es gewesen, dass die UHK den Rahmen und die Schwerpunkte ihrer Forschung selbst festlegt. Gleichwohl waren auf einigen Feldern Einschränkungen hinzunehmen, namentlich bei den Partnerbeziehungen und den Auslandsoperationen des Dienstes.

Die Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt, vertreten durch Herrn Ministerialdirigent Hans Vorbeck, war ausgezeichnet. Bei den BND-Präsidenten Ernst Uhrlau, der das Projekt durchsetzte, Gerhard Schindler, der es förderte, und Bruno Kahl, der die Erträge erntet, stieß die Arbeit der Kommission auf wachsendes Verständnis und Entgegenkommen. Der Kommission ist es eine besondere Genugtuung, dass sie den entscheidenden Anstoß dazu geben konnte, dass die Einsichtnahme in historisch wertvolle Unterlagen des deutschen Auslandsnachrichtendienstes für alle Interessierten inzwischen zu einer selbstverständlichen Gewohnheit geworden ist.

Jost Dülffer, Klaus-Dietmar Henke (Sprecher),

Wolfgang Krieger, Rolf-Dieter Müller

Einleitung

Wenn es ein Loch im Eisernen Vorhang gab, durch das westliche Geheimdienste während des Kalten Krieges in den sowjetischen Machtbereich eindringen konnten, dann war es nach den Worten des britischen Historikers Paul Maddrell die DDR. Angesichts der Massenspionage westlicher Dienste in Ostdeutschland können die Jahre bis zum Mauerbau nach seinen Worten sogar als »the years of the Germans« gelten.1 Zu diesen Geheimdiensten, die in der DDR operierten, gehörte auch die 1946 unter Aufsicht der amerikanischen Armee in Deutschland begründete Organisation Gehlen. Nach ihrem ersten Leiter Reinhard Gehlen benannt, unterstand sie seit 1949 dem amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA und sollte diesen mit Informationen über den sowjetischen Machtbereich versorgen. Sieben Jahre später wurde der Gehlen-Dienst der Bundesregierung unterstellt und ist seitdem der Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik Deutschland.2 Auf dem Gebiet der DDR-Spionage galt der Bundesnachrichtendienst (BND) mitunter als »Marktführer«, für Reinhard Gehlen war sie das Aushängeschild seines Dienstes.3 Wie die DDR-Spionage des Gehlen-Dienstes tatsächlich funktionierte und welche historische Bedeutung sie hatte, ist Gegenstand des vorliegenden Buches.

Unzweifelhaft war das Territorium der DDR für alle westlichen Geheimdienste von besonderem Interesse. Bei Kriegsende befand sich auf dem Gebiet der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eines der größten Kontingente der sowjetischen Truppen in Europa, das in den militärischen Planungen Moskaus während des Kalten Krieges eine zentrale Rolle spielte.4 Die sowjetischen Verbände standen in direkter Opposition zum westlichen Verteidigungsbündnis, weshalb deren Beobachtung für die westliche Allianz besondere Bedeutung hatte.5 In Ostberlin und aufgrund der dort bis 1961 offenen Grenzen in der geteilten Stadt für die westlichen Geheimdienste leicht zugänglich, befanden sich wichtige Betriebe und die DDR-Ministerien sowie Handelsvertretungen und Botschaften der Ostblockstaaten.6 Hier ließen sich Informationen über die ostdeutsche Wirtschaft ebenso beschaffen wie über das östliche Wirtschaftspotential. Zudem waren die Jahre zwischen 1945 und 1961 von einem enormen rüstungstechnologischen Fortschritt gekennzeichnet, der ebenfalls im Fokus westlicher Geheimdienste stand. Auf dem Territorium Ostdeutschlands befanden sich trotz der Demontagen in der Nachkriegszeit wichtige Forschungszentren, die Einblicke in technologische Entwicklungen des Ostblocks zuließen. In diesem Zusammenhang spielte beispielweise die Erschließung der Uranvorkommen im Erzgebirge für die Entwicklung des sowjetischen Atomprogrammes eine wichtige Rolle.7 Nicht zuletzt boten sich westlichen Geheimdiensten für die Ausforschung der politischen Pläne der Moskauer Führung zahlreiche Ansatzpunkte in Ostberlin. Hier ließen sich etwa die Kommunikation der Besatzungsbehörden bzw. später der Botschaft mit den Moskauer Zentralstellen abhören oder Gewährsleute gewinnen.8 Die Unterwanderung der Ostberliner SED-Spitze sollte Aufschlüsse über Initiativen der Moskauer Führung bringen, weshalb, soweit bekannt, vor allem amerikanische Dienste dort Zuträger erfolgreich platzierten.9

Die westlichen Geheimdienste beschränkten sich nicht nur auf die Sammlung von Informationen. Die amerikanische Außenpolitik stand in den 1950er Jahren im Zeichen der sogenannten Befreiungspolitik. Ihr Ziel war es, durch offene und verdeckte Unterstützung von Regimegegnern in die DDR-Gesellschaft hineinzuwirken.10 Vor allem amerikanische Dienste unterstützten zu diesem Zweck ein Netzwerk antikommunistischer Organisationen. Die von diesen Institutionen betriebene Propagandaarbeit in der DDR sollte eine Konsolidierung der SED-Herrschaft in Ostdeutschland verhindern. Zugleich dienten die aus Spionageoperationen gewonnenen Informationen dem Westen auch dazu, durch Handelsbeschränkungen und Embargos die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Ostblocks im Allgemeinen und der DDR im Besonderen zu schwächen.11

Geheimdienste im Kalten Krieg

Mit der DDR-Spionage des Bundesnachrichtendienstes wird ein Ausschnitt des zentralen weltpolitischen Konfliktes der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, des Kalten Krieges, behandelt. Der diese Epoche bestimmende Gegensatz zwischen Ost und West reichte zwar, wie Odd Arne Westad betont, weiter zurück, wuchs sich aber erst nach 1945 zu einem globalen Konflikt aus.12 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Zerfall der gegen das nationalsozialistische Deutschland kämpfenden Anti-Hitler-Koalition wich das vormalige Bündnis einer scharfen Systemkonkurrenz zwischen dem westlichen Lager unter amerikanischer Hegemonie und einem sowjetisch dominierten kommunistischen Block. Der sich entfaltende Kalte Krieg erschien den Zeitgenossen allgegenwärtig und wurde nicht nur mit »kalten« Mitteln auf politischideologischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, kultureller und sozialer Ebene ausgefochten. Der Konflikt formte auch Mentalitäten und Sinnwelten, bei deren Vermittlung Medien- und Propagandaapparate eine zentrale Rolle spielten.13 Es entstanden verschiedene »Kulturen des Kalten Krieges«, welche die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Verhältnisse in einzelnen Regionen bis in die Gegenwart hinein prägten.14 Gleichzeitig mündete der Kalte Krieg an einigen Orten immer wieder in begrenzte militärische Konfrontationen. Angesichts der wechselseitigen atomaren Bedrohung vermieden beide Supermächte einen direkten Schlagabtausch.15 Es handelte sich damit nach Bernd Stöver um eine totale Auseinandersetzung, die von beiden Seiten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ausgetragen wurde.16

Der Kalte Krieg war trotz aller ideologischen und politischen Unterschiede zwischen den beiden Blöcken keine zwangsläufige Entwicklung. Vielmehr waren seine Entstehung und Ausformung wesentlich von Wahrnehmungen geprägt, die »einen konstitutiven und konstituierenden Anteil an der Ausprägung und dem Verlauf« des Konfliktes hatten.17 Zentral war dabei die Konstruktion von Feindbildern und aus ihnen abgeleiteten Bedrohungsvorstellungen. Wilfried Loth verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Ansätze zur Entspannung und Annäherung insbesondere in der Frühzeit des Konfliktes schwach bleiben mussten, weil wechselseitige Fehlwahrnehmungen den Ost-West-Gegensatz anheizten.18 Daran waren Geheimdienste beteiligt, wenn auch keineswegs exklusiv.19 Neben ihnen sieht Loth in dem nach 1945 weltweit stark expandierenden Militär- und Rüstungsbereich einen »sekundären Verursacher« des Kalten Krieges, der erheblich von dem heraufziehenden Konflikt profitierte.20

Gleichwohl kann Ähnliches auch über die Geheimdienste gesagt werden. Im Gegensatz zum Militär sind sie ein relativ neues Phänomen in der Geschichte, auch wenn die Tradition der Spionage sehr viel länger zurückreicht. Bis zum Ersten Weltkrieg war sie vor allem auf die Beschaffung militärischer und diplomatischer Geheimnisse ausgerichtet. Mit der Technisierung der Kriegführung seit dem späten 19. Jahrhundert wuchsen diese Apparate, weil sie in stärkerem Maße auf spezialisierte Kräfte und technische Expertise angewiesen waren.21 Daneben existierte eine Politische Polizei, die mit geheimen Methoden inneren Feinden nachspürte und bis mindestens in die Frühe Neuzeit zurückverfolgt werden kann.22 Aus diesen Vorbildern entstand nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland ein neuartiger Überwachungsapparat, der den Feind sowohl im Äußeren als auch Inneren bekämpfte. Er war zunächst nötig, um die Bolschewiki an der Macht zu halten, entwickelte dann aber eine eigene Dynamik, die ständig neue Feindbilder schuf und gesellschaftlich implantierte.23 Unter anderen Vorzeichen, wenn auch mit ähnlichem Ergebnis, bildete sich in Deutschland nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ein Geheimdienstkomplex heraus. Auch er beschränkte sich nicht mehr auf die politischen Gegner im Inneren und die Militärspionage im Ausland.24 In beiden Fällen zwangen die ideologisch verzerrten Feindwahrnehmungen dieser Regime ihre Geheimdienste dazu, mehr zu produzieren als Feindlageberichte: Weil diese Staaten eine Neuordnung von Gesellschaft, Staat und Raum anstrebten, benötigten sie umfassende Informationen über mutmaßliche Gegner ebenso wie über die eigene Bevölkerung.

Die sowjetischen und nationalsozialistischen Geheimdienstapparate hatten nicht nur gemein, dass sie Diktaturen dienten. Vor allem entstanden sie in Zeiten politischen und gesellschaftlichen Umbruchs, die von Unsicherheit geprägt waren. Davon war auch die historische Epoche des Kalten Krieges gekennzeichnet. Überall auf der Welt entstanden jetzt Geheimdienste als behördliche und auf Dauer angelegte spezialisierte Apparate. So wurde in den USA nicht nur der bei Kriegsende bereits abgewickelte Geheimdienst Office of Strategic Services (OSS) wiederbelebt, sondern in der CIA zu einem sehr viel größeren Komplex entwickelt.25

Der Geheimdienstforscher Christopher Andrews wies bereits vor mehr als 30 Jahren darauf hin, dass die Geschichte des Ost-West-Konfliktes deshalb ohne Einbeziehung der Geheimdienste nicht zu schreiben sei.26 Trotz einer inzwischen umfänglichen Geheimdienstliteratur ist ihre Rolle allerdings noch heute nach Einschätzung Westads »far from clear«.27 Einigkeit herrscht darüber, dass die allgegenwärtigen Bedrohungswahrnehmungen in der Frühphase des Kalten Krieges für die Entstehung von Geheimdiensten im Westen und den Ausbau der Geheimpolizeien im Osten ursächlich waren.28 Weniger deutlich ist, ob und gegebenenfalls wie dieser Aufwuchs der Dienste an personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen und ihre Rolle im politischen Raum die zeitgenössischen Wahrnehmungen und damit die Dynamik des Kalten Krieges konkret beeinflussten.

Folgt man der Geheimdienstforschung, hätten die Dienste ihren Nutzen vor allem auf dem Gebiet der Militärspionage unter Beweis gestellt.29 Dank technischer Aufklärungsmöglichkeiten seien sie in der Lage gewesen, die militärischen Fähigkeiten, besonders das atomare Potential des Gegners, wechselseitig zutreffend zu erfassen, was zur Stabilisierung des Konfliktes beigetragen habe.30 Als defizitär hingegen gilt bei den westlichen Diensten die Beschaffung und Analyse von Informationen über die politischen Absichten der Sowjetunion, weil es ihnen nicht gelang und je nach Auffassung auch nicht gelingen konnte, in die Entscheidungszentren in Moskau einzudringen. Bei der Beurteilung der politischen Absichten der Sowjetunion hätten sich die Regierungen im Westen deshalb stark auf andere etablierte Politikberater aus Diplomatie und Militär verlassen müssen.31

Umgekehrt liegen zahlreiche Hinweise vor, dass besonders in der Frühzeit des Kalten Krieges die Tätigkeit westlicher Geheimdienste den Konflikt anheizte. So hatten überzogene Geheimdienstberichte über das sowjetische Militärpotential in den 1940er Jahren nicht nur einen Aufrüstungsschub in den USA zur Folge.32 Es ist nachgewiesen worden, dass führende amerikanische Geheimdienstler solche Fehlannahmen aus Eigeninteresse zielstrebig beförderten, um das Überleben und den Ausbau ihrer Institutionen zu sichern.33 Ebenfalls eskalierend wirkte das aktive Eingreifen der Dienste durch verdeckte Operationen im gegnerischen Machtbereich. Solche Unternehmungen zielten beispielsweise durch Propaganda34 auf eine Destabilisierung des Gegners ab oder verfolgten das Ziel, durch zum Teil bewaffnete Interventionen an der Peripherie der Machtblöcke die Ausweitung der gegnerischen Einflussgebiete zu verhindern.35 Nicht nur solche von Geheimdiensten betriebenen Sonderoperationen konnten den Kalten Krieg befeuern. Es waren mitunter auch fehlgeschlagene Spionageunternehmungen selbst, wie der Abschuss eines amerikanischen Aufklärungsflugzeuges über der Sowjetunion 1960, die zu schweren Spannungen zwischen den Blöcken führten.36 In dem von Ängsten und Bedrohungsvorstellungen geprägten Klima des Kalten Krieges schien bereits von der bloßen Existenz der Geheimdienste für die jeweils andere Seite eine Gefahr auszugehen, die sich zudem politisch instrumentalisieren ließ. So wurden im Westen aufgedeckte Spionagefälle sowjetischer Dienste öffentlich inszeniert, um Infiltrationsängste zu schüren und den Ausbau der eigenen Geheimdienstapparate zu rechtfertigen.37 Unter umgekehrten Vorzeichen fanden ähnliche Kampagnen im sowjetischen Machtbereich statt, die ebenfalls der Herrschaftssicherung und dem Ausbau der Überwachungsapparate dienten.38 Die öffentliche Inszenierung dieses Geheimdienstkrieges zwischen Ost und West in Presse, Literatur und Film und Fernsehen dürfte damit eine nicht minder große Bedeutung für den Verlauf des Ost-West-Konfliktes gehabt haben, über deren Stellenwert allerdings bislang wenig bekannt ist.39

Trotz dieser Ambivalenzen und dem tatsächlich nur punktuell messbaren Einfluss der Geheimdienste stehen ihre Ressourcen und Rechte sowie der Aufwand, mit dem sie bisherigen Studien zufolge Informationen zusammentrugen, in einem deutlichen Missverhältnis zu ihrer politischen Wirkung. Das liegt in starkem Maße auch daran, dass sich die Geheimdienstforschung für diese Fragen kaum interessiert. Bisher konzentrierte sie sich vor allem auf Organisationen und Personen, einzelne Operationen und, gerade mit Blick auf die CIA, auf politische Einflussnahme.40 Eine Besonderheit dieser Geheimdienstforschung ist zudem, dass sie sich vorrangig für politische Ereignisgeschichte interessiert und die Forscher zu ihrem Objekt oftmals in naher Beziehung stehen.41 So plädiert zwar die Geheimdienstforschung dafür, den Nutzen von Geheimdiensten in längerer Perspektive zu messen und nicht an einzelnen, zumeist öffentlich bekannt gewordenen und oftmals skandalisierten Fehlleistungen festzumachen.42 Wie dies zu leisten sei, bleibt allerdings offen, weil einige zentrale Fragen, wie die Fähigkeit zur geheimen Nachrichtenbeschaffung und -verarbeitung, ja selbst die Beauftragung der Dienste, aufgrund noch heute bestehender überbordender Geheimhaltungsmaßgaben bislang einer Untersuchung nicht zugänglich sind.

Die Möglichkeit, die Arbeitsweise eines westlichen Geheimdienstes im Kalten Krieg auf breiter Quellengrundlage zu erforschen, bietet sich erstmals exemplarisch mit der Überlieferung des BND, die seit 2011 in den Untersuchungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (UHK BND) aufgearbeitet wird. Am Beispiel der Spionage in der DDR wird im Folgenden systematisch die Beschaffung von Informationen untersucht, angefangen von der Auswahl, Rekrutierung und Führung von Agenten. Daran schließt sich eine Betrachtung der durch Sichtung und Evaluation der beschafften Informationen geprägten Verarbeitungsprozesse an. Die Analyse der selektiven Weitergabe und Rezeption der Geheimdienstberichte im politischen Raum soll Rückschlüsse auf die Wirkung der BND-Unterrichtungen über die DDR zulassen. Mit diesem breiten, aber zugleich auf die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen fokussierten Ansatz betritt die vorliegende Arbeit Neuland. Die geografische Beschränkung auf die SBZ und frühe DDR bis zum Mauerbau 1961 ermöglicht zum einen die konzentrierte und exemplarische Untersuchung der Nachrichtenbeschaffung und -verarbeitung. Zum anderen erlaubt die breite historische Forschung über die deutsche Teilungsgeschichte und die DDR eine Einbettung der Pullacher Erkenntnisse. Das macht die Erforschung dieses Geheimdienstes für weiter gehende Fragestellungen anschlussfähig.

Die Spionage in der DDR stand zugleich in einem größeren Kontext der Nachrichtenbeschaffung des frühen Bundesnachrichtendienstes, deren Stellenwert, wie zu zeigen sein wird, sich im Verlaufe der Jahrzehnte veränderte. Andere Aktivitäten wie beispielsweise Propagandaarbeit und verdeckte Einflussnahme,43 militärische Ernstfallplanungen44 oder die Personalpolitik und ihre Kontinuitäten seit der Zeit vor 194545 sind Gegenstand anderer Studien der UHK BND und werden nur insoweit thematisiert, wie sie für die vorliegende Untersuchung relevant sind.

Eine Untersuchung der DDR-Spionage des frühen Bundesnachrichtendienstes ist auch deshalb besonders aufschlussreich, weil es sich um einen Geheimdienst im Entstehen handelt. Ungeachtet der Vorerfahrungen zahlreicher Mitarbeiter in den Militär- und Sicherheitsapparaten des nationalsozialistischen Deutschlands war der Bundesnachrichtendienst wie alle anderen westlichen Geheimdienste auch eine neue Institution. Er befand sich damit in einem Prozess des Probierens und Lernens und war gezwungen, Standards für die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen zu entwickeln.

Über die Praxis westlicher Spionage in Ostdeutschland liegen mit den Arbeiten Maddrells wertvolle Hinweise vor. So konnte er auf Grundlage von Spionageabwehroperationen östlicher Geheimdienste nachweisen, dass die Beschaffung von Informationen zunächst wesentlich auf der Zusammenarbeit mit Gewährsleuten beruhte, während technische Möglichkeiten erst Mitte der 1950er Jahre zum Einsatz kamen.46 Zugleich kann er zeigen, dass die massenhafte Rekrutierung solcher Zuträger maßgeblich auf den sozialen Bindungen in der deutschen Bevölkerung und dem Flüchtlingsstrom aus der DDR beruht haben dürfte.47 Doch trotz solcher ausschnittartiger Einsichten sind Logiken und Prozesse der Auswahl, Anwerbung und Führung von Gewährsleuten bei westlichen Diensten weitgehend unbekannt.48 Ganz im Gegensatz etwa zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR, über dessen Zusammenarbeit mit Zuträgern es eine breite quellengestützte Forschung gibt.49

Die genannten Defizite sind vor allem darauf zurückzuführen, dass alle westlichen Geheimdienste auch heute noch ihre »sources and methods« schützen und deshalb für die Erforschung dieses zentralen Bereiches geheimdienstlicher Arbeit eine breite Quellengrundlage fehlt.50 Zudem sind die in der Forschung anhand östlicher Quellen herausgearbeiteten Praktiken westlicher Dienste dem Vorwurf ausgesetzt, nicht hinreichend durch andere Überlieferungen belegbar zu sein.51 In diesem Zusammenhang wird gerade im Bereich der DDR-Forschung ein von der Staatssicherheit erhobener Spionagevorwurf als Ausdruck ideologisch verzerrter Feindwahrnehmung oftmals mit politischer Verfolgung gleichgesetzt. Angesichts unzweifelhaft fehlender rechtsstaatlicher Untersuchungsverfahren in der DDR lässt sich damit der Unrechtscharakter des SED-Staates herausstreichen. Zugleich halten solche Vorannahmen aber davon ab, die in den Akten der östlichen Geheimpolizei dokumentierten Vorgänge ernster zu nehmen.52 Das aber erscheint umso wichtiger, als erste Untersuchungen über den Gehlen-Dienst und andere antikommunistische Organisationen im Spiegel östlicher und westlicher Akten gezeigt haben, dass die Bedrohungsvorstellungen der Staatssicherheit oftmals Bestätigung in der westlichen Gegenüberlieferung finden.53 Die vorliegende Untersuchung wird diese Lücke weiter schließen, indem sie nun erstmals quellengestützt Methoden, Ziele und Erfolge der Quellenrekrutierung des frühen Bundesnachrichtendienstes beschreibt.

Ähnlich wie die Nachrichtenbeschaffung weitgehend im Dunkeln liegt, sind auch Prozesse der Informationsverarbeitung bei westlichen Geheimdiensten angesichts verschlossener Archive bislang kaum zu erforschen gewesen.54 Zwar liegt aus dem Umfeld der Intelligence Studies reichlich Literatur über Modelle der Nachrichtenbeschaffung und -verarbeitung vor. Sie sind, wie selbst die Geheimdienstforschung einräumen muss, jedoch kaum hinreichend empirisch untermauert, so dass über ihren Realitätsbezug nichts oder wenig bekannt ist.55

Als hilfreich erweisen sich in diesem Zusammenhang theoretische Überlegungen der Literaturwissenschaftlerin Eva Horn.56 In Anknüpfung an Horn hat der Historiker Gerhard Sälter daraufhingewiesen, dass Geheimdienste bei der Zusammenarbeit mit V-Leuten vor der Herausforderung stehen, dass sie sich über die Herkunft ihrer Informationen und die Intention ihrer Zuträger nie sicher sein können. Das ist zunächst ein allgemeines Problem, weil Informationen, die aus Beziehungen zwischen Personen gewonnen werden, stark von Interpretationen abhängen und deshalb schwer zu verifizieren sind.57 Die Dienste sind deshalb gezwungen, Kriterien für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ihrer Gewährsleute und des Wahrheitsgehalts der von ihnen gelieferten Berichte zu entwickeln. Das erfolgt, so wiederum die Geheimdienstforschung, im Wesentlichen durch einen Vergleich der Informationen mit anderem geheimen und offenen Material.58 Dieser Ansatz ist allerdings gerade im geheimdienstlichen Geschäft erschwert. Weil es der Anspruch der Dienste ist, mit geheim gehaltenen Informationen zu arbeiten, und ihr Wissen demnach aus einem geschützten Raum stammt, zu dem ein nur begrenzter Zugang besteht, bieten sich kaum Möglichkeiten des Abgleichs.59 Wie der frühe Bundesnachrichtendienst mit diesen Problemen umging und welche Kriterien er entwickelte, um seinen Quellen und den von ihnen gelieferten Informationen vertrauen zu können, wird zu zeigen sein.

Ungeachtet dieser zentralen Probleme leiten Geheimdienste aus ihrer Fähigkeit zur geheimen Nachrichtenbeschaffung einen Anspruch auf Exklusivität des von ihnen generierten Wissens ab. Das müssen sie auch, weil das ihre Existenz letztlich ebenso rechtfertigt wie das Recht, ihre Tätigkeit gerade im operativen Bereich den Einblicken oder gar einer Kontrolle und auch Erforschung durch Dritte zu entziehen. Zugleich neigen Geheimdienste nach den Beobachtungen von Horn in ihrer selbst gewählten Abgeschiedenheit zur Überschätzung der eigenen Erkenntnisse und Informanten. Das von ihnen reklamierte Alleinstellungsmerkmal birgt für die Dienste die Gefahr, ihre Sicht auf die Welt für die einzig zutreffende zu halten, und ist potentiell geeignet, Fehlwahrnehmungen zu befördern.60 Daraus leiten sich zwei Fragen ab: Erstens, in welchem Maße die vom BND beschafften Informationen über die DDR angesichts offener Grenzen und einer verflochtenen Gesellschaft den Anspruch des Geheimen und Exklusiven einlösen konnten. Zweitens, in welchem Maße die vorgeblich exklusiv beschafften Erkenntnisse die in den politischen Raum gegebenen Berichte prägten.

Der in den Diensten um ihre Informationen und Arbeitsweisen ausgeprägte Geheimniskult setzt sich in der Präsentation der Berichte bei den Abnehmern fort. Schon die geheime Aufmachung und die Vorlage bei einem ausgewählten Empfängerkreis erwecken den Eindruck, das in den Berichten enthaltene Wissen sei an sich bedeutsam. Der tatsächliche Mehrwert geheimdienstlicher Unterrichtungen lässt sich indes erst durch Einbeziehung alternativer Informationsquellen der Empfänger genauer bestimmen.61 Deshalb würde es auch zu kurz greifen, die Pullacher DDR-Berichterstattung allein auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen. Vielmehr kommt es darauf an, sie mit anderen Berichten und Informationskanälen zu vergleichen, die den Adressaten zur Verfügung standen.

Angesichts dieser Desiderate unternimmt die vorliegende Untersuchung den Versuch einer Geheimdienstgeschichte, welche die Praxis der Spionage mit den Prozessen der Informationsverarbeitung verbindet und in einem politischen Rahmen betrachtet. Ein solch umfassender Ansatz kann hier erstmals verfolgt werden, weil nun die Akten dafür zur Verfügung stehen.

Geheimdienste im geteilten Deutschland

Die hier untersuchte Phase zwischen Kriegsende 1945 und Mauerbau 1961 war für die Entstehung der beiden deutschen Staaten konstitutiv. Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes vollzog sich in diesen Jahren die Teilung des zunächst gemeinsam von den Siegermächten verwalteten Nachkriegsdeutschlands, die 1949 in der Gründung der beiden deutschen Staaten mündete. In welchem Maße beide Machtblöcke ein Interesse an dieser Entwicklung hatten und den Prozess bewusst vorantrieben, ist ebenso Gegenstand der Forschung wie die Frage, in welchem Maße die beiden deutschen Staaten selbst den Teilungsprozess vorantrieben, weil sie ihm ihr Entstehen verdankten.62 Unabhängig von den Handlungsspielräumen und Motiven der Akteure kann die hier untersuchte Phase, wie Christoph Kleßmann bereits vor Jahrzehnten betont hat, als die Periode gelten, in der sich die DDR und BRD auseinanderentwickelten und sich die deutsche Teilung verfestigte.63

Trotz der von den Siegermächten beförderten Integration der beiden deutschen Staaten in den jeweiligen Herrschaftsbereich blieben sie stets im Sinne einer asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte aufeinander bezogen und interagierten miteinander.64 So war für die DDR die westdeutsche Gesellschaft stets wichtiges Referenzobjekt und Gegenentwurf zugleich, wie sich die junge Bundesrepublik mit ihrem Antikommunismus gegenüber dem SED-Staat politisch und gesellschaftlich abzugrenzen suchte. Unterhalb des politischen Teilungsprozesses blieben aber, wie Michael Lemke gezeigt hat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur und nicht zuletzt auch die Mentalitäten durch eine länger zurückreichende gemeinsame Erfahrungsgeschichte miteinander verbunden.65 Solche Verflechtungen wirkten fort und konnten den Abgrenzungsprozess erschweren, weil sie der Herausbildung klarer Loyalitäten gegenüber den entstehenden neuen Staaten in Ost und West entgegenstanden.66 Ganz praktisch halfen dabei die bis zum Mauerbau am 13. August 1961 offenen Grenzen. Sie erlaubten alltägliche Begegnungen, was insbesondere für das unter Viermächteverwaltung stehende Berlin und sein Umland gilt. Gerade hier ermöglichten die offenen innerstädtischen Grenzen den Menschen einen für beide Seiten unkontrollierbaren Wechsel zwischen beiden Systemen. Das war letztlich von den Besatzungsmächten ebenso wie von den Regierungen in Bonn und Ostberlin gewollt: Beide Stadthälften waren als Schaufenster konzipiert, das die Bevölkerung der jeweils anderen Seite anziehen und von der Überlegenheit des eigenen Systems überzeugen sollte.67

Diese gewachsenen sozialen Beziehungen sowie die Möglichkeit alltäglicher Begegnungen erschienen zugleich zeitgenössisch als Problem und wurden deshalb im Zuge des politischen Teilungsprozesses aufgebrochen. Die Konstituierung von Grenzen und ihre Überwachung wurden von beiden Seiten mit dem Ziel vorangetrieben, Kontrolle über die eigene Bevölkerung und ihre Kontakte in den anderen Machtbereich zu erlangen.68

Die Verflechtungsgesellschaft galt einigen deshalb als Bedrohung, weil die unkontrollierbaren Bindungen ein potentielles Einfallstor für den jeweiligen Gegner sein konnten. Die Angst vor Subversion war stark, weil Einflussnahme auf die Gegenseite von beiden Parteien aktiv versucht wurde. Für die Bundesregierung war die Absichtserklärung der SED-Führung bedrohlich, mit Hilfe befreundeter Parteien und Vorfeldorganisationen in die westdeutsche Gesellschaft hineinwirken zu wollen. Auch wenn die Wirkungsmächtigkeit dieser Unternehmungen von den Zeitgenossen überschätzt und namentlich den westdeutschen Geheimdiensten überzeichnet wurde, verstärkten sie das Bedrohungsgefühl der jungen Bundesrepublik.69 Umgekehrt und gleichermaßen fürchtete die SED-Führung die gesamtdeutsche Rhetorik der Bundesregierung wie auch die von regierungsoffiziellen Institutionen wie dem Gesamtdeutschen Ministerium geförderte Propagandaarbeit in Richtung DDR, die ihren Herrschaftsanspruch in Ostdeutschland untergrub und die ohnehin vorhandene Ablehnung in der eigenen Bevölkerung bestärkte.70

In den Bemühungen um die Eindämmung solch wechselseitig wahrgenommener Bedrohungen spielten Geheimdienste eine zentrale Rolle. In der Bundesrepublik begann bald nach der Staatsgründung der Aufbau eigener Geheimdienstapparate, die auf die Abwehr einer östlichen Bedrohung ausgerichtet waren und auf die innere Konsolidierung der westdeutschen Gesellschaft abzielten, bei der Durchsetzung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aber retardierend wirken konnten.71

Im Osten wiederum fiel der sowjetischen Geheimpolizei und dem 1950 gegründeten Ministerium für Staatssicherheit bei der Diktaturdurchsetzung von Beginn an eine zentrale Bedeutung zu. Die SED begründete die Notwendigkeit gezielter Repressionen durch das MfS gegen politische Gegner und ganze Bevölkerungsgruppen mit der Furcht vor westlicher Einflussnahme. Die Bedrohungsvorstellung der SED beförderte damit zugleich die Professionalisierung und den Ausbau des Überwachungsapparates, die nach dem Mauerbau in einer nahezu geschlossenen überwachungsstaatlichen Durchdringung der DDR-Gesellschaft mündeten.72 Nicht zuletzt nutzte die SED-Führung die von den westlichen Geheimdiensten ausgehende wahrgenommene Bedrohung, um außen- und innenpolitische Ziele durchzusetzen.73 So lieferte während der zweiten Berlinkrise die Tätigkeit westlicher Geheimdienste in Berlin für die Moskauer Führung und die SED einen Begründungszusammenhang, um den Abzug der alliierten Schutzmächte aus den Westsektoren der Stadt zu fordern.74 Nicht zuletzt legitimierte die SED-Führung die Grenzschließung 1961 mit dem an den Westen gerichteten Vorwurf einer gezielten Abwerbung von Fachkräften.75 Das war zwar überzeichnet, doch stellte wenigstens der damit verbundene Abfluss von Wissen ein Sicherheitsproblem dar, das die Ostberliner Führung lösen musste.76

Solche Bedrohungswahrnehmungen der SED entbehrten im Kern nicht einer realen Grundlage. Gerade die sich aus der Verflechtungsgesellschaft ergebenden Verbindungen ließen sich für die westliche Spionage in Ostdeutschland hervorragend nutzbar machen. Die gemeinsame Sprache und Kultur erleichterten das Ansprechen potentieller Zuträger. Bestehende Bindungen in Familien- und Freundeskreisen oder auch Geschäftskontakte konnten gezielt für die Beschaffung von Informationen instrumentalisiert werden. Hinzu kam die seit 1945 anhaltende und erst durch den Mauerbau gestoppte Migration von Ost nach West, die zunächst eine Folge des Krieges und spätestens seit 1949 Ausdruck der fehlenden Akzeptanz des entstehenden SED-Staates war.77 Das Wissen der Geflohenen, unter denen sich auch Mitarbeiter des ostdeutschen und sowjetischen Militär- und Sicherheitsapparates befanden, war eine wesentliche, wenn nicht sogar die wichtigste Informationsquelle über den sowjetischen Herrschaftsbereich in Europa, deren Ausnutzung westliche Geheimdienste mit erheblichem Aufwand betrieben.78

Hinzu kam, dass diese Möglichkeiten nicht nur von westlichen Geheimdiensten selbst ausgenutzt wurden. Auch die von ihnen unterstützten antikommunistischen Organisationen wie die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU), der Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen (UfJ) oder die Ostbüros der Parteien, um nur einige zu nennen, waren an Spionageoperationen beteiligt.79 Ihre Wahrnehmung in Forschung und Öffentlichkeit war lange Zeit von der Propaganda- und Widerstandstätigkeit geprägt, während ihre Bedeutung als Nachrichtenbeschaffer für die westliche Geheimdienstallianz weitgehend ausgeblendet blieb.80 Enrico Heitzer indes hat inzwischen am Beispiel der KgU die zentrale Bedeutung geheimdienstlicher Informationsbeschaffung in der Arbeit dieser Gruppierungen nachgewiesen.81 Diese Institutionenteilten ihr Wissen mit dem westdeutschen Regierungsapparat. Eine zentrale Rolle spielte dabei das Gesamtdeutsche Ministerium (BMG), das in die Koordination der Aktivitäten dieser Gruppierungen einbezogen wurde und dank solcher Kooperationen im Regierungsauftrag die Lage in der DDR beobachten konnte.82

Trotz der guten Ausgangsbedingungen für Spionageunternehmungen und der herausragenden Bedeutung, welche die DDR als Einfallstor in den sowjetischen Machtbereich hatte, ist über die Aktivitäten westlicher Dienste dort bis heute wenig bekannt. Das ist, wie bereits dargelegt, in starkem Maße ein Quellenproblem. Aus den bislang herangezogenen Unterlagen der östlichen Geheimpolizeien, die Aussagen verhafteter Agenten oder mitunter sichergestellte Unterlagen enthalten, ist einigermaßen zuverlässig eine punktuelle Beschreibung der Erkenntnisinteressen westlicher Dienste zu rekonstruieren. Gleichwohl lassen sich damit nur Ausschnitte erfassen, die eine Annäherung an das tatsächliche Ausmaß der westlichen Spionage, vor allem aber die Bedeutung der aufgedeckten Operationen für die Auftraggeber nicht zulassen.83 Insofern sind die umfänglichen Veröffentlichungen ehemaliger Mitarbeiter des MfS eine nur sehr bedingt zuverlässige Quelle, wenn es um Ziele und Erfolge westlicher Geheimdienste geht. Sie liefern ebenso wie die zeitgenössischen Ermittlungsakten der Staatssicherheit in erster Linie Hinweise auf Bedrohungswahrnehmungen.84

Besonderes Interesse in der historischen Forschung haben bisher die Aktivitäten der CIA, des wichtigsten und größten westlichen Geheimdienstes, gefunden. Für diesen spielte die DDR gegenüber der Sowjetunion und den übrigen Ostblockstaaten allerdings eine nur nachgeordnete Rolle. Ostdeutschland war zwar wichtiger Aktionsraum und Sprungbrett in den Osten, weniger aber eigentliches Aufklärungsziel.85 Das erscheint auch deshalb plausibel, weil das Interesse der amerikanischen Regierung an der DDR im ersten Nachkriegsjahrzehnt nur schwach ausgeprägt war.86 Weitaus weniger ist über die Tätigkeit der mit dem Auslandsgeheimdienst konkurrierenden Militärgeheimdienste der amerikanischen Streitkräfte bekannt. Dabei ist gerade die Geheimdienstabteilung der US-Army als aufsichtführende Instanz der Organisation Gehlen in den Jahren 1946 bis 1949 und später neben der CIA als wichtiger Partnerdienst des BND für die vorliegende Untersuchung von zentraler Bedeutung. Mit welchen Zielen die amerikanischen Militärgeheimdienste in der DDR operierten, lässt sich in einigen Überblickwerken bislang nur ansatzweise erkennen.87 Noch weniger ist über die Arbeit der britischen und französischen Dienste in Ostdeutschland bekannt. Hier fehlen quellengestützte Untersuchungen vollständig.88

Neben den Geheimdiensten der Alliierten waren an der Ausforschung der DDR auch weitere westdeutsche Dienste beteiligt. Zu ihnen gehörte vor allem das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das als Inlandsgeheimdienst bei seiner Gründung 1950 auf die umfassende Beobachtung der DDR festgelegt wurde.89 Die jüngst vorgelegte, aber auf die politische Geschichte des Kölner Amtes und seines Personals fokussierte Studie von Constantin Goschler und Michael Wala erwähnt diesen Aspekt nur am Rande.90 Ähnliches gilt für den ebenfalls 1950 begründeten kurzlebigen Geheimdienst des späteren Verteidigungsministeriums, der, nach seinem ersten Leiter Friedrich Wilhelm Heinz benannt, die Wahrnehmung der DDR im Kanzleramt maßgeblich mitprägte, über dessen Aktivitäten in Ostdeutschland aber wenig bekannt ist.91 Die Berichte beider Institutionen standen damit bereits vor Gründung des Bundesnachrichtendienstes 1956 in Konkurrenz zur DDR-Spionage der Organisation Gehlen.

Forschungen zur Geschichte des BND

Angesichts der guten Voraussetzungen für die Gewinnung von Zuträgern vermutete Wolfgang Krieger 1997, der Bundesnachrichtendienst sei in der DDR »Marktführer« unter den westlichen Geheimdiensten gewesen.92 Dafür sprechen die große Intensität der Spionageaktivitäten und der aus ihnen gewonnene dichte Kenntnisstand, den Armin Wagner und Matthias Uhl anhand der Berichte und Arbeitskarteien des BND über die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen untersucht haben. Unter Einbeziehung von Bedrohungswahrnehmungen in den MfS-Akten, gehen sie davon aus, dass die Pullacher Aufklärung gerade auf diesem Gebiet bis 1989 erfolgreich operierte.93 Zu ähnlich positiven Ergebnissen kommt auch Jan-Hendrik Hartwig mit Blick auf die Wirtschaftsspionage. Auch er rekonstruierte durch Auswertung von Materialsammlungen und Berichten den Informationsstand des BND, dessen Stichhaltigkeit im Lichte heute zur Verfügung stehender Quellen überprüft wurde.94 Was beide Arbeiten mangels geeigneter Quellen nur in Ansätzen beantworten können, sind Fragen nach der Bedeutung der gewonnenen Informationen für den Kenntnisstand des Dienstes und die Relevanz der Berichte für die Empfänger.

Die Einbeziehung solcher Aspekte zeitigt andere Ergebnisse, wie zwei im Rahmen der Unabhängigen Historikerkommission publizierte Studien über die Pullacher Wahrnehmung des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 und die Reaktionen des Gehlen-Dienstes auf die erste Verhaftungswelle der Staatssicherheit im Herbst des Jahres zeigen. Gestützt auf bis dahin nicht zugängliche BND-Quellen wird in beiden Fällen deutlich, dass sowohl die Fähigkeiten der Pullacher Nachrichtenbeschaffung wie auch die Validität der weitergegebenen Berichte defizitär waren, was das Urteil über die Leistungsfähigkeit des Gehlen-Dienstes in der DDR bereits in ein anderes Licht zu rücken begann.95

Einer solchen Quellengrundlage entbehren die bis 1990 entstandenen Veröffentlichungen über den BND und dessen Spionageaktivitäten in der DDR vollkommen. Sie speisen sich aus einer für den Leser nicht entwirrbaren Mischung östlicher wie westlicher Presseveröffentlichungen und Indiskretionen aus dem Dienst. Die 1971 unter einem gewissen Einfluss des BND entstandene Darstellung der Spiegel-Redakteure Hermann Zolling und Heinz Höhne zeichnete sich zwar durch eine kritische Distanz aus, rückt aber die Ostaufklärung des frühen Bundesnachrichtendienstes in ein insgesamt positives Licht.96 Ähnliches gilt, weniger verwunderlich, für die Memoiren des ersten BND-Präsidenten Reinhard Gehlen, der seinem Dienst gerade im Osten bedeutende Erfolge zuschreibt.97 Beide Publikationen waren lange Zeit wichtige Referenzwerke und Grundlage für weitere, vor allem politikwissenschaftliche Untersuchungen über den BND, die auch östliche Veröffentlichungen über den Gehlen-Dienst einbezogen.98

Die DDR-Publikationen, insbesondere die Arbeiten des Publizisten Julius Mader, betonen trotz detailreich dokumentierter Fehlschläge stets die vom BND ausgehende Bedrohung und zeichnen auf diese Weise ebenfalls das Bild eines im Osten schlagkräftigen Geheimdienstes.99 Die östlichen Darstellungen erweisen sich dabei für die ersten beiden Jahrzehnte des Gehlen-Dienstes im Detail als zuverlässig. Das muss nicht weiter verwundern, weil die ostdeutsche und die sowjetische Spionageabwehr in dieser Phase gute Einblicke in das Innenleben und die operativen Methoden des Dienstes hatten.100

Diese frühen Veröffentlichungen sind damit stark von den Mustern des Kalten Krieges geprägt. Nach Öffnung einiger östlicher Geheimdienstarchive und der beginnenden Freigabe amerikanischer Unterlagen nach dem Nazi War Crimes Disclosure Act 1998 konzentrierten sich Forschung und Publizistik über den BND stark auf die politische Geschichte des Dienstes. Dabei ermöglichte die von der CIA herausgegebene vierbändige Edition amerikanischer Geheimdienstunterlagen erstmals auch eine genauere Beschreibung der Aufklärungsaktivitäten, die aber für das hier behandelte Themabislang nicht systematisch ausgewertet wurde.101 Die auf diese neuen amerikanischen Quellen gestützten Arbeiten von Mary Ellen Reese, Jens Wegener und Wolfgang Krieger widmeten sich vor allem den Beziehungen des frühen Bundesnachrichtendienstes zu seinen US-Partnern102 und den Karrieren ehemaliger Nationalsozialisten in Pullach.103 Daneben erschienen einige wenige für die hier interessierende Frühzeit relevante Erinnerungsberichte. Hier ist der Band des langjährigen Leiters des Pullacher CIA-Stabes James Critchfield zu nennen, der aber gleichfalls den Fokus auf die politische Geschichte des Dienstes legt und nur am Rande auf die Nachrichtenbeschaffung des von ihm beaufsichtigten Unternehmens eingeht.104 Entsprechend beschränken sich auch neuere Gesamtdarstellungen zum BND auf eine eher anekdotenhafte Erzählung der DDR-Spionage, die zumeist auf seit Jahrzehnten kolportierten Geschichten über einzelne Operationen und Personen beruht.105 Eine gewisse Ausnahme bilden die kenntnisreichen Arbeiten von Erich Schmidt-Eenboom, die auf Grundlage amerikanischer Akten sowie Insiderinformationen aus BND-Kreisen Teilaspekte der DDR-Spionage behandeln. Sie bieten für die vorliegende Arbeit unter anderem hinsichtlich der Befragung von Flüchtlingen und Überläufern Anknüpfungspunkte.106

Die 2011 aufgenommenen Arbeiten der UHK stellen die Forschungen zur Frühgeschichte des Bundesnachrichtendienstes auf eine völlig neue Grundlage. Der uneingeschränkte Zugang zum BND-Archiv erlaubt seitdem die Untersuchung verschiedener Themenkomplexe, an die in der vorliegenden Arbeit angeknüpft wird. Insbesondere die Studie von Thomas Wolf über die organisatorische Entwicklung des Gehlen-Dienstes gewährt einen tiefen Einblick in die innere Verfasstheit und die Arbeitsabläufe des Dienstes, die jetzt am Beispiel der DDR-Spionage vertieft werden.107 Gerhard Sälter liefert mit seiner Untersuchung zur Überwachung vermeintlicher östlicher Einflussagenten wesentliche Erkenntnisse über die Arbeitsweise des Gegenspionageapparates und die Konstruktion von Bedrohungsvorstellungen in Pullach und deren Rezeption in Bonn.108 In den Arbeiten von Klaus-Dietmar Henke und Jost Dülffer werden die Beziehungen zwischen der Pullacher Führung und dem Regierungsapparat beschrieben, welche die hier interessierende Wahrnehmung der DDR-Berichterstattung in Bonn ebenso in einen breiteren Kontext stellen, wie die Biografie Reinhard Gehlens von Rolf-Dieter Müller.109 Nicht zuletzt ist die Arbeit von Armin Müller für den vorliegenden Gegenstand von Belang. Sie behandelt die technische Aufklärung, die in der Spätphase der Amtszeit Reinhard Gehlens die Nachrichtenbeschaffung des BND grundlegend zu verändern begann.110

Aufbau

Die Untersuchung ist in vier chronologisch geordnete Abschnitte gegliedert, in denen jeweils Konzepte, Praxis und Wirkung der DDR-Spionage beschrieben werden. Maßgeblich für deren Entwicklung waren Aufträge und Erwartungshaltung der aufsichtführenden Institutionen. Deshalb werden die zeitlichen Zäsuren im Groben entlang der im Untersuchungszeitraum dreimal wechselnden Unterstellungsverhältnisse gesetzt. Spionage gegen die DDR meint zunächst nur einen geografischen Raum. Sie umfasste die Militär-, Wirtschafts- und politische Aufklärung ebenso wie die Beobachtung gegnerischer Dienste, im internen Sprachgebrauch meist als Gegenspionage bezeichnet. Diese einzelnen Felder wurden von Pullach in unterschiedlicher Intensität bearbeitet und kristallisierten sich erst im Laufe der Zeit als eigenständige Arbeitsgebiete heraus.

Der erste Abschnitt behandelt die Gründungsphase der Organisation Gehlen, die im Frühjahr 1946 unter Aufsicht des amerikanischen Militärgeheimdienstes entstand. In diese Zeit fällt mit der Blockade Berlins zwei Jahre später eine der ersten großen Krisen des Kalten Krieges. Welche Fähigkeiten der Gehlen-Dienst zu diesem Zeitpunkt bei der Beschaffung von Informationen aus der damaligen SBZ entwickelt hatte, wurde angesichts der politischen Veränderungen einer Bewährungsprobe unterzogen. Die zeitgleich von den amerikanischen Streitkräften vorangetriebene Loslösung und Übergabe des Gehlen-Dienstes an die CIA wirft die Frage auf, welcher Zusammenhang zwischen der Leistungsfähigkeit und dem Wechsel bestand. Den Schlusspunkt dieses Abschnittes bildet die Untersuchung der Übergangsphase bis zum Ausbruch des Korea-Krieges im Sommer 1950.

Der Koreakrieg veränderte die Bedrohungswahrnehmung der amerikanischen Regierung in Bezug auf die Sowjetunion. Die bis dahin im Auftrag der US-Army vorgenommene Militärspionage in der DDR war der veränderten politischen Großwetterlage ebenso anzupassen wie den Bedürfnissen des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes. Zu den potentiell gefährlichen militärischen Gegnern traten nun auch die ostdeutschen Polizeibereitschaften, aus denen 1952 die Kasernierte Volkspolizei (KVP) und schließlich die Nationale Volksarmee (NVA) hervorgingen. Die Beobachtung der Polizeibereitschaften nahm die Organisation Gehlen im Sommer 1950 auf. Zugleich forcierte die amerikanische Regierung unter dem Eindruck des Koreakrieges ihre aktiven Maßnahmen gegen den sowjetischen Machtbereich, weshalb nun auch Fluchtverleitung und wirtschaftliche Störmaßnahmen in der DDR auf die Agenda der Organisation Gehlen traten und der Wirtschaftsaufklärung eine neue Bedeutung verliehen. Mit ähnlichen Zielen intensivierten westliche, vor allem amerikanische Dienste zeitgleich die Unterstützung anderer geheimdienstlich tätiger antikommunistischer Organisationen. Die Organisation Gehlen war Teil eines amerikanisch dominierten Geheimdienstdschungels in Westdeutschland geworden, in welchem sie sich mit ihrer DDR-Spionage behaupten musste. Wie in der Army-Phase die ausbrechende Berlinkrise 1948 ein Testfall für die Leistungsfähigkeit war, musste sich nunmehr unter Ägide der CIA während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 erweisen, wie gut die Aufklärungsmöglichkeiten des Dienstes waren. Die anschließende Phase bis zur BND-Gründung am 1. April 1956 war von einer intensivierten Spionageabwehr des Ministeriums für Staatssicherheit geprägt, deren Folgen für die Informationsbeschaffung des Gehlen-Dienstes in Ostdeutschland beschrieben werden.

Unter diesen Vorzeichen begann die im dritten Abschnitt behandelte DDR-Spionage des Bundesnachrichtendienstes. Mit der neuen Rolle als integrierter zivil-militärischer westdeutscher Auslandsgeheimdienst waren neue Herausforderungen verbunden. Erstens mussten die Aufklärungsaktivitäten in der DDR an die Bedürfnisse der Bundesregierung angepasst werden. Die Militäraufklärung gegen die sowjetischen Truppen und die inzwischen gegründete NVA wie auch die Wirtschaftsaufklärung waren dabei mit den aus Bonn vorgelegten Informationswünschen ebenso in Einklang zu bringen wie mit den inzwischen zu Partnern gewordenen amerikanischen Diensten. Zweitens eröffnete die gewonnene Unabhängigkeit die Erschließung neuer Wege der Informationsbeschaffung, wozu die systematische Befragung von Flüchtlingen und Überläufern zählte. Drittens stand der BND vor der Herausforderung, seine DDR-Berichterstattung im politischen Entscheidungsprozess gegenüber dem konkurrierenden Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Gesamtdeutschen Ministerium sowie den in der DDR tätigen antikommunistischen Organisationen zu behaupten. In diesen von Abgrenzung und Kooperation geprägten Aushandlungsprozessen ging es für den BND auch darum, auf jenen Gebieten Anschluss zu finden, die bislang eine nachgeordnete Rolle gespielt hatten. Dazu gehörte zum einen auf dem Gebiet der Gegenspionage die Beobachtung des Ministeriums für Staatssicherheit. Zentral wurde jetzt auch der Aufbau einer politischen Ostaufklärung, die eine umfassende Lagebeurteilung ermöglichen und der Regierung eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage liefern sollte. Es wird deshalb in diesem neuralgischen Bereich genau gezeigt, welchen Konzepten der Bundesnachrichtendienst folgte, welche Quellen er heranzog und welche Wirkungen diese Bemühungen zeitigten. Zugleich war die politische Beschaffungsabteilung der wichtigste Ort, an dem der BND in der Frühzeit Presse- und Propagandaarbeit betrieb. Diese Aktivitäten dienten auch der Imagepflege. Sie waren für die Wahrnehmung des Dienstes und seiner DDR-Aufklärung von Bedeutung, weil der BND jenseits seiner Berichte durch öffentliche Inszenierung eigener Spionageaktivitäten seine Reputation beeinflussen konnte.

Der vierte Abschnitt behandelt die DDR-Spionage im Vorfeld des Mauerbaus im August 1961. Hier verdichteten sich brennglasartig die Grenzen und Möglichkeiten des BND zum Ende des Untersuchungszeitraums. Es galt nicht nur, die der Entscheidung zur Grenzschließung zugrunde liegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ursachen zu erkennen. Auch die Erfassung und Einordnung der politischen Handlungsoptionen in Ostberlin und Moskau waren aus Bonner Sicht vom BND ebenso zu erwarten wie die Feststellung der logistischen und militärischen Vorbereitungen des Mauerbaus. Dessen Folgen für die Fähigkeiten des BND zur Nachrichtenbeschaffung in der DDR werden in einem abschließenden Kapitel bis zum Ende der Amtszeit Reinhard Gehlens dargelegt.

Quellen

Für die Untersuchung konnten sämtliche im BND-Archiv vorhandenen Unterlagen herangezogen werden. Schwierigkeiten ergaben sich aus der unzureichenden Erschließung der Akten, die in Teilen aus der späten Gründung des hauseigenen Archivs in den 1980er Jahren resultiert. Zum Ende der Ära Gehlen hatte im Bundesnachrichtendienst niemand einen Überblick über die Strukturen des Dienstes und ihre Entwicklung in den zurückliegenden Jahrzehnten. Die in den 1970er Jahren intern erarbeiteten Bestandsaufnahmen und Materialsammlungen zeugen von den Mühen des BND, sich nachträglich ein Bild über die eigenen Anfänge zu verschaffen. Ein Problem war bereits damals die uneinheitliche und gerade für die 1940er Jahre lückenhafte Überlieferung. Sie ist ab den 1950er Jahren dank der begonnenen Sicherungsverfilmungen sehr dicht. Das Gesagte gilt für das Schriftgut der Pullacher Zentralstellen einschließlich der dort verwahrten Personalunterlagen der hauptamtlichen Mitarbeiter und V-Leute. Die hier interessierende Nachrichtenbeschaffung erfolgte vor 1968 allerdings in zunächst weitgehend autonom arbeitenden Außenorganisationen, die erst im Verlaufe der 1950er Jahre enger an die Zentrale gebunden werden konnten und sich zu Dienststellen im engeren Sinne entwickelten. Ihr Schriftgut hat, ähnlich wie das einiger Sonderbereiche der politischen Aufklärung, im BND-Archiv vergleichsweise wenige Spuren hinterlassen.

Die Auswahl, Rekrutierung und Führung von V-Leuten ließ sich deshalb vor allem aus den in der Zentrale verwahrten Personalakten herausarbeiten. Hinzu kommen Zwischenfallberichte der für die operative Anleitung und Sicherheit zuständigen Zentralstellen, in denen Diskussionen über Normen und Praxis aufscheinen und die damit Rückschlüsse auf die Entwicklung von Konzepten der Nachrichtenbeschaffung zulassen. In die Führung der Operationen waren nach Sachgebieten aufgebaute so genannte Sichtungsstellen eingeschaltet. Ihre Aufgabe war es, den Wert der von den einzelnen V-Leuten und Operationen erbrachten Informationen zu beurteilen. Aus diesen Unterlagen lassen sich erste Rückschlüsse auf die Bedeutung der von einzelnen Quellen gelieferten Informationen ziehen. Hier, wie auch in den Unterlagen der für die operationelle Führung zuständigen zentralen Anleitungsstellen der DDR-Spionage und des ihr vorgesetzten Beschaffungsstabes, finden sich weiter gehende Hinweise auf die interne Wahrnehmung der Fähigkeiten, die Nachrichtenbeschaffung entsprechend den Vorgaben auszurichten.

Die Weiterverarbeitung der Meldungen und ihre Aufbereitung in Berichten war Aufgabe der Auswertung, die intern zugleich für die Ausrichtung und Schwerpunktsetzung der Nachrichtenbeschaffung zuständig war. Die aus dem Beschaffungsapparat eingehenden Meldungen wurden in sachthematischen Materialsammlungen abgelegt. Diese wurden für die vorliegende Untersuchung für einzelne Wirtschaftszweige, die Kasernierte Volkspolizei bzw. NVA, das Ministerium für Staatssicherheit und auf politischem Gebiet ausgewertet, soweit sie die DDR bzw. die sowjetische Deutschlandpolitik betrafen. In ihnen bildet sich der aus dem geheimen Meldedienst beschaffte Informationsstand ebenso ab wie die aus anderen Quellen wie Presse, Rundfunk und Literatur stammenden oder von Partnerdiensten erhaltenen Informationen. Damit lässt sich an dieser Stelle der Kenntnisstand des Dienstes über einzelne Sachverhalte am zuverlässigsten beschreiben und unter Einbeziehung der Rechenschaftsberichte der Auswerte- und Beschaffungsabteilungen der Stellenwert der geheimen Nachrichtenbeschaffung ermessen.

Gleichzeitig erlaubt dieses Rohmaterial, das noch V-Nummern oder Dienststellenbezeichnungen enthält, Rückschlüsse auf den Ursprung der verarbeiteten Informationen, was wiederum eine genauere Beschreibung der Arbeitsweise der Beschaffung erlaubt. Zudem ermöglicht die Kenntnis konkreter Personen einen Abgleich mit den Unterlagen im Archiv des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit. Eine solche Überprüfung wurde bei jenen Operationen vorgenommen, denen die Beschaffungs- und Auswerteabteilungen eine herausragende Bedeutung beimaßen, weil die gelieferten Informationen nach interner Einschätzung wichtig und mitunter auch meinungsbildend waren. Damit ließ sich feststellen, welche Kenntnis die Gegenseite von diesen Vorgängen besaß und ob sie gar in der Lage war, Einfluss auf das in Pullach verarbeitete Wissen zu nehmen.

Was der Bundesnachrichtendienst an Informationen in den politischen Raum gab, lässt sich den weitergegebenen Einzelmeldungen und Studien entnehmen. Diese standen zunächst nur der Geheimdienstabteilung der amerikanischen Besatzungstruppen in Europa und der CIA zur Verfügung. Erst 1951 wurde mit Genehmigung des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes die Belieferung der Bundesregierung aufgenommen. Zu diesem Zweck entstand mit der als »Übersicht«, später »Wochenbericht« bezeichneten Lageeinschätzung erstmals ein übergreifendes und wiederkehrendes Berichtsformat, das auf deutsche Empfänger zugeschnitten war. Während sich in dieser als umfassende Lagebeurteilung konzipierten und bis 1968 fortgeführten Berichtsserie der dem Kanzleramt und später auch anderen Regierungsressorts übermittelte Kenntnisstand spiegelt, sind die parallel abgesetzten Einzelmeldungen und Studien im Untersuchungszeitraum auf den Gebieten der Wirtschafts-, politischen und Gegenspionage weitgehend vollständig überliefert. Was der frühe Bundesnachrichtendienst hingegen auf dem militärischen Sektor meldete, war im BND-Archiv für die 1940er und frühen 1950er Jahre nicht mehr greifbar.

Die Rezeption der BND-Berichte durch die Empfänger ist sowohl in methodischer Hinsicht wie auch mit Blick auf die Quellen eine Herausforderung. Was sich aus den Akten des BND herauslesen lässt, ist punktuelle Kritik, die auf Defizite hinweist, wie auch Lob, das auf besondere Wertschätzung hindeutet. Solche Vorgänge spiegeln sich in den umfangreichen Aufzeichnungen über Unterredungen der Pullacher Führung mit dem Stab der US-Army, der CIA und späterhin dem Kanzleramt. Entscheidender sind allerdings Überlieferungen der Empfänger, welche über die Verarbeitung der Geheimberichte Aufschluss geben könnten. Mit Blick auf die bis 1956 aufsichtführenden amerikanischen Dienste steht die Forschung vor einem Quellenproblem. Zwar gaben die CIA und mit Verzögerung auch die US-Militärgeheimdienste seit den 1990er Jahren umfangreiche Akten frei, die im Internet zur Verfügung stehen.111 Sie sind eine ergiebige Quelle für die politische, personelle und organisatorische Frühgeschichte des Bundesnachrichtendienstes. Allerdings enthalten die nicht selten aus Beobachtungsoperationen stammenden Berichte nur selten Einschätzungen über operative Aktivitäten. Noch weniger Anhaltspunkte finden sich über Diskussionen über den Nutzen der aus Pullach gelieferten Informationen für die amerikanische Geheimdienstgemeinde oder gar deren Wirkung im amerikanischen Regierungsapparat. Die entscheidenden internen Debatten sowohl der US-Army als auch der CIA liegen, abgesehen von der bereits erwähnten Dokumentenedition der CIA, weiterhin im Dunkeln.112 Eine Ausnahme sind die freigegebenen amerikanischen Statusberichte über die politische und Gegenspionage der Organisation Gehlen, die darauf hindeuten, dass eine ähnliche systematische Evaluation der Pullacher Aufklärungsergebnisse und Operationen auch auf anderen Gebieten vorgenommen worden sein dürfte.113 Mit Blick auf das Bundeskanzleramt erwies sich die Überlieferung in dessen Geheimregistratur als hilfreich, um die Verarbeitung von BND-Informationen im Regierungsapparat näher beschreiben zu können. Ergiebig waren einzelne Sachablagen, die neben den BND-Unterrichtungen auch anderes geheimdienstliches Material sowie Unterrichtungen aus dem übrigen Regierungsapparat enthielten. Sie lassen eine Beschreibung des Wissenshorizontes der Empfänger zu und stellen die Geheimberichte in einen weiteren Kontext, der Hinweise auf ihre Relevanz liefert.

Die Konkurrenzsituation, in welcher sich der BND sowohl gegenüber seinen amerikanischen Auftraggebern als auch gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Gesamtdeutschen Ministerium und antikommunistischen Organisationen wie dem Ostbüro der SPD befand, machte weiter gehende Recherchen im Bundesarchiv, den Parteiarchiven sowie der Überlieferung der amerikanischen Militärregierung im Institut für Zeitgeschichte und den National Archives in London notwendig. Hinweise auf einzelne weitere Operationen und Personen ergaben sich in den Sammlungen der Gedenkstätten im ehemaligen sowjetischen Untersuchungsgefängnis Potsdam Leistikowstraße sowie der Sonderhaftanstalt des MfS Bautzen II.

Gerade über die DDR-Spionage finden sich in Forschung, Publizistik und Presse zahlreiche Hinweise auf einzelne Personen und Operationen. Sie wurden, soweit sie sich für die vorliegende Untersuchung als relevant erwiesen, im Spiegel der nun zur Verfügung stehenden BND-Akten beschrieben. Der BND hat in der Regel einer Offenlegung der beteiligten Personen zugestimmt. Nur in einem Fall untersagte er die Nennung eines ehemaligen V-Mannes, dessen bürgerliche Identität deshalb geschwärzt wurde. In anderen Fällen standen die Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes oder des Stasiunterlagengesetzes einer Offenlegung entgegen. Deshalb wurden an einigen Stellen Nachnamen anonymisiert oder auf ein mit * gekennzeichnetes Pseudonym zurückgegriffen.

Angesichts solcher Schwierigkeiten war es ein Glückfall, nach so langer Zeit noch die Zustimmung einiger in den BND-Akten aufscheinender Personen einholen zu können. Mein besonderer Dank gilt Werner Bork und Karl Wilhelm Fricke, deren Einverständnis die Beschreibung von Vorgängen ermöglicht hat, die ansonsten nur schwer darzustellen gewesen wären.

Weitere Einschränkungen ergaben sich aus dem Einspruch von Partnerdiensten des BND, denen die betreffenden Passagen vorgelegt werden mussten. Einige beharrten darauf, nicht in Erscheinung zu treten. Deshalb wurden an manchen Stellen Umschreibungen notwendig, an anderen durften einzelne Sachverhalte nicht erwähnt werden. Diese Auslassungen werden durch einen entsprechenden Hinweis in den Fußnoten kenntlich gemacht.

Trotz dieser Schwierigkeiten mussten keine Kompromisse eingegangen werden, die dem Erkenntnisinteresse der Untersuchung grundlegend entgegenstehen. Gleichwohl zeigte sich in den Freigabegesprächen, dass der BND bei der Offenlegung seiner Aktivitäten in der DDR im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen der UHK deutlich restriktiver geworden ist. Das stimmt für die künftige Forschung mit den BND-Akten pessimistisch. Auch deshalb, weil die jüngste Novellierung des Bundesarchivgesetzes den Geheimdiensten Vorbehaltsrechte einräumt, die einer weiteren Erforschung der deutschen Teilungsgeschichte und des Einflusses der Geheimdienste darauf nicht förderlich sein dürften.

Eine Besonderheit beim Umgang mit den Akten des BND ist die Verschlüsselung des Schriftverkehrs. Absender und Empfänger sowohl innerhalb des Dienstes als auch außerhalb sind mit Chiffren und Tarnbezeichnungen versehen, die sich mehrfach änderten und eine Zuordnung zu Personen und Diensteinheiten erschweren. Um dem Leser dieses unerfreuliche Verwirrspiel zu ersparen, werden im Text die bürgerlichen Identitäten der dahinter stehenden Protagonisten verwendet. In den Zitationen werden die in den Originalschriftstücken verwendeten Bezeichnungen übernommen. Eine Entschlüsselung der im Fußnotenapparat auftauchenden Tarnbezeichnungen ermöglicht ein Register am Ende des Bandes. Bei der Verwendung von Zitaten wurde diese vorsichtig der neuen Rechtschreibung angepasst. Die im BND übliche Großschreibung von Namen entfällt.

1Paul Maddrell: Spying on Science. Western Intelligence in Divided Germany 1945–1961, Oxford 2006, S. 289.

2Siehe zuletzt Thomas Wolf: Die Anfänge des BND. Gehlens Organisation: Prozess, Legende und Hypothek, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64 (2016) 2, S. 191–225; Thomas Wolf: Die Entstehung des BND. Aufbau, Finanzierung, Kontrolle, Berlin 2018.

3Wolfgang Krieger und Jürgen Weber: Nutzen und Probleme der zeitgeschichtlichen Forschung über Nachrichtendienste, in: Wolfgang Krieger und Jürgen Weber (Hg.): Spionage für den Frieden? Nachrichtendienste in Deutschland während des Kalten Krieges, München 1997, S. 14; Reinhard Gehlen: Der Dienst. Erinnerungen 1942–1971, Mainz 1971.

4Zu den sowjetischen Besatzungstruppen in der Frühzeit vgl. den Überblick bei Matthias Uhl: Krieg um Berlin? Die sowjetische Militär- und Sicherheitspolitik in der zweiten Berlin-Krise 1958 bis 1962, München 2008, S. 9–69.

5Armin Wagner und Matthias Uhl: BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR, Berlin 2007.

6Paul Maddrell: The Western Secret Services, the East German Ministry of State Security and the Building of the Berlin Wall, Intelligence and National Security 21 (2006) 5, S. 829–847, hier S. 831.

7Paul Maddrell: British-American Scientific Intelligence Collaboration during the Occupation of Germany, in: American-British-Canadian Intelligence Relations. 1939–2000, hg. von David Stafford and Rhodri Jeffreys-Jones, London 2000, S. 74–94; Rainer Karlsch und Rudolf Boch (Hg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex, Berlin 2011.

8David Stafford: Berlin underground. Wie der KGB und die westlichen Geheimdienste Weltpolitik machten, Hamburg 2003.

9Beispielsweise der amerikanische Agentenring um zwei technische Angestellte im ZK-Gebäude in Ostberlin. Reinhard Bohrmann und Jochen Staadt: Deckname Markus. Spionage im ZK. Zwei Top-Agentinnen im Herzen der Macht, Berlin 1998; Jochen Staadt: Spione im ZK. Der Fall Arno Heine. Die westlichen Dienste waren gut informiert und hüten bis heute ihre Geheimnisse, Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 14/2003, S. 22–38.

10Peter Grose: Operation Rollback. America’s secret war behind the Iron Curtain, New York 2000; Bernd Stöver: Rollback: Eine offensive Strategie für den Kalten Krieg, in: Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990. Ein Handbuch, Bd. 1, hg. von Detlef Junker et al., Stuttgart 2001, S. 160–168; Bernd Stöver: Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische »Liberation Policy« im Kalten Krieg 1947–1991, Köln 2002.

11Alan Dobson: U. S. Economic Statecraft for Survival, 1933–1991. Of Sanctions, Embargoes and Economic Warfare, London 2002.

12Odd Arne Westad: The Cold War. A World History, London 2017.

13Thomas Lindenberger: Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen, Köln 2006.

14Martin Klimke et al. (Hg.): Trust, but verify. The Politics of Uncertainty and the Transformation of the Cold War Order 1969–1991, Stanford 2016; Annette Vowinckel, Marcus M. Payk und Thomas Lindenberger (Hg.): Cold War Cultures. Perspectives on Eastern and Western Societies, New York 2012.

15Bernd Greiner, Christian T. Müller und Dierk Walter (Hg.): Heiße Kriege im Kalten Krieg, Hamburg 2006; Bernd Greiner, Christian T. Müller und Dierk Walter (Hg.): Krisen im Kalten Krieg, Hamburg 2008.

16Bernd Stöver: Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München 2007, S. 21.

17David Eugster und Sibylle Marti (Hg.): Das Imaginäre des Kalten Krieges. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Ost-West-Konfliktes in Europa, Essen 2015, S. 6. Dazu auch Matthew Grant und Benjamin Ziemann (Hg.): Understanding the imaginary war. Culture, thought and nuclear conflict. 1945–90, Manchester 2016.

18Wilfried Loth: Die Rettung der Welt. Entspannungspolitik im Kalten Krieg 1950–1991, Frankfurt/Main 2016.

19Am Beispiel des frühen BND Gerhard Sälter: Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes »Rote Kapelle«, Berlin 2016. Neben den Geheimdiensten war an diesen Vorgängen beispielsweise Wissenschaft beteiligt. Bernd Greiner (Hg.): Macht und Geist im Kalten Krieg, Hamburg 2011.

20Loth, Rettung, S. 19.

21Lisa Medrow, Daniel Münzer und Robert Radu (Hg.): Kampf um Wissen. Spionage, Geheimhaltung und Öffentlichkeit 1807–1940, Paderborn 2015; Wolfgang Krieger: Geschichte der Geheimdienste. Von den Pharaonen bis zur NSA, München 2009.

22Gerhard Sälter: Policey und soziale Ordnung in Paris. Zur Entstehung und Durchsetzung von Normen im städtischen Alltag des Ancien Regime (1697–1715), Frankfurt/Main 2004; Frederic S. Zuckerman: The Secret Police in Russian Society, 1880–1917, London 1996; Iain Lauchlan: Russian Hide-and-Seek. The Tsarist Secret Police in Saint Petersburg, 1906–1914, Helsinki 2002.

23Louise I. Shelley: Policing Soviet Society. The Evolution of State Control, London 1996; Paul Hagenloh: Stalin’s Police. Public Order and Mass Repression in the USSR, 1926–1941, Baltimore 2009; Muriel Blaive und Thomas Lindenberger: Border Guarding as Social Practice. A Case Study of Czech Communist Governance and Hidden Transcripts, in: Walls, borders, boundaries. Spatial and cultural practices in Europe, hg. von Marc Silberman et al., New York 2012, S. 97–112.

24George C. Browder: The Foundations of the Nazi Police State. The Formation of Sipo und SD, Lexington (Kentucky) 1990; George C. Browder: Hitler’s Enforcers. The Gestapo and the SS Security Service in the Nazi Revolution, Oxford 1996; Jens Banach: Heydrichs Elite. Das Führerkorps der Sicherheitspolizei und des SD 1936–1945, Paderborn 32002; Michael Wildt (Hg.): Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, Hamburg 2003; Stefanie Steinbach: Erkennen, erfassen, bekämpfen. Gegnerforschung im Sicherheitsdienst der SS, Berlin 2018.

25Michael Warner: The Rise of the US Intelligence System 1917–1977, in: The Oxford Handbook of National Security Intelligence, hg. von Loch K. Johnson, Oxford 2010, S. 107–121.

26Christopher Andrews und David Dilks: The missing dimension. Government and Intelligence Communities in the Twentieth Century, London 1984 (Neuaufl. 2016).

27Odd Arne Westad und Jussi M. Hanhimöki: The Cold War. A History in Documents, Oxford 2003, S. 447.

28Richard J. Aldrich: »Grow Your Own.« Cold War Intelligence and History Supermarkets, Intelligence and National Security 17 (2001), S. 135–152; Warner, Rise; und Rhodri Jeffreys-Jones: The Rise and Fall of the CIA, in: Johnson (Hg.), Oxford Handbook, S. 122–137; zum Ausbau des britischen Geheimdienstes Keith Jeffery: MI6. The History of the Secret Intelligence Service 1909–1949, London 2010. Zum MfS vgl. u.a. Jens Gieseke: Die Stasi. 1945–1990, München 2011, S. 23–26.

29Christopher Andrews: Intelligence in the Cold War, in: The Cambridge History of the Cold War, hg. von Melvin Leffler und Odd Arne Westad, Band 2, Cambridge 2010, S. 417–437.

30Michael Hermann: What difference did it make?, in: Intelligence in the Cold War. What Difference did it make?, hg. von Michael Hermann und Gwilym Hughes, London 2013, S. 132–147; sowie John Prados: Certainties, Doubts, and Imponderables. Levels of Analysis in the Military Balance, in: ebd., S. 24–26; vgl. auch die Beiträge in Wolfgang Krieger/Weber (Hg.), Spionage für den Frieden?.

31Vgl. u. a. Woodrow Kuhns: The Office of Reports and Estimates. CIA’s First Center for Analysis, Studies in Intelligence 51 (2007) 2, S. 27–46; Andrews, Intelligence; Hermann, Difference; Raymond Garthoff: Foreign Intelligence and the Historiography of the Cold War, Journal of Cold War Studies 6 (2004) 2, S. 21–56.

32Michael Hermann: Intelligence in the Cold War: Did it matter?, in: Geheimdienste, Diplomatie, Krieg. Das Räderwerk der Internationalen Beziehungen, hg. von Carlos Collado Seidel, Berlin 2013, S. 55–70; Michael F. Hopkins: The United States and Eastern Europe, 1943–1948, in: Imposing, Maintaining, and Tearing Open the Iron Curtain. The Cold War and East-Central Europe, 1945–1989, hg. von Mark Kramer und Smetana Vit, Lanham (Maryland) 2014, S. 39–54. Zur CIA auch Milo Jones und Philippe Silberzahn: Constructing Cassandra. Reframing Intelligence Failure at the CIA, 1947–2001, Stanford 2013.

33Rhodri Jeffreys-Jones: Why Was the CIA Established in 1947?, Intelligence and National Security 12 (1997) 1, S. 21–40; Amy B. Zegart: Flawed by Design. The Evolution of the CIA, JCS, and NSC, Stanford 1999; Stephen Long: The CIA and the Soviet Bloc. Political Warfare, the Origins of the CIA, and Countering Communism in Europe, London 2014.

34Kenneth Osgood: Total Cold War. Eisenhower’s Secret Propaganda Battle at Home and Abroad, Lawrence 2006.

35Sarah-Jane Corke: US Covert Operations and Cold War Strategy. Truman, Secret Warfare and the CIA, 1945–1953, New York 2008.

36Gregory W. Pedlow und Donald E. Wezenbach: The Central Intelligence Agency and overhead Reconnaissance. The U2 and Oxcart Programs 1954–1974, New York 2016.

37Bernd Greiner: Antikommunismus, Angst und Kalter Krieg. Eine erneute Annäherung, in: »Geistige Gefahr« und »Immunisierung der Gesellschaft«. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, hg. von Stefan Creuzberger und Dierk Hoffmann, München 2014, S. 29–41; John Earl Haynes und Harvey Klehr: Early Cold War Spies. The Espionage Trials that shaped American Politics, New York 2006.

38Vgl. u. a. Hermann Weber und Ulrich Mählert (Hg.): Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936–1953, Paderborn 2001.

39