Die digitale Transformation der Erwachsenen- und Weiterbildung - Erich Schäfer - E-Book

Die digitale Transformation der Erwachsenen- und Weiterbildung E-Book

Erich Schäfer

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Beschreibung

Digitale Medien halten verstärkt Einzug in traditionelles Lehren und Lernen und zugleich werden digitale Formate sozialer und kommunikativer. Beide Entwicklungen vollziehen sich parallel. Die Erfahrungen zeigen auch, dass trotz Digitalisierung die Präsenzformate unverzichtbar bleiben. Die Digitalisierung bezieht sich nicht nur auf das Lehren und Lernen. Bei den strategischen Überlegungen zur Digitalisierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung ist der gesamte Bildungsprozess mit all seinen Ebenen vom gesellschaftlichen und institutionellen Kontext über die Programme und Angebote bis hin zum Personal und den Teilnehmenden einzubeziehen. Deshalb orientiert sich die hier vorgelegte Studie an einem Mehrebenenmodell der Digitalisierung. Am Beispiel von zwei freien Trägern der Erwachsenenbildung wird exemplarisch die zentrale Bedeutung der Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie im Sinne einer organisationssensiblen Digitalisierungsforschung vorgestellt. Ob sich die mit der Digitalisierung verbundenen Erwartungen hinsichtlich des Abbaus von Bildungsprivilegien, der Angleichung von Lernchancen, der Beförderung demokratischer Prozesse, der Überwindung digitaler Disparitäten und der Realisation von mehr Teilhabe an Bildung verwirklichen lassen, können die Stakeholder der Erwachsenen- und Weiterbildung gestalten.

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Siegburg, Juni 2021

ISÖ - Institut für Sozialökologie gemeinnützige GmbH

Ringstraße 8, 53721 Siegburg

Tel.: +49 (0) 2241 1457073, Fax: +49 (0) 2241 1457039, E-Mail: [email protected], Web: www.isoe.org

Coverabbildung: Erich Schäfer „Hüter des Lichts” im stillen Garten in Plinz

Digitale Medien halten verstärkt Einzug in traditionelles Lehren und Lernen und zugleich werden digitale Formate sozialer und kommunikativer. Beide Entwicklungen vollziehen sich parallel. Die Erfahrungen zeigen auch, dass trotz Digitalisierung die Präsenzformate unverzichtbar bleiben.

Die Digitalisierung bezieht sich nicht nur auf das Lehren und Lernen. Bei den strategischen Überlegungen zur Digitalisierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung ist der gesamte Bildungsprozess mit all seinen Ebenen vom gesellschaftlichen und institutionellen Kontext über die Programme und Angebote bis hin zum Personal und den Teilnehmenden einzubeziehen. Deshalb orientiert sich die hier vorgelegte Studie an einem Mehrebenenmodell der Digitalisierung. Am Beispiel von zwei freien Trägern der Erwachsenenbildung wird exemplarisch die zentrale Bedeutung der Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie im Sinne einer organisationssensiblen Digitalisierungsforschung vorgestellt.

Ob sich die mit der Digitalisierung verbundenen Erwartungen hinsichtlich des Abbaus von Bildungsprivilegien, der Angleichung von Lernchancen, der Beförderung demokratischer Prozesse, der Überwindung digitaler Disparitäten und der Realisation von mehr Teilhabe an Bildung verwirklichen lassen, können die Stakeholder der Erwachsenen- und Weiterbildung gestalten.

Diese Studie ist das Ergebnis der wissenschaftlichen Begleitung des Prozesses der Strategie- und Konzepterarbeitung für die Digitalisierung in der Erwachsenenbildung, den die Ländliche Erwachsenenbildung Thüringen e.V. (LEB) und die AG Regionale Bildung im Jahre 2020 durchgeführt haben. Die Forschungsergebnisse wurden zum aktuellen Stand der Digitalisierung in der Erwachsenenbildung im Frühjahr 2021 überarbeitet und ergänzt.

Die Ländliche Erwachsenenbildung Thüringen e.V. (LEB), die AG Regionale Bildung und das Institut für Weiterbildung, Beratung und Planung im Sozialen Bereich e.V. (iwis) stellen die Forschungsergebnisse der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung, da ihnen daran gelegen ist, ihre Erfahrungen zu teilen und den Dialog zur Transformation der Erwachsenen- und Weiterbildung zu fördern.

Der Dank gilt allen, die sich aktiv an dem Projekt beteiligt haben, und dem Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, das das Projekt finanziert hat.

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Geleitwort

Einleitung

Die digitale Transformation - Befunde der Forschung

1.1 Lehren und Lernen mit Medien im quartären Bildungssektor

1.2 Erwartungen und Hoffnungen in historischer Perspektive

1.3 Kontinuierliche Selbsterneuerung als Herausforderung einer Kultur der Digitalität

1.4 Das Mehrebenenmodell der Digitalisierung

1.4.1 Neues Lernen in der VUKA-Welt - der gesellschaftliche Kontext

1.4.2 Vom Emergency-Remote-Modus zur Digitalisierungsstrategie - der institutionelle und organisationale Kontext

1.4.3 Zwischen Analogem und Digitalem - Programmplanung und Angebotsgestaltung

1.4.4 Haltungen und Rollenanforderungen - Weiterbildungspersonal

1.4.5 Erwartungen, Kompetenzen und Partizipationschancen - TeilhaberInnen

1.5 Fazit

Die Digitalisierungsstrategie der LEB

Empfehlungen

Literatur

AutorInnen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Globale Meilensteine von Erwachsenenbildung und Lebenslangem Lernen

Abbildung 2: Lernen und Lehren mit Technologien

Abbildung 3: Medienepochen der Menschheitsgeschichte

Abbildung 4: Handlungslinien der Medienintegration

Abbildung 5: Die vier Typen der Veränderung

Abbildung 6: Stacey-Matrix

Abbildung 7: Der 3D-Ansatz des neuen Lernens

Abbildung 8: Lernformate

Abbildung 9: Kompetenzradar für agile Lernbegleitung

Abbildung 10: Facebook-Konzern: Netzwerkanalyse

Abbildung 11: Einsatz digitaler Technik auf Organisationsebene

Abbildung 12: Technische Ausstattung im Lehr-/Lerngeschehen

Abbildung 13: Dauerhafter Internetzugang in Veranstaltungsräumen

Abbildung 14: Dimensionen des Reifegradmodells für Bildungsorganisationen

Abbildung 15: Übersicht zum Nutzen von Learning Analytics

Abbildung 16: Wissensinseln

Abbildung 17: Barbecue-Typologie des Lehrens und Lernens mit Technologien

Abbildung 18: Einsatzformen digitaler Medien bzw. Formate im Lehr-/Lerngeschehen

Abbildung 19: Dreidimensionaler Raum der Angebotsgestaltung von digital unterstützten Lehr-Lern-Prozessen

Abbildung 20: Variationen der Aufgabenzuordnung von Online- und Präsenzphasen…

Abbildung 21: Szenarien mobilen E-Learnings

Abbildung 22: Bloom trifft SAMR

Abbildung 23: Das Vier-Raum-Modell der öffentlichen Bibliothek nach Jochumsen et al. (2014)

Abbildung 24: Systematik von hybriden Lehr/Lernszenarien

Abbildung 25: Modell medienpädagogischer Handlungskompetenz in der Erwachsenenbildung

Abbildung 26: Digitale Kompetenzen Lehrender

Abbildung 27: Maßnahmen der Einrichtungen zur Verbesserung der digitalen Kompetenzen Lehrender

Abbildung 28: Europäischer Kompetenzrahmen für Lehrende

Abbildung 29: Typisierung von Lehrkräften hinsichtlich ihrer digitalen Kompetenz

Abbildung 30: Inhalte des Learn2Analyze MOOC

Abbildung 31: Veränderung des Medienverhaltens

Abbildung 32: The Digital Competence Wheel

Abbildung 33: Das 4K-Modell des Lernens im 21. Jahrhundert

Abbildung 34: Der U-Prozess: Fünf Schritte zur Veränderung

Abbildung 35: Fünf Ebenen der Veränderung

Abbildung 36: Modell der Veränderungsbalance

Abbildung 37: Organisationsaufbau mit dem Labor für Digitales der LEB

Abbildung 38: Struktur des Labors

Abbildung 39: Die Herausforderungen der digitalen Transformation der Erwachsenen- und Weiterbildung

Vorwort

Die vorliegende Studie von Erich Schäfer und Antje Ebersbach führt zwei Forschungsstränge des ISÖ zusammen, für die einerseits die Studie „Medienbildung in Schleswig-Holstein außerhalb des formalen Lernens” von Erich Schäfer (ISÖ-Text 2018-3)1, andererseits die Veröffentlichungen der Projekte „Zukunftsszenario Altenhilfe Schleswig-Holstein 2030/2045” (z.B. ISÖ-Text 2018-1)2 und „Zukunftslabor Schleswig-Holstein” (z.B. ISÖ-Text 2019-1)3 stehen: die Erforschung der Relevanz neuer Medien in Bildungsprozessen und die Relevanz der Digitalisierung für eine nachhaltige Gesellschaft. Auf den ersten Blick erscheint die Sachlage klar. Digitalisierung ist der Backbone, die materielle und zugleich informationelle Basis der Wissensgesellschaft. An ihr kommt niemand vorbei. Also müssen möglichst viele analoge Prozesse digitalisiert werden.

Doch die Wirklichkeit und damit der Gegenstand der Wissenschaft ist komplexer. Digitalisierung verändert die Wahrnehmung. In unserer Studie „Neue elektronische Medien und Suchtverhalten"4 haben wir entwicklungs- und sozialpsychologische, soziologische und epidemiologische Befunde zu den Schattenseiten digitaler Kommunikation analysiert. Im laufenden Forschungsprojekt „Multi-Generation Smart Community (mGeSCo) - Co-Working und soziale Teilhabe durch multigenerationale Vernetzung im Smarten Quartier"5 untersuchen wir, wie sich Digitalisierung auf Gemeinschaftsbildung und generationenübergreifende Solidarität auswirkt. In allen genannten Studien interessiert aber nicht nur der Blick auf Wirkungen der Digitalisierung, sondern stets auch darauf, wie durch soziale Entscheidungen die Digitalisierung selbst geprägt wird und werden sollte. Diese Dialektik von Digitalisierung und Sozialem, von Technik und Gesellschaft kann keinesfalls nur in Richtung „Technikakzeptanz” aufgelöst werden, in Richtung einer Anpassung menschlichen Handelns an digitale Anforderungen. Die Nutzerinnen und Nutzer digitalisierter Prozesse müssen sich als wirksam erleben, „Empowerment", Selbstermächtigung muss unser Verhältnis zur Digitalisierung prägen.

Dazu allerdings muss man Digitalisierung verstehen. Die vorliegende Studie, die Prof. Dr. Erich Schäfer als Senior Fellow des ISÖ gemeinsam mit Antje Ebersbach vorlegt, leistet einen sehr hilfreichen Beitrag zu diesem Verstehen. Die Corona-Pandemie hat gerade Bildungseinrichtungen - von den Schulen über die Hochschulen bis zur Weiterbildung - besonders gefordert: Noch immer überwiegt im Bildungssystem vor allem auf Seiten der Pädagoginnen und Pädagogen Skepsis bis Angst gegenüber digitalisierten Bildungsprozessen. Zugleich mussten diese Prozesse digitalisiert werden, damit sie unter Pandemiebedingungen überhaupt stattfinden konnten. Schauen wir mit dieser Studie exemplarisch in den Maschinenraum der Erwachsenen- und Weiterbildung. Lernen wir mit dieser Anschauung Digitalisierung zu gestalten.

Prof. Dr. Michael Opielka

1https://www.isoe.org/veroeffentlichungen/isoe-text/erich-schaefer-medienbildung-in-schleswig-holstein-ausserhalb-des-formalen-lernens-isoe-text-2018-3/

2https://www.isoe.org/veroeffentlichungen/isoe-text/michael-opielka-sophie-peter-zu-kunftsszenario-altenhilfe-schleswig-holstein-2030-2045-ergebnisbericht-isoe-text-2018-1/

3https://www.isoe.org/veroeffentlichungen/isoe-text/michael-opielka-hrsg-zukunftslabor-schleswig-holstein-demographie-und-digitalisierung-zlabsh-isoe-text-2019-1/

4https://www.isoe.org/veroeffentlichungen/buecher/michaela-evers-woelk-michael-o-pielka-neue-elektronische-medien-und-suchtverhalten-2-auflage-2019/

5https://www.eah-jena.de/mgesco

Geleitwort

Im Rahmen der Thüringer Digitalstrategie von 2017 wurden Voraussetzungen für einen Transformationsprozess in der Erwachsenenbildung geschaffen, der längst überfällig war. Nachdem dann im Jahre 2019 die Richtlinie für die Förderung der Digitalisierung in der Erwachsenenbildung durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport erlassen wurde, haben die beiden anerkannten Einrichtungen unter dem Dach des LEB Thüringen e.V. (LEB - Ihr Bildungspartner und AG Regionale Bildung) einen gemeinsamen Antrag für das Jahr 2020 gestellt. Aus den Erfahrungen, die bereits in der Vergangenheit mit kleinen Lösungen mit dem Schwerpunkt Einsatz von IT-Technologie gemacht wurden, haben wir den Schwerpunkt des Projektes auf die Erarbeitung einer Strategie für die Digitalisierung in der Erwachsenenbildung unter den konkreten Bedingungen unserer Einrichtungen gesetzt, um daraus ein Handlungskonzept abzuleiten. Klar war auch, dass wir eine externe Moderation des Prozesses und einen wissenschaftlich basierten Experteninput haben wollten. Mit Frau Ebersbach und Professor Schäfer vom Institut für Weiterbildung, Beratung und Planung im Sozialen Bereich e.V. (iwis) haben wir dann auch einen passenden Partner gefunden.

Dann kam der erste Lockdown, Erwachsenenbildungseinrichtungen einschließlich unserer Ausrichter mussten schließen. Nach dem Ende des Lockdowns und beginnender Normalisierung erfolgte die nächste Schließung. Für uns als Organisation hatte das auch in Bezug auf das Projekt gravierende Folgen:

Innerhalb kürzester Zeit musste ein Teil der Bildungsmaßnahmen auf digitale Formate umgestellt werden.

Die interne Kommunikation wurde komplett auf digitaler Basis aufgestellt.

In kürzester Zeit wurden Weiterbildungen für MitarbeiterInnen durchgeführt.

Neben diesen Aktivitäten haben wir gemeinsam mit Frau Ebersbach und Herrn Professor Schäfer in mehreren Workshops unsere Digitalisierungsstrategie erarbeitet und am Jahresende auch mit der konzeptionellen Umsetzung begonnen. Mit den Arbeitsgruppen und dem virtuellen Labor zur Erprobung der verschiedensten Ansätze machen wir dabei gute Fortschritte. Dies mündet schließlich in Angebote verschiedenster Art für unsere Ausrichter, unsere Lehrenden und unsere Lernenden.

Ohne die gute Unterstützung durch das iwis und ohne das herausragende Interesse und Engagement unserer Mitarbeiterinnen wären wir mit Sicherheit nicht zu den nun vorliegenden Ergebnissen gekommen. Dafür mein persönlicher Dank an Frau Ebersbach und Professor Schäfer sowie an meine Mitarbeiterinnen. Darüber hinaus gilt mein Dank auch unseren Ausrichtern, die sich unter schwierigen Bedingungen an Erhebungen beteiligt haben, mit denen wir Ideen diskutiert haben und die Vorschläge für die künftige Arbeit eingebracht haben.

Henry Birner (LEB)

Einleitung

Im Jahre 2016 haben VertreterInnen aus Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft anlässlich des EduAction Bildungsgipfels die Erklärung „ZukunftsBildung jetzt gestalten!” verabschiedet. Die dritte von fünf Empfehlungen hat die digitale Herausforderung zum Thema; darin heißt es: „Die Digitalisierung unserer Arbeits- und Lebenswelt erfordert ein tiefgreifendes Neudenken unseres lebenslangen Lernens und unserer Lernwelten.” Die Aufgabe von Bildung wird darin gesehen, die Wertgrundlagen für unser gesellschaftliches Zusammenleben zu legen und „allen Menschen Teilhabe und Partizipation” zu ermöglichen (EduAction Erklärung 2016). Die digitale Transformation ist selbst als Teil des lebenslangen Lernens zu verstehen (Fischer 2021).

Spätestens seit der Corona-Krise im Jahre 2020/21 ist die computervermittelte Kommunikation in alle Poren unseres Alltags eingedrungen und verändert Kultur und Gesellschaft. Wir befinden uns in einem umfassenden Mediatisierungsprozess, in dem die realen Dinge „Repräsentanzen in der symbolischen Welt der Computernetze erhalten, von der aus sie gesteuert und bedient werden” (Krotz 2016, S. 17). Die Abbildung und Steuerung der sozialen Welt mit Hilfe digitaler Daten wird auch als Datafizierung bezeichnet (Aßmann et al. 2016, S. 1). Die Digitalisierung, Datafizierung bzw. Mediatisierung der (Weiter-)Bildung ist kein Selbstzweck. Die zentrale Frage lautet: Wie kann Bildung künftig so gestaltet werden, dass sie mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und die Individuen ihre Autonomie im Lernprozess erhalten?

Die hier aufgeworfene Frage bezieht sich auf sämtliche Bildungssektoren. Im Folgenden stehen zwar die Institutionen der Erwachsenen- und Weiterbildung im Fokus der Betrachtung, da die skizierten Herausforderungen aber bspw. auch für die Hochschulen6 zutreffen, wird hierauf partiell ebenfalls eingegangen.

Die Ergebnisse der wbmonitor-Umfrage 2020 des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE), die im Zeitraum zwischen dem 30. Juni bis zum 9. August 2020 durchgeführt wurde, zeigen, dass die Mehrheit der Bildungsanbieter sehr unter den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie leidet. Die folgenden Fakten machen dies deutlich (Christ & Koscheck 2021, S. 3ff.):

Lediglich vier von zehn laufenden Weiterbildungsveranstaltungen, die vor dem ersten bundesweiten Lockdown begonnen hatten und noch nicht abgeschlossen waren, konnten fortgesetzt werden.

77% der geplanten Veranstaltungen, die im Zeitraum des Lockdowns beginnen sollten, wurden verschoben oder ersatzlos abgesagt.

Die Anbieter wissenschaftlicher Weiterbildung und berufliche Schulen kamen vergleichsweise gut mit der Umstellung auf digitale Formate zurecht.

Die Volkshochschulen und Einrichtungen in Trägerschaft von Kirchen, Parteien, Gewerkschaften o. Ä. konnten dagegen nur geringe Teile des Angebots realisieren. Diese Anbieter stimmten mehrheitlich der Aussage zu, dass die inhaltliche Ausrichtung ihres Weiterbildungsangebotes für digitale Formate nicht geeignet sei.

Dort wo eine Umstellung auf digitale Formate stattfand, war dies mit einem erheblichen personellen und organisatorischen Aufwand verbunden. Zusätzlich kamen zum Teil finanzielle Belastungen für Investitionen in digitale Infrastrukturen hinzu.

Die Durchführung von Präsenzveranstaltungen unter Einhaltung der Hygienevorschriften nach der Aufhebung des Lockdowns brachte bei erhöhtem personellem und organisatorischem Aufwand finanzielle Einbußen mit sich, da bei den meisten dieser Veranstaltungen die Teilnehmendenzahlen reduziert wurden.

Bei vier von zehn Weiterbildungsanbietern waren Beschäftigte in Kurzarbeit. Ein Fünftel der Anbieter erhielt Soforthilfe. Existentiell stellt sich die Situation für die Honorarkräfte dar; 70% der Einrichtungen stimmen der Aussage zu, dass ihre freiberuflichen DozentInnen in wirtschaftliche Not geraten.

Im Vergleich zum Vorjahr beurteilen 42% der Anbieter ihre wirtschaftliche Lage negativ. Am schlechtesten schätzen Volkshochschulen und privatkommerzielle Anbieter ihre wirtschaftliche Situation ein.

Den Corona-Sonderbefragungen im Rahmen des KfW-Mittelstandspanels (Leifels 2021) zufolge ist die betriebliche Weiterbildung im Jahre 2020 regelrecht eingebrochen. Fast 40 % der KMU haben ihre Weiterbildungsaktivitäten deutlich reduziert, die Hälfte davon auf null. Je gravierender die Corona-Betroffenheit, desto stärker ist der Rückgang. Gleichzeitig steigt der Weiterbildungsbedarf an Digitalkompetenzen.

Vor dem Hintergrund der massiven Auswirkungen des ersten Lockdowns im Frühjahr und Sommer 2020 lässt sich noch gar nicht beurteilen, wie die Erwachsenen- und Weiterbildung den Lockdown von November 2020 bis Mai 2021 bewältigen wird.

Sicher ist jetzt schon, dass die Corona-Pandemie für die Erwachsenenbildung eine „existenzielle Bedrohung” ist, wie es der wissenschaftliche Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung ausdrückt. „Die Einnahmen der Institute sowie ihrer Lehrkräfte, Dozenten, Trainer und Teamer, die meist nebenberuflich in der Weiterbildung arbeiten, sind einfach weggebrochen. Es stand also schnell die Frage im Vordergrund: Wird die Branche die Pandemie finanziell überstehen? Das ist die große Differenz zur Schule” (Schrader 2021).

Die Erfahrungen mit virtuellen Bildungsangeboten während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 lassen sich zum Teil als Beispiele einer Emergency-Remote-Teaching-Lösung, aber auch als ein Lernexperiment, das ein großes Potenzial an Kreativität freigesetzt hat, beschreiben. Im Frühjahr 2021, nach über einem Jahr Pandemie, lässt sich absehen, dass es ein komplettes Zurück ins vor der Corona-Krise Vertraute und Gewohnte nicht mehr geben wird. Virtuelle und hybride Konzepte haben Einzug in den Regelbetrieb der Erwachsenen- und Weiterbildung gehalten.

Wir erleben gerade eine tiefgreifende gesellschaftliche Transformation. Davon sind Arbeiten und Lernen unter dem Stichwort der Digitalisierung zentral betroffen. „Lernen neu zu denken umfasst also weit mehr als digitale Technik. Ja, es bedarf neuer Infrastruktur, neuer Lernplattformen und neuer Technologien” (FernUniversität 2020, S. 3). Dies gilt gleichermaßen für den quartären wie auch den tertiären Bildungssektor. Die Rollen von Lehrenden und Lernenden ändern sich (Granström & Niedermeier 2021). Lernen wird individueller, flexibler, selbstbestimmter und informeller. Gefragt sind hybride Lehr-Lernkonzepte, die analoge und digitale Formate miteinander verbinden. Zusätzlich steigt der Grad der Vernetzung und neue kooperative Organisationsformen eröffnen neue synergetische Potenziale. Noch fehlt allerdings ein „angemessenes Verständnis dafür, wie die Digitalisierung auch das Lernen von Grund auf verändert hat - und weiter verändern wird” (ebd.). Dies in Ansatzpunkten aufzuzeigen, ist das Anliegen dieses Textes.

Die Gliederung des Textes im ersten Kapitel orientiert sich am Mehrebenenmodell der Digitalisierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung (Egetenmeyer & Grafe 2017, S. 7), das die folgenden sechs Ebenen umfasst: Gesellschaftlicher Kontext und Veränderung, Dachorganisationen und Institutioneller Kontext, Einrichtungen und organisationaler Kontext, Programme und Angebote, Personal und Teilnehmende bzw. Teilhabende. Bevor wir uns mit den verschiedenen Dimensionen des Mehrebenenmodells beschäftigen, nehmen wir zunächst das Lehren und Lernen mit Medien im quartären Bildungssektor insgesamt in den Blick. Es folgt eine Auseinandersetzung mit der medialen Historie der Weiterbildung, um aktuelle Diskussionen besser verstehen zu können. Sodann wird auf die kontinuierliche Selbsterneuerung als Herausforderung einer Kultur der Digitalität eingegangen. Anschließend wenden wir uns dann den Kennzeichen und Potenzialen digitaler Bildungsmedien unter verschiedenen Aspekten zu. Dabei schlagen wir den Bogen von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der VUKA-Welt7, den institutionellen und organisatorischen Kontexten als Rahmung über die Programmplanung und Angebotsgestaltung bis hin zur Methodik und Didaktik. Abschließend geht es dann um die beteiligten Personen, das Weiterbildungspersonal sowie die TeilhaberInnen an den Bildungsprozessen.

Im zweiten Kapitel wird exemplarisch die Digitalisierungsstrategie der LEB im Sinne einer organisationssensiblen Digitalisierungsforschung (Büchner 2018, S. 343f.) unter Bezug auf die Ergebnisse der durchgeführten Workshops vorgestellt.

Das dritte Kapitel enthält Empfehlungen an Akteure auf unterschiedlichen Ebenen, die auf die Situation der Erwachsenen- und Weiterbildung vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Forschungsbefunde Bezug nehmen.

6 Sofern die Hochschulen als Anbieter von wissenschaftlicher Weiterbildung auftreten, gehören sie sowohl zum tertiären wie zum quartären Bildungssektor (Wolter & Schäfer 2018).

7 VUKA ist das Akronym der englischen Begriffe volatility, uncertainty, complexity und ambiguity.

1 Die digitale Transformation - Befunde der Forschung

1.1 Lehren und Lernen mit Medien im quartären Bildungssektor

Aufgrund der Heterogenität des quartären Sektors und der unverändert defizitären Datenlage ist es schwer, ein klares Bild zur digitalen Transformation der Erwachsenen- und Weiterbildung8 zu zeichnen (Rohs 2019, S. 119f.). Die Beschäftigung mit Prozessen der Digitalisierung im Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung ist bisher eher fragmentarisch. Der Sammelband „Erwachsenenpädagogische Digitalisierungsforschung” (Bernhard-Skala et al. 2021) setzt hier wichtige neue Impulse.

Zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Thema der Digitalisierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung gilt es zunächst erstens kurz an die Besonderheiten des quartären Bildungssektors zu erinnern, sie zweitens in dem politischen Gefüge zu verorten und drittens einen Blick auf die Begrifflichkeiten zu werfen, die nicht immer ganz trennscharf im Zusammenhang mit digitalen Bildungsmedien verwendet werden.

Im Unterschied zur schulischen und beruflichen Bildung sowie zum Hochschulstudium weist die Weiterbildung einige besondere Merkmale auf. In ihrem Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt” weist die Kultusministerkonferenz (2017) auf die folgenden speziellen Kennzeichen hin: Diversität der Lernenden, Lehrplanfreiheit und niedriger Formalisierungsgrad, geringe staatliche Regulierung sowie Pluralität der Weiterbildung. Zu ergänzen sind die relativ geringen öffentlichen Bildungsausgaben für diesen Bereich (Walter 2015, S. 8).

Die Weiterbildung hat ihren Ursprung gleichermaßen im Prozess der Aufklärung und der Industrialisierung. Ihre Begründungen oszillieren deshalb zwischen diesen beiden Polen. Weiterbildung verortet sich heute in der Schnittmenge von mindestens drei Teilbereichen der politischen Gestaltung: der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, der Sozialpolitik sowie der Bildungs- und Kulturpolitik.

Bildung in der Erwachsenenbildung ist die aktive Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt und sich selbst. Ihr Ziel ist es, die Welt in ihrer Komplexität sowie die eigene Person darin zu verstehen, zu reflektieren und handlungsfähig zu sein. Bildung vollzieht sich in dem Zusammenspiel von Welt- und Selbsterkenntnis. Der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen drückt dies in seinem 1960 veröffentlichten Gutachten zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung wie folgt aus: „Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln” (Deutscher Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen 1960, S. 870).

Erwachsenenbildung steht in diesem Verständnis für eine „offene, allgemeinbildende, vor allen Dingen kulturelle, soziale und politische Persönlichkeitsbildung durch Aufklärung, Wissensvermittlung und Kompetenzentfaltung” (Dewe 2006, S. 121). Die Erwachsenenbildung ist einer egalitären Grundidee verpflichtet, die auf eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an sämtlichen Bildungsangeboten abzielt. Sie richtet sich an alle Bevölkerungsschichten und Milieus und engagiert sich in einem weiten Begriffsverständnis von Inklusion, d.h., „dass allen Menschen - unabhängig von Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, besonderen Lernbedürfnissen, sozialen oder ökonomischen Voraussetzungen - die gleichen Möglichkeiten offen stehen [sic], an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale zu entwickeln” (Kill 2012, S. 20). Über den Erwerb von Bildung sollen gesellschaftliche Teilhabechancen insbesondere für jene eröffnet werden, die gesellschaftlich marginalisiert sind. In der jüngeren Vergangenheit ist das Bewusstsein dafür gewachsen, durch empirische Studien deutlicher zu akzentuieren, dass der Nutzen der Weiterbildung über den Erwerb spezifischer Kenntnisse und Fähigkeiten hinausgeht. Aktuelle Forschungen belegen die monetären und nichtmonetären Erträge von Weiterbildung (Schrader et al. 2020).