Die drei Nationalökonomien - Werner Sombart - E-Book

Die drei Nationalökonomien E-Book

Werner Sombart

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Beschreibung

In seinem 1930 erschienenen methodologischen Werk 'Die drei Nationalökonomien', das er als Katalog seines Lebenswerks bezeichnet, unterscheidet Sombart zwischen der richtenden, der ordnenden und der verstehenden Nationalökonomie. Er bietet einen umfassenden Abriss der Geschichte der ökonomischen Theorien, der wegen seines ganzheitlichen Ansatzes unbedingt von heutigen Ökonomen gelesen werden sollte.

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Impressum

Werner Sombart: Die drei Nationalökonomien Herausgegeben von Sven Horn Klassiker der Ökonomie. Band 10 Veröffentlicht im heptagon Verlag © Berlin 2014 www.heptagon.de ISBN: 978-3-934616-39-4

Editorische Notiz

Werner Sombart wird 1863 in Ermsleben (Harz) als Sohn des nationalliberalen Politikers Anton Ludwig Sombart geboren, studiert Rechtswissenschaften in Berlin, Pisa und Rom und promoviert 1888 bei Gustav von Schmoller in Berlin. Neben Schmollers »Grundriss der allgemeinen Volkswirtschaftslehre« ist Sombarts Werk »Der moderne Kapitalismus«, in dem er die Dreiteilung in Früh-, Hoch- und Spätkapitalismus entwickelt, das bedeutendste Werk der »Historischen Schule der Nationalökonomie«. Die zweite Auflage, die in den Jahren 1916–27 erscheint, umfasst mehr als 3000 Seiten. Sein hier vorliegendes wissenschaftstheoretisches Buch »Die drei Nationalökonomien« ist das zweite Hauptwerk Sombarts und etwas zeitloser, weshalb wir es als Band 10 in unsere Reihe »Klassiker der Ökonomie« aufgenommen haben.

Zusammen mit Max Weber und Edgar Jaffé übernimmt Werner Sombart 1904 die Redaktion des »Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik«. Seine ökonomischen Schriften gehören in der Weimarer Republik zu den am meisten gelesenen. Wegen seiner späteren politischen Überzeugungen ist Werner Sombart umstritten. 1934 verfasst er ein Buch mit dem Titel »Deutscher Sozialismus«, in dem er die nationalsozialistische Bewegung begrüßt. Dass die Nationalsozialisten ihm keine aktive Rolle zuweisen wollen und dass er sich in der 1938 erschienenen Schrift »Über den Menschen« ausdrücklich von deren Rassenideologie distanziert, hilft seiner Reputation nicht.

In seinem 1930 erschienenen methodologischen Werk »Die drei Nationalökonomien«, das er als Katalog seines Lebenswerks bezeichnet, unterscheidet Sombart zwischen der richtenden, der ordnenden und der verstehenden Nationalökonomie. Hier zeigt sich die Belesenheit Sombarts, dessen Privatbibliothek 30.000 Bücher umfasst. Er bietet einen umfassenden Abriss der Geschichte der ökonomischen Theorien, der auch heute noch sehr lesenswert ist. Wegen seines ganzheitlichen Ansatz sollten Ökonomen unbedingt das Werk lesen: »Nationalökonomie ist vielmehr Soziologie, das heißt eine Wissenschaft vom menschlichen Zusammenleben.«

Sven Horn

Erster Teil: Der heutige Zustand der Nationalökonomie

Erstes Kapitel: Die Unbestimmtheit des Gegenstandes

Zwei Begriffe: Wirtschaft (S. 1). Wirtschaft in formaler Bestimmtheit (S. 2); rationalistischer oder sensualistischer Prägung (S. 3). Wirtschaft in materiellem Sinne (S. 5). Andere Abgrenzungen des Begriffes Wirtschaft (S. 6). R. Stammler (S. 6). O. Spann (S. 7).

In der Wissenschaft, die der deutsche Volksmund seit jeher und immerdar als Nationalökonomie bezeichnet hat, ist alles, was bestimmt sein sollte, unbestimmt: sogar der Gegenstand, mit dem sie sich beschäftigt. Und das ist wohl eine Eigenart, die sie mit keiner anderen »Wissenschaft« teilt und die nur die Philosophie mit ihr gemeinsam hat: dass sie nicht weiß, wo sie sich auf dem Globus intellectualis befindet. Denn, soweit ich sehe, wissen das alle anderen Wissenschaften, so lebhaft umstritten auch sonst sie sein mögen. Gewiss bestehen weitestgehende Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Fragestellung, Methode, Erkenntnisart etwa der Logik oder der Psychologie oder der Geographie, um einige der strittigsten Wissenschaften zu nennen. Aber es hat doch wohl noch niemand daran gezweifelt, dass die Logik das menschliche Denken und nicht das menschliche Handeln, die Psychologie das menschliche Seelenleben und nicht den menschlichen Körperbau, die Geographie die Erde und nicht den Mond zum Untersuchungsgegenstand haben. Während in der Nationalökonomie in der Tat eine solche Abgrenzung nicht besteht, man nicht weiß, ob sich die Untersuchungen auf die Erde oder den Mond beziehen.

Diese schwarzseherische Auffassung scheint unberechtigt zu sein angesichts der unzweifelhaft richtigen Tatsache, dass jedermann die Nationalökonomie doch als die Wissenschaft von der »Wirtschaft« bezeichnet. Gewiss. Aber darum bleibt mein Urteil doch zu Recht bestehen, dass die Nationalökonomie keinen fest bestimmten Gegenstand hat, weil nämlich dieser durch den Begriff »Wirtschaft« nicht gegeben ist. Das Wort »Wirtschaft« (ebenso wie économie, economy, economia) hat vielmehr sehr verschiedene Bedeutungen, unter denen sich zwei vor allem unterscheiden lassen, die in der Tat nicht mehr miteinander gemein haben als der große Bär im zoologischen Garten und der Große Bär am Himmel oder das Schloss am Meer und das Schloss an der Tür. Man vergegenwärtige sich etwa den Sinn, den das Wort Wirtschaft in den Wendungen hat: »Wirtschaft, Horatio, Wirtschaft!« oder: »Verdammte Wirtschaft« oder: »Wirtschaft der Handlung« (in einem Drama) und stelle sie gegenüber dem Sinn des Wortes in den Sätzen: »Die Wirtschaft des deutschen Volkes ist krank« oder: »Die Wirtschaft während des europäischen Mittelalters war ständisch gegliedert«, und man wird die völlige Verschiedenheit der beiden Sinngebungen ohne weiteres einsehen. Wollen wir diese bezeichnen, so werden wir etwa von einer formalen und von einer materialen Bedeutung des Wortes Wirtschaft sprechen können.

In formaler Bestimmtheit drückt das Wort Wirtschaft ein bestimmtes menschliches Verhalten, eine bestimmte Art des menschlichen Handelns, ein »Wirtschaften«, und davon abgeleitet: den dieser bestimmten Art menschlichen Verhaltens entsprechenden Zustand aus. Und zwar mit positivem oder negativem Wertvorzeichen. In der Wendung »Wirtschaft, Horatio, Wirtschaft!« soll eine »gute« Wirtschaft, ein lobenswertes Verhalten, in dem Fluche: »Verdammte Wirtschaft!«, »Lodderwirtschaft!« eine »schlechte« Wirtschaft, ein tadelnswertes Verhalten bezeichnet werden. »Es ist ... offenbar, dass (in diesem Verstand) das Ökonomische eine Beziehung des Subjektes zum) Objekte seines Wollens bedeute. Daraus folgt, heißt es an dieser Stelle in der dicksten Methodologie, die wir von unserer Wissenschaft besitzen, dem Werke von H. v. Gans-Ludassy, weiter, dass wir eine ökonomische Erscheinung als solche anzusehen haben, welche ihre Eigenart der Beziehung des Subjektes zu den Objekten seines Willens verdankt1.« Die Wirtschaftslehre hat es »nicht mit Objekten, sondern mit psychischen Erwägungen zu tun«, meint Liefmann2. Dieses Verhalten, das »Wirtschaften«, kann nun wiederum unter einem doppelten Gesichtspunkte bestimmt werden, was zu zwei verschiedenen Arten, Nationalökonomie zu treiben, Anlass geboten hat.

Entweder nämlich kann man an das menschliche Handeln den Maßstab einer Maxime anlegen, das heißt es rationalistisch beurteilen und etwa sagen: Wirtschaften bedeutet Handeln nach dem »ökonomischen Prinzip«, d.h. nach dem Grundsatz: erziele einen Erfolg mit dem geringsten Aufwand, und kann dann etwa noch von Wirtschaft sprechen, um einen Zustand zu bezeichnen, der diesem Prinzip gemäß gestaltet ist, so etwa wenn man die Wendung gebraucht: »die Wirtschaft der Natur«, wo das Wort Wirtschaft doch offenbar zum Ausdruck bringen soll, dass die Anordnung oder die Vorgänge in der Natur dem »ökonomischen Prinzip« gerecht werden. Wirtschaft oder Wirtschaften bedeutet hier also »richtige« Mittelwahl bei gegebenem Zweck.

Oder man kann unter Wirtschaften das einem bestimmten Interesse dienende, nämlich das auf den höchsten Nutzeffekt ausgerichtete Handeln verstehen, wobei man den »Nutzen« meist dem Genuss oder gar dem »Glücke« gleichsetzt. Das Wort Wirtschaft bekommt hier also eine psychologistische oder genauer: sensualistische Prägung. »Das Einheitliche, was den wirtschaftlichen Handlungen und Beziehungen der Menschen und den Einrichtungen und Veranstaltungen, die sie dafür geschaffen haben, zugrunde liegt, also das Identitätsprinzip der ökonomischen Wissenschaft (liegt) nicht in der Sachgüterbeschaffung, sondern (beruht) in einer besonderen Art von Erwägungen, die auf einem Gegenüberstellen und Vergleichen von Nutzen und Kosten, rein psychisch aufgefasst, mit dem Ziel eines möglichst großen Nutzenüberschusses, Genusses beruhen3.« Es handelt sich hier also um Zweckwahl bei gegebenen Mitteln.

Beide Spielarten der formalistischen Auffassung von der Wirtschaft, sowohl die rationalistische als die sensualistische, haben Anhänger gefunden, ohne dass alle sich der Tragweite ihrer Ansichten bewusst geworden wären. Wir müssen uns nämlich klar darüber sein, dass beide genannte Auffassungen mit Notwendigkeit dazu führen, die Nationalökonomie zu einer Universalwissenschaft zu machen, weil beide Grundsätze: »Handle nach dem ökonomischen Prinzip« und: »Folge dem Nutzprinzipe« ganz allgemeine menschliche Verhaltungsweisen ausdrücken. Nach dem »ökonomischen« Prinzip handeln (oder sollen nach der Meinung mancher Beurteiler handeln): Maler oder Zeichner (Busch, Gulbranson), Dichter (Carl Sternheim, Georg Kaiser), »Philosophen« (Avenarius, Ostwald), handeln aber letzthin alle »vernünftigen« Menschen in jedem Augenblicke, wenn sie etwa auf dem kürzesten Wege in die Vorlesung oder in die Kneipe gehen. Immer schwebt ihnen der Grundsatz vor: mache keinen größeren Aufwand als nötig ist, um den gewollten Zweck zu verwirklichen.

Während nun meines Wissens noch keiner der zahlreichen Nationalökonomen, die ihren Lesern oder Hörern die seltsame Mär verkünden: die Nationalökonomie sei die Lehre vom »ökonomischen« Prinzip, auf den Gedanken verfallen ist, nun auch Ausführungen zu machen über die »wirtschaftliche« Art zu zeichnen, zu dichten oder zu philosophieren oder seine Tagesarbeit zu verrichten oder Kinder zu unterrichten und dergleichen, haben manche Vertreter des »Nutzprinzips« Ernst mit ihrer Auffassung gemacht, indem sie die Folgerung gezogen haben, dass die Nationalökonomie zu einer allgemeinen »Genusslehre« auszubauen sei. Der erste, der diesen Gedanken gefasst hat, ist wohl der geniale Idiot Gossen gewesen, dessen Werk über »Die Gesetze des menschlichen Verkehrs« die Veranlassung zu allem möglichen Unfug geworden ist. Der Zweck seiner Lehre, die auch als Diätetik der Seele oder allgemeine Hedonistik bezeichnet werden kann, sollte sein: »den Menschen zur größten Summe des Lebensgenusses zu verhelfen«4. Und wahrhaftig: Gossen hat Nachfolger gefunden, und es gibt eine ganze Reihe von »Nationalökonomen«, die solcherweise das Forschungsgebiet ihrer Wissenschaft umschreiben. So bezeichnet Otto Neurath, ein Autor, der auch ganz vernünftige Sachen geschrieben hat, als »Gegenstand der Nationalökonomie den Reichtum« und lädt uns ganz freimütig ein, unter Reichtum zu verstehen »den Inbegriff von Lust und Unlust ... den wir bei Individuen und Individuengruppen antreffen«. Schlankweg »Lust und Unlust«. Ein Bild z.B. ist ein »Reichtumserreger«. Und Gegenstand der Nationalökonomie ist: festzustellen, ob z.B. in einer Gruppe von Menschen »ein höherer Reichtumsgrad« erzielt wird, wenn die einzelnen Mitglieder mit Blondinen oder Brünetten spazieren gehen5.

Und der Verfasser der dicksten Methodologie, den ich schon erwähnte, ist der Meinung6, dass »die Ökonomik das Wohl der Menschen behandelt und dieses zu ihrem Gegenstande hat«, dass sie »die Wissenschaft vom Glücke, vom menschlichen Glücke, vom relativen menschlichen Glücke« sei, dass sie eine »moderne Eudämonologie« werden und an die Stelle der Philosophie treten müsse, die selbst nur »eine misslungene Ökonomik« gewesen sei.

Man sollte diese ganze formalistisch eingestellte »Nationalökonomie« nehmen für das, was sie ist: ein Quid pro quo, ein Missverständnis. Man ist einfach dem Doppelsinn des Wortes »Wirtschaft« zum Opfer gefallen, das einmal Wirtschaft als einen Sachbereich richtig ausdrückt und daneben etwas völlig anderes, nämlich Wirtschaftlichkeit bedeutet. Es ist das Verhängnis jener Männer geworden, deren Ansichten wir eben kennenlernten, dass sie gerade die falsche Bedeutung des Wortes Wirtschaft aufgegriffen haben. Dass der Begriff »Wirtschaftlichkeit« unmöglich dazu verwendet werden kann, um irgend etwas wie eine Wissenschaft damit abzugrenzen, sollte einleuchten. Auf alle Fälle aber bliebe die Notwendigkeit bestehen, neben jener Lehre von der Wirtschaftlichkeit nun auch eine Wissenschaft von der Wirtschaft zu pflegen, das heißt von jenem Sachverhalt, an den wir denken, wenn wir von der »Wirtschaft des deutschen Volkes« oder vom »Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus« reden. Die Wirtschaft erscheint uns hier in materialem Sinne, als ein inhaltlich bestimmter Umkreis menschlicher Tätigkeiten und Einrichtungen. Nur in dieser materialen Auffassung kommt die Wirtschaft als Gegenstand einer besonderen Wissenschaft ernstlich in Frage.

Die Aufgabe des Theoretikers ist dann zunächst die: den Sachbereich, auf den sich die Untersuchungen des Nationalökonomen erstrecken sollen, richtig abzugrenzen. Das geschieht, wie ich glaube, am besten in der Weise, in der es meistens geschieht. Die gemeine Meinung kann auch einmal die richtige sein. Die übliche Bestimmung des Gegenstandes der Nationalökonomie erfolgt aber bekanntlich im Hinblick auf die Spannung, die notwendig zwischen dem Bedarf des Menschen an äußeren Dingen der Natur und deren relativer Sprödigkeit obwaltet. Man fasst dann Wirtschaft als menschliche Unterhaltsfürsorge, das heißt als die auf Besorgung (Erzeugung, Bewegung, Verwendung) von Sachgütern gerichtete menschliche Tätigkeit auf.

Während wir in anderem Zusammenhange die systembildende Kraft der »Idee der Wirtschaft« noch genau kennenlernen werden, will ich an dieser Stelle zweier beachtenswerter Versuche gedenken, den Gegenstand der Nationalökonomie in anderer Weise abzugrenzen, als es hier geschieht. Ich meine die Lehren von Rudolf Stammler und Othmar Spann. Stammler hat vorgeschlagen, soziales Leben und Wirtschaftsleben gleichzusetzen. »Will Nationalökonomie eine selbständige Wissenschaft sein, so ist das nur möglich, wenn sie als Objekt ihrer Forschung das äußerlich geregelte Zusammenwirken annimmt«. »Nicht der Mensch oder die Bedürfnisse oder die Wirtschaft in abstracto haben Anfang und grundlegenden Begriff der Volkswirtschaftslehre abzugeben, sondern das soziale Leben der Menschen, dessen besondere Ausführung und konkrete Verwirklichung von der politischen Ökonomie in eigner Aufgabe zu erforschen ist«7. Ich glaube nicht, dass es zweckmäßig ist, den Gegenstand der Nationalökonomie so allgemein zu bestimmen. Wir müssen dazu wohl innerhalb dieses »äußerlich geregelten Zusammenwirkens« noch besondere Kreise abgrenzen, um nicht einer und derselben Wissenschaft die Aufgabe zu stellen, die Vorgänge in den Kirchen und auf den Kasernenhöfen, in den Gerichtsstuben und in den Kegelklubs, in den Börsenhallen und in den Fabriken zu untersuchen; Jedenfalls kämen wir bei dieser Weite des Gesichtsfeldes nicht zu irgendeiner Spezialwissenschaft, die doch die Nationalökonomie sein soll, sondern allenfalls zu einer allgemeinen Soziologie.

An demselben Fehler, den Begriff Wirtschaft zu unbestimmt zu fassen, krankt der Versuch Othmar Spanns, das Untersuchungsgebiet unserer Wissenschaft anders abzugrenzen, als es gewöhnlich geschieht. Spann8 definiert Wirtschaft als einen »Inbegriff von Mitteln für Ziele« (lies »Zwecke«). Er ist an der Hand dieser Begriffsbestimmung dann genötigt, die entlegensten Gebiete in den Bereich der nationalökonomischen Untersuchungen einzubeziehen; denn was kann nicht alles gelegentlich »Mittel« werden? Aber auch das, was seiner Natur nach nur Mittel sein kann (Spann nennt es das »reine« Mittel), ist so heterogener Natur, dass es unmöglich von einer Wissenschaft umfasst werden kann. So würde z.B. alle Politik, alle Erziehung zum Untersuchungsgebiet der Nationalökonomie gehören. Annehmbar ist die Begriffsbestimmung Spanns nur, wenn wir den Begriff des »Mittels« auf Sachgüter einschränken. Aber dann ist ihr die Spitze abgebrochen.9

Zudem enthält der Begriff »reines Mittel« eine unberechtigte, metaphysische Bedeutung. Warum ist Wirtschaft nur Mittel und nicht auch Kulturzweck? »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen«! Warum ist nur Wirtschaft Mittel, nicht etwa auch der Staat, wie viele vermeinen?

Übrigens ist Spanns liebenswürdige Auffassung in einer anderen Hinsicht typisch für diejenige zahlreicher Theoretiker durch das ihnen selber nicht zum Bewusstsein kommende Schwanken zwischen einer Bestimmung des Begriffes »Wirtschaft« nach materialen und nach formalen Merkmalen. Während unser Autor nämlich mit aller nur wünschbaren Entschiedenheit im Anfang einen objektivistischen Standpunkt vertritt (»alle Wirtschaft meint Gesellschaft; alle Wirtschaftsbetrachtung führt zu gesellschaftlichen Voraussetzungen«), wandelt sich im Verlauf der Darstellung der Begriff »Wirtschaft« ganz unmerklich in den Begriff »Wirtschaftlichkeit«, und plötzlich erfahren wir, dass der Gegensatz von Wirtschaft – Unwirtschaftlichkeit sei. »Wirtschaft ist der Unwirtschaft (= Unwirtschaftlichkeit) gegenüber ein Gattungsbegriff«. Was aber, so fragen wir erstaunt, hat der Begriff »Unwirtschaftlichkeit« und sonach sein Gegensatz »Wirtschaftlichkeit«, also »Wirtschaft«, in diesem Sinne noch mit »Gesellschaft« zu tun?

1

H. v. Gans-Ludassy

, Die wirtschaftliche Energie. I. System der ökonomischen Methodologie. 1893. S. 95.

2

Robert Liefmann

, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre. Band I. 1918.

3

Robert Liefmann

, a.a.O. S. 115.

4

H.H. Gossen

, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs. 1854. Neudruck 1889. S. 34.

5

Otto Neurath

, Nationalökonomie und Wertlehre. Eine systematische Untersuchung, in der »Zeitschrift für Volkswirtschaft usw.« Bd. 20, S. 53, 80, 95;

derselbe

, Das Problem des Lustmaximums (Vortrag), im »Jahrbuch der Philosophischen Gesellschaft an der Universität zu Wien«, 1912.

6

H. v. Gans-Ludassy

, a.a.O. S. 75, 79, 91.

7

Rudolf Stammler

, Wirtschaft und Recht. Zuerst 1896. S. 192, 207.

8

Othmar Spann

, Fundamente der Volkswirtschaftslehre. 1918. 4. Aufl. 1929.

9

Othmar Spann

, a.a.O. S. 3 und 56.

Zweites Kapitel: Die Unbestimmtheit der Erkenntnisweise

Verschiedene »Richtungen« der Nationalökonomie (S. 8). Undisziplinierte Gliederung des Stoffes (S. 9). Bestimmungen der Richtungen unter außerwissenschaftlichen Gesichtspunkten (S. 9). Dogmengeschichten der Nationalökonomie (S. 9).

Es gibt so viele Unterschiede in den »Standpunkten«, »Richtungen«, »Auffassungen«, dass fast jeder Nationalökonom seine eigene Meinung über die Behandlung der Wirtschaftswissenschaft haben kann. Um die Buntheit und Unausgeglichenheit, die in der Nationalökonomie herrschen, zu veranschaulichen, will ich einige der Gegensätze, in die sie auseinandergeht, hier nennen, ohne einstweilen auf deren Sinn und Berechtigung näher eingehen zu können. Das wird erst im Verlauf unserer Untersuchungen möglich sein und soll je an seinem Orte erfolgen.

Zunächst lassen sich eine Reihe von Entgegenstellungen vornehmen, die auf wissenschaftlichen oder doch wissenschaftlich gemeinten Erkenntnisgrundsätzen fußen. Da ergeben sich folgende Möglichkeiten, die alle in dieser oder jener »Richtung« oder »Auffassung« ihre Verwirklichung gefunden haben:

1. Metaphysik;

Positive Wissenschaft;

2. Normative Wissenschaft;

Explikative Wissenschaft;

3. Theoretische Wissenschaft;

Historische Wissenschaft: die beliebteste und trotzdem dümmste Entgegenstellung;

4. Deduktive Wissenschaft;

Induktive Wissenschaft; damit verwandt

5. Exakte Wissenschaft;

Realistische Wissenschaft;

6. Universalistische Wissenschaft;

Individualistische Wissenschaft;

7. Anschauliche Wissenschaft (Theorie);

Rationale Wissenschaft (Theorie);

8. Ökonomik;

Soziologie;

9. Naturwissenschaftliche Nationalökonomie;

Geist- oder Kulturwissenschaftliche Nationalökonomie.

Dazu kommt eine völlig undisziplinierte Gliederung des Stoffes, die oft zu den gewagtesten Einteilungen führt; man unterscheidet: Theoretische und Praktische Nationalökonomie, was sich ungefähr mit der Einteilung der westlichen Nationen in Science und Art deckt; daneben aber Allgemeine und Spezielle Nationalökonomie in willkürlicher Verknüpfung mit dem erstgenannten Gegensatzpaare. Endlich teilt man den Wissensstoff in Reine und Angewandte oder Reine und Politische Sozialökonomie, Reine Sozialwirtschaftslehre und Angewandte Sozialwirtschaftslehre ein, was die fremden Sprachen als Pure und Appliqué (applied) ausdrücken.

Endlich ist es ein besonderes Kennzeichen unserer Wissenschaft, dass die verschiedenen Richtungen nach der sozialen Herkunft oder den Weltanschauungen oder den politischen Standpunkten ihrer Vertreter bezeichnet werden. So haben wir eine christliche, insonderheit katholische, eine liberale und eine sozialistische Nationalökonomie. Wir unterscheiden daneben eine bürgerliche und eine proletarische Nationalökonomie. Wir sondern die nationalökonomischen Systeme danach, ob sie schutzzöllnerisch oder freihändlerisch sind. Wir sprechen von Klassikern, von Epigonen, von Romantikern und ihren Lehren.

Der chaotische Zustand wird nun aber erst dadurch herbeigeführt, dass alle diese Unterschiede und Gegensätze wirr durcheinandergehen und sich vielfach überschneiden. Meist weiß der Autor gar nicht, welche Auffassung er eigentlich hat, welchen Standpunkt er eigentlich vertritt. Häufig vertragen sich die verschiedenen Ansichten überhaupt nicht miteinander usw.

Wenn man nun den Versuch macht, die verschiedenen Lehren unter irgendwelchen innerlich begründeten Gesichtspunkten zu ordnen, wie es etwa in einer Dogmengeschichte notwendig wird, so ergibt sich die Unmöglichkeit dieses Unternehmens, und der verzweifelte Zustand unserer Wissenschaft wird mit einem Male offenbar. Überblickt man die Gliederung des Stoffes, wie sie unsere besten Dogmengeschichten vornehmen, so kommt man aus dem Staunen nicht heraus über die Unbefangenheit, mit der sonst klare Denker eine völlig unmögliche Anordnung vornehmen, die im Grunde eine Unordnung ist, bei der jedes vernünftige principium divisionis fehlt, bei der ein beständiger Wechsel aus einem Einteilungsprinzip in das andere stattfindet und schließlich ein Allerhandgemälde, das heißt ein Quodlibet herauskommt. Offenbar liegt die Schuld an dieser Chaotik nicht bei den Verfassern, sondern ist in der Natur des Stoffes bebegründet.

Es möge deshalb nicht als eine Kritik der gewiss vortrefflichen Verfahrengeschichten und ihrer sehr respektablen Verfasser angesehen werden, wenn ich hier die Inhaltsverzeichnisse der bekanntesten dieser Versuche mitteile. Vielmehr geschieht es nur, um daran die verfahrene Lage unserer Wissenschaft zu veranschaulichen. Eine Erläuterung erübrigt sich. Die Werke sprechen für sich selbst, wenn sich der Leser die Mühe nimmt, auf folgende Punkte zu achten:

2. die Merkmale liegen in verschiedenen Ebenen: Theorie und Praktik; staatspolitische, sozialphilosophische, ökonomische Ansichten; Lehrmeinungen, Nationalität, Zeitpunkt:

3. die Merkmale sind oft falsch bestimmt und deshalb auch dort, wo sie gleicher Art sind, ungeeignet, richtige Unterscheidungen herbeizuführen, was erst später ersichtlich wird.

Hier sind einzelne Inhaltsverzeichnisse:

I. Gide und Rist, Histoire des doctrines économiques, deutsch unter dem Titel Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen. 2. Aufl. 1921.

1. Les Fondateurs;

2. Les Adversaires: Sozialisten, List, Proudhon;

3. Le Libéralisme;

4. Les Dissidents: Historische Schule, Staatssozialisten, Marxisten, Christlicher Sozialismus;

5. Les doctrines récentes: Hedonisten, Neue Rententheorie,

Solidaristen, Anarchisten.

II. Luigi Cossa, Histoire des doctrines économiques. 1899.

Baut zunächst ein sehr schönes System auf, indem er aufeinanderfolgen lässt:

1. die Époque fragmentaire;

2. die Monographien und die Systèmes empiriques;

3. die Période des systèmes scientifiques;

fällt dann aber in eine völlige Systemlosigkeit bei der Durchführung und endigt in einer rein geographisch-chronologischen Ordnung, indem er die ganze Nationalökonomie des 19. Jahrhunderts darstellt nach Ländern und innerhalb der Länder nach Jahren. Wenn ein so außergewöhnlich klarer und systematischer Kopf wie Cossa so verfährt, so muss die Schuld an dem Chaos wirklich beim Stoffe liegen.

III. W. Roscher, Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland. Zuerst 1874. Einteilung der neueren Nationalökonomie:

1. Freihändler;

2. Sozialisten;

3. Reaktionäre;

4. Realistische oder historische Schule;

5. Schriftstellernde, volkswirtschaftliche Staatsbeamte.

IV. Othmar Spann, Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre.

16. Aufl. 1926.

1. Von der vormerkantilistischen Zeit;

2. Der Merkantilismus;

3. Der Übergang zum physiokratischen System;

4. Das physiokratische Lehrgebäude;

5. Die durchgebildeten individualistischen oder klassischen Lehrgebäude;

6. Die deutsche Volkswirtschaftslehre:

a) Die Romantiker;

b) H. v. Thünen;

c) F. List;

7. Der Optimismus Careys und seine europäischen Entsprechungen;

8. Kurzer Bescheid über die Entwicklung des Sozialismus;

9. Die geschichtliche Schule, die Sozialpolitik, die Grenznutzenlehre;

10. Die gegenwärtige Volkswirtschaftslehre.

V. J. Schumpeter, Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte im Grundriss der Sozialökonomik, Band I. 2. Aufl. 1924.

1. Die Entwicklung der Sozialökonomik zur Wissenschaft;

2. Die Entdeckung des wirtschaftlichen Kreislaufs;

3. Das klassische System und seine Ausläufer;

4. Die historische Schule und (!) die Grenznutzentheorie.

VI. Edgar Salin, Geschichte der Volkswirtschaftslehre. 2. Aufl. 1929.

1. Vorgeschichte:

I. Athen;

II. Rom;

III. Das katholische Europa (Mittelalter).

2. Geschichte:

I. Die merkantilistische Ökonomik: politische Wissenschaft;

II. Physiokraten und Klassiker: systematische Wissenschaft;

III. Sozialismus und Historismus: evolutionistische Wissenschaft;

a) Der Sozialismus,

b) Der Historismus.

3. Nachfahren und Vorläufer.

Die Salinsche Einteilung ist die verhältnismäßig beste, obwohl auch sie von den oben vermerkten Fehlern nicht frei ist: politischsystematisch, sozialistisch- historistisch sind Merkmale, die je in verschiedenen Ebenen liegen.

Drittes Kapitel: Die Unbestimmtheit der Namengebung

Verschiedene Bedeutungen des Wortes Économie (S. 14); des Wortes Economy (S. 14); des Wortes Wirtschaft (S. 15). Schwankende Bezeichnung der Wissenschaft von der Wirtschaft (S. 17). Das Wort Nationalökonomie (S. 18). Plan des Buches (S. 19).

Aus dem Lateinischen ist dann das Wort in die romanischen Sprachen und von da ins Englische übergegangen und behält hier in den Ausdrücken economia, économie, economy seine Doppeldeutigkeit bei, und zwar vor allem im Beiwort, das die Verwirrung offenbar angerichtet hat.

Im Französischen bedeutet »Économie« (nach Sachs-Villatte):

3. Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit; so: vivre avec é., faire des é.

Das englische Wort »Economy« hat folgende Bedeutungen (nach Muret-Sanders):

1. Haushaltung, »Wirtschaft« (II);

2. Ersparnis, Ausnutzung (der Zeit z.B.);

3. Sparsamkeit;

4. Anordnung, Organisation, System; z.B. in den Wendungen: E. of heaven; E. of nature; E. of salvation (= Heilsordnung).

Die gleichen Bedeutungen finden sich im Beiwort economic. Neben dem romanischen Wort economy hat die englische Sprache noch das germanische Wort »thrift«. Dieses bedeutet eine nur gute Wirtschaft, Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und niemals Wirtschaft im Sinne von Unterhaltsfürsorge. Es war also nicht ganz glücklich, als Schlegel: »thrift, Horatio, thrift!« mit »Wirtschaft, Horatio, Wirtschaft!« übersetzte. Mindestens war es irreführend.

Im Deutschen sind die Dinge gar erst verwickelt, und wir stehen vor ungelösten Sprachrätseln. Das Seltsame ist, dass in unserer Sprache sich ein Bedeutungswandel der Worte Wirt, Wirtschaft, Wirtschaftlichkeit von Grund aus vollzogen hat. Im Alt- und Mittelhochdeutschen bedeuten die Ausdrücke etwas völlig anderes als heute: Wirt heißt ahd. und mhd. der Hausherr, Eheherr, Schutzherr, der einen gastlich aufnimmt, der Bewirter, hospes; im Mhd. außerdem noch Landesherr, Bitter, der andere Gesellen bei sich hat, Inhaber eines Wirtshauses (Gastwirt). Wirtscaft (ahd.), Wirtschaft (mhd.) bedeuten: i. Bewirtung, alles, was zur Bewirtung gehört; 2. festliche Bewirtung, Fest, insbesondere Gastmahl, Gasterei, Schmaus; 3. übertragen: a) das hl. Abendmahl, b) die himmlische Freude, die ewige Seligkeit (!); 4. mhd. noch Eigenschaft, Tätigkeit als Wirt. Wirtscaftsjan, wirtskaften (ahd.), wirtschaften (mhd.) bedeutet: ein Gastmahl ausrichten oder abhalten, schmausen, epulari. (Nach Schade, Altdeutsches Wörterbuch, und Wilh. Müller und Friedrich Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch.)

Ich möchte diesen Sinn der Worte als den seigneurialen bezeichnen: er bezieht sich nur auf die Verausgabung von Gütern und nimmt weder Rücksicht auf deren Beschaffung, noch auch auf ihre »sparsame« Verwendung. Diese Bedeutungen, die das Wort später bekommt, tragen ein ausgesprochen bürgerliches Gepräge.

Die Worterklärungen, die unsere Wörterbücher, unter denen Sanders am ausführlichsten ist (Grimms Wörterbuch reicht im Buchstaben W z.Z. erst bis Windschaften) von der heutigen Bedeutung der Worte Wirt, Wirtschaft, Wirtschaften, Wirtschaftlich, Wirtschaftlichkeit geben, befriedigen durchaus nicht. Sie sind weder vollständig, noch treffen sie die wesentlichen Unterschiede, noch versuchen sie eine Ableitung der verschiedenen Begriffe. Die Aufzählung, die Sanders von den Bedeutungen des Wortes Wirtschaft macht, ist folgende:

1. »die Kunst, als Wirt zu walten und (!) die praktische Ausübung (der Betrieb) derselben, wie auch (!) das Bereich solcher Ausübung und (!) die ganze Einrichtung des in dies Bereich Gehörenden, zunächst (!) in Bezug auf Haus- und Landwirte, dann auch verallgemeint«;

2. »das in sich abgeschlossene Bereich, worin jemand als Wirt waltet, mit allem Zubehör« [war ja in der Bedeutung 1. schon enthalten. W.S.];

3. eine Art von Hofmaskerade;

4. ein vielgeschäftiges Treiben, namentlich ein wildes, durcheinander lärmendes, tobendes Treiben, oft mit dem Nebenbegriff des Unfugs.

(In diesem Sinne braucht das Wort der junge Goethe mit Vorliebe in den jetzt veröffentlichten Briefen: siehe in der Ausgabe von Philipp Stein (o.J.) Nr. 163, 165, 189, 238, 253, 254 u. ö.)

Danach soll dann das Wort »Wirtschaftlich« bedeuten: 1. »zur Wirtschaft gehörig, darauf bezüglich«; 2. »der guten Wirtschaft (Ökonomie) gemäß«. (Hier sind die beiden Hauptbedeutungen richtig wiedergegeben.) Und Wirtschaften heißt (ebenfalls nach Sanders):

1. Wirtschaft [welche? W.S.] treiben; 2. Schankwirtschaft treiben;

3. ein wildes Treiben vollführen: »toll, wild, bunt, furchtbar« wirtschaften.

Man sieht: die Ausführungen der Fachmänner machen uns nicht klüger. Vielleicht gibt es auch gar keine Möglichkeit, Sinn in den Wirrwarr zu bringen, und wir, die wir die schwierige Aufgabe lösen sollen, eine Wissenschaft von der »Wirtschaft« aufzubauen, müssen uns mit der Tatsache abfinden, dass wir es mit einem Worte zu tun haben, das in tausend Farben schillert. Da können wir uns nur dadurch helfen, dass wir mit diktatorischer Willkür erklären: das wollen wir unter Wirtschaft verstehen, wie ich es oben versucht habe.

Um die Vieldeutigkeit des deutschen Wortes Wirtschaft zur Anschauung zu bringen, gebe ich noch eine – leicht zu erweiternde – Übersicht über die verschiedenen Verbindungen, in denen das Wort Wirtschaft gebraucht wird: der Leser wird unschwer die zwei Grundbedeutungen, die ich herauszuarbeiten versucht habe, immer wieder finden, und wir können vielleicht eine dritte Bedeutung noch dazu nehmen, in der das Wort soviel heißt wie ein Betrieb (z.B. eine Schankwirtschaft). Verbindungen, die das Wort Wirtschaft eingeht, sind (ebenfalls nach Sanders):

Acker-

Feld-

Junggesellen-

Privilegien-

Alltags-

Finanz-

Kaffee-

Sau-

Alpen-

Folter-

Keller-

(Schweine-)

Ameisen-

Forst-

Kneip-

Schand-

(hier wird es

Fraktions-

Knuten-

Schein-

falsch verwandt) Boden-

Fuhrmanns-

Konstitutions-

Speise-

Banditen-

Gast-

Koppel-

Staats-

Bauern-

Geld-

Kuh-

Theater-

Behelf-

Groß-

Land-

Vieh-

Bettel-

Günstlings-

Maitressen-

Volks-

Bienen-

Guts-

Milch-

Wald-

(wie oben)

Haus-

Miss-

Wasser-

Bier-

Heiden-

Neben-

Wüstlings-

Buden-

Hof-

Natural-

Zelt-

Dreifelder-

Hütten-

Papier-

Zunft-

Fastnachts-

Janitscharen-

Polizei-

Wird die Unbestimmtheit der Namengebung bei der Benennung der Sache dadurch hervorgerufen, dass verschiedene Begriffe mit einem Worte bezeichnet werden, so bei der Bezeichnung der Wissenschaft von der Wirtschaft dadurch, dass für eine Sache mehrere Ausdrücke verwendet werden: für eine Sache, das heißt die Wirtschaft, die gerade jeder meint. Auf den Gedanken, die zwei Wissenschaften von den zwei Wirtschaften durch je einen besonderen Namen zu unterscheiden, ist dagegen seltsamerweise noch niemand gekommen. Unterschieden werden allerdings die Lehre von den privaten oder einzelnen Wirtschaften und die Lehre von der gesellschaftlichen Wirtschaft; innerhalb dieser beiden Gebiete herrscht aber in der Namengebung vollständige Willkür.

Die Ausdrücke, die die Lehre von der gesellschaftlichen Wirtschaft bezeichnen sollen, sind zahlreich.

Im Deutschen sind die wichtigsten folgende: Nationalökonomie, Nationalökonomik, Politische Ökonomie, Sozialökonomie, Sozialökonomik, Sozialwirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Staatswirtschaftslehre, Nationalwirtschaftslehre;

im Französischen: Économie politique (zuerst Montchrétier 1615), Économie sociale, Économie industrielle (so wurde der Lehrauftrag des Lehrstuhls genannt, den man 1819 für J.B. Say errichtete), Science économique (Cherbuliez), Chrysologie ou ploutonomie (Rob. Gujard), Ploutologie ou ergonomie (Courcelle-Seneuil);

im Italienischen: Economia politica, Economia nazionale (Ortes), Economia sociale, Economia civile, Economia publica;

im Englischen: Political Economy, Public Economy, Economic Science, Economics, Cattalactic (Whateley).

Sehr viele Ausdrücke in allen Sprachen kranken an dem Fehler, dass sie die Wissenschaft mit dem Ausdruck benennen, der eigentlich die Sache, den Gegenstand der Wissenschaft, nämlich die Wirtschaft, bezeichnet: Politische Ökonomie, Économie politique, Economia politica, Political Economy – die gebräuchlichsten Ausdrücke – bedeuten doch in wörtlicher Übersetzung »politische Wirtschaft«, nicht die Wissenschaft von der politischen Wirtschaft. Man verfährt hier also so – wiederum ein Zeichen der Zerfahrenheit, die in unserer Wissenschaft herrscht –, als wenn man statt Jurisprudenz Recht, statt Theologie Gott, statt Mineralogie Steinreich sagen würde, um die Wissenschaft von Recht, Gott und Steinreich zu bezeichnen. In dem Worte »Nationalökonomie« stecken gleich zwei Fehler: es handelt sich weder um »Ökonomie« noch um »National«. Das Wort ist also völlig sinnlos. Darum wähle ich es, weil es in seiner Sinnlosigkeit am wenigsten mit methodologischen Ansprüchen belastet ist, wie etwa die verfahrenen, wissenschaftlich ganz unzulässigen Bezeichnungen Politische Ökonomie und Volkswirtschaftslehre. Es kommt dazu, dass das Wort Nationalökonomie sich im Deutschen doch eingebürgert hat als der Ausdruck, der die Lehre von der Gesellschaftswirtschaft und namentlich das Studium dieses »Faches« bezeichnet. Der Student, der gefragt wird, was er studiert, wird in 99 von 100 Fällen antworten: Nationalökonomie, und nicht: Politische Ökonomie oder Volkswirtschaftslehre oder Sozialökonomik usw. Also mag es bei diesem volkstümlich gewordenen Worte sein Bewenden haben. Dass ein unsinniges Wort sich eingebürgert hat und dann einen ganz bestimmten Erkenntniszweig bezeichnet, ist nichts Neues. Das Schicksal des erlauchten Wortes »Metaphysik« beweist es.

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Wenn ich es auf den folgenden Blättern unternehme, ein wenig Ordnung in dieses Chaos, das die vorstehende Skizze aufgedeckt hat, zu bringen, so bediene ich mich dabei eines Verfahrens, von dem man sich nur wundern muss, dass es in unserer Wissenschaft nicht längst zur Anwendung gebracht worden ist. Ich versuche, die verschiedenen Auffassungen, die bisher in der Nationalökonomie zutage getreten sind, auf ihre letzten Erkenntnisgrundlagen zurückzuführen. Dadurch erfassen wir nicht nur ihre Wesenheit, aus der sich alle weiteren Einzelheiten der nationalökonomischen Lehren von selbst ergeben, sondern wir gewinnen auch die Möglichkeit, die vielen Meinungen und Ansichten gleichsam auf eine Ebene zu projizieren und sie dadurch miteinander vergleichbar zu machen. Grundeinstellungen zu unserem Gegenstande – der menschlichen Wirtschaft – gibt es aber, wie zu allen übrigen Bestandteilen der Kultur, drei und nur drei: die metaphysische, die naturwissenschaftliche und die geistwissenschaftliche, die zu drei verschiedenen Gestaltungen der Nationalökonomie geführt haben und immer wieder führen: der richtenden, der ordnenden und der verstehenden Nationalökonomie, wie ich sie nennen will. Wie der Leser aus dem Inhaltsverzeichnisse ersieht, versuche ich in dem folgenden zweiten (Haupt-)Teile des Buches, das Wesen dieser drei Richtungen nach sachlichen Gesichtspunkten und in ihren wichtigsten Vertretern zur Darstellung zu bringen. Dazu muss ich voraufschicken, dass sich die drei Gestalten des nationalökonomischen Denkens fast nie rein in den einzelnen Systemen ausgeprägt finden. Reine Systeme, das heißt also solche, die nur der richtenden oder der ordnenden oder der verstehenden Nationalökonomie angehören, zählen zu den Ausnahmen. Ein reines System der richtenden Nationalökonomie, deren es verhältnismäßig am meisten gibt, ist etwa das des H. Thomas, der ordnenden Nationalökonomie das Paretos, der verstehenden das meinige. Die Regel hingegen ist eine Mischung verschiedener Grundhaltungen: der richtenden und ordnenden Nationalökonomie etwa bei den Physiokraten und manchen »Klassikern«, der ordnenden und der verstehenden Nationalökonomie etwa in den Systemen vieler deutscher Vertreter der sogenannten historischen Schule, der richtenden, ordnenden und verstehenden Nationalökonomie etwa in dem Systeme von Karl Marx. Aber das ist für meine Art der Betrachtung und für die Erfüllung der Aufgabe, die sich dieses Buch stellt, unwesentlich. Denn ich will keine Dogmengeschichte schreiben, wenn auch die vorliegende Schrift alle bisher geäußerten belangvollen Ansichten über unseren Gegenstand in Rücksicht zieht. Aber das geschieht nicht aus geschichtlichem Interesse, sondern in rein verfahrenswissenschaftlicher Absicht: die Ansichten vergangener Forscher werden ausschließlich zu dem Zweck angeführt, um an ihnen die Eigenart der gewählten Grundeinstellung und der befolgten Methode zu veranschaulichen.

Dass ich ausführlicher bei der verstehenden Nationalökonomie verweile und für sie ein vollständiges Schema des Systems zu entwerfen versuche, rechtfertigt sich nicht nur durch die persönliche Anteilnahme, die ich dieser Art der Forschung entgegenbringe, sondern auch durch die Tatsache, dass die verstehende Nationalökonomie als Ganzes bisher überhaupt noch nicht zum Gegenstand erkenntnistheoretischer und verfahrenswissenschaftlicher Erörterungen gemacht worden ist. Es handelt sich hier also um einen ersten Versuch, der mir naturgemäß Pflichten auf erlegt.

In einem dritten Teile unterfange ich mich dann, die Frage zu beantworten, ob es außer den und neben oder über den im vorhergehenden Teile abgehandelten drei Nationalökonomien noch so etwas wie ein Ganzes der Lehre von der Wirtschaft gibt, was darunter etwa zu verstehen und wie es etwa zu gliedern sei.

Zweiter Teil: Die drei Nationalökonomien

Erster Abschnitt: Die richtende Nationalökonomie

Viertes Kapitel: Die Erkenntnisziele der richtenden Nationalökonomie

Die Nationalökonomie als Normwissenschaft (S. 21). Unterscheidung von »praktischer« Nationalökonomie (S. 21) und teleologischer Betrachtungsweise (S. 21). Inhalt der Gesamterkenntnis: die »richtige« Wirtschaft (S. 22). Warum »richtende« Nationalökonomie? (S. 23). Die drei Systeme dieser Nationalökonomie (S. 23).

Die richtende Nationalökonomie will lehren nicht sowohl das, was (in Wirklichkeit, unter der hier immer soviel wie Verwirklichung in Raum und Zeit, wo es sich um Kulturerscheinungen handelt, also soviel wie Geschichte verstanden wird) ist, als vielmehr das, was sein soll. Ihre Vertreter fassen also die Nationalökonomie als eine Normwissenschaft auf.

Diese »normative« Nationalökonomie (ein Ausdruck, der jetzt oft in sehr salopper Weise gebraucht wird und seiner Vieldeutigkeit wegen lieber vermieden werden sollte) hat als Gegensatz die »explikative« Nationalökonomie, die die Zusammenhänge der Wirklichkeit erkennen will. Sie ist nicht etwa gleichzusetzen dem, was man üblicher- und sehr verschwommenerweise als »praktische« Nationalökonomie bezeichnet. Diese ist, wenn man dem Worte überhaupt einen vernünftigen Sinn unterlegen will, wie wir noch genauer sehen werden, eine Lehre, die es sich zur Aufgabe macht, Mittel für gesetzte Zwecke aufzufinden, das heißt also (in der Kantschen Sprechweise) hypothetische Imperative, »Imperative der Geschicklichkeit« aufzustellen, und die sich dadurch als Kunstlehre zu erkennen gibt: siehe darüber das 17. Kapitel.

Noch viel weniger hat die richtende Nationalökonomie zu tun mit der »teleologischen« oder Zweck-Mittel-Betrachtungsweise, die nichts anderes als die Anwendung einer bestimmten Arbeitsidee bedeutet (wie später ebenfalls noch zu zeigen sein wird: siehe das 12. Kapitel), bei der wir die Erscheinungen unter dem Gesichtspunkte des Zweckes ordnen: ein in jeder Kulturwissenschaft aus naheliegenden Gründen sehr beliebtes Verfahren. Die meisten nationalökonomischen Begriffe sind Zweckbegriffe wie: Kapitalistische Unternehmung, Kapital, Ertrag, Produktion und ihre Verwendung schließt schon die »teleologische« Betrachtungsweise ein, die nichts anderes als die »umgekehrt kausale« Betrachtungsweise ist und offenbar keine Beziehung zu jener Auffassung hat, die der Wissenschaft zur Aufgabe stellt, selbst Zwecke zu bestimmen, das heißt aber (für die Wirtschaft) »kategorische« Imperative zu formen, wie es die richtende Nationalökonomie sich anheischig macht.

Diese Imperative, dieses Sollen, diese Normen, diese Richtsätze für praktisches Verhalten sind nun aber für die Vertreter dieser Nationalökonomie – das ist der Springpunkt – Aufgabe des Erkennens, sofern das Sollen in der Weltordnung angelegt ist und aus ihr herausgelesen werden kann. Es gilt die ewigen Gesetze zu erforschen, die die sittliche Welt beherrschen und auch dem wirtschaftenden Menschen sein Tun vorschreiben. Über die geistigen Zusammenhänge, die diese Annahme begründen, spreche ich ausführlicher im 6. Kapitel.

Der Inhalt der Gesamterkenntnis ist die »richtige Wirtschaft«, das heißt die dem Sinn der Welt, den Aufgaben der Menschheit, den Lebensbedingungen der Gesellschaft angemessene, »ädaquate« Wirtschaft. Die Erforschung dieser »richtigen Wirtschaft« ist daher das Hauptziel der richtenden Nationalökonomen. Die Kategorien, mit deren Hilfe sie ihre Wissenschaft aufbauen, sind sämtlich von der Zentralidee der »richtigen Wirtschaft« her bestimmt. Es sind soziologische Begriffe wie Beruf, Berufsidee, Stand oder Richtbegriffe wie der gerechte Preis, der gerechte Arbeitslohn, die gerechte Verteilung oder Wertbegriffe wie Ausbeutung usw. Die Gestaltung der Wirtschaft ist richtig oder falsch, je nachdem sie den Grundsätzen der »richtigen« Wirtschaft entspricht oder nicht. Das »Richtige« ist das Wertvolle, der oberste Wert ist die richtige Wirtschaft, von der alle Einzelwerte abgeleitet werden. Die Werte sind der Erkenntnis zugänglich. Diese hat aber eine doppelte Aufgabe: sie muss die absoluten Werte und die ihnen entsprechende Gestaltung der Wirtschaft auffinden und muss dann die Wirklichkeit an diesem erkannten Richtig-Wertvollen ausrichten und die Abweichungen der Wirklichkeit vom Ideal feststellen. Wegen dieser wichtigsten Aufgabe, die sich diese Nationalökonomie stellt, habe ich sie, wie ich glaube mit Recht, als »richtende« bezeichnet. Das alles wird noch greifbarere Gestalt annehmen, wenn wir im 6. Kapitel den Erkenntnisgehalt der richtenden Nationalökonomie einer Kritik unterziehen. Hier sollten nur ihre Erkenntnisziele möglichst scharf umrissen werden, damit wir die richtige Einstellung haben, wenn ich nunmehr die Lehren dieser Nationalökonomie in einem Überblick dem Leser vor Augen führe.

Eine gesonderte Darstellung dieser richtenden Nationalökonomie und eine Heraushebung aller Bestandteile dieser Art aus den Systemen, die nicht ausschließlich dieser Richtung angehören, erachte ich als eine meiner wichtigsten Aufgaben. Die Erkenntnis, dass hier eine ganz eigentümliche Art, die Dinge anzusehen, vorliegt und worin diese besondere Art besteht, ist die notwendige Voraussetzung für alles Verständnis der nationalökonomischen Problematik.

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Wenn ich es im folgenden Kapitel unternehme, einen Überblick über einige der ausgeprägtesten Lehrmeinungen dieser richtenden Nationalökonomie zu geben, so bieten sich wie von selbst drei Gruppen von Systemen dar, die je durch die eigenartige metaphysische Grundlage gekennzeichnet werden, auf der sie ruhen. Wir können auch sagen: durch das besondere Naturrecht, auf das ihre Lehren ausgerichtet sind. Und können des weiteren feststellen, dass den drei verschiedenen philosophischen Grundhaltungen drei verschiedene religiöse Glaubenssysteme entsprechen. Die drei Gruppen richtender Nationalökonomie, die ich solcherweise unterscheide, sind: die Scholastiker, die Harmonisten und die Rationalisten, denen eine theistische, eine deistische und eine pantheistische (atheistische) Einstellung ungefähr entspricht.

Fünftes Kapitel: Die Vertreter der richtenden Nationalökonomie und ihre Lehren

1. Die Scholastiker

a) Aristoteles

Gesamteinstellung des Aristoteles zur Wirtschaft (S. 24). Unterscheidung zweier wirtschaftlicher Tätigkeiten und Lehren davon (S. 25).

Wir können auch der scholastischen Nationalökonomie wie aller scholastischen Philosophie nicht gerecht werden, wenn wir uns nicht vorher mit den Lehren des Aristoteles bekannt gemacht haben.

Aristoteles ist ja derjenige Denker, der am tiefsten auch die Probleme des Wirtschaftslebens erfasst hat und der mit seiner Art der Betrachtung auch für die Lehre von der Wirtschaft zweitausend Jahre hindurch die Richtlinien vorgezeichnet hat.

Während nun Aristoteles über die »richtige« Wirtschaft sehr viele noch heute beachtenswerte Bemerkungen gemacht hat, auf die ich natürlich in diesem Zusammenhange nicht einzugehen brauche, erledigt er die Erwerbswirtschaft mit einigen verächtlichen Bemerkungen. Er hält sie, wie es Salin treffend ausdrückt, der Analyse nicht für wert, sondern wirft sie aus der Polis heraus: richtende Nationalökonomie!

b) Die Hochblüte der Scholastik

Die Lehre von der Wirtschaft ist theonom (S. 25). Das Naturrecht (S. 26). Die richtige Wirtschaft (S. 26). Idee des Universalismus (S. 27). Die Berufsidee (S. 27). Die Bestandteile der richtigen Wirtschaft (S. 27). Die Humanisten und die Reformatoren (S. 29).

Zu ihrer höchsten Ausbildung gelangt dann die scholastische Nationalökonomie wie bekannt in den Schriften der mittelalterlichen Theologen, vor allem bei Thomas von Aquino im 13. Jahrhundert und bei den Spätscholastikern Antoninus von Florenz und Bernhard von Siena im 15. Jahrhundert.

Wie bei Aristoteles einen Teil seines philosophischen Systems, so bildet die Lehre von der Wirtschaft bei den mittelalterlichen Scholastikern einen Zweig innerhalb ihres theologischen Systems. Sie ist jetzt theonom. Das einigende Band ist nicht mehr die Polis, sondern das Christentum. Als Aufgabe der Erkenntnis erscheint nicht sowohl die Ergründung des ausführlichen Zusammenhanges der Einzelerscheinungen als ihrer ideellen Bedeutung, das heißt ihrer Stellung im Kosmos, ihrer Bedeutung im Hinblick auf den göttlichen Weltenplan. Wobei es dem Menschen Vorbehalten bleibt, in seiner Freiheit, den richtigen oder einen falschen Platz einzunehmen. Ihn auf den richtigen Weg zu führen, ist die vornehmste Aufgabe der Erkenntnis. Dieser richtige Weg ist vorgezeichnet in dem ewigen Gesetz. Dieses wirkt in aller Kreatur und alle Gesetzmäßigkeit ist Anteilnahme an diesem obersten Gesetze, ist lex aeterna. Der Mensch nimmt Anteil mittels seiner Vernunft: »talis participatio legis aeternae in rationali creatura lex naturalis dicitur«1. Die menschliche Vernunft erscheint also, kraft ihres Vermögens dieser Teilnahme an dem göttlichen Gesetz, als »Stimme und Dolmetsch« der ewigen Vernunft des Weltschöpfers selbst. Was als Naturgesetz das individuelle Leben regelt, wird als Naturrecht zum Fundament für das Leben der Gesellschaft2.

Das mittelalterliche Naturrecht ist entstanden durch eine Zusammenschweißung der biblischen Lehren des Alten wie des Neuen Testaments, vor allem des Dekalogs, mit der aristotelischen und der stoischen Philosophie, in der ebenso wie in der Offenbarung das ewige Gesetz erkannt worden ist.

In den göttlichen Weltenplan, den uns das ewige Gesetz kundgibt, ist nun auch die menschliche Gesellschaft und innerhalb dieser die menschliche Wirtschaft eingeordnet. Die Aufgabe der Erkenntnis ist es, die dem ewigen Gesetz gemäße Art zu wirtschaften, das heißt aber die richtige Wirtschaft zu bestimmen.

Die »richtige«, das heißt also die dem ewigen Gesetz gemäße Gesellschaftsordnung hat als Vorbild das Corpus mysticum der Kirche, das nach dem bekannten paulinischen Gleichnisse seine verschiedenen Stände und Berufe in sich ergänzender Arbeitsteilung darstellt. Es ist hier, wie es Tröltsch richtig ausdrückt, die organische Anschauung eines in seinen Gliedern arbeitsteiligen Ganzen auf die Gesellschaftslehre übertragen. Das ständische soziale System und das scholastische Denken bedingen und entsprechen einander. Man könnte sagen, dass beiden die Idee des Universalismus zugrunde liegt. In beiden Fällen sind die einzelnen Glieder nicht jedes für sich auf die letzten Werte und Prinzipien bezogen, wie es dem modernen Individualismus entspricht, »der jedem auf eigene Weise unmittelbaren Anteil am Sinne des Ganzen geben will«, also ohne Vermittlung eines Standes oder eines Amtes. Vielmehr bedarf es der »Vermittlung eines Ganzen, in dem die einzelnen Glieder äußerlich architektonisch verbunden sind und an dem sie nur in sehr abgestufter, quantitativer Weise teilhaben«3. Der Grundgedanke eines Totum perfectionale, Gott, das durch »Ausgliederung« ein Teilganzes aus dem anderen entlässt und dadurch die Welt schafft, führt also in soziologischer Betrachtung mit Notwendigkeit zu der ständischen Gliederung und damit auch zu der ständisch gegliederten Wirtschaft als der »richtigen« Wirtschaft.

Die verschiedenen Berufe, in denen die dem einzelnen angemessene, wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, stehen in einer verschiedenen Entfernung zu Gott: sie bauen sich in Gestalt einer Pyramide auf, worin die ständische Verfassung zutage tritt. Die Achsendrehung, die Luther vornahm, bestand darin, dass er die Berufsidee demokratisierte, indem er die Notwendigkeit einer ständischen Schichtung leugnete und jeden Beruf gleich nahe zu Gott erklärte. Hatte Thomas die Gesellschaft im Bilde einer Pyramide gesehen, so sah sie Luther in Gestalt einer Kugel, während dann Calvin die Berufsidee völlig über Bord warf und jede Arbeit des einzelnen als Gott wohlgefällig anerkannte, sofern sie nur erfolgreich war. Das Bild, in dem er die Gesellschaft sah, lässt sich etwa in der Gestalt von Linien vorstellen, die von jedem einzelnen unmittelbar auf Gott zulaufen.

Die »richtige« Wirtschaft, wie sie die Scholastiker sahen, ruht als auf ihrer festesten Grundlage, auf dem Privateigentume, das wie folgt naturrechtlich begründet wird: »Manifestum est quod homo indiget ad suam vitam aliis animalibus et plantis. Sed natura neque dimittit aliquid imperfectum, neque facit aliquid frustra. Ergo manifestum est quod natura fecit animalia et plantas propter hominem. Sed quando aliquis acquirit id quod natura propter ipsum fecit, est naturalis acquisitio. Ergo possessiva, qua huiusmodi acquiruntur, quae pertinent ad necessitatem vitae, est naturalis.«4

Dem Eigentumsrecht des einzelnen entspringt eine Wohltätigkeitspflicht: im Besitze besteht Privateigentum an den Gütern, im Gebrauch Gemeineigentum. »Aliud quod competit homini circa res exteriores, est usus ipsarum. Et quantum ad hoc non debet homo habere res exteriores ut proprias sed ut communes: ut scilicet de facili aliquis eas communicet in necessitates aliorum.«5

»Bona temporalia, quae homini divinitus conferuntur, eius quidem sunt quantum ad proprietatem: sed quantum ad usum, non solum debent esse eius, sed etiam aliorum, qui ex eis sustentari possunt ex eo quod ei superfluit.«6

»Res quas aliqui superabundanter (was »relativ« gedacht ist) habent, ex naturali jure debentur pauperum sustentationi.«7

Den wirtschaftlichen Prozess haben die Scholastiker, gemäß den Anforderungen ihrer Zeit, vornehmlich nach drei Richtungen hin untersucht: in Bezug auf das Geldwesen, in Bezug auf die Preisbildung und in Bezug auf die Kreditwirtschaft.

Sie haben demgemäß eine Lehre vom »richtigen« Gelde aufgestellt, und was Oresmius in seiner Predigt dargelegt hat8, ist nichts anderes, als was die Summae längst enthielten. Sie haben ferner eine Lehre vom »richtigen« oder »gerechten« Preise, dem justum pretium entwickelt und haben ebenso Regeln gegeben für eine richtige Kreditgewährung, indem sie den Zins teilweise verboten (für Konsumtivkredit), teilweise erlaubten und sogar begünstigten (für Produktivkredit). Für die scholastische Zinslehre sind vornehmlich die obengenannten Spätscholastiker zu Rate zu ziehen, bei denen sich eine weitausgebaute Kapital- und Zinstheorie findet9.

Die Einstellung bleibt dabei immer dieselbe: zu erkennen ist, quod Deo placere potest, das ist aber das, was der Lex aeterna gemäß ist. Dabei wird die Wirtschaft wie in der Antike immer nur als Mittel betrachtet, das in einen allgemeinen Kosmos der Werte an einem bescheidenen Platze einzuordnen ist.

Diese Ansichten von der Wirtschaft dauern ein bis zwei Jahrhunderte über das Mittelalter hinaus. Das Reformationszeitalter bedeutet eher eine weitere Abkehr von den weltlichen Dingen (wenn wir seine Ansichten etwa mit denen der Spätscholastik vergleichen). Luthers abschätziges Urteil über den Reichtum ist bekannt: »Reichtum ist die allerkleinste Gabe, die Gott einem Menschen geben kann. Was ist´s gegen Gottes Wort? Ja, was ist’ s noch gegen die leiblichen Gaben, als Schönheit, Gesundheit und gegen die Gaben des Gemüts, Verstand, Kunst, Weisheit? Darum gibt unser Herrgott gemeiniglich Reichtum den groben Eseln, denen er sonst nichts gönnet.«10

Die wirtschaftstheoretischen Ausführungen der Humanisten und Reformatoren bringen, was das Verfahren betrifft, grundsätzlich nichts Neues. Ihre Einstellung ist die der richtenden Nationalökonomie, ihre Bewertung der Wirtschaft die der Antike und des Mittelalters.

Eine Zeitlang, namentlich während des 18. Jahrhunderts, hat sich dann die Nationalökonomie um die scholastische Philosophie wenig gekümmert. Es kamen andere Götter auf, zu denen man betete: die naturalistische Metaphysik gelangte zur Herrschaft, wie wir das im nächsten Unterabschnitte verfolgen werden. Erst das 19. Jahrhundert brachte eine Wiedergeburt der Scholastik und damit auch der scholastischen Nationalökonomie, die heute mehr denn je in Blüte steht.

c) Die Scholastik im 19. Jahrhundert

Die Romantiker, insbesondere Adam Müller (S. 29). Vte Alban de Villeneuve-Bargemont (S. 31). Wiedererweckung der Scholastik (S. 32). Matteo Liberatore (S. 32). Charles Henry Xavier Périn (S. 35). Georg Ratzinger (S. 35). Othmar Spann (S. 36).

Die ersten, die zwar nicht ausdrücklich die Scholastik, aber doch die katholische Philosophie und Theologie im weiteren Verstand für eine Grundlegung der Nationalökonomie wieder in Anspruch nehmen, sind die Romantiker, ist vor allem Adam Müller (1779 bis 1829) in eigener Person, jener Ungefährdenker, der heute wieder von einer mächtigen, wissenschaftlichen Partei als der Bahnbrecher der Nationalökonomie gefeiert wird. Hier kommt es mir selbstverständlich nicht darauf an, seine Lehren zur Darstellung zu bringen oder zu würdigen. Vielmehr genügt es mir festzustellen, dass Adam Müller Vertreter einer richtenden Nationalökonomie auf scholastischer Grundlage ist. Die »Ökonomik« nennt er »die Wissenschaft von Heil und Unheil, von Segen und Fluch«. Sein Erkenntnisziel ist die Einsicht in das Wesen der »richtigen« Wirtschaft, und den Weg zu diesem Ziele weist ihn die göttliche Offenbarung in der Heiligen Schrift. Diesen Standpunkt hat er vertreten vor allem in zwei kleinen Schriften verfahrenswissenschaftlichen Inhalts, deren Titel allein genügt, um die Grundeinstellung ihres Verfassers zu kennzeichnen. Es sind die Schriften: »Von der Notwendigkeit einer theologischen Grundlage der gesamten Staatswissenschaften und der Staatswirtschaft insbesondere« (1819), und: »Die innere Staatshaushaltung systematisch dargestellt auf theologischer Grundlage« (1820).

Es heißt darin: »Jeden irdischen Gegenstand scheint die reine und unbedingte Idee seiner Wesenheit, es scheint ihn sein Urbild zu begleiten. Möchten wir erkennen, dass alle jene Urbilder nicht durch Abstraktion, nicht durch eine beliebige Reinigung des Wissens von seinen irdischen Bedingungen entstehen oder gemacht werden, dass sie nicht in der abgeschlossenen Sphäre unserer Wissenschaft, sondern dass sie sämtlich der Welt des Glaubens angehören, welche der Welt des Wissens voranging und diese letztere überall stützet und trägt; kurz, dass sie von oben gegeben und geoffenbaret, nicht aber unser Machwerk sind, und dass der Abglanz der Majestät, der auf ihnen ruht, eben daher komme, dass sie ohne uns vorhanden sind.«11

Und dann weiter: »Die Ökonomik oder allgemeine Staatswirtschaft ... hat es mit der positiven Einrichtung Gottes, des Hausvaters, zu tun, über die wir in den Schriften des alten und neuen Bundes, in der mosaischen und christlichen Verfassung und überhaupt in der positiven Geschichte der Natur und aller Länder und Völker der Erde so vielfältige Auskunft finden. In der bloßen Natur, ohne deren geoffenbarten, göttlichen Kommentar, in der bloßen Vernunft, ohne deren Erfüllung durch die göttlichen Offenbarungen, finden wir niemals das Geheimnis der Haushaltung und die wahre Erkenntnis dessen, was nützlich und schädlich ist.«12

Und endlich: »Sobald an der Hand der göttlichen Offenbarungen sich die bessere Erkenntnis von der Bestimmung des Geschlechtes einstellt, ebenso bald leuchtet auch die wahre Bestimmung des Einzelnen und was zur Förderung der Bildung desselben gehöre, ein ... Inwiefern die lebendige Haushaltung der Staaten ... als ein Ideal der Vernunft oder als eine Aufgabe, welche eben diese Vernunft aus eigener Machtvollkommenheit zu lösen habe, aufgestellt wird, ist und bleibt sie ... ein Traum, der außer aller praktischen Beziehung mit dem in Elend und Sünde befangenen Geschlecht steht ... Ganz anders aber ist es, wenn die lebendige Haushaltung der Staaten als das Werk Gottes in demütiger Unterwerfung und unter der strengen Zucht der positiven göttlichen Offenbarungen dargestellt wird.«13

Aufgabe der Wissenschaft ist »treue Erforschung der positiven göttlichen Eröffnungen und Einrichtungen auf Erden: und es wird sich ein sichtbares Reich der höheren politischen Ordnung vor unseren Blicken auftun«.

Ähnlichen Gedanken begegnen wir in jener Zeit an verschiedenen Stellen. Sie werden ausgelöst und gefestigt durch die mannigfachen sozialen Probleme, die der Kapitalismus zumal als Industrialismus mit sich bringt. Wir finden daher diese katholischen und katholisierenden Auffassungen mit Vorliebe angewandt auf die »Arbeiterfrage«, die damals ihre ersten Schatten über die so »harmonische« Wirtschaftsverfassung zu werfen begann. Ein typischer Vertreter dieser katholischen Nationalökonomie des frühen 19. Jahrhunderts ist Vte Alban de Villeneuve-Bargemont, dessen bekanntes Werk: Économie politique chrétienne ou recherches sur la nature et les causes du pauperisme in drei Bänden 1834 erschien. Der Grundgedanke dieses Werkes ist dieser: Die Erbsünde ist die Wurzel alles Übels auf der Erde und letztlich auch der wirtschaftlichen Nöte. Erträglich kann dieses Dasein nur gestaltet werden, wenn wir die Gebote Gottes befolgen, unsere Bedürfnisse einschränken und unserem Nächsten helfen. Die neue Zeit hat diese Grundsätze verlassen, den Lehren der verweltlichten Nationalökonomie folgend. Wir müssen umkehren. Unser Wegweiser zum rechten Ziel ist die christliche Lehre: »Quelle philosophie humaine pourrait ainsi à la fois expliquer le mal et le guérir?«14

»La philosophie spiritualiste et chrétienne, rapporte tout à la destinée religieuse de l’homme. Elle aperçoit dans ses besoins, une preuve de sa dégradation primitive; dans ses souffrances, un moyen d´expiation par la vertu; dans le travail, un moyen de satisfaire les besoins, en même temps qu´une punition et une épreuve. L´économie politique qui en dérive(!), recommande donc et honore le travail, non seulement comme producteur du bien-être, mais encore comme l´accomplissement des lois de la Providence dans l´ordre social et dans l´ordre religieux. La civilisation, qu´elle veut exciter et produire, se fonde sur le travail honnête et sur le développement de l´intelligence, de la morale, de la religion et de la charité. Elle apprend surtout à réduire et à modérer les besoins.«15

Schriften dieser Art, deren es viele um jene Zeit gibt, entbehrten noch der sicheren Grundlage eines durchgebildeten, philosophischen Systems. Denn die scholastische Philosophie war in Vergessenheit geraten. Das änderte sich nun in dem Augenblick, als diese

Philosophie neu belebt wurde und von da ab in den Kreisen der katholischen Denker mit Bewusstsein wieder zur Grundlage aller Erörterungen gemacht wurde. Von da an gibt es eine neuscholastische Richtung nicht zuletzt auch in der Nationalökonomie.

Derjenige Mann, den wir als den Wiedererwecker der Scholastik, insonderheit des Thomismus, zu betrachten haben und der, wie wir sehen werden, im hohen Alter selbst noch ein Lehrbuch der Nationalökonomie verfasst hat, ist der italienische Jesuitenpater Matteo Liberatore (1810–1892; 1836 Philosophieprofessor in Neapel). Dieser gab 1840/42 in zwei Bänden die »Institutiones logicae et metaphysicae« heraus, das erste neuzeitliche Lehrbuch im Sinne des Thomismus. Im Jahre 1850 wurde er Mitbegründer der noch heute bestehenden, bekannten Jesuitenzeitschrift »Civiltà Cattolica«. Der Thomismus ist dann in einer Reihe von Systemen den gesellschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart gemäß neu aufgebaut worden, und die Kurie selbst hat in einer Reihe bedeutsamer Kundgebungen, den Enzykliken namentlich Leos XIII., Stellung zu den Problemen des sozialen Lebens, insbesondere des Wirtschaftslebens, genommen. Was uns hier angeht, ist die Tatsache, dass auf dieser neuscholastischen Grundlage eine große Anzahl von Systemen der richtenden Nationalökonomie in unserer Zeit entstanden sind, von denen ich wenigstens einige kurz erwähnen will, um an ihnen den Geist dieser Richtung kenntlich zu machen.

Ich beginne meine Übersicht mit den 1889 erschienenen Principi d’economia politica jenes Matteo Liberatore, den wir als den Wiedererwecker des Thomismus kennenlernten. Leider habe ich nur die deutsche Übersetzung aus dem Jahre 1891 einsehen können.

Liberatore definiert die Nationalökonomie als »die Wissenschaft des öffentlichen Reichtums in Bezug auf seine ehrliche Anordnung als Mittel des gemeinsamen Wohlstandes«16. Das Schema, das er in seinem Buche bei der Darstellung der verschiedenen Einrichtungen usw. anwendet, ist dasjenige, das uns namentlich in den Schriften der »ethischen« Nationalökonomie in Deutschland häufig begegnet und das wohl auf Proudhons »Système des Contradictions économiques« (2 Vol. 1846) zurückgeht. Es werden a) die Vorzüge, b) die Übelstände, c) die Heilmittel, z.B. der Maschinen, der freien Konkurrenz, der Banken aufgezählt. Liberatore weiß, was gut und böse ist. Dazu hat ihm die Kenntnis des Naturrechts verholfen. Dieses hat zunächst die »richtige« Wirtschaftsverfassung festgelegt. In dieser herrschen Privateigentum, Erbrecht, Pflicht zur Wohltätigkeit (keine staatliche Armenpflege! keine Beseitigung der frommen Stiftungen!). Das Naturrecht lehrt uns aber ebenso die »richtige«, das heißt die »gerechte« Verteilung. Zu der Grundrententheorie Ricardos bemerkt unser Autor folgendes: »Diese Theorie könnte wohl erklären, wie die Rente geworden ist, nicht aber, mit welchem Rechte sie entstand; das heißt so viel, dass sie den historischen Ursprung, nicht aber den rechtlichen erklären würde ... Der rechtliche Ursprung der Rente (i) kann in nichts anderem liegen als in dem Eigentumsrecht, von welchem die Rente die Folge ist ...« Daraus ergibt sich, »dass die so sehr gepriesene Definition Ricardos zu verwerfen und durch folgende oder eine ähnliche zu ersetzen ist: die Grundrente ist jener Reichtum oder Reichtumsanteil, welcher, dem Wirken der dem Boden innewohnenden Naturkräfte entsprechend, dem Eigentümer zukommt«17. Er fährt dann fort: »Wenn es gerecht ist, dass der (Grund-)Eigentümer für die gelieferten natürlichen Kräfte eine Rente erhält, so ist es nicht weniger gerecht, dass der Kapitalist für die von ihm beigesteuerten Mittel einen Gewinn erhält.«18 Und endlich: Der (Arbeits-)Lohn ist »der Anteil, welcher dem Arbeiter von den Früchten der Produktion zukommt, an deren Hervorbringung er selbst durch seine Arbeit als Ursache teilgenommen hat«. Aber der Verfasser weiß nicht nur, dass der Arbeitslohn »gerecht« ist: er kennt auch die Höhe des »gerechten« Arbeitslohnes, die er in einer Auseinandersetzung mit Ricardo wie folgt festsetzt: »Wir können feststellen, dass der natürliche Preis der Arbeit jener ist, der für den Mann unter Berücksichtigung der geringen Beisteuer der Frau (welche fast gänzlich von der Sorge für das Hauswesen in Anspruch genommen ist [!]) berechnet, für den Unterhalt beider sowie zweier oder dreier Kinder genügt. Das ist die Zahl, die man durchschnittlich voraussetzen kann, weil die Erfahrung (!) lehrt, dass ungefähr die Hälfte der zur Welt gebrachten Kinder im zarten Alter stirbt. Nach dieser Erfordernis muss sich der gebräuchliche Lohn richten ... Wenn er ohne Schuld des Arbeiters dieses Maß nicht erreicht, so entspricht der Lohn nicht den Absichten der Natur, und die Gleichheit, welche die Gerechtigkeit fordert, wird nicht beobachtet ...«19

Eine anerkannte Glaubwürdigkeit in katholischen Kreisen hat jahrzehntelang der französische Nationalökonom Charles Henry Xavier Périn genossen, der zwei grundlegende Werke der richtenden Nationalökonomie vom scholastischen Standpunkt aus geschrieben hat: De la richesse dans les sociétés chrétiennes (2 Vol. 1881) und Les Lois de la société chrétienne (2 Vol. 1875), und der außerdem uns die Freude gemacht hat, seinen Standpunkt methodologisch zu begründen in der Schrift: Les doctrines de l´économie politique depuis un siècle. Deutsch 1882. Hier heißt es: »Jeder Tag bringt eine bessere Belehrung darüber, dass, wenn es eine falsche Nationalökonomie gibt, es auch eine wahre gibt.«20