Die dritte Kugel - Leo Perutz - E-Book

Die dritte Kugel E-Book

Leo Perutz

4,8

Beschreibung

Mit diesem Roman erzählt Leo Perutz von der Eroberung des Aztekenreiches. Der Teufel ist mit im Spiel, als den heidnischen König Montezuma die verzauberte Kugel trifft. In faszinierenden Bildern schildert Perutz den Kampf um das Aztekenreich, die Zerstörung einer grausamen Welt durch eine noch grausamere und das Schicksal des Grafen, der inmitten des Grauens das Gedächtnis verliert. Erst ein Zaubertrank bringt ihm die Erinnerung an sein Leben zurück, das wie ein wirrer Traum, phantastisch, gespenstisch, unberechenbar wie ein Würfelspiel verlief.

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Leo Perutz

Die dritte Kugel

Roman

Impressum

ISBN: 978-3-552-05792-0 Alle Rechte vorbehalten © Paul Zsolnay Verlag Wien 1994/2016 Mit einem Nachwort herausgegeben von Hans-Harald Müller. Umschlagsgestaltung: © Peter-Andreas Hassiepen

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung E-Book:Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

Präludium: Der Wein des Doktor Cremonius

Historie vom Grumbach und seinen drei Kugeln

Die Brüder

Die Neue Welt

Gottes Kartaune

Der Nebel

Scharlachne Hosen

Der Reiher Tausendrot

Des Teufels Weizen

Traum von Deutschland

Die Fastnacht

Der Profos

Die Arkebuse

Der Fluch

Der Wildgraf reitet

Der Tribut

Die Totenmesse

Die erste Kugel

Pedro Alvarado

Das Vaterunser

Die Catalina

Der Schwur des Melchior Jäcklein

Die zweite Kugel

Der Cortez flieht

Finale: Die dritte Kugel

Nachwort

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Editorische Notiz

Präludium

Der Wein des Doktor Cremonius

Mich fröstelt’s, und das Feuer ist am Erlöschen. Der Herbstwind bläht mir den Mantel auf, daß die geflickten Löcher nach allen Seiten starren wie die Teufelsfratzen. Der Regen schlägt einen Trommelwirbel um mich her und dröhnt und prasselt, als wär’ die Welt mit Kalbfell überzogen. Eine Nacht, dazu geschaffen, sich am Lagerfeuer zu erwärmen und im Kreise grauhaariger Kriegsgefährten bestandner Abenteuer zu gedenken. Aber ach, heute steht mir der Sinn wahrlich nicht danach, denn in fünfzehn währenden Stunden bin ich vom Rücken meines lahmen Gauls nicht zur Erd’ gekommen. Den sächsischen Kurfürsten, den großen Papstfeind und Lutheraner, der die Einung der evangelischen Fürsten gegen den Kaiser zustand gebracht und auch die Böhmen zu einem Aufruhr angestiftet hat, den haben wir gefangen und hieher in des Kaisers Feldlager geführt, daß er morgen einen Fußfall tun muß vor dem Carolus Quint und ihn demütig seinen allergnädigsten Kaiser nennen.

Jetzt führen sie seine Kanzler und Ratsherren in Fesseln vorbei. Der alte Mann ist auch dabei, den ich bei Mühlberg mit dem Säbel über den Kopf geschlagen hab’. Er trägt eine blutige Binde um die Stirn, läßt den Kopf hängen, ist fast traurig und verzagt, weiß es wohl, daß er ihn nicht lange mehr zwischen den Schultern wird tragen dürfen. Ja, Brüder, jetzt seid ihr fast verzagt, aber wer hieß euch dem Kaiser aus Ingolstadt solch einen trotzigen Absagebrief schreiben? »Wir geben dem Karl, der sich den fünften römischen Kaiser nennt, kund und zu wissen, daß er pflichtvergessen gegen Gott und an der Nation eidbrüchig gehandelt hat.« Ja, jetzt wird euch der Kaiser schon die rechte Antwort geben. Wer riet euch, ihr armen Schelme, die Finger in solch einen Handel zu stecken? Seht mich an, Brüder! Ich bin auch lutherisch. Reit’ dennoch mit des Kaisers Haufen, schlag’ zu, stech’ und schieß’, wen er mich stechen und schießen heißt, es gilt mir gleich. Treib’ nicht viel Lärmens mit meinem Glauben, halt’ Frieden mit allen schwarzen Kutten, grüß’ eine jede von den spanischen Gecksnasen zuerst, die jetzt allenthalben durchs Lager stolzieren und sich an des Kaisers Seite blähen in ihrer Narrenlivrei. Ihr aber, liebe Brüder, habt alleweil euren Glauben stolz im Mund geführt wie ein Feldgeschrei, dafür tragt ihr jetzt eure Köpfe dem Henker hin!

Sie sind vorüber. Mit Stößen und Schlägen haben sie die Knechte vorbeigetrieben. Es ist Stille wieder ringsum. Ich bin müde, ich wollte, es käme endlich der Schlaf.

Aber ach, mein Schlaf ist, will mir scheinen, auch solch ein stolzer, spanischer Alamode-Geck geworden. Er ist gar hochfahrend, will nicht kommen, wenn ich ihn rufe. So werd’ ich denn die Augen schließen und an vergangene Jahre denken. Die Tage und Stunden meines Lebens send’ ich aus. Wie die Falken sollen sie durch die Zeiten fliegen und mir Menschen bringen, die ich gekannt hab’, Freuden, die ich einst genossen, Schmerzen, die ich gefühlt, Sünden und fromme Taten, die ich begangen hab’. Die will ich aneinander reihen und aus ihnen ein Jahr meines Lebens zusammenfügen. Das will ich mit beiden Händen fassen und hineinblicken wie in einen Spiegel, daß ich mein Antlitz von einst darin finde und das Antlitz andrer Menschen, die ich liebte, oder denen ich gram war. Denn vielen von den Großen dieser Erde bin ich begegnet. Dem Frundsberg und dem klugen Rohan; dem wilden Christian von Dänemark, dem Ferdinand Cortez und dem Niklas Salm. Von denen will ich einen auf ein Weilchen in mein Erinnern zu Gaste laden, daß mir diese endlose Nacht vergehe!

Ach, meine vergangenen Tage und Stunden kommen mit leeren Händen zurück und bringen nicht Gesichter mit sich noch Gestalten. Keiner will kommen von denen, die ich rief, sind alle aus meinem Erinnern geschwunden, haben mir nichts gelassen, als von ihrem Namen einen leeren Klang. Und mein Leben selbst ist blaß geworden, und ich finde mein eignes Bild nicht mehr darin. Jahre sind da, die sind mit einem Male so leer, als hätt’ ich sie nie gelebt, und waren doch angefüllt bis an den Rand mit hundertfältigem Geschehen. Und andre Jahre sind da, in denen ist solch eine Verwirrtheit aller Dinge, daß das Gestern auf das Heute folgt, und Pfingsten liegt vor Ostern, als wäre der goldene Faden zerrissen, an dem die Stunden meines Lebens aneinandergereiht sind. Und wenn meine Gedanken durch mein vergangenes Leben ziehen, so ist es so, als ginge einer durch ein unbewohntes Haus, da sind viele Zimmer leer, andre wieder angefüllt mit törichtem Plunder, wurmstichigem Hausrat und verstaubtem Gerät, das wirr und sinnlos durcheinander steht.

Manchmal steigt ein vergeßner und verlorner Tag in meiner Seele auf. Dann seh’ ich mich plötzlich närrische oder grausame Dinge begehen, ohne Sinn und Zweck, so daß ich mich über mich selbst verwundern, auch lachen oder gar zürnen muß. Jesus, wie kam das nur, daß ich einstmals in einem fernen Land einen edeln König ermordet hab’? Bin ich’s gewesen, der diese Tat verübte? Ich seh’ ihn hoch oben auf einer Stadtmauer stehen, umringt von vielen Geharnischten, und er winkt mir grüßend zu. Ich aber achte dessen nicht, sondern heiße den Melchior Jäcklein, meinen Knecht, auf des Königs Brust zielen, leg’ selbst die Lunte an, der Schuß kracht –, der König stürzt –

Das muß im Zorn geschehen sein. Und dennoch weiß ich nicht, was mir der König zuleide tat, daß ich so grausam wider ihn verfuhr. Ach, unser Fleisch ist immer mit dem Satan.

Dann seh’ ich mich wiederum, wie ich mit dem Schwerte eine hölzerne Tür in Trümmer schlag’ in einer Stadt mit vielen Rosengärten, durch deren Straßen Ruderboote glitten. Aber warum ich dies tat, und was mir den Sinn dermaßen verwirrte, daß ich so zornig auf eine hölzerne Tür einhieb, das weiß ich nicht, doch muß ich lachen über mich, sooft ich daran denke, daß ich in solch einen närrischen Handel geriet. Und ich sehe jene törichte Gebärde heut, so wie man eines Berauschten sinnlose Werke sieht, dessen wunderlich Lachen und Weinen, Fluchen und mit den Händen in der Luft fechten kein Mensch begreift. Und ich schäme mich meines verwirrten Tuns, und oftmals scheint es mir gut, daß mir nur an wenige von meinen Tagen ein Erinnern geblieben ist, von den meisten aber nichts, als ein wüster Lärm im Ohr und eine schwere Müdigkeit in den Gliedern, als wär’ ich auf einem lahmen Gaul holpernd durch mein Leben geritten.

Ist jetzt dennoch einer zu mir zu Gast gekommen? Das Bild des toten Matiscona steigt plötzlich in mir auf, des stolzen Mannes, der das wahre Salz der Philosophorum kannte und mich dereinst das Geheimnis lehren wollte, durch ein ebräisch Sprüchlein alle Krankheiten des Leibes und der Seele zu bannen. Er taucht aus dem Dunkel empor, steht vor mir in venezianischer Tracht und bewegt die Lippen, als wollt’ er mir endlich sein tröstlich Elixier verraten. Aber wehe! Es ist nicht seine Stimme, die ich höre, sondern jenes triefäugigen Kapuziners heiseres Krächzen, der mir vor zehn Tagen in der Herberg’ zu Erfurt meinen Beutel stahl. Verdammt! Jetzt hör’ ich plötzlich den schelmischen Juden lispeln und schnaufen, der mir gestern mein silbernes Gehänge für drei neue Groschen abschwatzen wollt’, – doch er trägt heut das Antlitz eines edeln Herrn, des Richard Norfolk, meines toten Schwähers, den man die »weiße Rose« nannte.

Ja! Sie haben mich dereinst gekannt, die Großen dieser Erde. Ja! Ich war einst einer von ihnen, und die Klugen haben meinen Rat begehrt und die Starken meine Hilfe. Die Feldherrn, die Heiligen und die Denker hab’ ich am Werk gesehen, das Antlitz der Welt zu formen. Aber alles dies ist heut dunkel in mir und verworren, so, als hätte ein Trotzbube einen Traum von adeligem Leben geträumt.

Einstmals in der Neuen Welt ritt ich an himmelhohen Felsen vorbei, auf denen ein längst vergeßnes Volk sein unchristlich Sinnen und Denken in seltsamen Bildern abgemalt hat. Da sah ich Frauen, die sich mit Reihern paarten, zwei Posaunen bedrängten brünstig eine Jungfrau, und ein König erlustigte sich in seinem Bette mit einem St.-Georgen-Drachen. Und niemand lebte, der dieser Bilder geheimen Sinn und Meinung zu deuten verstand, denn ein endloser Regen hatte alle Worte und Zeichen hinweggewaschen, und nur die Bilder sind geblieben, die halberloschen zu tauben Ohren von einer vergeßnen Weisheit sprechen. Und wenn ich mich meines vergangenen Lebens zu entsinnen versuche, so scheint es mir, als stünd’ ich wiederum vor jenem fernen Felsen; denn alles, was ich jemals fühlte und dachte, ist hinweggespült aus meinem Erinnern, und nichts ist mir geblieben, als halberloschene Bilder, die mir kein Mensch zu deuten vermag.

Und dennoch – einer lebt, der könnt’ mir mein Leben deuten. Der Melchior Jäcklein ist’s, mein stummer Knecht, der beugt sich jetzt über mich und deckt mich mit seinem wollenen Mantel zu. Er ist heut wiederum zornig, knirscht mit den Zähnen und hat die Fäuste geballt. Sicherlich hat er wiederum Streit gehabt mit denen Spaniern; die liebt er nicht, sind ihm ihrer zuviel im Lager. In meinem stummen Knecht lebt gar mancherlei Haß, den die Arglist der Welt in ihm entzündet hat. Er entsinnt sich vieler Menschen, die mir oder ihm einst Übles taten, denen grollt er noch heut, und sinnt Tag und Nacht über nichts andres nach, als wie er sich an ihnen rächen könnt’. Ich aber erkenne sie nicht mehr, reit’ an ihnen vorbei und kann mich auf keine Art besinnen, wer sie sind, und was sie mir taten.

Mein stummer Knecht aber hat nichts vergessen, mein ganzes Leben ist in seinem Kopf abgemalt in grauenvoll blutigen Farben, so wie die Bauern die heiligen Märtyrer malen. Und oftmals scheint es mir, als wollt’ er mir ein’ längst vergessene Sach’ in mein Gedächtnis rufen, als wollt’ er mich mahnen an etwas, was ich versäumt; dann seh’ ich ihn rasen und toben und sich in hilflosem Zorn närrisch und verzweifelt gebärden, weil ich es nicht begreif’, was er von mir begehrt; und ich werde traurig, weil ich nichts mehr von all dem weiß und fühle, was seinen Sinn noch immer mit großem Zorn und tiefem Kummer erfüllt.

Welch ein Lärmen und Toben auf einmal, welch toll Gelächter? Wird hier die Fastnacht zelebriert? Die Musketiere sind’s, die bis jetzt auf ihren Mänteln lagen und würfelten; die haben jetzt die Schelmenbeiner beiseite geworfen und umringen den Doktor Cremonius, den Alchimisten des Kaisers.

»Euer Ehrenfest! Euer Hochgelahrt! Herr Spekulierer!« rufen sie durcheinander.

Des Kaisers Goldmacher und Astrolog bleibt stehen, hebt den Kopf wie einer, der aus tiefem Sinnen erwacht ist, und fragt: »Was wollt ihr von mir?«, und der Klang dieser Worte geht mir seltsam zu Herzen, weiß nicht warum. Zwei von des Kaisers Trabanten, die hinter dem Goldmacher einherschritten, treten jetzt rechts und links an seine Seite und lassen kein Aug’ von ihm.

Die Musketiere brüllen und rufen: »Euer Ehrenfest! Habt Ihr nicht Güldenwasser für die schwere Not?«

»He, du! Langer Mantel! Weißt du kein Mittel gegen die Mäler der Pest?«

»Ihr sollt Cardobenedicten-Kraut gebrauchen gegen die Mäler, die die Pest in eurem Antlitz hinterlassen hat«, gibt der Doktor Cremonius zur Antwort. »Wider die schwere Not, da hilft kaiserlich Violenwasser. Und nun lebt wohl und lasset mich meines Weges gehen.«

Einer liegt am Boden und ruft: »Ei, Ihr Meister Kuppler und Ruffian! Waret Ihr es nicht, der in Würzburg einer Jungfrau Sinn dermaßen verwirrte, daß sie keines ehrlichen Gesellen mehr achtete, sondern eines schalkhaften Juden Dirne wurde?«

Und einer, ein junger Gesell mit einem Bart wie ein indianischer Gockel, pflanzt sich vor dem Greise auf und schreit ihn an:

»Potz Blitz! Meister Quacksalber! Wisset Ihr kein Mittel wider die Suppenfresser und hirnschelligen Blackvögel, die dem Kaiser mit ihren Narrenpossen im Ohr liegen und vorgeben, daß sie Gold zu machen verständen, da sie doch selbst um einen schlechten Weißpfennig schweifwedeln und betteln wie die Hündlein um einen Bissen Brots.«

Der alte Mann schüttelt den Kopf und spricht mit leiser Stimme: »Nimm Saft von der Zwiebel, mein Sohn, und tu davon ein weniges in dein Ohr! Das ist gut, die Klugheit wiederzubringen denen, die sie verloren haben.«

Dann geht er weiter, die andern lachen, der junge Kerl aber wird rot im Gesicht und brüllt: »Heda! Halt! Stehngeblieben!«

Der alte Mann bleibt stehen und fragt mit einer Stimme, die müde klingt und dennoch stolz:

»Was wollt ihr von mir?«

Und wiederum machen mich diese Worte traurig. Es ist mir, als hätt’ ich die gleichen Worte einst gehört von einer bangen und traurigen Stimme, die mir ins Herz schnitt, sooft sie zu mir sprach. Weiß nicht mehr, wann und wo.

Der Landsknecht ist wieder ruhig geworden, setzt sich nieder und brummt: »Eure Ratschläg’ sind gut für die Kinder, die in ihr Bett harnen. Macht Euch davon! Über kurzem wird Euch der Kaiser ein hänfenes Halsgeschmeid verehren! Euch seh’ ich noch in der Herberg’ ›Zu den vier Winden‹ den Armensünder-Reigen zappeln.«

Der Alte geht wortlos seines Wegs, jetzt kommt er an mir vorbei, die beiden Trabanten sind immer hinter ihm her. Doch soll er nicht weiter, eh’ ich nicht erfahren, an wen mich seine Stimme und seine Worte gemahnten. »Euer Hochgelahrt! Verweilet ein wenig!«

Der Greis erschrickt, und zum drittenmal hör’ ich die Worte, die mir so weh getan, und es ist mir einen kurzen Augenblick hindurch, als wüßt’ ich, wer diese Worte einst mit so trauriger Stimme zu mir gesprochen. Doch das Erinnern, das mir jäh durchs Herz zuckte, fliegt hinweg wie ein scheuer Vogel, und ich kann es nicht erhaschen noch greifen, starre ihm nach in die leere Nacht.

Da weckt mich des Doktor Cremonius Stimme aus meinem Denken: »Wer seid Ihr, Herr?«

»Von den ungrischen Reitern bin ich ein Rittmeister. Sie heißen mich den Hauptmann Glasäpflein, weil ich ein gläsern Auge hab’.«

»Und was begehret Ihr von mir?«

»Euer Hochgelahrt, kein Tränklein und keine Salbe! Ein andres begehr’ ich von Euch, da Ihr doch in den Scientiis, sonderlich aber in der Necromantia wohl erfahren seid. Ich kannte einen, der lehrte mich, daß die vergangenen Jahre an einem Orte, stagnum oblivionis genannt, umherirren gleich den Wolken im leeren Weltenraum und wiederkommen und verschwinden können auf mancher Menschen Ruf und Befehl. Meister, habt Ihr Gewalt über die vergangenen Zeiten? Könnt Ihr Worte wieder erklingen lassen, die längst verhallt sind, und Menschen vor mein Antlitz gaukeln, die lang’ in ihren Gräbern modern?«

»Bruder! Ihr begehrt fast viel. Solches kann nur Gott und der leidige Teufel!«

»Euer Hochgelahrt! Und dennoch kannte ich einen, der lockte mit Zaubersprüchen und dem Dampf der Bilsenkräuter des mörderischen Neronis Schatten aus seiner Grube und zwang ihn an unsern Tisch zu treten, zu singen und die Laute zu schlagen.«

Der Alchimist neigt sich zu mir, blickt mich lang’ an und flüstert: »Bruder, das kann nur der Graf von Matiscona gewesen sein, dem solches gelang. Ich kenne ihn wohl, hab’ erst vor sieben Wochen einen Boten zu diesem großen Astrologen und Goldmacher gesandt. Ein dunkles und geheimnisschweres Wort begehrte ich von ihm zu erfahren, das ich selbst nicht finden kann, und dessen ich bedarf, um Dinge von großer Importance zu End’ zu bringen. Ein einziges Wort nur, und hängt dennoch eines Menschen Leben daran. Wollte Gott, seine Antwort käme zur rechten Zeit, sonst müßt’ ich großen Trübsals gewärtig sein.«

»Euer Hochgelahrt! Ihr sehet mich sehr erstaunt. Eher findet ein Kindlein, das am Boden rutscht, das Paradeisgärtlein oder das Heilige Land, als daß Eure Botschaft den Grafen von Matiscona erreicht. Erfahret denn von mir, daß der Matiscona tot ist. Ich selbst bin am Freitag vor dem Palmtag in dem ungrischen Schloß Gran an seinem Sterbebett gestanden. Er, der alle Krankheiten und Fieber mit ebräischen Zaubersprüchen zu bannen vermochte, ist einer neuen und niegesehenen Seuche erlegen, die keinen vor ihm befallen hat, und keinen nach ihm. Wahrlich, es ist nicht gut, nach Gottes Heimlichkeiten zu spähen.«

Der alte Mann steht vor mir und preßt sein Haupt in die Hände, und der Wind spielt mit seinem weißen Haar.

Nun richtet er sich auf. Er ist sehr blaß im Antlitz. »Bruder! Ich danke Euch. Nun ist mir froh und leicht zumut. Ohne Euch wär’ ich in Angst und Ungeduld noch viele Tage umhergeirrt, und die Sorge hätt’ mich noch weiter allnächtlich aus dem Schlaf gerissen, als könnte des großen Matiscona Antwort um ein arm gering Stündlein zu spät hieher gelangen. Denn eines Menschen Leben hing an dieser Sach’. Nun aber ist wieder Fröhlichkeit und Ruh’ in mir. Gott dank Euch, Bruder. Sagt mir nochmals, was Ihr begehrt.«

»Ein Jahr meines vergangenen Lebens begehr’ ich, ein Jahr, aus dem mich eine Stimme dreimal anrief in dieser Stunde. Meister! Ich will ein Vaterunser für Eure Seligkeit beten, wenn Ihr mir diese Gnade gewährt.«

Der Alchimist füllt seinen Becher aus einer Flasche, die er im Gürtel trägt. »So mag Gott Euch geben, war Ihr begehrt. Trinkt dies – und vergesset des Vaterunsers nicht.«

Es schmeckt wie schwefelig Feuer, nimmt mir den Atem und zwängt mir das Herz. »Meister, Euer Wein ist nicht Ungrischer, noch Brabanter. Wehe, Euer Wein verbrennt mir das Herz.«

Der alte Mann lächelt und nickt mit dem Kopf. »Et quid volo, nisi ut ardeat? Eben dies will ich, daß es wiederum brenne!«

Ich kann nicht weitertrinken, es brennt mir im Halse wie höllisches Feuer. Ich werfe den Becher zu Boden.

»Bruder! Warum trankt Ihr den Becher nicht leer? Ihr habt fast viel verschüttet!«

»Was lag auf des Bechers Grund?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht eines großen Schmerzes, vielleicht einer Seligkeit Ende. Lebt wohl, Bruder, und vergeßt des Vaterunsers nicht.«

Das Blut schießt mir wild durch die Schläfen, und der Herzschlag dröhnt, wie die Glocken beim Avegebet. Mir ist so weh und so angstvoll ums Herz, wie seit den Tagen der Jugend nicht mehr. »Meister! Die Leute sagen, daß Ihr dem Kaiser das Geheimnis verraten wollt, wie man Zinn und schlechtes Kupfer in eitel Gold verwandelt. Meister, ich bitt’ Euch, tut dies nicht, das Gold darf nicht in des Kaisers Händ’! Völker sah ich sterben und Reiche in Trümmer gehen, des Goldes wegen. Groß’ Unglück bringt Ihr über die Menschen, wenn Ihr nicht schweigt. Um der Liebe Gottes willen, verratet dem Kaiser Euer Geheimnis nicht, sonst geht die Welt in Flammen auf!«

Der alte Mann lächelt, blickt in die Weite, als träume er, und spricht mit leiser Stimme in den Wind hinein: »Et quid volo, nisi ut ardeat?«

Da treten die beiden Trabanten auf ihn zu, und er geht mit ihnen seines Weges weiter und verschwindet im Dunkel der Nacht.

Der Musketier aber ist aufgesprungen und schreit ihm nach:

»Da geht er hin, der Schnarcher und Prahlhans! Potz, wer zum Henker läuft, dem soll man sich nicht in den Weg stellen. Hat sich nicht der Kaiser bei seiner goldenen Kron’ verschworen, daß er ihn an den lichten Galgen bringen wolle, wenn er ihm nicht bis St. Niklausen aus einem Haufen rostiger Hufnägel 30.000 Stück Golddublonen und ungrischer Dukaten macht? Potz Fickerment, da wird’s Schnaufens und Bartstreichens geben, denn dann geht’s um seinen besten Hals!«

»Halt Frieden!« ruft ein andrer neben ihm. »Hast ihm genugsam den armen Judas gesungen.«

»Daß ihn der Hagel erschlag’! Er kann nichts als Gaukelfuhr und Affenstücke, weiß keine ehrliche Kunst. Hat noch niemals einem guten Soldaten das Fell wider Hieb und Stich gefroren gemacht, kann auch nicht Kugeln segnen.«

»Potz! Was soll mir solch eine Schelmenhaut? Ich trag’ allweil und immer ein Offizium St. Virginis bei mir, dazu die ›Sieben Tageszeiten Unsrer Lieben Frauen‹. Das allein ist gut wider Hieb und Stich. Ich fahr’ nicht in des Teufels Karosse.«

Ein eisgrauer Spanier richtet sich auf und schüttelt den Kopf. »Brüder! Stichfest machen und geweihte Kugeln gießen, das ist keine teuflische Kunst, sondern alter Kriegsbrauch von vaters her. Hab’ selber einen gekannt, den Garcia Novarro, der war solch ein frommer Christ, daß wir ihn den Sekretarius des Himmels nannten, und konnte doch Kugeln segnen, als hätt’ er dem Teufel in die Pfanne geguckt.«

»Hab’ ihn auch gekannt. Ist ihm übel gediehen!« ruft einer dazwischen.

»Ja!« sagte der Alte. »Er ist in die ewige Seligkeit durch eine hänfene Schlinge geschlüpft. Weil er an den Knecht des Deutschen seine Arkebuse verspielt hat und sie nicht wiedererlangen konnt’, trotz vielem Supplizieren, darum hat ihn der Cortez in der Luft verarrestieren lassen. Aber bevor sie ihn henkten, hat er dem einäugigen Deutschen seine drei Kugeln vermaledeit und ihnen dermaßen den Kompaß verstellt, daß die erste den heidnischen König auf der Stadtmauer traf und die zweite das unschuldige Mägdlein und die dritte den Deutschen selbst!«

»Nein!« schreit ein andrer. »Nicht den Deutschen! Der Deutsche lebt! Ist aber verflucht und verdammt, weil er vor Christi Bildnis den Hut nicht ziehen wollt’, und kann nicht sterben, sondern fährt mit seinem Knechte in toller Jagd durch die Wälder, und so ihm des Nachts ein Spanier begegnet oder ein Mönch, diesem dreht er das Antlitz zuhinterst!«

»Ei, so mag mich der Teufel lotweis’ holen, wenn nicht der Deutsche samt seinem stummen Knecht in Veracruz begraben liegt.«

»Possen! Er lebt! Ich weiß es besser!«

Ihr wirres Gezänke verhallt mir im Ohr, ich hör’ nicht mehr, was sie noch weiter von dem Deutschen und seinen dreien Kugeln erzählen. Mir ist, als hätt’ ich dereinst dies Märlein gekannt. Dunkel hab’ ich’s im Kopf, weiß nicht woher, las es vielleicht in einem törichten Buche, im »Amadis« oder im »Ritter Löw«. Wie ging es nur? Drei Kugeln – einen edeln König traf die erste, ein unschuldig Kind die zweite –, wie ging es weiter? – Wen die dritte?

Ei, was schert das mich! Der Kopf ist mir schwer geworden von des Alchimisten Schwefelpfuhl. Um meine Stirne liegt es wie ein eiserner Reif. Bleigewichte hängen an meinen Lidern, und dort steht der Schlaf. Er ist ein gar stolzer, spanischer Herr, geht hochfahrend seines Wegs, tut, als kenne er mich nicht. Eine weiße Krause trägt er um den Hals, ein Helmbusch nickt bei jedem Schritt von seinem Haupte, schwarz und weiß, – in seinem Küraß spiegelt sich die Welt. Was trägt er in den Händen – ein blankes Schwert – in Flammenschrift glüht darauf: Rubet ensis sanguine hostium! Nun steht er vor mir, – kalt rinnt mir’s durch die Glieder – er wächst empor – riesenhaft, bis an die Sterne ragt sein Leib – die schwarzen Wolken des Himmels ziehn an seiner Stirn vorbei – das Blut träuft wie Regen aus seiner Faust – ein Berg liegt auf meiner Brust – ich will um Hilfe rufen – das ist der Ferdinand Cortez, Gott sei mir gnädig – er spricht zu mir – ein Donnerschlag dröhnt aus seinem Mund: »Gebt die Arkebuse zurück, Wildgraf am Rhein!«

Wer – wer hat den Namen genannt? Es hat einer gerufen: Wildgraf am Rhein! Der ist längst tot, was hab’ ich mit ihm zu schaffen! Den hat der Kaiser in allen Städten auf Gassen und Plätzen in die offene Acht ausblasen lassen, ich kenn’ ihn nicht – ich bin der Hauptmann Glasäpflein – hab’ keinen andren Namen – jetzt – wieder hat’s einer gerufen: »Wildgraf am Rhein!«

Von den Musketieren ist es einer, der hat den Namen genannt, der längst vergessen und verschollen ist. Ein spanischer Reiter ist’s, ein alter Mann von schlankem Wuchs mit grauen Locken und grauem Bart. Sie lagern alle im Kreise um ihn, er spricht, einer schlägt leise die Trommel, die andern schweigen und horchen.

»Aber daß ihr des Grafen am Rhein vergessen habt, ihr Deutschen: pfui der Schand’! Lobpreiset und admirieret ihr doch jeden Schelm, der es zu Dignitäten bringt, wenn aber einer ohne Stern wider den ganzen Haufen ficht, dessen gedenket ihr nicht. Wahrlich, wer fällt, über den läuft die Welt hin. Wir Spanier sind des Grumbachs Feinde gewesen, haben ihm seine Knechte erschlagen und ihm viel Schaden und Abbruch getan. Und dennoch, wenn ich euch jetzt die Historie vom Grumbach und seinen drei Kugeln erzählen soll, so verstattet zuvor, ihr Herren, daß ich ihm eine Ehre erweise auf kastilianische Art:

Ich grüße dich, Wildgraf am Rhein! Über Meere und Zeiten hinweg grüß’ ich dich, einsamen Mann. Bist du vor dem Zorn des Cortez nicht gewichen, hast unverzagt mit deinen dreien Kugeln der ganzen spanischen Armada einen Trotz geboten. Und da du nun ruhst in fremder Erde, und keiner sich deiner entsinnt im deutschen Land, so will ich es sein, der dich heimbringt aus deinem welschen Grabe in ein deutsches Lied.«

Drei Kugeln – die Arkebuse – die spanische Armada – ja – alles dessen entsinne ich mich plötzlich – Gestalten tauchen empor – braune Männer, die Ruderboote auf den Schultern tragen – ein steinerner Götze starrt mich aus bösen Augen an – Flammenzeichen auf allen Bergen – ich seh’ mich wieder, wie ich die hölzerne Tür in Trümmer schlage – aber ich muß nicht lachen über mich diesmal, sondern mir ist gar traurig ums Herz – ein Nebel ist um mich voll Menschengestalten, die heben die Hände und wollen ans Licht und müssen doch zerrinnen, eh’ ich sie noch erkannt – ein Name klingt mir im Ohr – ja, Dalila hieß sie – und ihre Kinderstimme klagt aus weiter Ferne: – »Was wollt ihr von mir?« –

Genug! Was zögert er? Warum steht er da und blickt den Wolken nach? Es ist hoch an der Zeit – die Sterne stehn am Himmel – bis zur dritten Kugel ist ein weiter Ritt – bald wird es Nacht sein –! Ja, ich bin’s, bin der Grumbach, bin der Wildgraf am Rhein, beginne, Gesell, beginne!

Still! Er spricht weiter. Wie leiser Trommelwirbel klingt es an mein Ohr, es ist, als hielten ein Kalbfell und ein Schlegel nicht weit von mir eine leise Zwiesprach über mein verrauschtes Leben –.

Historie vom Grumbach und seinen drei Kugeln

Die Brüder

Ich entsinne mich, daß ich den Franz Grumbach, der, ehe er von Reichs wegen exekutiert und seines Landes verlustig wurde, mit seinem ganzen Namen »Wildgraf zu Grumbach und am Rhein« hieß, daß ich den Grumbach also zum ersten Male auf einem Felde südwärts von Gent gesehen habe, nach einem Zweikampf, in dem der junge Herzog von Mendoza seinen Gegner, einen Kastilianischen von Adel, zu Tod’ getroffen hatte. Auf diesem Felde sah ich den Grumbach über seinen Freund gebeugt, unter dessen bleiches und blutbespritztes Antlitz der Wundarzt seinen Arm geschoben hatte. Eine Weile blieb alles ganz still, der Herzog stand an die steinerne Brustwehr gelehnt und schien traurig und voll Reu’, daß er den Kastilianer, der ihm von seiner Knabenzeit her ein Freund und guter Gesell gewesen war, so in die Kehle gestoßen hatte. Er stand stumm und blickte ins Weite, und nur sein Pferd, das ich am Halfter hielt, bäumte sich und wollte nicht stillestehen.

Da brach plötzlich der Grumbach, dessen Name damals in aller Mund war (wegen seines Handels mit dem Bischof von Speyer, den er beim Kaiser verklagt und einen losen und verlaufenen Pfaffen gescholten hatte), das Schweigen, indem er sehr eilig und voll Hast, als fürchtete er, nicht mehr zu End’ zu kommen, dem Sterbenden zusprach: »Seid dessen gewiß«, sagte er mit einem kurzen Blick auf den Herzog von Mendoza, »daß ich von Eurer Braut kein Auge lassen werde, als ob sie meine eigene Schwester wär’, und nicht dulden werde, daß ihr einer zu nahe käm’.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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