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Zwanzig Jahre nach der Vertreibung der Göttin Nyx aus beiden bekannten Welten, breiten sich erneut finstere Schatten vor den Toren der Welt des Lichts aus. Doch ihr Regent Devius Melzer ist voller Willensschwäche und unterschätzt deren Gefährlichkeit. Während seine Tochter Sina aus dem väterlichen Haushalt flieht und im dunklen Reich einer düsteren Verschwörung auf die Spur kommt, verfällt er einer betörenden, aber auch äußerst gefährlichen Frau, die ein hinterhältiges Spiel mit ihm treibt. Kann er sich dem Einfluss dieser Frau entziehen und die Bedrohung für die Welt des Lichts abwenden? Und kann Sina den Gefahren, in die sie im dunklen Reich gerät, trotzen und wohlbehalten in die Welt des Lichts zurückkehren, um ihren Vater dort im Kampf gegen die dunklen Horden zu unterstützen?
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Euer Darius
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Die dunkle Göttin hatte ein triumphales Lächeln auf den Lippen, während sie aus dem Fenster schaute. Ihr Blick schweifte über das nächtliche New York, als sie bemerkte, dass sich ihr Geliebter ihr von hinten näherte. Er schlang seine Arme um sie und küsste ihr zärtlich auf den Nacken. Nyx war äußerst zufrieden mit dem, was sie in den letzten Monaten erreicht hatte. Ihr Geliebter war der mächtigste Mann der dunklen Kleriker und ihr vollkommen hörig.
Bald war die Zeit gekommen, erneut zuzuschlagen, aber diesmal würde niemand es wagen, sich ihr entgegenzustellen. Devius Melzer hatte sie damals schamlos zurückgewiesen und danach aus dem dunklen Reich vertrieben. Noch heute verzog sich ihr Gesicht beim Gedanken daran voller Hass und begann ihr Blut zu brodeln. Aber er hatte nicht nur gewagt, sie fortzujagen, sondern ihr auch ihre Jugend und ihre Schönheit geraubt. Das war unverzeihlich gewesen und musste mit einem qualvollen Tod bestraft werden.
Inzwischen besaß sie ein Vielfaches ihrer damaligen Macht und hatte sie auch ihre atemberaubende Schönheit wiedererlangt. Doch der Frevel von damals blieb für immer unvergessen. Und ihre Rache hatte schon begonnen. Sie hatte jemanden aus dem engsten Kreis ihres Feindes so um den Finger wickeln können, dass er alles für sie tat. So landete seit ein paar Wochen bei jeder Mahlzeit ein klein wenig eines nicht nachzuweisendes Giftes in dem Essen von Devius Melzer und brachte ihn nach und nach um.
Seine Hure Clarissa war schon vor siebzehn Jahren bei der Geburt ihrer Tochter gestorben. Um sie brauchte sich die Herrscherin der Dunkelheit daher nicht mehr zu sorgen. Sobald die letzten Zeugen des Falls der dunklen Göttinnen tot waren, würde eine neue Ära beginnen. Mit ihr an der Spitze. Diese Zeit würde das dunkle Reich weit in den Schatten stellen. Das stand fest.
Aber ihr genügte es nicht, zu wissen, dass ihr Erzfeind von Tag zu Tag immer schwächer wurde und bald sterben würde. Nein, sie musste es selbst hautnah miterleben, wie er zu Grunde ging. Daher hatte sie beschlossen, nach Deutschland zu reisen, um sich dort sein Vertrauen zu erschleichen. Sie würde ihm näher kommen als irgendjemand anders. Seine Pein würde ihr Lebenselixier sein. Die körperlichen Qualen, die er durch das Gift erlitt, würde sie mit seelischen Qualen unglaublicher Güte verfeinern und anreichern, so dass er sie irgendwann anflehen würde, ihn von seiner Agonie zu erlösen und ihm den Tod zu schenken.
Nyx konnte sich noch sehr genau daran erinnern, wie sie ihn damals fast dazu gebracht hatte, ihr zu verfallen. Nur seine Erinnerung an die Liebe zu dieser räudigen Hündin Clarissa hatte ihn davor bewahrt, für alle Ewigkeit ihr Sklave zu werden. Doch die Frau, die er damals liebte, gab es nicht mehr. Daher würde es ihr ein Leichtes sein, ihn zu verführen und von der Dunkelheit kosten zu lassen. War das vollbracht, war alles andere ein Kinderspiel. Nie wieder würde sie ihn aus ihren Fingern lassen, wenn er sich erst einmal darin befand.
Bei all diesen wunderbaren Gedanken, hatte sie fast vergessen, dass es nun Zeit war zum New John F. Kennedy International Airport aufzubrechen. Sie küsste Donald zum Abschied und ließ ihr Gepäck durch einen ihrer Diener zum bereitstehenden Taxi bringen. In wenigen Stunden würde sie in Deutschland landen und damit ein neues Zeitalter einläuten. Das Zeitalter der dunklen Göttin.
Immer musste Vater mich stressen. Tu das nicht. Tu jenes nicht. Bleibe nicht so lange weg. Treffe Dich nicht so oft mit Jungs. Helfe mir im Haushalt. Seine Ermahnungen nahmen wirklich nie ein Ende. Immer war er besorgt um mich. Immer wollte er etwas von mir. Darauf hatte ich aber absolut keine Lust mehr. Es nervte mich ungemein. Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich war siebzehn Jahre alt und das war wohl alt genug, um einzuschätzen zu können, was mir gut tat und was nicht.
Er hielt mich immer noch für das kleine Mädchen, das ich einmal war. Die zu ihrem großen Papa aufschaute und ihn für alles bewunderte, was er tat. Diese Zeit war vorbei. Ich liebte meinen Vater, aber er sollte mich in Gottes Namen nicht nerven. Er musste mir doch ab und zu auch etwas vertrauen oder etwa nicht? Gestern zum Beispiel kam ich eine halbe Stunde später nach Hause als vereinbart. Er war fast ausgeflippt. Machte mir nichts als Vorwürfe. Natürlich verstand ich, dass er sich Sorgen um mich gemacht hatte. Aber andererseits konnte ich schon immer sehr gut auf mich selbst aufpassen.
Klar, er musste mich alleine aufziehen und hing deswegen sehr an mir. Ich ja auch an ihm. Aber ich konnte nichts dafür, dass meine Mutter bei meiner Geburt gestorben war und ich ihr so ähnlich sah. Die dunklen Gefahren, die er überall sah, gab es nicht. Wir lebten seit vielen Jahren in einer Welt des Friedens und der Harmonie. Die östliche Hemisphäre kannte keine Kriege und keine Hungersnöte mehr. Was wollte er noch mehr?
Aber auch mein Vater hatte ein dunkles Geheimnis. Als ich noch ein Kind war, bemerkte ich, wie er immer wieder in den Keller unseres Hauses ging und dann für mehrere Stunden verschwunden war. Das wiederholte sich fast wöchentlich. Eines Tages war meine Neugier dann so groß, dass ich ihm heimlich folgte und beobachten konnte, was er dort tat. Durch eine gut getarnte Tür betrat er ein Zimmer, das vollgestopft war mit irgendwelchem alten Zeug. Was diesem Raum aber seine außergewöhnliche Atmosphäre gab, war ein großer Spiegel, dessen Spiegelfläche von monströsen Gestalten aus dunkel glänzenden Metallumgeben war. Ein Blick auf diesen Spiegel und seine fast schwarze Spiegelfläche genügten mir, um vor Angst schnell wieder das Weite zu suchen. Aber so unheimlich der Spiegel für mich anfangs war, so groß war auch die Faszination, die von ihm ausging.
Es dauerte also nicht lange, bis ich zum ersten Mal versuchte, in diesen Raum hineinzukommen. Mein Vater war ein paar Tage unterwegs und hatte mich der Obhut meines Kindermädchens überlassen. Das war eine ältere Dame, die nach Essen gerne ein Nickerchen machte. Damit hatte ich die Gelegenheit, auf eine abenteuerliche Reise zu gehen. Diese endete allerdings recht bald, nachdem sie begonnen hatte. Ich fand zwar die Tür, aber keine Möglichkeit sie zu öffnen. Also musste ich meine Neugier zügeln bis ich erneut Gelegenheit bekam, meinem Vater zu verfolgen und ihn zu beobachten, wie er die Tür öffnete.
Nach ein paar Tagen hatte ich Glück. Wie üblich, war es später Abend als er in den Keller ging. Ich hatte mich extra lang wachgehalten und folgte ihm ganz leise. Versteckte mich immer wieder hinter irgendwelchen Möbeln. Er ging in das Zimmer, das an das geheime Zimmer grenzte. Das nutzte er als Bibliothek. Dort zog er eins der Bücher halb heraus. Ich hörte ein Klicken. Er ging auf die Tür zu, die sich nun langsam öffnete. Dann plötzlich drehte er sich zu mir herum. So als ob er mich bemerkt hatte. Sah in meine Richtung. Sagte dann:
„Ist dort jemand?“ Ich bekam einen großen Schrecken. Versuchte mich so klein wie möglich zu machen. Hatte er mich gesehen? Nein, bestimmt nicht. Ich saß im Schatten. Er wandte sich wieder ab. Schüttelte den Kopf. Murmelte so etwas wie:
„Es war wahrscheinlich wieder diese Katze. Immer muss sie hier herumschleichen.“ Endlich konnte einen kurzen Blick auf den Spiegel erhaschen. Er schien blau zu leuchten. Als sich die Tür hinter ihm schloss, glitt das Buch in seine alte Position. Ich war wieder allein. Atmete erleichtert auf. Ging schnell zurück ins Bett. Konnte aber lange nicht einschlafen. Morgen, ja, morgen würde ich es probieren.
Daraus wurde aber nichts. Ich wurde über Nacht krank. Hatte furchtbaren Husten. Wahrscheinlich hatte ich zu lange mit meinem dünnen Nachthemd auf dem kalten Kellerboden gesessen. Dann kam noch hohes Fieber dazu. In meinen Fieberträumen sah ich den dunklen Spiegel. Er schien mich zu sich zu locken. Aber auch mein Vater tauchte in den Träumen auf. Sagte mir wieder und wieder, dass ich diesen Raum nicht betreten sollte. Dass es zu gefährlich für mich sei. Irgendwas in mir drängte mich, zu glauben, was er mir sagte. Deshalb geriet ich viele Jahre nicht mehr in Versuchung, diesen geheimnisvollen Raum zu erkunden. Zumindest bis zu dem Tag, an dem ich diese eigenartige Pflanze in der Bibliothek meines Vaters auf dem Boden fand. Da ich mich für Pflanzen interessierte, wusste ich, dass es sich dabei um eine Orchidee handelte. Aber anders als jede mir bekannte Pflanze, begann die wunderschöne Orchidee ein blaues Leuchten von sich zu geben, als ich mich in ihre Nähe begab. Das war allerdings nicht das einzige, was geschah. Ich war auf einmal seltsam beschwingt und fröhlich. Ganz so, als ob die Blume meine Stimmung beeinflussen würde. Dabei blieb es nicht. Plötzlich fühlte ich mich voller Macht und unbesiegbar. Ich musste es endlich wagen und den Raum betreten.
Trotz der vielen Jahre, die vergangen waren, hatte ich nicht vergessen, wie sich der Mechanismus zum Öffnen der Tür auslösen ließ. Endlich öffnete sie sich für mich. Es schien, als ob ich eine andere Welt betreten hatte. Der Raum war größer als ich es vermutet hatte und enthielt eine Menge skurriler Artefakte. Denen widmete ich allerdings nur wenige Blicke. Das Wichtigste für mich war der dunkle Spiegel. Er schien meine Anwesenheit zu bemerken und ein leichtes Flüstern von sich zu geben. Mich immer näher zu ihm zu locken. Jetzt stand ich vor ihm. Nur wie ging es weiter? Ich hatte keine Ahnung.
Ich berührte ihn sanft. Er war nicht kalt und starr, wie sich Spiegel sonst anfühlten, sondern warm und nachgiebig, fast so als ob er lebendig war. Ich versuchte etwas fester zu drücken, aber noch leistete er mir Widerstand. Etwas fehlte noch. Nur was? Vielleicht mein Wunsch, auf die andere Seite zu gelangen. Das war doch mein Wunsch, oder? Was hatte diese blaue Blume nur in mir ausgelöst. War ich verrückt geworden? Dachte ich wirklich, dass der Spiegel mir den Weg in eine andere Welt öffnen würde? Wie sollte das von statten gehen?
Doch dann fiel mir ein, dass, solange ich denken konnte, es mein Wunsch gewesen war, mein wohlbehütetes Leben und diese langweilige Welt voller Frieden und Harmonie hinter mir zu lassen und in eine Welt voller Abenteuer und unbekannter Gefahren einzutauchen. Vielleicht bot sich mir ja hier und jetzt die Gelegenheit dazu. Ich musste einfach aufgeschlossener sein, mir mehr zutrauen. In diesem Augenblick erinnerte ich mich daran, wie mein Vater mir zu meinen siebten Geburtstag das Amulett meiner Mutter geschenkt und dabei gesagt hatte, dass dieses Amulett mich beschützen und mir Kraft geben wird, wenn ich Schutz und Stärke benötige. Jetzt war der Moment gekommen, dass ich diese Stärke brauchte. Also umfasste ich das Amulett, das an meiner Brust hing und fühlte seinen angenehme Wärme.
Dann sprach ich laut aus, was ich mir wünschte:
„Spiegel, zeige mir den Weg fort von hier.“ Gleich darauf sah ich, wie mein Amulett begann zu leuchten und zu pulsieren. Der Lichtschein griff mit sanften Fingern nach dem dunklen Spiegel. Nun fing die Spiegelfläche an, erst sachte, dann immer stärker blau zu leuchten. Wurde schließlich durchlässig. Ich hatte es geschafft. Es war unglaublich.
Davon hatte ich immer geträumt. Ich fasste erneut die Spiegelfläche an. Diesmal gab sie dem Druck meiner Finger nach. Zog sogar an ihnen. Wollte mich auf die andere Seite ziehen. Ich fühlte einen kalten Luftzug an meinen Fingerspitzen. Jetzt war der Augenblick gekommen. Abenteuer warteten auf mich. Ich gab dem Drängen ohne Gegenwehr nach. Glitt in den Spiegel. Aber gerade als ich vollkommen darin versank, dachte ich, dass es vielleicht doch ein Fehler gewesen war, das zu tun. Da war es allerdings schon zu spät.
Ich spürte ein schrecklich schmerzhaftes Gefühl des Zerrissenwerdens. Dann fühlte ich nichts mehr.
Devius saß vor dem offenen Kamin im Wohnzimmer seines Hauses und beobachtete die züngelnden Flammen. Trotzdem der Kamin eine wohlige Wärme verbreitete, war ihm kalt. Er fühlte sich alt und ausgebrannt. War völlig in Gedanken versunken. Zwanzig Jahre waren seit der Befreiung des dunklen Reiches vergangen. Damals hatten Clarissa und er eine Welt des Lichts aus den Ruinen erstehen lassen. Eine Welt voller Frieden und Harmonie.
Doch nicht alle Menschen wollten in Frieden miteinander leben. Einige verließen bald das Reich, das Clarissa und Devius aufgebaut hatten, um ihr Glück auf andere Weise und an einem anderen Ort zu suchen. Sie reisten in den Norden Amerikas, wo sich eine Kolonie der dunklen Kleriker von der restlichen Welt des Lichts abgespalten hatte.
Aber auch die Welt des Lichts erwies sich als nicht dauerhaft stabil. Der Tod von Clarissa war ein furchtbarer Schlag für Devius gewesen. Die Ärzte hatten Clarissa geraten, nicht erneut schwanger zu werden, da ihr im Kampf gegen den dunklen Kristall schlimme innere Verletzungen beigebracht worden waren. Doch sie wünschte sich sosehr ein Kind, dass sie dieses Risiko eingehen wollte. Bis kurz vor der Geburt verlief auch alles problemlos. Doch als ihre Tochter Sina das Licht der Welt erblickte, rissen die alten Wunden seiner Frau wieder auf und ließen sie innerlich verbluten. Durch dieses furchtbare Ereignis verlor Devius nach und nach einen Großteil seiner Kraft und Agilität. Irgendwann war er nicht mehr in der Lage die Regierungsgeschäfte zu so führen, wie er es eigentlich tun sollte. Er überließ es immer mehr seinen politischen Vertrauten, wichtige Entscheidungen zu treffen. Aber nicht alle aus seinem engsten Kreis waren wirklich das Vertrauen wert, das er ihnen schenkte. So konnte sich die dunkle Saat des Neides und der Missgunst fast unbemerkt erneut ausbreiten und damit auch die Gefahr, dass die Finsternis ein weiteres Mal in der Welt des Lichts Fuß fasste.
Als damals die dunklen Göttinnen begannen, die Macht über die Welt des Lichts zu erlangen, und die gesamte Erde im Chaos darniederlag, stand die Zivilisation kurz vor ihrem Untergang. Die meisten Kommunikationswege waren zerstört. Ebenso wie viele der vorhandenen Anlagen zur Energiegewinnung. Es drohte ein Rückfall in das entbehrungsreiche und grausame Mittelalter.
Nur der Unterstützung und dem Ideenreichtum von Clarissa und Devius und ihren Künsten der weißen Magie war es zu verdanken, dass die Menschen lernten, Kristalle als Energiespeicher nutzbar zu machen und die Sonne als unerschöpfliche Energiequelle auszunutzen. Innerhalb von wenigen Monaten wurde die Menschheit unabhängig von fossilen Brennstoffen und der Atomkraft. Jedes Haus und jedes Fahrzeug wurde nach und nach mit einem kristallinen Energiespeicher ausgestattet, der die Kraft der Sonne nutzte, um Wärme und Kraft zu erzeugen. Jeder Mensch besaß irgendwann einen Kristall, über den er mit anderen Menschen kommunizieren konnte. Das Internet, das in den Wirren des Kampfes gegen die Dunkelheit fast völlig zerstört wurde, konnte mit Hilfe kristalliner Netze und der unglaublichen Speicherkapazitäten der Kristalle in einer nie gekannten Stärke und Größe wieder aufgebaut werden. Die Menschen besaßen bald so viel Komfort und Luxus wie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Es gab keine Reichen und keine Armen mehr. Es gab keine hinreichenden Gründe mehr, um Kriege zu führen oder um irgendwelche Ressourcen zu kämpfen. Alles stand allen kostenfrei zur Verfügung. Jeder konnte so leben wie er es wünschte, so viel oder so wenig arbeiten wie er wollte. Fast ein Paradies.
Seitdem war viel Zeit vergangen. Alles geriet irgendwann in Vergessenheit. Insbesondere die schlechten Dinge, die passiert waren. Wer erinnerte sich schon gerne daran? Die jungen Leute nahmen die Errungenschaften der Generation davor als selbstverständlich hin und vergaßen dabei, welche Gefahren im Hier und Jetzt lauerten. Das gute Leben machte einen träge. Die Aufmerksamkeit ließ zunehmend nach. Die Dunkelheit war vertrieben worden. Was sollte denn da noch passieren? Es stimmte. Sie war vertrieben worden. Aber niemals endgültig vernichtet. Das wurde Devius in diesen Moment bewusst.
Er fühlte sich einsam und verloren. Wenn die Dunkelheit wirklich wieder erstarken würde, was sollte er ihr entgegensetzen? Wer würde ihm dabei helfen, gegen sie zu kämpfen? Durch Clarissas Tod hatte er so viel seiner Kraft eingebüßt, dass es für ihn äußerst beängstigend war. Zunächst hatte er das gar nicht bemerkt. Es kam schleichend wie ein Raubtier in der Nacht. Doch jetzt fühlte er es ganz deutlich. Er musste sich jeden Morgen zwingen aufzustehen und saß dann oft da und tat einfach nichts. Konnte in diesen Momenten nichts anderes tun. Außerdem waren vor kurzem auch noch diese furchtbaren Bauchschmerzen dazugekommen. Regelmäßig mittags begannen die Krämpfe und hörten lange nicht auf. Eigentlich sollte er deswegen zum Arzt gehen, aber auch dazu hatte er keine Kraft. Vielleicht war es die Angst. Die Angst davor, dass etwas Böses in ihm steckte.
Schließlich noch das Verhältnis zu seiner Tochter. Irgendwie hatte sie sich in letzter Zeit immer mehr von ihm entfernt. Wollte nicht mehr mit ihm reden. War sehr abweisend. Ob das allein an der Pubertät lag? Er liebte sie so sehr. Wollte sie nicht auch noch verlieren. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie ihm Clarissa im Augenblick ihres Todes große Verantwortung für Sina übertragen hatte:
„Es tut mir sehr leid, dass ich Dich mit er Erziehung unserer Tochter allein lassen muss, aber ich weiß, Du wirst sie in unser beider Sinne erziehen und vor der Dunkelheit zu schützen wissen. Lebe wohl, mein Geliebter.“ Diese Verpflichtung lastete bis zum heutigen Tag sehr schwer auf ihm.
Auch seine Amtsgeschäfte machten ihm zu schaffen. Er trug so viel Verantwortung, dass sie ihn zu erdrücken drohte. Und das hing nicht allein mit seinem Alter zusammen. Das alles erinnerte ihn an die Zeit bevor er Clarissa kennengelernt hatte. Als die herannahende Dunkelheit sich in seinen Träumen angekündigt hatte. War es erneut soweit?
Spürte er, dass wieder Gefahr durch sie drohte? Er wusste es nicht. Aber er musste mit allem rechnen.
Die Herrscherin der Dunkelheit genoss den Flug über den Atlantik. War fasziniert von der ausgefeilten Technik des Flugzeuges, das sich mit Hilfe der Energiegewinnung durch Kristalle und der Ausnutzung von warmen und kalten Luftströmungen, annähernd lautlos, aber doch mit hoher Geschwindigkeit, in Richtung ihres Zieles fortbewegte. Fast machte sich ein wenig Bewunderung in ihr breit, was die Menschen in den letzten Jahrzehnten aus ihrer Welt gemacht hatten. Aber dieses Gefühl hielt nur kurz an. Wurde von ihr barsch zur Seite gewischt, sobald sie es bemerkte. Sie hatte doch nicht etwa vor, dieser minderwertigen Gattung irgendwelche positiven Gefühle entgegenzubringen, oder?
Scheinbar lebte sie schon zu lange unter ihnen. Das tat ihr in der Tat nicht gut.
Sie nahm sich zusammen und konzentrierte sich wieder auf ihr Ziel. Wie lange hatte sie auf diesen Moment gewartet? Bald würde sie ihrem schlimmsten Feind gegenüberstehen und nur wenig später ihn grausam sterben sehen. Hatte sie erst seine Stelle eingenommen, würde sie nichts und niemand mehr aufhalten können. Sie fieberte diesem Augenblick entgegen. Endlich erneut eine ihrer Macht entsprechende Position einnehmen zu können. Aber sie würde behutsam vorgehen müssen. Vermeiden, dass er misstrauisch wurde. In nicht allzu ferner Zukunft würde er ihr dann aus der Hand fressen. Extra für ihn hatte sie eine Gestalt angenommen, die seiner geliebten Clarissa ähnlich sah. Ihr wohlproportionierter Körper würde ihm den Atem rauben und ihn hinfließen lassen, wie eine kleine schleimige Qualle. Er hielt sie für die Halbschwester von Clarissa, die ihr ganzes Leben in Amerika verbracht und erst über die Berichterstattung anlässlich des Sieges über die Dunkelheit von ihrer Schwester erfahren hatte. Da es nicht so einfach war aus dem Gebiet der dunklen Kleriker auszureisen, war es ihr erst jetzt gelungen, nach Europa zu kommen.
Devius war schon immer ein wenig leichtgläubig gewesen. Auch zeigte er besonders dem weiblichen Geschlecht gegenüber eine große Schwäche, die sie ausnutzen würde. Somit saß er eigentlich schon in der Falle.
Als sie jetzt aus dem Fenster blickte, sah sie den Frankfurter Flughafen unter sich auftauchen. Nur noch wenige Augenblicke und das Flugzeug würde in Landeanflug übergehen. Sie fragte sich, ob sich hier so viel verändert hatte, wie die neue Technik der Flugzeuge vermuten ließ. Bastian würde sie vom Flughafen abholen. Er war einer der engsten Vertrauten von Devius und hatte ihn schon auf ihr Eintreffen vorbereitet. Devius war so großherzig gewesen und hatte ihr angeboten, während ihres Aufenthaltes ein Gästezimmer in seinem Haus zu bewohnen. Natürlich hatte sie dieses Angebot liebend gerne angenommen. Keiner ahnte, dass Bastian schon eine ganze Zeit zu ihrer dunklen Gefolgschaft gehörte. Die Aussicht auf Macht und Ruhm hatte ihn korrumpiert. Er wollte nicht immer nur in der zweiten Reihe hinter Devius stehen. Es amüsierte Nyx immer wieder, wie leicht die Menschen in ihrer Gier nach Macht und Anerkennung zu manipulieren waren. Selbst wenn es ihnen gut ging, wollten sie immer mehr. Bis sie schließlich daran erstickten. Aber das war ja ganz in ihrem Sinne. Ohne die dunklen Sehnsüchte der Menschen wäre sie niemals so weit gekommen, wie sie es inzwischen war.
Als sie durch das Gateway lief, konnte sie Bastian schon von weitem sehen. Er war ein gutaussehender schwarzhaariger Mann mittleren Alters. Er lächelte sein perfektes Lächeln, als er sie näher kommen sah. Sie lächelte voller Freundlichkeit zurück. Im Innersten musste sie sich jedoch eingestehen, dass sie ihn nicht mochte. Er war ihr zu glatt. Zu perfekt. Ohne Reibungspunkte. Sie war sich sicher, dass er, wenn sich für ihn eine Gelegenheit ergab oder er sich dadurch Vorteile versprach, auch sie hintergehen würde. Zurzeit brauchte sie ihn allerdings noch. Ohne ihn wäre es ihr kaum in dieser kurzen Zeit gelungen, in die Nähe von Devius zu gelangen. Als sie bei im eintraf neigte er seinen Kopf und küsste ihre Hand zur Begrüßung.
„Herrin, ich stehe Dir zu Diensten.“
„Gut, dann kümmere Dich um mein Gepäck.“ Bastian nickte unterwürfig und holte das Gepäck. Danach führte er sie zu seinem Auto. Auch die Autos der neuen Generation fuhren dank des kristallinen Antriebs fast geräuschlos und waren mit allerlei technischen Schnickschnack ausgestattet. Und sie fuhren schnell. So schnell, dass sie in kurzer Zeit vor Devius Haus vorfuhren. Bastian begleitete sie noch zur Eingangstür und half ihr mit ihrem Gepäck. Mit hineinkommen wollte er allerdings nicht mehr. Das Haus befand sich in der Künstlerkolonie Rosenhöhe in Darmstadt und war liebevoll restauriert worden. Devius hatte es zusammen mit Clarissa gekauft, um dort genug Platz zu haben, um an seinen Grafiken und Bildern arbeiten zu können.
In dem Moment als Devius ihr die Tür öffnete und sie mit einem offenen Lächeln hineinbat, fühlte Nyx einen leichten Schwindel von ihr Besitz ergreifen.
„Herzlich willkommen in meiner bescheidenen Behausung. Fühle Dich hier ganz wie zu Hause.“ Das war der Mann, den sie aus tiefsten Herzen hassen sollte und den sie ins Unglück stürzen wollte. Devius strahlte so viel Herzlichkeit und Offenheit aus, dass ihr das fast unmöglich erschien.
Er war sichtlich älter geworden, aber auch reifer. Hatte nichts mehr mit dem Jungen zu tun, der sie aus dem dunklen Reich vertrieben und ihr so viel Leid zugefügt hatte. Sie sah viel Kummer in seinen Augen, aber auch den Willen zu überleben. Wenn sie genau hinschaute, spiegelte sich sogar eine Art Weisheit auf seinem Gesicht wider. Seine Haare waren fast vollkommen grau geworden und mit nur noch wenigen schwarzen Strähnen durchzogen. Doch trotz der vorhandenen Kraft, hielt er sich ein wenig gebeugt, so als ob das Schicksal ihn schon viel abverlangt hatte. Jetzt konnte sie verstehen, dass ihre Tochter Eris vor langer Zeit so großes Gefallen an ihm gefunden und sich von der Dunkelheit abgewandt hatte.
Was ging nur mit ihr vor? Gerade wurde sich die dunkle Göttin bewusst, in welche verhängnisvolle Falle sie sich beinahe begeben hätte. Das konnte doch nicht wahr sein. Es wurde Zeit, dass sie ihre überflüssigen menschlichen Gefühle ablegte und wieder vernünftig wurde. Weder ihr Verständnis noch ihr Mitgefühl für ihn, waren zielführend. Sie war hierher gereist, um ihn sterben zu sehen und nicht, um irgendeine Form von Zuneigung zu ihm zu entwickeln. Das sollte sie sich immer vor Augen halten. Noch nie hatten ihr irgendwelche menschliche Wesen etwas bedeutet, warum sollte sich das gerade jetzt ändern. Sie musste sich auf ihre anstehenden Aufgaben und ihre nächsten Ziele konzentrieren. Dazu war Devius nur Mittel zum Zweck. So wie es Menschen schon immer für sie waren.
Sie setzte ihr schönstes Lächeln auf. Blickte ihm offen in die Augen und sagte:
„Es freut mich, endlich Deine Bekanntschaft zu machen, Devius. Selbst unter den dunklen Klerikern wird Dein Name mit einem respektvollen Unterton ausgesprochen.
Und auch in den abgelegensten Teilen von Nordamerika ist den Menschen bekannt, dass Dank Dir die Welt seit zwanzig Jahren in Frieden lebt.“
„Ernsthaft? Das liegt aber nicht unbedingt im Interesse der dunklen Kleriker, wie ich gehört habe.“
„Das ist wahr und einer der Gründe, warum ich nach Europa gereist bin.“
„Was sind Deine anderen Gründe?“
„Da ich bedauerlicherweise nie die Gelegenheit hatte, Clarissa persönlich kennenzulernen, würde ich mich sehr freuen, wenn Du mir ein wenig von ihr und ihrem Leben erzählen könntest.“
„Bastian hatte so etwas angesprochen. Du bist die Halbschwester von Clarissa? Komisch, dass sie Dich nie erwähnt hatte.“
„Sie wusste wahrscheinlich selbst nicht, dass ich existierte. Wenn meine Mutter mir nicht nach ihrem Tod einen Brief hinterlassen hätte, in dem sie mir die Wahrheit über meinen Vater schrieb, hätte auch ich niemals davon erfahren. Ich dachte immer, dass mein Vater im Krieg gefallen war. Nicht, dass er hier in Deutschland mit seiner Familie lebte.“
„Nun gut. Das können wir ja bei passender Gelegenheit nochmal besprechen. Ich zeige Dir erst einmal Dein Zimmer. Wahrscheinlich willst Du Dich nach dem Flug etwas ausruhen. Falls Du Lust hast, können wir ja heute Abend zusammen etwas kochen. Ich habe mir frei genommen.“
„Ja, gerne.“ Devius führte Nyx nun in den ersten Stock seines Hauses, wo das Gästezimmer für sie hergerichtet war. Nachdem er aus der Tür getreten und sie wieder allein war, verzog sich ihr Gesicht vor Ärger. Das war nun wirklich kein gelungener Anfang für den Aufbau einer engen und vertrauensvollen Beziehung zu Devius gewesen. Außerdem zeigte er doch mehr Misstrauen, als sie befürchtet hatte. Sie würde sich mehr Mühe geben müssen. Obwohl sie jetzt schon eine gewisse Zeit unter den Menschen lebte, fiel es ihr immer noch sehr schwer ihre herrschaftliche und herablassende Art unter einem Deckmantel von Freundlichkeit zu verbergen. Doch heute Abend würde sie sicherlich Gelegenheit finden, ihm ein wenig näher zu kommen. Da war sie sich sicher.
Es tat so weh. Ich hatte so furchtbare Schmerzen. Konnte meinen Körper vor Schmerzen kaum noch fühlen, mich nicht bewegen. In diesem Moment blieb mir nichts anderes mehr übrig, als meinen Schmerz laut herauszuschreien. Was hatte ich bloß getan? Ich hätte vernünftiger sein sollen. Immer wollte ich meinen Kopf durchsetzen. Das hatte ich nun davon. Wollte es scheinbar nicht anders. Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten. Fiel zu Boden.
Doch plötzlich veränderte sich etwas. Die Schmerzen ließen nach. Wurden erträglich. Hörten fast ganz auf. Ich fühlte einen kühlen Luftzug, nicht mehr nur Schmerzen. Konnte mich wieder bewegen, die Augen öffnen. Ich war hindurch. Es hatte geklappt. Der Spiegel hatte mich fort von zu Hause gebracht. Ich spürte es. Der Schmerz war vergessen. Ich war glücklich. Freute mich auf die kommenden Abenteuer.
Ich versuchte aufzustehen. War noch sehr wackelig.
Dann hörte ich eine Stimme hinter mir:
„Brauchst Du Hilfe, junge Frau? Warte ich helfe Dir.“ Ich spürte wie mir jemand von hinten unter die Arme griff. Mich hochhob, bis ich selbst stehen konnte. Ich schaute mich um. Bekam einen Schreck. Vor mir stand ein Wesen, halb Mensch und halb Wolf. Grinste mich mit riesigen Fangzähnen an. Dabei lief ihm der Geifer aus dem Maul, als ob er mich gleich fressen würde. Ich versuchte auch zu lächeln. Es war nur ein kläglicher Versuch. Aber das reichte ihm. Schien für ihn eine Aufforderung zu sein. Sein Blick fiel auf meine Brüste, wurde lüstern und gierig.
„Noch nie kam eine so hübsche Frau wie Du aus dem Spiegel. Immer nur der alte Mann.“ Dann schon fast keuchend:
„Du gefällst mir. Sogar sehr.“ Im gleichen Moment kam er immer näher und versuchte meine Brüste zu berühren.
Ich wich voller Ekel zurück. Als er das bemerkte, wurde sein Blick dunkel. Sein Grinsen verschwand. Er drängte mich gegen die Wand. Rieb seinen Unterleib an mir. Ich hatte furchtbare Angst, vor dem, was gleich passieren würde. Ich spürte das harte Etwas zwischen seinen Beinen. Ich schrie ihm ins Gesicht:
„Lass mich los, ich möchte jetzt gehen!“
„Das glaube ich Dir nicht. Es wird Dir gefallen. Bisher hat es allen Frauen gefallen. Sie haben immer vor Vergnügen geschrien.“ Ich boxte ihm mit aller Kraft gegen seine Brust. Versuchte mich von ihm zu befreien. Er hielt meine Hände fest. Drängte mich noch weiter gegen die Wand. Ich schwitzte, mein Atem ging stoßweise. Was konnte ich tun?
Er versuchte mich zu küssen, seine lange Zunge in meinen Mund zu stecken. Mir wurde schlecht. Gleich musste ich kotzen. Dann hob ich fast automatisch mein Knie, stieß es in seinen Unterleib. Das hatte die erwünschte Wirkung. Er fing laut an zu jaulen und ließ mich los. Ich stieß ihn von mir weg und lief los.
Rannte so schnell wie noch nie in meinem Leben. Rannte durch die Tür ins Freie. Ich hörte ihn schreien. Er folgte mir. Ich sah einen nahen Fluss. Das war mein Ziel. Rannte noch schneller. Bekam kaum noch Luft. Der Atem brannte in meinen Lungen. Er war noch da. Ich hörte ihn hinter mir keuchen. Er holte auf. War nicht mehr weit entfernt. Jetzt sah ich ein blaues Leuchten. Kurz vor mir. Es rief mich.
Lockte mich. Ein Feld voller wunderbarer blauer Orchideen. Genau solche Orchideen, wie ich eine davon bei uns im Keller gefunden hatte. Dort würde ich sicher sein. Sie würden sich um mich sorgen.
Ich betrat das Feld. Ging in seine Mitte. Augenblicklich hatte ich keine Angst mehr, fühlte ich mich glücklich und zufrieden. Vergessen war die Gefahr. Hier war ich gut aufgehoben. Wie durch Nebel nahm ich wahr, dass der Fremde mir immer noch folgte. Versuchte mich zu erreichen. Er hatte das Feld mit den Blumen erreicht. Dann erstarrte er aber in seiner Bewegung. Sein Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. Er schloss die Augen. Ich tat es ihm gleich. Spürte, dass irgendetwas über meinen Fuß strich.
Langsam und behutsam mein Bein hinaufglitt. Bekam kurz Bedenken. Doch dann sagte eine Stimme zu mir, dass ich hier in Sicherheit war. Mir keine Gedanken machen musste. Die Blumen umhegten mich. Hielten mich geborgen wie im Mutterschoß. Ich glitt zu Boden. Schlief ein.
Irgendwann wachte ich auf. Wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Spürte, dass ich mich in Gefahr befand. Bekam kaum noch Luft. Etwas schnürte mir den Hals zu. Umgab meinen ganzen Körper. Hatte der Wolf mich doch noch erwischt? Ich konnte mich nicht bewegen. Was war hier los?
Ich öffnete die Augen. Was ich sah, war kaum zu glauben.
Die Pflanzen hatten mich von Kopf bis Fuß mit einem Kokon aus Pflanzenfasern eingehüllt. Aber nicht zu meinem Schutz, sondern um mich zu töten. Ich versuchte, mich zu befreien. Doch die Fasern waren zu eng. Ich konnte kaum einen Finger rühren. Verdammter Mist. Das durfte doch einfach nicht wahr sein. Ich fühlte, wie mir schwarz vor Augen wurde. Ich wollte nicht sterben. Zwang mich die Augen offen zu halten. Dachte intensiv nach. Endlich hatte ich eine Idee.
„Orchideen, gebt mich frei und lasst mich meinen Weg gehen.“ sagte ich mit leiser, aber fester Stimme. Wie schon vor dem dunklen Spiegel, ging in dem Moment ein Leuchten von meinem Amulett aus und erfasste die Pflanzenschlingen, die mich bewegungsunfähig gemacht hatten.
Und mit einem kaum zu vernehmenden Seufzen ließen sie mich wirklich nach und nach los. Bald war ich wieder vollkommen frei. Atmete voller Gier die klare Luft ein. Nun war es Zeit, möglichst schnell von hier zu verschwinden.
Ich stand langsam auf. Stolperte los. War noch ziemlich schwach auf den Beinen. Dann kam ich an ihm vorbei.
Auch war war von den Orchideen überwältigt worden. Erkannte fast nicht, dass er es war. So hätte ich auch enden können. Der Wolfsmensch war tot. War von den Pflanzen umhüllt und getötet worden. Sah furchtbar aus. Sie hatten ihn mit einer Säure benetzt, die ihn in seine Bestandteile auflöste, um ihn dann als Nahrung aufnehmen zu können. Mir wurde schlecht. Ich konnte nicht anders, musste mich übergeben. Ich versuchte mich zusammenzureißen. Beruhigte mich zögernd wieder. Jetzt aber nichts wie weg von hier. Lief einen kleinen Pfad entlang. Wo wollte ich eigentlich hin? War ich sicher, dass ich hier bleiben wollte? Warum war ich so dumm gewesen, überhaupt hierher zu kommen?
Plötzlich hörte ich eine Stimme:
„Junge Frau, hast Du Dich verirrt? Kann ich Dir helfen?“ Nein, nicht schon wieder. Ich drehte mich herum, bereit, um mein Leben zu kämpfen. Vor mir stand ein alter drahtiger Mann mit einer Harke über den Schultern und lächelte mich freundlich an. Mein Gefühl sagte mir, dass er mit mir nichts Böses im Sinne hatte. Ich hoffte, dass das stimmte. Atmete auf.
„Das wäre sehr nett von Ihnen. Ich würde gerne wissen, wo ich hier bin.“
„Bist Du durch den Spiegel hierhergekommen?“
„Ja, das bin ich.“
„Dann bist Du sicherlich auch Agnus begegnet. Er ist etwas einfältig, aber ansonsten ganz verträglich.“ Ich zögerte, ihm darauf eine Antwort zu geben. Als verträglich war mir der Wolfsmensch nicht gerade erschienen.
„Ja, ich bin jemanden begegnet, aber er war nicht besonders freundlich zu mir. Gibt es denn hier in der Nähe eine Stadt oder so etwas?“
„Wenn Du dem Fluss folgst, kommst Du zum Dorf der Erinnerung, aber der Weg dorthin ist nicht ohne Gefahren.
Ich würde Dir raten, nicht alleine dahin zu reisen. Lange Jahre war das dunkle Reich eine friedliche Welt, aber seit ein paar Jahren tauchen hier immer mehr dunkle Strauchdiebe auf, die nicht besonders zimperlich mit ihren Opfern umgehen.“ Als ob er mich nun zum ersten Mal richtig erblickte, schaute der alte Mann mich nun ganz eigenartig an. Dann sagte er:
„Dein Gesicht kommt mir seltsam bekannt vor. Du erinnerst mich an meine Enkelin, die mich hier vor vielen Jahren besucht hat. Sagt Dir der Name Clarissa Mandel etwas?“
„Das ist meine Mutter. Sie ist bei meiner Geburt gestorben.“
„Was, das ist ja schrecklich. Es macht mich sehr traurig, das zu hören. Wie alt bist Du?“
„Ich bin siebzehn.“
„Siebzehn Jahre ist sie schon tot und ich alter Knochen lebe immer noch. Wie seltsam. Das muss der Einfluss der Nachtfalterorchideen sein.“ Er überlegte kurz und fuhr fort:
„Dann bist Du ja meine Urenkelin. Ich bin Richard Mandel. Herzlich willkommen im dunklen Reich.“, sagte er und reichte mir seine Hand. Ich begegnete hier meinem Urgroßvater. Wie schräg war das denn? Aber er schien ein netter Mensch zu sein. Lud mich in sein Haus ein, das nicht sehr weit entfernt war. Wie sich bald herausstellte, hatte mein Urgroßvater ein großes Redebedürfnis. Er bekam wohl nur selten Besuch. Da er im dunklen Reich seit langer Zeit als Gärtner tätig war, fing er zunächst an, mir bei einer Tasse Tee über die Flora des dunklen Reiches vorzuschwärmen:
„Obwohl im dunklen Reich keine Sonne scheint, haben sich doch im Laufe der Evolution hier zahlreiche besondere Pflanzen angesiedelt. Die wohl eindrucksvollsten davon sind die Nachtfalterorchideen und die Bäume des Blutes.
Die Nachtfalterorchideen wachsen sehr häufig in den Auen des Flusses des Vergessens. Sie sind eine wunderschöne dunkelblaue Orchideenart, die, sobald man in ihre Nähe kommt, ein überirdisches blaues Leuchten von sich geben.
Dieses Leuchten wirkt wie eine Droge und führt zu einem nie gekannten Hochgefühl bei dem Betrachter. Falls man sich zu sehr von diesem Leuchten fesseln lässt, kann es passieren, dass diese Pflanzen einen mit im Boden verborgenen Pflanzenschlingen zu Fall bringen, umschlingen und durch Besprühen mit einem Enzym in einen verdaubaren Nahrungsbrei umwandeln.“
„Mit den Nachtfalterorchideen habe ich während meiner kurzen Zeit hier schon meine Erfahrungen machen müssen.“ Richard Mandel nickte nur kurz, ohne auf den Einwand einzugehen. Dann fuhr er mit seinem Redefluss fort:
„Während die Nachtfalterorchideen eher auf visuelle Reize setzen, um an Nahrung zu gelangen, sind die Bäume des Blutes in der Lage, einen betörenden, ja schon fast sirenenhaften Gesang von sich zu geben. Durch diesen Gesang vergessen die Wesen, die diesen hören, alles andere und denken nur noch daran, in die Nähe des Ursprungs dieses wunderschönen Gesangs zu gelangen. Dort werden die Angelockten dann von den Bäumen des Blutes mit spitz zulaufenden Ästen getötet und ihr Blut bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt.
Wir haben allerdings gelernt mit den Gefahren umzugehen, die von diesen Pflanzen ausgehen, und nutzen deren Bestandteile zur Herstellung von Heiltinkturen, Tees, Kampfschildern, Fackeln und vielem mehr.“
„Sehr beeindruckend zu hören. Mich interessiert aber auch, was für eine Rolle meine Eltern hier im dunklen Reich gespielt haben. Kannst Du mir davon etwas berichten?“
„Gut, dass Du das ansprichst. Das hätte ich beinahe vergessen zu erzählen.
Wie Du vielleicht schon weißt, existiert seit Anbeginn aller Zeiten neben Deiner Welt des Lichts das Reich der Dunkelheit. Verbunden sind diese beiden Welten durch die dunklen Spiegel. Das dunkle Reich wurde seit seinen Anfängen durch die drei dunklen Göttinnen beherrscht. Das waren Nyx, die Göttin der Nacht und Herrscherin der Dunkelheit, Eris, die Göttin der Zwietracht und des Streites, und Lethe, die Göttin des Vergessens. Im Laufe der Jahrhunderte gelang es den dunklen Göttinnen eine immer größer werdende Armee von Elitekämpfern, die auch dunkle Horde genannt wurde, zu rekrutieren.
Das lange währende Gleichgewicht zwischen unseren beiden Welten war dadurch in Gefahr. Die dunklen Göttinnen waren sich ihrer großen Stärke bewusst und wollten die Welt des Lichts mit allen Mitteln unterjochen. Nur einem Menschen aus der Welt des Lichts konnte es laut dem Buch der dunklen Wahrheiten gelingen, die Welten wieder in Einklang zu bringen und das Gleichgewicht erneut herzustellen. Und das war Dein Vater, Devius Melzer. Zusammen mit Deiner Mutter kämpfte er einen erbitterten Kampf gegen die dunklen Göttinnen und besiegte sie. Auch dank der Hilfe einiger dunkler Völker, die es satt hatten, durch die Göttinnen unterdrückt zu werden. Ja, das war eine wilde Zeit damals. Viele gute Freunde von mir sind seinerzeit in den Kämpfen gestorben. Aber Deine Eltern haben alles zum Guten gewendet. Ein Glück.“
Von alldem hatte ich schon gehört. Aber ich dachte, dass das dunkle Reich eine Legende war. Mein Vater als Kämpfer gegen finstere Göttinnen. Das war für mich kaum zu glauben. So unbeholfen wie mein Vater sich immer anstellte. So etwas hätte ich ihm niemals zugetraut. Warum hatte er mir nie davon erzählt? Und die ganze Heimlichtuerei mit dem dunklen Spiegel. Da wird mein Vater mir nach meiner Rückkehr ein paar unangenehme Fragen beantworten müssen.
Ich befand mich also im dunklen Reich. Dem sagenumwobenen Land der magischen Wesen und dunklen Monstren. Der ideale Platz um Abenteuer zu erleben. Ich ließ mir von meinem Urgroßvater den Weg zum Dorf der Erinnerungen noch etwas genauer erklären und machte mich kurz danach auf den Weg dorthin.
Nachdem ich mich von Richard Mandel verabschiedet hatte, ging ich einen schmalen Pfad am Fluss des Vergessens entlang. Seine Warnung vor den Gefahren durch irgendwelche Wegelagerer hatte ich schlicht ignoriert. Ich dachte, es wäre das Geschwätz eines alten Mannes. Aber je mehr ich mich dem Dorf der Erinnerung näherte, desto unheimlicher wurde mir zumute. Mir fiel es schwer, die schöne Umgebung genießen, die mich umgab. Immer wieder hörte ich Geräusche, die ich nicht einordnen konnte und die mir seltsam bedrohlich vorkamen.
Schließlich kam ich zu dem Waldstück mit Bäumen des Blutes, vor denen mein Urgroßvater mich gewarnt hatte.
Ich hatte mir aber schon vorsorglich die Kräuter, die er mir mitgegeben hatte, ins Ohr getan, so dass ich deren wunderschönen, aber auch sehr gefährlichen Gesang nicht hören konnte.